Drei Wochen sind auch in den Bergen von Penasblancas kurz, wenn sie vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung mit harter Arbeit angefüllt sind.
Die Kolonnen aus der >Barg< schufteten wirklich. Das Hospital wuchs von Tag zu Tag mehr aus dem Boden. Erst die Grundmauern, dann das Dach, dann die Zwischenwände. Es wurde ein größerer Komplex, als Dr. Mohr vorher geplant hatte. Novarra war stolz und zeigte es auch.
«Natürlich ist es kein Luxusbau«, sagte er, wenn er die Wände aus Felssteinen und rohen Brettern betrachtete.»Aber es ist ein festes Haus. Und es zieht nicht. Wir haben alle Ritzen mit Lehm und einem Erde-Pflanzenbrei ausgeschmiert. Der wird hart wie Beton, sage ich Ihnen. Auch das Dach hält 100 Jahre. Massive Stämme mit Steinen! Wenn Ihre modernen Kliniken in der Stadt längst verwittert sind und der Putz abbröckelt, können Sie hier noch immer im Trok-kenen sitzen!«
Wer in den Minen entbehrlich war, arbeitete jetzt am Bau. Aber nicht nur am Hospital. Nebendran wuchs auch Pater Cristobals Kirche in die Höhe. Er hatte sie als Rundbau angelegt und sogar einen Glockenturm konstruiert, ein Gerüst aus langen, dicken Stämmen, das oben spitz zusammenlief und an dem an einem Querbalken die Glocke schwingen sollte. Hier turnte zuletzt Miguel herum, der Kräfte wie ein Bulle entwickelte, brüllte Kommandos, zog an Tauen das Material herauf und ließ an besonders schönen Tagen, wenn er gut gelaunt war, seine mächtige Stimme über den Bauplatz schallen. Nur sang er keine Kirchenlieder, auch wenn er auf dem Dach der Kirche hockte, er gröhlte die frivolen Lieder aus >Mamas< Bar, bis Adolfo Pebas mit Rücksicht auf Margarita drohte, ihn vom Dachfirst zu schießen, wenn er mit den Schweinereien nicht aufhörte.
Unterdessen ging der Alltag weiter. Dr. Mohrs >Praxis< begann zu blühen. Es hatte sich schnell herumgesprochen, daß der verrückte Medico wirklich umsonst behandelte, einerseits ein lieber Mensch sei, oft jedoch sehr grob zu seinen Patienten war, vor allem dann, wenn sie ungewaschen zu ihm kamen. Dann kannte er keine Gnade.
«Du stinkst!«hatte er zum Beispiel den gefürchteten Piero Tomasso angebrüllt, als dieser, vom Husten geschüttelt, zu Dr. Morero gekommen war.»Ein Bock ist ein Parfümladen gegen dich! Los, wasch dich und dann komm wieder!«
Tomasso wollte protestieren, aber da war noch dieser Dr. Simpson. Den kannte man lange genug — und dieses trocken gelegte Saufloch klopfte auf zwei Revolver im Gürtel. Also badete sich Tomasso, wurde behandelt und verlor nach drei Tagen seinen Husten. Das war eine Reklame! Schon in der zweiten Woche standen die Patienten an, bildeten eine lange Schlange und warteten geduldig.
Dr. Mohr hatte den Vorbau der Pebas' zu seinem notdürftigen Ordinationszimmer umgestaltet. Hier arbeitete er an einem neuen Tisch, assistiert von Simpson, der außerdem mit Mohrs Kleinbildkame-ra von jedem Patienten eine Porträtaufnahme machte. Margarita hatte sich in wenigen Tagen zu einer guten Hilfe eingearbeitet, reichte an, rieb die Körperstellen, wo Injektionen gesetzt werden sollten, mit Alkohol ein, tröstete Mütter, die Angst um ihre Kleinen hatten, beruhigte die Kinder, die weinten, nahm die Namen der Patienten auf und führte die Kartei. Dr. Mohr war verblüfft, wie schnell sie das alles lernte, wie mühelos ihr alles von der Hand ging und wie wenig sie ermüdete. Oft waren es zehn Stunden, die er unter dem Pebas-Vorbau stand und die wartenden Kranken versorgte, bis der Abend wie mit einem Messer den Strom der Patienten abschnitt. Das war merkwürdig, aber Pebas hatte eine Erklärung dafür:»Bei Dunkelheit geht niemand mehr hinaus«, sagte er.»Es sei denn, es wäre wirklich dringend. Alle, die zu dir kommen, Pete, haben Smaragde bei sich, in die Taschentücher geknotet, am Körper versteckt. Jeder nimmt seinen Reichtum mit. Man traut nicht der eigenen Mutter in der Hütte. Jeder weiß das von jedem. Da kann man doch nicht mehr in der Nacht weggehen. Man käme nie da an, wo man hinwollte!«
Die schwerste Aufgabe hatte Maria Dolores Pebas übernommen: Sie wartete neben einem dampfenden Kessel voller Tee mit Rum auf die Überweisung ihrer Patienten. Das waren grundsätzlich die starken Männer, die Riesenbrocken mit Stahlmuskeln, die Kerle, die vor Kraft nur schaukelnd gehen konnten. Wenn sie nämlich beim Medico an die Reihe kamen, die Spritzen erblickten, die langen dünnen Nadeln, die der Doctor gleich irgendwo in sie hineinstechen würde, wenn sie den leichten Äthergeruch einatmeten und die blinkenden Instrumente auf dem sauberen Handtuch ausgebreitet liegen sahen, überflutete sie ein heftiges Zucken, ihre Augen wurden weit und rund, die Haut bleichte plötzlich aus. und dann, gleich nach dem Einstich der Injektionsnadel, geschah es: Sie verdrehten die Augen und knickten in den Knien ein. Simpson fing die Muskelberge auf, kippte sie zu Maria Dolores' Seite auf eine Pritsche und sagte:»Noch ein Held!«
Dann griffMutter Pebas ein, ließ ihre schnelle Hand ein paarmal klatschend über die bleichen Gesichter sausen, wartete die ersten Reaktionen ab und flößte den gefällten Riesen dann den belebenden Tee mit Rum ein.
