Der Tag war heiß geworden. Nicht im Hinblick auf die Temperatur, die selbst in den höher gelegenen Bergtälern die Feuchtigkeit, die von den Bäumen über Nacht gesammelt wurde, verdunsten ließ und eine feuchtwarme, drückende, von hundert Düften durchzogene Dunstglocke über die Felsen legte, sondern die Männer aus der >Burg< hatten dermaßen schwer gearbeitet, als gälte es, an einem Tag so viel zu schaffen, wie Dr. Mohr sich für eine Woche vorgenommen hatte.
Sie planierten den steinigen Boden, fällten Bäume, entasteten sie, schälten sie ab und hieben mit Äxten aus den dünnen Stämmen eckige Balken als Eckpfeiler für die Hausbauten. Eine andere Kolonne schleppte Steine heran und begann, diese mit Stahlhämmern zu bearbeiten, um glatte Steine zu bekommen, so daß man sie als Mauer aufeinanderschichten konnte. Der Mann mit dem Vollbart, der Dr. Mohrs kritisches Nachdenken bemerkte, setzte sich schwer atmend neben ihn auf einen dicken Baumstumpf am Rande des Abhangs.
«Wie bei den alten Ägyptern, denken Sie jetzt, was?«sagte er und holte aus seiner Tasche Tabak und eine uralte, abgebissene Pfeife. Er stopfte sie umständlich, setzte sie mit einem verbeulten Feuerzeug in Brand und stieß giftgrüne Rauchwolken aus. Es stank bestialisch.»So haben wir unsere >Burg< auch gebaut. Und sie ist uneinnehmbar. Da kann das Militär mit Kanonen oder Granatwerfern draufhalten. Die Steine würden nur lachen!«
«Auch Mücken dürfte es bei Ihnen keine geben!«sagte Mohr und hustete, weil der Bärtige ihm mit seinem Tabaksqualm anblies.
«Beleidigen Sie meinen Tabak nicht!«brummte er.»Sie Klugscheißer von einem Arzt! Besorgen Sie mir einen anderen! Dieser hier ist selbstgezogen! Wissen Sie, was guter Tabak in Penasblancas kostet? Oder gar amerikanische Zigaretten? Man muß eine Stunde lang bis zur Verzweiflung schürfen, um eine Stange Zigaretten zu kaufen. In der
Stadt nimmt man weder Pesos noch Dollars. Man kann nur mit kleinen grünen Steinen bezahlen. Hier gilt ausschließlich die Smaragdwährung. Unser Leben ist der Berg, im wahrsten Sinne des Wortes.«
Gegen Abend kam Nuria Zapiga auf die Baustelle. Juan Zapiga saß noch immer auf der Erde, den Kopf seiner kleinen Tochter im Schoß, und beobachtete ihre langsame Rückkehr ins Leben. Dr. Mohr hatte das geschwächte Kind noch einmal untersucht und eine neue Injektion gemacht. Es begann darauferneut zu würgen, spie den letzten Mageninhalt aus und trank gierig die fette Ziegenmilch, die Margarita in einer Blechschüssel brachte. Dann schlief das Kind wieder ein. Zapiga starrte Dr. Mohr aus tiefliegenden Augen an.
«Stirbt es?«stammelte er.
«Im Gegenteil, es überlebt. «Dr. Mohr fühlte den Puls und kontrollierte den Herzschlag.»Was habt ihr gegessen?«
«Was wir immer essen, Don Pedro. Was uns das Land schenkt.«
«Das Land?«
«Sie wissen, wie groß meine Familie ist. Wir haben ein Schwein-chen, aber das muß noch wachsen. Wir haben ein paar Hühner… auf die Eier können wir nicht verzichten. Die Ziege muß Milch geben. Außerdem haben wir etwas Mais und Salat angebaut. Neben dem Haus steht ein Papayabaum. Aber das Fleisch fangen wir uns. Unten, in der Niederung, wo es feucht ist, gibt es schöne, dicke Schlangen.«
«Schlangen?«
«Eine Delikatesse, Doctor!«warf der Bärtige ein.»Für ein Schlangensteak, vorzüglich gewürzt, lassen Sie jedes Entrecote stehen! Glotzen Sie mich nicht so entsetzt an! Was betrachten Sie als Delikatesse! Langusten, nicht wahr? Froschschenkel! Schnecken! Tintenfische! Fischeier, die man vornehm Kaviar nennt!«Er schlug mit der Faust gegen die andere flache Hand.»Das ist auch ein Grund, weswegen ich hier lebe: Ich wollte raus aus der Heuchelei, die uns andauernd umgibt! Ihr eßt Frösche und Schnecken und verdreht dabei in kulinarischer Barbarei vor Wonne die Augen. Warum soll man da nicht Schlangen essen? Eine Schlange ist etwas Sauberes, Festes im Vergleich zu einer glitschigen Schnecke oder Auster. Man paniert die Fangarme von Tintenfischen oder lutscht die Zangen der Langusten aus und genießt es mit breitem Vergnügen. Wissen Sie, daß Rattenfleisch wie Kalbfleisch schmeckt?«
«Das Kind muß ein Stück giftiges Schlangenfleisch gegessen haben.«
«Blödsinn! Wenn das Fleisch gut gebraten oder gekocht ist, gibt es kein Gift mehr! Überhaupt ist von einer Schlange nur der Zahn mit seiner Giftdrüse giftig; alles andere ist genießbar! Don Pedro, ich lade Sie mal ein zu einem Schlangenessen! Sie werden süchtig werden!«Der Bärtige lachte rauh.»Denken Sie an Zentralafrika! Da fängt man Heuschrecken, trocknet und mahlt sie, macht Mehl aus ihnen und backt köstliche Brote damit. In China essen sie mit Genuß in der Fritteuse knackig gesottene Raupen! Wird Ihnen schlecht, Doctor?«
«So schnell nicht!«Dr. Mohr lächelte schief. Er beugte sich zurück und sah Zapiga fragend an.»Was kann das Kind gegessen haben?«
«Einen rohen Pilz.«
«Ach. Die habt ihr auch hier?«
«Wir haben alles hier, was feindlich ist.«
«Mich wundert, daß ihr alle noch lebt!«Dr. Mohr wusch sich seine Hände in einer Tonschüssel mit frischem Wasser, die Margarita gebracht hatte.
«Die Natur ist zu beherrschen«, sagte der Bärtige ernst.»Unser größter Feind ist der Mensch.«
Jetzt war auch Nuria gekommen, nahm das kleine Mädchen aus Zapigas Schoß, preßte es an sich und wiegte es leicht hin und her.»Danke, Doctor«, sagte sie dabei.»Danke! Danke.«
«Was macht Pablo?«fragte Dr. Mohr.
«Er arbeitet.«»In der Mine?«rief Dr. Mohr entsetzt.»Mit dieser Kapsel-Phlegmone?! Ich habe gesagt, der Arm muß.«
«Wir müssen leben, Don Pedro«, sagte Zapiga einfach.»Zehn Kinder, Nuria und ich. Wir dürfen keinen Tag verschenken. Heute konnte ich nicht in die Mine, also müssen Pablo und die anderen Jungs arbeiten.«
«Die anderen? Wie alt sind die denn?«
«Elf und neun Jahre, Don Pedro.«
«Und arbeiten im Berg?!«
«Natürlich!«
«Mit Luft aus dem Gartenschlauch?! In Stollen, die nicht höher als fünfzig Zentimeter sind, die Steinschichten weghauend?«
«Es muß sein.«
«Willst du sie alle umbringen, Juan?!«
«Sollen wir verhungern?«Zapiga streichelte über den Kopf seiner kleinen, tiefschlafenden Tochter. Eine unendliche traurige Zärtlichkeit war in dieser Bewegung.»Einmal wird alles vorbei sein, Doctor. Da stoßen wir im Berg auf den großen Smaragd und sind Millionäre!«
Da war sie wieder: die immer gegenwärtige Hoffnung. Der große Traum aller 30.000 Guaqueros: die grüne Ader finden, an der jeder Hammerschlag Tausende von Dollar wert ist. Für diese Illusion lebten sie, schufteten sie bis zur völligen Erschöpfung, verspielten sie ihre Gesundheit, schossen sie sich den Weg nach Bogota frei, durch die Barriere der Aufkäufer von Christus Revaila und >Mama< Mercedes. Und dann galt es noch, in der Emerald-Street nicht betrogen oder im schlimmsten Fall gar getötet zu werden.
