XVII Wiedervereint

Leutnant Charles Keverne stand mit verschränkten Armen an der Achterdecksreling und überwachte die geschäftige Tätigkeit an Deck und in den Masten. Die Euryalus war nicht in die Bucht eingelaufen, sondern hatte mit dem gesamten Geschwader vor der schnabelförmigen Landzunge Anker geworfen. Jetzt, im bleichen Morgenlicht, wirkten sogar die kahlen Berge weniger feindselig, schien die Festung ein ruhiger, harmloser Bau zu sein.

Keverne ließ sich vom Midshipman der Wache ein Teleskop geben und richtete es auf die Tanais, die im auffrischenden Wind an ihrem Kabel zerrte und deren Rahen von Matrosen wimmelten. Er konnte die Narben am Heck erkennen, wo der massive Rumpf der Euryalus kollidiert war. Gott sei Dank waren die Reparaturen am Rigg fertig geworden, ehe der Kommandant wieder an Bord gekommen war.

Wie die Offiziere und Mannschaften, die Bolitho gesehen hatte, als er durch die Fallreepspforte stieg, war auch Keverne erleichtert und gleichzeitig besorgt. Das Lächeln des Kommandanten war echt gewesen, und zweifellos freute er sich, daß er wieder an Bord seines Schiffes war. Aber der Arm lag steif in der Tragschlinge, und als er mit

Alldays Hilfe durch die Pforte kletterte, war ihm deutlich anzusehen, daß er große Schmerzen litt.

Seit der trübseligen Rückkehr von der ergebnislosen Jagd und der Kollision mit der Tanais schwirrten die Gerüchte nur so durch das Schiff. Broughtons Laune entsprach den Umständen; und schon aus diesem Grund hoffte Keverne, daß Bolitho imstande sein würde, sowohl seinem Vorgesetzten mit gutem Rat zur Seite zu stehen, als auch sein unruhig gewordenes Schiff wieder in den Griff zu bekommen.

Keverne überdachte, was er selbst bisher geleistet hatte. Er hatte die bei den Gefechten verwundeten und gefallenen Mannschaften zum Teil ersetzt, die Marine-Infanteristen wieder an Bord genommen, das Schiff wieder seeklar gemacht. Lucey und Lelean waren tot und Bo-litho noch keineswegs wieder dienstfähig; somit war das Schiff gerade in dieser kritischen Lage erheblich unterbemannt.

Auf dem Backborddecksgang kam Leutnant Meheux herbei und lüftete den Hut.

«Anker ist kurzstag, Sir!«Es klang ganz vergnügt.»Ich bin nicht traurig, wenn wir dieses Loch auf Nimmerwiedersehen verlassen!»

«Auf der Festung wird die Flagge niedergeholt«, verkündete Par-tridge.

Wieder hob Keverne das Teleskop.»Ja, stimmt. «Er sah zu, wie der Wimpel unter der Brustwehr verschwand, und fragte sich, wie es wohl dem letzten zumute sein mochte, der die Festung verließ, wo schon die Lunten glommen.

Er winkte einem Midshipman.»Melden Sie dem Kommandanten mit allem Respekt, daß der Anker kurzstag ist und der Wind auf Südwest gedreht hat, Mr. Sandoe.»

Partridge sah dem hinwegeilenden jungen Manne nach.»Da haben wir Glück und brauchen uns nicht so zu quälen, um von der Landzunge klar zu kommen.»

