Kapitel 4

Adolfo Pebas hatte keine guten Nachrichten, als er zurückkam. Dr. Mohr war noch auf dem Vorplatz des Höhlenhauses und maß mit langen Schritten ein Stück ebenen Bodens aus, der wie ein Plateau bis zu dem Wald reichte, welcher einen leichten Abwärtshang bedeckte. Dort unten irgendwo wohnten die zwölf Zapigas.

Pebas wartete wortlos, bis Mohr ihn sah und seine Meßschritte unterbrach.

«Das ist ein guter Platz, Adolfo«, sagte er.»Geschützt, eben, man könnte den Weg bis dahin verlängern.«

«Wozu?«

«Ich werde dort die erste >Guaqueros-Klinik< einrichten. Zuerst aus Zelten, später werdet ihr mir alle helfen, aus Steinen und Holz richtige Häuser zu bauen. Baumaterial gibt es hier genug.«

«War Margarita bei dir?«fragte Pebas dunkel.

«Ja.«

Pebas nickte. Er lügt nicht, dachte er. Ich hätte es ihm nie beweisen können, ich ahnte es nur, aber er sagt die Wahrheit.

«Was wollte sie?«

«Mich überreden, zurück nach Bogota zu fahren.«

«Und weiter?«

«Pepe Garcia war auch hier.«

«Und was wollte der?«

«Zwei neue Sehnerven, und daß ich sofort nach Bogota zurückfahre. Darin sind sich anscheinend alle einig: Ich bringe mehr Ärger als Nutzen.«

«Das stimmt. Ich habe es eben gehört. Als ich mit Christus Re-vaila gesprochen habe.«

«Ist er wieder wohlauf?«

«Ich habe ihm deine Liste durchgegeben. Daraufhin hat er gelacht und gebrüllt: Ich schreibe sie auf einen Plastiksack, damit ich sie jeden Tag vollscheißen kann! Von dir habe ich ihm bestellt: Wenn er die Liste nicht weitergibt nach Bogota, würdest du selbst einen Weg finden, Don Alfonso anzurufen. Da brüllte er noch mehr und schrie ins Mikrofon: Sag deinem Medico, die Liste geht nach Bogota! Aber sag ihm auch, daß er nichts von dem mehr braucht! Ich liefere die Sendung selbst bei ihm ab! Tropenfest in Blei verpackt!«

«Ein Schwätzer!«Dr. Mohr schlug die Hände zusammen.»Wenn Don Alfonso hält, was er mir versprochen hat, könnten alle Gegenstände in 10–14 Tagen hier sein. Bis dahin sollten wir vier Hütten gebaut haben, Adolfo: ein Behandlungshaus, ein Bettenhaus — wie vornehm das klingt, was? — und ein Haus für ansteckende Krankheiten: die Isolierstation.«

«Mit fließend kalt und warm Wasser, Radio, Fernsehen, Telefon, Zimmerbar und für die I. Klasse-Patienten eine indianische, immer bereite Krankenschwester, die Nachtdienst mit Anfassen macht.«

«Es genügt, wenn jedes Haus einige Kübel mit einem Brett und einem Deckel bekommt. Außerdem mauern wir einen Verbrennungsplatz.«

«Mit wieviel Toten rechnen Sie täglich, Senor?«Pebas' Stimme war mit Spott beladen.»Don Pedro, wollen Sie auch einen Begräbnischor gründen?«

«Das wird Pater Cristobal übernehmen, wenn er wirklich eintrifft. Ein Kirchenchor ist seine größte Wonne. Er ist ein sehr musikalischer Mensch. «Dr. Mohr legte den Arm um Pebas' Schulter.»Adol-fo, ihr habt alle verlernt, euch zu freuen.«

«Du hast noch nicht gelernt, dich zu fürchten und zu hassen.«

«Fürchten muß ein schreckliches Gefühl sein.«

«Du hast noch nie Angst gehabt, Doctor?«

«Was ist Angst?«Dr. Mohr lehnte sich an die dicken Holzpfosten der Veranda. Das Feuer brannte herunter. An einem Balken über dem Höhleneingang hing eine schwache Petroleumlampe und blakte.»Ein Gefühl ungeheurer Anspannung hatte ich zum erstenmal, als ich noch Assistenzarzt war und während eines Nachtdienstes in Hamburg eine junge Frau mit Lungenembolie auf den Tisch bekam. Kein Oberarzt war zu erreichen, kein Chef. Die Entscheidung lag ganz allein bei mir. Ich traf einen blitzschnellen Entschluß, machte auf — und verlor den Wettlauf. Mein Gegner im Blut war schneller. Aber war das damals Angst? Angst vor dem Embolus? Angst vor der selten glückenden Embolektomie? Nein! — Ein anderes Beispiel. Aufder Autobahn bei Frankfurt. Weißt du, was eine Autobahn ist?«

