XI Das Warten ist zu Ende

Sie brauchten noch zwei Tage, um das Geschwader zu finden, und während dieser Zeit fragte Bolitho sich oft, was wohl passiert wäre, wenn die Coquette nicht so rechtzeitig erschienen wäre. Der Chronometer der Navarra war zerbrochen; weder ein Sextant noch ein verläßlicher Kompaß waren vorhanden. Auch ohne die Sturmschäden wäre es ihm schwergefallen, den Schiffsort auch nur schätzungsweise festzulegen; vom Abstecken eines Kurses nach dem Gebiet, wo das Geschwader sich sammeln sollte, ganz zu schweigen.

Gifford, der lange, schlaksige Kommandant der Coquette, nannte es» reines Teufelsglück«, und das mit Recht. Denn wäre er auf seiner vorgeschriebenen Station im Kielwasser des Geschwaders geblieben und hätte sich dort auf die befohlenen kurzen Späh- und Patrouillenfahrten beschränkt, so hätte er die havarierte, nicht voll manövrierfähige Navarra nie gefunden. Er hatte ein Segel gesichtet, hatte seinen Kurs geändert und war rekognoszieren gefahren; in der Sturmnacht hatte er es jedoch wieder verloren. Am nächsten Tag hatte er es wiedergefunden — es war eine britische Korvette, die noch dazu auf der Suche nach ihm selbst war. Sie war vierundzwanzig Stunden nach dem Auslaufen des Geschwaders in Gibraltar angekommen und brachte Depeschen für Broughton. Diese hatte sie an Gifford übergeben und war schleunigst wieder zurückgesegelt, da sie sich verständlicherweise in diesen feindverseuchten Gewässern nicht recht wohl fühlte.

Gifford wußte nicht, was dieser versiegelte Umschlag enthielt, und sprach auch immer nur von seiner Überraschung beim Anblick der Navarra und besonders der Flagge, die auf dem so schwer beschädigten Schiff wehte. Und noch mehr staunte er, als er in dem zerlumpten, blutbefleckten Mann, der ihn beim Anbordkommen begrüßte, seinen eigenen Flaggkapitän erkannte.

Bei den vielen Frauen, die an Deck der Navarra herumwimmelten, war es kein Wunder, daß sich auf der Coquette massenhaft Freiwillige meldeten, als Männer für die Reparaturen gesucht wurden. Der Erste Offizier der Fregatte, der bekanntermaßen sehr geizig mit den Reservebeständen seines Schiffes war, ließ sogar einen Hilfsmast hinüberschicken, um den gekappten Besan zu ersetzen.

Oft hörte Bolitho während der Arbeit schrilles Lachen und diskretes Gekicher vom Unterdeck. Da erlaubte sich offenbar der eine oder andere von der Mannschaft der Coquette einen kleinen Spaß.

Und als er am nächsten Morgen an der Luvreling der Navarra stand, war er stolz, als er die Sonne auf den wohlbekannten Marssegeln des Geschwaders schimmern sah und die flinke Restless heranschoß, um nachzusehen, wer da käme.

Meheux schien ebenfalls bewegt zu sein.»Fein sehen die aus, Sir«, sagte er befriedigt.»Ich habe gar nichts dagegen, von Bord dieser schwimmenden Ruine zu kommen.»

Und dann setzte die Coquette mehr Segel und eilte dem havarierten Schiff voraus. Schon flatterten die Signalflaggen munter an den Rahen; Bolitho sah sein eigenes Schiff hell im Sonnenlicht stehen. Es halste, und langsam füllten sich die bräunlichen Segel über dem neuen Bug; dann schien es wieder wie die anderen Linienschiffe bewegungslos über seinem Spiegelbild zu stehen, und nur an einer winziger Schaumspur am Bug erkannte man, daß es stetig aufkam.

«Sie wird gleich ein Boot aussetzen. Sie behalten hier das Kommando, Mr. Meheux, bis drüben entschieden wird, was mit der Navar-ra geschehen soll. Sie werden wohl nicht lange darauf zu warten haben«, sagte Bolitho.

«Ich bin erleichtert, das zu hören, Sir«, lächelte Meheux und deutete auf ein offenes Luk, aus dem das Klappern und Janken der Pumpen heraufklang.»Was ist mit den Männern da unten, Sir? Soll ich sie unter Bedeckung hinüberschicken?»

Bolitho schüttelte den Kopf.»Sie haben ganz ordentlich gearbeitet, und ich glaube, sie werden es sich in Zukunft überlegen, ob sie sich wieder an einer Gratisladung Brandy vergreifen.»

Ashton rief:»Flaggschiff signalisiert an Geschwader: >Beidrehen<, Sir!«Er sah wieder kräftiger aus, obgleich er die Augen zusammenkniff, als hätte er Kopfschmerzen.

Eben knurrte Allday vernehmlich:»Bei Gott, Captain, da kommt Ihre Gig! Diesen Bootsführer bringe ich um, er steuert ja saumäßig!»

«Holen Sie Witrand herauf«, sagte Bolitho nur.»Wir nehmen ihn mit auf die Euryalus.»

Die nächsten Augenblicke waren unwirklich und ziemlich herzbewegend für Bolitho. Als die Gig längsseit kam, die hochgestellten Riemen schimmernd wie zwei Reihen polierter Walknochen, und Meheux ihm zum Fallreep folgte, drängten sich die meisten Passagiere der Navarra heran, um ihn von Bord gehen zu sehen. Manche winkten ihm zu, und einige Frauen lachten und weinten gleichzeitig.

Er glaubte Parejas Witwe auf der Kampanje gesehen zu haben, aber er war sich dessen nicht sicher, und wieder fragte er sich, wie er ihr helfen könne.