«Pablo darf ab sofort nichts mehr tun!«sagte Dr. Mohr hart.»Er muß ja vor Schmerzen schreien, da unten im Stollen.«
«Pablo ist ein tapferer Junge. Er weiß, daß wir keinen Tag verschenken können.«
«Sobald die Außenwände des Hospitals stehen und ein Dach darüber ist, kommt er zu mir!«
«Wir werden es sehen, Doctor. «Zapiga drehte sich um und ging den Pfad hinunter, der in das Tal führte. Nuria, mit dem schlafenden
Kind auf den Armen, folgte ihm stumm.»Was nützt Ihnen das Hospital, wenn Sie das Material nicht bekommen.«
In der Abenddämmerung zogen die wilden Burschen von der >Burg< wieder in ihre Steinfestung. Die Familie Pebas, verstärkt durch Nachbar Pepe Garcia, versammelte sich unter dem Vordach der Wohn-höhle und genoß das Abendessen. Mama Dolores hatte eine Gemüsesuppe gekocht, gedickt mit aufgequollenen Maiskörnern. Fleisch gab es nicht. Nach dem Begrüßungsessen für Pedro Morero, das ein Huhn gekostet hatte, stand der nächste Fleischgang erst für den kommenden Sonntag auf dem Programm.
Adolfo Pebas sah erschreckend aus. Er hatte heute sieben Stunden in seiner Mine gearbeitet. Viermal war er herausgekrochen, hatte sich, nach Luft ringend, in den Schatten einer überhängenden Felsplatte geworfen und dort eine Viertelstunde gelegen, als sei er nur ein Häufchen Haut und Knochen, in Lumpen eingewickelt. Dann, nach einigen wilden pumpenden Luftzügen, hatte er wie tot dagelegen, Arme und Beine weit von sich gestreckt; aber schon nach wenigen Minuten riß ihn der Gedanke wieder auf die Beine: Du mußt weitergraben! Du mußt wieder in den Berg hinein! Irgendwo, dort unten im Felsen, warten die grünen Steine auf dich.
Beim Abendessen lag er auf einer Decke aus Hundefellen und löffelte langsam und schwerfällig die dicke Suppe. Maria Dolores blickte ein paarmal zu ihm hinüber und schwieg. Aber wenn sich ihr Blick mit dem von Dr. Mohr kreuzte, war ein stummer Aufschrei in ihren Augen: Er zerstört sich, Doctor. Er ist wie alle anderen hier: Die Steine machen ihn wahnsinnig. Hilf uns, Doctor.
«Hat Pepe dir schon erzählt, was man in den Bergen munkelt?«fragte Pebas und kratzte in seiner Suppenschüssel herum.»Natürlich nicht. Er will dich nicht beunruhigen. «Adolfo wartete, bis Margarita ihm eine große Kelle voll Suppe in die Schüssel gegeben hatte. Die dritte Portion. Der Berg hatte ihn völlig ausgezehrt.»Man erzählt sich in den Bergen, du seist ein Spitzel von Don Alfonso
Camargo. Was sagst du nun?«
«Blödsinn!«Dr. Mohr spürte ein Jucken unter der Kopfhaut. Ein Spitzel Don Alfonsos zu sein, war so ziemlich das Schlimmste, was einem Guaquero passieren konnte. Es war gleichbedeutend mit einem Todesurteil. Man brauchte nur darauf zu warten, wann es vollstreckt würde.
«Jeder weiß.«
«Keiner weiß etwas! Das ist es ja!«Pebas rülpste laut. Die Suppe schmeckte ihm.»Pepe hat versucht zu erklären, daß du ein Medico bist. Das glauben sie ohne Bedenken, aber — sagen sie — auch ein Arzt kann ja hierher geschickt worden sein, um uns auszuhorchen! Wer kann das einfacher, gründlicher und vor allem hinterhältiger als ein Medico?! Ihm vertraut man. Ihm sagt man alles, was man auf der Seele hat. Ein Kranker, der nicht an Gott glaubt, sieht in seinem Arzt etwas Gottähnliches! Und so kann Don Alfonso bequem erfahren, was man in monatelanger höllischer Arbeit aus dem Berg geholt hat, wieviel Steine, welche Größe, welche Farbe, welche Reinheit. Man zeigt sie dem lieben Onkel Medico, und wenig später weiß man in Bogota, daß der Jose Latinque, der morgen in die Hauptstadt wandern will, für 10.000 Dollar Smaragde in seinem Taschentuchknoten trägt. - Jose wird nie in Bogota ankommen. Wenn man Glück hat, findet man seinen Körper und kann ihn unter einem Kreuz begraben.«
«Das traust du mir zu?«fragte Dr. Mohr mit belegter Stimme.
«Was fragst du mich?«Pebas löffelte seine Suppe weiter.»Es ist die Meinung der anderen. Sie wissen, daß du Don Alfonso kennst. Er hat dir deine Ausrüstung bezahlt. Außerdem liefert er alles für das neue Hospital und gibt Geld, damit du jeden von uns umsonst behandeln kannst. «Pebas winkte mit seinem Löffel.»Das macht doch nachdenklich, nicht wahr? Warum bezahlt Don Alfonso das alles? Aus purer Menschenliebe? Für einen Platz im Himmel, zu Füßen der Maria? Da muß man laut lachen! Nein, er will unsere Steine! Er will, daß wir doppelt soviel arbeiten, um doppelt so viel zu schürfen! Du kümmerst dich um unsere Gesundheit, er hofft, daß wir viele Steine ans Tageslicht bringen.«
«Das stimmt!«
«Aha!«Pebas starrte Dr. Mohr mit eingezogenem Kopf an.»Du gibst es zu?!«
«Ich weiß, welche Gedanken Don Alfonso mit dieser medizinischen Betreuung aller Gesetzlosen hier in den Minen verfolgt. Aber er irrt sich. Ich nehme seine Hilfe an, aber ich baue ein Hospital nach meinen Ideen! Ich werde für euch ein Arzt sein, aber nicht für Don Alfonso eine Mastanstalt, die aus euch kraftstrotzende Wühl-tiere macht.«
«Das wird Schwierigkeiten geben, Doctor.«
«Darüber bin ich mir im klaren.«
«Schwierigkeiten mit uns allen!«Pebas leckte umständlich seinen Löffel ab.»Niemand glaubt dir nämlich.«
«Ich werde mit allen sprechen. Übermorgen beginne ich, mit einem Muli zunächst die nähere Umgebung abzureiten und allen zu erklären, was hier entsteht.«
«Unmöglich!«Pebas zuckte zusammen. Die Schüssel war aus Mar-garitas Hand gefallen und zersprang auf dem felsigen Boden.»Mein Töchterchen sagt es dir mit Krach: Sie hängen dich einfach auf, Doctor! Sie fragen dich: >Kennst du Don Alfonso?< Du sagst ja! Vorbei… zu weiterem kommst du nicht! Sie ergreifen dich, schlagen dir auf den Mund und knüpfen dich auf. Hier hat man eine andere Auffassung von Recht. Erklärungen sind immer verdächtig. Du kannst ein vielfacher Mörder sein, aber du bist immer noch ein Kamerad. Wehe jedoch, wenn der Name Don Alfonso fällt. «Pebas gähnte, reckte und stemmte sich empor.»Ich bin müde! Morgen früh muß ich wieder in den Berg. Heute war ein schlechter Tag. Nicht ein grünes Staubkorn! Doctor, bleib hier bei mir. Hier bist du sicher. «Er tappte zum Eingang, drehte sich noch einmal um und schüttelte den Kopf.»Unbegreiflich, daß die von der >Burg< zu dir halten!«sagte er rauh.»Einfach unbegreiflich!«
Als letzter ging Pepe Garcia. Er stützte sich wieder auf sein Gewehr, als habe er seine Augen an es abgegeben.»Tut mir leid«, sag-te er wehmütig.»Aber so denkt man eben von dir, Doctor. Ich mußte das erzählen. Verlaß unsere Gegend nicht. Du kommst nicht weit.«
Es war eine klare, warme Nacht mit einem ergreifenden Sternenhimmel. Das Feuer war erloschen, nur noch der Geruch verbrannten Holzes lag in der Luft und zog zu dem Kahlschlag hinüber, den die Männer von der >Burg< in den Bergwald getrieben hatten. Dort sollte das >Bettenhaus< stehen.
Dr. Mohr lächelte verzerrt. >Bettenhaus<, wie das klang. Er blieb stehen und sah sich um. Hier wird einmal das >Behandlungshaus< stehen, zwei Untersuchungszimmer, ein OP, ein Röntgenraum, ein winziges Labor. Wie überheblich sich das anhörte! Ein OP! Ein Arzt allein unter 30.000 Guaqueros. Allein mit seinen zwei Händen, seinen zehn Fingern. Keine Schwester, die bei der Operation assistierte, die Instrumente pflegte, die Kranken betreute. Kein Krankenpfleger, der Verbände anlegte, Infusionen auswechselte, Spritzen gab, die Kranken wusch, Nachtwache hielt.
