VII Breitseite!

Um Mittag des folgenden Tages krochen die Schiffe langsam über Steuerbordbug voran, hart am Wind, mit dichtgebraßten Rahen, um möglichst viel Höhe herauszufahren. Kurz nach dem ersten Morgenlicht hatten sie eine neue Kursänderung vorgenommen und segelten nun nach Ostnordost. Jetzt standen sie über ihren zitternden Spiegelbildern wie festgenagelt, und die glühende Sonne machte jede körperliche Anstrengung zur Qual. Es war wie in einem Schmelzofen, und selbst der Wind, der stetig aus Norden kam, brachte weder Frische noch Erleichterung, sondern stach auf der Haut wie heißer Sand.

Bolitho zupfte sich das Hemd vom Leibe ab und floh in den Schatten der Finknetze. Keverne und Partridge setzten eben ihre Sextanten ab und verglichen ihre Bestecks. Mehrere Midshipmen sahen bei dieser routinemäßigen Prozedur zu und taten desgleichen, allerdings war es bei ihnen nur Übungssache.

Oben vor der Kampanje, wo ein schmales Sonnensegel aufgeriggt war, schritt Draffen langsam auf und ab. Auf den sonnengedörrten Planken klangen seine Schritte unverhältnismäßig laut. Keverne kam mit seinem Besteck zu Bolitho herüber und sagte müde:»Es stimmt mit Ihrer Berechnung überein, Sir. «Gleich den anderen Offizieren war er ohne Rock und Hut, und sein Hemd klebte ihm am Körper wie eine zweite Haut. Er war anscheinend zu apathisch, um sich über die Genauigkeit der Berechnung zu freuen oder zu wundern.

Es war eine ereignislose Nacht gewesen. Das Geschwader segelte gut und hielt die vorgeschriebenen Positionen ein. Bei Morgengrauen war Broughton an Deck erschienen — das war ungewöhnlich und mußte etwas zu bedeuten haben.

Als die Signale für den neuen Kurs hochgingen und die Vorbereitungen für Reinschiff und Frühstückfassen begannen, hatte Broughton säuerlich bemerkt:»Wir sollen heute vormittag Kontakt mit einem von Sir Hugos >Freunden< aufnehmen. Bei Gott, es kotzt mich an, daß ich mich nach so einem verdammten Amateur richten muß!«Ob er damit Draffen oder den Agenten meinte, ließ er offen; und Bolitho hielt es nach einem Blick auf sein Gesicht für besser, sich auch die taktvollste Rückfrage zu verkneifen.

Je länger der glühende Vormittag sich hinzog, um so deutlicher schwand Draffens Zuversicht. Bei jedem plötzlichen Ausruf eines Matrosen blieb er stehen, bis sich herausstellte, daß er nichts zu bedeuten hatte.

«Schon gut, Mr. Keverne«, sagte Bolitho.»Im Moment können wir nichts weiter tun.»

Vor zwei Stunden hatte der Ausguck im Masttopp das Deck angerufen; und als jedes Auge auf seinen winzigen, schwankenden, zweihundert Fuß hohen Sitz gerichtet war, hatte er >Land in Sicht< gemeldet.

Obwohl Bolitho die Höhe haßte, enterte er in die vibrierenden Webeleinen auf, über die Großsaling, immer höher, bis er neben dem bezopften Matrosen war, der die Meldung gemacht hatte. Die Beine fest um die Marssaling geschlungen, hatte er krampfhaft vermieden, aufs Deck hinunterzusehen, und sich auf sein Teleskop konzentriert; dabei sah er, daß der Ausguck die ganze Zeit gelassen durch die Zähne pfiff und sich nicht einmal festhielt.

Aber die Aussicht war beinahe alle Mühe und Ängste des Aufen-terns wert gewesen. Weit hinten im Süden erstreckte sich die lange ungleichmäßige Linie eines fernen Gebirgszuges, eisblau im harten Sonnenlicht, vom Flachland durch einen Streifen Bodennebel getrennt, in fremdartiger Schönheit: die Küste von Afrika. Die Berge waren schätzungsweise dreißig Meilen entfernt, und doch schienen sie unerreichbar wie eine Fata Morgana.

Aber dann war es auf einmal wieder mit der Landsicht vorbei, und überall tanzten und glitzerten Millionen blendender Reflexe auf der See, so daß die Matrosen auf den Rahen sich festhalten und mühsam jede unverhoffte Bewegung des Schiffes ausbalancieren mußten, denn die Sonne blendete so stark, daß sie sich auf ihre Augen nicht mehr verlassen konnten.

Das Geschwader hatte sich mehr und mehr zerstreut und fuhr jetzt in weit auseinandergezogener Linie, so daß die Tanais gut zwei Meilen voraus lag.

Broughton hatte eingeräumt, daß es praktischer sei, die Formation auseinanderzuziehen, damit sie von irgendeinem kleinen Fahrzeug, auf dem sich Draffens Agent befand, besser gesichtet werden konnten. Und falls ein Feind aufkreuzte, war es gut, wenn das Geschwader möglichst groß wirkte. Weit draußen in Lee schimmerten wie brünierter Stahl die Marssegel der Korvette, die geschäftig, einem nach Kaninchen schnüffelnden Terrier gleich, vorm Winde dahinflog.

Von der Coquette war immer noch nichts zu sehen; das würde auch noch einige Zeit dauern. Vielleicht war sie weit achteraus hinter einem fremden Segel her. Ebensogut konnte sie aber auch ernsthafte Feindberührung bekommen haben.

Calvert erschien auf dem Achterdeck. Im hellen Sonnenlicht wirkte sein Gesicht noch bekümmerter, angestrengter als sonst.

«Kompliment von Sir Lucius«, meldete er,»und Sie möchten zu ihm in die Tageskajüte kommen, Sir.»

Keverne verzog den Mund und fragte:»Vielleicht ein Planänderung,

Sir?»

Ohne zu antworten schritt Bolitho hinter Calvert her. Ob Keverne wohl beleidigt war, weil er so wenig wußte? Aber er, der Kommandant, wußte auch nicht viel mehr. Als er in die Kajüte trat, dauerte es ein paar Sekunden, bis sich seine Augen an den schattigen Raum gewöhnt hatten und an die vergleichsweise Kühle im Gegensatz zum ungeschützten Achterdeck. Bolitho hatte zwar nicht bemerkt, daß Draffen die Kampanje überhaupt verlassen hatte, aber er saß neben dem Schreibtisch.

«Sir?«Broughton stand an einem der offenen Heckfenster, sein hellbraunes Haar glänzte im Widerschein der Sonne. Weit achteraus lag die Valorous auf Kurs; sie sah aus wie ein winziges Schiffsmodell, das auf der Epaulette des Admirals balancierte.

«Ich habe Sie heruntergebeten«, sagte Broughton unwirsch,»damit Sie Sir Hugo klarmachen, daß die Restless in Signaldistanz zum Verband bleiben muß. «Er atmete heftig aus.»Also?»

