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Sehen Sie nur, Sir: Jetzt fliegen Fledermäuse über dem Platz herum. Gruselig, sagen Sie? So eine herrlich amerikanische Ausdrucksweise – habe ich viele Jahre nicht gehört! Ich finde sie nicht gruselig, ich mag sie sogar ganz gern. Sie erinnern mich an meine Jugendtage, da stürzten sie sich immer auf uns herab, wenn wir im Pool meines Großvaters schwammen; vielleicht verwechselten sie uns mit Fröschen. Damals waren in Lahore noch größere Nachttiere heimisch – fliegende Füchse, wie mein Vater sie nannte –, und wenn wir abends die Mall Road entlangfuhren, sahen wir sie kopfüber in den Kronen der ältesten Bäume hängen. Heute gibt es sie nicht mehr; möglich, dass sie, wie die Schmetterlinge und Leuchtkäfer, eher einer Traumwelt angehörten, die mit der Verschmutzung und Verstopfung einer modernen Metropole nicht vereinbar ist. Heute sieht man sie nur hin und wieder in der ländlichen Peripherie.

Aber die Fledermäuse leben weiterhin hier. Sie sind erfolgreiche Stadtbewohner wie Sie und ich, flink genug, um sich der Entdeckung zu entziehen, und schlau genug, um zwischen den Menschenmassen zu jagen. Ich bewundere ihre Fähigkeit, durch die Stadtlandschaft zu navigieren; egal, wie nahe sie den Gebäuden kommen, nie stoßen sie dagegen. Schmetterlinge wiederum klatschen häufig auf die Windschutzscheiben fahrender Autos, und einmal habe ich gesehen, wie ein Leuchtkäfer immer wieder gegen das Fenster eines Hauses stieß, außerstande, das Glas zu begreifen, das ihm den Weg versperrte. Vielleicht fehlte den fliegenden Füchsen das Radar oder die Beweglichkeit ihrer kleineren Vettern, und sie rasten daher gegen die neueren Büro- und Geschäftsgebäude von Lahore, die sich höher als je zuvor emporreckten, und fanden den Tod. Wenn das so ist, dann wären sie in New York schon lange ausgestorben – genauso wie in Manila!

Als ich auf den Philippinen ankam, um mit meinem ersten Projekt für Underwood Samson zu beginnen, war ich schrecklich aufgeregt. Wir waren First Class geflogen, und nie werde ich das Gefühl vergessen, wie ich in meinem Anzug zurückgelehnt auf meinem Sitz thronte und von einer attraktiven und – ja, ich war wirklich so dreist, mir die Annahme zu gestatten – koketten Stewardess Sekt serviert bekam. Ich sah mich selbst als wahren James Bond, nur jünger, dunkler und womöglich auch besser bezahlt. Wie seltsam, sich jetzt an diese Zeit zu erinnern; wie schnell meine Selbstgefälligkeit später schwand!

Aber ich eile voraus. Ich wollte Ihnen noch von Manila erzählen. Waren Sie schon einmal im Osten, Sir? Ach, ja! Für einen Amerikaner sind Sie wirklich weit gereist – eigentlich für einen Bewohner eines jeden Landes. Ich werde zunehmend neugieriger, in welcher Branche Sie tätig sind, aber vorerst ist es Ihnen anscheinend lieber, dass ich fortfahre. Da Sie nun schon im Osten waren, muss ich Ihnen ja nicht erklären, wie ungeheuer sich dieser Teil des Erdballs verändert. Ich erwartete, eine Stadt wie Lahore vorzufinden oder vielleicht Karatschi, stattdessen wurde ich mit Wolkenkratzern und Superhighways konfrontiert. Doch, auch Slums gab es in Manila; man sah sie auf der Fahrt vom Flughafen: riesige Bezirke, in denen Männer in verdreckten weißen Unterhemden vor Autowerkstätten herumlungerten, eine Art ärmere Variante der fünfziger Jahre in Amerika, wie sie in Filmen wie Grease dargestellt sind. Aber Manilas Skyline und seine ummauerten Enklaven für die Superreichen waren anders als alles, was ich in Pakistan gesehen hatte.

