Perdita Pebas wäre eines der schönsten Mädchen nicht nur Kolumbiens, sondern der Welt gewesen — ohne Übertreibung —, wenn sie sich nicht das wundervolle schwarze Haar in ein ordinäres Rot gefärbt hätte; ein Rot, das wie Blut über ihren Kopf floß und gar nicht zu ihr paßte. Auch die grelle Schminke zerstörte das feine Gesicht, machte es maskenhaft, clownähnlich, erbärmlich gemein. Meistens trug sie einen engen Rock, der ihre Hüften und die langen Beine umpreßte, und eine Bluse, aus der die obere Rundung ihrer Brüste hervorquoll. Wenn sie zum >Dienst< ging, puderte sie die Brüste sogar mit Goldstaub ein. Bei >Mamas< Beleuchtung glitzerte dann ihr Oberkörper lockend und geil und konnte nie übersehen werden.
Pater Cristobal gab sich gar keine Mühe, Perdita zu übersehen.
Im Gegenteil, er sprach sie auf der Treppe zum Lokal an. Sie wohnte zwei Zimmer neben ihm und hatte natürlich längst gehört, wer da als Nachbar das beste Zimmer besetzt hielt.
«Für die Kirche habe ich einen Sondertarif«, sagte sie gemein und blieb vor Cristobal Montero stehen. Sie zog sogar die Bluse tiefer in den Rockbund und entblößte dadurch ihre Brüste noch mehr.»Aber umsonst ist nichts! Ich weiß ja, die Kirche will immer alles geschenkt haben. Bei mir nicht!«
«Auch die Kirche gibt manchmal etwas umsonst«, sagte Pater Cristobal freundlich.»So kannst du zum Beispiel von mir gratis eine Ohrfeige bekommen! Zieh deine Bluse hoch! Deine Kugeln sind doch nur Attrappe.«
«Sie sind echt!«Sie riß den Ausschnitt der Bluse ganz herunter und streckte Cristobal ihre nackten vollen Brüste entgegen.»Ich habe die schönsten weit und breit!«Ihre Augen sprühten Feuer.»Auch die kommen von Gott!«
«Sicherlich! Aber was tust du mit Gottes Geschenk? Weißt du, wie sie bei deinem Leben nach zehn Jahren aussehen?«
«Weiß ich, ob ich zehn Jahre überlebe?«
«Ich weiß es.«
«Natürlich! Ein Pfaffe weiß alles. «Perdita lachte hell und zog die Bluse wieder höher.»Ahnen Sie, in welchem Bett Sie schlafen?«
«Ja! Senora Ordaz hat es deutlich gesagt. Aber mich stört es nicht. Es ist ein gutes Bett. Und du bist ein gutes Mädchen.«
«Sagen Sie das noch mal, Pater.«
«Du bist ein gutes Mädchen. Du bist nicht das, was du jetzt darstellt. Du bist allein, verzweifelt, hilflos, ausgebeutet. Und du vergehst vor Heimweh.«
«Sie sind verrückt, Pater!«sagte sie leise. Plötzlich verzerrte sich ihr ordinär geschminktes Gesicht, sie begann zu weinen, warf sich herum und rannte die Treppe hinunter zur Bar.
Cristobal ging ihr langsam nach. Bei >Mama< war schon großer Betrieb. Im Lokal plärrte wieder überlaut die Musik, die Tische und die Hocker an der Bar waren fast schon besetzt, auf dem Tanzparkett schoben sich die Pärchen hin und her, als kämpften sie um jeden Quadratmeter Boden. An der Tür stand Miguel, der Portier und die lebende Kirchenorgel, und begutachtete jeden, der noch hinein wollte. Wer schon betrunken war, bekam einen Fausthieb zwischen die Augen und taumelte zurück aufdie Straße. Niemand nahm das hier übel. Es gehörte zu den Sitten dieser Stadt, daß weniger geredet als sofort gehandelt wurde. Man begriff das auch besser. Nach Miguels Schlag gab es jeder auf, einen zweiten Anlauf zu wagen.
Pater Cristobal fand einen Hocker am äußersten Ende der Bartheke, hob sich auf den Sitz und bestellte bei Loulou, der Bardame mit dem Riesenbusen und der geschnürten Taille, einen großen Bourbon-Whisky. Neben ihm saß ein Mann auf dem Hocker, der ihn aus den Augenwinkeln musterte. Cristobal kam er bekannt vor. Er mußte einer der Männer sein, die bei dem Erschossenen eine Art Ehrenwache gehalten hatten. Einer von >Mamas< Smaragdaufkäufern.