«Ein guter Medico«, erzählte man überall in den Bergen von Muzo.»Ein Herz für die Leidenden hat er! Gott hat uns doch nicht vergessen.«
Auch das war wahr. Der Gang zum Arzt führte nach der Behandlung notgedrungen bei Pater Cristobal vorbei. Notgedrungen deshalb, weil der Pater mit provozierender Miene vor seinem Bretterverschlag stand, den er >Kirche< nannte, und jeden musterte, der vom Medico herauskam. Es war unmöglich, sich zu verdrücken. Entweder rief der Pater selbst:»Ha! Nicht nur der Leib, auch die Seele ist krank!«Oder:»Auch dich sieht Gott!«Da blieb keine andere Wahl, als zu ihm abzuschwenken. Oder Miguel faßte ganz Unangenehme beim Kragen, hielt sie wie eine nasse Katze hoch und schrie:»Gesund werden und Gott nicht danken, das haben wir gern! Bekreuzige dich, du Ferkel!«
So hatte jeder vollauf zu tun. Streit gab es nur, wenn Simpson fotografierte. Dann rissen einige die Hände vors Gesicht oder drehten sich weg. Mit gutem Grund, das wußte Dr. Mohr. Noch existierte kein Foto dieser Galgengesichter, und sie wollten auch keine gemacht haben. Dr. Mohr jedoch blieb stur.
«Ohne Foto keine Behandlung.«
«Ist das hier ein Arzt oder ein Staatsanwalt?«brüllte einmal ein Mann. Ausgerechnet er kam mit einer entzündeten Wunde zu Dr. Mohr. Die Kugel saß noch im Muskel.»Legt man hier eine Kartei an?!«
«Genau das!«Dr. Mohr winkte.»Der nächste! Diskutieren kostet Zeit.«
«Der nächste bin ich!«brüllte der Mann. Er zog plötzlich eine Pistole und drückte sie Dr. Mohr gegen den Leib. Die Umstehenden schrien auf. Margarita ließ ein Glas fallen.»Von mir wird kein Foto gemacht! Ein Arztbauch ist wie jeder Bauch, das garantiere ich. Der verdaut auch keine Kugel! Also, was ist? Fangen wir an, Quack-salber!«
Niemand rührte sich. Alle starrten auf die Pistole. Nur Maria Dolores, im Rücken des wildgewordenen Mannes stehend, tauchte einen Krug in den kochenden Tee, erhob sich und goß ihn über den Kopf des Mannes aus.
Mit einem tierischen Gebrüll taumelte er zurück, direkt in die Faust von Dr. Simpson hinein. Fast gleichzeitig stürmten Dr. Novarra und Pater Cristobal herein. Die Menge der Wartenden wich zurück.
«Sieh an!«sagte Novarra laut.»>Harald der Wikinger
«Halt! Wohin?«Dr. Mohr kam um den Behandlungstisch herum. Harald hockte auf Maria Dolores' Pritsche, war sehr kleinlaut geworden und starrte Dr. Novarra abwartend an. Seine Haut brannte höllisch. Schulter und Rücken glänzten rot.»Der Mann hat einen Schuß im Oberarm und jetzt auch noch Brandwunden dritten Grades.«
«Er wird in Kürze schmerzfrei sein.«
«Novarra!«
«Wollte er Sie umbringen oder nicht, Doctor?«
«Er spielte den eisernen Wikinger. Ihm tut's schon leid.«
«Tut's dir leid?«brüllte Novarra den Mann an.
>Harald der Wikinger< sah sich um. Er hatte einen Namen zu verlieren und antwortete deshalb gepreßt:»Nein!«
«Na bitte!«Novarra ging auf ihn zu, Harald duckte sich im Sitzen. Seine Augen glitzerten gefährlich. Der Bärtige schüttelte den Kopf.»Keine Vorfreude. Ich komme dir nicht in Griffnähe. Aber überleg mal, was du machen willst! Da draußen stehen jetzt 30 von meinen Männern. Gut, du kannst schießen. aber höchstens ein Magazin leer. Dann bleiben nur noch Fetzen von dir übrig. Oder du kannst hinausgehen und sagen: Ja, ich habe mich wie ein Rotz benommen. Dann üben wir mit dir einen bestimmten Satz, bis du ihn fließend sprechen kannst, nämlich: Lieber Medico, ich bitte vielmals um Verzeihung. Schwer, was? Aber man kann ihn aussprechen.
Nur Übungssache. «Novarra zeigte zur Tür.»Also, was ist? Pistole oder Sprechübung?!«
>Harald der Wikinger< erhob sich langsam. Er blickte Dr. Mohr nicht an, tappte zum Ausgang und wurde dort von Pater Cristobal und Novarras Männern in Empfang genommen. Dr. Mohr nickte Maria Dolores zu.
«Danke.«
Sie lächelte verhalten, setzte sich wieder neben ihren Teekessel und wartete. Dr. Simpson bebte noch immer am ganzen Körper. Margarita packte mit zitternden Fingern Tupfer aus und stapelte sie auf einem Nebentisch. Ihre Mundwinkel zuckten, als weine sie nach innen.
>Harald der Wikinger< kam nach zehn Minuten wieder. Man ließ ihn ohne Murren vor. Anscheinend hatte man ihm nicht zugesetzt, denn er wirkte keineswegs zerschlagen oder gezwungen. Dr. Mohr legte eine Pinzette, mit der er gerade einen dicken Kakteendorn aus einer stark entzündeten Wunde gezogen hatte, zur Seite.
«Ich bitte um Verzeihung!«sagte Harald mürrisch. Dr. Mohr lächelte breit.