Ich versuchte, mich nicht länger mit diesem Vergleich aufzuhalten; es war eine Sache, zu akzeptieren, dass New York reicher als Lahore war, eine ganz andere aber, zu verdauen, dass dies für Manila ebenfalls galt. Ich kam mir vor wie ein Langstreckenläufer, der meint, gar nicht so schlecht zu sein, bis er einen Blick über die Schulter wirft und sieht, dass der Bursche, der ihn überrundet, nicht das Feld anführt, sondern eher ein Nachzügler ist. Vielleicht tat ich in Manila deshalb etwas, was ich davor noch nie getan hatte: Ich versuchte, soweit es meine Selbstachtung zuließ, mich mehr wie ein Amerikaner zu geben und auszudrücken. Die Filipinos, mit denen wir arbeiteten, schienen zu meinen amerikanischen Kollegen aufzuschauen und sie fast instinktiv als Angehörige der Offiziersklasse des globalen Business zu betrachten – und ich wollte auch meinen Anteil an diesem Respekt.

Also lernte ich, zu leitenden Angestellten im Alter meines Vaters zu sagen: »Ich brauche das jetzt«, ich lernte, mich mit einem exterritorialen Lächeln in einer Schlange nach vorn zu mogeln, und ich lernte, auf die Frage, woher ich sei, zu antworten: aus New York. Ob mir das Probleme bereitete, fragen Sie? Ja, natürlich, Sir, ich schämte mich oft. Nach außen hin ließ ich mir aber nichts anmerken. Es gab ja auch vieles, worauf ich stolz sein konnte: meine echte Begabung für unsere Arbeit beispielsweise und die überschwänglichen Beurteilungen, die ich für meine Leistungen von Kollegen erhielt.

Wie ich Ihnen schon sagte, waren wir dort, um eine Musikfirma zu bewerten. Der Besitzer war eine legendäre Gestalt in der dortigen A&R-Szene; wenn er die Sonnenbrille abnahm, lag in seinen Augen jene kosmische Offenheit, die man mit längerem Genuss von LSD verbindet. Aber trotz seiner bunten Vergangenheit hatte er es geschafft, lukrative Outsourcing-Deals für die Herstellung und den Vertrieb von CDs für zwei internationale Musik-Majors abzuschließen. Er nahm sogar für sich in Anspruch, sein Unternehmen sei das größte seiner Art in Südostasien und wachse – ungeachtet aller Piraterie, Downloads und chinesischer Konkurrenz – auch noch in einem recht ordentlichen Tempo.

Um zu bestimmen, wie viel es denn nun wert war, arbeiteten wir über einen Monat lang rund um die Uhr. Wir befragten Zulieferer, Angestellte und Experten aller Art; wir verbrachten Stunden in geschlossenen Räumen mit Buchhaltern und Anwälten; wir sammelten gigabyteweise Daten; wir verglichen Performance-Indikatoren mit Benchmarks, und am Ende erstellten wir ein komplexes Finanzmodell mit zahllosen Permutationen. Ich verbrachte einen Großteil meiner Zeit vor dem Computer, besuchte aber auch die Fabrik und mehrere Musikgeschäfte. Auf diesen Ausflügen fühlte ich mich ungeheuer mächtig, da ich wusste, dass mein Team die Zukunft gestaltete: Würden diese Arbeiter gefeuert werden? Würden diese CDs anderswo hergestellt werden? – darüber würden wir, indirekt natürlich, mitentscheiden.

Doch es gab auch Momente, in denen ich verwirrt war. An eine solche Begebenheit erinnere ich mich besonders. Ich fuhr mit meinen Kollegen im Auto. Wir steckten im Verkehr fest, es ging nicht mehr vor und zurück, und ich sah aus dem Fenster, als etwa einen Meter entfernt der Fahrer eines Jeepney meinen Blick erwiderte. In seinen Augen lag unverhohlene Feindseligkeit; ich hatte keine Ahnung, warum. Wir waren uns noch nie begegnet – dessen war ich mir so gut wie sicher –, und wenn dieser Moment vorbei wäre, würden wir uns wahrscheinlich nie mehr wiedersehen. Doch seine Abneigung war so offensichtlich, so intim, dass sie mir unter die Haut ging. Ich starrte ihn ebenfalls an, wurde meinerseits wütend – Sie werden inzwischen bemerkt haben, dass Anstarren für uns Männer aus Lahore eine ernste Sache ist –, und ich hielt den Blickkontakt mit ihm aufrecht, bis ihn das anfahrende Auto vor ihm zwang, seine Aufmerksamkeit wieder der Straße zuzuwenden.