Witrand, der neben ihm stand, schüttelte den Kopf.»Denen tut es wahrhaftig leid, daß Sie gehen, capitaine. Die gemeinsamen Leiden der letzten Tage haben uns einander nähergebracht, wie?«Aber mit einem Blick auf die Euryalus fuhr er ernüchtert fort: «Eh bien, das war gestern. Morgen ist alles wieder anders.»

Bolitho kletterte nach Ashton und dem Franzosen in die kleine Gig, wo Allday bereits dem Matrosen, der mit unbewegtem Gesicht an der Pinne saß, Drohungen ins Ohr zischte. Noch eine Sekunde lang blickte er hoch in die Reihe der Gesichter, auf die Schußlöcher und die vielen Narben, wo die dunkelhäutigen Angreifer ihre Enterhaken geschleudert hatten, um wie eine brüllende Horde wilder Tiere an Bord zu schwärmen. Witrand hatte recht — das war vorbei.

Die Rückkehr auf sein eigenes Schiff war nicht weniger herzbewegend. Die Matrosen, die in den Wanten hingen oder gefährlich auf den Mattenkästen balancierten, schrien grinsend hurra und freuten sich offensichtlich. Als er durch die Fallreepspforte kletterte, fielen ihm fast die Ohren zu von dem Schrillen der Querpfeifen und dem Trommeln des kleinen Musikkorps, und er fand noch Zeit festzustellen, daß die sonst so hölzern-starren Gesichter der Spielleute heftige Gemütsbewegung ausdrückten.

Keverne trat vor und bemühte sich, nicht zu auffällig Bolithos zerfetzte Uniform anzustarren.»Willkommen an Bord, Sir«, sagte er lächelnd.»Da habe ich also meine Wette gegen den Master gewonnen.»

Bolitho fiel es nicht leicht, ein Dienstgesicht zu bewahren. Da stand Partridge und verrenkte sich fast den Hals, um ihn hinter der Reihe der Marine-Infanteristen sehen zu können.»Sie haben wohl gedacht, ich käme nicht wieder, he?«rief er ihm zu.

Hastig erwiderte Keverne:»Nein, Sir; er dachte, Sie würden schon gestern eintreffen.»

Bolitho blickte in die Masse der Gesichter rundum. Sie hatten alle miteinander einen langen Weg hinter sich gebracht. Einmal, während der scheußlichen Affäre mit der Auriga, hatte er Feindseligkeit zu spüren geglaubt. Enttäuschung über das, was er getan oder zu tun versucht hatte. Aber tatsächlich kannten sie ihn besser, als er vielleicht angenommen hatte, und das bewegte ihn tief.

«Ich muß dem Admiral Meldung machen«, sagte er. Selbst Keverne, das las er aus seinen dunklen Zügen, war ehrlich froh, ihn wieder an Bord zu haben. Dabei hätte er es ihm nicht übelgenommen, wenn er andere Gefühle gehegt hätte, besonders nach den früheren Enttäuschungen.

«Sir Lucius hat mich beauftragt, Ihnen zu sagen, daß er die Depeschen von der Coquette liest«, erwiderte Keverne.»Er deutete an, Sir, Sie würden vielleicht gern eine halbe Stunde für sich haben, um sich, äh, ein wenig frisch zu machen. «Jetzt flog sein Blick ungeniert über Bolithos zerfetzten Rock.»Er hat Sie von seinem Kajütbalkon aus kommen sehen.»

In diesem Moment wurde Witrand durch die Fallreepspforte eskortiert, und Bolitho sagte:»Das ist Monsieur Paul Witrand. Er ist Kriegsgefangener, aber ich wünsche, daß er anständig behandelt wird.»

Keverne sah den Franzosen mißtrauisch an und sagte dann:»Ich werde dafür sorgen, Sir.»

Witrand machte eine steife Verbeugung.»Danke sehr, capitaine.«Er blickte nach oben auf die mächtigen Rahen und die schlagenden Segel.»Kriegsgefangener vielleicht — aber für mich ist dieses Schiff immer noch ein Stück Frankreich.»

Leutnant Cox von der Marine-Infanterie, ein geschmeidiger junger Mann, dessen Uniform so eng saß, daß Bolitho der Meinung war, er könne sich unmöglich bücken, trat vor und berührte Witrands Arm; dann gingen sie zusammen zum Niedergangsluk.

«Kommen Sie mit nach achtern, Mr. Keverne«, sagte Bolitho.»Erzählen Sie mir, was es Neues gibt, während ich mich umziehe.»

Keverne ging hinter ihm her an den neugierig starrenden Matrosen vorbei.»Viel ist da nicht zu berichten, Sir. Sir Hugo Draffen ist wieder beim Geschwader; er hat seinen Agenten getroffen und Informationen über die Verteidigungsanlagen von Djafou bekommen. Einzelheiten weiß ich nicht.»

In der Kajüte war es im Gegensatz zu der Vormittagshitze auf dem Achterdeck ziemlich kühl. Bolitho war überrascht, einige Möbelstük-ke zu sehen, die vorher nicht dagewesen waren.

«Captain Fourneaux war während Ihrer Abwesenheit stellvertretender Flaggkapitän, Sir«, erläuterte Keverne.»Aber er ist wieder auf die Valorous übergewechselt, als uns die Coquette Ihre Rückkehr signalisierte.»

Bolitho warf ihm einen raschen Blick zu, aber in Kevernes Zügen war keine Spur von Schadenfreude zu entdecken. Fourneaux hatte offenbar gedacht, er würde als planmäßiger Flaggkapitän an Bord bleiben.»Lassen Sie ihm die Sachen bei passender Gelegenheit wieder zustellen«, sagte er.

An das Heckfenster gelehnt, sah Keverne zu, wie Bolitho sich auszog und seinen müden Leib mit kaltem Wasser erfrischte. Trute, der Steward, nahm das schmutzige Hemd und warf es nach kurzem Zögern aus dem Fenster. Bolithos Aussehen hatte ihn offensichtlich tief beeindruckt, er konnte kaum die Augen von ihm losreißen.