«Hieß der Satz nicht anders?«
«So ähnlich!«Der bullige Mann atmete schnaufend durch die Nase.»Genügt das nicht?«
«Mir schon. Jetzt ein Foto?«
«Wenn's sein muß.«
Dr. Simpson fotografierte. Und weil es >Harald der Wikinger< war, sogar noch einmal im Profil.»Das hätten wir«, grinste er.»Ich hatte schon Angst, das Objektiv springt bei dieser Visage auseinander.«
«Muß ich mir das gefallen lassen?«fragte Harald dumpf.»Ehrlich, Doctor.«
«Ehrlich — nein! Aber wer ist hier ehrlich?«
Auch Harald bekam seine Spritzen, und er hielt stand.»In zwei Tagen zum Nachsehen!«sagte Dr. Mohr. Er hatte die Kugel herausgeholt, in Lokalanästhesie, und reichte sie Harald hin.»Kannst du dir als Amulett fassen lassen.«
«Da müßte ich bleierne Perlenketten tragen! Ich komme nicht wieder!«
«Wie du willst! Es ist dein Körper! Der nächste.«
So ging es drei Wochen lang, bis zu zehn Stunden täglich. In den Pausen fuhren sie zu Chica und ihrem kleinen Sohn, die sich beide kräftig entwickelten und Novarra vor Stolz glänzen ließen. In regelmäßigen Abständen erschien Juan Zapiga mit Frau und seinen zehn Kindern und sahen zu, wie Dr. Mohr den Ältesten, den stämmigen Pablo, behandelte. Es war leider wenig zu machen, man mußte auf das bestellte Material warten.
«Ich operiere sofort, wenn alles da ist, Pablo«, sagte er zu dem tapferen Jungen. Er konnte nur noch unter stärksten Schmerzen den Arm bewegen und schlief mit starken Dämpfangsmitteln.»Bis dahin können wir nur Tabletten schlucken.«
Abends, mit Blei in den Gliedern vor Müdigkeit, saßen dann die Pebas und Dr. Mohr um das Feuer und aßen. Alfonso lag nach langen Stunden im Kriechstollen wie geplatzt auf dem Rücken, ausgelaugt, eingefallen, mit vibrierenden Nerven. Die Ausbeute mancher Tage: ein paar winzige Steinchen. Oder gar nichts. Oder der Hoffnungsschimmer: Ich habe eine Verfärbung im Gestein gesehen. Ich muß vor einem Fund stehen! Noch einige Tage. dann bin ich dran.
Oft saß auch der obere Nachbar, der alte, halbblinde Pepe Garcia, mit ihnen am Feuer und erzählte, wie es vor dreißig Jahren in Penasblancas gewesen war.»Was ist mit meinen Augen?«Das war immer der Abschluß seiner Gespräche.»Bekommst du sie wieder hin, Doctor?«
«Ich weiß es nicht, Pepe«, antwortete Dr. Mohr immer.»Du solltest jedenfalls nicht mehr in die Mine gehen. Das Graben mit der Stirnlampe, das frißt deine Augen auf.«
«Wie kann ich aufhören? Wovon soll ich leben? Der verfluchte Berg ist meine ganze Welt.«
Seit Dr. Simpson bei ihnen war, hatten sie auch immer frisches Fleisch. Simpson war darin ein Genie. Er witterte Wild wie ein alter Indianer. Wenn es dämmerte, kündigte er seinen Assistentendienst, nahm sein Gewehr und verschwand in den Schluchten. Dann hörte man sein Schießen, und Maria Dolores setzte heißes Wasser auf, wetzte die Messer und wußte, daß es einen guten Braten geben würde.
Zu einem Problem wurde Jose Bandilla, der Revolutionär. Jeden Tag ließ sich Dr. Mohr die Augen verbinden, tappte hinter Dr. Novarra in die >Burg< und behandelte den lebenden Leichnam mit Kräftigungsspritzen und Vitaminen. Einen Tropf hatte Dr. Mohr nur dreimal gegeben.»Mehr geht nicht«, sagte er ehrlich.»Sie sind nicht der einzige Kranke, Bandilla. Ich brauche die paar Flaschen, die ich mitgebracht habe, auch für andere Fälle. Aber wenn aus Bogota mein Transport kommt, dann jubeln wir wieder vor Kraft! Wie fühlen Sie sich?«
«Besser. «Bandilla mußte es wissen, ansehen konnte man ihm noch nichts.»Nur ein Brennen im Magen fühle ich noch. Und dieser Durst! Ich könnte ein Meer aussaufen!«
«Appetit?«
«Nein. Ich kotze alles aus. Habe es versucht, gestern… umsonst.«
«Was haben Sie versucht?«
«Eine winzige Scheibe Schinken… gekochten Schinken zwar, aber.«
«Schinken? Und kein Ekel?«
«Ekel? Ich habe mich darauf gefreut. Aber er blieb nicht drin.«
«Na also!«sagte im Hintergrund Dr. Novarra.
«Bandilla, Sie haben keinen Krebs!«Dr. Mohr klopfte dem Revolutionär auf den Bauch, leicht und vorsichtig.»Da drinnen sieht's anders aus. Sie haben nach meiner Ansicht eine chronische Gastroenteritis mit weit fortgeschrittener Polyposis ventriculi.«
«Das klingt noch toller als Krebs!«brummte Novarra.
«Ist es aber nicht. Man hat Sie nur nicht behandelt, und der Körper macht nun nicht mehr mit. Wann waren Sie beim Arzt?«
«Nie!«
«Und darauf sind Sie stolz, was? Bandilla, wenn mein Material aus Bogota kommt, exerzieren wir, daß Ihnen die Schwarte kracht! In zwei Monaten laufen Sie wieder herum und sehnen sich nach einem Weib. So kräftig werden Sie sein.«
«Und dann übergeben Sie ihn dem Militär«, sagte draußen Dr. Novarra, nachdem er Dr. Mohr die Binde wieder von den Augen genommen hatte.»Das ist doch Ihr Plan.«
«Ja. Wer bewußt über 400 Menschen getötet hat, kann keine Gnade erwarten.«
«Eine schizophrene Welt ist das!«Dr. Novarra schüttelte den Kopf.»Pete, Sie päppeln sich da Ihren Mörder hoch.«
Nach drei Wochen war das Haupthaus des >Hospitals< soweit fertig, daß Dr. Mohr in ihm hätte arbeiten können, wenn aus Bogota das bestellte Material angekommen wäre. Ein paar Guaqueros, die nach Penasblancas ritten und dann zurückkamen, berichteten, daß Christus Revaila jeden, der den Namen Dr. Morero nannte, mit Morddrohungen bedachte. Er hätte jetzt eine Privatarmee von 178 Mann zusammen und sammele noch immer Anhänger. Es wäre unmöglich, ohne den Willen Revailas auch nur einen Schritt durch Penasblancas zu tun. Überall lauerten seine Kreaturen. Nur Mercedes Ordaz, die >Mama<, bildete eine Ausnahme: Sie hatte sich aus Bogota einen gepanzerten Chevrolet kommen lassen und fahr mit dem Luxusding durch eine fast tote, in Angst erstarrte Stadt. Ihre und Revailas Smaragdaufkäufer lieferten sich an der Straße nach Muzo jeden Abend eine Schlacht. Aber das brachte gar nichts ein. Im Gegenteil: Jetzt kam kaum noch jemand nach Penasblancas. Die Smaragdsucher blieben in den Bergen und warteten ab. Der Zufluß der grünen Steine versiegte bis auf ein Minimum. In Bogota tobte Don Camargo und drohte mit einer Strafexpedition. Christus Revaila wußte, was das bedeutete.
