Es regnete. Regnete ohne Unterlaß. Es regnete neun Tage lang. Neun Tage gab es nur eine graue, untergehende Welt. Neun Tage eine Dämmerung, aus der das Wasser rauschte.
Die Straßen wurden unpassierbar, aus den Bergen schossen me-terhoch die zu Flüssen verwandelten Bäche, in der Stadt stand das Wasser kniehoch und konnte nicht mehr ablaufen, Autokolonnen kamen zurück und berichteten, daß Penasblancas abgeschnitten sei. Der Weg nach Bogota war versperrt, Brücken waren weggerissen, die breite Straße unterspült und eingesunken. Nur über Funk war noch eine Verbindung zur Außenwelt möglich. Die Telefonleitungen hingen zerfetzt an den umgerissenen Masten. Und aus den Bergen wälzte sich ein alles erstickender Brei aus Lehm, Steinen und Gehölzen, eine Lawine, die Stück für Stück das Land unter sich begrub.
An diesem neunten Tag kam Leutnant Salto nach oben in die erste Etage, wo Dr. Mohr und Margarita wohnten.
«Ein Funkspruch aus Muzo«, sagte er bedrückt.»Ich muß es Ihnen sagen, Doctor. Zwei Hubschrauber haben gestern unter lebensgefährlichen Bedingungen die Gebiete abgeflogen, die am meisten von der Katastrophe betroffen sind. Sie… sie waren auch bei Ihnen.«
Dr. Mohr starrte den jungen Leutnant an. Sein Herzschlag setzte aus. Er spürte, wie Margaritas Hand nach ihm tastete.
«Sprechen Sie es aus.«, sagte Dr. Mohr mühsam.
«Sie konnten nichts mehr sehen. Nur Wasser und Geröll. Der halbe Berg muß heruntergebrochen sein. sie. sie sind so tief geflogen, wie es möglich war. Sie haben nichts mehr erkennen können. kein Hospital, keine Kirche.«
«O mein Gott!«Dr. Mohr schloß die Augen. Margarita umarmte ihn, preßte sich an ihn und versuchte, ihn mit ihren Lippen, die über sein Gesicht tasteten, zu trösten. Jetzt sind wir allein, dachte sie. Du und ich! Ganz allein. Kein Vater mehr. Keine Mama. Keine Schwester. Der Berg hat uns alle vernichtet. Dieser verfluchte Berg, in dem Millionen liegen, wie Vater glaubte. Er war stärker. Er hat gesiegt.
«Nur noch Geröll?«
«Das ganze Gebiet!«Leutnant Salto schluckte krampfhaft.»So etwas hat man noch nicht gesehen! Da hat niemand überlebt. Da darf man nicht mehr an Wunder glauben.«
Am fünfzehnten Tag ließ der Regen endlich nach und ging in ein leises Rieseln über. Der Himmel war noch immer eine unendliche graue Masse, die um die Erde geschlungen war wie ein Sacktuch. Aber es war etwas heller geworden. Die Sonne, irgendwo in der nassen Weite schwimmend, kämpfte sich mit ihrem Licht durch.
Längst wußte die ganze Welt, was in den kolumbianischen Bergen passiert war. Fernsehreporter hatten von der Luft aus die Katastrophe gefilmt, die Regierung riefüber das Kordillerengebiet den Notstand aus, Militär wurde zusammengezogen, um die Geröllberge zu erobern und nach Überlebenden zu suchen. Befreundete Staaten schickten Medikamente, Zeltstädte, Ärzte, Nahrungsmittel; man lagerte sie zunächst in Bogota, wohl in der weisen Erkenntnis, daß es andere notleidende Gebiete in Kolumbien gab als ausgerechnet die Minengebiete mit dem unbekannten Heer der Rechtlosen und Vogelfreien. Auch die Kolonnen mit den Baggern und Raupenfahrzeugen wurden zunächst nur bis Muzo und Cosques gefahren, bildeten dort einen riesigen Fuhrpark und warteten ab.
Was sollte man mit Baggern gegen ein Gebirge ausrichten? Lohnte es sich überhaupt, die im normalen Zustand schon halsbrecherischen Straßen wieder freizuschaufeln? Für wen denn? Für die Gua-queros? Millionen Pesos für diese zerlumpten Burschen hinausschleudern? War es nicht ihr eigener Wunsch gewesen, in den verlassenen Minen zu wühlen? Hatte die Regierung nicht das Interesse an diesen Smaragdbergwerken verloren? Und: Bestahlen nicht die Guaqueros den Staat jährlich um Millionen Dollar, indem sie die heimlich gefundenen Edelsteine über Wiederaufkäufer außer Landes brachten?