Bolitho legte die Hände auf den Rücken. In Gegenwart der beiden wie immer tadellos gekleideten Herren kam er sich auf einmal ungekämmt und schmutzig vor. Er merkte, daß zwischen ihnen Spannung herrschte; vermutlich hatten sie sich gestritten.

Draffen blieb unbeeindruckt.»Ich muß meinen Agenten finden, Captain. Die Korvette ist klein und schnell genug für diesen Zweck.»

Er zuckte die Achseln.»Das ist doch einzusehen, nicht wahr?»

Bolitho wurde mißtrauisch. Beide zerrten an ihm, jeder wollte ihn auf seine Seite bringen. Noch nie hatte Broughton ihn in strategischen Angelegenheiten um seine Meinung befragt. Und Draffen schlug zwar seit ihrer damaligen Unterhaltung immer einen leichten, vertraulichen Ton an, hatte jedoch über seine eigentlichen Absichten kaum etwas verlauten lassen.

«Darf ich fragen, Sir Hugo, was das für ein Schiff ist, mit dem wir zusammentreffen sollen?»

Draffen wand sich verlegen im Sessel.»Oh, irgend etwas Kleines. Wahrscheinlich eine arabische Dhau oder so. «Das klang unbestimmt und ausweichend.

Bolitho gab nicht nach.»Und wenn wir sie verfehlen — was dann?»

Der Admiral am Fenster wandte sich um und fuhr brüsk dazwischen:»Soll ich vielleicht noch eine Woche mit dem Geschwader hin und her kreuzen?«Wütend starrte er Draffen an.»Noch eine Woche, in der wir den offenen Kampf vermeiden und ständig Kurs ändern müssen?»

Draffen blieb unbewegt.»Weiß ich alles, Sir Lucius. Aber diese Sache erfordert sehr viel Takt und Vorsicht. Und außerdem«, schloß er in schärferem Ton,»eine sehr exakte Schiffsführung.»

Bolitho trat einen Schritt vor.»Ich verstehe schon, Sir Hugo. «Er war sich darüber klar, daß er zwischen diesen beiden mächtigen und unnachgiebigen Männern stand. Außerhalb der Flotte hatte er nie viel Kontakt mit solchen Leuten gehabt und machte sich jetzt Vorwürfe, daß er so schlecht mit ihnen umzugehen verstand, ihre Welt nicht begriff, die so verschieden von der seinen war.»Aber in diesem kleinen Geschwader sind über dreitausend Mannschaften und Offiziere, die jeden Tag, den wir auf See sind, verpflegt werden müssen, die beiden Bombenwerfer nicht mitgerechnet. Allein das Trinkwasser wird in diesem Klima rasch zu einem Problem. Und wenn wir nicht bald eine neue Versorgungsbasis einplanen können, müssen wir vielleicht nach Gibraltar zurück, ehe wir unsere Mission beendet haben.»

«Bitte um Entschuldigung, Captain«, nickte Draffen.»Das hört sich ganz vernünftig an. Der Binnenländer neigt dazu, ein Schiff als bloßes Fahrzeug anzusehen und nicht als Behältnis für eine Anzahl Menschen, die genauso zu essen haben müssen wie andere, die das Glück haben, an Land zu leben.»

Broughton starrte ihn an.»Aber genau das habe ich Ihnen doch eben gesagt.»

«Es geht nicht nur darum, was Sie mir gesagt haben, Sir Lucius, sondern wie Sie es gesagt haben.»

Er stand auf und sah erst Broughton, dann Bolitho an.»Auf jeden Fall muß ich Sie bitten, daß Sie die Restless zum Flaggschiff zurückbeordern. Ihr Steuermann hat mir versichert, daß sich dieser Wind noch eine Zeitlang halten wird. Das ist wohl auch Ihre Meinung, Cap-tain?»

Bolitho nickte.»Höchstwahrscheinlich, Sir. Aber verlassen können Sie sich nicht darauf.»

«Das muß mir genügen. Ich werde auf die Korvette umsteigen und mit ihr näher an die Küste heransegeln. Wenn ich bis Sonnenuntergang keinen Kontakt mit meinem Agenten habe, komme ich zum Geschwader zurück.»

Broughton rieb sich den Nacken.»Und dann segeln wir wie vorgesehen nach Djafou?»

Nach kurzem Zögern erwiderte Draffen:»Sieht so aus.»

Der Admiral lächelte dünn.»Na schön. «Er schnippte mit den Fingern nach Calvert, der am anderen Ende der Kajüte herumstand.»Signal an die Restless: >Aufschließen zum Flaggschiff!««Nervös ging er auf dem Bodenbelag mit den schwarz-weißen Karos hin und her.»Und dann noch ein Signal an die Valorous.«Bolitho warf einen verstohlenen Blick auf den Flaggleutnant, der eifrig in seinem Notizbuch kritzelte. Hoffentlich nahm er alles richtig auf.

«Äh — die Valorous soll das Kommando über das Geschwader übernehmen und auf jetzigem Kurs weitersegeln. Die Euryalus macht kehrt und fährt der Restless entgegen. «Er lächelte Draffen flüchtig zu.»Damit sparen wir Zeit, und Sie haben ein paar Stunden zusätzlich für Ihre, äh, Suche.»

Er fuhr herum und blaffte Calvert an:»Was, zum Teufel, stehen Sie da und glotzen mich an? Scheren Sie sich raus und lassen Sie die Signale sofort absetzen!»

Als die Tür hinter Calvert ins Schloß fiel, brummte er:»Dämlicher Bengel! In der St. James Street mag er ja ein feiner Geck sein, aber hier nutzt er mir so viel wie eine blinde Nähmamsell!»

Draffen stand auf und schritt zur Nebenkajüte, die gegenüber der größeren lag, wo der Admiral schlief.»Ich muß mich noch umziehen«, sagte er mit einem gelassenen Blick auf Broughton.»Ich möchte nämlich nicht, daß mich der Kommandant der Korvette für einen Geck wie Calvert hält.»

Broughton wartete, bis er draußen war, und brach dann los:»Bei Gott, jetzt reicht's mir bald!»

«Ich kümmere mich um den neuen Kurs, Sir.»

«Ja, tun Sie das«, antwortete Broughton kühl.»Ich werde froh sein, wenn wir in Djafou sind. Von diesen ewigen Einmischungen habe ich wirklich die Nase voll.»

Bolitho eilte aufs Achterdeck hinaus, wo die Hitze ihn anfiel wie glühende Kohlen aus einem Herdfeuer.

Nach einem kurzen Blick auf den Windstander rief er scharf:»Lassen Sie >Alle Mann< pfeifen, Mr. Keverne! Wir halsen sofort. Dann können Sie Bramsegel setzen.»

Die Pfeifen schrillten, sofort ergoß sich der Strom der barfüßigen Matrosen auf das sonnenüberflutete Deck. Nur hier und da blickte einer zum Achterdeck hin, neugierig, was denn auf einmal los war.

