IXX Im Gefecht

«Kursänderung ein Strich nach Backbord, Mr. Partridge!»

Bolitho ging nach Lee, um nach der Zeus zu sehen, die fast genau voraus an der Spitze der anderen Formation segelte. Es hatte fast eine Stunde gedauert, bis das Geschwader über Stag gegangen war und jeder Kommandant seinen Platz in seiner Gefechtslinie eingenommen hatte. Gott sei Dank hatten sie inzwischen genügend Zeit gehabt, sich aufeinander einzuspielen.

«West zu Süd liegt an, Sir«, bestätigte Partridge mit grimmiger Entschlossenheit.

«Recht so.»

Bolitho schritt zur Achterdecksreling und musterte sein Schiff. Jetzt, da die Euryalus an der Spitze fuhr, konnte man die Lage viel besser übersehen und überdenken. Vor den mächtigen, klauenförmigen Klüversegeln und den dichgebraßten Vorbramsegeln, die das Schiff stetig auf Backbordbug hielten, konnte er den Feind so deutlich sehen wie auf einem Seeschlachtengemälde. Die zehn Schiffe segelten in beinahe vollkommener Gefechtslinie diagonal auf das britische Geschwader zu. Für ein ungeübtes Auge mochte es aussehen, als sei der Weg nach vorn von einer Reihe mächtiger Schiffe total blockiert, und selbst einem erfahrenen Beobachter konnte es bei diesem Anblick kalt über den Rücken laufen.

Widerwillig tat Bolitho ein paar Schritte über das totenstille Achterdeck und blickte dabei ab und zu nach der Zeus, um sich zu vergewissern, daß sie ihre Position einhielt. Ihr folgten in regelmäßigen Abständen die Tanais und die Valorous; die Doppelreihen ihrer Kanonen glänzten im harten Frühlicht wie schwarze Zähne.

Die hohe Kampanje der Euryalus verdeckte die Impulsive zum größten Teil, doch er konnte ihre festgezurrten Bramsegel und den flatternden Wimpel sehen und vermochte sich leicht vorzustellen, wie Herrick breitbeinig an Deck stand und mit seinen hellblauen Augen das Flaggschiff beobachtete.

«Glauben Sie«, fragte Keverne nachdenklich,»daß die Frogs erraten, was wir vorhaben, Sir?»

Zum zehnten Male schätzte Bolitho die Entfernung zwischen den beiden kleinen Formationen ab. Rattrays Zeus lag etwa drei Kabellängen entfernt, und er sah die roten Röcke der Marine-Infanteristen schimmern, die auf ihre Gefechtsstationen in den Masten kletterten. Die besten Scharfschützen würden heute verdammt nötig sein.

«Unsere Formationen sind so ungleich, daß der französische Admi-ral hoffentlich glaubt, wir hätten überhaupt keinen Plan.»

Das wäre auch ganz verständlich gewesen, dachte er grimmig. Fünf Schiffe in zwei ungleichen Stoßkeilen, die auf diese unerschütterliche Gefechtslinie zusegelten — das war, als galoppiere eine Gruppe Jäger blindlings auf einen Abgrund zu.

Nochmals überschaute er sein Schiff. Keverne hatte trotz allem in acht Minuten gefechtsklar gemacht. Vom ersten nervenreißenden Wirbel der Trommeljungen an waren Matrosen und Seesoldaten ernst wie zum Tode Verurteilte auf ihre Gefechtsstationen gegangen. Jetzt herrschte lautlose Stille. Nur hier und da bewegte sich jemand: da streute ein Schiffsjunge rasch noch Sand, damit die Füße der Geschützbedienungen besseren Halt auf den Planken fanden. Fittock, der Feuerwerker, hatte seine mächtigen Filzschuhe an und stieg noch einmal in die bedrohliche Dämmerung seiner Pulverkammer hinab.

Schutznetze waren über dem Deck aufgeriggt und Ketten um jede Rah geschlungen; an jedem Niedergang stand ein bewaffneter Seesoldat, damit nicht etwa jemand, der die Schrecken der Schlacht nicht mehr ertragen konnte, in die trügerische Sicherheit des Schiffsrumpfes zu flüchten versuchte.

Wie sauber und offen das alles aussah. Die Boote trieben an langen Leinen achteraus. Unter den Decksgängen hockten die Geschützbedienungen, nackt bis zum Gürtel, starrten durch die offenen Stückpforten und warteten darauf, daß der Wahnsinn losging.

Und das würde nicht mehr lange dauern. Bolitho richtete sein Teleskop auf das vorderste feindliche Schiff. Es war knapp zwei Meilen vor ihrem Backbordbug und segelte so, daß es den Kurs der Zeus kreuzen mußte.

Es kam ihm merkwürdig bekannt vor; aber dafür hatte Partridge eine Erklärung. Mit fachmännischen Interesse hatte er gesagt:»Ich kenn' sie, Sir. Die Glorieux, Vizeadmiral Duplays Flaggschiff. Bin mal vor Toulon mit ihr aneinandergeraten.»

Natürlich — das hätte er gleich sehen müssen. Da hatte sich das Schicksal noch einen Extraspaß ausgedacht, denn die Glorieux kam aus derselben Werft wie sein eigenes Schiff und war bis zum letzten Bolzen nach den gleichen Plänen gebaut. Abgesehen von der Bemalung, den breiten scharlachroten Streifen zwischen den Stückpforten, war sie die Zwillingsschwester der Euryalus.

Langsam führte er das Glas nach Steuerbord zu den beiden Schiffen in der Mitte der gegnerischen Formation. Zum Unterschied von den anderen führten sie die rot-gelbe Flagge Spaniens; der Sicherheit halber waren sie in der Mitte stationiert, wo sie ihrem Admiral folgen konnten, ohne zu sehr auf eigene Initiative angewiesen zu sein. Solche Initiativen hatten ihre französischen Alliierten bei St. Vincent schon einmal teuer bezahlen müssen.

Er hörte, wie Calvert etwas zu Midshipman Tothill sagte, und als er das Glas absetzte, sah er, wie der Leutnant das Signalbuch studierte, als wolle er sich unbedingt noch im letzten Augenblick nützlich machen. Armer Calvert. Wenn er diesen Tag überlebte, erwarteten ihn in

England Arrest und Gerichtsverfahren. Dafür würden Draffens Freunde schon sorgen.

Bolitho wandte sich um und sah Pascoe bei den Neunpfündern stehen, einen Fuß auf einem Poller. Der Junge starrte auf den Feind und sah ihn nicht.

Bolitho sagte zu Keverne:»Wenn es irgend geht, brechen wir bei den spanischen Schiffen durch. Sie sind die Schwachpunkte, das kenne ich.»

Keverne beobachtete die Zeus. »Und Captain Rattray, Sir?»