Bolitho zog ein reines Hemd an, setzte sich dann in einen Sessel, und Trute drehte ihm geschickt das Haar zu einem kurzen Zopf im Nacken zusammen.

«Also war weiter nichts los, seit ich von Bord gegangen bin?»

Keverne zuckte die Achseln.»Wir haben ein paar Segel gesichtet, Sir, aber die Restless konnte nicht nahe genug heran. Also werden auch sie uns wahrscheinlich nicht erkannt haben. Ich habe mit dem Kommandanten der Korvette gesprochen, aber der hatte Sir Hugos Agenten gar nicht gesehen. Er kam in einem arabischen Fischerboot, und Sir Hugo ist allein an Bord gegangen. Er bestand darauf. »

Bolitho wartete ungeduldig, bis Trute ihm das Halstuch gebunden hatte, und stand dann auf. Das Waschen und Umziehen hatte die lähmende Müdigkeit verscheucht; die bekannten Stimmen und Gesichter bewirkten, daß er sich wieder ganz wohl fühlte.

Immerhin waren Kevernes Neuigkeiten, oder vielmehr der Mangel daran, höchst beunruhigend. Wenn nicht sehr bald etwas geschah, würden sie in ernste Schwierigkeiten kommen. In Spanien und Frankreich mußte man bald wissen, daß sie hier waren; schon jetzt konnte ein starkes Geschwader unterwegs sein und nach ihnen suchen.

Allday kam mit Bolithos Degen in die Kajüte. Er warf Trute einen wütenden Blick zu und sagte:»Ich habe die Scheide geölt, Captain. «Er zog den geschwärzten Griff ein Stückchen heraus und ließ ihn wieder einschnappen.»Ist jetzt wie neu, jawohl.»

Lächelnd legte sich Bolitho das Koppel um. Stirnrunzelnd schnallte Allday den Verschluß ein Loch enger, und Bolitho wußte, daß er, wenn Keverne nicht dabeigewesen wäre, geknurrt hätte, es wäre schon das dritte in einem Monat und Bolitho müsse mehr essen; denn wie die meisten Seeleute war Allday der Überzeugung, daß man so oft wie möglich so viel wie möglich essen und trinken solle.

Oben schlug eine Glocke die volle Stunde, und Bolitho schritt zur Tür.»Tut mir leid, daß ich Ihnen bei der Beförderung nicht behilflich sein konnte, Mr. Keverne. Aber ich zweifle nicht daran, daß sich bald eine Gelegenheit ergeben wird.»

Keverne lächelte gemessen.»Danke, Sir, daß Sie sich um mich Sorgen machen.»

Eilig schritt Bolitho den Niedergang zum mittleren Deck hinunter und dachte dabei an Kevernes Zurückhaltung, seine ständige Defensive gegen die eigenen Gefühle. Eines Tages mochte er einen guten Kommandanten abgeben, besonders wenn er seine Neigung zum Jähzorn überwinden konnte.

Die beiden Wache stehenden Marine-Infanteristen nahmen stampfend Haltung an; ein Korporal öffnete ihm die große Doppeltür. Schon lange bevor er an der Achterkajüte war, hatte er Broughtons Stimme vernommen und sich entsprechend zusammengerissen.

«Hol der Teufel Ihre Augen, Calvert, das ist unerhört! Gehen Sie doch zu einem Midshipman und lernen Sie bei dem Orthographie!»

Beim Eintreten sah Bolitho Broughtons schwarze Silhouette vor dem hohen, sonnenhellen Fenster. Der Admiral warf ein zusammengeknülltes Schriftstück nach dem Leutnant, der am Tisch dem Schreiber gegenübersaß.»Mein Schreiber schafft doppelt so viel wie Sie und in der halben Zeit!«brüllte er. Bolitho sah nicht hin; er schämte sich für Calvert und wollte diese Demütigung nicht mitansehen. Calvert, dem der Schreiber mit offensichtlicher Schadenfreude ins Gesicht grinste, zitterte vor Nervosität und Wut.

Jetzt sah der Admiral Bolitho.»Ah, da sind Sie ja«, sagte er kurz.»Gut. Ich bin gleich fertig. «Er riß Calvert ein weiteres Schriftstück aus den Fingern und überflog rasch die fahrige Schrift. Er hatte dunkle Ringe um die Augen und schien mächtig wütend zu sein.

Wieder starrte er Calvert böse an.»Mein Gott, warum sind Sie bloß als solch ein Narr auf die Welt gekommen?»

Calvert stand halb auf. Seine Schuhsohlen machten ein kratzendes Geräusch auf dem Leinenteppich.»Ich habe nicht darum gebeten, auf die Welt zu kommen, Sir!«Es klang, als würde er im nächsten Moment in Tränen ausbrechen.

Bolitho beobachtete den Admiral verstohlen in der Erwartung, daß er bei dieser seltenen Bekundung von Widerstand explodieren würde. Aber er antwortete nur obenhin:»Wenn Sie's getan hätten, dann wäre Ihre Bitte hoffentlich nicht erhört worden. «Er zeigte zur Tür.»Jetzt gehen Sie und arbeiten Sie diese Orders durch. In einer halben Stunde sind sie fertig zur Unterschrift!«Dann fuhr er herum und schnauzte seinen Schreiber an:»Und Sie hören auf zu grinsen wie ein altes Weib! Los, helfen Sie dem Leutnant!«Der Schreiber eilte zur Tür, und Broughton rief ihm nach:»Oder ich lasse Sie auspeitschen, verstanden?»

Die Tür fiel ins Schloß. Bolitho hatte das Gefühl, die Kajüte würde in der drückenden Stille zu eng.

