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Da Sie dauernd hinter sich blicken, Sir, werden Sie bemerkt haben, dass wir nicht die Einzigen sind, denen gerade der Sinn danach steht aufzubrechen. Ja, auch andere haben sich hinter uns zur Mall Road aufgemacht, auch der Kellner, der so ungewöhnlich aufmerksam war und an dem Sie sich anscheinend dennoch reiben. Es ist gar nichts Überraschendes dabei; die Arbeit des Abends ist nun getan. Ich bitte Sie, stattdessen den Blick auf diese hübschen Gebäude da zu richten, die sich in sehr unterschiedlichen Stadien des Verfalls zeigen. Sie gehen auf die britische Zeit zurück und sind geografisch wie architektonisch ein Bindeglied zwischen dem alten und dem heutigen Teil unserer Stadt. Sind sie nicht wunderbar! Ein Apotheker, ein Optiker, ein Händler feiner Saris, ein Herrenschneider. Schauen Sie, wie oft die Wörter Brüder und Söhne auf ihren Schildern auftauchen; es sind Familienbetriebe, die behutsam von Generation zu Generation weitergegeben worden sind. Nein, nicht im Falle dieser Waffenhandlung da, wie Sie zu Recht anmerken – aber Sie müssen doch zugeben, dass die meisten ganz bezaubernd und malerisch sind.

Diese Plazas mit ihren kantigen Linien und gedrängten Fassaden sind da völlig anders; sie entstanden überwiegend in den siebziger und achtziger Jahren, als man noch keinen Sinn für die Erhaltung historischer Gebäude hatte; sie sprenkeln die Oberfläche dieser Gegend wie eine Hautreizung. Besonders unangenehm finde ich sie nachts, wenn sie unbeleuchtet und leer sind, umgrenzt von jenen schmalen Gassen, in die man gegen seinen Willen gezerrt werden könnte, um auf immer zu verschwinden! Ja, Sie haben vollkommen recht: Beeilen wir uns ein wenig; wir haben noch eine ordentliche Strecke vor uns.

Kennen Sie Die Legende von Sleepy Hollow? Sie haben den Film gesehen, sagen Sie? Ich nicht, aber bestimmt entspricht er der Vorlage; die Prosaversion war jedenfalls ausgesprochen stark. Man lässt sich einfach von dem Entsetzen des armen Ichabod Crane anstecken, als er, allein auf seinem Pferd, den Kopflosen Reiter wahrnimmt. Ich muss zugeben, manchmal denke ich selbst an das Geräusch, dieses gespenstische Klipp-Klapp, wenn ich einen nächtlichen Spaziergang unternehme. Wie einem davon das Herz pocht! Aber offensichtlich teilen Sie mein Vergnügen an dieser Vorstellung nicht, ja, Sie wirken sogar richtiggehend ängstlich. Gestatten Sie mir also, das Thema zu wechseln ...

Ich hatte Ihnen erzählt, Sir, wie ich Amerika verlassen habe. Die Wahrheit dessen, was ich erlebt habe, kompliziert diese scheinbar simple Aussage; ich war nach Pakistan zurückgekehrt, dennoch bewohnte ich weiterhin Ihr Land. Ich blieb mit Erica emotional verflochten, und ich brachte etwas von ihr mit nach Lahore – vielleicht wäre es richtiger zu sagen, dass ich etwas von mir an sie verloren hatte, was ich in meiner Geburtsstadt nicht mehr wiederfinden konnte. Wie auch immer, die Folge war, dass es an meiner Stimmung zerrte und zog; Wogen der Trauer überrollten mich, Kummer und Bedauern kamen mal durch einen äußeren Auslöser, mal durch einen inneren Kreislauf, der nahezu – mir fällt gerade kein besseres Wort ein – gezeitenartig war. Ich reagierte auf die Schwerkraft eines unsichtbaren Mondes in meinem Innern, und ich unternahm Reisen, die ich nicht erwartet hätte.