«Der wird nach eigenem Ermessen handeln«, sagte Bolitho ernst. Rattray mit seinem Bulldoggengesicht würde schon von selbst angreifen; der brauchte keine Aufforderung. Jetzt war nur eins wichtig: sie mußten das französische Flaggschiff so lange von den anderen Schiffen trennen, daß sie durch die Schlachtordnung brechen und sich in Luv den Windvorteil verschaffen konnten. Und dann hieß es: Jeder für sich, so gut er konnte.

Vizeadmiral Broughton trat in die Sonne hinaus und nickte den Offizieren auf dem Achterdeck kurz zu. Etwas länger musterte er die Lee-Formation — zweifelnd, besorgt.»Schlachtenlärm kann ich ertragen«, sagte er,»aber das Warten ist eine Qual.»

Nachdenklich sah Bolitho ihn an. Er schien ruhiger geworden zu sein. Oder war es Resignation? Der Admiral trug seinen schönen Galadegen, und unter dem Uniformrock leuchtete das scharlachrote Band des Bath-Ordens. War er so verzweifelt, daß er sich irgendeinem französischen Scharfschützen absichtlich als Ziel anbot? Plötzlich tat er Bolitho leid. Vorwürfe und Anklagen waren jetzt sinnlos. Der Mann sah sein Geschwader und alle seine stolzen Hoffnungen in den fast sicheren Untergang segeln.

«Wollen Sie nicht ein bißchen auf und ab gehen, Sir Lucius? Ich finde, es lockert die Spannung«, fragte Bolitho.

Ohne Widerspruch fiel Broughton neben ihm in Gleichschritt, und während sie langsam auf und ab spazierten, sprach Bolitho gelassen weiter:»Die Mitte der Formation ist die günstigste Stelle, Sir. Zwei spanische Vierundsiebziger.»

Broughton nickte.»Ja, ich habe sie gesehen. Dahinter fährt der Stellvertreter des Admirals. «Plötzlich blieb er stehen und fragte irritiert:»Wo, zum Teufel, steckt die Coquette?»

«Sie repariert ihre Schäden, Sir. Auch die Auriga ist beschädigt — Fock und Besan. Beide können uns jetzt nicht viel nützen.»

Broughton blickte ihm sekundenlang starr in die Augen.»Werden unsere Leute kämpfen?«Er hob wie beschwörend die Hand.» Wirklich kämpfen, meine ich?»

Unwillig wandte Bolitho sich ab.»In dieser Hinsicht brauchen Sie keine Angst zu haben. Ich kenne sie und.»

«Und sie kennen Sie«, ergänzte Broughton.

«Jawohl, Sir.»

Als er wieder hinsah, stand die feindliche Linie zu beiden Seiten des Bugs, so daß die ganze Kimm von einer Wand aus Segeln verdeckt schien. Jeden Moment konnte der französische Admiral jetzt begreifen, was sie vorhatten, und dann waren sie geschlagen, ehe sie auch nur einen Treffer angebracht hatte. Hätten sie mehr Zeit gehabt oder noch besser die Beweglichkeit und Selbständigkeit, die ihnen durch Broughtons sture Führung versagt geblieben war, so hätten sie Rattray und den anderen irgendein Scheinsignal geben können; und dann hätte der Feind angenommen, sie würden jetzt halsen und in dem starren, alten, bei so vielen noch beliebten traditionellen Stil angreifen. Aber da sie dergleichen noch nie exerziert hatten, konnte ein falschverstandenes Signal den schon nicht sehr kampfstarken Verband in verhängnisvollster Weise durcheinanderbringen.

Es sei denn. Bolitho sah Broughton von der Seite an. Er hatte eine Idee.

«Darf ich vor dem Angriffssignal ein generelles Signal vorschlagen, Sir?«Ein Muskel zuckte auf Broughtons Hals, aber er sah den ansegelnden Schiffen unbewegt und stumm entgegen. Doch Bolitho ließ nicht locker.»Ein Signal von Ihnen, Sir.»

«Von mir?«Broughton wandte den Kopf und sah ihn überrascht an.

«Sie sagten vorhin, daß die Leute mich kennen, Sir. Aber es ist auch mein Schiff, und sie verstehen meine Art, wie ich versucht habe, ihre Art zu verstehen. «Er deutete auf die Zeus. »Doch alle diese Schiffe sind Ihre Schiffe, Sir, und die Leute müssen sich heute auf Sie verlassen.»

Broughton schüttelte den Kopf.»So etwas kann ich nicht.«»Darf ich etwas sagen, Sir?»

Das war Calvert.»Dieses Signal müßte lauten: >Ich vertraue auf euch!<«Er wurde rot, denn Keverne trat rasch auf ihn zu und schlug ihm auf die Schulter.»Bei Gott, Mr. Calvert, ich hätte nicht gedacht, daß Ihnen so was einfallen würde!»

Broughton leckte sich die Lippen.»Wenn Sie tatsächlich glauben…»

Bolitho nickte Tothill zu.»Ja, das glaube ich, Sir. Stecken Sie das an, Mr. Tothill, und hissen Sie es sofort. Wir haben wenig Zeit.»

Mehrere Offiziere der Zeus beobachteten mit blinkenden Teleskopen die Reihe Flaggen, die da auf einmal an der Rah der Euryalus flatterte.

Doch er fuhr herum, denn plötzlich erzitterte die Luft im Donner der Kanonen. Das französische Flaggschiff hatte das Feuer eröffnet — ein Rohr nach dem anderen spuckte gelbrote Flammen, eine langsame Breitseite auf das ansegelnde Geschwader. Da es auf diagonalem Kurs lag, gingen die meisten Geschosse fehl; er sah sie durch die Wellenkämme fliegen und weit hinter der Lee-Formation Fontänen aufwerfen. Wie dicker brauner Nebel rollte der Qualm ab, bis von der Zeus nur noch die Mastspitzen zu sehen waren.

Broughton faßte seinen Degengriff. Sein Gesicht war vor Konzentration verzerrt, als ein zweites französisches Schiff feuerte. Eine Kugel durchschlug mit lautem Knall das Vormarssegel und flog jaulend übers Wasser.

«Horchen Sie, Sir!«sagte Bolitho knapp und trat neben den Admi-ral.»Hören Sie das?»

Über den Wind und das ersterbende Echo des Kanonendonners war, unbestimmt und verzerrt, als gäben die Schiffe untereinander den Takt an, fernes Hurrarufen zu vernehmen. Die Kunde verbreitete sich von Geschütz zu Geschütz, von Deck zu Deck, und die Matrosen der Eu-ryalus schrien mit, laut und alles übertönend. Die Zwölfpfünderbedie-nungen sprangen sogar hoch und winkten Broughton zu, der wie aus Stein gehauen stand, mit totenstarrem Gesicht und stocksteifen Schultern.

«Sehen Sie, Sir«, sagte Bolitho leise,»es braucht gar nicht viel.«»Gott im Himmel!«murmelte Broughton, und Bolitho wandte sich ab.