Achteraus setzte die Valorous bereits mehr Segel; das Bestätigungssignal verschwand von der Rah, die große Fock kam frei und bauschte sich im Wind. Der Kommandant wird sich über dieses Signal freuen, dachte Bolitho. Fourneaux war nie so richtig mit seiner Funktion als Nachhut zufrieden gewesen. Dieser Befehl würde den anderen unmißverständlich klarmachen, was Broughton wirklich von ihm hielt.

Dann vergaß er Fourneaux, denn Midshipman Tothill meldete:»Die Restless hat bestätigt, Sir. «Verzweifelt blickte er auf Calverts gebeugten Rücken, der in das Signalbuch starrte, als wäre es arabisch geschrieben.

«Na, Mr. Partridge«, lächelte Bolitho,»dann wollen wir mal sehen, was sie sagt, wenn sie wieder ein bißchen Wind zu spüren kriegt.»

Er sah zu den Männern hinunter, die bereits auf ihren Stationen am Fuße jedes Mastes angetreten waren.»Machen Sie weiter, Mr. Kever-ne!»

«Entert auf! Bramsegel setzen!«Keverne wartete ab, bis die halbnackten Matrosen die obersten Rahen erreicht hatten, wo sie sich schwarz vom blauen Himmel abhoben.

«An die Brassen!»

Partridge gab ein Handzeichen, die Rudergänger warfen sich in die Speichen und brachten das mächtige Rad herum.

«Laß gehn und hol an!«Metallisch verfremdet klang Kevernes Stimme aus dem Sprachrohr.»Hievt, ihr faulen Vetteln!»

Knarrend und stöhnend kamen die mächtigen Rahen herum, tief tauchte der Schiffsrumpf in die Wellen und schor majestätisch langsam aus der Linie des Geschwaders. Oben knatterten die Segel ein paar Sekunden lang wild und laut durcheinander, aber noch lauter tönte das Schimpfen, Fluchen und Drohen der Bootsmaaten an den Masten, die ihre Leute antrieben. Schon flogen die Bramsegel peitschend von den Rahen und härteten sich zu festen bräunlichen Rechtecken unter dem Winddruck, rissen und zerrten an Blöcken und Schoten, jederzeit bereit, einen Topsgasten hinunterzuschleudern, wenn er nicht aufpaßte.

«Südost zu Süd!»

Bolitho stand mit gespreizten Beinen da; er spürte das Vibrieren des Decks durch seine Schuhsohlen, als die Segel das Schiff vorwärts und über den nächsten Wellenkamm zogen. Triumphierend flog Gischt an der Galionsfigur hoch und flockte über die Männer an Vorstengestag-segel und Klüver. Um die Wette rannten die barfüßigen Matrosen übers Deck, in Erwartung neuer Befehle. Das Schiff lag jetzt beinahe vorm Wind und machte mehr Fahrt; jetzt bildete das Deck nicht mehr einen stetigen schrägen Winkel wie vorher, sondern schwankte hin und her.

Wie mochte das Schiff wohl für die Restless aussehen? dachte Bo-litho mit einem Blick nach oben. Die Korvette war dazu gebaut, dem Wind fast direkt in die Zähne zu segeln; daß Broughton es sich anders überlegt hatte, würde ihr und dem Geschwader eine ganze Menge Zeit sparen. Aber wahrscheinlich, dachte Bolitho, hatte sich Broughton nur deswegen so entschieden, weil er Draffen, wenn auch nur für kurze Zeit, loswerden wollte.

Doch im Moment konnte er zufrieden sein. Die Euryalus benahm sich großartig, und er spielte mit dem Gedanken, Keverne auch noch die Stengestagsegel setzen zu lassen. Aber gerade diese zusätzlichen Obersegel konnten sie unter Umständen einem noch unsichtbar unter der Kimm stehenden Feind verraten.

Er wandte sich um, denn Draffen kam an Deck.»Sie wollten sie doch mal unter vollen Segeln sehen, Sir. «Er sah, wie Draffens Blick staunend über die steifen, brausenden Segel glitt, und wie schön er den Anblick fand, wenn er auch nicht viel davon verstand.

«Eine richtige Lady, Bolitho! Das allein lohnt schon die Mühe.»

Er trug einen einfachen grünen Rock und eine weite Hose. Unter dem Rock blinkte es metallisch. Offensichtlich war es Draffen nichts Neues, eine Pistole zu tragen; er machte durchaus den Eindruck, als könne er ganz gut auf sich aufpassen. Jetzt eben beschattete er die Augen mit der Hand und versuchte zu begreifen, was die Restless vorhatte: Sie drehte wieder in den Wind, ihre Segel flatterten beinahe mittschiffs, aber dann schwang sie auf ihren neuen Kurs herum.

Bolitho ging nach Backbord hinüber und hielt Ausschau nach dem Geschwader. Die Euryalus hatte in der kurzen Zeit so viel Abstand gewonnen, daß die Schiffe im Pulk zu stehen schienen und aus der Entfernung aussahen wie ein mißgestaltetes Seeungeheuer.

«Mr. Keverne«, rief er,»in dreißig Minuten nehmen wir Segel weg. Die Restless kann in Lee liegen, bis Sir Hugo an Bord ist.»

Später, als die Euryalus beigedreht lag und ohnmächtig in den Wellen rollte, die Segel nutzlos und lärmend gegen die Masten schlugen, kam Broughton an Deck und sah zu, wie das kleine Dingi der Korvette Draffen abholte.

«So, das wäre das!«sagte er befriedigt.

Bolitho sah noch, daß Draffen beim Anbordklettern einen Augenblick verhielt und zurückwinkte.

«Ich würde jetzt gern einen Schlag nach Nordost machen, Sir. Das spart Zeit, wenn wir uns nachher wieder dem Geschwader anschließen«, sagte er.

Broughton wandte der Korvette, die sich mit gefüllten Segeln in rascher Fahrt davonmachte, den Rücken zu.»Bitte, wie Sie meinen«, stimmte er zu und sah Bolitho prüfend ins Gesicht.»Sie können es wohl nicht erwarten, Ihren Platz in der Formation wieder einzunehmen?«Er lächelte ironisch.»Nun, es wird Fourneaux nichts schaden, wenn er noch ein bißchen länger Admiral spielen kann.»

Bolitho ging zu Keverne hinüber, der noch immer der Korvette nachsah.»Wir gehen hart an den Wind über Steuerbordbug, Mr. Ke-verne, Kurs Nordost. Lassen Sie also noch mal >Alle Mann< pfeifen. Nachher können sie Essen fassen. Appetit werden sie ja inzwischen bekommen haben. «Eben spähte der wüst aussehende Oberkoch, ein bärtiger Riese, aus der Kombüse.»Allerdings schaudert es mich bei dem Gedanken, was dieser Kerl manchmal zusammenschmort.»

Dann ging er wieder nach Luv hinüber, und die Matrosen schwärmten nochmals in die Wanten und auf die langen Rahen hinaus. Broughton verstand ihn besser als er wußte: Unabhängigkeit und Eigeninitiative, so hatte ihn sein Vater gelehrt, waren die beiden kostbarsten Besitztümer für jeden Kommandanten. Jetzt, da er ein Flaggschiff kommandierte und ans Geschwader gebunden war, begriff er erst richtig, wie er das gemeint hatte.

