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Ob man uns auch Besteck bringt, fragen Sie? Bestimmt lässt sich eine Gabel für Sie finden, Sir, aber erlauben Sie mir den Hinweis, dass jetzt die Zeit gekommen ist, uns die Hände schmutzig zu machen. Schließlich haben wir ja schon einige Stunden zusammen verbracht, da dürfte es eigentlich keinen Grund mehr geben, sich zurückzuhalten. Es liegt eine große Befriedigung darin, die Beute anzufassen, ja, Jahrtausende der Evolution haben dafür gesorgt, dass die Berührung des Essens mit der Haut den Geschmackssinn steigert – und nebenbei auch unseren Appetit! Aber ich sehe schon, dass Sie nicht weiter überredet werden müssen; Ihre Finger zerreißen das Fleisch dieses Kebab mit beachtlicher Entschlossenheit.

Man braucht ein gewisses Anpassungsvermögen, wenn man aus Amerika hierherkommt, man muss sich eine andere Sichtweise zulegen. Ich weiß noch, wie amerikanisch selbst mein Blick bei meiner Rückkehr nach Lahore in jenem Winter war, als sich der Krieg abzeichnete. Ich fand es bedrückend, wie schäbig unsere Häuser waren: Risse liefen durch die Decke, trockene Farbenblasen blätterten ab, wo Feuchtigkeit in die Wände gesickert war. An jenem Nachmittag war der Strom ausgefallen, was der Stadt etwas Düsteres verlieh, aber selbst in dem trüben Licht der zischenden Gasöfen wirkte unser Mobiliar veraltet und als müsste es dringend aufgepolstert und repariert werden. Es machte mich traurig, das Haus in einem solchen Zustand anzutreffen – nein, mehr als traurig, ich schämte mich. Von dort kam ich also, das war meine Herkunft, und sie roch nach Ärmlichkeit.

Doch als ich mich wieder akklimatisiert hatte und meine Umgebung mir wieder vertraut wurde, erkannte ich, dass das Haus sich während meiner Abwesenheit gar nicht verändert hatte. Ich hatte mich verändert; ich sah mich mit den Augen eines Fremden um, nicht irgendeines Fremden, sondern jenes besonderen Typus des anmaßenden, unsympathischen Amerikaners, über den ich mich so ärgern konnte, wenn ich ihm in den Seminarräumen und an den Arbeitsplätzen der Elite Ihres Landes begegnete. Diese Erkenntnis machte mich zornig; und als ich so auf mein Abbild in meinem fleckigen Badezimmerspiegel starrte, beschloss ich, die unwillkommene Empfindlichkeit, die von mir Besitz ergriffen hatte, zu exorzieren.

Erst danach sah ich mein Haus wieder, wie es tatsächlich war, konnte seine beständige Vornehmheit schätzen, seine unverwechselbare Persönlichkeit, seinen idiosyn-kratischen Charme. Mughal-Miniaturen und alte Teppiche zierten seine Wohnräume, an die Veranda grenzte eine hervorragende Bibliothek. Es war keineswegs ärmlich, es war vielmehr überaus geschichtsträchtig. Ich fragte mich, wie ich nur so kleinlich – und so blind – gewesen sein konnte, je anders darüber gedacht zu haben, und es verstörte mich, was das über mich selbst verriet: dass ich einer war, dem es an Substanz mangelte und der sich daher schon durch einen kurzen Aufenthalt in der Gesellschaft anderer so leicht beeinflussen ließ.