Jetzt feuerten weitere französische Schiffe, und mehrere Kugeln sausten in ziemlicher Nähe übers Wasser; die Segel der Zeus, die zielstrebig in den Qualm tauchte, wiesen schon einige Löcher auf.

Bolitho wandte sich wieder um, denn Broughton sagte entschlossen:»Ich bin bereit. Geben Sie dem Geschwader das Angriffssignal. «Noch im Weggehen sah Bolitho, daß Broughtons Augen glänzten sei es vor Schreck oder vor Freude über das Hurrarufen. Jubel für ein kurzes banales Signal, das aber an der Schwelle des Todes viel bedeuten konnte.

«Signal hoch, Mr. Tothill«, rief Bolitho.»Mr. Keverne, an die Brassen! Wir wollen sehen, daß wir bis zum letzten Moment unsere Position zur Zeus halten!»

Wieder hallte das Echo des Kanonendonners über den kürzer werdenden Wasserstreifen zwischen ihnen und dem Feind. Er spürte das Deck erzittern — ein Treffer. Meheux stand jetzt bei den Geschützen im Vorschiff; eindringlich sprach er zu den Kanonieren, und sein rundes Gesicht war wie versteinert vor Konzentration.

«Fertig, Sir!»

Ganz langsam hob Bolitho die Hand.»Ruhig, Mr. Partridge!«Der Schmerz klopfte wieder in seiner Schulter — ein Zeichen seiner wachsenden inneren Anspannung. Die Hand fuhr nieder.»Jetzt!»

Die Flaggen an der Rah der Euryalus verschwanden, die Männer warfen sich in die Brassen, knarrend arbeitete das Rad gegen die Ruderleinen, wie ein riesiges Tor schien sich die französische Linie zu öffnen, bis der Bugspriet der Euryalus senkrecht zu ihr stand.

Ein rascher Blick bestätigte ihm, daß die Zeus befehlsgemäß ihre Abteilung anführte; heftig schlugen ihre Segel, als mehrere feindliche Kugeln sie trafen. Doch jetzt hatten die französischen Kanoniere es nicht mehr mit einem ganzen Pulk von Schiffen zu tun, sondern mit mehreren Einzelzielen. Hintereinander, die Batterien noch immer stumm, segelten die beiden britischen Stoßkeile gleichzeitig auf sie zu, durch die leichte Drehung nach Steuerbord lag die Euryalus allerdings eine gute Schiffslänge vor der Zeus.

Bolitho packte die Reling. Von den aufblitzenden Kanonen zog Rauch ab. Eisen jaulte über das Achterdeck, ein paar gebrochene Leinen und lose Blöcke fielen ohne Schaden anzurichten in die straffgespannten Netze.

«Abwarten!»

Er rieb sich die Augen, denn wieder wirbelte Qualm übers Deck; dicht vor dem Backbordbug standen, wie abgesägt, die Masten des Schiffes, das ihnen am nächsten war. Wieder ruckte das Deck, mehrere Treffer schmetterten in den Rumpf, und plötzlich fiel ihm ein, wie er seinerzeit Draffen auseinandergesetzt hatte, die Euryalus sei wegen ihrer französischen Konstruktion ein Schiff von überlegener Kampfkraft. Ein makabrer Gedanke: Draffen lag jetzt tief unten in der finsteren stillen Kabellast in seinem Rumfaß; und die Lebenden warteten indessen auf Kampf und Tod.

Er trat an die Hängemattsnetze — ein kleiner Farbfleck wurde über dem Qualm sichtbar. Die spanische Flagge wehte von der Gaffel; er hatte also die richtige Stelle für seinen Durchbruch abgepaßt.

«Batteriedecks klar zum Feuern!»

Die Midshipmen eilten zu den Niedergängen, und er stellte sich Weigall und Sawle vor, dort unten in ihrer Dämmerwelt; doch vielleicht blinkten die mächtigen Rohre schon in den offenen Stückpforten.

Meheux stand mit dem Blick aufs Achterdeck; Bolitho fiel auf, daß er den Degen wie bei der Parade an die Schulter gelehnt hatte. Mit plötzlichem Erschrecken faßte er an seine Hüfte und rief:»Meinen Degen!»

Allday kam gelaufen.»Aber Captain, Sie können ihn doch jetzt gar nicht halten!»

«Her damit!«Bolitho befühlte seine Seite und wunderte sich selbst über die abergläubische Bedeutung, die er seinem Degen beimaß. Doch er war ihm wichtig, obwohl er es nicht in Worte fassen konnte.

Er blieb stehen, bis Allday ihm das Koppel umgeschnallt hatte, und sagte nur:»Linkshändig oder nicht — man kann nie wissen!»

Allday nahm bei den Netzen Aufstellung und behielt ihn fest im Auge. Solange er seinen Entersäbel halten konnte, würde der Kommandant seinen Degen nicht brauchen müssen, das hatte er sich geschworen.

Ein neuer Laut ließ alle nach oben blicken. Kreischend, heulend wie ein Gespenst, fuhr es hoch über Deck dahin und verschwand im driftenden Qualm.

«Kettenkugeln«, sagte Bolitho kurz.

Die Franzosen versuchten stets, den Gegner zu entmasten, wenn irgend möglich, oder ihn manövrierunfähig zu schießen, während die britischen Batterien normalerweise auf den Rumpf zielten, um dort so viel Schaden an Schiff und Mannschaft anzurichten, daß der Gegner sich ergab.

Der Qualm glühte rot, vom Vorschiff her kamen Schreie, denn noch weitere Kettenkugeln sägten an den Karronaden vorbei und schnitten durch Wanten und Stage wie die Sichel durch Gras.

Eine starke Fallbö trieb den Rauch zur Seite, und während das Geschützfeuer die feindliche Linie entlanglief, sah Bolitho den nächsten spanischen Vierundsiebziger nur eine knappe Kabellänge vor ihrem Backbordbug. Kurz bevor sich der Qualm wieder setzte, stand das Schiff auf der glitzernden See, klar und deutlich, die vergoldeten Schnitzereien und die eleganten Heckaufbauten schimmerten, und auf der hohen Kampanje knallten bereits Musketen.

An Steuerbord schor das zweite spanische Schiff etwas aus; Klüver und Vormars killten, als der Kommandant sich bemühte, dem ansegelnden Dreidecker auszuweichen.

Broughton stand noch so da wie vorhin: reglos, mit herabhängenden Händen, wie versteinert.

«Sir! Nicht stehenbleiben!«Bolitho deutete auf das spanische Schiff.»Da sind Scharfschützen!»

Wie zur Bestätigung dieser Warnung flogen Splitter von den Planken hoch wie Daunenfedern, und ein Mann am Geschütz schrie schmerzlich auf, denn eine Kugel war ihm in die Brust gefahren. Trotz seines Schreiens und Sträubens wurde er nach unten geschafft; er war wohl noch so weit bei Sinnen, daß er wußte, was ihn dort im Orlop-deck erwartete.