War das nicht ein ungeheurer Wahnsinn? War es nicht einfacher, die ersehnte, riesige grüne Sonne zu finden, als dieses Hospital funktionsfähig zu machen? Allein unter 30.000, das war medizinischer Irrsinn.
Dr. Mohr ging zu dem Kahlschlag, setzte sich auf den Baumstumpf, auf dem er mit dem Bärtigen gesessen hatte. Der Wald, in die Schlucht abfallend, verlor sich in schwarzer Dunkelheit. Dort unten, dachte er, irgendwo auf halber Höhe, müssen die Zapigas wohnen. 12 Menschen, an den Hang geklebt, den sie Meter für Meter durchwühlten. Und wie viele andere mit dem gleichen Schicksal? Menschen ohne Zukunft, aber voller Hoffnung. Menschen, die von den grünen Steinen getötet werden, und die das für so selbstverständlich halten wie das Risiko eines Zweikampfes: Einer muß Sieger bleiben. Die wenigen, die es geschafft hatten, bewiesen, daß es möglich war, den Berg zu besiegen. Zum Beispiel der sagenhafte Miguel Totosa, der zwei Steine von zusammen 93 Karat fand, sie heil nach
Bogota brachte, heute in Florida in einer weißen Villa lebt und schon morgens ein Glas Champagner trinkt. Vor einem Jahr hatte er einen Brief mit Fotos geschickt, der durch alle Minen herumgereicht worden war. Ein Traum war wahr geworden. Warum soll sich solches nicht wiederholen? In den Bergen — das wußte man — lagen unschätzbare Millionen.
«Sie schlafen alle«, sagte eine leise Stimme hinter Dr. Mohr. Er blickte sich nicht um, sondern rutschte auf dem dicken Baumstumpf etwas zur Seite.
«Setz dich zu mir, Margarita. «Er sah sie von der Seite an, als sie neben ihn glitt. Sie hatte das lange schwarze Haar nach hinten gebunden. Ihr schmales Gesicht trat dadurch optisch hervor, ein Gesicht wie aus einer altspanischen Miniatur. Sie trug einen langen, am Bund leicht angekräuselten Baumwollrock und eine hellblaue Bluse mit einem runden Ausschnitt. Um den Hals schimmerte eine Kette aus bunten Glasperlen und bedeckte den Ansatz ihrer Brüste.
«Du sollst nicht mit mir allein sein«, sagte Dr. Mohr.
«Alle schlafen ganz fest. Warum schläfst du nicht?«
«Ich denke.«
«Woran denkst du?«
«Daß ich allein bin.«
«Wir sind doch da. «Sie blickte über den Kahlschlag vor sich und verstand ihn plötzlich.»Du meinst, wenn das Hospital fertig ist.«
«Ja. Ich kann nicht alles allein machen.«
«Ich werde dir helfen. und Mama wird dir helfen. und Nuria. Und es werden bald genug andere kommen, die ihre Hilfe anbieten. Es gibt eine Menge Sanitäter unter den Guaqueros, die sogar Kugeln herausschneiden oder Messerstiche nähen.«
«Das ist mir klar. Aber sie werden nicht zu mir kommen.«
«Sie kommen bestimmt, wenn sie sehen, daß du kein Spion von Don Alfonso bist.«
«Wie kann ich das beweisen! Das ist es ja, Margarita! Ich stehe hier mit leeren Händen und einem kleinen Sanitätskasten. Und selbst der ist ein Geschenk von Camargo. Alles, was einmal hier im Hospital sein wird, ist von Don Alfonso. Auch wenn ich jetzt versuchen würde, wieder nach Bogota zurückzukehren, was nutzt es? Niemand wird mir eine Unterstützung zusagen. Keine staatliche Stelle, kein Privatmann, keine Firma, keine Kirche! Für den Staat sind die 30.000 Guaqueros nicht mehr wert als 30.000 Mosquitos! Je eher sie ausgerottet werden, um so besser. Ein Hospital für sie bauen, reiner Wahnsinn! Wozu denn? Um sie zu erhalten?! Man will sie ja vernichtet sehen! Ein Konzern? Sind es Arbeitskräfte, die Nutzen bringen? Na also! Die Kirchen? Ja, es sind Gläubige, aber darüber hinaus auch Gesetzlose. Wozu ihnen in den Bergen ein Hospital bauen? Es gibt genug Krankenhäuser in den Städten. Sie sollen ihr wildes Leben aufgeben und unter dem Kreuz seßhaft werden. Jede Hilfe unterstützt ja nur das Chaos in den Bergen! So ist das, Margarita. Ein Mensch wird nach dem bewertet, was er noch heranschaffen kann, wie nützlich er sein kann, wieviel Geld er einbringt, was man mit ihm tun kann. Ich war eigentlich auch ganz glücklich, daß ein Mann mir all das versprach, was ich brauchte, um hier ein Hospital zu bauen. Ob er Don Alfonso heißt, war mir egal. Erst soll das Hospital stehen und funktionieren. Was dann folgt, daran denke ich noch nicht. Ich denke nur an die Kranken, die gesund werden können. Ein Typhus fragt nicht danach, ob die Medikamente, die ihn besiegen, vom Bischof oder von einem Smaragdhändler kommen.«
«Wir werden es schaffen, Pedro. «Margaritas Hand tastete scheu nach ihm. Er ergriff sie, zog sie an seine Lippen und küßte die Innenfläche.
Margarita zuckte heftig zusammen. Sie begann zu zittern und preßte die Lippen aufeinander.
«Als ich dich zum erstenmal sah«, sagte er,»hinter Gittern in der Polizeistation von Penasblancas, wußte ich, daß alles anders werden wird.«
«Was anders?«Ihre Stimme klang verschlossen. Sie versuchte, ihre Hand aus Mohrs Fingern zu ziehen, aber er hielt sie fest und zog sie wieder an sich.
«Zuerst wollte ich als einfacher Guaquero in die Berge ziehen und euer Leben kennenlernen. Ich wollte unter euch leben, schürfen und mich umschauen, um herauszufinden, wie man euch am besten helfen kann. Ich wollte, wie man so schön sagt, kontinuierlich vorgehen, mit System, mit Augen, die nichts übersehen sollten, was man für spätere Planungen braucht.«
«Und das alles ist nicht mehr so?«
«Nein! Ich habe dich gesehen, und plötzlich warst du weg. Tagelang habe ich dich gesucht, habe herumgefragt, aber ich kannte ja keinen Namen. Ich wußte lediglich, daß du deine Schwester besuchen wolltest, aber das wollen viele Mädchen. Dann habe ich dich beschrieben: Das schönste Mädchen auf Erden, habe ich allen gesagt. Sie haben mich ausgelacht. >Hier gibt es zwei Sorten von Weibern<, sagten sie zu mir. >Die jungen, unberührten Täubchen… aber die sehen wir nicht, die werden von den Eltern versteckt. Oder die anderen Weiber, die frei herumlaufen… da ist die Schönheit weg, mein Lieber, oder aufgemalt. Engel gibt es hier nicht!< Aber ich suchte einen Engel. Dich.«
«Ich muß zurück ins Haus«, sagte Margarita schnell. Sie zerrte an seiner Hand.»Laß mich los! Ich muß zurück.«
«Ich liebe dich«, sagte er langsam.
«Du bist wie alle Männer! Laß mich endlich los!«
«Ich bin dabei, mein ganzes früheres Leben aufzugeben. Nicht nur, weil man mich als Arzt hier braucht, nein, nicht allein deshalb. Ich bleibe auch deinetwegen.«
«Du bist verrückt, Pedro — «, sagte sie wie gehetzt.»Du bist total verrückt. Ein Medico und ein so armes Mädchen wie ich.«
«Wenn du wüßtest, wie reich du bist. «Er zog sie an sich. Wie eine schlaffe große Puppe fiel sie gegen ihn, er umarmte sie, bog ihren Nacken zurück und küßte sie auf die zusammengepreßten Lippen. Einen Augenblick erstarrte sie, er spürte, wie sich ihre Muskeln spannten, dann öffneten sich ihre Lippen, ihre Arme umschlangen seinen Nacken, und ihr Körper drängte sich an ihn. Ebenso plötzlich rutschten ihre Arme ab, drückten ihn von sich, hieben gegen seine Brust, und eine Faust trafvoll seine Nase. Er ließ sie los, sie sprang auf, hieb noch einmal mit den kleinen Fäusten nach ihm, traf seine Schulter und seine Stirn, dann starrte sie ihn an, als habe sie ihn umgebracht, schlug die Hände vor das Gesicht und rannte wie um ihr Leben zurück in die Hütte. Dr. Mohr spürte ein warmes Rinnsal über sein Kinn laufen. Er tastete danach und sah, als er die Hand zurückzog, daß er blutete. Er zog sein Taschentuch heraus, preßte es gegen die Nase und warf den Kopf weit in den Nacken. Als er nach einiger Zeit den Kopf wieder senkte, blickte er auf einen Mann, der ihm gegenübersaß. Er hatte ihn nicht kommen gehört. Der Fremde trug einen zerschlissenen Anzug, ein offenes, rotes Hemd und auf dem Kopf eine uralte Schirmmütze. Sein mit Bartstoppeln über-sätes Gesicht verzog sich in die Breite, als es zu grinsen begann. Der Mann nahm seine Mütze ab, schwenkte sie über seine grauen Haare und setzte sie dann wieder auf.