«Was ist mit dem Hospital?«schrie Camargo ins Telefon.»Sind die Lastwagen angekommen?«»Sie stehen hier, Don Alfonso«, sagte Revaila zögernd.
«Und?«
«Sie warten.«
«Worauf, du Idiot?«
«Daß dieser Arzt kommt und die Sachen abholt. Mit den Wagen kann man nicht in die Berge. Das wissen Sie, Don Alfonso.«
«Soll Dr. Morero die Kisten auf der Schulter wegschleppen?«
«Ich weiß es nicht.«
«Revaila, du bringst alles zu ihm. Mit Mulis. Noch diese Woche!«
«Da brauche ich 200 Mulis, Don Alfonso.«
«Und wenn es 300 sind. Ich verlange, daß alles unbeschadet abgegeben wird. Dr. Morero ist jetzt der König der Minen. Er weiß es bloß noch nicht. Das ist das Gute daran. Wir müssen ihn mit dem Material zudecken, daß er an nichts anderes mehr denkt als an sein Hospital. Revaila, miete alle Transportmittel, die es in Penasblancas gibt, und bring die Ausrüstung sofort in die Berge!«
Revaila sagte >Ja<, spuckte in die Ecke, was Don Camargo nicht sehen konnte, und legte auf. Ihm gegenüber am Tisch saß ein kleiner, dicker Mann mit einer Glatze und einer Knollennase. Er sah aus wie ein lieber, guter Onkel, den man fragen durfte: >Kaufst du mir ein Eis?<
Aber der runde Glatzkopf verkaufte kein Eis. Er war bekannt unter dem Namen Henry Duk, und wenn jemand rief:>Da ist Duk!< ging sofort alles in Deckung. Von seiner Tätigkeit konnte ein Grabkreuz-Fabrikant leben.
«Übermorgen!«sagte Christus Revaila.»Mit 170 Mulis, drei Jeeps und zehn Mann. Du weißt, er wird von den Kerlen aus der >Burg< bewacht.«
Henry Duk lächelte mokant und trank einen tiefen Schluck Bier aus der Dose.»Er wird gar nichts merken«, meinte er ruhig.»Da stirbt einer und weiß gar nicht, daß er nicht mehr da ist. Das geht lautlos wie ein Gedanke.«
Am frühen Morgen des übernächsten Tages, während noch alles im Hochnebel lag, der aus den Urwaldtälern nach Penasblancas herunterstieg, brach die riesige Kolonne auf. Ein ganzes Krankenhaus wurde auf den Rücken von Mulis transportiert. Bettgestelle, ein Operationssaal, ein Labor, ein Röntgengerät, Medikamentenkisten, Instrumente, Matratzen, zusammenklappbare Nachttische, Rollbetten. alles auf Maultierrücken geschnallt.
Und ein kleiner, dicker, glatzköpfiger Mann ritt mit, der eine besondere Begabung besaß: Er konnte lautlos töten.
Die riesige Karawane, die sich von Penasblancas aus in die Berge wälzte, wurde zu einer Sensation erster Klasse. Beobachter, die von Aussichtsfelsen aus die Zugänge zu den Schluchten überwachten und die einzige Straße in das Innere der smaragdträchtigen Kordilleren kontrollierten, meldeten sofort, daß der Muli-Transport von keinem Polizisten begleitet wurde. Das war verständlich, denn welcher Polizist war so hirnverbrannt, für die wenigen Pesos Gehalt sein Leben sinnlos aufs Spiel zu setzen? Leutnant Salto, der zuerst die Wahnsinnsidee gehabt hatte, das wandernde Krankenhaus mit seiner gesamten Truppe — also mit vier Mann — zu begleiten, mußte den Plan aufgeben, als sich drei seiner braven Leute sofort krank meldeten und mit Magenkrämpfen im Bett blieben.
«Feiglinge!«brüllte Salto herum.»Hosenscheißer! Bepissen sich vor Angst!«
Die Polizisten ertrugen diese Beleidigungen, nickten stumm und ergeben und blieben im Bett. Lieber ein lebendiger Feigling, als ein toter Held, dachten sie. Da oben in den Bergen haben wir keinerlei Chancen mehr. Wir vier gegen Tausende, das ist doch Irrsinn! Und ein Polizistenrock ist für die Guaqueros immer schon eine beliebte Zielscheibe gewesen.
Auch Major Luis Gomez in Muzo war nicht bereit, den Transport zu unterstützen. Nicht, weil auch er im Laufe der Wochen das Fürchten gelernt hatte, im Gegenteil: Seine Soldaten durchkämmten systematisch die nähere Umgebung, griffen Smaragdsucher auf, warfen sie in die Gefängnisse, nahmen ihnen den wertvollen Fund ab und verurteilten sie im Schnellverfahren. Oberster Richter war Major Gomez selbst, der dann Seltsames erlebte: In seinem Nachttisch fand er wunderschöne Steine mit einem Absender, der den Namen eines Inhaftierten enthielt. Oder bei der morgendlichen Toilette erschien plötzlich wie durch Zauberei ein nacktes, bildhübsches Mädchen im Badezimmer und stellte sich mit ihm liebevoll unter die Dusche. Dabei plauderte sie von ihrem armen Bruder im Gefängnis.