Broughton erwachte aus seiner Trance und ging weiter auf und ab. Er zuckte nicht einmal, als ein Toter von der Großrah abstürzte, auf die Netze fiel und dann über Bord rollte. Er schien jenseits von Furcht und Schmerz zu sein: als wäre er schon tot.

Schmetternd krachte es gegen den Rumpf; und dann, als der Qualm wieder abzog, sah Bolitho das spanische Schiff in Höhe seines eigenen Fockmastes. Sie passierten die feindliche Linie! Jeder Nerv in seinem Leib zuckte bei dem Gedanken. Er packte die Reling.»Mr. Meheux! Beide Batterien! Befehl weitergeben!«Hoffentlich konnte er den Krach überschreien. Tastend und fluchend versuchte er, seinen Degen zu ziehen. Es war hoffnungslos.

«Moment, Sir, ich mache das!«Pascoe.

Bolitho nahm den abgewetzten Griff in die Linke und lächelte ihm zu.»Danke, Adam. «Dachte der Junge in diesem Sekundenbruchteil dasselbe? Daß diese alte Klinge eines Tages ihm gehören würde?

Er hielt sie hoch über den Kopf, das dunstige Sonnenlicht blinkte auf der scharfen Schneide, bis sich der Qualm wieder übers Deck wälzte.

«Ziel erfassen!«Er zählte die Sekunden.»Feuer!»

Das Schiff schwankte heftig, als Deck für Deck, Geschütz für Geschütz, die todbringenden Breitseiten an Backbord und Steuerbord blitzten und krachten. Er hörte das Stöhnen brechender und fallender Spieren, spitze Schreie im Qualm — das nächstliegende Schiff mußte schwer getroffen sein. Und das war noch nicht einmal der eigentliche Anfang. Das tiefe Aufbrüllen der untersten Batterie von Zweiunddrei-ßigpfündern übertönte alles; ihr Rückstoß erschütterte das Schiff bis in den Kiel. Ihre Doppelsalve fegte mit erbarmungsloser Genauigkeit in die spanischen Schiffe. Das an Steuerbord hatte die Stengen von Fock- und Großmast verloren, die verkohlte Leinwand stürzte ins Wasser wie Müll. Der nächste Zweidecker trieb vorm Winde ab, sein Ruder war weg, und das Heck gähnte als riesige schwarze Höhle in das Sonnenlicht. Was die Breitseite in den Batteriedecks angerichtet hatte, konnte man nur ahnen.

Ein verschwommenes Gebilde kam hinter dem anderen Spanier aus dem Rauch, und Bolitho vermutete, es sei das Schiff des stellvertretenden Admirals. Die untere Batterie der Euryalus hatte bereits neu geladen und harkte über den Bug des Franzosen, bevor dieser von seinem Nebenmann freigekommen war. Bolitho sah, wie seine Geschütze Feuer und Rauch spuckten, wußte aber, daß man sich dort wenig um genaues Zielen kümmern konnte.

«Klar zum Halsen, Mr. Partridge!»

Sie waren durch! Schon war der manövrierunfähige Vierundsiebziger im Rauch verschwunden, und bis zum nächsten Schiff, dem dritten in der Linie, klaffte eine mächtige Lücke.

Mit knarrenden Rahen, unter Befehlsgebrüll, das den Kanonendonner übertönte, drehte die Euryalus langsam und ging die feindliche Linie von hinten an. Das war ganz etwas anderes! Nun hatten sie in Luv den Windvorteil und konnten den Feind unbehindert vom Kanonenqualm beobachten. Bolitho atmete erleichtert auf, denn Masten und Rahen der Euryalus waren noch unbeschädigt. Allerdings waren die Segel durchlöchert, Tote und Verwundete lagen an Deck. Einige waren Opfer der Scharfschützen in den Masten des Feindes, die meisten jedoch waren von Splittern und herumfliegenden Holzstücken niedergemäht worden.

Irgendwo achtern ertönte nervenzerreißendes Krachen, und als er sich über die Reling beugte, wollte er seinen Augen nicht trauen: wie betrunken schwankte die Impulsive in einem Chaos zerbrochener Spieren; sie hatte die feindliche Linie erst zur Hälfte passiert. Der Fockmast war vollkommen weg, nur das Kreuzmarssegel schien noch intakt zu sein. Große Löcher klafften überall, und eben jetzt stürzte die Großmaststenge krachend in den Rauch, driftete längsseit und zog das Schiff noch mehr in den Feuerbereich des französischen Zweideckers. Kettenkugeln hatten sie fast entmastet; er sah bereits, daß noch ein weiteres französisches Schiff über Stag ging, um sie unter Feuer zu nehmen, so wie die Euryalus vorhin den Spanier. Er mußte sich wieder seinem eigenen Schiff zuwenden, aber seine Ohren konnte er vor dem Donner dieser furchtbaren Breitseite nicht verschließen. Er sah Pascoe mit schreckgeweiteten Augen hinüberstarren.

«Boote kappen!«brüllte er. Adam wandte sich ihm zu und sagte etwas, doch es ging im Krachen einer Musketensalve unter.

Eiskalt beobachtete Bolitho den nächsten Franzosen, auf dessen Heck der Wind die Euryalus langsam zutrieb. Der Kommandant dieses Schiffes mußte sich entweder zum Kampf stellen oder versuchen, abzufallen und mit raumen Wind wegzukommen. Dann war sein Schicksal ebenso besiegelt wie das der Impulsive. Bolitho mußte die Zähne zusammenbeißen, um nicht laut Herricks Namen zu rufen. Damit, daß er die Boote kappen ließ, hatte er in erster Linie den Jungen beruhigen wollen; von den Überlebenden der Impulsive würden sich wohl nur wenige retten können.

«Achtung, Vorschiff!«brüllte er.»Mr. Meheux! Karronade auf den da!»

«Feuer!»

Die ersten Geschütze der Backbordbatterie brüllten los, und dann erzitterte die Luft unter dem tiefen Dröhnen der Karronade. Balken und Stücke des Schanzkleids flogen von der Kampanje des Feindes hoch, und der Besan mitsamt der Trikolore taumelte in die anrollende Qualmwolke.

«Sehen Sie da! Gott verdammt!«schrie Broughton ihm zu. Er hüpfte vor Aufregung, denn jetzt stieß wie der Finger eines Riesen erst ein Klüverbaum und dann eine goldglänzende Galionsfigur am nächsten französischen Schiff vorbei.

«Die Zeus hat die Linie durchbrochen!«Keverne schwenkte seinen Dreispitz.»Mein Gott, seht sie bloß an!»

Beidseitig aus allen Rohren feuernd, kam die Zeus durch, die Segel in Fetzen, den Rumpf durchlöchert und schwarz vom Pulverrauch. Dünne rote Fäden rannen aus den Speigatten, als blute das Schiff selbst — Rattray mußte hart und ohne Rücksicht auf Verluste gekämpft haben, um es dem Flaggschiff gleichzutun.