Doch Broughton sagte nur müde:»Setzen Sie sich. «Er ging zum Tisch und nahm eine Karaffe auf.»Ein Schluck Wein, denke ich?«Und in halbem Selbstgespräch fuhr er fort:»Wenn ich jetzt nicht was trinke, ehe mir wieder so ein plärrender Untergebener vor die Augen kommt, dann werde ich bestimmt verrückt. «Er trat zu Bolithos Sessel und reichte ihm ein Glas.»Auf Ihre Gesundheit, Captain. Ich bin überrascht, daß Sie wieder da sind; und nach dem, was Gifford von der Coquette gequasselt hat, müssen Sie selbst einigermaßen erleichtert sein, daß Sie noch leben. «Er schritt zu den Heckfenstern und starrte zur Navarra hinüber.»Sie haben, wie ich höre, einen Gefangenen?»

«Jawohl, Sir. Ich glaube, er ist Kurier. Er hatte zwar keine Briefe bei sich, aber anscheinend sollte er auf hoher See von einem anderen Schiff übernommen werden. Die Navarra ist erheblich von ihrem Kurs abgewichen; ich glaube, er wollte zur afrikanischen Küste.»

Broughton stieß einen Grunzer aus.»Er könnte uns einiges erzählen. Diese französischen Beamten sind sehr versiert. Das müssen sie auch sein; sie haben ja gesehen, wie schnell ihre Vorgänger unter dem Terror ihre Köpfe losgeworden sind. Wenn man ihm verspricht, daß er bald gegen einen englischen Gefangenen ausgetauscht wird, löst ihm das vielleicht die Zunge.»

«Mein Bootsführer hat sich seinen Diener vorgenommen, Sir. Die Navarra hatte reichlich Wein geladen, das hat sehr geholfen. Unglücklicherweise wußte der Mann wenig von Auftrag und Bestimmungsort seines Herrn; nur daß er bei der französischen Artillerie Offizier war. Aber ich glaube, wir behalten diese Information vorläufig noch für uns, bis wir besseren Gebrauch davon machen können.»

«Das ist dann sowieso zu spät«, erwiderte Broughton trübe und ging stirnrunzelnd wieder zu dem Tisch mit der Karaffe.»Draffen hat einen ausgezeichneten Plan der Verteidigungsanlagen von Djafou bekommen. Er muß ein paar sehr bemerkenswerte Freunde in dieser lausigen Gegend haben. Aber die Coquette hat mir schlechte Nachrichten gebracht. Anscheinend sind die Spanier aktiv geworden, besonders bei Algeciras. Es steht zu befürchten, daß die beiden Bombenwerferschif-fe nicht ohne Geleit segeln können. Und da mit einem frankospanischen Durchbruch unserer Blockade zu rechnen ist, haben wir keine Fregatte dafür übrig. «Er verschränkte die Finger und sagte wütend:»Anscheinend wollen sie mir die Schuld dafür in die Schuhe schieben, hol sie der Teufel, daß die Auriga zum Feind übergegangen ist!»

Bolitho sagte nichts dazu; es würde noch mehr kommen. Es war in der Tat sehr schlimm, denn wenn die Bombenwerfer ausfielen, mußte diese spezielle Aktion vielleicht verschoben werden. Aber er billigte die Entscheidung, sie nicht ohne Eskorte loszuschicken. Bei auch nur etwas rauher See waren sie schwierig zu manövrieren und eine leichte Beute für eine patrouillierende feindliche Fregatte. Die Auriga hätte in Gibraltar für diese Aufgabe abgestellt werden können; und für den Oberkommandierenden war vermutlich die Tatsache, daß Broughton nicht fähig gewesen war, sie bei der Stange zu halten, ein guter Vorwand, keins der anderen Schiffe von der Blockade vor Cadiz und aus der Straße von Gibraltar abzuziehen. Oder vielleicht war es auch einfach so, daß keine Schiffe verfügbar oder in Abrufweite waren. Seltsamerweise hatte Bolitho seit Gibraltar kaum jemals an die Meuterei gedacht, während Broughton offenbar die ganze Zeit darüber gebrütet hatte. Ja — in diesem Moment, während sie beim Wein saßen und die strahlende Sonne in tausend Reflexen an der Kajütendecke und über die Möbel tanzte, landeten die Franzosen vielleicht in England oder hatten ein Feldlager bei Falmouth aufgeschlagen. Er schob jedoch den Gedanken sofort von sich, ärgerlich über sich selbst — er wurde schon wieder so müde, daß er sich von Broughtons Auffassungen beeinflussen ließ.

«Wir müssen bald etwas tun«, sagte der Admiral,»oder wir schlagen uns plötzlich mit einem französischen Geschwader herum, ehe wir wissen, wo wir überhaupt sind. Und dann werden wir uns ohne eine Basis, wo wir unsere Havarien ausbessern können, schwertun, nach Gibraltar zurückzukommen, von der Einnahme Djafous ganz zu schweigen.»

«Darf ich fragen, wozu Sir Hugo rät?»

«Seine Aufgabe ist es, in Djafou, sobald wir es eingenommen haben, eine Verwaltung auf die Beine zu stellen, die in unserem Sinne arbeitet. Er kennt den Ort von früher her und hat gute Beziehungen zu den dortigen Führern. «Broughton wurde rot vor aufgestautem Ärger.»Lauter Banditen sind das!»

Bolitho nickte. Draffen hatte also den Grund zu der ganzen Operation gelegt und würde im Auftrag der britischen Regierung handeln, sobald die Stadt besetzt war, und vielleicht so lange, bis die britische Flotte wieder in voller Stärke im Mittelmeer präsent war. Bis dahin war Broughton verantwortlich, und von seiner Entscheidung hing das ganze Unternehmen ab — seine Karriere selbst ebenfalls.