«Hier stinkt es gewaltig!«sagte der Mann plötzlich laut.»O verdammt, es stinkt nach Weihrauch. Meine Nase brennt direkt. Wer kann das aushalten? Ich muß gleich kotzen.«
«Loulou, bring einen Eimer!«rief Pater Cristobal besorgt. Er übersah das entsetzte Gesicht von Loulou, die sich nicht rührte, sondern langsam nach hinten wich.»Welch eine Unvernunft! Kranke, alte und schwächliche Männer sollten nicht in Bars sitzen! Wie kann jemand Whisky vertragen, wenn ihn schon Weihrauch in die Hose machen läßt?«
«Wer ist hier krank?«fragte der Mann und zog das Kinn an. Er war ein bulliger Kerl, mit einem Gesicht voller Narben und Flecken und einer dicken, roten Nase, die wie eine Kaktee aussah.»Mein Geruchssinn ist nur beleidigt.«
«Dann stink nicht so!«sagte Cristobal ruhig.
«Aha!«Der Mann griff nach dem Glas des Paters und schüttete den Whisky über dessen Hose. Dann warf er das Glas an die Wand und lachte rauh.»Das duftet endlich nach Männern!«Um ihn herum glucksten die anderen Gäste vor Freude und Erwartung.
«Es ist schade, daß der Doctor in die Berge gezogen ist«, sagte Pater Cristobal sanft.»Wer wird jetzt dem guten Mann den Kopf flicken?«Blitzschnell griff er zu, riß eine Flasche an sich und schlug sie dem Mann über den Schädel. Das Glas splitterte, der Mann schwankte vom Hocker, stierte mit glasigen Augen um sich und spürte, wie aus einer Rißwunde Blut über sein Gesicht lief. Ein paar Frauen kreischten. Es sah ärger aus, als es war, aber Kopfwunden bluten nun einmal besonders stark.
Der Mann stieß einen dumpfen Laut aus, riß ein langes Messer aus dem Hosenbund und duckte sich. Mit flimmernden Augen starrte er den Priester an. Pater Cristobal saß auf seinem Hocker und winkte mit dem leeren Glas zu Loulou.
«Noch einen! Auf Rechnung dieses Caballeros.«
Loulou rührte sich nicht. Sie hatte längst unter der Theke den Alarmknopf gedrückt: >Mama<, bitte kommen. Hilfe! Verzweifelt und verwundert zugleich blickte sie zu Miguel, der sonst wortlos eingriff und mit seinen riesigen Händen Ordnung schaffte. Aber Miguel blieb an der Tür stehen und kratzte sich nur den Nasenrücken. Es war offensichtlich: Er dachte nach.
Der Mann mit dem blutenden Kopf stürzte plötzlich vor und stieß das Messer gegen Pater Cristobal. Aber er kam nicht nahe genug an ihn heran. Der Priester hob sein rechtes Bein, zog es etwas an und schnellte dann vor. Ein gewaltiger Tritt traf den Anstürmenden, stoppte ihn und warf ihn dann weit zurück. Er krachte gegen einen Tisch, krümmte sich und begann zu spucken. Drei Männer hielten ihn fest, entwanden ihm das Messer und schleiften ihn durch einen Hinterausgang hinaus.
«Wo bleibt mein Whisky?«sagte Cristobal in die gefährliche Stille hinein.»Bezahle ich nicht mit ehrlichen Pesos?! Wer will, kann sogar ein Heiligenbildchen extra haben.«
Durch die Tür die in ihr Büro führte, kam Mercedes Ordaz, als sei jetzt ihr Stichwort gefallen. Sie wirkte sehr elegant und gepflegt in einem altspanischen Kleid, das ihre üppige Figur eng umschloß. Um die Schulter trug sie einen mit Goldfäden durchwirkten Schal aus schwarzer Spitze.