Soweit Bolitho sehen konnte, waren jetzt alle Schiffe im Gefecht. Vorn und achtern hämmerten Geschütze, an Backbord und Steuerbord waren Schiffe in Einzelgefechte verwickelt. Die saubere französische Gefechtsformation war zum Teufel, ebenso die Einteilung bei Brough-tons Geschwader. Der französische Admiral hatte keine Kontrolle mehr über seine Schiffe, er war vorm Wind abgetrieben und stand von seinem Verband getrennt, von Rauch geblendet, irgendwo in dieser kampfgepeitschten See.

«Signal an alle!«brüllte Broughton:»»Formiert Schlachtordnung vor und achtern vom Flaggschiff!<»

Tothill nickte heftig und rannte zu seinen Männern. Die Chancen, daß dieser Befehl befolgt wurde, waren nicht allzu groß, aber jedenfalls würde das Geschwader sehen, daß Broughton immer noch das Kommando führte.

Und da kam die Tanais — ihr Besan war weg, das Vorschiff ein Chaos von Splittern, ihr Wimpel von Musketenkugeln geschlitzt, aber die meisten ihrer Geschütze feuerten noch und beharkten den Feind beim Durchbruch.

Wieder bellte Kanonendonner durch den Qualm — das mußte Four-neaux sein, der gegen zwei schwer beschädigte, aber immer noch gefährliche Schiffe um sein Leben kämpfte.

«Schiff an Steuerbord achteraus, Sir!»

Bolitho rannte übers Deck und sah einen noch völlig intakten französischen Zweidecker ohne ein einziges Loch in den Segeln auf sich zukommen; gerade setzte er Breitfock und Bramsegel, um noch mehr Fahrt zu bekommen. Unter dem Druck des Windes lag er stark über.

Während alle anderen Schiffe in Kämpfe verwickelt waren, hatte dieser Kommandant sein Schiff aus der Linie genommen und versucht, den Windvorteil zurückzugewinnen. Jetzt drehte es etwas, sein Umriß verkürzte sich; und nun sah Bolitho auch wieder die Impulsive. Sie war entmastet und lag so tief, daß die unteren Stückpforten fast die Wasserlinie schnitten. Ein paar winzige Gestalten bewegten sich undeutlich auf dem schiefen Deck, andere sprangen über Bord; sie waren wohl so verstört durch die blutige Schlachterei, daß sie nicht mehr wußten, was sie taten.

«Da werden nicht viele durchkommen«, sagte Keverne heiser.

«Nein, nicht viele«, entgegnete Bolitho, doch er zuckte mit keiner Wimper.»Sie war ein gutes Schiff.»

Dann ging er wieder an die Reling, und Keverne sah ihm nach.»Er nimmt es sehr schwer«, sagte er zu Pascoe.»Trotz seiner Selbstbeherrschung. Allmählich kenne ich ihn.»

Pascoe starrte achteraus auf das sinkende Schiff unter der großen driftenden Rauchwolke.»Sein bester Freund. «Er wandte sich ab, tränenblind.»Und meiner auch.»

«An Deck!«Vielleicht hatte der Ausguck schon ein paarmal gerufen. Keverne sah hoch.»Neues Schiff, Sir!«rief der Mann heiser.»An Backbord voraus!»

Bolitho faßte den Degengriff mit der Linken, bis ihn die Finger schmerzten. Durch die Wanten und Stage, backbords vom massiven Fockmast, sah er es. Umgeben von einem Vorhang aus Pulverqualm, riesenhaft, die Rahen ganz dicht gebraßt, kam sie langsam quer zum Kurs der Euryalus auf sie zu.

Haß und unvernünftige Wut durchglühten ihn. Die Glorieux, das französische Flaggschiff, kam ihn begrüßen, ihm die beschämende Vernichtung heimzahlen, die er den Schiffen und dem Selbstbewußtsein des Admirals zugedacht hatte.

Er faßte den Degen fester, geblendet von Haß und dem Bewußtsein seines Verlustes. Dieses Schiff vor allem sollte ein Mahnmal zu Herricks Gedächtnis sein!

«Klar zum Feuern!«Er deutete mit dem Degen auf Meheux.»Befehl weitergeben! Doppelladung und Schrapnell obendrein!»

Broughton starrte ihn entgeistert an.»Da drüben ist Ihr Rivale, Sir!«sagte Bolitho heiser. Die Augen brannten ihn, er hörte nicht, was Broughton entgegnete, er sah nur Herricks Gesicht vor sich, das ihn aus dem Qualm seines sterbenden Schiffes anzublicken schien.

Broughton drehte sich um und schritt den Steuerborddecksgang entlang. Seine Epauletten glitzerten in dem rauchigen Sonnenlicht. Seine Füße schienen ihn zu tragen, wohin er gar nicht wollte, und während er über den qualmverschmierten Geschützbedienungen dahinschritt, blieb er manchmal stehen, nickte ihnen zu und wünschte ihnen Glück. Manche blickten ihm nur stumm und stumpf nach, weil sie schon so wirr und abgekämpft waren, daß sie nichts mehr interessierte; andere aber grinsten ihn an und winkten ihm zu. Ein Geschützführer spuckte auf seinen heißgeschossenen Zwölfpfünder und krächzte:»Sie kriegen schon Ihren Sieg, Sir Lucius, bloß keine Angst!»

Broughton blieb stehen und hielt sich an den Netzen fest. Achtern, über den durcheinanderredenden Matrosen und den MarineInfanteristen, die schon mit ihren Musketen in den Rauch zielten, sah er Bolitho. Den Mann, der diesen Leuten irgendwie ein Vertrauen eingeflößt hatte, das so stark war, daß sie nicht aufgeben konnten, selbst wenn sie es gewollt hätten. Und auf ihre Art war es das gleiche Vertrauen, das er zu seinem Flaggkapitän hatte.

Reglos stand Bolitho an der Reling, weiß hob sich die Armschlinge von seinem Uniformrock ab, die Hand mit dem Degen hing hinunter. Hinter dem Kommandanten sah Broughton auch dessen Bootsführer und Pascoe, der ihn verzweifelt anstarrte.

Beim Anblick dieser drei riß er sich zusammen. Bolitho hatte ihm und dem Schiff sein Bestes gegeben, doch war er jetzt so tief bekümmert, daß ihm niemand helfen konnte.

Fast wütend schritt er nach achtern und stieß hervor:»Bei Gott, dem Kerl wollen wir's zeigen, was, Jungs?«Er spürte beinahe, wie seine straff gespannte Gesichtshaut knisterte.»Wie wär's, Mr. Keverne? Noch einen Dreidecker für die Flotte?»

Keverne schluckte mühsam.»Gewiß, Sir.»

Bolitho hob den Kopf und sah Broughton an. Mit einem Seufzer der Erleichterung legte er den Degen über die Reling.»Danke, Sir.»