Doch weit bedeutsamer als diese nach innen gerichteten Grübeleien war die äußere Wirklichkeit – die Bedrohung meines Zuhauses. Mein Bruder hatte mich vom Flughafen abgeholt; er umarmte mich so kräftig, dass er mir beinahe den Brustkorb eindrückte. Beim Fahren wuschelte er mir durch die Haare. Plötzlich kam ich mir ganz jung vor – vielleicht wurde ich mir auch nur meines tatsächlichen Alters bewusst: ich war eher ein kindlicher Zweiundzwanzigjähriger als von jenem beständig mittleren Alter, das sich dem Mann anheftet, der allein lebt und dadurch Bestätigung erfährt, dass er in einer Stadt, in der er nicht geboren ist, einen Anzug trägt. Es war einige Zeit her gewesen, seit ich so entspannt, so vertraut angefasst worden war, und ich lächelte. »Wie geht’s euch?«, fragte ich ihn. Er zuckte die Achseln. »Im Landhaus eines Freundes, eine halbe Stunde von hier, hat eine Artilleriebatterie Stellung bezogen, und in seinem Gästezimmer hat sich ein Oberst einquartiert«, antwortete er, »also nicht so gut.«

Meinen Eltern schienen wohlauf, sie waren gebrechlicher geworden, seit ich sie zuletzt gesehen hatte, aber in ihrem Alter war das nach einem Jahr nicht anders zu erwarten. Meine Mutter strich mir mit einem Hundert-Rupien-Schein um den Kopf, um meine Rückkehr zu segnen; später ging er als Spende an die Wohlfahrt. Die Augen meines Vaters glänzten feucht und braun. »Kontaktlinsen«, sagte er und tupfte sie mit einem Taschentuch ab. »Ganz schick, wie?« Ich sagte, sie stünden ihm gut, und so war es auch; er hatte seine Brille erst spät im Leben bekommen, und sie hatte die Kraft seines Gesichts verborgen. Weder er noch meine Mutter wollten über die Möglichkeit eines Krieges sprechen; sie wollten mich unbedingt füttern und von meinem Leben in New York und meinen Fortschritten bei der Arbeit in allen Einzelheiten hören. Es war eigenartig, hier von dieser Welt zu sprechen, so wie es eigenartig wäre, in einer Moschee zu singen; was an einem Ort natürlich ist, kann an einem anderen unnatürlich sein, und manche Konzepte sind nur schwer übertragbar, wenn überhaupt. Beispielsweise vermied ich jede Erwähnung von Erica wie auch von allem, was sie beunruhigen konnte.

Doch an jenem Abend wurde mir zu Ehren ein Familienbankett abgehalten, und da war der Konflikt mit Indien das beherrschende Thema. Es gab unterschiedliche Meinungen darüber, ob die Männer, die das indische Parlament überfallen hatten, etwas mit Pakistan zu tun hatten, doch war man sich einig darin, dass Indien alles unternehmen werde, uns zu schaden, und dass die Amerikaner trotz der Unterstützung, die wir ihnen in Afghanistan gewährt hatten, nicht an unserer Seite kämpfen würden. Schon mache die indische Armee mobil, und Pakistan habe auch bereits reagiert: Lastwagenkonvois mit Nachschub für unsere Grenztruppen führen durch die Stadt, wie man mir sagte; beim Essen hörten wir Militärhubschrauber dicht über uns hinwegfliegen; es ging das Gerücht, bald werde der Verkehr auf der Autobahn gestoppt, damit unsere Kampfflugzeuge die Landung darauf üben könnten, falls alle unsere Flugplätze bei einem atomaren Schlagabtausch zerstört würden.

Die Vorstellung, in Pendlerentfernung zu einer Million feindlicher Truppen zu wohnen, die jeden Moment eine groß angelegte Invasion beginnen könnten, mag Ihnen seltsam erscheinen, da Sie aus einem Land kommen, das seit Menschengedenken keinen Krieg mehr auf eigenem Boden hatte, von gelegentlichen hinterhältigen Angriffen oder terroristischen Gräueln einmal abgesehen. Mein Bruder reinigte seine Flinte. Ein Onkel bunkerte Wasserflaschen und Dosennahrung. Unser Teilzeitgärtner wurde zur Reserve eingezogen. Aber sonst schienen die Menschen weitgehend ihrem normalen Leben nachzugehen; Lahore war die letzte Großstadt in einem durchgehenden Streifen muslimischer Länder, der im Westen bis Marokko reichte, und zeigte daher jene latente Kraftmeierei, wie sie Frontstädten eigen ist.