Major Gomez tobte. Er verhörte sein Hauspersonal, niemand hatte die ungebetenen Gäste hereinkommen sehen. Natürlich nicht, denn kleine grüne Steinchen machten alle blind. Gomez' Offiziere dagegen verstanden ihren Kommandeur nicht mehr. Er versaute mit seinem Benehmen alle bisherigen Spielregeln. Wenn es den Offizieren nach hübschen Mädchen gelüstete, fingen sie ein paar Guaqueros ein, und siehe da, schon füllten sich die Betten! In Muzo kannte man das. Man nannte diese Aktionen: die Offiziers-Steuer. Jeder Guaquero kalkulierte diese Steuer ein. Hatte er selbst keine Tochter, Schwester oder ein hübsches Frauchen, dann halfen verständnisvoll die Nachbarn. Jeder konnte ja mal in die Fänge des Militärs kommen. Da war Nachbarschaftshilfe das halbe Überleben.
Major Gomez griff hart durch. Er verurteilte streng, die Betten seiner Offiziere verwaisten, Morddrohungen flatterten ins Haus. Die Disziplin des Bataillons wurde mit Exerzieren bis zum Umfallen aufpoliert. In Muzo und Umgebung ging man in Deckung. Dieser Gomez! Hat keine Angst! Man muß ihn doch eines Tages unter die Erde schicken.
Nun bat Leutnant Salto in Penasblancas um Amtshilfe. Er wollte einen Zug Militär zum Schutz des Krankenhaustransportes haben.
«Mein lieber Salto«, sagte Gomez am Telefon und kaute an einer langen Zigarre, die ihm beim Bericht des Leutnants ausgegangen war.»So gern ich Dr. Morero und Pater Cristobal wiedersehen möchte, und so sicher ich mir bin, daß der Transport ohne Schutz voller Gefahren ist, ich kann beim besten Willen nicht. Drei Kompanien sind im Säuberungseinsatz in den Bergen, eine Kompanie brauche ich hier in der Garnison, sonst klauen sie uns sogar die Häuser und Garagen! Sie kennen das ja! Hier leben ja keine Menschen mehr, sondern nur Langfinger mit Beinen! Ich kann keinen Mann abstellen. In drei Tagen vielleicht.«
«Zu spät!«seufzte Salto.»Der Transport ist unterwegs. Drei Jeeps und zehn Mann Begleitung hat Revaila mitgegeben. Das ist lächerlich!«
«Ich habe eine große Hoffnung, Salto. Was da unterwegs ist, kann nur für Dr. Morero interessant sein. Was wollen die Burschen in den Minen mit einer Krankenhausausstattung? Ein Röntgengerät können sie nicht fressen! Und einen OP-Tisch auch nicht.«
«Aber die Betten, Major! Die Stühle und Tische! Die Verbände und Medikamente. Da wackelt ein Vermögen durch die Felsschluchten. Damit kann man sich fabelhaft wohnlich einrichten. Außerdem hat die Karawane im Gepäck: Sprengstoff, Lebensmittel, Konserven, Munition und Waffen. Und jede Menge Narkosemittel. Für eine Ampulle würden manche einen Menschen umbringen. Da kommen nun Hunderte heran.«
«Ach du Scheiße!«sagte Major Gomez aus tiefer Brust.»Warum hat man mich nicht schon gestern davon unterrichtet?«
«Ich habe es auch erst heute von Revaila erfahren. Der Bursche hat das bewußt getan. Wenn der Transport nicht ankommt, seine Schuld ist es nicht! Um Dr. Morero schaden zu können, läuft er, wenn es hilft, auf den Händen bis nach Bogota! Sein Haß ist abgrundtief.«
«Ich könnte einen Hubschrauber schicken«, sagte Gomez nachdenklich.»Aber was kann der ausrichten? Nur beobachten.«
«Außerdem wird er abgeschossen. Die Kerle dort oben haben Maschinengewehre aus Armeebeständen. Eingetauscht gegen Smaragde. Was ich hier alles gehört habe, was vor meiner Zeit passiert ist. unbeschreiblich!«
«Mir geht's genauso, Salto. Meine eigenen Offiziere tauschen Gua-queros gegen Liebesnächte! Aber das verspreche ich Ihnen: Wenn der Transport nicht ankommt, rücke ich mit drei Kompanien in Ihr Gebiet und kämme es durch! Und wo ich nur ein Hustenbonbon aus den Hospitalbeständen entdecke, da lasse ich hinrichten! Jawohl, standrechtlich erschießen! Ich habe aus Bogota alle Vollmachten. Noch eins, Salto: Bis heute habe ich die dreiundvierzigste Morddrohung erhalten. Und Sie?«
«Noch keine, Major.«
«Wie das? Sind Sie schon schlapp geworden?«
«Nein, aber in Penasblancas bewachen sich zwei Gruppen gegenseitig, und seitdem ist Ruhe. «Salto seufzte.»Ich hatte auf Sie gehofft, Herr Major.«
«Leider, leider. «Gomez seufzte zurück.»Ich sitze für drei Tage auf dem trockenen.«
Von dieser Unterhaltung wußte keiner in den Bergen. Man hätte sich auch kaum darum gekümmert. Wichtig allein war, daß da auf 170 Mulis unschätzbare Werte durch die Gegend geschaukelt wurden. Ob man alles, was auf die Mulirücken geschnallt war, gebrauchen konnte, spielte keine Rolle. Allein die Tatsache, daß alles wertvoll war, reizte ungemein.
Es bildeten sich vier Trupps, die beschlossen, an passenden Stellen die Karawane zu besichtigen und mitzunehmen, was sich lohnte. Aber drei Trupps fielen aus, weil die Erfahrungen der ersten Gruppe sie veranlaßten, sich aufzulösen.
Diese erste Gruppe von zehn zu allem entschlossenen Männern lauerte den Mulis in einer Felsensenke auf. Um ganz sicherzugehen, nahmen sie die zehn Mann Begleitung unter Feuer, die auch sofort in Deckung sprangen und sich nicht mehr rührten. Das hätte jedem zu denken geben müssen, aber die zehn jubelten in ihrem Übereifer und stürmten auf die 170 Mulis zu.
Es war ihr letzter Gang. Wie Hasen wurden sie abgeschossen, aber nicht mit gezielten Einzelschüssen, sondern sie liefen in ein konzentriertes Maschinenpistolenfeuer hinein, aus dem es kein Entkommen mehr gab. In einem der Jeeps klappte auch noch ein schweres MG heraus und hämmerte in die Gegend, den Fluchtweg ver-sperrend.