Als er jetzt zu dem französischen Flaggschiff hinübersah, war es schon viel klarer zu erkennen. Sein Hirn war vollkommen leer bis auf den einen Gedanken: dieses Schiff zu vernichten.

«Sie fällt ab, Bolitho! Sehen Sie doch!«rief Broughton von der anderen Seite des Achterdecks herüber.

Das feindliche Schiff drehte schwerfällig und wies dem SteuerbordAchterdeck der Euryalus seine volle Breitseite. Entweder hatte der Kommandant schon einmal vergeblich versucht, das Heck der Eurya-lus zu kreuzen, oder er hatte es sich anders überlegt und wollte lieber nicht so nahe heran.

Dann feuerte der Franzose. Da er zum erstenmal in dieser verzweifelten Schlacht mitmischte, war seine Breitseite gut gezielt und kam im richtigen Moment. Dicker Rauch wallte am Schiffsrumpf entlang, die Decksplanken sprangen hoch, und plötzlich schwirrte die Luft von Splittern und jenen schrecklichen Schreien, die sie heute schon mehrmals gehört hatten.

Noch einmal wurden die Planken hochgerissen, und als er wieder hören konnte, war es Giffards Stimme:»Der Besan! Die Hunde haben ihn erwischt!«gellte er.

Ehe er Giffards schreckensstarrem Blick folgen konnte, sah er auch schon den Schatten über die Kampanje gleiten, und mit allen Wanten und Stagen, mit den schreienden Menschen, die rechts und links aus den Toppen fielen, stürzte der Mast mit Rahen und Segeln donnernd auf das Deck, mitten zwischen die Menschen.

Fallen und Brassen fegten durch die geduckten Kanoniere und die durcheinanderrennenden Soldaten wie giftige Schlangen, dann folgte ein neuer, wilder Krach: wie trunken sackte der Mast über die Schanz.

Wieder blitzten die feindlichen Kanonen auf, der Qualm riß auseinander, denn wirbelnd sausten oben die Kettenkugeln. Pulvergeschwärzte Gestalten rannten an Bolitho vorbei; Tebbutt, der Bootsmann, schwang die Axt, trieb seine Männer an, das schwere Gewicht des treibenden Mastes zu kappen. Der Mast, die Spieren, zerfetzte Leichname und ein paar in den Toppen hängengebliebene Matrosen, die verzweifelt versuchten, sich freizukämpfen, bevor sie achteraus wegtrieben — das alles wirkte wie ein Treibanker, der das Schiff in einem Alptraum von Rauch und ohrbetäubenden Detonationen herumriß.

Wo Sekunden vorher noch eine Reihe Seesoldaten gestanden hatte, war jetzt ein groteskes Chaos von zerrissenen, zerquetschten Körpern, zerbrochenen Musketen und Strömen von Blut, die sich rasch nach allen Seiten ausbreiteten. Schon brüllte Giffard seine Befehle, und seine Männer liefen bereits blindlings in den blutigen Brei hinein und schossen in den beißenden Rauch.

Mitten in diesem Tohuwabohu sah Bolitho den Admiral, der einen schluchzenden Midshipman hinter den Großmast in Deckung zerrte; sein Dreispitz war weg, doch seine Stimme klang scharf wie immer:»Neu laden und ausrennen, Jungs! Trefft gut, verdammt noch mal, trefft, Jungs!»

Bolitho kletterte über einen großen Haufen gebrochener Stage und Blöcke, fast blind vor Qualm, und schrie:»Mr. Partridge! Mehr Leute ans Ruder! Sie legt sich quer!»

Doch der Master hörte nicht mehr. Eine Kettenkugel hatte ihn fast entzweigeschnitten; beinahe mußte Bolitho sich erbrechen bei diesem grauenhaften Anblick.

Ein Stück des Doppelrades war weggerissen, doch ein paar Matrosen, keuchend, fluchend, rutschend und stolpernd, kamen herzu und warfen sich in die Speichen.

Mit einem langen Erschauern schuppte der Besan von seinen Leinen frei und trieb in der See davon. Das Schiff reagierte fast unmittelbar, Bolitho konnte es spüren; doch als er nach vorn stürzte, sah er das französische Flaggschiff: es war zu spät. Ohren und Hirn dröhnten ihm unter dem Donner der Zweiunddreißigpfünder, er suchte verzweifelt nach dem Ausweg der letzten Minute. Aber der Zug des schweren Besans, die momentane Steuerlosigkeit hatten die Euryalus vom Kurs abgebracht, so daß ihr Bugspriet jetzt direkt auf das Vorschiff des Feindes zeigte. Die Kollision war unvermeidbar, selbst wenn der Abstand größer gewesen wäre; die Segel waren zu zerlöchert, zu zerfetzt und gaben nur noch wenig Steuerkraft her.

Er sah Keverne und brüllte:»Nach vorn! Enterer abschlagen!»

Wieder krachte es, wieder bebte der Rumpf, langsam passierte der französische Zweidecker an Steuerbord, aus allen Rohren schießend, Masten und Segel intakt.

Bolitho zog sich an die Reling und sah sich in dem Chaos aus Qualm und brüllenden Geschützbedienungen nach Meheux um. Er sah die schweißblanken Körper halbnackter Matrosen, pulvergeschwärzt, kaum noch menschenähnlich, wie sie sich in die Taljen warfen und die rumpelnden, quietschenden Lafetten an die Pforten zurückholten. Längs der ganzen Batterie zogen die Geschützführer die Reißleinen ab, spien die Rohre Flammenzungen, rollte der Qualm binnenbords, blendete und erstickte die verzweifelte Mannschaft.

Aber Meheux brauchte keine Anweisungen. Er kauerte neben einem Geschütz, brüllte dem Geschützführer etwas zu, hell leuchteten seine Augen in dem pulververschmierten Gesicht. Immer noch flogen die Kugeln jaulend über das Deck, und ein Matrose, der eine Meldung überbringen sollte, stürzte hin, mit Armen und Beinen um sich schlagend: eine Kugel hatte ihm den Kopf abgerissen.

Dann hob Meheux den Degen; die Kanoniere duckten sich tiefer an den Pforten, wie Wettläufer in Erwartung des Startsignals.»Feuer!«schrie Meheux seinen Männern zu.

Die Salve krachte, und Bolitho sah, wie Fockmast und Großstenge des Franzosen im Rauch verschwanden. Abermals feuerten die unteren Batterien, und der Franzose, von den driftenden Spieren behindert, wurde wieder und wieder getroffen. Als sich der Rauch über der Eu-ryalus verzogen hatte, feuerte der Feind nicht mehr.

Bolitho stürzte fast zu Boden, als Bugspriet und Klüverbaum in die Wanten des französischen Flaggschiffs fuhren und die beiden Schiffsrümpfe mit knirschendem Erzittern aufeinanderstießen.