«Nein, Doctor.«

«Eine für den Autofahrer segensreiche Einrichtung, mittels vieroder sechsspuriger breiter Betonstraßen den Massenverkehr zu regulieren. Aber auch ein Schlachtfeld verhinderter Massenmörder, Austobeplatz für unterdrückte Aggressionen, Laufsteg maßloser Eitelkeiten und Standesdünkel, vor allem aber eine probate Einrichtung, einen Bevölkerungsüberschuß abzubauen und zu bremsen. Auf den deutschen Autobahnen gibt es an guten Wochenenden mehr Tote als bei euch in einem Monat, obwohl ihr alle potentielle Mörder seid.«

«Wieso Deutschland?«fragte Pebas lauernd. Dr. Mohr begrifferst jetzt, welchen Fehler er gemacht hatte.

«Ich habe in Deutschland studiert«, sagte er leichthin. Es klang glaubhaft.»Später war ich noch ein halbes Jahr als Assistent in Hamburg. Dann rief mich das Gesundheitsministerium nach Bogota zurück. Es hatte mein Studium ja bezahlt und brauchte die Ärzte im eigenen Land.«

«Auf der Autobahn hast du Angst bekommen?«

«Ich weiß nicht, ob es Angst war. Vor mir schleuderte ein Wagen, raste gegen die Leitplanke und zerbarst zu einem Haufen von Eisen und buntem Blech. Hinter mir bremste ein anderes Auto, das dieses Unglück sah, schleuderte ebenfalls und krachte auf der anderen Seite gegen einen Felsen. Inmitten dieses Chaos stand ich, ohne einen Kratzer, und wartete, das jede Sekunde ein dritter Wagen von hinten in mich hineinbrauste. Es war ein Augenblick wie in einem luftleeren Raum. Du bist schon nicht mehr am Leben, dachte ich damals. Du bist tot! Es hat dich erwischt, und du hast es überhaupt nicht gemerkt. Dann hörte ich das Schreien der Verletzten und wußte: Du lebst ja!«Dr. Mohr blickte hinüber in das niedergebrannte Feuer. Die Asche glühte blaßrot.

«Angst habe ich nie gehabt«, sagte er nachdenklich.»Immer eigentlich nur das Gefühl des Unausweichbaren. Und das erzeugt bei mir einen Impuls, den man etwa so bezeichnen kann: Da mußt du durch! Kopf einziehen und los.«

«Wir aber haben Angst vor Christus Revaila, Doctor.«

«Die nehme ich euch! Ich sehe jetzt schon, daß bei euch Skalpell und Pillen nicht genügen.«

«Was ist Skalpell?«

«Ein Messer.«

«Das ist gut!«Pebas grinste breit.»Wenn du mit einem Messer umgehen kannst, hast du schon eine gute Ausgangsposition.«

Der nächste Tag verlief ungewöhnlich still.

In der kurzen Nacht hatte Mohr nicht geschlafen. Tausend fremde Geräusche hielten ihn wach, ein Knarren, Schaben, Brummen, Kratzen, Ächzen. Man gewann den Eindruck, als sei der Berg ein riesiges Lebewesen, dessen aufgerissener und durchwühlter Leib in der Nacht alle Klagen eines Gequälten wiedergab. Einmal glaubte Mohr, draußen Schritte zu hören. Er setzte sich auf, umklammerte seinen Revolver und starrte auf den Eingang. Aus einer Seitenkammer ertönte ab und zu das Schnarchen von Adolfo Pebas. Er röhrte laut, schien dann von Maria Dolores angestoßen zu werden und verfiel wieder in ein pfeifendes Atmen.

Irgendwo da hinten schlief auch Margarita. Oder sie war ebenfalls wach und blickte in die Richtung, in der der Doctor schlief. Zwischen ihr und ihm lagen bestimmt wie eine unüberwindbare Mauer die Eltern.