«Mußte das sein?«fragte sie und setzte sich neben Pater Cristobal auf einen Barhocker.»Warum muß die Kirche immer aktiv eingreifen, wo sie nichts zu suchen hat?«
«Ihn störte mein Weihrauch, Töchterchen des Herrn.«
«Wer redet von dem Idioten? Sie haben vorhin mit Perdita gesprochen. Die Kleine ist völlig durcheinander. Sie weint und weigert sich, heute abend ihren Dienst anzutreten.«
«Das ist gut!«
«Solange Sie im Lokal sind, sagt sie.«
«Ich habe einen unbändigen Durst. Ich bleibe. Außerdem wohne ich hier. Die Idee, mich hier einzuquartieren, kam von Ihnen, Senora. Werfen Sie mir nichts vor. Ich hatte Sie gewarnt! Wer einen Priester ins Haus nimmt, muß mit heiligen Gesängen rechnen.«
«Perdita ist mein bestes Pferdchen.«
«Das glaube ich Ihnen sofort. Aber sie hat eine bessere Zukunft, wenn sie von Ihnen weggeht.«
«Was will sie denn? Sie hat keine Schule besucht, sie kann nichts, sie weiß nichts, sie ist nur schön.«
«Sie wird schreiben und lesen lernen.«
«Ha! Wo denn? In Penasblancas? Hier gibt es eine Schule, gewiß, aber keinen Lehrer. Die beiden, die hier einmal unterrichteten, sind längst in den Bergen und schürfen nach Smaragden.«
«Perdita wird die Schule der >Barmherzigen Mutter von Muzo< besuchen.«
«Welche Schule?«Mercedes Ordaz winkte. Loulou brachte eine Karaffe Rotwein und ein großes geschliffenes Glas.»In Muzo?«
«Das ist nur der Name. Die Schule befindet sich in den Bergen.«
«Ich staune.«
«Neben dem Krankenhaus der Guaqueros.«
«Verrückt! Pater, Sie und Ihr Freund sind die erbarmungswürdigsten Idioten unserer Breiten. Sie wollen hier eine Schule gründen?«
«Und eine Kirche mit einem Gemeindezentrum. Außerdem einen richtigen Friedhof.«»Letzteres wird das einzige sein, das sich lohnt und rentabel ist!«sagte >Mama< sarkastisch.»Alles andere können Sie sich sparen, Pater. «Sie goß sich ein Glas Wein ein und nahm einen kräftigen Schluck.»Wann gehen Sie weg?«
«Nie! Ich bleibe hier.«
«In die Berge.«
«Wenn ich Perdita mitnehmen kann.«
«Also nie!«>Mama< beugte sich zu Pater Cristobal hinüber. Ihre Augen waren hart. Das einstmals schöne Gesicht wurde zur Maske. Das ist sie wirklich, dachte Cristobal ruhig. Jetzt spielt sie keine billige Rolle mehr.»Ich werde um Perdita kämpfen. Sie gehört mir!«
«Wir wollen uns nicht über Eigentumsverhältnisse streiten. Senora Mercedes Ordaz, und wenn Sie noch so laut und falsch in der Kirche singen, niederknien und die Hostie schlucken, ich gebe keine Ruhe, bis Ihr Sauladen entweder geschlossen ist oder ein anständiges Lokal wird!«
«Sie wollen Krieg, Pater?«
«Ich will Ordnung in der Welt.«
«Und da fangen Sie ausgerechnet bei mir an?«
«Sie sind ein Sumpfloch, >Mama<, aus dem die Pest quillt. Es muß zuallererst trockengelegt werden.«
«Sie haben keine Angst?«
«Nein.«
«Natürlich nicht. Sie wissen, daß Sie in den Himmel kommen.«
«So ist es, Töchterchen.«
«Feinde nehmen auch keine Rücksicht auf Ihre Soutane.«
«Warum reden wir herum, >Mama Sie werden den Auftrag erteilen, mich umzubringen. Aber das wird schwer sein. Ich habe bereits viele Freunde in Penasblancas.«
Er schwieg. Die Tür flog auf. Polizeileutnant Felipe Salto und seine drei Polizisten stürmten in die Bar und besetzten den Ausgang.»Alles an die Wand!«brüllte er.»Die Rücken zu mir! Hände hoch über den Kopf. Wer bis >Drei< nicht an der Wand steht, braucht sich morgen nicht mehr die Augen zu waschen!«
Die Gäste der Bar rannten an die Wände und stellten sich wie gewünscht auf. Nur Cristobal blieb sitzen und >Mama< natürlich auch.
«Noch so einer der neuen Spinner!«sagte sie und holte aus ihrer Kleidertasche eine dicke schwarze Zigarre heraus. Sie biß die Spitze ab und spuckte sie ins Lokal.»Haben Sie Feuer, Pater?«
«Aber ja. «Cristobal riß ein Streichholz ab und zündete die Zigarre an. Mercedes Ordaz stieß ein zufriedenes, sattes Grunzen aus.