Mündungsfeuer von Musketen und Drehbassen durchblitzten den Qualm, so daß Bolitho sehen konnte, wie Leutnant Cox von der Marine-Infanterie an der Spitze seines Detachements zum Entern vorging. Im unteren Deck begannen die Backbordgeschütze wieder zu feuern, während die beiden Schiffe wie Teile einer gigantischen Türangel gegeneinanderarbeiteten. Vorn stießen die Kanonenmündungen beinahe aneinander, die Kugeln des Feindes schmetterten durch den Rumpf, warfen Geschütze um und machten aus der unteren Batterie ein grauenvolles Schlachthaus.

Musketenkugeln jaulten über das ungeschützte Achterdeck, und Meheux spähte nach oben, wo die Drehbassen in die Kampanje des Feindes feuerten.

«Holt die Scharfschützen runter!«brüllte er. Doch niemand hörte ihn, so laut war der Kampfeslärm. Verzweifelt kletterte er auf den Decksgang und rief noch einmal durch die hohlen Hände. Ein Seesoldat, das Gesicht zu einem irren Grinsen verzerrt, spähte zu ihm hinunter und richtete dann das Drehgeschütz auf den Großtopp des Feindes. Im Moment, als er die Reißleine zog, bekam Meheux einen Bauchschuß, und mit dumpf überraschter Miene und schon brechenden Augen fiel er hinunter und blieb, von niemandem gesehen, neben einem seiner geliebten Zwölfpfünder liegen.

Broughton sah zu, wie die französischen Scharfschützen von den bösartigen Schrapnells niedergemäht wurden. Manche blieben zappelnd an der Großrah hängen, andere hatten mehr Glück, stürzten an Deck und waren sofort tot.

Dann sagte er gelassen:»Unsere Leute können sie nicht aufhalten.»

Bolitho sah zum Backborddecksgang: die feindlichen Enterer überfluteten bereits das Vorschiff; zwischen den beiden Schiffsrümpfen kämpften noch Angreifer und Verteidiger, Stahl gegen Stahl, Pike gegen Bajonett. Hier und da verschwand ein Mann plötzlich und wurde zwischen den beiden Schiffsrümpfen zermalmt, oder auf einmal stand einer ganz allein auf dem feindlichen Deck und wurde gnadenlos niedergemacht, ehe er nur einen Gedanken fassen konnte.

Ein Offizier der Marine — Infanterie fiel schreiend an Deck, das weiße Lederzeug blutverschmiert, Giffard brüllte wütend:»Cox hat's erwischt!«raste fluchend den Decksgang hinunter und war bald im dichten Getümmel nicht mehr zu sehen.

Immer stärker arbeiteten die beiden Schiffsrümpfe gegeneinander, und mit einem heftigen Ruck zersplitterte der Bugspriet der Euryalus und kam frei; sinnlos flatterte der Klüver wie ein Banner über dem Chaos.

Immer mehr Männer schwärmten von dem anderen Schiff herüber, und Bolitho sah, daß sich eine Gruppe unbeirrt zum Achterdeck durchkämpfte. Wie durch Zauberei tauchte ein junger Leutnant an der Leiter auf und stürzte sich mit geschwungenem Degen auf das Deck. Bolitho versuchte, ihn zu parieren und seitlich abzudrängen, doch mit wildem Triumph in den Augen schlug der Franzose Bolithos Klinge weg und holte zum tödlichen Hieb aus.

Calvert stieß Bolitho beiseite und rief mit steinernem Gesicht:»Der gehört mir, Sir!«Seine Klinge zuckte so schnell nieder, daß Bolitho es überhaupt nicht sah. Er sah nur, daß das Gesicht des Franzosen vom Auge bis zum Kinn aufgeschlitzt wurde und er mit ersticktem Schrei gegen die Reling taumelte. Mit einer eleganten Drehung seines Handgelenks fiel Calvert aus und traf den Franzosen mitten ins Herz.

«Amateur!«sagte er verächtlich, stürzte sich zwischen die Angreifer, suchte sich einen Offizier aus und trieb ihn fechtend gegen die Leiter zurück.

Keverne stolperte durch den Rauch; Blut troff ihm von der Stirn.»Sir!«Er duckte sich unter einem sausenden Entersäbel durch und schoß seine Pistole in den Bauch des Mannes ab, der von der Wucht des Einschlags seinen nachdrängenden Kameraden in die Arme geschleudert wurde.»Wir müssen klarkommen!»

Seine Stimme wirkte sehr laut, und verwirrt merkte Bolitho, daß die Geschütze schwiegen. Durch die offenen Stückpforten beider Schiffe stießen die Männer mit Piken aufeinander ein oder scho ssen blindwütig mit Pistolen.

Bolitho packte Keverne beim Arm; sein Degen hing an einer Kordel vom Handgelenk.»Was ist los, Mann?»

«Ich — ich bin nicht ganz sicher, aber.»

Keverne riß Bolitho zu sich heran und fiel mit seinem Degen nach einem brüllenden Matrosen aus. Der Mann wich zurück, und da stürzte auch schon Allday von achtern herbei — er stieß so heftig zu, daß die Spitze seines Entersäbels am Bauch des Mannes herauskam.

«Der Franzose brennt, Sir«, keuchte Keverne.

Bolitho sah, wie der Admiral ausrutschte, auf die Knie fiel, nach seinem Degen tastete und hilflos einem französischen Unteroffizier entgegenstarrte, der mit gefälltem Bajonett auf ihn zurannte.

Eine schlanke Gestalt warf sich dazwischen, und Bolitho hörte seine eigene Stimme:»Adam! Zurück!»

Aber Pascoe hielt stand, er hatte nur seinen Dolch, doch sein Gesicht war wild entschlossen. Das Bajonett stach zu, aber im letzten Augenblick sprang jemand durch den Rauch, ein blutgeschwärzter Degen stieß die Bajonettklinge nach oben und von der Brust des Jungen weg. Die Muskete ging los. Pascoe taumelte zurück und sah mit Grauen, daß Calvert ihm zu Füßen lag — sein Gesicht war von der Kugel weggerissen. Aufschluchzend stieß er mit dem Dolch nach dem Unteroffizier, der unter dem Stich das Gleichgewicht verlor. Alldays Entersäbel gab ihm den Rest.

Bolitho riß die Augen von der Szene los und eilte zur Bordwand. Hinter dem Großmast des Franzosen stieg eine steile, fedrige Rauchsäule hoch. Männer rannten durch das Luk hinunter; er hörte Schrek-kensrufe, Alarm, das laute Klappern der Pumpen.

Vielleicht war in dem Tohuwabohu eine Laterne umgefallen, oder ein glimmender Putzlappen war irgendwie unter Deck geraten. Aber die Anzeichen eines Brandes waren unverkennbar, und sie mußten sich unbedingt und so schnell wie möglich befreien.

«Weitergeben!«brüllte er.»Untere Batterie neu laden! Feuer erst auf Befehl!»