Doch ich war besorgt. Ich fühlte mich machtlos; ich war wütend auf unsere Schwäche, darauf, dass wir von unserem – zugegebenermaßen viel größeren – Nachbarn im Osten so leicht einzuschüchtern waren. Ja, wir hatten Nuklearwaffen, ja, unsere Soldaten würden nicht weichen, aber dennoch wurden wir bedroht, und mir blieb nichts anderes, als im Bett zu liegen, aber schlafen konnte ich nicht. Ich würde sogar bald wieder fort sein und meine Familie und mein Zuhause zurücklassen, und das machte mich in meinen Augen zu einer Art Feigling, einem Verräter. Was ist das für ein Mann, der seine Leute in einer solchen Lage im Stich lässt? Und wofür ließ ich sie im Stich? Für einen gut bezahlten Job und eine Frau, nach der ich mich sehnte, die mich aber nicht einmal sehen wollte? Immer wieder rang ich mit diesen Fragen.

Als es Zeit wurde, nach New York zurückzukehren, sagte ich zu meinen Eltern, ich würde länger bleiben, aber die wollten nichts davon hören. Vielleicht spürten sie, dass ich selbst gespalten war, dass etwas mich nach Amerika zurückrief, vielleicht wollten sie auch einfach nur ihren Sohn schützen. »Und rasier dich, bevor du gehst«, sagte meine Mutter. »Warum?«, fragte ich und zeigte auf meinen Vater und meinen Bruder, »die haben doch auch einen Bart.« »Die«, entgegnete sie, »haben nur einen, weil sie von der Tatsache ablenken wollen, dass sie eine Glatze haben. Außerdem bist du noch ein Junge.« Sie strich mit den Fingern über meinen Flaum und setzte hinzu: »Damit siehst du aus wie eine Maus.«

Auf dem Flug fiel mir auf, wie viele meiner Mitreisenden in meinem Alter waren: Studenten und junge Männer mit gehobenen Berufen, die nach den Ferien zurückflogen. Das empfand ich als Ironie; vor drohenden Schlachten sollten Kinder und Ältere fortgeschickt werden, hier aber gingen die Stärksten und Klügsten, diejenigen, die früher am ehesten hätten bleiben sollen. Verachtung mir selbst gegenüber erfüllte mich, so sehr, dass ich mich nicht zu Gesprächen oder zum Essen überwinden konnte. Ich schloss die Augen und wartete, und die Stunden enthoben mich sogar der Verantwortung zu fliehen.

Die Beklemmungen, die einem bewaffneten Konflikt vorausgehen, sind Ihnen nicht unbekannt, sagen Sie? Aha! Dann haben Sie also gedient, Sir, ganz wie ich vermutet hatte! Finden Sie nicht auch, dass das Warten darauf, was geschehen wird, das Schwierigste von allem ist? Ja, natürlich, nicht so schwierig wie die Zeit des Gemetzels selbst – so, Sir, spricht der wahre Soldat. Aber warum hören Sie denn auf zu essen, warten Sie vielleicht auf frisches Brot? Hier, nehmen Sie die Hälfte von meinem. Nein, ich bestehe darauf; der Kellner bringt uns gleich mehr.