«Ich weiß nicht, warum die jungen Männer so dämlich sind«, sagte sie nach dem ersten Zug.»Kommen hierher, um alles umzuändern, und liegen dann unter der Erde. Was haben sie davon? Auch der Leutnant wird auf diese Art nicht alt werden.«
«Hier soll eine Schlägerei sein!«schrie Felipe Salto.»Pater, wo ist der Kerl? Sind Sie verletzt?«
«Der nicht!«sagte Mercedes Ordaz fett.»Wenn der tritt und schlägt, stehen hundert Englein dahinter!«
Leutnant Salto kam näher und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er setzte sich neben >Mama< an die Theke. Loulou tauchte auf und sah den Polizisten fragend an.
«Rum und Cola!«sagte Salto.»Aber mehr Rum, du Fesselballon!«
Loulou mit dem Riesenbusen machte >puh< und mixte das gewünschte Getränk. Die Gäste standen noch immer geduldig mit dem Gesicht zur Wand, die Hände über den Köpfen.
«War das ein Tag«, seufzte Salto. Er kippte den Rum mit Cola herunter und rülpste verhalten.»Pardon! Es hat wieder eine Schießerei gegeben. Zwischen Muzo und Chivor. Gedungene Smaragdräuber lauerten einer Kolonne auf, die nach Bogota zog. Mit Mauleseln und auf drei Motorrädern. Aber die Guaqueros hatten etwas gemerkt. Sie verhielten sich fast militärisch, wie im Krieg. Eine SpähtruppSpitze, die sich nach Feindberührung zurückzog, dann ein Sturmkeil, der durchbrach, und am Ende die Nachhut, die, am besten bewaffnet, mit einem letzten Donnerschlag alles um sich herum niedermähte. Es hat vier Tote gegeben. Aus dieser Räuberbande!«Salto beugte sich vor.»Woher wußten Sie von dem Smaragdtransport,
Senora Ordaz?«
«Sie fragen die Falsche, Leutnant. «Sie rauchte die dicke schwarze Zigarre und paffte dicke Wolken in die Luft.
«Drei waren von Ihren Leuten.«
«Das muß ein Irrtum sein.«
«Einer war unbekannt.«
«Unbekannt?«Ihr Interesse erwachte.»Neu aus Bogota gekommen?«
«Nein! Aus Cosquez. Das wundert uns! Man ist dabei, aus den anderen Orten die >Spezialisten< abzuziehen und heimlich nach Pen-asblancas zu dirigieren. Das hat doch etwas zu bedeuten.«
«Revaila«, sagte >Mama< dunkel.»Er hat etwas vor.«
«Sie wissen das?«
«Ich ahne es! Seit heute geht es bei ihm zu wie in einem Kaufhaus mit Sonderangeboten. Die Kerle drängen sich förmlich durch die Tür. Christus Revaila baut sein Expeditionsheer auf.«
«Expedition wohin?«fragte Salto.
«In die Berge. «Sie lachte dunkel.»Mein lieber Leutnant, das ist alles eine Nummer zu groß für Sie! Wenn Revaila in den Krieg zieht — ich habe das nur einmal erlebt —, wagt sich keiner mehr in die Kordilleren.«
«Ich rufe sofort Major Gomez in Muzo an. Er wird mit seinem Bataillon.«
«Er wird gar nichts, Leutnant! Die Hälfte seiner Truppe wird bereits wissen, was sich da zusammenbraut, denn diese Hälfte — vor allem die Herren Offiziere — leben wie dicke Maden durch Gelder, die unsichtbar in ihre Taschen fließen. Ein Mysterium! Abends sind die Taschen leer, packen sie morgens hinein, knistern die Pesoscheine. Major Gomez wird mit vielen Krankmeldungen rechnen müssen.«
«Zustände sind das!«brüllte Salto.»Wissen Sie etwa auch, wohin Revaila ziehen will?«
«Natürlich.«
«Und wohin?«
«Zur Pebas-Mine. Dort lebt jetzt ein Mensch, der, nach Ansicht von Revaila, nicht mehr leben darf: Pedro Morero.«»Ha!«Leutnant Salto zuckte hoch.»Unser Medico! Ich verhafte Revaila sofort!«
«Das ist jetzt nicht mehr möglich. Revaila hat bereits eine kleine Truppe um sich, deren Sicherheitsring Sie nicht durchbrechen können. An den kommen Sie nicht mehr heran. Leutnant. Sie können nur noch in Ihrem Polizeihaus sitzen und sich besaufen. Das ist das beste.«
«Alles wieder rumdrehen!«schrie Salto. Die Gäste lösten sich von den Wänden und gingen zu ihren Sitzplätzen zurück. Sie taten es so gleichmütig, als sei nichts geschehen. Soll man sich durch einen Polizisten den schönen Abend versauern lassen? Nicht bei uns, Leutnant. Das Leben ist hier so kurz, und die Weiber bei >Mama< sind so schön. Gönne uns das kleine Vergnügen, Camarada, wer weiß, ob wir Bogota, das wirkliche Leben, jemals wiedersehen.