Eine Kommission flog das Katastrophengebiet ab. Sie kam zu der Ansicht, daß man zwar ein Überschwemmungsgebiet — wie in Indien — wieder nutzbar machen konnte, daß es einfach war, ein Erdbebengebiet — wie in Marokko — zu sanieren, daß es aber völlig undurchführbar war, weite Berggegenden, die von abgerutschten Bergen zugeschüttet waren, auszugraben, nur zu dem einen Zweck, die Landschaft wieder wie früher herzustellen.
In einer langen Karawane mit Mulis oder zu Fuß, mit Karren oder mit Tragestangen kamen die Überlebenden aus den Felsschluchten. Elendsgestalten, vor Entkräftung schwankend. Kaum jemand war unverletzt. Die meisten hatten sich schwere Prellungen, offene Wunden, Quetschungen oder Brüche zugezogen. Sie strömten aus der zusammengebrochenen Hölle, belagerten Penasblancas, Muzo, Chi-vor und Cosques, errichteten Flüchtlingslager am Rande der kleinen Städte und brachten Terror mit.
Innerhalb von 36 Stunden stieg die Mordrate um das Dreifache. Aus Bogota rückten neue Militäreinheiten und ein Polizeibataillon mit Panzern an. Die Lager wurden mit Stacheldraht eingezäunt. Aus den Gefangenen der Berge wurden die Gefangenen der Städte. Fahrbare Küchen versorgten vor allem Frauen und Kinder. Die Männer wurden zum erstenmal in ihrem Leben registriert, fotografiert und zu Arbeitskolonnen unter Militärbewachung zusammengestellt. Ein sofort erlassenes Sondergesetz regelte diese Neuerung.
Jeden Tag standen Margarita und Dr. Mohr stundenlang an den Auffangstellen von Penasblancas, wo die Flüchtlinge aus den Bergen sich melden mußten. Unermüdlich gingen sie von Zelt zu Zelt und fragten:»Habt ihr etwas gehört von Adolfo Pebas? Hat einer Pater Cristobal gesehen? Wo sind hier Männer aus der >Burg Weiß einer, wo Dr. Simpson geblieben ist?«Viele kannten diese Namen — sie hatten bereits einen sagenhaften Klang bekommen —, aber niemand konnte sagen, was aus den Personen geworden war. Ein Schwerverletzter, der in einer Hängematte, von seinen beiden Söhnen getragen, herausgebracht worden war, sagte stockend:
«Sie sind der Medico, nicht wahr? Der einzige hier draußen, der uns liebte. Wie gut, daß wenigstens Sie noch da sind.«
«Und. und die anderen?«fragte Dr. Mohr mit Mühe.
«Kommen Sie zu uns zurück Doctor?«
«Ja. Bestimmt. Jetzt baue ich ein richtiges, großes Krankenhaus
für euch. - Wo sind Pater Cristobal, Dr. Simpson und die anderen?«
«Ihr Gebiet, Doctor, war am schlimmsten dran. «Der Alte hustete und verzerrte das Gesicht vor Schmerzen.»Alles war ja unterhöhlt. Mine an Mine… die Berge waren ja von innen her morsch, leer, Hohlräume… alles nur eine starre Haut. Das ist alles zusammengebrochen. da ist die Welt untergegangen, Doctor.«
Am nächsten Tag kam Major Gomez mit einem großen Hubschrauber nach Penasblancas. Man hatte ihm das Kommando über das ganze Gebiet übertragen, und er griff hart durch. Seit zwei Tagen liefen die Erschießungen aller Plünderer und Totschläger. Im Schnellverfahren wurden sie verurteilt und dann an Ort und Stelle hingerichtet.
«Anders geht es nicht!«sagte Gomez kalt.»Wir kehren zurück ins Mittelalter. Ich lasse die Toten zur Abschreckung einfach liegen! Das ist die einzige Sprache, die verstanden wird!«Er nickte zu dem Hubschrauber hinüber.»Wollen Sie mitfliegen, Doctor?«
«Zu… zu mir.?«fragte Dr. Mohr leise.