Soeben legte ein Fahrzeug mit lohfarbenen Segeln von der Festung ab — Keverne sah es mit Verbitterung. Es war die Torquoise, die Brigg; in dem klaren Morgenlicht bot sie ein schönes, lebensvolles Bild. Wieder eine Chance verpaßt. Beinahe wäre das sein Schiff geworden! Flüchtig fragte er sich, ob Bolitho ihn wohl deswegen an Bord behalten hatte, weil er selbst nicht voll dienstfähig war. Aber er ließ den Gedanken ebenso schnell wieder fallen. Weder Bickford, der mit dem Kommandanten zusammen gekämpft hatte, noch Sawle, den er nicht ausstehen konnte, hatten die Torquoise bekommen. Somit war es ganz offensichtlich Broughton gewesen, der mit einem Federstrich einen kleinen Leutnant von der Valorous auf die erste Stufe der Beförderungsleiter katapultiert hatte. Ärgerlich stampfte Keverne mit dem Fuß auf. Was hatte er sich für Mühe gegeben! Und zweifellos erwarteten ihn, wenn sie die feindliche Küste erreichten, irgendwelche neuen Enttäuschungen; der Admiral würde bestimmt wieder was zu schimpfen haben.»Die Navarra hat abgelegt, Sir!»

Keverne beobachtete, wie das Prisenschiff die Marssegel setzte und sich schwerfällig an der Festungsmauer vorbeiquetschte. Wie alle Schiffe des kleinen Geleits nach Gibraltar war es mit Menschen vollgestopft, Gefangenen und Zivilisten. Das würde eine unbequeme Reise werden, dachte Keverne.

Er hörte Schritte hinter sich — Bolitho.»Sieht nach gutem Wind aus«, sagte er.»Signal an Geschwader: >Anker lichten.< Dann laufen Sie bitte Kurs Nordwest zu Nord, wie Sir Lucius angeordnet hat.»

«Klar bei Ankerspill!«brüllte Keverne. Ein Midshipman kritzelte die Order auf seine Tafel, und die Signalgasten suchten bereits die Flaggen heraus.

«Die Hekla kommt jetzt von der Festung klar, Sir«, meldete Mids-hipman Tothill.

Bolitho nahm ein Teleskop und richtete es auf den kleinen Bombenwerfer. Abgesehen von einem Kutter, der das Sprengkommando im allerletzten Moment aufnehmen sollte, war die Hekla das letzte Fahrzeug, das die Bucht verließ. Jetzt lag Djafou wieder einsam da mit seiner Hinterlassenschaft an Leid und Tod, den Erinnerungen an Sieg und Niederlage. Vielleicht würde eines Tages wieder jemand versuchen, diesen Ort zu besetzen, das Kastell aufzubauen, dort wieder eine Basis für Tyrannei und Sklavenjagd zu errichten. Aber hoffentlich würden bis dahin derartige Praktiken der allgemeinen Verurteilung anheimgefallen sein.

Die Hekla stürzte sich mit vollen Marssegeln in die ersten Wellen der ablandigen Dünung. Es war nicht leicht, das Teleskop mit einer Hand zu halten; betroffen merkte er, daß ihm bereits vor Anstrengung der Atem stockte. Aber nur noch einen Augenblick! Er ließ das Glas langsam über das Vorschiff der Hekla gleiten, wo die Matrosen in den karierten Hemden scheinbar sinnlos durcheinanderliefen und das

Schiff auf Kurs brachten. Dann sah er Inch, der sich an der niedrigen Reling festklammerte, den mageren Körper gegen die Schräglage neigend — er schwenkte seinen Hut. Vor ein paar Tagen noch hatte er auf dem gleichen ungeschützten Deck gestanden, umtost von den wild feuernden Karronaden; und dann hatte er sich erschrocken und bekümmert über Bolitho gebeugt, den die Kugel jenes unbekannten Schützen auf die Planken geworfen hatte. Wie deutlich er sich daran erinnerte! Jetzt segelte Inch mit seiner merkwürdigen Ladung voll schwatzender Passagiere einem neuen Wendepunkt seines Lebens entgegen; und es war nur zu hoffen, daß er Gibraltar erreichte, ohne auf einen Feind zu stoßen.

Bolitho fuhr zusammen: dort neben Inch stand jetzt jemand. Obwohl die Hekla schon eine gute halbe Meile entfernt war, konnte er Kates Haar im Wind fliegen sehen; hell glänzte ihr gelbes Kleid in der strahlenden Sonne. Sie winkte ebenfalls, zeigte lächelnd die weißen Zähne im gebräunten Gesicht und er glaubte ihre Stimme zu hören, der er nachts gelauscht hatte, als ringsum alles still gewesen war.