«Die hat einen Schlag, was?«sagte er auf englisch.»Traut man ihr gar nicht zu. Aber dieses Mistland lehrt nun einmal die Maxime: Wer zuerst schlägt, hat meistens gewonnen.«
«Sie haben alles gesehen?«fragte Dr. Mohr. Er betrachtete das Gewehr, das zwischen den Beinen des Fremden stand. Eine gut gepflegte Waffe, das war hier wichtiger als Essen und Trinken.
«Mit Vergnügen sogar.«
«Wie lange sind Sie schon hier?«
«Ich habe keine Uhr. Das heißt, ich hatte eine. Vor vier Monaten noch. Aber dann machte ich einen Ausflug nach Penasblancas. Das macht Durst! Meine Steinchen reichten gerade für die Mittelware von >Mama< Mercedes. Ich konnte mir die mollige Juanita leisten, eine Stufe höher war nicht mehr drin. Und ein doppelter Whisky schon gar nicht. Da habe ich meine Uhr versetzt. Verflüssigt! Sie müssen zugeben, daß ein Mann ab und zu einen Batzen weißes Fleisch und einen guten Schluck braucht! Wofür lebt und schuftet man denn? Also, ich stand am Waldrand und habe mich gefreut, wie das Mädchen Ihnen eine gefeuert hat!«
«Danke. «Dr. Mohr steckte sein blutbeflecktes Taschentuch wieder ein. Die Nase brannte, ebenso die Stirn, wohin Margaritas Faust geschlagen hatte.»Und warum wandern Sie jetzt durch die Nacht? Der guten Luft wegen? Ozonhungrig?«
«Diese verdammten Plattitüden! Ich hätte Ihnen mehr zugetraut, Dr. Morero!«Der Fremde legte sein Gewehr zur Seite.»Sie sollten wissen, daß Ozon ein dreiatomiges Sauerstoffmolekül von stark oxydierender Wirkung ist. Ein Bestandteil der Atmosphäre in Höhe von 25 bis 40 Kilometern! Sind wir hier 40.000 Meter hoch, na?«
«Hoppla!«Dr. Mohr beugte sich interessiert vor.»Wer sind Sie? Ein verkrachter Physiker?«
«Warum soll man verkracht sein, wenn man Smaragde sucht? Auch so ein Vorurteil! Nicht jeder Guaquero ist ein Halunke! Das weiß ich nun besser als Sie! Auf meinem Tisch haben schon Tausende gelegen, innerhalb von drei Jahren!«
«Tisch? Mann, wer sind Sie?«
«Ich heiße Aldous Simpson. Na, wissen Sie jetzt mehr? 53 Jahre alt, aber dem Aussehen nach müßte ich 70 sein! Ich habe in Birmingham und Paris studiert und meine Examina mit Auszeichnung gemacht. Vier Jahre war ich in Sheffield Facharzt für Gynäkologie.«
«Mein Gott, ein Kollege! Ich denke, hier gibt es keine Ärzte?!«
«Offiziell nicht! Ich bin ja auch nur als Guaquero hier und gelte als besonders geschickt in der Behandlung von Wunden. Das ist alles. Keiner weiß, daß ich Dr. med. Simpson bin, und das ist gut so. Den Gynäkologen gibt es nicht mehr. >M< — verstehen Sie? Das große >MM< gespritzt. Bis ich nach Kolumbien kam und Gua-quero wurde. Ich habe bisher für 9.000 Dollar Steinchen gefunden und alles versoffen oder bei >Mama< auf der ersten Etage gelassen. Aber ich habe immer eine große Sparbüchse: die Burschen, die sich täglich hier zusammenschlagen, mit Messern aufschlitzen oder Blei in den Leib feuern. Und plötzlich sind Sie da, Doctor, ganz offiziell. Bauen ein Hospital! Herr Kollege, Sie machen mich arbeitslos!«
«Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall, Dr. Simpson. «Dr. Mohr beugte sich vor.»Sie schickt mir der Himmel!«
«Nein! Ich wollte Ihnen nur meine Meinung sagen.«
«Sie bleiben bei mir.«
«Moment mal, wiederholen Sie das, Dr. Morero.«
«Ich stelle Sie als Assistenten an! Mein Gott, ich könnte singen vor Freude! Jetzt sind wir schon zwei Ärzte! Sogar ein Gynäkologe — «
«Ich habe alles vergessen, Kollege.«
«Das kann man nicht vergessen! Alle Examina mit Auszeichnung.«
«Das glauben Sie ohne Beweise?«
«Ihre Erzählung genügt mir, Dr. Simpson.«
«Sagen Sie Aldi zu mir. Wie zu einem Hund. Wenn Sie rufen, wenn Sie pfeifen: Aldi, komm her, bei Fuß, Aldi… ich bin sofort da!«
Er nahm seine alte Mütze ab und warf sie auf den Boden.»Mir ist plötzlich heiß geworden, Dr. Morero.«
«Ich heiße Pedro oder Pete.«»Seit sieben Jahren habe ich nicht mehr als Arzt gearbeitet. Bin in der Welt herumgereist, habe für >M< geschuftet; als Scheuermann, als Markthallenträger, als Fischaufschlitzer auf einem Fangschiff. Alles nur, um an das verdammte >M< heranzukommen. So betrachtet, bin ich diesem Sauland hier dankbar! Es hat mich entwöhnt! Wer sich in den Berg wühlt, kann sich kein >M< spritzen. Da braucht man die Kraft junger Muskelfasern. Zuerst war's schlimm. Ich habe geheult wie ein junger Coyote. Aber dann gab es innerlich einen Knacks — und vorbei war alles. «Simpson sah Dr. Mohr aus gläsernen Augen an.»Ich bin gespannt, wie ich reagiere, wenn ich wieder eine >M<-Ampulle sehe. Und wenn ich Äther oder Chloroform rieche.«
«Ich schlage Ihnen den Schädel ein, Aldi!«
«Das dürfen Sie dann auch!«
«Wo haben Sie Ihre Wohnung?«
«Eine Holzhütte, zehn Kilometer von hier entfernt.«
«Du meine Güte, selbst da weiß man schon von meiner Anwesenheit?«
«Ihr Erscheinen in Penasblancas war bei uns allen so schnell bekannt, als sei es durch die Radionachrichten gekommen. Ihr Name ist in den Bergen genauso populär wie die Spezialitäten von >Ma-mas< Paradepferdchen. Aber man traut Ihnen nicht.«
«Ich weiß es. Das werde ich ausräumen.«
«Ausräumen! Typisch Chirurg!«Dr. Simpson räusperte sich.»Haben Sie Whisky hier?«
«Drüben in der Höhle!«
«Scheiße! Ein Mann muß immer eine gefüllte Flasche in der Tasche haben! Sehen Sie, das kann ich Sie lehren: wie man hier elegant überlebt! Das ist eine Kunst besonderer Art. Whisky gehört dazu. Ein strammer Bourbon!«Er stand auf, ging auf dem Kahlschlag hin und her und macht eine weite Armbewegung.
«Bauplatz?«
«Ja. Wo Sie gerade stehen, kommt das Bettenhaus hin.«
«Und wo ist das Schwesternhaus? Die Miezenburg?«Dr. Simpson schüttelte den Kopf.»Tun Sie mir das nicht an. Keine Schwestern?
Was ist eine Klinik ohne ein anständig-unanständiges Schwesternhaus? In Paris zum Beispiel habe ich erlebt.«
«Aldi, Ihr Spott trifft nicht. «Dr. Mohr betastete seine Nase. Sie war nur leicht angeschwollen.»Wir werden ein Bettenhaus, ein Behandlungshaus und ein Wohnhaus haben!«
«Bravo! Wohne ich bei Ihnen im Chefpalast?«
«Natürlich! Tag und Nacht bereit.«
«So schlägt das Schicksal hart zurück! Aber ich habe keine naturblonde Frau mit BH-Größe fünf! — Wer baut das denn alles eigentlich? Kommen die Hauswände per Hubschrauber vom Himmel?«
«Ich habe eine vorzügliche Baukolonne zusammen. Die Männer aus der >Burg
Dr. Simpson, der gerade vor einem Stapel Baumstämmen stehenblieb, wirbelte herum.