Er sah sich auf den zerschmetterten Planken um, sah die hingestreckten Toten, die stöhnenden Verwundeten. Es war nur eine schwache Hoffnung, aber mehr hatte er nicht. Wenn sie sich nicht von der Glorieux lösen konnten, würde bald alles ein einziges flammendes Inferno sein.

Der schrille Ruf eines Midshipman:»Fertig, Sir!«Es war Ashton.»Feuer!»

Sekunden später detonierte die untere Batterie in einem einzigen krachenden Donner. Es war, als wolle das Schiff auseinanderfallen; als Rauch und Trümmer hoch über die Netze flogen, sah Bolitho das andere Schiff trunken schwanken unter der Wucht dieser vollen Breitseite.

Immer noch zogen die Segel des französischen Flaggschiffes und zitterten im Wind; und als es langsam abdriftete, kam sein Heck immer näher an den Bug der Euryalus heran. Jetzt stieg der Rauch schon dick aus dem Großluk, und Bolitho konnte ein Zittern nicht unterdrücken, als eine erste Flamme wie eine gespaltene Schlangenzunge herüberleckte.

An Deck der Euryalus hatte jeder Kampf aufgehört; die französischen Enterer, die noch auf dem Schiff waren, standen mit den Händen in der Luft und starrten hinter der abtreibenden Glorieux her.

«Sie sind fertig!«sagte Broughton heiser. Doch klang weder Stolz noch Befriedigung mit. Wie alle anderen war er völlig ausgehöhlt von dem wilden, blutigen Kampf.

Tothill kam zur Reling gehinkt.»Die Zeus signalisiert, Sir. «Bolitho blickte hinab und sah, daß Tothill grinste, obwohl ihm Tränen scharfe Linien in das pulvergeschwärzte Gesicht schnitten. Gelassen fragte er:

«Nun, Mr. Tothill?»

«Zwei Feindschiffe haben Flagge gestrichen, Sir. Eins ist gesunken, die anderen stellen die Aktion ein.»

Bolitho seufzte und sah mit stummer Erleichterung hinter dem Flaggschiff her, das jetzt schnell vor dem Wind davontrieb. Als Qualm und Rauch lichter wurden, sah er auch die anderen Schiffe, weit verstreut, geschwärzt und voller Narben. Von der Impulsive war nichts zu sehen, aber die Korvette Restless, die im Verlauf des Kampfes unbemerkt herangekommen sein mußte, hatte Boote ausgesetzt und suchte nach Überlebenden.

Ein heißer Luftzug an seiner Wange ließ ihn zusammenfahren; und als er sich umwandte, sah er Segel und Rigg der Glorieux wie Fackeln brennen. Auch aus den unteren Stückpforten glühte es brandrot, und ehe jemand etwas sagen konnte, zerriß eine ohrenbetäubende Explosion die Luft.

Rauch umgab die Vernichtung und wurde zu Dampf, als die See mit triumphierendem Brausen in die zerschmetterte Hulk strömte und das Schiff in einem Chaos von Blasen und grauenvollem Gurgeln hinunterzog. Kanonen sprangen krachend aus den Laffetten; die Männer, die dort unten in völliger Finsternis gefangen saßen und blind nach einem Ausweg suchten, verschlang das Feuer oder die See.

Als der Rauch endlich abgezogen war, sah man nur noch einen großen, langsam kreisenden Wirbel, in dem Wrackteile und menschliche Körperteile sich zu einem grauenvollen Tanz vereinten. Und dann war nichts mehr.

Broughton räusperte sich mühsam.»Der Sieg!«Er sah den Verwundeten nach, die unter Deck getragen oder geschleift wurden.»Aber er war zu teuer erkauft.»

«Wir fangen gleich mit den Reparaturen an, Sir«, sagte Bolitho müde.»Der Wind hat etwas abgeflaut…««Er hielt inne, rieb sich die Augen mit den Handknöcheln und versuchte nachzudenken.»Die Valo-rous sieht schlimm aus. Ich denke, die Tanais kann sie in Schlepp nehmen.»

In der Ferne hörte er Hurrarufe: die Männer auf dem zerstörten Vorderkastell der achtern abgedrehten Zeus winkten und schrien. Die konnten immer noch jubeln, nach allem, was geschehen war! Er wandte den Kopf: da kletterten seine eigenen Männer in die Wanten, um das Hurra zu erwidern.

«Mit solchen Männern, Sir Lucius, brauchen Sie nie mehr Angst zu haben«, sagte er leise.

Aber Broughton hatte nicht hingehört. Er war dabei, seinen schönen Degen abzuschnallen, betrachtete ihn kurz und hielt ihn Pascoe hin.»Hier, nehmen Sie! Als ich ihn am nötigsten brauchte, habe ich ihn fallengelassen. «Und brummig fuhr er fort:»Ein verdammter Mids-hipman, der mit einem Dolch gegen ein Bajonett angeht, hat mehr Recht darauf. «Er lächelte dem Jungen in das erstaunte Gesicht.»Und außerdem — ein Leutnant muß schließlich anständig aussehen — eh?»

Pascoe nahm den Degen und drehte ihn in den Händen. Dann sah er sich nach Bolitho um, doch der stand starr aufgerichtet an der Reling und hielt sie so fest gepackt, daß seine Fingerknöchel weiß waren.

«Sir?«Adam eilte zu ihm hin — vielleicht war er wieder verwundet?

Bolitho ließ die Reling los und legte den Arm um die schmalen Schultern des Jungen. Er war verzweifelt müde, und die Wunde in seiner Schulter brannte wie glühendes Eisen. Aber ein bißchen mußte er noch durchhalten. Ganz langsam sprach er:»Adam — sag du's mir. «Er schluckte mühsam. Kaum traute er sich, es auszusprechen.»In dem Boot da.»

Adam starrte ihn an und dann auf die See hinaus. Ein Kutter pullte auf die von Schußnarben übersäte Bordwand der Euryalus zu, bis zum Dollbord mit triefenden, erschöpften Männern vollgepackt.»Ja, Onkel«, antwortete er,»ich sehe ihn auch.»

Bolitho faßte ihn fester um die Schulter und starrte in das Boot, das jetzt an die Bordwand stieß. Neben dem Bootsführer saß Herrick und sah zu ihm auf; er stützte einen verwundeten Matrosen und grinste über sein ganzes, zu Tode erschöpftes Gesicht.

Keverne kam nach achtern mit einer unausgesprochenen Frage auf den Lippen, die er aber unterdrückte, als Broughton dazwischenfuhr:»Auch wenn Sie künftig die Auriga übernehmen, Mr. Keverne, wäre ich Ihnen doch verbunden, wenn Sie hier noch so lange Stellvertretung machen würden, bis ein Transfer möglich ist. «Er sah Bolitho an, der sich immer noch schwer auf Pascoes Schulter stützte.»Ich glaube nämlich, mein Flaggkapitän hat fürs erste genug geleistet. Für uns alle.»

Und da rannte Allday auch schon zur Fallreepspforte.

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