Bei Ihrer Vorgeschichte haben Sie bestimmt schon das eigentümliche Phänomen erlebt, aus einer Umgebung, in der die Aussicht auf ein gewaltiges Blutvergießen sehr real ist, in eine mehr oder weniger friedliche zurückzukehren. Das ist ein merkwürdiger Übergang. Meine Kollegen nahmen meine Rückkehr in die Firma mit erheblicher – wenn auch häufig etwas unterdrückter – Bestürzung auf. Denn trotz der Bitte meiner Mutter und obwohl ich um die Schwierigkeiten wusste, die ich damit bei der Einreise voraussichtlich haben würde, hatte ich meinen zwei Wochen alten Bart nicht abrasiert. Vielleicht war es für mich eine Form des Protests, ein Symbol meiner Identität, vielleicht wollte ich damit aber auch die Wirklichkeit, die ich gerade zurückgelassen hatte, in Erinnerung behalten; meine genauen Beweggründe sind mir entfallen. Ich wusste nur, dass ich mich nicht der Armee glatt rasierter junger Männer, die meine Mitarbeiter darstellten, anpassen wollte und dass ich im Innern aus einer Vielzahl von Gründen zutiefst zornig war.

Es ist beachtlich, was für eine Wirkung ein Bart angesichts seiner physischen Belanglosigkeit – schließlich ist er ja nur eine Haartracht – bei einem Mann meiner Hautfarbe auf Ihre Landsleute hat. Mehr als einmal wurde ich in der U-Bahn, wo ich immer das Gefühl gehabt hatte, mich nahtlos einzufügen, von wildfremden Menschen wüst beschimpft, und bei Underwood Samson war ich offenbar über Nacht zum Gegenstand von Getuschel und Blicken geworden. Wainwright wollte mir einen freundlichen Rat geben. »Hör mal«, sagte er, »ich weiß nicht, was es mit deinem Bart auf sich hat, aber ich glaube nicht, dass er dich hier zu Mister Sunshine macht.« »Wo ich herkomme, ist das normal«, antwortete ich. »Wo ich herkomme, ist Jerk Chicken normal«, entgegnete er, »aber ich geh damit nicht hausieren. Du musst vorsichtig sein. Dieser ganze Lack aus Firma und Kollegialität ist nur dünn. Glaub mir.«

Ich war dankbar für die Besorgnis meines Kollegen, nahm seinen Rat aber nicht an. Trotz der Entlassungen blieb die Auslastungsquote unserer Firma im Januar niedrig, und ich saß fast beschäftigungslos an meinem Schreibtisch. Ich verbrachte diese Zeit online und las über die fortschreitende Verschlechterung der Beziehungen zwischen Indien und Pakistan, studierte Expertenurteile über die militärische Kräfteverteilung in der Region, anzunehmende Kampfszenarien und auch über die negativen Auswirkungen, die die Konfrontation schon auf die Wirtschaft beider Nationen hatte. Ich fragte mich, wie es kam, dass Amerika solche Verheerungen auf der Welt anrichten konnte – beispielsweise in Afghanistan einen ganzen Krieg zu inszenieren und durch sein Handeln die Invasion schwächerer Staaten durch stärkere, wie Indien es nun mit Pakistan vorhatte, zu legitimieren – und im eigenen Land so wenig davon zu spüren war.

Auch rief ich schließlich Erica an, nachdem ich mich sechs Wochen lang bemüht hatte, nicht mit ihr Kontakt aufzunehmen, und da ihr Telefon ständig tot war, schickte ich ihr eine Mail. Ich würde gern sagen können, dass meine Nachricht kurz war, ein höfliches Hallo, das ihre Bitte um Schweigen weitgehend respektierte, aber in Wahrheit hatte ich stundenlang daran gesessen, und es war vielleicht die längste, die ich je geschrieben habe. Ich erzählte ihr darin, was in meinem Leben geschehen war, bei der Arbeit wie auch zu Hause, und von dem Durcheinander, das ich durchlief, auch schrieb ich ihr, wie sehr ich sie vermisste und dass ich nicht verstand, wohin und warum sie gegangen war. Nach ein paar Tagen kam ihre Antwort. »Ich bin in einer Art Klinik«, schrieb sie, »einer Einrichtung, wo Leute sich erholen können. Ich denke auch an dich.« Sie lud mich ein, sie zu besuchen, es fiele ihr leichter, meine Fragen im persönlichen Gespräch zu beantworten.