Beispielsweise stand ich oft im Morgengrauen auf, ohne auch nur eine Sekunde geschlafen zu haben. Während der Stunden davor hatten Erica und ich dann einen ganzen Tag zusammen verlebt. Wir waren in meinem Schlafzimmer aufgewacht und hatten mit meinen Eltern gefrühstückt; wir hatten uns unter der Dusche liebkost und zur Arbeit angezogen; wir saßen auf unserem Motorroller und fuhren zum Campus, und ihr Helm stieß gegen meinen; wir trennten uns auf dem Parkplatz für die Lehrkräfte, und mich amüsierten und ärgerten die Blicke von Studenten, die sie auf sich zog, weil ich nicht wusste, wie viele dieser Blicke ihrer Schönheit und wie viele ihrer Fremdheit galten; wir aßen preiswert, aber köstlich im Freien und in Mondlicht getaucht neben der Königlichen Moschee zu Abend; wir unterhielten uns über unsere Arbeit, ob wir schon bereit für Kinder waren; ich korrigierte ihr Urdu und sie meinen Kursplan, und dann liebten wir uns in unserem Bett zum Summen des Deckenventilators.

Auch sonst wurde ich immer wieder auf Reisen geschickt, die nicht weniger heftig, aber weit flüchtiger waren. Ich erinnere mich, dass ich einmal, es war Monsun, beobachtete, wie sich in der matschigen Furche einer Reifenspur neben der Straße ein Tümpel bildete. Die Regentropfen fielen, und das Wasser stieg an den Ufern dieses kleinen Sees, als mir ein Stein auffiel, der aufrecht mittendrin stand, wie eine Insel, und ich stellte mir die Freude vor, die Erica beim Anblick dieser Szene gehabt hätte. In ähnlicher Weise erinnere ich mich an eine weitere Begebenheit; ich hatte mit meinem Roller einen Unfall gehabt, und als ich nach Hause kam und mein Hemd auszog, sah ich einen dunkelroten Bluterguss auf meinem Brustkorb, genau an der Stelle, wo ihrer einmal gewesen war. Ich starrte mich im Spiegel an, strich mit den Fingern über die Haut und hoffte, dass der Bluterguss nicht so schnell wegging, was er aber unausweichlich tat.

Solche Reisen haben mich überzeugt, dass es nicht immer möglich ist, die eigenen Grenzen wiederherzustellen, wenn sie einmal von einer Beziehung verwischt und durchlässig gemacht worden sind: Sosehr wir uns auch anstrengen, wir können uns nicht in das autonome Wesen zurückverwandeln, für das wir uns vorher gehalten haben. Etwas von uns ist nun außerhalb, und etwas von außen in uns. Vielleicht haben Sie ja nichts Vergleichbares erlebt, denn Sie starren mich an, als wäre ich völlig verrückt geworden. Ich will nicht sagen, dass wir alle eins sind, und ich bin auch nicht dagegen – das wird Ihnen bald klar werden –, Mauern um sich zu errichten, um sich vor Verletzungen zu schützen; ich wollte lediglich gewisse Aspekte meines Verhaltens nach meiner Rückkehr erklären.

Trotz meiner nicht unbeträchtlichen finanziellen Zwänge habe ich es Jahr für Jahr geschafft, meinen Jahrgangspflichten nachzukommen und das Princeton Alumni Weekly zu beziehen, was ich stets von vorn bis hinten durchlese, mit besonderer Berücksichtigung der Nachrichten meines Jahrgangs und der Nachrufe im hinteren Teil. Von Zeit zu Zeit stoße ich auf den Namen eines Bekannten, und durch solche winzigen Löcher spähe ich dann begierig auf das Leben, das ich zurückgelassen habe, und frage mich, wie diese Welt – die Welt von Menschen wie jenen, mit denen ich in Griechenland war – sich entwickelt hat. Erica jedoch erschien nie auf diesen Seiten, und auch wenn es möglich war, dass sie in einer der Nummern, welche die Launen der internationalen Post am Eintreffen gehindert haben, unbemerkt an mir vorbeigeschlüpft war, bereitete mir jede ihrer episodischen Abwesenheiten in gleichem Maße Hoffnung und Kummer.