«Hier, nehmen Sie das Glas, Mr. Tothill!»

Immer noch steif vom Wundfieber faßte er mit gespreizten Beinen festen Stand und schwenkte langsam den Hut. Manche, die es sahen, wunderten sich. Aber Allday, der bei der Leiter stand, lächelte dankbar.

Es war eine knappe Sache gewesen. Und wenn sie nicht. Ein Schauer überlief ihn. Er wandte sich um und sah Calvert nach, der niedergeschlagen den Decksgang entlangschlenderte und sich lustlos gegen die Netze lehnte. Er schien sich mehr denn je in sein Inneres zurückzuziehen und sprach kaum, auch nicht mit den anderen Offizieren. Sehr schade, dachte Allday, denn der Flaggleutnant hatte keine Ahnung, mit welcher Bewunderung man von ihm in den überfüllten Wohndecks sprach, seit er wieder an Bord war. Allday schüttelte den Kopf. Zweifellos hatte Calvert einen reichen Vater, der ihm den Hals retten würde, aber vielleicht lag ihm gar nichts mehr daran. Wie er dastand und in die kabbelige See starrte, war sein Gesicht vollkommen ausdruckslos.

«Ah, Calvert!«Alle blickten sich um: Broughton eilte munteren Schrittes aus der Hütte.»Kommen Sie her!«rief er.

Calvert ging nach achtern und faßte an den Hut.»Sir?«fragte er mißtrauisch.

«Ich habe eine Menge für Sie zu tun. «Lässig blickte Broughton zur Hekla hinüber, die ihren stumpfen Bug in eine trag anrollende Welle grub. Dann warf er einen kurzen Blick auf Bolitho, verzog die Lippen zum Schatten eines Lächelns und wandte sich wieder an Calvert:»Vielleicht würden Sie mit mir speisen, wenn wir mit dem Schreibkram fertig sind — eh?»

Allday sah, daß Calvert der Mund offen blieb, und war verwirrter denn je. Sogar Broughton hatte anscheinend seine Haltung Calvert gegenüber geändert.

Bolitho hatte den Admiral gehört und wandte sich ihm zu.»Pardon, Sir. Ich habe Sie nicht kommen sehen.»

«Schon gut«, nickte Broughton.

«Das Geschwader hat bestätigt, Sir«, meldete Tothill, der die flüchtige Episode nicht mitbekommen hatte.

Bolitho drehte sich um und rief:»Machen Sie weiter, Mr. Keverne!»

Während das Signal des Flaggschiffs von der Rah verschwand, wurde es an Deck lebendig: Segel wurden gesetzt. Auf die Reling gestützt sah Bolitho zu, wie die Toppmatrosen oben auslegten und die Leinwand freigaben, die sich mit explosionsartigem Knall im Winde entfaltete.

«Anker ist los, Sir!«meldete Meheux. Dort im Vorschiff, wo er stand und Handzeichen gab, sah er gegen die ferne Landzunge ganz wichtig aus.

Schwerfällig neigte sich die Euryalus über ihr Spiegelbild, bis die unteren Stückpforten durch die Wasserlinie schnitten. Die Matrosen holten die Brassen noch dichter, die Männer am Rad hielten hart ge-genan; majestätisch, doch gehorsam beugte sich das Schiff den Kräften von Wind und Ruder.

Keverne brüllte durch sein Sprechrohr:»Lebhaft bei Leebrassen! Treiben Sie die faulen Hunde an! Auf der Valorous klappt es besser als bei uns!»

Bolitho lehnte sich über die Reling und sah zu, wie der Anker, mit triefenden Strängen gelben Seegrases an den mächtigen Fluken, gelichtet und von Meheux' geschäftigen Matrosen gereinigt wurde.