«Spanien«, sagte Bolitho,»hat in den letzten Jahren viel zuviel dafür investieren müssen, seine amerikanischen Kolonien zu halten, als daß es Geld oder Waffenhilfe für einen Ort wie Djafou übrig hätte, Sir. Spanien hat alle Hände voll mit dem Kleinkrieg in der Karibik. Sowohl mit Kaperschiffen als auch mit den Großmächten — je nachdem, mit welcher es gerade alliiert ist. «Er beugte sich vor.»Angenommen, die Franzosen sind ebenfalls an Djafou interessiert, Sir? Es kann leicht sein, daß Spanien irgendwann die Partei wechselt. Dann wäre ein weiterer Stützpunkt auf dem afrikanischen Festland genau das, was Frankreich braucht. Und damit bekommt Djafou für die Franzosen erheblich mehr Bedeutung.»

Broughton nippte an seinem Rotwein. Zeit gewinnen will er, dachte Bolitho, bevor er sich durch eine Antwort festlegt. Um Broughtons Augen liefen feine Linien, die auf Sorgen deuteten, und seine Finger trommelten nervös auf den Armlehnen.

Für das Schiff und das gesamte Geschwader mußte Broughtons Autorität etwas Gottähnliches haben. Wenn schon ein Leutnant so himmelhoch über einem gewöhnlichen Matrosen stand, wie konnte da jemand einen Mann wie Broughton wirklich verstehen? Aber jetzt, wenn man sah, wie er grübelte und Bolithos vage Andeutungen in Gedanken um und um drehte, sah man mit seltener Deutlichkeit, was für ein Problem diese Autorität für den Mann war, der sie besaß.

Endlich sagte Broughton:»Dieser Witrand. Halten Sie ihn für eine Schlüsselfigur?»

«In gewisser Hinsicht ja, Sir. «Bolitho war dankbar für Broughtons rasche Auffassungsgabe. Thelwall war ein alter und, wenigstens so lange er auf der Euryalus gewesen war, noch dazu kranker Mann gewesen. Bolithos früherer unmittelbarer Vorgesetzter, ein schwankender, unentschlossener Kommodore,[26] hätte ihn beinahe Schiff und Leben gekostet. Broughton war jedenfalls jung und intelligent genug, um zu sehen, wo eine lokale Aktion des Feindes auf etwas weit Größeres hindeutete, das in der Zukunft lag. Er fuhr fort:»Mein Bootsführer hat von Witrands Diener herausbekommen, daß er früher mit Quartiermachen, Anlegen von Artilleriestellungen und ähnlichem zu tun hatte. Ich glaube, er ist ein Mann von einiger Bedeutung.»

Broughton lächelte dünn.»Sir Hugos Gegenspieler im feindlichen Lager, eh?»

«Jawohl, Sir.»

«In welchem Falle wir noch weniger Zeit hätten, als ich dachte.»

Bolitho nickte.»Wir haben gehört, daß in Cartagena Schiffe zusammengezogen werden. Das liegt nur hundertzwanzig Meilen von Djafou, Sir.»

Der Admiral stand auf.»Sie würden mir also raten anzugreifen, ohne auf die Bombenwerfer zu warten?»

«Wir haben, soviel ich sehe, gar keine Alternative, Sir.»

«Eine Alternative gibt's immer. «Broughton sah ihn wie aus weiter Ferne an.»In diesem Fall könnte ich mich entscheiden, nach Gibraltar zurückzusegeln. Dann müßte ich aber sehr gute Gründe dafür haben.

Wenn ich mich jedoch für einen Angriff entscheide, dann muß dieser Angriff erfolgreich sein.«»Ich weiß, Sir.»

Broughton trat wieder ans Fenster.»Die Navarra wird mit dem Geschwader segeln. Wenn ich sie freilasse, wird die Anwesenheit und Stärke unseres Geschwaders schneller bekannt, als wollte ich Bonaparte eine schriftliche Einladung schicken. Wenn wir sie versenken und Mannschaft und Passagiere auf unsere Schiffe verteilen, gibt das zuviel Unruhe für eine kurz bevorstehende Aktion. «Er drehte sich um und sah Bolitho forschend an.»Wie sind Sie eigentlich mit den Sche-becken fertig geworden?»

«Ich habe Passagiere und Mannschaft der Navarra zum Dienst des Königs gepreßt, Sir.»

Broughton schob die Lippen vor.»Das hätte Fourneaux nie fertiggebracht, bei Gott! Er hätte tapfer gekämpft, aber sein Kopf würde jetzt irgendeine Moschee schmücken, daran habe ich keinen Zweifel. «Und in bestimmtem Ton fuhr er fort:»Signalisieren Sie:

>In einer Stunde alle Kommandanten an Bord zur Dienstbespre-chung!< Dann setzen wir Segel und benutzen den Rest des Tages dazu, etwas Ordnung ins Geschwader zu bringen. Mit dem Wind ist ja nicht viel los, aber er bleibt ein stetiger Nordwest. Das sollte genügen. Sie werden Draffens Plan studieren und sich alle Details zu eigen machen.»

Bolitho lächelte nachdenklich.»Sie haben also entschieden, Sir.»

«Vielleicht tut uns das beiden noch einmal leid. «Broughton lächelte nicht bei diesen Worten.»Einen Hafen oder ein befestigtes Stück Land anzugreifen, ist immer Glückssache. Wenn ich einen festen Schlachtplan habe und so und so viele feindliche Schiffe vor mir, dann sage ich Ihnen, was der Oberkommandierende vorhat. Aber das hier — «, er zuckte verächtlich die Schultern — ,»ist ja, als schicke man ein Frettchen ins Loch. Man weiß nie, wie oder wohin das Kaninchen läuft.»