Danach versuchte ich zu verstehen, warum er sich so verhalten hatte. Vielleicht, dachte ich, hat ihn gerade seine Frau verlassen, vielleicht lehnt er mich wegen meiner Privilegien ab, die mein Anzug und der teure Wagen nahelegen, vielleicht mag er einfach keine Amerikaner. Diese Sache beschäftigte mich viel länger, als sie es verdient hätte, ich spielte etliche Möglichkeiten durch, denen als unbewusster Ausgangspunkt allesamt zugrunde lag, dass er und ich eine Art Dritte-Welt-Empfindlichkeit teilten. Dann fragte mich einer meiner Kollegen etwas, und als ich mich ihm zuwandte, um ihm zu antworten, geschah etwas ganz Merkwürdiges. Ich schaute ihn an – seine blonden Haare und hellen Augen und vor allem, wie er in die Details unserer Arbeit versunken war, ohne etwas anderes wahrzunehmen – und dachte, du bist ja so ausländisch. In dem Moment fühlte ich mich dem philippinischen Fahrer viel näher als ihm; mir war, als spielte ich hier eine Rolle, wo ich doch eigentlich auf dem Heimweg sein sollte, so wie die Leute draußen auf der Straße.

Natürlich sagte ich nichts, aber diese seltsame Kette von Ereignissen – oder besser Eindrücken, denn als Ereignisse konnte man sie ja kaum bezeichnen – hatte mich so sehr aus dem Gleis gebracht, dass ich in der folgenden Nacht kaum Schlaf fand. Aber zum Glück ließ die Intensität, mit der wir an unserem Projekt arbeiteten, nicht zu, dass ich mir weitere Anfälle von Schlaflosigkeit genehmigte; am Tag darauf blieb ich bis zwei Uhr morgens im Büro, und als ich dann in mein Hotelzimmer kam, schlief ich wie ein Murmeltier.

Während meines Aufenthalts in Manila – ich traf Ende Juli dort ein und reiste Mitte September wieder ab – bestanden meine Kontakte zu Freunden und Familie hauptsächlich aus wöchentlichen Anrufen in Lahore und Mail-Korrespondenz mit Erica in New York. Wegen der Zeitverschiebung waren die Sachen, die sie morgens schrieb, bei mir abends in der Mailbox, und ich freute mich immer darauf, sie vor dem Zubettgehen zu lesen und zu beantworten. Ihre Mails waren ausnahmslos knapp; nie schrieb sie mehr als ein, zwei Absätze. Dennoch schaffte sie es, mit wenigen Worten eine Menge zu sagen. Eine Nachricht hatte ungefähr Folgendes zum Inhalt: »C. – Ich bin in den Hamptons. Heute haben mehrere von uns am Strand abgehangen, und ich habe allein einen Spaziergang gemacht. Ich bin auf einen Tümpel zwischen den Klippen gestoßen. Magst du solche Tümpel? Ich liebe sie. Sie sind wie kleine Welten. Vollkommen, eigenständig, transparent. Sie sehen aus, als wären sie in der Zeit stehen geblieben. Dann kommt die Flut, und eine Welle kracht herein, und sie fangen wieder von vorn an, mit neuen Fischen, die zurückgelassen worden sind. Na ja, als ich dann wieder bei den anderen ankam, fragten mich alle, wo ich denn gewesen sei, und da merkte ich, dass ich den ganzen Nachmittag dort verbracht hatte. Es war irgendwie unwirklich. Musste dabei an dich denken. – E.«

Solche Nachrichten genügten, um mich für Tage aufzuheitern. Vielleicht finden Sie das ja übertrieben. Aber Sie müssen wissen, dass in Lahore, wenigstens als ich in die höhere Schule ging – heute sind die jungen Leute hier wie überall sonst vermutlich freier –, Beziehungen häufig nur über flüchtige Telefonate liefen, über Nachrichten durch Freunde und Versprechungen von Treffen, die nie Wirklichkeit wurden. Viele Eltern waren streng, und manchmal vergingen Wochen, ohne dass wir die, die wir als unsere Freundinnen betrachteten, sehen konnten. Und so lernten wir, die Verweigerung von Befriedigung zu genießen: die unamerikanischste aller Freuden! Ich jedenfalls kam mit solchen Mails, wie ich sie gerade beschrieben habe, ganz gut zurecht.