«Ja. Wenn wir es können, landen wir bei Ihnen. Ich habe Fotos gesehen. Die Schlucht hinter Ihrem Hospital gibt es nicht mehr. Sie ist voller Geröll. Der Berg vor Ihnen, wo Pebas und die anderen wohnten und arbeiteten, ist zur Hälfte abgebrochen. Das Tal mit der >Burg< gibt es auch nicht mehr. Dort steht ein neuer Hügel wie eine Insel in einem See, denn die Ausgänge des Tals sind ebenfalls verschüttet worden. Da hat sich so etwas wie eine Talsperre gebildet.«
«Also keine Hoffnung mehr. «Dr. Mohr starrte in den grauen Himmel mit dem leisen, jetzt fast zärtlichen Regen.
«Wir sollten so stark sein, Doctor, und uns sagen: Als der Berg abbrach, war es ein schneller Tod.«
Zwei Stunden später kreisten sie über die Stelle, an der einmal das Hospital und die kleine Kirche gestanden hatten. Es gab nur noch Felstrümmer, nur noch rauschende Wasser, nur noch einen Berg, dessen ganze Flanke aufgerissen war und aus dessen Wunden jetzt mehrere Wasserfälle auf das Plateau stürzten, das keines mehr war.
So tief wie möglich ging der Hubschrauber hinunter und überflog das Chaos. Dr. Mohr starrte sprachlos auf die Verwüstung, auf diese Urweltlandschaft, die hier entstanden war.
«Wir können nicht landen«, sagte Major Gomez leise und legte die Hand auf Mohrs Arm.»Das Wasser reißt uns mit. Können Sie noch etwas erkennen?«
«Nichts. «Dr. Mohr schüttelte den Kopf.»Er hat es geahnt.«
«Wer?«
«Cris.«
«Der Pater?«
«Er nahm Abschied, als sei es für immer. Kann man so etwas ahnen?«
«Das nicht. es sei denn, man hat die Gabe, Dinge vorauszusehen. Es soll solche Menschen geben. War der Pater so einer?«
«Er hat nie darüber gesprochen. Aber jetzt glaube ich, er hat oft mehr gewußt, als er sagen konnte. «Dr. Mohr drückte sein Gesicht gegen die Glaskanzel.»Dort muß das Hospital gestanden haben«, sagte er heiser.»Dort die Kirche. Da war das Bettenhaus. voll belegt. 43 Kranke, alle gehunfähig. Man kann es nicht fassen.«
Sie kreisten noch einmal über das Gebiet, überflogen den neuen See, wo einmal die >Burg< gewesen war, und drehten dann ab nach Muzo. Unter ihnen zog ein Land vorbei, das kein Gesicht mehr hatte, aber aus den Sprüngen und Rissen sprudelte das Wasser. Eine zerstörte Welt weinte.
«Was werden Sie jetzt tun?«fragte Gomez, als sie die Berge verlassen hatten. Das flachere Land unter ihnen glich einem See mit vielen Inseln. Auf zwei noch gangbaren Straßen zogen immer neue Kolonnen aus den Bergen. Überlebende, die das Wunder ihrer Rettung selbst kaum begriffen.»Bleiben Sie in Bogota?«
«Ich bleibe in Penasblancas.«
Gomez starrte Dr. Mohr an, als habe dieser einen Rundumschlag ausgeteilt.
«Habe ich mich verhört?«fragte er gedehnt.