«Wen?« rief er entgeistert.
«Die von der >Burg
«Sie lügen infam, Chef!«
«Morgen früh können Sie sie bewundern.«
«Das gibt es einfach nicht! Die Kerle aus der >Burg< sind die einzigen, an die sich keiner herantraut. Da gibt es keine Diskussionen, da knallt es sofort! Kennen Sie den Oberburgler?«
«Natürlich. Ein Mann mit Vollbart. Von Beruf Rechtsanwalt. Er ist mein Bauleiter und beratender Architekt.«
«Ich staune! Ich staune unentwegt! Wie bekommen Sie das bloß fertig? Sie sehen so harmlos aus, so wie ein richtiger Frauentyp, der nach Acapulco oder St. Tropez gehört, um dort Brustkraulen zu üben, aber der nach der Mama schreit, wenn ihm einer auf den großen Zeh tritt. Dr. Morero, wo kommen Sie her?«
«Ehrlichkeit gegen Ehrlichkeit! Kein Wort von dem, was ich sage, Aldi.«
«Ehrenwort!«
«Ich bin Deutscher.«
«Sie enttäuschen mich. «Dr. Simpson kehrte zum Sitzplatz zurück.
«Ich mag die Deutschen nicht.«
«Und warum?«
«Sie sind zu perfekt! Ich kann mir denken, daß in Ihrer neuen Klinik keiner auf den Boden spucken darf.«
«Auf keinen Fall!«
«Da haben wir's! Dr. Morero — oder wie Sie wirklich heißen — das Hospital wird im wildesten Gebiet der Erde stehen, und ihre Patienten werden die wildesten Kerle und die durchtriebensten Weiber sein! Wir werden vor leeren Betten sitzen und Mücken fangen, wenn sich herumspricht, daß man sich nach jedem Pinkeln die Hände waschen muß! Was war das große Geheimnis von Albert Schweitzer in Lam-barene? Wenn ein Kranker im Bett lag, kampierte um ihn herum die ganze Familie! Der weiße Mann war ein Heiliger! Als er tot war und die neuen Ärzte ein modernes, steriles Klinikgebäude bauten, blieben die Kranken weg und verreckten lieber im Urwald, im Kreise ihrer Verwandten. Hier bringt jeder, der krank ist, seine Freunde als eine Art Leibwache mit. Wehe, wenn Sie diese Sitte unterbinden wollen! Die hier kennen nämlich die Gefahr, Sie nicht. «Dr. Simpson setzte sich wieder und schlug sich auf die ausgemergelten Schenkel.»Es war vielleicht doch gut, daß ich gekommen bin.«
«Es war sogar sehr gut, Aldi. «Dr. Mohr reichte Simpson die Hand.»Bleiben Sie gleich hier?«
«Ja. «Dr. Simpson schlug ein.»Wollen Sie mir helfen?«
«Helfen? Wobei?«
«Abladen! Dort hinten steht mein Handkarren. Ich habe alles, was ich noch habe, mitgebracht.«
«Oh, Sie Gauner!«sagte Dr. Mohr und lachte laut.»Sie verfluchter Gauner! Wenn ich Sie nun weggejagt hätte?«
«Unwahrscheinlich!«Dr. Simpson grinste.»Und wenn doch, so wäre ich als Patient zu Ihnen gekommen. Ha, ich hätte Ihnen eine Krankheit vorgespielt, an der Sie sich die Zähne ausgebissen hätten. Was glauben Sie, wieviel hysterische Weiber ich behandelt habe, die subjektiv todkrank, aber objektiv mopsfidel waren? Dadurch habe ich eine Menge gelernt. Übrigens, ich nehme Ihnen keinen Platz weg. Ich habe mein Zelt mitgebracht. «Er tappte zum Waldrand und blieb stehen, bis Dr. Mohr bei ihm war.»Und noch was, die kleine Süße, die Ihnen eins auf die Nase gedonnert hat, was ist mit ihr?«
«Ich liebe sie. Sie ist mein Schicksal!«
«Genauso ein Hornochse wie ich! Laden wir ab, Dr. Morero. Ich bin anscheinend zur rechten Zeit gekommen, um Sie noch zu retten.«
Dr. Simpson blieb nicht der einzige Besuch in dieser Nacht. Gemeinsam mit Dr. Mohr hatte er sein kleines Plastikzelt aufgebaut. Nicht auf dem Plateau am Waldrand, sondern an der steilen Felswand, direkt unter dem Höhlenloch auf halber Höhe, in dem Pepe Garcia hauste.
«Das müssen Sie sich merken, Pete«, erklärte Simpson und zurrte die Leinen fest.»Immer den Rücken freihalten! Immer mit dem Arsch gegen die Wand, dann können Sie gut nach vorne treten! Eine Rundumverteidigung ist unmöglich, wenn Sie allein sind. Aber was Sie vor sich haben, ist überblickbar.«
«Hier greift Sie keiner an!«
«Haben Sie eine Ahnung!«Sie gingen zu dem alten Muli zurück, das bis zum Zusammenbrechen beladen war, und hoben die Kartons aus den Lederschlaufen. Sie waren so schwer, als habe Simpson Steine darin herumgeschleppt.»Sie wissen wohl gar nicht, was in Penasblancas vor sich geht?«
«Keine Ahnung.«
«Christus Revaila stellt eine Privatarmee zusammen. Etwa hundert Mann hat er sicherlich schon unter Vertrag. Alles Ihretwegen, Pete! Das ganze Theater muß ihn ein kleines Vermögen kosten, aber er opfert es! Gerade Revaila, der so auf seinen Steinchen saß, als könne er sie wie eine Henne bebrüten und noch mehr daraus machen. Kollege, Sie müssen ihm gewaltig auf den Schlips getreten haben!«
«Wir waren nur geteilter Meinung über mein weiteres Leben, und da legte er sich etwas schlafen.«
«Sie haben Humor! Revaila und umhauen! Sind Sie des Teufels?«
«Ich habe einen unbändigen Freiheitsdrang, Aldi. Wer den antastet, wird vorher von mir eindringlich gewarnt. Christus Revaila überhörte meine Warnung einfach.«
«Und jetzt zieht er mit einer Streitmacht in die Berge! Ich weiß nicht, wieviel Smaragde er auf Ihren Kopf ausgesetzt hat, aber es muß sich lohnen! Die ausgekochtesten Burschen haben sich für den Job gemeldet! Ein Glück, daß Sie die Leute aus der >Burg< hinter sich haben! Oha, wird das eine Schlacht werden! Ich glaube, ich baue um mein Zelt einen dicken Steinwall.«
Sie schleppten die Kartons zum Zelt und luden sie ächzend ab.»Haben Sie Ihren Berg zerlegt und mitgenommen?«fragte Dr. Mohr und wischte sich den Schweiß von der Stirn.»Das kann ja keiner tragen.«
«Passen Sie mal auf. Was ist das?«
Dr. Mohr betrachtete erstaunt das stählerne Gestell. Es war graubraun gestrichen und sah wie ein massiver Dreifuß aus. Wo die drei Füße zusammenkamen, wölbte sich eine stählerne Mulde mit Klemmvorrichtungen.»Keine Ahnung«, sagte er.
«Das ist eine Lafette. «Dr. Simpson holte das Gestell aus dem Karton und baute es auf dem Felsboden auf. Er nickte zu den anderen schweren Kartons hin und rieb sich die Hände.»Da drinnen liegen die anderen Teile: der Verschluß, das Rohr, 40 Granaten.«
«Soll das heißen.«, sagte Dr. Mohr entgeistert.