Dennoch wollte ich Erica natürlich unbedingt wiedersehen und war daher bester Stimmung, als unser Projekt sich dem Ende näherte. Jim war hergeflogen, um sich von unseren Endergebnissen persönlich zu überzeugen; wir setzten uns bei einem Glas zusammen. »Na, Changez«, sagte er, unser feines Hotel, das Makati Shangri-La, mit einer schweifenden Hand erfassend, »schon gewöhnt an das Ganze hier?« »Durchaus, Sir«, entgegnete ich. »Alle berichten nur Gutes über Sie«, sagte er und machte eine Pause, um meine Reaktion abzuwarten; als ich lächelte, fuhr er fort: »Außer dass Sie zu hart arbeiten. Sie wollen doch nicht jetzt schon einen Burn-out.« »Ich darf Ihnen versichern«, sagte ich, »dass ich mehr als genug Ruhe bekomme.« Er hob eine Augenbraue und lachte auf. »Ich mag Sie, wissen Sie das?«, sagte er. »Wirklich. Und das ist kein Quatsch, kein Sag-ihm-was-Nettes-damit-der-Junge-Auftrieb-kriegt-Zeug. Sie sind ein Hai. Und wenn ich das sage, ist es ein Kompliment. So haben sie auch mich genannt, als ich anfing. Und ich war ein cooler Hund. Ich habe mir nie anmerken lassen, dass ich das Gefühl hatte, nicht in diese Welt zu gehören. Genau wie Sie.«

Es war nicht das erste Mal, dass Jim so mit mir redete; ich war mir immer unsicher, wie ich darauf reagieren sollte. Ein Geständnis, das sein Publikum mit einschließt, ist, wie wir beim Kricket sagen, immer ein höllisch schwer zu spielender Ball. Bestreitet man es, kränkt man den Gestehenden, akzeptiert man es, räumt man die eigene Schuld ein. Also sagte ich ziemlich vorsichtig: »Warum haben Sie nicht dazugehört?« Er lächelte – wieder so, als durchschaute er mich mühelos – und antwortete: »Weil ich auf der schlechten Seite aufgewachsen bin. Mein halbes Leben habe ich vor dem Süßigkeitenladen gestanden und hineingeschaut. Und in Amerika hat man, egal, wie arm man ist, durch das Fernsehen einen guten Blick darauf. Aber ich war bettelarm. Mein Vater starb an Brand. Mir entgeht also die Ironie keineswegs, die im Kauf einer Flasche fermentierten Traubensafts für hundert Eier liegt, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

Ich dachte darüber nach. Wie ich Ihnen schon sagte, bin ich nicht in Armut groß geworden. Allerdings mit der Sehnsucht des armen Jungen, in meinem Fall nicht danach, was meine Familie nie gehabt hatte, sondern was sie gehabt und verloren hatte. Einige meiner Verwandten klammerten sich an fantasierte Erinnerungen wie Obdachlose an ein Lotterielos. Ihr Crack war Nostalgie, wenn Sie so wollen, und meine Kindheit war übersät von den Folgen ihrer Sucht: Schulden, die sie nicht begleichen konnten, Erbstreitereien, hier ein Alkoholiker, da ein Selbstmord.

Darin waren Jim und ich uns tatsächlich ähnlich: Er war außerhalb des Süßigkeitenladens aufgewachsen, ich auf seiner Schwelle, als gerade die Tür geschlossen wurde.

Andere aus dem Team gesellten sich zu uns an die Bar, doch Jim saß, den Arm auf meiner Hockerlehne, in einer Weise da, dass ich das Gefühl hatte, er habe mich buchstäblich unter seine Fittiche genommen. Es war ein gutes Gefühl, und es wurde noch besser, als ich sah, wie das Hotelpersonal auf ihn reagierte; sie hatten Jim als vermögenden Mann identifiziert, und die freundlichen Blicke und die Aufmerksamkeit, die er erhielt, waren ziemlich beeindruckend. Ich war der einzige Nicht-Amerikaner der Gruppe, doch ich vermutete, dass mein Pakistanisein unsichtbar war, verdeckt von meinem Anzug, meinem Spesenkonto und – vor allem – meinen Begleitern.