Als es dämmerte, verließ Dr. Mohr die Höhle. Die frische Bergluft in dieser Höhe war köstlich, aber dann blickte er den Berg hinauf und sah die Eingänge der Stollen, die Hügel der herausgewühlten Steine, die vergebliche Arbeit von Monaten und Jahren. Das mußte eine Hölle sein, aber alle Teufeleien wurden für ein paar grüne Steine auf sich genommen.

Dr. Mohr wusch sich an einem Wassertrog, zu dem eine offene hölzerne Wasserleitung führte, die sich nach einigen Windungen in den Felsen verlor. Sie leitete klares, kaltes, wundervoll reines Wasser heran, das den Trog füllte und dann in verschiedenen Leitungen zu den Gärten lief, die Pebas angelegt hatte. Wenn sie auch sonst fast nichts hatten, verdursten brauchten sie hier nicht.

Dr. Mohr hängte das Hemd über seine nackte Schulter und ging weiter in die Felsen hinein. Jetzt, am Tage, sah alles ganz anders aus. Urwald, in Jahrhunderten verfilzt, machte die Schluchten als Wege fast unpassierbar. Hier kam nur weiter, wer sich mit einem Buschmesser den Weg selbst bahnte, oder den Wald so genau kannte, daß er wie eine Maus durch die kleinsten Pfade und Lücken schlüpfte.

Diese Unübersichtlichkeit der Landschaft war die Rettung der Gua-queros in all den Jahren gewesen: Wenn Militär- oder Polizeipatrouillen auftauchten, verschwanden die Gejagten in den grünen Schluchten. Kein Soldat wagte es, in die unbekannten Wälder hineinzutauchen, seitdem vor einem halben Jahr eine halbe Kompanie, die ausgeschwärmt ein Tal durchkämmen wollte, nie mehr wieder zum Vorschein kam. Nicht einen einzigen Mann sah man jemals wieder! Ein Bataillon, das die Verschwundenen suchen sollte, kam nie zum Einsatz. Lediglich drei Hubschrauber überflogen die Schlucht und warfen Bomben in das grüne Gewoge. Nicht einmal das zeigte große Wirkung. Der Wald schlug über den Wunden sofort zusammen, verband sich selbst, behielt sein blutiges Geheimnis. Seitdem nannten die Guaqueros die Urwaldschluchten >Unse-ren Mutterschoß<.

Dr. Mohr setzte seinen Erkundungsgang fort.

Nach etwa fünfzig Metern Weg verbreiterte sich der Felseinschnitt. Vier große Hütten, an einen Hang gelehnt, von einem Steinwall wie eine Festung umgeben, lagen in der messingfarbenen Morgensonne. Dr. Mohr zögerte, dann ging er weiter, stand vor dem Wall und suchte einen Eingang. Eine Stimme, irgendwoher aus den vielen aufgeschichteten Steinen kommend, sagte laut:

«Du kannst nur der verrückte Medico sein! Ein anderer läuft nicht als lebende Zielscheibe herum.«

«Das beweist, daß ich als Freund zu euch komme. «Dr. Mohr blickte sich um. Woher die Stimme kam, konnte er nicht feststellen.

«Hier gibt es keine Freunde.«

«Dann fange ich an. Ich bin der erste.«

«Hier gibt es keine Kranken.«

«Das bezweifle ich. Was ich allein schon bei der Familie Zapiga gesehen habe.«

«Hier leben keine Weiber und keine Kinder. Hier ist ein MännerCamp! Wir helfen uns selbst.«

«Gegen Tb bedeutet Selbsthilfe, als wollten Sie einen Jaguar rasieren. Und Scorbut? Bei wie vielen von euch wackeln die Zähne? Ihr alle leidet an Eiweißmangel.«

«Wo keine Weiber sind, brauchen wir auch kein Eiweiß! Wandern Sie weiter, Prediger! Wir brauchen Sie hier nicht.«

«Aber ich brauche euch!«Dr. Mohr lehnte sich gegen den Steinwall. Der unsichtbare Sprecher schien ihn zu mustern und zu überlegen, was man mit einem solch hartnäckigen Burschen machen sollte.»Ich will ein Krankenhaus bauen.«