Bolitho nahm seinen Hut.»Ich habe Witrand unter spezielle Bewachung gestellt, Sir. Er ist sehr gerissen; wenn er eine Möglichkeit sieht, würde er sofort fliehen und seine Kenntnisse ausnutzen. Er hat mir an Bord der Navarra das Leben gerettet, aber deswegen unterschätze ich nicht seine sonstigen Qualitäten.»

Der Admiral hörte anscheinend gar nicht zu. Er spielte mit seinem Uhranhänger und starrte geistesabwesend durchs Fenster. Doch als Bolitho zur Tür ging, sagte er scharf:»Wenn ich in der Schlacht falle…«Er hielt inne, und Bolitho sah ihn regungslos an.»Dergleichen soll ja vorkommen, dann haben Sie natürlich den Oberbefehl bis auf weiteres. Da sind gewisse Papiere. «Er schien ungeduldig zu werden und sich über sich selbst zu ärgern, und so schloß er kurz:»Sie werden weiter mit Sir Hugo zusammenarbeiten.»

«Sicher sind Sie zu pessimistisch, Sir«, erwiderte Bolitho.

«Nur vorsichtig. Ich halte nichts von Sentimentalitäten. Tatsache ist, ich traue Sir Hugo nicht ganz. «Er hob die Hand.»Mehr kann ich nicht sagen. Mehr will ich auch nicht sagen.»

Bolitho starrte ihn verblüfft an.»Aber, Sir, seine Beglaubigungsschreiben müssen doch in Ordnung sein?»

Ärgerlich erwiderte Broughton:»Gewiß doch. Sein Status bei der Regierung ist völlig klar. Aber seine Motive machen mir Sorge. Jedenfalls seien Sie gewarnt, und vergessen Sie nicht, wo Ihre Loyalität liegt.»

«Ich weiß, was meine Pflicht ist, Sir.»

Der Admiral musterte ihn gelassen.»Reden Sie nicht in so gekränktem Ton mit mir, Captain. Ich dachte auch, mein voriges Flaggschiff wäre loyal — bis es meuterte. In Zukunft verlasse ich mich auf nichts mehr. Wenn man in eine Kanonenmündung blickt, ist >Pflicht< eine Krücke für die Schwachen. In einem solchen Moment zählt nur wahre Loyalität. «Er wandte sich ab. Die kurze Vertraulichkeit war vorbei.

Die Dienstbesprechung fand in Bolithos Wohnkajüte statt, und alle Anwesenden schienen sich bewußt zu sein, wie wichtig sie war. Es war Bolitho völlig klar, daß jeder der Männer, die ihm hier gegenübersaßen, bereits wußte, daß ein Angriff auf Djafou ohne Mitwirkung der Bombenwe rfer bevorstand. So seltsam und unerklärlich ging es eben in einem Verband zu. Neuigkeiten flogen mit Blitzesschnelle von einem Schiff zum anderen, fast unmittelbar nachdem der ranghöchste Kommandant seine Entschlüsse gefaßt hatte.

Während er sich durch das Gewirr der Notizen und Planskizzen kämpfte, die Broughton ihm bringen ließ, hatte er sich unter anderem gefragt, ob der Admiral ihn testen wolle. Schließlich war es ihre erste gemeinsame Aktion, bei der das ganze Geschwader als Einheit zusammenwirken sollte. Daß Broughton ausdrücklich angeordnet hatte,

Bolitho solle die Besprechung in seiner eigenen Kajüte abhalten, bestärkte ihn in der Überzeugung, daß er genauso geprüft wurde wie jeder andere Untergebene Broughtons.

Mit Draffen war er seit seiner Rückkehr an Bord nur einmal zusammengekommen. Draffen war freundlich, aber zurückhaltend gewesen und hatte über die bevorstehende Aktion nur sehr wenig gesagt. Vielleicht wollte er wie Broughton den Flaggkapitän bei der Arbeit sehen, selbständig, ohne Hilfe seiner beiden Vorgesetzten.

Jetzt saß er neben Broughton am großen Tisch in der Kajüte; manchmal huschten seine Augen von einem Gesicht zum anderen, während Bolitho seinen Zuhörern klarmachte, was jeder von ihnen, ohne Rücksicht auf Verluste, auszuführen hatte.

Das Schiff rollte heftig; Bolitho hörte die tappenden Füße auf der Kampanje, das dumpfe Knattern der Leinwand, das Knarren der Spieren, als das Schiff langsam nach Steuerbord überholte. Achteraus konnte er die Valorous sehen; ihre Marssegel zogen gut. Der stetige Nordwest frischte bereits auf.

Er mußte sich kurz fassen. Alle Kommandanten mußten so bald wie möglich wieder an Bord ihrer Schiffe sein, um ihren Offizieren den Plan, soweit sie ihn verstanden hatten, zu erklären. Und ihre Bootsbesatzungen hatten einen langen, schweren Pull vor sich, ganz abgesehen von dem immer stärker werdenden Wind.

«Wie Sie gesehen haben, Gentlemen«, begann er,»ist die Bucht von Djafou wie eine tiefe Tasche. Die Ostseite wird durch diesen Landvorsprung geschützt. «Er tippte mit dem Zirkel auf die Seekarte.»Er hat die Form eines gebogenen Schnabels und bietet den in der Bucht ankernden Schiffen vorzüglichen Schutz. «Er sah ihnen in die gespannt vorgeneigten Gesichter. Ihre Mienen waren so unterschiedlich wie ihre Charaktere.

Fourneaux sah verächtlich an seiner Nase herunter, als brauche man ihm gar nichts zu erklären. Und Falcon von der Tanais: seine Augen unter den schweren Lidern verrieten sehr wenig von dem, was er dachte. Rattrays Bulldoggengesicht war in grimmiger Konzentration verzerrt. Er schien von allen die meisten Schwierigkeiten zu haben, sich einen Plan, der auf dem Papier stand, konkret klarzumachen. War er erst einmal im Gefecht, so würde er sich auf seine unnachgiebige Sturheit verlassen und auf das, was er mit eigenen Augen sehen konnte, bis er entweder gesiegt hatte oder tot war.