Die Klinik lag eine Nachmittagsfahrt weit außerhalb der Stadt, eine umgebaute Villa auf zwanzig Hektar abgelegener Landschaft mit Blick über den Hudson River. Am Empfang begrüßte mich eine Krankenschwester. »Sie sind bestimmt Changez«, sagte sie. »Erica hat mir viel von Ihnen erzählt.« »Das bin ich«, sagte ich. »Woher haben Sie das gewusst?« »Wimpern wie in einer Maybelline-Anzeige«, antwortete sie. »Das hat sie gesagt.« Während ich über diese unglaubliche Beschreibung nachdachte, erklärte mir die Krankenschwester, Erica habe auf mich gewartet, sei dann aber ein wenig nervös geworden und spazieren gegangen und habe sie gebeten, mir an ihrer Stelle einige Dinge zu erklären. »Dann will sie mich also nicht sehen?«, fragte ich. Die Krankenschwester lächelte. »O doch«, sagte sie, »aber manchmal ist es den Leuten peinlich, wenn sie in so ein Haus kommen. Sie glaubt, es würde für Sie beide weniger unangenehm, wenn ich zuerst mit Ihnen rede.« Sie tätschelte mir die Hand. Dann fügte sie hinzu: »Ich bin wie die Dusche, unter die man geht, bevor man ins Becken springt.«

Was ich bei Erica begreifen müsse, sagte mir die Schwester, sei, dass sie einen anderen liebe. Sie wisse, es sei hart für mich, das zu hören, aber es müsse nun mal sein. Es spiele dabei keine Rolle, dass der Mensch, den Erica liebe, das sei, was die Schwester oder ich verstorben nennen würden; für Erica sei er noch hinreichend lebendig, und das sei das Problem: Es sei für Erica schwierig, in der Welt draußen zu sein und so wie die Schwester oder ich zu leben, wenn sich bei ihr im Kopf Dinge abspielten, die stärker und bedeutsamer seien als die, die sie mit uns anderen erleben könne. Daher gehe es Erica in einem solchen Haus besser, wo sie von uns anderen getrennt sei, wo man in seinem eigenen Kopf leben könne, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. »Aber irgendwann wird sie doch hier wieder wegmüssen«, sagte ich. »Vielleicht will sie dann ja mit mir zusammen sein.« Die Schwester schüttelte den Kopf. »Vielleicht«, sagte sie. »Aber im Augenblick sind Sie derjenige, dem zu begegnen ihr am schwersten fällt. Weil Sie der Realste sind und Sie sie aus dem Gleichgewicht bringen.«

Die Schwester meinte, ich würde Erica wahrscheinlich am Ende eines Weges finden, der sich durch das bewaldete Areal wand, in einem Wäldchen auf einem Hügel. Da war sie denn auch; sie saß auf einer Bank aus grob gehauenen Balken. Sie trug eine schwere Jacke und wandte sich um, als ich mich ihr näherte; sie war hager, und das Fleisch wirkte da, wo es sich über ihre Gesichtsknochen spannte, fast wie geprellt, und sie glühte von etwas, was der Inbrunst von Eiferern nicht unähnlich war. Sie streckte mir ihre Hand entgegen, doch statt sie zu schütteln, küsste ich sie; meine Lippen berührten die synthetischen Polymere ihres Winterhandschuhs. Sie lächelte. »Du siehst gut aus«, sagte sie, »dein Bart bringt deine Augen zur Geltung.« Sie sah aus wie jemand, der im Begriff war, den Fastenmonat zu beenden, und von Gebeten und der Lektüre der Heiligen Schrift zu sehr in Anspruch genommen war, um dem Abendessen genügend Aufmerksamkeit zu widmen, aber das sagte ich nicht.