«Idiot!«

«Für euch! Ein Krankenhaus für die Guaqueros!«

«Dann halten Sie mal ein paar hundert Betten frei für Schuß- und

Stichverletzungen.«

«Nur die schwersten Fälle werden stationär aufgenommen.«

«Selbstverständlich, Herr Chefarzt. «Der unsichtbare Mann gluckste. Er lachte in sich hinein. Wer lacht, kann nicht schießen, dachte Mohr zufrieden.»Nehmen Sie auch einen Dauerfurzer auf?«

«Auch chronische Flatulenz kann behandelt werden«, sagte Dr. Mohr ernst.»Es gibt da drei Arten: den nervösen Wind, den organisch bedingten Wind und den nahrungsbedingten Wind.«

«Ich werd' verrückt!«

«Von Flatulenz nicht. «Dr. Mohr hob resignierend die Schultern.»Da Sie sich nicht zeigen, Nachbar — wir sind nämlich jetzt Nachbarn —, muß ich meine Bitte in den Wind sprechen. Das scheint ja ihr Revier zu sein. Ich brauche ab sofort eine Gruppe kräftiger Männer zum Holzfällen, Brettersägen, Steinschleppen, Mauern und Zimmern. In etwa zwölf Tagen kommt die Einrichtung des Krankenhauses aus Bogota. Bis dahin müssen wir wenigstens ein Dach über dem Kopf haben. Sagen Sie es auch den anderen, die Sie kennen: Ich brauche jeden! Es ist ja nicht für mich — es ist nur für euch alle! Und versucht nicht, darüber nachzudenken. Das führt zu nichts. Ihr sollt nicht denken, sondern sollt freiwillig arbeiten. Dann kann z.B. auch ihr Dauerfurzer geheilt werden.«

«War doch nur ein Scherz, Senor Medico.«

«Es gibt ernsthaftere Miseren, bei denen man einen Arzt braucht. Besprecht es unter euch. Ich warte ab morgen. Und jeder, der hilft, bekommt sofort eine Spritze mit Vitaminen.«

«Gehen Sie weiter, Sie Spinner!«schrie der unsichtbare Mann.»Jagen Sie sich Ihre Ampullen allein in den Hintern. Ich helfe Ihnen dabei, wenn nötig, und schieße Ihnen ein paar Dauerlöcher hinein. Mit einem Arschloch sind Sie ja nicht zufrieden!«

Dr. Mohr stieß sich von dem Steinwall ab, hob bedauernd beide Arme und ging den Weg zurück zu Pebas' Berg.

Margarita hatte die Gelegenheit seiner Abwesenheit wahrgenommen und sich gewaschen. Sie kämmte gerade ihre langen schwarzen Haare, als Dr. Mohr um die Ecke bog. Ihre Bluse war noch weit aufgeknöpft. Die vollen Brüste, von keinem Halter eingeengt, glänzten in der Morgensonne. Sofort riß sie die Bluse zusammen und drehte ihm den Rücken zu.

«Warum schleichen Sie herum?«fragte sie hart.

«Ich schleiche nicht, ich gehe ganz normal. Aber wenn ich weiß, daß du um diese Zeit allein nur dem Wasser deine Schönheit zeigst, pfeife ich vorher, wenn ich in deine Nähe komme.«

«Warum sprichst du so komisch?«

«Wieso komisch?«

«So… so altmodisch.«

«Muß ich nicht?«Dr. Mohr kam langsam näher.»Ich habe bei den Pebas bisher ein Leben kennengelernt, wie man es vor dreihundert Jahren lebte. Ich nehme an, vor dreihundert Jahren hat ein junger Mann so wie ich zu einem Mädchen gesprochen, das immer vor ihm wegläuft. Vielleicht hat er auch zur Mandoline gesungen oder Gedichte vorgesagt. Ich werde alles versuchen.«

Margarita knöpfte hastig die Bluse zu, drehte sich aber noch immer nicht herum.»Sie sind ein Lügner!«sagte sie schroff.