«Ich packe!«Pater Cristobal rutschte vom Barhocker.»Bedanken Sie sich bei Revaila, Senora, wenn ich früher weggehe als geplant. Aber ich komme wieder und hole Perdita ab.«
«Wo wollen Sie hin?«fragte Salto ahnungsvoll.
«Zu Pete Morero.«
«Dachte ich mir's doch! Loulou, noch einen Rum mit Cola! Pater, Christus Revaila ist kein Kerl, der nicht auch auf ein Kreuz schießen würde.«
«Dem Namen nach könnte er es nicht. Aber ich weiß, daß er nur töten will.«
«Und was wollen Sie dann in den Bergen?«
«Das Wort erheben!«sagte >Mama< spöttisch.
«Genau das!«Pater Cristobal warf ein paar Pesos für den Whisky auf die Theke.»Wir werden die Angst besiegen… dann haben wir auch Revaila besiegt.«
Die kleine Neila Zapiga konnte gerettet werden.
Dr. Mohr pumpte den Magen aus, gab ihr viel Milch zu trinken und injizierte ein Kreislaufmittel. Noch während er die Nadel wie-der herauszog, schlief Neila ein und atmete tief und regelmäßig. Ab und zu zuckte die Bauchdecke noch, aber die Krämpfe kamen nicht wieder. Zapiga kniete neben seiner kleinen Tochter, streichelte ihr Köpfchen und sprach leise auf die Schlafende ein. Der Mann mit dem Vollbart beugte sich ebenfalls über das Kind und ging dann zu Dr. Mohr, der seine Arztkiste wieder einpackte.
«Was können Sie alles?«fragte er.
«Wie soll ich das verstehen?«fragte Mohr zurück.
«Ein Arzt kann doch nicht alles. Der eine kann Knochen heilen, der andere die Lunge. Es gibt Fachärzte für die Augen oder die Zähne, und solche, die einen Menschen aufschneiden und aus dem Körper herausholen, was krank macht.«
«So einer bin ich, ein Chirurg.«
«Aha: Und wie ist es mit Krebs.?«
«Hat einer in der >Burg< Krebs?«fragte Dr. Mohr besorgt.
«Ich sage das nur so«, brüllte der Mann mit dem Vollbart.»Angenommen, einer von uns hat Krebs. Wie steht es dann mit ihm?«
«Miserabel.«
«Aha! Da macht ihr Ärzte euch in die Hose.«
«Das nicht direkt. Man müßte feststellen, um welchen Krebs es sich handelt. Und in welchem Stadium er sich befindet. Ob er noch operabel ist.«
«Sie können so etwas operieren?«
«Das habe ich jahrelang gemacht.«
«Und da kommen Sie zu uns Verfluchten? Da stimmt doch etwas nicht. «Der Mann mit dem Vollbart fixierte Dr. Mohr.