Sie bot mir ihren Arm an, und leise redend schlenderten wir dahin; der Nebel unseres Atems ging uns voraus. »Das hier tut mir im Augenblick sehr gut«, sagte sie. »Hier bin ich ruhig.« »So wirkst du auch«, sagte ich und widerstand dem Drang hinzuzufügen, zu ruhig. »Tut mir leid, dass ich mich verkrochen habe«, sagte sie. »Es ist nicht so, dass ich dich nicht sehen wollte. Ich habe nur einfach gemerkt, dass ich dich da in etwas hineinziehe, und ich wollte nicht, dass du leidest. Ich dachte, so wäre es für dich besser.« »Warum sollte ich denn leiden?«, fragte ich. »Es tut weh, wenn man jemanden mag und der dann weggeht«, antwortete sie. »Aber wohin gehst du denn?«, fragte ich. Sie zuckte die Achseln und antwortete nicht.

Wir gingen schweigend weiter; bis auf das Knirschen des Schnees unter unseren Füßen war alles still; meine Ohren schmerzten zunehmend von der Kälte. »Schreibst du hier?«, fragte ich. »Nein«, sagte sie, »nicht in dem Sinn, dass ich etwas zu Papier bringe. Aber ich denke viel nach. Ich stelle mir Sachen vor.« »Und komme ich manchmal in deinen Vorstellungen vor?«, fragte ich. »Manchmal«, sagte sie und lächelte. »Abartige Sexfantasien«, sagte ich, »mit einem exotischen Fremden, der gern Rollenspiele macht?« Sie lachte und drückte mir den Arm; zum ersten Mal wurde ihr Gesicht weich, beinahe verletzlich. Doch dann zog sie sich wieder in sich zurück. »Du hast mir geholfen«, sagte sie. »Du warst freundlich und wahrhaftig, und dafür bin ich dir dankbar.«

Was mich am meisten an ihrer Erklärung bestürzte, war die Bestimmtheit, mit der sie mich in die Vergangenheitsform setzte. Ich spürte, wie die Hoffnung in mir erlosch. Zwar sagte ich noch: »Sei nicht dankbar, sei lustvoll – komm mit mir zurück nach New York«, aber ohne jene innere Überzeugung, die Worten Macht verleiht; sie lehnte flüchtig den Kopf an meine Schulter, sah sich aber zu keiner Antwort veranlasst. Auf unserem Rückweg zum Hauptgebäude betrachtete ich sie aus den Augenwinkeln und überlegte, wie viel von ihrem distanzierten und scheinbar asketischen Zustand eine Folge der Medikamente war, die sie nahm. Einen Augenblick lang packte mich die wilde Vorstellung, sie zu entführen und in meinem Mietwagen mitzunehmen, da meine Zuwendung sie gewiss mit mehr Erfolg in die Wirklichkeit zurückholen würde als die Chemikalien, denen sie sich aussetzte. Doch die Absurdität einer solchen Tat – und die Respektlosigkeit ihr gegenüber – wurden mir sogleich klar, und ich tat nichts Derartiges.

»Fährst du Ski?«, fragte sie mich. »Nein«, sagte ich, »das habe ich nie gemacht.« »Chris und ich«, sagte sie, »waren jeden Winter Ski fahren – meistens in Colorado, manchmal auch in Vermont. Als Kinder haben wir hin und wieder sogar auch ein bisschen Langlauf im Central Park gemacht. Wir bekamen jeder ein Paar Ski geschenkt und sind dann losgezogen, ohne jemandem etwas zu sagen. Natürlich kriegten wir Schwierigkeiten. Unsere Eltern riefen die Polizei. Trotzdem hat es Spaß gemacht. Diese Gegend hier erinnert mich jedenfalls daran. Besonders der Schnee auf dem Hang da. Er ist so sanft und wirkt so weich. Solltest du mal machen.« Wir hatten den Kies der Zufahrt erreicht. »Nimm mich doch mal mit«, sagte ich. Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht«, sagte sie, »aber geh trotzdem. Versuch, glücklich zu sein, ja? Das alles tut mir so leid. Bitte pass auf dich auf.«