Plötzlich fiel ihm sein Haus in Falmouth ein und die beiden Porträts, die einander gegenüberhingen. Er empfand eine gewisse Rührung, weil er ohne Kummer und Bitterkeit daran denken konnte. Es war fast, als hätte er jemanden dort, der auf seine Rückkehr wartete.

Unbewegten Gesichts kam Keverne wieder.»Zwei Mann stehen heute nachmittag zur Bestrafung an, Sir.»

«Was?«Bolitho fuhr auf und starrte den Leutnant an.»Ach so. Ja, ist gut.»

Der kurze Augenblick des Friedens war vorbei. Doch als er zur Achterdeckreling ging, wünschte er sich heiß und innig, er möge wiederkehren.

Um sechs Uhr desselben Tages saß Bolitho an seinem Schreibtisch und sah durch das Heckfenster, den Kopf voller Gedanken. Trute, der Kajütsteward, stellte ihm einen Topf frischgebrühten Kaffee hin und trat wortlos wieder ab. Er hatte sich an die Launen seines Kommandanten gewöhnt, der anscheinend unbedingt allein sein wollte, auch wenn er sich seinen Kaffee selbst eingießen mußte. Auch daß sein Schreibtisch nach achtern blicken mußte, und daß er, wenn irgend möglich, lieber dort aß als an seinem schönen Eßtisch in der Nebenkajüte. Trute hatte bisher drei Kommandanten betreut, aber so einer war nicht darunter gewesen. Alle drei hatten hinten und vorn, zu jeder Tages- und Nachtzeit, bedient werden wollen. Alle drei konnten sehr schnell sehr unangenehm werden, wenn etwas nicht nach Wunsch ging. Aber sosehr er Bolitho als gerechten und rücksichtsvollen Vorgesetzten schätzte, hatte er sich doch bei seinen Vorgängern wohler gefühlt. Wenigstens hatte er bei denen die meiste Zeit gewußt, was sie gerade dachten.

Bolitho nippte an dem glühendheißen Kaffee. Auch der würde eines Tages, wie so manches andere, ein Luxusartikel werden. Man wußte nie genau, wann ein Schiff in bezug auf Lebensmittel und Trinkwasser die Sicherheitsgrenze überschritt.

Vier Glasen wurden angeschlagen; irgendwo hörte er eilige Schritte poltern, vielleicht war es ein Deckoffizier, der eingeduselt war und jetzt rennen mußte, um rechtzeitig für die zweite Hundewache abzulösen.

Bolitho hatte den Nachmittag über viel zu tun gehabt, und zwar hauptsächlich in Angelegenheiten seines eigenen Schiffes, nicht des Geschwaders. Es hatte sich viel angesammelt. Eine endlose Prozession von Leuten wartete, die alle etwas von ihm wollten.

Grubb, der Schiffszimmermann, grauhaarig, immer argwöhnisch und pessimistisch auf der Jagd nach dem Erzfeind aller Schiffe, der Fäule. Nicht daß er bei seinen täglichen maulwurfsgleichen Streifzügen durch die Eingeweide des Rumpfes, die er nie anders gesehen hatte oder sehen würde als bei Laternenlicht, etwas gefunden hätte.

Er wollte wohl nur Bolitho vor Augen führen, wie unermüdlich er um das Schiff besorgt war.

Ein paar Minuten hatte er Clove, dem Küfer, gewidmet, weil sich der Zahlmeister vor einiger Zeit über den Zustand mehrerer Wasserfässer beklagt hatte. Aber Zahlmeister Nathan Buddle beklagte sich oft und gern, wenn es sich um Dinge handelte, für die jemand anderer zuständig war. Er war ein dünner, hinterhältig aussehender Mann mit pergamentener Haut und ewig ängstlicher Miene, hinter der, wie Bo-litho argwöhnte, etwas ganz anderes stecken mochte als ein paar angefaulte Wasserfässer. Fairerweise mußte er zugeben, daß Buddles Abrechnungen bisher immer gestimmt hatten; aber man mußte ihm, wie allen Zahlmeistern, ständig auf die Finger sehen.

Und, wie Keverne schon gemeldet hatte, zwei Mann wurden zum Strafvollzug nach achtern gebracht; wie immer sahen alle dabei zu, die nicht gerade Wache gingen.

Bolitho haßte diese Schauspiele, obwohl er wußte, daß sie unvermeidbar waren. Es dauerte immer so lange. Die Grätings wurden auf-geriggt, die Delinquenten ausgezogen und festgezurrt, und dann kam seine eigene Stimme, die, das Brausen von Wind und Leinwand übertönend, die Kriegsartikel verlas.

Der eigentliche Strafvollzug interessierte die Zuschauer gar nicht so sehr.

Der erste Mann, der sich ein Dutzend Hiebe eingehandelt hatte, war beim Kameradendiebstahl erwischt worden. Man war der Meinung, daß er billig weggekommen wäre im Vergleich zu dem, was seine

Messekameraden mit ihm angestellt hätten, wäre nicht der Schiffskorporal zur rechten Zeit dazwischengekommen. Wie Bolitho gehört hatte, sollte es vorgekommen sein, daß Männer, die ihre Kameraden bestohlen hatten, nachts über Bord geworfen wurden; ja, einer sollte tatsächlich ohne die Hand, die gestohlen hatte, aufgefunden worden sein. In der brodelnden, ständig unter Druck stehenden Welt des Zwischendecks gab es für einen Dieb wenig Sympathie.

Der zweite Matrose bekam zwei Dutzend wegen Nachlässigkeit im Dienst und Insubordination. Sawle, der jüngste Leutnant, hatte ihn gemeldet. In diesem besonderen Fall gab sich Bolitho selbst die Schuld. Er hatte Sawle vor etwa sechs Monaten zum Leutnant befördert; aber hätte er nicht unter dem kranken Admiral Thelwall so viel mit Geschwaderangelegenheiten zu tun gehabt, so hätte er sich das, wie ihm heute klar war, zweimal überlegt. Sawle schien das Zeug zu einem guten Offizier zu haben, aber das war nur äußerlich. Er war ein mürrisch aussehender junger Mann von achtzehn Jahren, und Bolitho hatte Keverne gesagt, er solle aufpassen, daß seine Neigung zum Schikanieren sich in Grenzen hielt. Vielleicht hatte Keverne sein Bestes getan; vielleicht hatte er auch gedacht, das sei alles nicht so schlimm, solange Sawle sonst seinen Dienst versah.