«Schon wieder?«

«Sie waren in Deutschland und haben mir gesagt, Sie kennen Deutschland nicht.«

«Das stimmt.«

«Was stimmt?«

«Ich habe die Unwahrheit gesagt. Es hatte seine Gründe. Aber du lauschst wohl immer?«

«Ja. Wir müssen das!«

«Ihr müßt das?«

«Frauen haben bei Gesprächen mit Männern nichts zu suchen, sagt Vater. Aber alles, was unser Leben bestimmt, wird unter Männern beschlossen. Da müssen wir lauschen. Wissen wir sonst, was auf uns zukommt? Ihr Männer macht alles allein! Darum ist Per-dita auch weggelaufen.«

«Das hat deinem Vater die Hälfte seines Lebens gekostet.«

«Aber er holt sie nicht zurück. Er hat einmal gesagt: Perdita ist tot für uns. Und dabei bleibt er. Ich möchte ihm auch davonlaufen…«

«Zu einem Mann?«Die Frage schmerzte. Erstaunt stellte Dr. Mohr fest, daß er gar keine Antwort erhalten wollte.

«Nicht zu einem Mann! Nur weg. Weg von den Felsen, weg von den Stollen, weg von dem Elend. Sie wissen nicht, wie das ist, in den Stollen zu wühlen.«

«Ich werde es kennenlernen.«

«Nein!«Sie wirbelte herum. Entsetzen schrie aus ihren Augen.»Du… du fährst nicht in den Stollen ein, Doctor. Der Berg erschlägt dich! Bitte, nicht.«

«Hast du Angst, Margarita?«

«Ich will nicht, daß der Berg auch dich noch frißt! Dich nicht!«

«Danke«, sagte er leise.»Das war ein wundervoller Morgen.«

Sie sahen sich einen Augenblick stumm an, und was sie nicht sagen durften, begegnete sich in ihrem Blick. Dann drehte sich Margarita herum und ging zum Haus zurück. Ihr Vater kam ihr entgegen, gähnend, mit bloßem Oberkörper, aber im Gürtel den Revolver. Er nickte seiner Tochter zu, was >Guten Morgen< hieß, wollte zum Waschtrog und bemerkte erst dann Dr. Mohr. Im Schritt noch schwenkte er ab und stapfte auf ihn zu.

«Die frühesten Hähne sind die fleißigsten!«sagte er dunkel und baute sich vor Dr. Mohr auf.»Margarita weinte.«

«Sie hat die Angst, die ich nicht habe. Außerdem sollte man darüber nachdenken, warum ein Mädchen in ihrem Alter weint. Sie hat von Perdita gesprochen.«

«Ich kenne keine Perdita!«sagte Pebas grob.

«Eben darum weint sie. Es gibt so vieles in ihrem Leben, was traurig ist.«

«Aber ein Medico kann ihr Besseres bieten, was?!«

«Normalerweise bestimmt. Bei mir ist es anders, ich bleibe ja hier! Darüber weint sie am meisten. «Er zeigte mit dem Daumen über seine Schulter.»Wir werden morgen einen Bautrupp bekommen. Ich bin um den Berg herumgegangen und zu einer Siedlung ge-kommen, die nur aus Männern besteht.«

«Bei der >Burg

«Wir haben uns sehr gut unterhalten. Sie haben medizinische Probleme.«

«Das Gebiet um die >Burg< ist wie mit Teufelsdreck bespritzt. Keiner weiß genau, wie viele dort wohnen. Bestimmt über dreißig Männer! Jeder von ihnen müßte schon reich sein. Ihre Gruben sind gut. Nur einer hat ihre Steine gesehen und das weitererzählt. Er lebt längst nicht mehr. Aufkäufer haben keine Chance; sie kommen gar nicht an die >Burg< heran! Madre de Dio! Und du hast mit ihnen gesprochen.«

«Ich habe sie eingeladen, mein Krankenhaus mitzubauen.«

«Eher kriechen die Smaragde von selbst aus den Felsen«, sagte Pebas fast feierlich.»Die Kerle aus der >Burg< haben noch nie ihr Gesicht gezeigt.«

Die Smaragde krochen nicht von selbst aus den Felsen, aber am nächsten frühen Morgen standen 27 bärtige, verwildert aussehende Männer vor Pebas' Haus. Sie trugen Hacken und Schaufeln, dicke Vorschlaghämmer und eiserne Brechstangen über der Schulter.

Maria Dolores und Margarita wagten sich nicht vor die Tür. Adolfo Pebas entsicherte sein Gewehr und blieb im Schatten des Höhleneingangs. Dr. Mohr, von Maria Dolores geweckt, kam nach vorn und betrachtete verblüfft den wilden Haufen.