«Haben Sie jemanden umgebracht?«
«Nein.«
«Mit der Kasse durchgebrannt?«
«Aber nein.«
«Wegen der Politik? Sind Sie Revolutionär?«
«Auch nicht. Ich habe in Bogota ein gutes Leben geführt. Dann hörte ich von euch hier draußen und sagte mir: Diese Menschen brauchen dich wirklich. Und jetzt bin ich eben da. und baue mit eurer Hilfe mein Krankenhaus.«
Juan Zapiga saß neben seinem schlafenden Kind und schaute den wilden Burschen aus der berüchtigten >Burg< zu, wie sie die gefällten Stämme entlaubten oder mit zwei Stahlschubkarren Steine herankarrten und auf einen Haufen warfen. Oben, in seinem Stolleneingang, hockte der halbblinde Pepe Garcia und konnte nur hören, was unter ihm vorging. Adolfo Pebas war in seine Mine gegangen. Außer einer starken Taschenlampe hatte er einen dicken Gartenschlauch mitgenommen. Meter um Meter rollte er ihn auf, je tiefer er in den Berg tappte. Die letzte Strecke konnte er nur noch kriechen. Hier war der Stollen gerade so hoch, daß man sich auf Händen und Knien fortbewegen konnte. Ein Kriechgang, in das Gestein gehauen, nicht abgestützt, eine scharfkantige Röhre, die man auch nur rückwärts kriechend wieder verlassen kann. Sich drehen oder umwenden ist unmöglich. Man muß den Gummischlauch hinter sich herziehen, immer in Mundnähe, denn je tiefer man in den Berg kriecht, um so mehr wird der Schlauch die einzige Verbindung zum Leben: Luft! Luft! Luft!
Am Ende des Ganges, vor der Wand, die er weiter aufreißen wollte, in atemberaubender Hitze und ohne Sauerstoff, blieb Pebas erst einmal ein paar Minuten liegen und atmete durch den Gummischlauch. Er saugte das bißchen Luft in sich hinein, was man durch den Schlauch bekam, und griff dann zu Meißel, Hammer und der kleinen Schaufel, mit der er die losgelösten Steine und die Erde hinter sich warf.
Welche Qual. Und welche Hoffnung in diesem täglichen Todesgraben: Einmal kommst du an die große grüne Ader. Einmal liegst du da im Berg, die Taschenlampe um die Stirn geschnallt, und blickst verzückt auf das grüne Schimmern. Die Millionen gehören dir, du brauchst sie nur noch herauszubrechen und nach Bogota zu bringen. Über die Todesstraße. Vorbei an den Augen von >Mama< und Christus Revaila. Ist das alles geschafft, hast du ein Recht darauf, den Rest deines Lebens nichts mehr zu tun, sondern deinen Reichtum zu genießen.
Margarita brachte das Essen. Maria Dolores hatte einen großen Kessel mit Bohnensuppe gekocht und sogar ein Huhn geopfert. Mit allen möglichen Gefäßen zogen die wilden Burschen aus der >Burg< an dem Kessel vorbei und bekamen eine große Kelle voll Suppe und Fleischstückchen. Dann hockten sie sich auf den >Bauplatz<, schlürften das Essen und bissen in das mitgebrachte Brot. Der Mann mit dem Vollbart kam wieder zu Dr. Mohr, ein Brot in der Hand.
«Wollen Sie eins haben«, fragte er.»Selbstgebacken. Wir haben einen guten Bäcker in der >Burg<. Überhaupt haben wir aus fast allen Berufen einen unter uns. Sogar einen Rechtsanwalt. Und der bin ich.«
«Sie sind Anwalt«, Dr. Mohr nahm das Brot und roch daran. Es war frisch und duftete köstlich.»Ich gebe den Pebas auch etwas davon.«
«Wenn sie es annehmen. Für sie sind wir die Ausgeburt des Satans.«
«Warum sind Sie hier?«fragte Dr. Mohr.
«Wegen der Smaragde. Dumme Frage!«Der Mann mit dem Vollbart löffelte seine Suppe aus einer verbeulten Aluminiumschüssel.»Vor fünf Jahren fing alles an. Ich hatte eine ziemlich mies gehende Praxis in Vallavicencio. Was passiert schon in Vallavicencio; ein paar Betrügereien, Auseinandersetzungen, bei denen Ehemänner ihre Frauen grün und blau schlagen, Diebstähle, ein paar Gutachten oder Firmenberatungen, einmal sogar ein Mord, bei dem die Tatumstände so klar lagen, daß ich kaum zu plädieren brauchte. Wahrlich keine besonders einträgliche Sache! Bis dann eines Tages ein Mann zu mir in die Kanzlei kam und ein Taschentuch auswickelte. Smaragde. Einer schöner als der andere. Wert schätzungsweise 400.000 Dollar. >Das habe ich in sechs Wochen gefunden<, sagte der Mann. >Ich hatte Glück! Kennen Sie Penasblancas?< — Ich kannte es natürlich nicht. Wer kennt diese Hölle schon. Aber ich wurde neugierig. Ich beriet den Mann, wie er sein Geld gut anlegen könnte, machte meinen Laden zu und fuhr in die Kordilleren. Seitdem bin ich hier und schürfe. Es hat bis heute neun Tote gegeben, die mich stören wollten.«
«Und lohnte es sich?«
Der Mann mit dem Vollbart blickte Dr. Mohr forschend an.