«Nein! Ich fahre morgen nach Bogota, um Nuria und die Kin-der abzuliefern und einige private Dinge zu erledigen. Dann kehre ich mit Margarita nach Penasblancas zurück. Sie wird dann Senora Mohr heißen.«
«Mohr? Wieso Mohr?«
«Ich bin kein Kolumbianer, Major. Morero war ein falscher Name.«
«Du lieber Gott! Tun Sie mir das nicht an und seien Sie ein Krimineller! Wer sind Sie? Sind Sie überhaupt Arzt?«
«Ich heiße Mohr. Dr. Peter Mohr. Chirurg aus Hamburg.«
«Ein Deutscher!«
«Ja!«
«Daher die Sturheit! Jetzt kann ich mir auch erklären, warum ich mich immer über Sie gewundert habe. Jeder andere hätte in Ihrer Situation hundertmal gesagt: Leckt mich doch am Arsch! — und wäre gegangen. Aber nein. Sie wurden noch dickköpfiger! Ein Deutscher! Und Sie wollen zurück zu diesen Verrückten?«
«Ja. Jetzt brauchen Sie mich noch mehr als vorher!«
«Haben die grünen Steine Sie auch verzaubert?«
«Nein, Major. «Dr. Mohr lehnte sich zurück.»Ich habe immer geglaubt, ich sei ein harter Bursche. Vielleicht war ich das auch, für europäische, für normale Begriffe. Wer legt denn bei uns diese Maßstäbe wie hier in den Kordilleren an! Und plötzlich entdecke ich, daß ich auch sentimental sein kann.«
«Sie? Das ist ein Witz, Doctor!«
«Ich muß hier bleiben, Major; wegen Pater Cristobal, wegen Simpson, wegen Pebas und Maria Dolores, wegen all der Kranken, die dort oben unter den Geröllhaufen liegen, wegen des halbblinden Pepe Garcia, der mit seiner Höhle in die Schlucht stürzte, wegen der Männer von der >Burg<. Sie erwarten von mir, daß ich nicht aufgebe, daß ich nicht flüchte vor der Natur, daß ich nicht so feige bin, den Fluch der grünen Steine zu glauben. Sie erwarten, daß ich weitermache und wieder aufbaue, was sie mit mir geschaffen haben. Das ist meine Sentimentalität, Major. Ich werde in Bogota von Minister zu Minister gehen, ich werde Klinken putzen, betteln, die Menschen überzeugen. Ich will ein neues großes Hospital bauen und den Vergessenen eine Heimat schaffen.«
«Mit Ihnen kann man nicht diskutieren«, sagte Major Gomez beleidigt und wandte sich ab. Der Hubschrauber ging tiefer, unter ihnen lag der Militärflugplatz von Muzo.
«Sie zerhämmern einem das Herz und betäuben die Vernunft, Doctor, lohnt sich das denn?«
«Es lohnt sich immer, wo ein Mensch gerettet werden kann. Ein Mensch, Major — und hier sind es Tausende.«
Juan Zapiga wartete in einem kleinen Hotel auf Nuria und die Kinder. Weinend fielen sich alle in die Arme, und dann saßen sie in einer der Kirchen von Bogota vor dem Altar und beteten für die Seelen ihrer drei Kinder, die sie den grünen Steinen geopfert hatten.
Seinen Riesenfund hatte Zapiga noch bei sich. Er mißtraute jedem, selbst den Banken mit ihren Stahltresoren. Mit der Maschinenpistole im Arm schlief er auf dem Millionenstein. Am Tag band er den Ledersack um seinen Leib und ließ ihn zwischen den Beinen schaukeln.
Ewald Fachtmann, Mohrs Freund, der eigentlich an allem schuld war, raufte sich die Haare und beschwor Mohr, sofort nach Hamburg zurückzufliegen.»Nimm Margarita mit und hau ab!«sagte er eindringlich.»Junge, laß dich bloß nicht auf diese Geschäfte ein, davon verstehst du nichts! Soll dieser Zapiga seinen Stein allein losschlagen. Du läßt die Finger davon! 200 Karat an einem Stück! Das ist ja Wahnsinn! Dafür machen sie hier eine Revolution! Und du willst ihn auf den Markt bringen! Das ist Irrsinn!«
«Ich will mit Camargo sprechen. Vereinbare mit ihm einen Termin.«
«Othello… das ist Selbstmord! Du stehst sowieso auf seiner Liste, nachdem bekannt geworden ist, daß Hospital und Kirche auch Smaragdsammelstelle werden sollten. Und jetzt rückst du an mit 200 Karat!«»Und einem harten Preis.«
«Wir fahren nachher in die Stadt und suchen dir einen schönen geschnitzten Sarg aus. Dann kaufen wir eine Grabstelle und melden dich zur Beerdigung an.«
«Wenn du zu feige bist, komme ich auch ohne dich an Don Alfonso heran.«
«Warum kann dieser Zapiga den Stein nicht allein losschlagen?«
«Eben aus den von dir erwähnten Gründen. Man würde ihn sofort umbringen.«
«Ist das dein Bier?«
«Meine ganze Brauerei! Ich erzähle es dir später. Dieser verdammte Stein hat drei Kindern das Leben gekostet, zwei waren mir anvertraut! Das muß Don Camargo mitbezahlen.«
«Du redest schon wie ein Guaquero!«rief Fachtmann entsetzt.»Du mußt sofort zur Heilung nach Deutschland zurück!«
«Wenn der Stein verkauft ist, kannst du mich in Penasblancas besuchen. Du brauchst dazu keine schußsichere Weste mehr, Penasblancas ist so sicher wie Eppendorf geworden.«
«Es war eine hirnrissige Idee, dich nach Kolumbien zu holen«, sagte Fachtmann erschöpft.»Aber wer konnte ahnen, daß aus dem flotten Othello von Heidelberg ein Missionar mit Märtyrerambitionen wird? — Also gut! Ich rufe Don Camargo an und wasche meine Hände in Unschuld.«
Am Nachmittag stand Dr. Mohr wieder nach etlichen Kontrollen in dem großen Zimmer und setzte sich, als aus dem versteckten Lautsprecher die Stimme Camargos klang. Sie war neutral, höflich. Es war ein Genuß, sein reines Spanisch zu hören. Ein vollendetes Kastilianisch.