Sei dem wie ihm wolle; der blutige Rücken des Mannes war Bolitho eine grimmige Mahnung, Sawle in Zukunft ständig im Auge zu behalten. Wenn Meheux, der lustige, rundgesichtige Zweite Offizier, oder Weigall, der Dritte, an Stelle von Sawle gewesen wären, dann wäre es jedenfalls nicht so weit gekommen. Meheux war beliebt wegen seines grobschlächtigen Nordlandhumors. Er rühmte sich mit gutem Grund, daß er genauso klettern und spleißen könne wie jeder Matrose, und so hätte er schlimmstenfalls zu dem Mann gesagt:»Mal sehen, wer's besser macht!«Weigall, der den Körperbau, aber leider auch die Intelligenz eines Preisboxers besaß, hätte den Mann mit seiner massiven Faust auf die Planken geschmettert und dann die ganze Geschichte völlig vergessen. Weigall war bei seiner Division nicht unbeliebt, aber meistens ging man ihm aus dem Wege. Er hatte das mittlere Geschützdeck unter sich und war unglücklicherweise seit einem Gefecht mit einem Blockadebrecher sehr schwerhörig. Manchmal bildete er sich ein, die Leute redeten hinter seinem Rücken über ihn, und dann setzte es beim geringsten Anlaß Strafexerzieren.

Bolitho lehnte sich im Sessel zurück und starrte achteraus auf das blasige Kielwasser der Euryalus, die in dem steifen Nordwest stetige Fahrt machte.

Er schenkte sich noch Kaffee ein und verzog das Gesicht. Bald würde das Schiff drehen und mehr Segel setzen, denn das Geschwader mußte möglichst rasch wieder gefunden werden. An diesem einen Nachmittag und Abend relativer Freiheit hatte er Zeit gehabt, über die Männer nachzudenken, mit denen er am engsten zusammenarbeiten mußte, die aber durch Rang und Stellung von ihm getrennt waren. Broughton ließ ihn völlig in Ruhe; Calvert hatte verlauten lassen, der Admiral säße entweder über den Karten oder lese immer wieder seine Geheimorder durch, als suche er etwas darin, das ihm bisher entgangen sei.

Es klopfte, und der Posten draußen brüllte:»Midshipman der Wache, Sir!»

Es war Drury. Der ging Strafwache wegen der Mißhelligkeiten, die er mit seinem Leutnant wegen der Laterne gehabt hatte.

«Mr. Bickford läßt Sie mit allem Respekt bitten, Sir, an Deck zu kommen.»

Bolitho lächelte über die Neugier des jungen Mannes, dessen Blicke eifrig in der Kajüte herumhuschten, damit er nachher in der wesentlich bescheideneren Fähnrichsmesse eine möglichst detaillierte Beschreibung liefern konnte.

«Und warum, Mr. Drury? Das Beste haben Sie anscheinend vergessen.»

«Ein Segel, Sir«, erwiderte der Junge verwirrt.»In Nordwest.»

Bolitho sprang auf.»Danke. «Er eilte zur Tür.»Ich könnte ja Trute Bescheid sagen, daß er Sie später in meiner Kajüte herumführt, Mr. Drury. Aber im Moment haben wir zu tun.»

Errötend rannte Drury hinter ihm her, und so kamen sie zusammen auf Deck an.

Bickford war der Vierte Offizier. Er nahm seine Dienstpflichten sehr ernst, war aber völlig humorlos.

«Der Ausguck hat soeben ein Segel gemeldet, Sir. Im Nordwesten.»

Bolitho ging nach Luv hinüber und suchte die Kimm ab. Sie war hart und silberweiß wie eine Säbelschneide. Doch der Wind wehte stetig; wenigstens etwas. Immerhin konnte er bis zum Morgen erheblich auffrischen. Dann würde es lange dauern, bis sie wieder beim

Geschwader waren und mit Draffen an Bord der Restless Verbindung aufnehmen konnten.

Bickford hielt Bolithos Schweigen für Unsicherheit.»Meiner Überzeugung nach ist es die Coquette, Sir«, sagte er mit leicht erhobener Stimme, um bei Drury und einem zweiten dabeistehenden Midship-man Eindruck zu schinden.»Das wäre am wahrscheinlichsten.»

Bolitho hob den Kopf und starrte auf die gebauschten Marssegel oben, den heftig knatternden Windanzeiger. Wie eine Riesenpeitsche. Er dachte an die schwindelerregende Kletterei, das furchtbare Vibrieren der Wanten.

«Soso, Mr. Bickford. Danke sehr.»

Der Leutnant nickte bestimmt.»Schon weil es ein einzelnes Schiff ist und so zuversichtlich herankommt.»

Bolitho sah immer noch in die vibrierenden Rahen. Eben kam Ke-verne die Kampanjeleiter herauf und eilte zu ihnen.

«Mr. Keverne, entern Sie mit einem Glas auf. So schnell Sie können. Da ist ein Schiff an Backbord — vielleicht allein. «Er warf Bick-ford einen raschen Blick zu.»Vielleicht auch nicht.»

Bickford und die anderen erstarrten plötzlich und traten zurück — also mußte Broughton an Deck gekommen sein.

«Äh, Bolitho — warum diese Aufregung?»

«Ein Segel, Sir«, sagte Bolitho und deutete über die Finknetze zum Horizont.

«Hmhm. «Broughton wandte sich um und sah Keverne nach, der leichtfüßig in die Wanten aufenterte.»Wer mag das sein?»

«Ich glaube«, sagte Bickford rasch,»daß es die Coquette ist, Sir.»

Ohne mit der Wimper zu zucken, sagte der Admiral zu Bolitho:»Wollen Sie bitte diesem Herrn klarmachen: wenn ich jemals in die schlimme Lage komme, daß ich eine völlig wertlose Ansicht brauche, wird er der erste sein, der es erfährt.»

Bolitho lächelte, als Bickford in die Gruppe an der Reling zurückwich.»Ich glaube, er hat Sie schon verstanden, Sir.»

Seltsam, daß sie alle äußerlich so ruhig waren, dachte er. Bestimmt hatte Broughton, der so tat, als interessiere ihn das Ganze nur beiläufig, den Kopf bereits voller Probleme und Kalkulationen. Ob er wohl diesmal den Flaggkapitän nach seiner Meinung fragen würde?

Keverne kam die Pardune heruntergerutscht, landete platschend an Deck und eilte herbei. Auf seinem brünetten Gesicht arbeitete es erregt.»Kauffahrer, Sir. Aber gut bewaffnet, fünfzig Geschütze, würde ich sagen. Steht direkt vorm Wind, hat aber keine Bramsegel gesetzt. «Er merkte, daß Broughton ihn ungeduldig anstarrte, und schloß:»Spanier, Sir. Kein Zweifel.»

Broughton biß sich auf die Lippe.»Hol' ihn der Teufel!»

Bolitho dachte laut nach.»Selbst ohne Bramsegel könnten wir ihn nur schwer erwischen, Sir. Aber wenn wir ihn schnappen, bekommen wir vielleicht Informationen. «Broughtons steife Haltung verriet seine innere Spannung.»Informationen, die Sie weitergeben können, sofern Sie es für richtig halten.»

Das saß. Mit blitzenden Augen fuhr Broughton herum.

«Bei Gott, ich sehe direkt Sir Hugos Gesicht vor mir, wenn er mit leeren Händen zurückkommt, während wir ihm was Neues erzählen können!«Er seufzte.»Aber es hat ja keinen Zweck. Bis Sie diese Elefantenkuh von Schiff gewendet haben, ist der Don schon halb zu Hause. Und eine lange Verfolgung, die mich noch weiter vom Geschwader wegbringt, kann ich mir nicht leisten.»