Ich weiß nicht, was ich zu finden hoffte – eine Notiz, dass ihr Roman veröffentlicht worden war und sie Jahrgangskollegen begeistert hatte, als sie zur Buchpräsentation erschien? Die endgültige Nachricht, dass ihr Leichnam identifiziert worden war? Ein Gesicht auf dem verwackelten Foto eines Jahrgangstreffens, das gut ihres sein konnte? – Ich weiß nur, dass die Zeit den Eifer, mit dem ich nach ihr suchte, nicht gemindert hatte. Monatelang schrieb ich ihr weiterhin Mails, bis ihre Adresse erlosch, danach beschränkte ich mich auf einen Brief pro Jahr, den ich am Jahrestag ihres Verschwindens abschickte, aber immer bekam ich ihn ungeöffnet zurück.

Im April hat mein Bruder geheiratet, kurz vor meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag. Danach legte meine Mutter mir mit zunehmender Dringlichkeit ans Herz, dass ich es ihm doch gleichtun solle; sie glaubte, ich sei in den Fängen einer ungesunden Melancholie und dass eine eigene Familie der sicherste Weg für mich sei, wieder Zufriedenheit im Leben zu erlangen. Auch war sie der Meinung, ich verbrächte zu viel Zeit bei der Arbeit oder allein in meinem Zimmer und nicht genug mit Freunden. Einmal fragte sie mich sogar sichtlich nervös, ob ich vielleicht, es wäre ja möglich, schwul sei. Ich hatte ihr nicht von Erica erzählt, und ich fand es zunehmend schwieriger, es überhaupt in Erwägung zu ziehen; unsere Beziehung konnte jetzt nur noch in meinem Kopf gedeihen, und sie mit einer Mutter zu erörtern, die es – natürlich nur zu meinem Besten – darauf abgesehen hatte, diese Beziehung mit der Wirklichkeit zu konfrontieren, konnte ihr irreparablen Schaden zufügen. Natürlich glaube ich nicht wirklich, jetzt in diesem Augenblick und im normalen Sinn des Wortes eine Beziehung mit Erica zu haben oder dass sie eines Tages lächelnd, vom Gewicht ihres Rucksacks nach vorn gebeugt, vor meiner Tür stehen würde, um mich zu überraschen. Aber ich bin noch jung und sehe nicht die Notwendigkeit, eine andere zu heiraten, und bis jetzt warte ich noch gern.

Im Gegensatz zu Ihnen, Sir. Sie scheinen mir so schnell wie möglich wegzuwollen. Was hat Sie nur so verschreckt? War es das Geräusch in der Ferne? Ich versichere Ihnen, es war kein Pistolenknall – auch wenn ich verstehen kann, warum Sie das glauben –, sondern die Fehlzündung einer vorbeifahrenden Rikscha. Ihre Zweitakter sind nicht immer sonderlich gut in Schuss und stottern öfter mal so. Doch, doch, auch ich finde es äußerst verstörend. Wie? Uns folgt jemand? Ich sehe niemanden – nein, halt, jetzt, wo Sie es sagen, da in dem Dunkeln sind tatsächlich ein paar Gestalten. Nun, wir können nicht erwarten, die Mall Road für uns allein zu haben, selbst nicht zu dieser späten Stunde. Wahrscheinlich sind es nur Arbeiter auf dem Heimweg.

Ja, Sie haben recht: Sie sind stehen geblieben. Wie meinen Sie das, Sir, ob ich ihnen ein Zeichen gegeben hätte? Natürlich nicht! Ich weiß genauso wenig über ihre Beweggründe und ihre Identität wie Sie. Man kann nur spekulieren, dass sie vielleicht etwas haben fallen lassen oder gerade ins Gespräch vertieft sind. Oder sie fragen sich, warum wir stehen geblieben sind und ob wir etwas gegen sie im Schilde führen! Wie auch immer, wir brauchen uns keine übermäßigen Sorgen zu machen, setzen wir unseren mitternächtlichen Bummel einfach fort. Lahore hat schließlich acht Millionen Einwohner und ist keineswegs ein Wäldchen auf dem Lande, in dem Geister hausen.