Er sah zur anderen Seite hinüber. Auf der Coquette und der Restless standen bereits die Bramsegel. Beide Schiffe stürmten durch Fontänen von Gischt vorwärts und entfernten sich rasch von den schweren Schiffen.

«Nordwest zu Nord, Sir!«rief Partridge, rieb sich das Salzwasser aus den Augen und spähte hinauf zu den gebraßten Rahen, zu dem immer steifer stehenden Großmarssegel, unter dessen Druck die Euryalus jetzt merklich überholte.»Kurs liegt an, Sir!«meldete er.

Broughton griff sich ein Teleskop und befahl nervös:»Signal an alle: >Positionen einhaltenValorous, die mit killendem Klüver drehte, um ins Kielwasser des Flaggschiffs einzuscheren.

«Kann ich Bramsegel setzen, Sir?«fragte Keverne.

Bolitho nickte.»Nutzen Sie den Wind ruhig aus.»

Gerade als Keverne eilig zur Reling schritt, war ein vibrierendes Dröhnen zu vernehmen. Jedes freie Teleskop im ganzen Geschwader blinkte in der Sonne. Aller Augen waren auf die ferne Festung gerichtet. Dann brach das Dröhnen ab, und mit furchtbarer Plötzlichkeit stiegen mehrere turmhohe Flammen- und Rauchwände auf, massig und fest wie für die Ewigkeit und alles verbergend, was dahinter geschah.

Doch der Wind blies den widerstrebenden Rauch schließlich auseinander, und Bolitho sah die Ruinen des Kastells. Der innere Turm war vollkommen eingestürzt, wie der Schornstein eines alten Brennofens; Mauern und Brustwehren wären nur noch Schutt. Nacheinander folgten noch ein paar Explosionen im Festungsinnern; er konnte sich vorstellen, wie liebevoll Inchs Stückmeister, Mr. Broome, die einzelnen Ladungen plaziert hatte. Er hielt den Atem an, als etwas Kleines, Dunkles, Schmales aus dem Rauch kam und hinaus auf See glitt: Broome und seine Männer hatten sich im letzten Moment abgesetzt.

Nachdenklich sagte Giffard:»Dieser Bau hat allerhand erlebt, bei Gott!»

«Das läßt sich nicht leugnen, Hauptmann Giffard«, stimmte Brough-ton mit einem Blick auf Bolithos Rücken und einem leichten Lächeln zu.

Als acht Glasen angeschlagen wurden und die Vormittagswache den Dienst übernahm, war das kleine Geschwader bereits sieben Meilen von Land entfernt.

Bolitho saß in seiner Heckkajüte auf der Sitzbank und ruhte sich aus. Er konnte eben noch die Valorous vor dem verschwimmenden Land ausmachen, das nur noch Dunst war, einer dunkelroten Wolkenbank ähnlich, über der sich der schwärzliche Qualm aus der Festung

Djafou erhob und wie ein mächtiger Pilz den blauen Himmel besudelte.

Er dachte an Lucey und Lelean, an Witrand und viele andere, die für immer dort geblieben waren. Von ihnen war Draffen der einzige, der mit dem Geschwader segelte, denn sein Leichnam war sorgfältig in einem Faß Rum konserviert, um in England ein würdigeres Begräbnis zu erhalten.

Bolitho lehnte sich auf das Fenstersüll, das wohlbekannte Knarren von Stagen und Wanten im Ohr, und versuchte, seine Schulter in eine Stellung zu bringen, in der ihm das langsame Rollen des Schiffes nicht noch mehr Schmerzen verursachte.

Wieder einmal hatte er das Schicksal überlistet. Er faßte an seine Schulter und zuckte zusammen. Bald mußte der Verband gewechselt werden, und er würde wieder nicht zu atmen wagen aus Angst, daß die Wunde schlimmer geworden sei.