«Ich glaube, wir alle haben ein wichtiges Detail übersehen, Sir«, erwiderte Bolitho und schlug die Faust in die Handfläche.»In gewissem Sinne hatte Mr. Bickford gar nicht so unrecht. «Lächelnd blickte er zu den anderen hinüber. Bickford hielt sich im Hintergrund, als hätte er Angst vor einem Anschnauzer. Bolitho fuhr fort:»Der Don denkt, die Euryalus ist ein Franzose!«Er blickte Broughton an, der jetzt nicht mehr so zweifelnd und enttäuscht, sondern ein bißchen hoffnungsvoll aussah.»Warum auch nicht, Sir? Wie die Dinge liegen, kann doch niemand annehmen, daß sich ein einzelnes britisches Schiff hier im Mittelmeer herumtreibt. Und in der kurzen Zeit können sie noch gar nicht erfahren haben, daß wir von Gibraltar ausgelaufen sind.»

Broughton trat an die Netze und stieg auf einen Poller. Starr blickte er zur Kimm hinüber, als wolle er den Spanier beschwören, sich ihm zu zeigen.

«Schiff läuft immer noch vorm Wind, Sir«, rief der Ausguck herunter.

Broughton kam wieder und rieb sich das Kinn.»Sie müssen uns gesehen haben! So blind sind nicht mal die Dons.»

«Aber sowie wir Segel wegnehmen oder auf ihn zudrehen, wissen sie Bescheid!»

«Verdammt, Bolitho! Erst machen Sie mir Hoffnung, und dann zerschlagen Sie sie wieder!»

«Ich kann sie sehen, Sir! Zwei Strich vorlicher als querab!«Drury hing in den zitternden Wanten, ein Teleskop fest vorm Auge.

Bolitho nahm ein Glas aus der Halterung und balancierte es gegen die Schiffsbewegung aus. Dann sah er es ebenfalls: ein blasses Dreieck an der Kimm. Mit allen Segeln holte ihr Steuermann aus der frischen Brise heraus, was sie hergab.

«Sie kommt schnell auf, Sir.»

Wieder überlegte er, ob er selbst auf entern sollte. Aber statt dessen fragte:»Fünfzig Kanonen meinen Sie, Mr. Keverne?»

«Aye, Sir. Ich kenne den Typ. Gut bewaffnet gegen Piraten und dergleichen. Wir könnten sie Meile um Meile einholen, aber wahrscheinlich ist sie zu wendig für uns.»

«Damit kommen wir auch nicht weiter«, fuhr Broughton wütend dazwischen.

«Wir müssen sie dicht herankommen lassen, Sir. «Rasch ging Bolitho zum Rad hinüber und wieder zurück, ohne es recht zu merken.»Aber wir müssen den Windvorteil behalten. Sonst können wir uns bald ihr Heck besehen.»

«Vielleicht sollten wir die französische Flagge hissen, Sir?«schlug Partridge vor.

Der Admiral hieb sich vor Ungeduld auf den Schenkel.»Viel zu auffällig!»

Er sah Hauptmann Giffard und seinen Leutnant mit Teleskopen auf dem Achterdeck stehen und das fremde Schiff betrachten.»Weg mit diesen Offizieren da! Rotröcke auf einem französischen Kriegsschiff — was bilden Sie sich eigentlich ein, Giffard?»

Die beiden Marine-Infanteristen verschwanden wie der Blitz.

«Mann über Bord, Sir«, sagte Bolitho langsam.

«Wie war das?«Broughton starrte ihn an, als sei er verrückt geworden. »Mann über Bord?»

«Der einzige Grund, weshalb ein Schiff auf hoher See halsen kann, ohne Verdacht zu erregen.»

Broughton öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Unsicherheit und Zweifel überwältigten ihn fast.

«Wir brauchen einen guten Schwimmer«, fuhr Bolitho mit sanfter Überredung fort.»Und die Besatzung der Jolle muß schon bereitstehen. Wir können sie später wieder aufgreifen. Ist einen Versuch wert, Sir«, schloß er mit zuversichtlichem Nicken.

Schweigend überlegte Broughton.»Es könnte klappen«, sagte er schließlich.»Und wir hätten Zeit, um…«Er stampfte auf die Planken.»Jawohl, bei Gott! Wir probieren es!»

Bolitho atmete tief.»Mr. Keverne, holen Sie die Breitfock ein. Wir bleiben unter Marssegel und Klüver. Das ist bei diesem Kurs ganz normal, sie werden nicht groß darauf achten. «Keverne eilte hinweg, und Bolitho wandte sich an Partridge.»Das wird unsere Fahrt ein bißchen mindern. Wir wollen auch nicht zu sehr vor ihren Bug kommen.»

Grinsend nickte Partridge, so daß sein Doppelkinn an der Halsbinde wabbelte. Er hatte sich zwar geärgert, als Broughton seinen Vorschlag so scharf ablehnte, schien aber bereits wieder bester Laune zu sein.

Von Kevernes Sprechtrompete angetrieben, rannten die Matrosen an die Schoten und Fallen, und die Fock schlug knatternd nach innen.

Als der Erste zurückkam und» Fock auf geholt und festgemacht!«meldete, sagte Bolitho:»Schicken Sie einen erfahrenen Unteroffizier nach oben, der den Spanier genau beobachtet und sofort meldet, wenn er Miene macht, abzudrehen. Anschließend können Sie die Männer auf Gefechtsstationen pfeifen. Wir können das Oberdeck jetzt nicht gefechtsklar machen; es muß also nachher schnell und gut klappen.»

Keverne eilte hinweg, und Broughton fragte ungeduldig:»Wie lange?»

«Eine Stunde höchstens, Sir. Ich gehe noch einen Strich höher an den Wind. Das hilft etwas.»

«Und in drei Stunden ist es so dunkel, daß man nichts mehr sieht«, nickte Broughton grimmig.»Also dann!»

Der Admiral wandte sich zur Kampanje, blieb aber noch einen Moment stehen und sagte ganz sanft:»Aber wenn Sie mir mein Flaggschiff dabei kaputtmachen, Bolitho, dann geht's Ihnen dreckig, das kann ich Ihnen versprechen!»

Bolitho sah zum Steuermann hinüber.»Einen Strich nach Luv!«Dann zwang er sich dazu, langsam, die Hände auf dem Rücken, an der Luvseite auf und ab zugehen. Wenn der Euryalus etwas passiert, dann geht's uns allen dreckig, dachte er.

Bolitho hielt sein Glas auf das fremde Schiff gerichtet. Seit es zuerst über der Kimm erschienen war und die Euryalus gefechtsklar gemacht hatte, wartete er auf irgendwelche Anzeichen, daß der Spanier etwas gemerkt hatte; aber das Schiff drüben hielt seinen Kurs und lag nun knapp zwei Meilen entfernt. Wenn die Euryalus auf ihrem jetzigen Kurs weitersegelte, würde der Spanier mit etwa einer Meile Abstand ihr Kielwasser kreuzen.