«Nein! Ich schleppe keine Kanone herum. Aber ein schwerer Minenwerfer ist es. Das reicht auch! Eine tolle Wirkung, sage ich Ihnen. Ich habe schon neun Granatwerferminen als Sprengladungen im Berg benutzt. Das rumst und die Brocken fliegen weg. Man braucht nur noch zu schaufeln und die grünen Steine aufzusammeln. Leider hatte ich die falsche Mine erwischt, nur Steine und keine Smaragde. Wenn ich eine Ader vor mir gehabt hätte, Kollege, ich wäre heute mehrfacher Millionär!«
«Aldi, wo haben Sie den Minenwerfer her?«
«Geklaut. «Dr. Simpson setzte sich auf einen der schweren Kar-tons und tastete durch die Pappe.»Das sind die Granaten! Dr. Mo-rero, ich sage Ihnen, das war ein Ding. Der Werfer stammt aus den Beständen der kolumbianischen Armee, die bei Muzo ihr Lager hat.«
«Ein Bataillon.«
«Ach, das wissen Sie?«
«Ich kenne den neuen Kommandeur. Major Luis Gomez.«
«Den alten haben sie ablösen müssen. Er bekam Depressionen. Immer, wenn er eine Razzia unternahm, wußten wir alles schon Stunden im voraus. Da war keiner von uns mehr in den Höhlenlöchern. Die Weiber jedoch standen oder lagen nackt wie im Paradies herum und sangen wie die Sirenen. Ich kann Ihnen sagen: Die Jungs in Uniform haben vielleicht Glotzaugen bekommen! Wo sie hinkamen, nur nackte Weiber! Von vierzehn bis achtzig! Da ließ der Kommandeur zum Rückzug blasen, ehe die ganze Disziplin vollends zum Teufel ging! Unterdessen haben wir das fast leere Lager gestürmt, die paar Posten gestreichelt und uns bedient. Ich habe mir einen Minenwerfer ausgesucht. «Er zeigte auf den Dreifuß und die Kartons.»Da ist er!«
«Er kann uns gegen Christus Revaila helfen.«
«Das habe ich mir auch gedacht. «Dr. Simpson musterte Dr. Mohr nachdenklich.»Sie kennen den neuen Major Gomez gut?«
«Wir haben uns angefreundet. Warum?«
«Dreißig Granaten sind schnell aufgebraucht, Pete.«
«Aldi, Sie sind verrückt!«
«Wenn Ihr Gomez — nur theoretisch — drei Munitionskisten nicht vermissen würde, dann wäre uns allen sehr geholfen.«
«Das ist unmöglich! Das tut Gomez nie!«
«Experten würden das nur eine Frage der Pflasterzahl auf Gomez' Augen nennen.«
«Der Major ist unbestechlich. Er will hier endlich aufräumen!«
«Das sind die Schlimmsten! Die drücken die Preise hoch!«Dr. Simpson hob den Kopf.»Halt! Still! Hören Sie etwas?«
Er legte den Finger aufdie Lippen und beugte sich lauschend vor.
Dr. Mohr strengte sein Gehör an, vernahm aber nichts als das dünne Rauschen der Bäume im Nachtwind.
«Nichts«, sagte er leise.
«Ich bewundere Ihren Mut, mit so laienhaften Vorstellungen zu den Guaqueros zu pilgern! Hier muß man den Instinkt eines Raubtieres haben, um zu bestehen! Die Hölle muß man riechen oder hören, ehe man sie sieht! Da, hören Sie denn immer noch nichts? Das sind Maultiere! Viele Maultiere. Sie tasten sich den Weg herauf.«
Dr. Simpson schnürte einen Sack auf und entnahm ihm ein Gewehr mit abgesägtem Lauf.»Wecken Sie die Familie Pebas.«
«Sie hören Gespenster, Aldi! Hier kann kein heimlicher Überfall erfolgen!«
«Ha?! Und warum nicht?«
«Die Männer von der >Burg< haben Wachen aufgestellt. Wenn Sie ihnen verdächtig vorgekommen wären, glauben Sie, Sie hätten mich jemals erreicht?!«
«Ich bin durch einen Sicherungsring gekommen?«
«Bestimmt.«
«Du meine Güte, und ich habe nichts davon bemerkt.«
«Hier muß man den Instinkt eines Raubtieres haben«, wiederholte Dr. Mohr lächelnd.»Sie scheinen eine ziemlich zahme Sorte zu sein, Aldi.«
«Und es sind doch Maultiere!«rief Dr. Simpson und sprang auf. Er lud das Gewehr durch und stellte sich mit dem Rücken gegen die Felswand.»Verdammt, jetzt müssen Sie's selbst hören! Da, das Getrappel! Wo sind Ihre Bewacher, Pete? Rennen Sie und holen Sie sich Ihre Waffe.«
Tatsächlich, jetzt hörte es Dr. Mohr auch: ein Klappern von Hufen, ein unregelmäßiges Klopfen, ab und zu ein noch weiter entferntes Schnauben. Da war sogar eine menschliche Stimme, die etwas schrie und sofort wieder erstarb. Dr. Mohr starrte Dr. Simpson entgeistert an.
«Mein Gott, das ist ja Miguel«, sagte er, als ein bulliger Mann auf einem Muli sitzend um die Biegung kam.»Aldi, den müssen Sie doch kennen: den Portier Miguel von >Mama
«Unmöglich!«Dr. Simpson hob sein Gewehr.»Halt!«brüllte er.»Stehenbleiben! Sofort!«
Der bullige Mann schien diesen Ton zu kennen. Er hielt ruckartig an und winkte nach hinten. Die Mulis schlossen auf, bildeten einen Klumpen prustender und scharrender Körper und glotzten Dr. Simpson an.
«Wo wollt ihr hin?«schrie Simpson.
«Geh aus dem Weg!«schrie der Fleischberg zurück.»Oder ich schiffe dich um!«
«Miguel!«sagte Dr. Simpson entgeistert.»Tatsächlich! Er ist es!«
Mit dem letzten Muli kam der zweite Mann um die Biegung und rutschte von dem Rücken des Tieres. Dr. Mohr schlug das Herz bis zum Hals. Er ist gekommen, dachte er und spürte, wie die Freude ihm fast Tränen in die Augen drückte. Cristobal Montero ist gekommen. Er hat es wahrgemacht.»Wenn du dein Krankenhaus errichtest, baue ich meine Kirche direkt daneben!«Das hatte er gesagt.»Das Leid braucht den Himmel.«
«Gott segne dich, mein Sohn!«sagte Pater Cristobal feierlich.
Dr. Simpson wackelte mit dem Kopf.
«He?!«sagte er unsicher.»Was ist los?!«
«Du kennst dich hier aus, mein Sohn?«
«Leck mich am Arsch!«schrie Dr. Simpson.
«Aber erst badest du, nicht wahr?«Pater Cristobal kam näher.
Dr. Mohr, der im Schatten des Zeltes stand, sah er noch nicht.
«Ich bin ein Feinschmecker.«
«Halt!«sagte Simpson kalt. Er zitterte vor Wut.»Bleib stehen, Freundchen. Wenn du glaubst, mit solchen Mätzchen Eindruck zu schinden, hast du gegen den Wind gepinkelt! Weißt du, was das gibt? Eine Urethritis anterior. «Dr. Simpson legte das Gewehr an und zielte auf Pater Cristobal.»Bleib stehen, Bürschchen!«sagte er gefährlich langsam.
Auch Montero spürte die Gefahr. Er verhielt seinen Schritt und blickte furchtlos in den Gewehrlauf.»Wir sollten vernünftig mit-einander sprechen«, sagte er ruhig.»Ein Mann, der hier lebt und Latein kann.«
«Es ist ein medizinischer Ausdruck«, knurrte Dr. Simpson.
«Damit kommen wir meiner Sache schon näher! Ich suche Dr. Mo-rero.«
«Hier ist er!«rief Dr. Mohr. Er stürzte aus dem Zeltschatten heraus und breitete die Arme aus.»Cris, ich freue mich, als sei es Weihnachten! Ich habe nicht erwartet, daß du so bald kommst.«
Sie umarmten sich, drückten sich an sich und klopften sich auf die Rücken.
Dr. Simpson beobachtete die beiden mit zusammengezogenen Brau-
«Was soll das?«röhrte er. Aus den Augenwinkeln musterte er Miguel, der unruhig auf seinen baumähnlichen Beinen hin und her stampfte.»Sie kennen den windigen Burschen, Pete?«
«Und wie!«Lachend machte sich Dr. Mohr von Pater Cristobal los.»Der windige Bursche ist ein Priester.«
«O Gott!«entfuhr es Simpson.»Auch das noch!«
«Und wer ist das?«fragte Cristobal.»Medizinisches Latein.«
«Mein Assistent. «Dr. Mohr lachte noch immer.»Darf ich vorstellen: Dr. Aldous Simpson, Gynäkologe.«
«Hervorragend!«Jetzt lachte auch Pater Cristobal, sehr zum Mißfallen von Simpson.»Ein Frauenarzt! Das ist wirklich das Wichtigste, was wir hier brauchen!«
Dr. Simpson brüllte etwas, aber es ging bei dem dröhnenden Lachen von Miguel, das so gewaltig war wie sein Körper, unter.
Die Familie Pebas lag in der Dunkelheit ihres Höhleneinganges. Das heißt, sie hatte sich zur Verteidigung eingerichtet und sich hinter Steinen und Kisten verbarrikadiert. Als Dr. Mohr durch den Vorraum kam, blendete ihn plötzlich ein starker Scheinwerfer. Er riß die Arme hoch und schützte seine Augen vor dem grellen Licht.
«Ich bin's!«sagte er, völlig überrascht.
«Das sehe ich!«Pebas' Stimme war kalt und hart.»Bleib stehen! Beweg dich nicht!«
«Bist du verrückt geworden, Adolfo?«rief Dr. Mohr.