«Sie leben also!«sagte Camargo.»Wunder geschehen demnach doch noch! Ich hatte große Hoffnung, Sie für immer begraben zu sehen.«
«Leider muß ich Sie enttäuschen, Don Alfonso. Auch wenn es nur ein Zufall ist, daß ich hier sitze.«
«Der Pater.«
«Tot. Alle verschüttet oder ertrunken. Von dem Felsen erschlagen.«»Ich habe Bilder im Fernsehen gesehen. Es wird Monate dauern, bis die ersten Minen wieder arbeiten können. Ein Millionenverlust.«
«Der größte Stein, der jemals gefunden wurde, ist aber herausgebracht worden.«
«Es stimmt also doch.«
«Es stimmt. Ich habe ihn selbst in der Hand gehabt.«
«Sie?«Camargos Stimme hob sich.»Sie wissen, wo der Stein ist?«
«Ja.«
«Wo?«
«Bei mir!«
Einen Augenblick war es still. Dr. Mohr spürte ein Frösteln über seinen Rücken laufen. Dann war Camargos Stimme wieder da.»Wenn ich wüßte, daß Sie ein ehrlicher Mensch sind.«
«Ich habe es übernommen, den Stein zu verkaufen. Der Finder ist ein anderer. Er hält sich versteckt. Der Stein ist in Sicherheit. Über 200 Karat. feinstes Grün, größte Klarheit. Was bieten Sie, Don Alfonso?«
«Ich kann Sie spurlos verschwinden lassen, Doctor«, sagte Camargo kühl und vornehm.»Niemand wird nach Ihnen suchen.«
«Das können Sie! Aber davon haben Sie den Stein nicht. Er liegt in einem Safe. Alle Folterungen und auch mein Tod nutzen Ihnen gar nichts. Wir müssen schon verhandeln.«
«Ich kaufe nicht blind. Ich muß den Stein sehen.«
Dr. Mohr lächelte breit.»Das ist doch nicht ihr Ernst, Don Alfonso. Ich bürge für diesen Smaragdberg! Wenn das Geld, das wir aushandeln, auf einer Bank in New York liegt, bringe ich Ihnen den Schlüssel des Tresors.«
«Sie sind verrückt, Doctor!«
«12 Millionen Dollar.«
«Unser Gespräch ist beendet.«
Dr. Mohr erhob sich aus seinem Sessel und verbeugte sich knapp zu irgendeiner Zimmerecke hin. Er wußte, daß Camargo ihn über einen Monitor genau beobachtete.