Und dennoch ... Nein, ich sollte hier einmal innehalten, denn vermutlich werden Sie das, was ich als Nächstes sagen möchte, eher schwer verdaulich finden, und ich möchte Sie warnen, bevor ich fortfahre. Außerdem ist meine Kehle ausgedörrt; die Brise hat sich anscheinend völlig gelegt, und es ist, obwohl es schon dunkel ist, noch immer ziemlich warm. Möchten Sie noch eine Limonade? Nein? Sie sind neugierig, sagen Sie, und möchten, dass ich fortfahre? Nun gut. Ich gebe nur schnell unserem Kellner ein Zeichen, dass er mir noch eine Flasche bringt; da, schon geschehen. Er kommt, und wie er sich beeilt; man könnte meinen, wir wären seine einzigen Kunden! Ah, köstlich: genau das habe ich jetzt gebraucht.

Der folgende Abend sollte unser letzter in Manila sein. Ich war in meinem Zimmer und packte meine Sachen. Ich schaltete den Fernseher an und hielt das, was ich da sah, erst für einen Film. Doch als ich weiterschaute, wurde mir klar, dass es keine Filmszenen waren, sondern die Nachrichten. Ich sah mit an, wie einer – und danach der andere – der Zwillingstürme des World Trade Center in New York einstürzte. Und dann lächelte ich. Ja, so abscheulich es auch klingen mag, meine erste Reaktion war eine bemerkenswerte Freude.

Ihre Abscheu ist nicht zu übersehen; ja, Ihre große Hand hat sich, vielleicht haben Sie das gar nicht gemerkt, zur Faust geballt. Aber bitte glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass ich kein Soziopath bin; das Leid anderer ist mir nicht gleichgültig. Wenn ich höre, dass bei einem Bekannten eine schwere Krankheit diagnostiziert worden ist, empfinde ich – fast durchweg – einen empathischen Schmerz, ein Stechen in den Nieren, so stark, dass ich scharf die Luft einziehe. Bittet man mich um eine Spende für die Wohlfahrt, komme ich ihr nach, wenigstens soweit es meine bescheidenen Mittel zulassen. Wenn ich Ihnen also sage, dass ich mich über den Mord an Tausenden Unschuldiger freute, dann bin ich dabei selbst tief verblüfft.

Aber in dem Augenblick waren meine Gedanken nicht bei den Opfern des Angriffs – der Tod im Fernsehen bewegt mich immer dann am meisten, wenn er fiktiv ist und Figuren ereilt, mit denen ich über mehrere Episoden hinweg eine Beziehung aufgebaut habe –, nein, mich ergriff die Symbolkraft dessen, die Tatsache, dass jemand Amerika so sichtbar in die Knie gezwungen hatte. Ah, ich sehe, ich verstärke Ihr Missfallen nur noch. Das verstehe ich natürlich; es ist abscheulich, wenn ein Fremder über das Unglück des eigenen Landes Schadenfreude empfindet. Aber auch Sie können von solchen Empfindungen doch nicht vollkommen frei sein. Empfinden Sie keine Freude angesichts der Videoclips, die heute so weit verbreitet sind und in denen amerikanische Geschosse die Gebäude Ihrer Feinde in Schutt und Asche legen?

Aber Sie befänden sich doch im Krieg, meinen Sie? Ja, da haben Sie nicht unrecht. Ich befand mich mit Amerika nicht im Krieg. Ganz und gar nicht: Ich war das Produkt einer amerikanischen Universität, ich bekam ein lukratives amerikanisches Gehalt, ich war in eine Amerikanerin verliebt. Warum wünschte also ein Teil von mir, dass Amerika Schaden zugefügt wurde? Damals wusste ich das noch nicht; ich wusste nur, dass meine Empfindungen für meine Kollegen nicht hinnehmbar sein würden, und ich tat alles, sie vor ihnen zu verbergen. Als mein Team abends dann in Jims Zimmer zusammenkam, gab ich mich ebenso schockiert und gequält, wie ich es auf den Gesichtern um mich herum sah.

Doch als ich sie von ihren Angehörigen sprechen hörte, schweiften meine Gedanken zu Erica, und da brauchte ich dann nicht mehr zu heucheln. Da wusste ich natürlich noch nicht, dass sich das Sterben auf den begrenzten Raum dessen beschränkte, was später Ground Zero heißen sollte. Ebenso wenig wusste ich, dass Erica zu Hause in Sicherheit war, als die Angriffe stattfanden. Ich war fast erleichtert, dass ich mich um sie sorgte und nicht schlafen konnte; das gestattete mir, die Besorgnis meiner Kollegen zu teilen und mein anfängliches Gefühl der Freude eine Zeitlang zu ignorieren.