Es freut mich, dass Sie weitergehen wollen. Wonach suchen Sie denn? Ah, nach Ihrem ungewöhnlichen Handy. Wenn Sie Ihren Kollegen eine SMS schicken, dann teilen Sie ihnen doch gleich mit, dass wir es nicht mehr weit zu Ihrem Hotel haben – höchstens noch eine Viertelstunde, würde ich sagen, was mir bedeutet, mich zu beeilen, wenn ich die Sache noch zu einem angemessenen Ende bringen will. Vorhin, Sir, haben Sie mich, falls Sie sich noch erinnern, gefragt, was ich getan habe, um Amerika zu stoppen. Nun, da wir auf das Ende unserer gemeinsamen Zeit zusteuern, will ich den Versuch unternehmen, Ihnen darauf zu antworten, auch wenn Sie möglicherweise enttäuscht sein werden.

Die Gefahr eines Krieges mit Indien erreichte ihren Höhepunkt im Sommer nach meiner Rückkehr aus New York. Multinationale Unternehmen auf beiden Seiten der Grenze holten ihre leitenden Angestellten zurück, und in allen Ländern der Ersten Welt wurden Reisehinweise ausgegeben, worin den Bürgern geraten wurde, nicht unbedingt notwendige Reisen in unsere Region zu verschieben. Anscheinend war das Wetter der einzige Faktor, der den offiziellen Beginn von Kampfhandlungen verzögerte: Erst war die Hitze zu groß für eine indische Offensive in der Wüste, dann machte der Monsunregen das Gelände im Punjab für die indischen Panzer tückisch. Der September galt als der beste Monat für eine Schlacht, da die Gebirgspässe in Kaschmir wohl schon Anfang Oktober vom Schnee geschlossen sein würden. Also warteten wir ab, während unser September verging – kaum bemerkt von den Medien Ihres Landes, deren Aufmerksamkeit zu der Zeit auf den ersten Jahrestag der Angriffe auf New York und Washington gerichtet war –, und dann wurden die Tage zunehmend kürzer, die Verhandlungen machten Fortschritte, und die Wahrscheinlichkeit einer Katastrophe, die Dutzende Millionen Menschen das Leben hätte kosten können, wurde geringer. Natürlich war die Atempause für die Menschheit nur kurz: Ein halbes Jahr später begann die Invasion des Irak.

Durch diese Konflikte schien sich ein roter Faden zu ziehen, und der bestand im Aufstieg einer kleinen Gruppe mit ihren eigenen Ideen von amerikanischen Interessen. Sie agierte unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Terrorismus, worunter man explizit nur den organisierten und politisch motivierten Mord an Zivilisten durch Killer verstand, die keine Soldatenuniform trugen. Wenn das die einzige, wichtigste Priorität unserer Spezies war, dann, so wurde mir klar, war das Leben derjenigen, die in Ländern lebten, in denen auch solche Killer lebten, ohne Bedeutung, es sei denn als Kollateralschaden. Daher, folgerte ich, fühlte sich Amerika auch berechtigt, so viel Tod nach Afghanistan und in den Irak zu tragen, daher fühlte sich Amerika auch berechtigt, so viele weitere Tote zu riskieren, indem es stillschweigend Indien benutzte, um Druck auf Pakistan auszuüben.

Unterdessen hatte ich eine Stelle als Lektor an der Universität bekommen, und ich machte es zu meiner Aufgabe, auf dem Campus für eine Loslösung meines Landes von Ihrem zu werben. Ich war bei meinen Studenten beliebt – vielleicht, weil ich jung war, vielleicht auch, weil sie erkannten, welchen praktischen Wert die Kenntnisse eines Ex-Janitscharen hatten, die ich in meinen Finanzseminaren an sie weitergab –, und es war nicht schwierig, sie davon zu überzeugen, wie wichtig es war, an Demonstrationen für eine größere Unabhängigkeit Pakistans innerer und äußerer Angelegenheiten teilzunehmen. Demonstrationen, die in der ausländischen Presse wenig später, nachdem unsere Versammlungen nachrichtenwürdige Ausmaße angenommen hatten, als antiamerikanisch etikettiert wurden.

Der erste unserer Proteste, der größere Aufmerksamkeit erregte, fand nicht weit von hier statt. Der Botschafter Ihres Landes war in der Stadt, und wir bildeten einen Ring um das Gebäude, in dem er sprach, skandierten und hielten Plakate hoch. Wir waren Tausende, alle erdenklichen Richtungen waren vertreten – Kommunisten, Kapitalisten, Feministinnen, religiöse Fundamentalisten –, und dann lief die Sache aus dem Ruder. Puppen wurden verbrannt und Steine geworfen, und darauf gingen zahlreiche Polizisten auf uns los, in Uniform und Zivil. Es kam zu Rangeleien, ich wollte eine schlichten, mit dem Ergebnis, dass ich eine Nacht mit blutender Lippe und aufgeschrammten Knöcheln im Gefängnis verbrachte.