«Es treibt sich zuviel Gesindel herum, seit du hier bist!«sagte Pe-bas abweisend.»Wie lebten wir ruhig vorher! Aber jetzt, dauernd neue Leute! Wer ist das da draußen?«
«Pater Cristobal und Miguel, der Portier von >Mama
«Ich bringe ihn um!«schrie Pebas dumpf. Mohr hörte, wie der Lauf eines Gewehres gegen einen Stein schlug. Er nahm die Arme herunter, aber er sah nichts. Der grelle Scheinwerfer blendete ihn dermaßen, daß er die Augen wieder schloß.»Miguel! Er hat auch Perdita bewacht! Dieses Misttier darf man ohne Reue abschießen.«
«Darüber solltest du mit dem Pater reden!«
«Ich brauche keinen Priester, um zu fragen, was notwendig ist. «Pebas schien hinter seiner Deckung zu stehen.»Und wer ist der andere?«
«Ein Kollege.«
«Ein was?«
«Ein Arzt.«
«Der versoffene und verhurte Simpson?!«
«Genau der.«
«Was will er hier? Wo er auftritt, bringt er das Unglück hin! Jeder weiß das. Das Unglück klebt förmlich an ihm.«
«Blödsinn! Euer Aberglaube ist geradezu idiotisch! Dr. Simpson wird mein Assistent werden. Er hilft mir im Krankenhaus und bleibt hier!«
«Nicht in meiner Nähe!«Dr. Mohr hörte, wie draußen laute Hammerschläge ertönten. Pater Cristobal und Miguel verloren keine Zeit, sie bauten bereits ihre erste Unterkunft auf. Ein Haus aus Brettern und Zeltleinwand.
«Simpson zieht das menschliche Ungeziefer an wie ein Licht«, be-harrte Pebas.
«Glaubst du, in mein Krankenhaus kommen nur blankgescheuerte Seelen? Es ist für jeden Kranken da, und ich werde keinen fra-gen, was er heimlich mit sich herumschleppt. Mich interessiert nur seine Krankheit.«
«Bis einer kommt, der seine Medikamente mit dem Revolver bezahlt.«
«Kein Beruf ist ohne Risiko, Adolfo. Auch sichere Beamte sind schon von wütenden Bürgern erschossen worden!«Dr. Mohr blinzelte.»Verdammt! Stell den Scheinwerfer aus! Ein blinder Arzt nutzt euch gar nichts!«
Das grelle Licht erlosch. Pebas kam hinter seiner Steindeckung hervor und ging an Mohr vorbei zu dem blättergedeckten Vorbau. Dort blieb er im Dunkeln stehen und beobachtete Pater Cristobal und Miguel, die ihre Packmulis abluden. Dr. Simpson war noch mit seinem Zelt beschäftigt. Er trug dicke Steine heran und schichtete sie wie eine kleine Mauer vor den Eingang. Eine Schutzwehr, die im Ernstfall erst überwunden werden mußte!
Dr. Mohr öffnete wieder seine Augen. Wie einen verschwimmenden Umriß sah er Margarita jenseits der kleinen Barrikade stehen. Auch sie trug ein Gewehr in der Hand.
«Ihr seid verrückt geworden!«sagte Dr. Mohr heiser.
«Wir hörten Hufegetrappel und Stimmen! Das ist in der Nacht immer gefährlich! Es gibt keine harmlosen Menschen, die nachts hier durch die Felsen kommen! Wir kennen das, du nicht!«Margarita stellte das Gewehr neben sich ab und kam um die Barriere herum. Maria Dolores verschwand im Inneren der Wohnhöhle; den Scheinwerfer nahm sie mit.»Miguel ist tatsächlich mitgekommen?«fragte Margarita leise.
«Ja.«
«Papa wird ihn töten!«
«Das glaube ich nicht.«
«Willst du das verhindern?«
«Mit allen Mitteln! Miguel hat mit Perdita nichts zu tun.«
«Das sagst du! Für Papa.«
«Glaubst du, Pater Cristobal hätte Miguel mitgenommen, wenn er an Perditas heutigem Leben mitschuldig wäre?«
«Aha!«hörten sie plötzlich Pebas' Stimme am Eingang.»Da ist Miguel ja! Bleib da stehen, wo du bist, Saukerl! Rühr dich nicht! Dein Rücken ist breit genug, man kann gar nicht daneben treffen! Und Sie, Pater, treten Sie bitte drei Schritte zurück. Das hier ist eine ganz familiäre Aussprache.«
«Es ist passiert«, stammelte Margarita.»Du kannst nichts mehr retten, Pete. Bleib! Bitte bleib!«
Sie krallte sich in seiner Jacke fest, aber Dr. Mohr machte sich mit einem Ruck los. Mit weit ausgreifenden Schritten war er neben Pe-bas und hieb mit der Faust den Gewehrlauf herunter. Gleichzeitig sauste seine Handkante auf Adolfos Unterarm. Pebas stieß einen dumpfen Schrei aus, das Gewehr klirrte zu Boden, und er umklammerte mit der anderen Hand seinen höllisch schmerzenden Arm. Miguel witterte die Situation wie ein eingekreistes Tier. Er warf sich herum, hechtete zur Seite, rollte sich ab und ging in Deckung. Verblüfft starrten Pater Cristobal und Dr. Simpson auf Pebas' Hauseingang. Dort krümmte sich Adolfo, stöhnte und stieß gleichzeitig mit dem Kopf nach Dr. Mohr.
Mit einem harten Griff packte Mohr den mit den Händen hilflosen Pebas und stieß ihn ins Freie. Taumelnd stand er vor dem Priester und drückte den rechten Arm gegen seine Brust.»Nicht aus dem Hinterhalt!«sagte Dr. Mohr kalt.»Hier kannst du sprechen. Hier hast du die gleiche Chance. «Er blickte zur Seite und sah Miguel auf dem Boden liegen, eine Pistole in der Hand.»Miguel, ich warne auch dich! Hinter dir steht jemand, der schneller abdrückt als du. Und dein Kopf ist groß genug. «Dr. Simpson nickte. Wie hingezaubert hielt er seinen Revolver in der Rechten. Miguel drehte sich nicht um. Er glaubte auch ohne Beweis, was Dr. Mohr sagte.
Pebas atmete schwer.»Er hat mir den Arm gebrochen!«sagte er dumpf.»Helfen will er und bricht anderen Leuten, seinen besten Freunden, die Arme! Pater, ich möchte beichten! Hier und jetzt, auf der Stelle!«
«Gott ist überall und immer da«, sagte Cristobal vorsichtig.
«Ich möchte beichten, Pater«, sagte Pebas laut,»daß ich zwei Menschen töten werde: Miguel und Pete Morero. Ich bitte Gott im voraus um Verzeihung.«
«Abgelehnt!«Pater Cristobal öffnete seinen Koffer, holte daraus seine Soutane, zog sie über seinen dreckigen normalen Anzug und knöpfte sie zu. Jetzt, ganz ein Priester, ging er auf Pebas zu und baute sich breit vor ihm auf. Pebas schielte zu ihm hinauf. Er war einen halben Kopf kleiner als Montero, dafür aber doppelt so stämmig und kräftig. Von der Wohnhöhle tönte ein Doppelschrei:
«Papa, knie nieder!«
«Du glaubst an Gott?«fragte Cristobal ruhig. Pebas ließ die Arme hängen. Der Schmerz hatte nachgelassen, er konnte die Hand wieder bewegen, nichts war also gebrochen. Mit dieser Erkenntnis kam aber auch seine vulkanische Wut wieder hoch.»Ja!«sagte er grob.»Wenn ich tief im Berg am Ende meines Stollens liege und mich in den Fels vorwühle, dann bete ich oft: Gott, jetzt müßtest du bei mir sein! Dann würdest du begreifen, wie beschissen das Leben ist, das wir nach deinem Ebenbild leben sollen. Das sage ich zu ihm! So rede ich mit ihm! Man hat immer gesagt: Mit Gott kann man mit tausend Zungen reden. Ich rede mit der 1.001. Zunge!«
«Gott hört dich!«
«Das ist gut!«Pebas lachte rauh.»Er soll zwei Namen in seinem Register streichen.«
«Wen man anspricht, der antwortet auch!«sagte Pater Cristobal sanft.»Auch Gott gibt Antworten, direkt oder über seine Stellvertreter. Sieh mich an, Pebas, was trage ich?«
«Einen Pfaffenrock.«
«Also spricht Gott jetzt über mich zu dir! Hör zu. «Blitzschnell fuhr seine Faust empor und traf Pebas voll am Kinn. Der breite Mann schwankte, trat unsicher einen Schritt zurück, aber er stürzte nicht. Nur sein Blick wurde hohl und glasig. Vom Höhleneingang her erklang rhythmisches Gemurmel. Dort lagen Margarita und Maria Dolores auf den Knien und beteten ein Vaterunser.