Keverne hatte das Schiff ganz richtig beschrieben: ein Zweidecker unter allen verfügbaren Segeln, ein schöner Anblick in voller Fahrt; der Schaum spritzte über die knallrot und blau gemalte Galionsfigur bis zur Höhe ihrer bauchigen Fock. Bolitho konnte noch das altmodische dreieckige Besansegel über der reichgeschnitzten Kampanje ausmachen und die Sonnenreflexe auf den Teleskopen der Offiziere, die sie auf die Euryalus gerichtet hatten, wobei sie sich zweifellos die Köpfe darüber zerbrachen, wer sie sei und was sie hier zu suchen habe.

«Langsam kommen wir der Sache näher«, sagte Keverne grimmig.

Bolitho schritt zur Achterdecksreling und sah unten einen kräftigen Matrosen inmitten einer schnatternden Gruppe von Gaffern stehen.

«Fertig, Williams?»

Der Mann schielte zu ihm hinauf und grinste unsicher.»Aye, Sir.»

Bolitho nickte. Wohlwollende hatten ihn zweifellos kräftig mit Rum gelabt. Nicht zu kräftig, war zu hoffen, sonst konnte sich die Kriegslist zu einem plötzlichen Begräbnis auf hoher See auswachsen. Bolitho ging wieder nach Luv hinüber, richtete sein Glas auf das fremde Schiff und befahl:»Mr. Keverne, mittleres und unteres Batteriedeck sollen die Steuerbordgeschütze doppelt laden. Sorgen Sie dafür, daß erst auf ausdrücklichen Befehl ausgerannt wird. Wenn auch nur ein Rohr vorzeitig erscheint, sind unsere Freunde auf und davon.»

Keverne winkte einem Midshipman, und Bolitho rief Leutnant Me-heux, der das obere Batteriedeck kommandierte. Mit ungewöhnlich düsterer Miene starrte er auf seine Kanonen.

«Keine Angst, Mr. Meheux, Ihre Geschützbedienungen werden bald genug zu tun bekommen. Aber wenn die drüben sehen, daß wir die Persennings abnehmen und laden, ist es mit der Täuschung vorbei.»

Meheux faßte an den Hut, aber der Schatten düsterer Enttäuschung hing weiterhin über seinem runden Gesicht.

Allday kam mit Bolithos Degen über das Achterdeck gerannt. Bo-litho nahm die Arme hoch, Allday schnallte ihm gewandt das Koppel um und sagte dabei:»Ich habe dem Bootsführer der Jolle gesagt, was Sie von ihm erwarten, Captain, und auch, was er kriegt, wenn er's verpatzt. «Dabei grinste er schadenfroh.

Bolitho runzelte die Stirn. Der Spanier kam doch weiter achterlich vorbei, als er berechnet hatte. Jetzt mußte gehandelt werden, jetzt oder nie.

«Also los, Williams, über Bord!»

Der riesige Matrose kletterte auf den Backborddecksgang und beugte sich grimmig entschlossen über die Reling.

«Na, der gibt ja ein tolles Schauspiel ab«, murmelte Keverne grimmig. Mit Armen und Beinen um sich schlagend, verschwand Williams in der Tiefe.

«Da geht er hin!«Partridge rannte zurück auf seinen Platz beim Ruderrad.

«Mann über Bord!«Bolitho eilte zu den Netzen, die Besatzung der Jolle ließ die scheinbar anderweitige Beschäftigung sein und stürzte auf ihre Station. Erleichtert atmete er auf, als der Kopf des Matrosen dicht an der Bordwand auftauchte.»Mr. Keverne, brassen Sie das Kreuzmarssegel back! Und raus mit dem Boot!«rief er. Leicht hätte Williams in seinem Eifer den rechten Moment verpassen und sich an der ausladenden Rundung des Schiffsrumpfes einen Arm oder den Schädel brechen können.

Die Besatzung sprang in das schon längsseit liegende Boot; oben schlug das Kreuzmarssegel gegen Mast und Rah und wirkte wie die Bremse eines Frachtwagens, dem die Pferde durchgehen, eben lange genug, daß Bolitho seine Augen von dem gelenkten Durcheinander losreißen und zu dem spanischen Schiff hinüberspähen konnte. Es lag etwa zwei Kabellängen von dem Punkt entfernt, wo es das Kielwasser der Euryalus kreuzen würde, und er konnte erkennen, daß Matrosen zum Vorschiff eilten, um sich das Schauspiel anzusehen.

Er hob die Hand.»Jetzt! Klar zum Halsen!»

Schon drehte sich die Großbramrah knarrend in die alte Position zurück, und die Matrosen rannten aus ihren Verstecken auf Stationen, vom gellenden Hurrageschrei der ungeduldig wartenden Geschützbedienungen angetrieben.

«Ist klar, Sir!«rief Partridge.

«Hart Steuerbord!«Bolitho richtete das Glas auf den Spanier. Soweit er ausmachen konnte, war dort noch alles ruhig.

«Ruder liegt hart Steuerbord, Sir!»

Die Vorsegelschoten waren bereits los, das Ruder wirbelte, und das mächtige Heck drehte ganz langsam durch den Wind, die Männer holten, weit zurückgebeugt, keuchend und fluchend, von Keverne noch mehr angetrieben, die Brassen dicht. Brausend füllten sich die Segel, und als das Schiff noch weiter drehte, wurde es auf der Kam-panje des Spaniers plötzlich lebendig. Ein Offizier schwenkte wild die Arme und rief seine Matrosen herbei, die sich noch am Bug zusammendrängten.

«Schoten und Halsen los!»

Bolitho beschattete die Augen und spähte durch das Gewirr killender Segel und peitschender Schoten nach oben, wo sich die Matrosen bereits zu den Bramrahen hinaufkämpften, um für die nächste Phase des Angriffs bereit zu sein. Sekundenlang wagte er kaum zu atmen. Der Wind war immer noch ziemlich stark und konnte, wenn es ganz schlimm kam, die Maststengen abreißen und das schwere Schiff hilflos machen.

Aber der Windstander sprang um, das Schiff reagierte und drehte durch den Wind wie ein gut dressiertes Mammut.

«Hol dicht!«Keverne hatte die Männer an Deck nicht aus den Augen gelassen.»Uuuund — dicht!»

Langsam, aber gleichmäßig reagierten die mächtigen Rahen auf den Zug der Brassen; es klang wie Donner im Gebirge, als die Segel sich auf dem neuen Bug füllten, während das Deck sich nach der anderen Seite überlegte.

Gespannt beobachtete Bolitho das spanische Schiff. Durch das Gewirr der Fockwanten betrachtet, sah es aus, als schwimme es im Bogen nach rückwärts, bis es nicht mehr unerreichbar an Backbord, sondern wunderschön Steuerbord voraus lag.

Von dem Boot und dem Schwimmer war nichts zu sehen. Hoffentlich, so hatte Bolitho gerade noch Zeit zu denken, hielt jemand nach ihnen Ausschau.