Wir konnten Manila mehrere Tage nicht verlassen, da die Flüge gestrichen waren. Am Flughafen wurde ich von bewaffneten Sicherheitsleuten in einen Raum gebracht, wo ich mich bis auf meine Boxershorts ausziehen musste – peinlicherweise hatte ich eine pinkfarbene mit Teddybären darauf angezogen, doch deren Enthüllung entlockte den strengen Mienen der Beamten keine Reaktion –, daher war ich der Letzte, der an Bord unseres Flugzeugs ging. Mein Erscheinen löste bei vielen Mitreisenden besorgte Blicke aus. Auf dem Flug nach New York war mir mein eigenes Gesicht unbehaglich: Ich spürte, dass man mich misstrauisch beobachtete, ich fühlte mich schuldig, daher versuchte ich, so lässig wie möglich zu sein, was natürlich dazu führte, dass ich steif und befangen wurde. Jim, der neben mir saß, fragte mich mehrmals, ob alles in Ordnung sei.

Nach unserer Ankunft wurde ich bei der Passkontrolle von meinen Kollegen getrennt. Sie stellten sich in die Schlange für US-Bürger, ich mich in die für Ausländer. Die stämmige Beamtin, die meinen Pass überprüfte, trug eine Pistole an der Hüfte und beherrschte das Englische schlechter als ich; ich versuchte, sie mit einem Lächeln zu entwaffnen. »Was ist der Zweck Ihrer Reise in die Vereinigten Staaten?«, fragte sie mich. »Ich lebe hier«, antwortete ich. »Danach habe ich Sie nicht gefragt, Sir«, sagte sie. »Was ist der Zweck Ihrer Reise in die Vereinigten Staaten?« Unser Wortwechsel ging so mehrere Minuten lang. Schließlich wurde ich zu einer Untersuchung in einen Raum gebracht, wo ich dann neben einem tätowierten Mann in Handschellen auf einer Metallbank saß. Mein Team wartete nicht auf mich; als ich endlich wieder in der Abfertigungshalle war, hatten sie schon ihr Gepäck geholt und waren gegangen. Folglich fuhr ich an dem Abend sehr allein nach Manhattan.

Wovor zucken Sie zurück? Ah ja, die Fledermäuse, sie fliegen ziemlich tief. Sie werden uns nichts tun, diesbezüglich kann ich Sie ganz und gar beruhigen. Das wissen Sie, sagen Sie? Aber warum so kurz angebunden? Ich verstehe ja, dass ich Sie beleidigt, vielleicht sogar verärgert habe. Aber überrascht habe ich Sie vermutlich doch nicht ganz. Bestreiten Sie das? Nein? Das ist für mich von nicht unerheblichem Interesse, denn wir sind uns vorher noch nicht begegnet, und dennoch scheinen Sie zumindest einiges über mich zu wissen. Vielleicht ziehen Sie gewisse Schlüsse aus meinem Äußeren, meinem schimmernden Bart; vielleicht sind Sie dem Bogen meiner Geschichte lediglich mit dem unheimlichen Geschick eines Skeetschützen gefolgt, vielleicht haben Sie auch ... Aber genug mit diesen Spekulationen! Jetzt sollten wir erst einmal einen Blick auf die Speisekarte werfen; ich habe zu viel geredet, und ich fürchte, ich habe meine Gastgeberpflichten vernachlässigt. Außerdem möchte ich doch auch mehr von Ihnen hören: was Sie nach Lahore führt, bei welcher Firma Sie arbeiten und so weiter und so fort. Die Nacht senkt sich immer tiefer um uns herum, und trotz der Lichter über dem Markt liegt Ihr Gesicht weitgehend im Schatten. Da unsere Augen von immer geringerem Nutzen sind, wollen wir es den Fledermäusen nachtun und uns unserer anderen Sinne bedienen. Ihre Ohren sind wahrscheinlich erschöpft und es wird Zeit, dass Sie Ihre Zunge gebrauchen – zum Schmecken, wenn schon zu nichts anderem, obwohl ich hoffe, dass ich Sie zum Sprechen bewegen kann!

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