In meiner Arbeitszeit fanden bald so viele Treffen mit politisch interessierten Jugendlichen statt, dass ich oft gezwungen war, bis weit nach dem Abendessen zu bleiben, um den universitären und außeruniversitären Ansprüchen all derer, die mich aufsuchten, auch gerecht zu werden. Naturgemäß wurde ich zum Mentor für viele dieser Männer und Frauen: Ich beriet sie nicht nur bei ihren Referaten und Kundgebungen, sondern auch in Herzensangelegenheiten und einer breiten Palette anderer Themen: von Drogenrehabilitation und Familienplanung über Frauenhäuser bis zu den Rechten von Gefangenen.

Ich will Ihnen nicht vormachen, dass alle meine Studenten Engel waren; manche, und da bin ich der Erste, der das zugibt, waren nicht besser als gemeine Schläger. Aber im Laufe der Jahre hatte ich die Fähigkeit entwickelt, einen Menschen schnell einzuschätzen – eine Fähigkeit, die, und dies nicht zu unterstreichen wäre nachlässig, in beträchtlichem Maße der meines damaligen Mentors Jim nachgebildet war –, und auch wenn ich mich nicht für unfehlbar halte, darf ich wohl sagen, dass meine Menschenkenntnis im Allgemeinen sehr gut ist. Beispielsweise weiß ich zumeist, wer in einer Menschenmenge am ehesten Gewalt provoziert oder wer von meinen Kollegen am ehesten den Rektor bedrängt, mich in meine Schranken zu weisen, bevor meine Aktivitäten außer Kontrolle geraten.

Mehr als einmal bin ich offiziell verwarnt worden, doch meine Kurse sind so gefragt, dass ich bis jetzt von einer Suspendierung verschont geblieben bin. Und damit Sie nicht meinen, ich sei einer jener Dozenten, die mit jungen Kriminellen unter einer Decke stecken und keinerlei Interesse an Erziehung haben und die ihre Campus-Gruppen wie marodierende Banden führen, sollte ich erwähnen, dass die Studenten, die gemeinhin zu mir kommen, kluge, idealistische Leute sind, die ebenso höflich wie ehrgeizig sind. Wir nennen einander Genosse – wie überhaupt alle, die wir als Gleichgesinnte ansehen –, aber ich würde nicht zögern, stattdessen den Begriff Wohlmeinender zu gebrauchen. Und so war ich unlängst aufs äußerste bestürzt, als ich hörte, einer von ihnen sei wegen eines geplanten Anschlags auf einen Koordinator Ihres Landes, der Entwicklungshilfemittel an unsere armen Landbewohner verteilen sollte, verhaftet worden.

Ich hatte keine Insiderkenntnisse von diesem angeblichen Plan, der desto perverser war, da er angeblich einen Vertreter des Mitgefühls zum Ziel hatte, aber ich war mir sicher, dass der betreffende Junge fälschlich mit dieser Sache in Verbindung gebracht worden war. Wie ich da sicher sein könne, da ich doch keine Insiderkenntnisse gehabt hätte? Ich muss schon sagen, Sir, jetzt haben Sie einen entschieden unfreundlichen und vorwurfsvollen Ton angeschlagen. Was wollen Sie mir denn damit unterstellen? Ich kann Ihnen versichern, dass ich ein Anhänger der Gewaltlosigkeit bin. Blutvergießen ist mir ein Gräuel, es sei denn zur Selbstverteidigung. Und wie großzügig ich Selbstverteidigung definiere, fragen Sie? Überhaupt nicht großzügig! Ich bin kein Verbündeter von Killern, ich bin einfach ein Universitätsdozent, nicht mehr und nicht weniger.