Sie umarmte mich, dann stand sie da und schaute mich an. Aber er ist doch tot!, wollte ich schreien. Ich konnte mich gerade noch zurückhalten, sie nicht zu küssen; vielleicht hätte ich es tun sollen. Ich musste mich entscheiden, ob ich weiterhin versuchen sollte, sie für mich zu gewinnen, oder ihren Wunsch akzeptieren und gehen, und schließlich wählte ich Letzteres. Vielleicht, sagte ich mir, als ich davonfuhr, war das ja ein Test, und ich bin durchgefallen, vielleicht hätte ich es riskieren sollen. Fast wäre ich umgekehrt und zurückgefahren, aber dann tat ich es doch nicht. Alles hätte sich ganz anders entwickeln können, wenn ich kehrtgemacht hätte, aber es hätte auch ganz genauso kommen können.

Danach gab ich im Büro eine klägliche Figur ab, war wütend und mit meinen Gedanken bei Erica und zu Hause. Ich vernachlässigte meine Verwaltungstätigkeiten und unternahm rein gar nichts, um mir eine neue Aufgabe zu suchen. Fast erwartete ich, dass jemand mit einem blauen Brief zu meinem Schreibtisch kam und mich aus meinem Elend erlöste. Stattdessen rief Jim mich zu sich, um mir einen überraschenden Beweis seiner Anerkennung zu liefern. »Hören Sie, junger Mann«, sagte er, »hier finden manche, dass Sie ein bisschen abgerissen herumlaufen. Der Bart und so. Mir ist das, ehrlich gesagt, scheißegal. Was zählt, ist Ihre Performance, und in Ihrer Klasse sind Sie bei weitem der beste Berater. Außerdem weiß ich, dass es hart für Sie sein muss, was da gerade in Pakistan abgeht. Sie brauchen Beschäftigung, was zugegebenermaßen nicht einfach ist, wenn wir so eine Flaute haben wie jetzt. Aber ich habe ein neues Projekt, die Bewertung eines Buchverlags in Valparaiso, Chile. Es wird ein kleines Team sein müssen, nur ein Vizepräsident und ein Berater. Normalerweise würde ich es einem mit mehr Erfahrung anbieten. Aber ich biete es Ihnen an. Was halten Sie davon?« »Vielen Dank, Sir«, murmelte ich. Er lachte. »Ein bisschen mehr Begeisterung, bitte«, sagte er. »Das bedeutet eine Menge Verantwortung. Sie werden ganz auf sich allein gestellt sein.« »Sie können sich auf mich verlassen«, sagte ich, diesmal mit, wie ich hoffte, deutlich mehr Nachdruck. Ich weiß jedoch nicht, ob es mir gelang, denn Jim lächelte zwar, wirkte aber doch etwas verwirrt.

Aber Sie haben ja aufgehört zu essen, Sir. Kann es denn sein, dass Sie schon satt sind? Nun gut, ich will Sie nicht drängen, dennoch möchte ich uns gern einen Nachtisch bestellen, ein wenig Milchreis mit Mandelsplittern und Kardamom, die ideale Süße für einen Abend wie den unseren, der nun eher bitter zu werden droht. Solche Gerichte sind normalerweise vielleicht nicht ganz nach Ihrem Geschmack, aber ich möchte Sie ermutigen, wenigstens ein Häppchen davon zu kosten. Man liest ja auch, dass die Soldaten Ihres Landes mit Schokolade in ihren Tagesrationen in die Schlacht geschickt werden, daher dürfte Ihnen die Aussicht, sich noch vor der blutigsten Aufgabe die Zunge zu verzuckern, nicht ganz fremd sein.

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