Pater Cristobal rieb sich die Faust und schüttelte sich dann.»Er hat ein Eisenkinn!«sagte er anerkennend.»Pebas, fahr fort mit deiner Beichte. Du mußt noch einen Mord hinzufugen. Du mußt jetzt deinen Beichtvater umbringen.«
Pebas antwortete nicht mehr. Er drehte sich um, schwankte zu seiner Wohnung zurück und machte um die betenden Frauen einen Bogen, um an den Eingang zu kommen. Erst als er im Dunkel untergetaucht war, ließ Dr. Simpson seinen Revolver sinken.»Er muß behandelt werden!«sagte er in die Stille hinein.
«Sein Arm ist nicht gebrochen!«Dr. Mohr hob Pebas' Gewehr auf.»Nur einen schönen blauen Fleck wird er zwei Wochen lang mit sich herumtragen!«
«Psychisch, meine ich! Man muß ihm Beruhigungstabletten geben! Du lieber Himmel, der Mann platzt ja vor Jähzorn! Außerdem hat er einen zu hohen Blutdruck!«
«Miguel, komm einmal her!«sagte Dr. Mohr hart.
Miguel, der Boxer und Türsteher, erhob sich aus seiner Deckung und kam langsam näher. Die Augen in seinem zerschlagenen Bulldoggengesicht waren ratlos und kindlich hilflos.
«Ich weiß nicht, was Pebas will. Ich weiß nicht.«, stotterte er.
«Was hattest du mit Perdita Pebas zu tun?«
«Nichts! Ich schwöre. nichts! Nur einmal, da wollte sie weglaufen.«
«Aha! Und dann?«
«Sie kam zu mir. Sie wollte Geld. Senora Ordaz behielt ja alles Geld zurück, nur ein paar Pesos bekamen die Mädchen. >Geh zurück in die Berge<, habe ich Perdita gesagt. Aber sie wollte nicht. >Dort bin ich tot!< sagte sie. >Mein Vater schlägt mich tot!< Und das stimmt! Das traue ich dem alten Pebas zu! Nach Bogota wollte sie fliehen, wenn möglich noch weiter, an die Küste, aber dazu brauchte sie Geld. Ich habe ihr keins gegeben. Ich hatte selbst nichts. Dann kam >Mama< und alles war aus! So war es. Man kann mich doch nicht erschießen, weil ich keine Pesos hatte! Ich habe Perdita nie gezwungen, bei Senora Ordaz zu bleiben!«
«Ich glaube ihm«, sagte Pater Cristobal, als Dr. Mohr, durchaus nicht überzeugt, schwieg.»Bevor er mit in die Berge kam, habe ich ihn durch die Mangel gedreht. Auf dem Weg hierher habe ich angehalten und ihn auf der Straße niederknien lassen. Er hat alles erzählt! Gott muß es den Atem verschlagen haben! Miguel hat sich von allem befreit, dafür bürge ich als Priester.«
«Wir müssen Pebas beruhigen«, fiel Dr. Simpson ein.»Der Kerl macht Dummheiten. Ich kenne diese Typen.«
«Das übernehme ich!«Dr. Mohr sicherte Pebas' Gewehr.»Es tut mir leid, Cris, daß du so unfreundlich empfangen worden bist. Aber das wird sich ändern.«
«Wir wußten vorher, wohin wir kommen würden. Um nur die Hand geküßt zu bekommen, hätte ich im Kloster bleiben können. Diese Menschen hier kann man nicht überreden, man muß sie erobern!«
Dr. Mohr ging in die Höhle zurück. Draußen bauten Dr. Simpson, Pater Cristobal und Miguel weiter an dem merkwürdigen Gebilde aus Brettern und Zelten, in dem der Priester vorerst wohnen wollte.
In der großen Wohnhöhle hatte Maria Dolores die Petroleumlichter angezündet und starrte Dr. Mohr entsetzt an, als dieser den Wohn-teil der Pebas betrat. Adolfo saß an dem Holztisch, hatte den rechten Arm in eine um den Hals gelegte Schlinge gehängt und trank mit der Linken gerade einen Becher Wasser, gemischt mit Rotwein. Mohr setzte sich ihm gegenüber, warf ihm das Gewehr vor die Füße und schob ihm eine Packung Zigaretten über die Tischplatte zu.
«Wann willst du mich töten?«fragte er.»Es wäre gut, wenn ich das vorher weiß. Es ist noch allerhand zu erledigen.«
«Vergiß es!«sagte Pebas kleinlaut.»Mein Gott, du könntest mit deiner Handkante ganze Gliedmaßen abhauen! Hast du so in den Krankenhäusern amputiert?«
«Noch nicht. Aber vielleicht werde ich diese Methode hier einführen. Ihr scheint eine Sorte von Menschen zu sein, die man zu ihrem Wohlergehen hinprügeln muß! Von mir aus, ich halte das durch!«
«Ich habe mich dämlich benommen, was? Aber als ich den Namen Miguel hörte, da zerriß etwas in mir.«
«Das ist gut«, sagte Dr. Mohr gefaßt.»Da wir gerade beim Zerreißen sind, macht es nichts aus, wenn wir weitere Fetzen fliegen lassen. «Er machte eine kurze Pause und sagte dann ganz klar:»Ich liebe Margarita.«
Im Hintergrund hörte man einen leisen Aufschrei. Margarita stürzte nach vorn an den Tisch und fiel vor ihrem Vater auf die Knie. Pebas zog das Kinn an.
«Also doch«, sagte er tonlos.
«Ja.«
«Ich liebe ihn auch, Vater!«rief Margarita und umklammerte Pebas' Knie.»Wenn du ihn umbringst, dann töte mich gleich mit.«
«Ich habe zwei Töchter«, sagte Pebas langsam.»Zwei herrliche Töchter. Das Schönste, das einem Vater beschert werden kann. Gottes Segen nennt man so etwas. Aber was ist daraus geworden? Die eine ist eine verdammte Hure, die ihre Schönheit für Pesos und Smaragde verkauft, die andere.«
«Ehe du weitersprichst«, fiel ihm Dr. Mohr ins Wort. Er hielt seine Faust über den Tisch.»Wenn der eigene Vater nicht an die Ehre seiner Tochter glaubt, bringe ich ihm das bei! Jetzt weiter, Adolfo.«
Pebas atmete schnaufend durch die Nase.»Du bist ein Studierter, sie ist die Tochter eines Guaquero! Das geht nicht gut!«
«Ich liebe einen Menschen, nicht seine Herkunft!«
«Rederei! Du gehst zurück in die Stadt, in das reiche Leben, zu Tausenden von eleganten, gebildeten Frauen, was soll Margarita da? Sie ist eine Orchidee, die in dieser Luft verkümmert. Sie braucht keine andere Frau zu scheuen, aber man wird sie überall in deiner Welt auslachen, über sie spotten. Das schöne Sumpfgewächs aus den Bergen — keiner wird sie anerkennen, überall wird sie eine Fremde sein, nur geduldet, weil sie an deiner Seite ist. Unter Tausenden wird sie der Einsamste sein. Im Licht wird sie umherirren wie eine Blinde, und alle Blicke, die auf sie fallen, werden sie niederstechen, bis sie daran gestorben ist! Das soll ich mit meiner Tochter machen lassen?«
«Ich werde nicht weggehen! Ich baue hier mein Krankenhaus und bleibe bei den Guaqueros.«
«Und wenn ich meine grüne Ader finde? Du weißt, sie ist dort im Berg. Ich spüre sie wie ein Jucken auf der Haut, ich rieche sie fast. Was ist dann? Endlich kann ich mir dann ein Leben als Millionär leisten. Du aber willst mit Margarita in dieser Hölle zurückbleiben? Nie, Pete, nie lasse ich das zu!«
«Was willst du eigentlich, Adolfo?«Dr. Mohr beugte sich über den Tisch. Das war gefährlich, denn damit kam er in die Griffnähe von Pebas. Aber Adolfo dachte nicht daran, blitzschnell seine Hände um Dr. Mohrs Hals zu werfen. Er streichelte den Kopf seiner Tochter, die sich an seine Knie preßte.»Einmal bist du der Vogelfreie, das andere Mal träumst du von Millionen! Aber was man auch sagt, es ist immer falsch!«
«Wir reden noch darüber, Pete!«
«Es wird sich nichts ändern: Ich liebe Margarita.«
«Du willst sie heiraten?«
«Natürlich. Sobald das Krankenhaus fertig ist und Pater Cristo-bals Kirche steht. Er wird uns trauen.«
«Ich fürchte«, sagte Pebas dunkel,»das Krankenhaus wird nie fertig werden!«