«Das Gewehr weg, Adolfo«, sagte er leise.»Hätte ich gestern abend um deine Mine gewettet, du wärst jetzt ein ganz armes Schwein. Die Männer sind gekommen, um mein Krankenhaus zu bauen.«

«Das ist nicht sicher. Diesen Kerlen kann man kein Wort glauben. Sie lächeln dich an und stoßen dir im gleichen Augenblick ein Messer in den Leib. Verdammt, keiner hat sie bisher auf einen Haufen gesehen! Nur immer einzeln, und dann immer die gleichen Visagen. Das wird Ärger geben!«

«Wir wollen sehen.«

Dr. Mohr trat ins Freie. Die 27 finsteren Gestalten starrten ihn an, als tauche er aus einer fremden Welt auf. Ihr Anführer, der seinen Namen nicht nannte und den Dr. Mohr zunächst nur als den >Mann mit dem Vollbart< bezeichnete, stampfte mit seinem gewaltigen Vorschlaghammer auf den Felsboden.

«Da sind wir, Doctor! Was nun?«

«Ich freue mich, daß ihr alle gekommen seid. «Dr. Mohr zog sein Hemd aus, ging zu dem Waschtrog, tauchte Kopf und Oberkörper in das kalte Wasser und kam triefend zurück.»Es gibt doch noch Freunde.«

«Irren Sie sich nicht, Doctor. «Der Mann mit dem Vollbart blickte ihn mit bösem Gesicht an.»Die meisten sind nicht freiwillig hier! Wir halten Sie für einen ausgemachten Idioten. Ich habe zu meinen Männern gesagt: Jungs, geht erst einmal mit, hört euch an, was er zu sagen hat, und wenn es Blödsinn ist, dann legt ihm eine Rechnung vor für einen verlorenen Vormittag!«

Dr. Mohr ging zu dem Plateau, welches er für den Standplatz seines Hospitals ausgewählt hatte, und vollführte eine weit ausladende Armbewegung.»Hier soll ein Krankenhaus stehen«, sagte er.»Für jeden von euch bedeutet das Hilfe. Keiner ist ewig gesund und stark. Und in diesem Krankenhaus wird auch nicht gefragt werden, woher die Kugel stammt, die man herausoperiert. Jeder, der kommt, ist Patient, weiter nichts. Jedem wird geholfen werden. Für viele von euch wird es lebensentscheidend sein. Denkt nur an euren Blinddarm. Wenn der vereitert und durchbricht, verreckt ihr hier im Busch jämmerlicher als eine Ratte! Darum baue ich das Krankenhaus. Nicht für mich, ich habe Geld genug, nur für euch! Ist das klar?«

«Sie wollen keinen Peso für die Behandlung nehmen?«

«Ich werde keinen verlangen. Wer mir etwas gibt, damit ich das Krankenhaus weiter ausbauen kann, gibt es für sich selbst, denn er wird den Nutzen davon haben! Das Krankenhaus gehört euch allen.«

«Das klingt gut. «Der Mann mit dem Vollbart räusperte sich.»Und

wie soll das weitergehen?«

«Wir setzen uns jetzt zusammen und überlegen gemeinsam, wie die Gebäude aussehen sollen. Ihr habt Erfahrung im Bauen. Eure >Burg< ist der Beweis dafür. «Dr. Mohr breitete seine Arme aus.»Ich bin auf eure Hilfe angewiesen, Männer! Ohne euch kann ich das Krankenhaus nicht bauen.«

«Wir sind noch mehr. «Der Mann mit dem Vollbart stampfte wieder mit dem Vorschlaghammer auf den Boden.»Wir wollten nur sehen, wie Sie sich das denken, Doctor. Konnte ja auch eine Falle sein, nicht wahr? Hier wird mit jedem Trick gearbeitet. Warum soll nicht auch ein Medico als Lockvogel fungieren?«

Er stieß einen hellen Pfiff aus und lächelte plötzlich. Von zwei Seiten, aus den Felsenspalten, aus dem Wald in der Schlucht, quollen weitere zerlumpte, finstere Gestalten und drängten sich vor Pebas' Höhle. Dr. Mohr schätzte, daß jetzt über fünfzig Männer versammelt waren. Es stimmte, was Pebas gesagt hatte: Die >Burg< war uneinnehmbar, das Nachbartal für alle Fremden gesperrt. Wer sich dennoch hineinverirrte, hatte keine Chancen mehr, herauszukommen.