Ich sehe an Ihrer Miene, dass Sie mir nicht glauben. Egal, ich bin mir der Wahrheit meiner Worte sicher. Wie auch immer, es war unmöglich, den Jungen über die Sache zu befragen, denn er war verschwunden – zweifellos verschleppt in eine geheime Haftanstalt, ein gesetzloses Niemandsland zwischen Ihrem Land und meinem. Er und ich waren nicht sonderlich gut miteinander bekannt, wie ich wiederholt ausgesagt habe, doch ich erinnerte mich an sein schüchternes Lächeln und seine Kompetenz bei Kapitalflussrechnungen, und das Rätsel, das sein Schicksal umgab, erfüllte mich zunehmend mit Wut. Als die internationalen Nachrichtensender auf unseren Campus kamen, sagte ich ihnen unter anderem, dass kein Land den Bewohnern anderer Länder so schnell den Tod bringt und so viele Menschen in der Ferne in Angst versetzt wie Amerika. Vielleicht war ich bei diesem Thema energischer, als ich es beabsichtigt hatte.

Später fiel mir ein, dass ich zusätzlich zu der Bekundung meiner Abscheu möglicherweise auch versucht hatte, die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken; ich hatte auf meine Weise das Glimmen eines Leuchtkäfers ausgesandt, das hell genug war, die Grenzen von Kontinenten und Zivilisationen zu überwinden. Wenn Erica das sah – was, nüchtern betrachtet, so gut wie ausgeschlossen war, wie ich wusste –, hätte sie mich vielleicht erkannt und mir daraufhin geschrieben. Als nichts geschah, stellte sich ein unterschwelliges Verlustgefühl ein. Doch mein kurzes Interview schien Widerhall zu finden: Es wurde tagelang immer wieder gezeigt, und noch heute sieht man gelegentlich einmal einen Ausschnitt davon in Montagen zum Krieg gegen den Terror. Seine Wirkung war so stark, dass meine Genossen meinten, Amerika könnte auf meine zugegebenermaßen unbeherrschten Bemerkungen reagieren, indem sie jemanden schickten, um mich einzuschüchtern oder Schlimmeres.

Seither fühle ich mich ganz wie ein Kurtz, der auf seinen Marlowe wartet. Ich habe versucht, normal zu leben, als hätte sich nichts geändert, aber mich quält eine Paranoia, das immer wiederkehrende Gefühl, beobachtet zu werden. Ich habe sogar schon versucht, meine Tagesabläufe zu variieren – die Zeit, zu der ich zur Arbeit gehe, beispielsweise, und die Straßen, die ich nehme –, aber ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass das alles keinen Zweck hat. Ich muss mich meinem Schicksal stellen, wenn es da ist, und bis dahin darf ich nicht in Panik geraten.

Vor allem muss ich das vermeiden, was Sie gerade tun, nämlich ständig über die Schulter zu blicken. Ich habe den Eindruck, dass Sie meinem Geplapper gar nicht mehr zuhören; vielleicht sind Sie überzeugt, dass ich ein unverbesserlicher Lügner bin, vielleicht glauben Sie ja auch, dass wir verfolgt werden. Wirklich, Sir, es täte Ihnen gut, sich zu entspannen. Ja, diese Männer sind nun ziemlich nahe, und, ja, der eine da – na, so ein Zufall; es ist unser Kellner, und er hat mir zugenickt – schaut ziemlich grimmig drein. Aber sie wollen Ihnen bestimmt nichts Böses. Es ist eigentlich überflüssig zu sagen, aber glauben Sie bitte nicht, dass wir Pakistani alle potenzielle Terroristen sind, genauso wenig wie wir annehmen sollten, dass alle Amerikaner heimliche Attentäter sind.

Ah, gleich sind wir vor Ihrem Hotel angekommen. Hier werden sich unsere Wege trennen. Vielleicht möchte sich auch unser Kellner verabschieden, denn er kommt sehr schnell auf uns zu. Ja, er bedeutet mir, Sie festzuhalten. Ich weiß, Sie finden einige meiner Ansichten beleidigend; ich hoffe, Sie werden sich meinem Versuch, Ihnen die Hand zu schütteln, nicht widersetzen. Aber warum greifen Sie denn in Ihr Jackett, Sir? Sehe ich da Metall schimmern? Nun, da Sie und ich durch eine gewisse Vertrautheit verbunden sind, darf ich doch annehmen, es ist das Etui für Ihre Visitenkarten.

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