Die beiden jüngeren Kommandanten, Gifford von der Coquette und Poate von der Korvette Restless, verhielten sich weniger reserviert; Bolitho hatte gesehen, daß sie sich von Anfang an Notizen machten. Sie beide würden nicht an die Gefechtslinie gebunden sein; sie konnten Patrouille fahren oder zum Angriff vorstoßen, wie es ihnen ihre Initiative und ihr Gefühl für den richtigen Moment eingab. Sie waren so unabhängig, wie Bolitho es liebend gern gewesen wäre und jetzt nicht mehr war.

«Im Zentrum unserer Stoßrichtung liegt das Kastell. «Er sah es so vor seinem geistigen Auge, wie er es sich aus den Erinnerungen Draf-fens und dem neuesten Agentenbericht zusammengebaut hatte.»Vor vielen Jahren haben die Mauren es errichtet, es hat starke Mauern und ist gut armiert. Es steht auf einem kleinen Felseneiland, doch ist es seit längerer Zeit durch einen Fahrdamm mit der Westseite der Bucht verbunden. «Draffen hatte ihm erzählt, daß der Damm von Sklaven gebaut war. Als er das hörte, hatte er sich, wie auch jetzt wieder, gefragt, wie viele Menschen in Schmerzen und Elend bei diesem Bau umgekommen waren.»Es soll dort eine etwa zweihundert Mann starke spanische Garnison liegen und dazu ein paar eingeborene Kundschafter. Keine große Streitmacht, aber durchaus fähig, einem üblichen Frontalangriff standzuhalten.»

Rattray räusperte sich laut.»Wir können doch sicherlich direkt in die Bucht hineinsegeln. Die Batterie des Kastells würde zwar einigen Schaden anrichten, aber bei dem herrschenden Nordwest wären wir durch und drin, ehe sie mehr tun könnten, als uns ein bißchen anzukratzen.»

Bolitho musterte ihn unbewegt.»Es gibt nur eine Zufahrt, die tief genug ist, und die liegt dicht beim Fort. An einer Stelle beträgt der Abstand nur eine halbe Kabellänge. Wenn das vorderste Schiff beim Angriff auf Grund gesetzt wird, kommen die anderen nicht weiter. Und wenn das letzte aufsitzt, können wir nicht mehr heraus.»

Rattray war böse.»Kommt mir ziemlich blöd vor, einen befestigten Hafen so anzulegen, wenn Sie mich fragen, Sir.»

Captain Falcon lächelte ihn freundlich an.»Ich vermute, damals hatte man wenig Ursache, große Schiffe willkommen zu heißen, Rattray.»

Jetzt sprach Draffen zum erstenmal.»Das stimmt. Ehe die Spanier den Hafen für sich eroberten, gehörte er mal dem einen, mal dem anderen lokalen Scheich. Er wurde immer nur von kleinen Küstenfahrzeugen benutzt, und — «, er sah Bolitho bedeutsam an — ,»und von Schebecken.»

Bolitho nickte.»Es gibt noch einen weiteren Zugang zum Fort auf dem Wasserwege. Früher haben die Verteidiger manchmal, bei Belagerungen zum Beispiel, direkt von See Proviant hereinbekommen. Kleinere Fahrzeuge können unter der nordwestlichen Mauer hineingelangen. Aber auch dann sind sie ständig im Schußfeld der äußeren Brustwehr.»

Jetzt sagte keiner etwas; sie waren nicht mehr erregt, sondern höchst nachdenklich. Das war anscheinend hoffnungslos. Hätten die beiden Bombenwerfer am Landvorsprung gelegen, so hätten sie das Fort pausenlos bombardieren können. Die oberen Werke hätten das nicht ausgehalten, und die spanische Artillerie hätte wegen der vorspringenden Landzunge kein Schußfeld gehabt. Kein Wunder, daß Draffen so still blieb. Er hatte diese Operation bis ins einzelne rekognosziert und geplant. Aber weil die Werfer nicht rechtzeitig eintrafen, was letzten Endes auf den Verlust der Auriga zurückzuführen war, mußte er jetzt mitansehen, wie sich alles in Zweifel und Ungewißheit auflöste.

Bolitho fuhr fort:»Die Bucht ist ungefähr drei Meilen breit und zwei Meilen tief. Die Stadt ist klein und wird kaum verteidigt. Hier kommt also nur ein Landeunternehmen, gleichzeitig von Ost und West, in Frage. Die Hälfte der Marine-Infanteristen des Geschwaders wird hier, dicht unter der Landzunge, landen. Der Rest wird hier an Land gesetzt und marschiert landeinwärts. «Er tippte mit der Zirkelspitze auf die Karte und sah, daß Falcon sich auf die Unterlippe biß; zweifellos dachte er an die Schwierigkeiten, welche beide Infanterieabteilungen zu überwinden hatten. Der ganze Küstenstrich war, um es milde auszudrücken, wild und unfreundlich. Ein paar Steilküsten vor mächtigen Bergen, mit Felsklippen bestanden und von tiefen Rissen durchzogen, so daß sie ausgezeichnete Möglickeiten für Hinterhalte boten. Es war nicht zu verwundern, daß sich das Fort so lange Zeit hatte halten können und nur durch das Bündnis mit einem dortigen Scheich in die Hände der Spanier gekommen war. Dieser Scheich war inzwischen gestorben, und sein Stamm lebte zerstreut in den wilden Bergen, die manchmal von See aus sichtbar waren. Doch war Djafou erst in Händen der Franzosen, so würde es bei deren militärischen

Fähigkeiten und technischen Ambitionen eine wesentlich größere Bedrohung sein: ein Zufluchtsort für ihre Schiffe, die von dort aus gegen jedes britisches Geschwader zum Angriff vorstoßen konnten.