Dieses Ereignis sprach sich schnell herum. Hinzu kam, daß es einen Überlebenden des ersten Trupps gab. Henry Duk, der kleine, dicke, glatzköpfige Teufel präparierte — so nannte er es — den nur leicht Verletzten: Er schnitt ihm die Ohren ab, kappte ihm die Nasenspitze und ließ ihn dann mit einer Botschaft laufen: Wer den Transport angreift und lebend in unsere Hände fällt, wird nicht am Ohr amputiert, sondern entmannt! Es gab keinen in den Bergen, der das nicht vorbehaltlos glaubte. Henry Duks Ruf flog durch die Guaquero-Niederlassungen: Da ist ein Glatzkopf, so klein wie ein unten Abgeschnittener, der mit einem fröhlichen Lächeln Körperteile abschneidet. Den muß man zuerst erledigen. Erst dann kann man an die Mulis heran.
Kritisch wurde die erste Nacht. Es war vorauszusehen gewesen, daß der Transport nicht innerhalb eines Tages bei Dr. Morero eintreffen würde; man rechnete vielmehr mit drei Tagen. Also trieb man bei Einbruch der Dunkelheit die Mulis zusammen, entlud sie nicht, was für zehn Mann ja auch unmöglich gewesen wäre, sondern ließ sie beladen stehen, was natürlich auf die Leistung der Tiere am nächsten Tag großen Einfluß hatte. Auch ein Muli ist nur eine Kreatur, dessen Kräfte nachlassen. Henry Duk veranschlagte eine Ausfallquote von 10 %, das wären also 17 Tiere, deren Lasten man verteilen mußte.
In dieser ersten Nacht geschah wider Erwarten nichts. Die Mulis standen eng beisammen, die zehn Mann lagerten um sie herum wie Schäferhunde, in den Jeeps rührte sich nichts. Hunderte Augen beobachteten das Lager von allen Seiten. Man studierte die Taktik des Glatzkopfes. Aber dieser hatte keine Taktik. Er ließ fünfMann schlafen und fünf Mann wachen, davon einer in der Nähe des ersten Jeeps mit dem schweren MG. Es war schußbereit, der Patronengurt eingespannt.
«Es müßte nächste Nacht klappen«, sagte John Berner und drehte sich zur Seite. Berner war ein Mann, der seit sieben Jahren in den Bergen lebte, noch nie geschürft hatte, eine Mannschaft von 40 Mann besaß und >Schutzgelder< von den Guaqueros nahm; Rackett in den Smaragdminen nach amerikanischem Muster.»Vier Mann greifen zum Schein von hinten an, und wenn sie das MG umschwenken, kommen wir von der Seite und decken sie zu. Den Glatzkopf hebe ich für mich persönlich auf..«
Die Nachricht von dem Riesentransport gelangte natürlich auch zu Dr. Mohr. Ein Guaquero, der mit einer Handquetschung auf dem Pebas-Plateau erschien und der erste Patient war, der in dem neuen >Operationssaal< des Hospitals behandelt wurde — einem großen, lichtdurchfluteten Raum, in dem jetzt nur der selbstgezimmerte Tisch aus Pebas' Vorraum stand —, dieser Mann, der vier Stunden durch die Felsen gewandert war und nun mit schmerzverzerrtem Gesicht auf der Tischkante hockte, sagte:
«Da ist was für Sie unterwegs, Doctor. Ich kann's nicht glauben, aber die quatschen von fast 200 Mulis. Schwer beladen. Sollen ein ganzes Krankenhaus herumschleppen!«
«Endlich!«rief Dr. Mohr. Er übergab den Verletzten zunächst Dr. Simpson und rannte hinaus zu Dr. Novarra, der mit zwei Kolonnen die letzten Handgriffe an das Bettenhaus legte und Pater Cristobal half, seine Kirche zu vollenden. Zwei finster blickende, nar-bengesichtige Männer aus der >Burg< zimmerten an einem großen Holzkreuz. Im Altarraum sollte es von der Decke hängen, als einziger Schmuck, als einziger Gegenstand, auf den sich die Gläubigen konzentrieren sollten.
«Sie sind da!«rief Dr. Mohr schon von weitem.»Von Penasblancas sollen rund 200 Mulis mit der Einrichtung heraufkommen! Camargo hat sein Wort gehalten!«
«Nennen Sie in meiner Gegenwart nicht seinen Namen!«bellte Dr. Novarra zurück.»Wenn dieser Blutsauger Ihnen ein Krankenhaus schenkt, dann spielen da andere Überlegungen eine Rolle als Humanität!«Er kam näher, schob sich an Dr. Mohr vorbei und betrat den Operationsraum. Dr. Simpson war gerade dabei, die gequetschte Hand aus einem schmutzstarrenden Verband zu wickeln. Der Guaquero verzog vor Schmerzen sein Gesicht zu einer Fratze.
«Wo ist der Transport?«brüllte Dr. Novarra.
Der Verletzte zuckte zusammen und starrte den Bärtigen entsetzt
«Ich habe das auch nur gehört.«, stotterte er.
«Wo?«
«Auf dem geraden Weg hierher.«
«Durch das Gebiet von John Berner also?«
«Natürlich. Kennen Sie einen anderen Weg?«
Dr. Novarra wandte sich ab und prallte an der Tür mit Dr. Mohr zusammen.
«Das geht schief!«sagte er düster.»John Berner ist der größte Halunke im ganzen Kordillerengebiet. Amerikanische Schule! Wir müssen da unbedingt den Verkehr regeln. Simpson?«
«Ja?«Dr. Simpson hatte die Hand ausgewickelt. Sie sah böse aus. Eine offene Quetschung mit beginnender Blutvergiftung.
«Ist Ihr dämlicher Minenwerfer einsatzbereit?«
«Mein dämlicher Minenwerfer kann jederzeit Ihre große Fresse einstampfen«, antwortete Simpson beleidigt.
«Man kann ihn doch montiert und schußbereit transportieren?«
«Mit drei Mann schon.«
«Dann los! Wir ziehen dem Transport entgegen. Und wenn Berner wild wird, blasen wir ihm eine Mine unter den Hut! Simpson, ich glaube, wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.«
Dr. Novarra sah die Aktion als so wichtig an, daß er sogar die beiden Schürftrupps aus den Stollen holen ließ und sie gegen die frischen Bautrupps austauschte. Dann zogen 52 Mann, die gefürchtete Einsatztruppe der >Burg<, dem Transport entgegen; unter ihnen Dr. Simpson mit seinem Minenwerfer, zwei Kisten Werferminen und einem Verbandkasten für etwaige Verwundete.