«Geben Sie durch, Mr. Keverne: untere Batterie ausrennen!»

Die Stückpforten flogen auf, drohend knarrten und quietschten die Geschützschlitten; er konnte sich vorstellen, wie die Männer tief unter seinen Füßen fluchten und keuchten, während sie die schweren Kanonen die Schräglage hinauf und ans Sonnenlicht zerrten.

«Flagge zeigen, Mr. Tothill!»

Er hörte Broughtons Stimme und fuhr herum.»Das war ja eine kühne Wende, Bolitho! Ich dachte schon, Sie reißen ihr die Masten aus. «Er war in seinem goldbetreßten Rock an Deck gekommen, den wunderbaren Degen an der Seite, wie zur Geschwaderinspektion.

Ein dumpfer Knall, und eine Rauchwolke trieb von der Kampanje des Spaniers ab. Die mußten ein geladenes Geschütz in Bereitschaft gehabt haben, dachte Bolitho; aber er konnte nicht sehen, wohin die Kugel ging.

«Bramsegel setzen, Mr. Keverne! Der will uns entwischen!»

Beide Schiffe lagen jetzt auf Parallelkurs, die Euryalus etwa zwei Kabellängen achteraus.

Noch ein Knall; jemand schnappte vor Schreck nach Luft, denn eine Kugel fuhr durch das Fockmarssegel und platschte weit in Luv ins Meer.

Das spanische Schiff hatte ein stark gerundetes Heck, und Bolitho rechnete damit, daß dort ein paar kräftige Kanonen montiert waren, um Verfolger abzuwehren.

«Noch länger zu warten, hat keinen Sinn«, knurrte Broughton.

Bolitho nickte. Jeden Moment konnte eine Kugel eine lebenswichtige Spiere herunterreißen.»Mittlere Batterie, Mr. Keverne. Einzelfeuer!«Und zu Partridge:»Luven Sie noch einen Strich weiter an!»

Die Euryalus drehte etwas von ihrem Opfer ab, und vom mittleren Geschützdeck stiegen braune Rauchwolken hoch. Von vorn nach achtern, alle zwei Sekunden, krachte ein schwerer Vierund-zwanzigpfünder und glitt nach binnenbords zurück, wenn die glühende Zunge des Mündungsfeuers herausgefahren war.

Bolitho beobachtete die aufspringenden Wassersäulen, die an und hinter dem Achterdeck des Spaniers lagen; aber mehrere Kugeln hatten auch getroffen: splitternd flogen Holzteile von der Schanz hoch. Von unten klang das Triumphgeschrei der Kanoniere herauf, und das wütende Quietschen der Geschützschlitten, denn die Bedienungen wetteiferten miteinander, um die Kanonen wieder auszufahren. Ke-verne sah Bolitho an, die Augen dunkel vor Spannung und Erregung.»Sie streicht die Flagge nicht, Sir.»

Bolitho biß sich auf die Lippe. Die rot-gelbe spanische Flagge wehte noch über der Kampanje, schon wieder krachte ein Geschütz, und eine Kugel flog kreischend wie eine gemarterte Seele in der Hölle dicht über die Masten der Euryalus hinweg.

Er hatte erwartet, daß sich der Spanier beim Anblick der britischen Flagge ergeben würde. Es war etwa eine Kabellänge Distanz zwischen ihnen, und mit ihren gut ziehenden Bramsegeln holte die Euryalus in jeder Minute mehr auf.

Dann sah er die Jolle schwarz gegen die glitzernde See; die Ruderer, und Williams hoffentlich auch, standen aufrecht und schrien hurra zu dieser einseitigen Schlacht.

Wieder spuckte die Achterdecksbatterie des Spaniers hellrote Flammen; diesmal hatten drei, vielleicht vier Kanonen gefeuert; und ehe sich der Rauch verzogen hatte, spürte Bolitho, wie das Deck unter seinen Füßen zuckte: eine Kugel war wie ein Hammer in den Rumpf der Euryalus eingeschlagen.

«Einen Strich anluven, Mr. Partridge!«Was tat dieser Narr von einem Spanier? Es war absoluter Irrsinn, noch weiterzukämpfen. Lief er weiter vorm Wind, mußte die Euryalus ihn überholen. Drehte er ab, konnte er in Sekundenschnelle entmastet und das Heck zerschmettert sein.

Wieder blitzte es; und diesmal pflügte eine Kugel in den Steuerborddecksgang. Zwei Matrosen rollten schreiend und um sich schlagend an Deck, von herumfliegenden Splittern niedergestreckt.

«Untere Batterie, Mr. Keverne«, sagte Bolitho. Er hielt inne und blickte auf die trotzige Flagge. Würde sie…»Breitseite!«stieß er wütend hervor.

Die beiden unteren Geschützdecks hatten reichlich Zeit gehabt. In aller Ruhe hatten die Geschützführer ihre Bedienungen mustern und einweisen können, die Leutnants waren auf und ab geschritten und hatten durch die offenen Geschützpforten gespäht, während sich die Euryalus würdevoll etwas vom Gegner abgedreht und die Doppelreihe ihrer Geschütze wie schwarze Zähne gebleckt hatte. Dann pfiffen die Leutnants» Feuer«, die Geschützführer zogen die Reißleinen ab, alle Rohre brüllten gleichzeitig auf, und das ganze Schiff erzitterte, als sei es knirschend auf ein unter Wasser liegendes Riff gelaufen.

Vom Achterdeck aus beobachtete Bolitho, wie der Rauch zu dem Spanier hinübertrieb und sah dort den Besanmast wanken und über die

Kampanje stürzen; er hörte das Krachen und Brechen trotz des Widerhalls der Breitseite, der noch wie Donner über die See rollte.

Als sich der Rauch verzogen hatte, sah er auch die klaffenden Löcher im Rumpf längs des Achterdecks, die herabhängende Masse der zerfetzten Takelage und gebrochenen Spieren. Trunken schwankte das Schiff im Wind; das hohe Heck bot sich dem letzten vernichtenden Schlage dar.

Doch da gellte eine Stimme:»Sie streicht die Flagge!«Und das Triumphgeschrei wurde von den unteren Decks aufgenommen, wo die Geschützbedienungen schon wieder die Rohre ausputzten und für die nächste Breitseite luden.

«Ein tapferer Kommandant«, sagte Bolitho.

«Ein Dummkopf!«Broughton spähte zu dem spanischen Schiff hinüber, das hilflos unter Rauchwolken dahintrieb — vor kurzem noch so zuversichtlich und lebensvoll, jetzt ein mitleiderregendes Wrack.

«Wir nehmen gleich Segel weg, damit sie in Lee von uns bleibt, Mr. Keverne. «Bolitho wartete ab, bis Keverne die entsprechenden Befehle gegeben hatte, und sagte dann:»Jetzt werden wir vielleicht herausbekommen, warum der Mann sich so verzweifelt gewehrt hat — er muß ja etwas ganz Wichtiges an Bord haben!»

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