«Ja — «, sagte er langsam.»Heute bin ich ein reicher Mann — wenn ich die Steine heil durchbringe. Ich habe sie noch vollzählig beisammen. Nächstes Jahr wollen wir alle gemeinsam bis Bogota durchbrechen. Dann ist das größte Vermögen auf der Straße, das Kolumbien je gesehen hat. Ungefähr 10 Millionen Dollar! Der größte Smaragdtransport aller Zeiten. Wird das eine Schlacht geben!«Er kratzte seine Schüssel aus und drohte Dr. Mohr mit dem Löffel.»Wenn Sie was sagen, Doctor, hänge ich Sie zwischen zwei gebogenen jungen Bäumchen auf! Das reißt Sie langsam mitten durch!«
«Sie besitzen nicht gerade die allgemein übliche Rechtsanwaltsmentalität«, sagte Dr. Mohr säuerlich.
«Diese Art von Liquidation haben wir von Revaila gelernt. «Der Mann mit dem Vollbart erhob sich. Die Arbeit ging weiter.»Sie müssen wissen, daß ich nicht allein hierherkam. Ich hatte einen Sohn. 17 Jahre jung. Meine Frau, seine Mutter, ist mit einem anderen Mann durchgebrannt, einem Ingenieur, der nach Europa zog. Wir waren etwa ein halbes Jahr hier und hatten die ersten Steinchen gefunden, da hing mein Junge zwischen den wieder zurückgeschnellten jungen Bäumchen. Eine Seite links, eine Seite rechts. Mittendurch gerissen! Er war nach Penasblancas gegangen, um Konserven zu kaufen. Bezahlt hatte er mit kleinen Smaragden. So dämlich waren wir damals noch! Revaila hörte davon und versuchte meinen Jungen auszufragen. Der gab keine Auskunft, wenig später hing er zwischen den Bäumen! Ja, so ist das.«
Er nickte, wandte sich ab und ging zu seinen Leuten zurück.
Dr. Mohr zog die Schultern zusammen. Er fror plötzlich. Zapiga, der bei seiner Tochter wachte, nickte ihm zu.
«Haben Sie keine Angst, Doctor«, sagte er leise, damit Neila nicht erwachte.»Wir alle stehen um Sie herum. Wir beschützen Sie! Re-vaila kommt nicht an Sie heran! Und in die Berge traut er sich sowieso nicht.«
Fast zur gleichen Zeit zählte Revaila die Namen der Männer zusammen, die sich in seine Liste eingetragen hatten. Es waren jetzt 134 Mann.
134 Mann, die bereit waren, mit ihm in die Berge zu ziehen und allen zu zeigen, wer der Herr der Minen zwischen Muzo und Cos-ques war. Aber Revaila brauchte mehr. Sein Ziel war, soviel Männer, wie ein Militärbataillon hatte, zusammenzubekommen. Es mußte wieder Ordnung in >seinen< Bergen herrschen. Ein Arzt und ein Priester hatten genügt, um alles durcheinanderzubringen. So beeinflußbar war die Masse.
Revaila nickte dem Mann zu, der gerade in sein Büro trat.»Unterschreib hier, mein Freund!«sagte er hart.»Wir kämpfen für eine sichere Zeit.«
Am nächsten Morgen ritt Pater Cristobal mit zehn Mulis in die Berge. Sie waren voll beladen mit Lebensmitteln, Waffen und Munition.
Aber er ritt nicht allein. Der Portier, Boxer und Vorsänger Miguel begleitete ihn. Er hatte bei >Mama< gekündigt und zu ihr gesagt:
«Ich gehe mit dem Pfaffen! Nicht, weil ich an Gott glaube, aber er hat so schöne Lieder. Und ich singe so gern.«
Erst gegen Mittag erfuhr Revaila von Cristobals Auszug. Er jagte sofort zehn Männer hinterher, aber sie kamen zu spät. Schon bei der ersten Sperre der Guaqueros wurden sie beschossen und kamen nicht weiter.
Die Straße war geschlossen. Große Felssteine lagen auf dem Weg, zu Hindernissen aufgetürmt.
In den Bergen begann eine neue Zeit.