Margarita hatte den Mann mit der Handquetschung übernommen, reinigte die Wunde und hielt den Arm fest, als Dr. Mohr die Verletzung behandelte und eine Penicillinspritze gab. Wie fast alle der besonders wild und stark aussehenden Burschen verdrehte auch dieser Guaquero beim Einstich die Augen und sank gegen Marga-ritas Busen. Sie hielt den Mann fest und lächelte dabei Dr. Mohr an.
«Jetzt hast du es geschafft, Pete«, sagte sie.
Die Zärtlichkeit ihrer Stimme berührte ihn immer wieder. Er beugte sich vor und gab ihr über den Kopf des Ohnmächtigen hinweg einen Kuß.
Es war ein dummer Zufall, daß gerade in diesem Augenblick Adolfo Pebas in der Tür stand. Sie hatten ihn nicht kommen hören. Durch die offenen Fenster schallte der Baulärm vom Bettenhaus und der Kirche herein. Das Hämmern und Sägen übertönte alles.
Um so mehr schraken sie zusammen, als Pebas' laute Stimme durch den Raum dröhnte.
«Aha!«brüllte er.»Am hellichten Tag! Vor aller Augen!«
Margarita stieß einen spitzen Schrei aus und umklammerte den ohnmächtigen Guaquero, als könne dieser ihr helfen. Unsagbare Angst lag in ihren Augen. Mit wiegendem Gang kam Pebas näher und baute sich vor Dr. Mohr auf.
«Was habe ich dir gesagt, Pete? Einmal eine Tochter verlieren, das ist genug. Meine zweite wird keine Hure, eher schlage ich sie und dich zusammen tot!«
«Spiel nicht den wilden Mann, Adolfo!«sagte Dr. Mohr ruhig.»Du weißt seit langem, daß ich Margarita liebe!«
«Du hast versprochen, sie nicht anzurühren!«
«Dieses Versprechen habe ich gehalten.«
«Und was habe ich gesehen?! Küßt man sich in aller Öffentlichkeit, wenn man nicht mehr voneinander weiß?«
«Warum fragst du nach Dingen, die dir längst klar sind? Ich bin mit dir in die Berge gezogen, um euer Leben kennenzulernen. Ich bin hiergeblieben und baue jetzt ein Hospital. Alles nur, weil ich mir als Arzt sage: Hier wirst du gebraucht? Diese Menschen am Rande der Welt und der Menschlichkeit brauchen einen Hauch von Liebe, wenngleich ich diese Liebe nur mit Skalpell und Spritze bringen kann? Nein, nicht allein deshalb bin ich mitgekommen. Hätte ich Margarita nicht gesehen, vielleicht wäre ich in Penasblancas geblieben.«
«Wir haben darüber schon gesprochen«, knurrte Pebas.»Und ich habe dir gesagt, daß meine Tochter kein Spielzeug reicher Herren ist! Ob du jetzt hier lebst oder in Bogota, du bist ein studierter Herr, du bist reich — und was ist Margarita?«
«Das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe!«
«Und damit ist auch alles erschöpft. «Er blickte seine Tochter an und streckte herrisch die Hand aus.»Laß den Kerl los und komm ins Haus! Du hilfst dem Doktor ab sofort nicht mehr!«
Margarita ließ den Kopf des Guaquero los und legte den noch immer Ohnmächtigen vorsichtig auf den Tisch. Dann warf sie mit einem Ruck die langen Haare aus dem Gesicht und stemmte die Arme in die Seiten. Verblüfft starrte Pebas seine Tochter an. Das war eine Haltung, die er bisher nur von Maria Dolores kannte, wenn sie unbeschreiblich wütend war.
«Nein!«sagte Margarita laut.
«Was heißt nein?«schrie Pebas sofort.»Du widersetzt dich deinem leibhaftigen Vater?!«
«Ja!«
«Ins Haus!«
«Ich bleibe hier! Im Hospital! Bei Pete. Ab heute schlafe ich hier.«
«Margarita«, sagte Dr. Mohr. Seine Kehle wurde trocken.»Ich habe deinem Vater versprochen.«
«Aber ich habe nichts versprochen!«Sie atmete heftig, und trotz aller inneren Angst hielt sie den flammenden Blicken des Vaters stand.»Ich bin alt genug. Ich will kein Kind mehr sein. Das ewige Kind! Ich liebe Pete! Ich werde ab heute bei ihm schlafen.«
«Sag das noch einmal!«Pebas streckte wie ein Raubvogel den Kopf vor.»Sag mir das ins Gesicht. Dieses Hurenwort.«
«Ich will und werde bei Pete schlafen!«
«Du hast es gehört!«Pebas drehte sich zu Dr. Mohr.»Das hast du aus ihr gemacht! Ein schamloses Luder, das sich zu dir ins Bett legen will! Wie kann ich das ertragen?! Soll ich das alles noch einmal mitmachen, was ich mit Perdita hinter mir habe?! Diese gan-
ze Qual? Nein! Nein!«
Pebas hatte plötzlich ein Messer in der Hand, duckte sich und wollte zustoßen. Gleichzeitig mit Margaritas Aufschrei stieß vom Tisch her ein Bein in einem derben Stiefel vor und trat Pebas mit aller Wucht in die Seite. Mit einem dumpfen Laut flog Pebas quer durch das Zimmer, fand keinen Halt und krachte ungebremst gegen die linke Bohlenwand. Dort krallte er sich in das Holz und blieb verkrümmt stehen.
Der Guaquero rutschte vom Tisch und blinzelte Dr. Mohr an.