«Ich danke euch«, sagte Dr. Mohr. Der Mann mit dem Vollbart winkte ab.

«Noch haben wir nicht angefangen. Sie haben Christus Revaila aufs Kreuz gelegt, Doctor?«

«Ach! Hat sich das bis hierher herumgesprochen?«

«Wären wir sonst gekommen? Ihr Krankenhaus — gut! Das ist ein tolles Ding, total verrückt! Aber einem Mann, der Revaila in die Schnauze geschlagen hat, dem müssen wir helfen! Der ist unser Kamerad! Der steht genau wie wir auf der Todesliste. Wissen Sie, daß es eine solche Liste gibt?«

«Nein.«

«Auf der steht jeder, der früher oder später unter einem Holzkreuz liegt. Es gibt Jagdkommandos, die nichts anderes zu tun haben, als Namen auf dieser Liste abzuhaken. Hier funktioniert ein fabelhaftes Spionagesystem. In Penasblancas weiß man genau, wer einen guten Fund gemacht hat. Wer dann noch Bogota erreicht, ist ein Glückspilz. Uns aber bekommen sie nicht. Wenn wir genug gefunden haben, marschieren wir los wie eine kleine Armee. Ich möchte sehen, wer uns da aufhalten will! Das wird eine Schlacht werden. «Der Mann mit dem Vollbart stellte den riesigen Hammer ab und kam auf Dr. Mohr zu.»Haben Sie einen Plan, Doctor?«

«Nur im Kopf.Ich möchte ihn mit euch zusammen entwickeln.«

Zwei Stunden saßen sie auf der Erde, zeichneten mit einem dicken Bleistift Grundrisse auf ein großes Stück Packpapier und einigten sich darauf, daß insgesamt vier Häuser entstehen sollten: ein Ambulatorium, das Dr. Mohr vornehm Poli-Klinik nannte, ein Bettenhaus mit angrenzendem OP, ein Wohnhaus für Dr. Mohr und eventuell Personal sowie ein Magazin mit Apotheke. Dazu kam ein Wasserreservoir, höher in den Felsen gelegen, damit genügend Druck vorhanden war, und ein Maschinenhaus für einen Lichtgenerator.

«Sehr schön!«sagte der Mann mit dem Bart, als die Pläne in groben Zügen fertiggestellt waren.»Wunderschön! Nur völlig illusorisch! Wo bekommen wir außer Steinen und Holz alles andere her?«

«Aus Penasblancas oder Bogota.«

«Glauben Sie?«

«Ich bin fest davon überzeugt.«

«Das werden wir sehen. Wofür wir sorgen können, ist der Rohbau. Wir werden in zwei Gruppen arbeiten. Die eine am Krankenhaus, die andere in der Mine. Immer im Wechsel, damit sich die anderen ausruhen können. Denn Ihr Krankenhaus, Doctor, ist eine reine Erholung gegen das Smaragdschürfen.«

Gegen zehn Uhr kam Juan Zapiga zu Pebas' Hütte. Er brachte seine kleine Tochter Neila mit. In einem Rucksack trug er sie auf dem Rücken.

«Ich weiß mir keinen Rat, Doctor«, sagte er dumpf.»Sie weint und bricht und hat starke Krämpfe. Was hat sie?«

Er hüllte Neila aus den Decken und legte sie auf die Erde. Dann schielte er zu den das Plateau säubernden Männern und der Kolonne, die bereits Bäume am Rande der Schlucht fällte.

«Von der >Burg

«Ja. Sie bauen das neue Krankenhaus.«

«Sind Sie ein Zauberer, Doctor?«

«Nein, nur ein Mensch, der zu anderen Menschen menschlich sprechen kann.«

«Das ist ja das Seltene! Schade, daß alles umsonst ist.«

«Was ist umsonst?«

«Alles, was Sie hier tun! Danken wird Ihnen das niemand. Hier weiß man nicht mehr, was Dank ist. Hier kämpft jeder gegen jeden, um einen kleinen grünen Stein zu bekommen.«

Dr. Mohr beugte sich über die kleine Neila. Ihre Pupillen waren erschreckend geweitet.

«Sie ist vergiftet!«sagte Dr. Mohr ehrlich.»Juan, fang an zu beten! Aber vielleicht ist das bereits zu spät.«

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