«Ich kehre übrigens nach Penasblancas zurück. Trotz Ihrer Kreatur Christus Revaila.«
«Bleiben Sie, Dr. Morero!«
Dr. Mohr drehte sich an der Tür wieder um.»12 Millionen Dollar.«
«Was ist mit Revaila?«
«Darüber könnte ich Ihnen eine Menge erzählen. Haben Sie den Auftrag gegeben, mich zu töten?«
«Nein.«
«Dann haben wir schon einen ungeklärten Punkt! Es gibt viele, Don Alfonso. Im übrigen bedaure ich, daß Sie Ihre KrankenhausInvestition verloren haben. Es war nicht meine Schuld. Das war die letzte Rache der grünen Steine. Alle Berge waren durch die Minen ausgehöhlt und brachen bei diesem Unwetter zusammen. So wie ein Deich, der von Kaninchen durchwühlt ist, bei einer Sturmflut bricht.«
«10 Millionen Dollar, Doctor.«
«12 Millionen, Don Alfonso. Wenn Sie diesen Stein sehen, diese grüne Sonne in Ihrer Hand, setzt zunächst Ihr Herzschlag ein paarmal aus.«
«Ich lasse mich nicht erpressen!«sagte Camargo stolz.»Was verstehen Sie schon von Steinen?«
«Wenig! Aber ich verstehe etwas von Toten! Und dieser Stein kostete bisher drei Leben. Drei kleine, unschuldige Kinderleben. Das macht ihn in meinen Augen eigentlich unbezahlbar!«
«12 Millionen.«, sagte Don Camargo kalt.»Akzeptiert. Aber wenn Sie mich betrügen, Doctor.«
«Mein Kopf ist jederzeit bereit, hingehalten zu werden. Ich gebe Ihnen das New Yorker Konto telefonisch durch.«
«Wann kehren Sie nach Penasblancas zurück?«
«Sobald ich die Gewißheit habe, daß ein neues Hospital gebaut wird. Ab morgen beginne ich mit der großen Betteltour.«
«Ich werde Sie bei dem Finanzminister anmelden, Doctor. Zufrieden?«
«Sehr!«Dr. Mohr blickte sich um, aber er sah keine Kamera.
«Warum tun Sie das alles für mich, Don Alfonso? Es widerspricht allem, was man von Ihnen hört.«
«Ich weiß es auch nicht, Doctor. «In Camargos Stimme lag ein zurückgehaltenes Lächeln.»Ich habe einen Narren an Ihnen gefressen… vielleicht, weil Sie wirklich ein Narr sind.«
Im Lautsprecher knackte es. Das Gespräch war beendet. Langsam, unbehelligt, vom Portier ehrfurchtsvoll begrüßt, verließ Dr. Mohr das große Bürohaus in der Emerald-Street. Ewald Fachtmann wartete in seinem Wagen auf dem Parkplatz und hüpfte vor Freude herum, als er Dr. Mohr lebendig herankommen sah.»Du hast ihn gesprochen?«schrie er und umarmte seinen Freund.»Und man trägt dich nicht in einem Zinksarg weg? Wie ist es gelaufen?«
«Zapiga, Nuria und die Kinder werden ein schönes Leben haben«, sagte Dr. Mohr. Seine angespannten Nerven lösten sich. Eine niederdrückende Müdigkeit überkam ihn. Er setzte sich in den Wagen, lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen.»Ich bekomme vielleicht ein neues Hospital, und es wird sich kaum etwas ändern zwischen Muzo und Penasblancas. Tausende werden wieder in die Berge ziehen, nach den grünen Steinen graben und auf den großen Fund hoffen. Nur eins wird anders sein: Sie werden einen kleinen Ort haben, wo noch Menschlichkeit ist.«
«Bei dir. «Fachtmann setzte sich hinter das Steuer.»Junge, das ist ein Einsatz, der sich nie auszahlt!«
«Er hat sich schon bezahlt gemacht. «Dr. Mohr hielt die Augen geschlossen, auch als Fachtmann jetzt anfuhr und sich hupend in die Autoschlange einfädelte. Er dachte an Pater Cristobal, an den versoffenen Dr. Simpson, der ein so fabelhafter Arzt war, an Adolfo Pebas, Maria Dolores, Pepe Garcia, Miguel, den Boxer, Dr. Novarra und die Männer aus der >Burg<, die der Berg verschlungen hatte. aber er dachte auch an Leutnant Salto und Major Gomez, an Zapiga, Nuria und die Kinder, an Margarita, die bald seine Frau sein würde, an all die Frauen, Männer, Kinder und Greise, die in Zukunft zu ihm kommen würden und seine Hilfe brauchten. Eine Welt im Abseits, randvoll mit Schmerzen und unerwiderter Liebe.
«Ich freue mich auf das Morgen«, sagte er langsam.»Jeder Tag ist ein Abenteuer, und inmitten von allem steht der Mensch. Was gibt es Schöneres, als am Menschen zu arbeiten? Ich habe dort oben in den Bergen gelernt, anders zu denken. Die Welt hört nicht in Penasblancas auf. Jenseits der Alltäglichkeit wohnen auch noch Menschen.«