«Was war denn das?«fragte er und schüttelte den Kopf.»Steht da einer mit 'nem Messer vor Ihnen, Doctor. War das erste, was ich sah, als ich aufwachte. Haben Sie mehrere solcher Patienten?«Pe-bas an der Wand rührte sich. Der Guaquero hob drohend die unverletzte Hand.»Halt! Bleib stehen, Halunke! Wir sind noch nicht fertig.«
Margarita war zurückgewichen und biß sich verzweifelt in die geballte Faust. Dr. Mohr hielt den Guaquero an der Schulter fest. Wie Margarita wußte auch er, daß diese Stunden den großen Bruch zwischen der Familie Pebas und ihm bedeutete. Adolfo würde diese Niederlage nie vergessen können. Mit einem Tritt gegen die Wand geworfen zu werden und sich nicht wehren zu können, diese Schmach brannte sich in ihm ein. Was würde nun folgen? Man müßte nebeneinander herleben. Auf der einen Seite stand das Hospital, und da schliefab heute Margarita, und gegenüber, keine zehn Meter entfernt, war die Höhlenwohnung der Pebas. Wenn sie herauskamen, fiel ihr erster Blick auf das Hospital. Konnte Pebas das auf die Dauer ertragen? Was würde er unternehmen?
«Laß ihn gehen«, sagte Dr. Mohr zu dem Guaquero.
«Sie kennen den Kerl? Ha, ich möchte ihm noch irgendeinen Knochen brechen zur Erinnerung.«
«Er ist ihr Vater.«
«Der Vater? Von dieser schönen Senorita?«Der Guaquero hob noch einmal drohend die Faust gegen Adolfo Pebas.»Die Natur macht die besten Witze! Ein so wundervolles Mädchen ist von diesem Bock gemacht worden?! Nicht zu glauben.«
Pebas verließ das Hospital. Mit hängenden Schultern ging er hinüber zu seiner Wohnung, setzte sich neben den Herd und starrte vor sich hin. Maria Dolores, die für den beginnenden Arbeitstag im Hospital, an dem sie wieder eine Patientenschlange erwartete, einen großen Kessel Tee kochte, schielte zu ihm hinunter.
«Ärger?«
Pebas atmete seufzend.»Wir haben keine Kinder mehr.«
Erschrocken ließ Maria Dolores den Schöpflöffel fallen.»Bist du verrückt geworden?«sagte sie laut.
«Margarita ist nicht anders als Perdita.«
«Nein!«Maria Dolores hielt sich schwankend an der Wand fest.»Sie ist weggelaufen nach Penasblancas? Wann denn? Wann? Vor einer Stunde wollte sie zu Pete.«
«Da ist sie auch! Und dort bleibt sie auch. Will sie bleiben! Sagt mir ins Gesicht, so einfach ins Gesicht: Ab heute schlafe ich bei ihm! Begreifst du das?«
«Ach so!«Maria Dolores kümmerte sich wieder um ihren Kessel.»Ja. «Ihre Stimme klang beruhigt.
Pebas fuhr wie gestochen hoch.»Was heißt >ja«schrie er.
«Ich begreife es!«
«Daß sie mit einem fremden Mann schlafen will?!«
«Pete ist kein Fremder. Sie lieben sich.«
«Ha! Ist das eine Verschwörung gegen mich?! Du weißt das schon lange, was?!«
«Ich habe es erwartet. Es ist ganz natürlich.«
«Habt ihr denn alle keine Ehre mehr?«brüllte Pebas.
«Hast du mit mir nicht auch vor dem kirchlichen Segen geschlafen? Erinnere dich, Adolfo.«
«Soll das ein Maßstab sein?«
«Verurteile nie, was man selbst nicht bereut. Sind wir glücklich geworden?«
«Das ist es!«Pebas sah Maria Dolores mit unruhigen Augen an. Sein Mund zuckte.»Bist du glücklich?«»Ich habe zwei Kinder, und ich habe dich. Das ist mein Leben. Habe ich mich je beklagt?«
«Aber bist du glücklich?«
«Wenn nicht, wäre ich dir längst davongelaufen. Komm, pack den Kessel an. Ich muß hinüber ins Hospital.«
«Ich betrete dieses Haus nie mehr!«keuchte Pebas.»Ich sehe es gar nicht.«
«Soll ich den Kessel allein schleppen?! Wie kann ich glücklich sein, wenn mein Mann so ein Dickschädel ist?«
Gemeinsam trugen sie den Teekessel ins Hospital und trafen dort auf Pater Cristobal, der gerade aus dem Operationsraum kam.
«Zu dir wollte ich, Adolfo!«sagte er.
Sie stellten den Kessel auf einem Hocker ab und rieben die heißen Hände aneinander.
«Sie wissen es also, Pater?«fragte Pebas dunkel.»So eine Schande. «Er lehnte sich gegen die Wand und riß sein Hemd auf, als ersticke er.»Ja, sie lieben sich. Sie werden auch heiraten.«
«Das wollte ich dir sagen«, unterbrach ihn Pater Cristobal.
«.aber ist das nicht nur die Laune eines reichen Herrn!?! Ich weiß, wie schön meine Tochter ist. Ich weiß, wie alle Männer die Augen verdrehen, wenn sie in ihre Nähe kommt. Ich weiß, daß jeder sie im Bett haben möchte. Wie Raubtiere sind die Männer! War ich anders?! Nein! Ich war genauso, und deshalb weiß ich es! Und ist der Medico anders?! Wer will das behaupten? Was geschieht, wenn er Margarita wegwirft wie Abfall, nachdem er sie besessen hat?! Wer schützt meine Tochter davor?! Ich! Ich, ihr Vater! Weil ich die Kerle kenne, weil ich selbst so war! Was bleibt mir denn anderes übrig, als den Doktor zu töten? Das muß auch Gott einsehen, denn er hat uns das Herz gegeben!«
«Bist du fertig?«fragte Pater Cristobal ruhig.
«Ja.«
«Dann sage ich dir etwas: Ich werde Margarita und Pete trauen, und wenn diese Ehe an Pete zerbricht, schließe ich mich dir an und jage ihn um den Erdball. Zufrieden?«
«Nein!«Pebas schüttelte den Kopf.»Das ist alles nicht nötig. Es könnte alles ganz anders sein.«
«Wie willst du es jetzt noch ändern?«Pater Cristobal faltete die Hände.»Du hast recht, Adolfo: Gott hat uns das Herz gegeben. Aber in das Herz hat er auch die Liebe versenkt. Sie ist ein Geschenk Gottes. Verdammt, meckere nicht über Gott, weil er so gütig ist!«