Er durfte sich seine Verzweiflung nicht anmerken lassen. Warum war das, was man am nötigsten brauchte, nie zur rechten Zeit und in genügender Menge da? Mit zwanzig Linienschiffen und ein paar Transportern voll erfahrener Soldaten und bespannter Artillerie hätten sie in ein paar Tagen das erreichen können, was die Franzosen schon seit vielen Monaten geplant haben mußten.

Wahrscheinlich wußte Witrand die Lösung des Rätsels. Das war auch etwas, worüber Bolitho sich gewundert hatte: als er den Franzosen Draffen gegenüber erwähnte, hatte dieser nur achselzuckend gesagt:»Aus dem kriegen Sie nichts heraus. Seine Anwesenheit hier bedeutet für uns eine Warnung, aber viel mehr auch nicht.»

Er sah durch das Heckfenster. Schon bekamen die Wellen kleine weiße Mähnen, und als zusätzliche Warnung stand der Verklicker der Valorous steif im Wind.

«Das ist für den Augenblick alles, Gentlemen. Leutnant Calvert gibt Ihnen die schriftlichen Befehle. Wir segeln unverzüglich nach Djafou. Morgen früh sind wir vor der Bucht.»

Broughton stand auf und musterte sie gelassen.»Sie kennen jetzt meine Absichten, Gentlemen. Sie kennen auch meine Methoden. Ich erwarte, daß alle Signale bis ins kleinste befolgt werden. Das Geschwader greift von Osten nach Westen an und zieht den größtmöglichen Vorteil daraus, daß der Feind die Sonne im Gesicht hat. Beschuß von See her, kombiniert mit einem Zangenangriff zu Lande — das müßte reichen. «Er hielt einen Moment inne und fuhr dann kühl fort:»Wenn nicht, greifen wir immer wieder an, so lange, bis wir Erfolg haben. Das war's, Gentlemen. «Er drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort aus der Kajüte.

Während die anderen Kommandanten sich gebührend verabschiedeten und zu ihren Booten eilten, stand Draffen stirnrunzelnd über die Karte gebeugt.

Die Tür schloß sich hinter dem letzten Kommandanten, und Draffen sagte langsam:»Ich hoffe zu Gott, daß der Wind abflaut. Dann würde Sir Lucius diesen Angriff unterlassen.»

Bolitho starrte ihn an.»Ich dachte, Ihnen liegt am allermeisten daran, daß Djafou eingenommen wird, Sir?»

Draffen verzog das Gesicht.»Die Lage hat sich jetzt geändert. Wir brauchen Verbündete, Bolitho. Im Kriege darf man hinsichtlich seiner Bettgenossen nicht zu wählerisch sein.»

Die Tür ging auf — Keverne stand im Rahmen und sah Bolitho an. Vielleicht wartete er auf neue Befehle, oder er hatte wieder eine Liste von Dingen, die das Schiff und das Geschwader brauchten.

Zögernd fragte Bolitho:»Und gibt es solche Verbündete?»

Draffen kreuzte die Arme vor der Brust und hielt seinem Blick stand.»Dessen bin ich sicher. Aber die haben nur vor Stärke Respekt. Wenn sie sehen, daß dieses Geschwader bei seinem ersten Gefecht mit der spanischen Garnison geschlagen wird, dann ist das sehr schlecht für unser Prestige. «Er fuhr mit der Hand über die Karte.»Diese Menschen leben von ihren Krummschwertern. Stärke ist das einzige, was sie zusammenhält, ihr einziger Gott. Wir brauchen Djafou nur vorübergehend als Stützpunkt, bis wir wieder voll im Mittelmeer präsent sind. Wenn es soweit ist, wird Djafou wieder vergessen sein, ein elendes, unfruchtbares Loch wie vorher. Aber nicht für die, die dort leben müssen. Für die ist Djafou ihre Vergangenheit und ihre Zukunft. Alles was sie haben.»

Dann lächelte er und ging zur Tür.»Wir sehen uns morgen. Jetzt habe ich zu arbeiten.»

Bolitho wandte sich ab. Seltsam, unter welch verschiedenen Gesichtspunkten diese beiden Männer Djafou betrachteten, Broughton und Draffen. Für den Admiral war es einfach ein Hindernis. Ein Störfaktor in seiner alles beherrschenden strategischen Planung. Für Draf-fen schien es etwas ganz anderes zu sein: ein Teil seines Lebens vielleicht. Oder ein Teil seiner selbst.

«Alle Kommandanten sind zu ihren Schiffen unterwegs, Sir«, meldete Keverne. Falls er Angst hatte, merkte man es ihm jedenfalls nicht an. Eines Tages vielleicht würde er in einer Position sein, in der er sich Sorgen machen mußte wie Broughton. Aber jetzt hatte er seinen Dienst zu tun und sonst nichts. Vielleicht lebte er so besser.

«Danke, Mr. Keverne. Ich komme gleich an Deck. Aber jetzt lassen Sie Mr. Tothill dem Geschwader signalisieren, daß es die befohlenen Positionen einnehmen soll. «Er hielt inne. Von diesen ständigen Verzögerungen und Unsicherheiten hatte er reichlich genug.»Wir greifen morgen an, wenn der Wind sich hält. «Keverne zeigte grinsend die Zähne.»Also hat das Warten Gott sei Dank ein Ende, Sir.»

Bolitho sah ihm nach, wie er hinausging, und trat dann wieder ans Fenster. Aye, ein Ende, dachte er. Und wenn wir Glück haben, ist es ein neuer Anfang.

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