Dann dachte er an Catherine Pareja und ihre letzte gemeinsame Nacht im Turm. Ihr wildes Begehren hatte alles so einfach gemacht — und dann hatten sie ganz still nebeneinander gelegen und auf das Murmeln der unten an die Felsen schlagenden Wellen gelauscht. Wäre es auch geschehen, wenn er nicht so schwer verwundet gewesen wäre? Hätte er es dann so weit kommen lassen? Er dachte an ihre zärtlichen Arme, da wußte er die Antwort.

Spargo, der Schiffsarzt der Euryalus, hielt Bolitho seine breite, haarige Hand hin und sagte:»Hier, fassen Sie mal fest zu, Sir!»

Bolitho stand vom Schreibtisch auf.»Er ist ein harter Lehrmeister«, sagte er zu Keverne und lächelte dabei, um seine Angst zu verbergen.»Ich fürchte, wir geben ihm nicht genug zu tun. «Dann faßte er Spar-gos Hand, und der Krampf riß in seinem Arm, als er mit aller Kraft zudrückte.

Es war drei Tage her, daß das Geschwader von Djafou ausgelaufen war, und seitdem hatte Spargo alle paar Stunden den Verband kontrolliert, die Wunde angesehen und betastet, bis Bolitho dachte, diese Quälerei würde nie ein Ende nehmen.

Spargo ließ Bolithos Hand los.»Gar nicht so übel, Sir. «Er sprach mit widerwilliger Befriedigung, was, wie Bolitho bereits herausgefunden hatte, seine Art war, jemanden für eine gute Leistung zu loben.»Aber erst müssen wir mal sehen. «So redete er immer — seine Skepsis war wie ein Treibanker, sozusagen eine Rückversicherung für alle

Fälle.

Keverne jedenfalls schien etwas beruhigter zu sein.»Ich darf wohl jetzt gehen, Sir. Für heute sind wir ja mit den Schiffsangelegenheiten fertig.»

Vorsichtig legte Bolitho den Arm wieder in die Schlinge und trat ans Fenster. Eine gute halbe Meile achteraus nahm die Valorous Bramsegel weg; wie kleine schwarze Flecken sahen die Matrosen aus, die auf den Rahen mit der salzverhärteten Leinwand kämpften. Es war fast zwölf Uhr mittags. Drei Tage Kampf gegen einen ungewöhnlich widerborstigen Wind; und alle Augen suchten den blinkenden Horizont nach einem Segel ab. Nach irgendeinem Segel.

Das Geschwader befand sich etwa vierzig Seemeilen vor Car-tagena, und wäre ein Feind in Sicht gekommen, hätten sich Brough-tons Schiffe aus guter Gefechtsposition heraus zum Angriff formieren können. Während er noch einen kurzen Blick auf die Papiere warf, die er mit Keverne durchgesprochen hatte, vernahm er Broughtons lebhafte Schritte in der Kajüte über der seinen, wo der Admiral einsam auf-und abwanderte und sich ärgerte, daß sich kein einziges Schiff zeigte und er infolgedessen nichts über die Bewegungen des Feindes erfuhr. Er konnte Bolitho leid tun, denn, wie er wußte, gab es bereits gewisse Komplikationen, die man nicht mehr allzu lange vor sich herschieben konnte.

Buddle, der Zahlmeister, war vormittags bei ihm gewesen und hatte ziemlich pessimistisch über das knapp werdende Wasser und die Fässer mit ranzig gewordenem Fleisch berichtet. Im ganzen Geschwader war es ebenso. So viele Menschen ließen sich eben auf Dauer nicht verpflegen, ohne daß die Vorräte von Zeit zu Zeit ergänzt wurden; es war aber durchaus unsicher, ob und wann man Wasser und Proviant fassen konnte.

Mit einem Seufzer sah Bolitho zur Tür, die hinter dem Arzt ins Schloß fiel.»Als Ersatz für Lucey haben wir also Sawle zum Fünften Offizier befördert«, überlegte er laut.»Aber da bleibt immer noch eine Fehlstelle in der Offiziersmesse. Midshipman Tothill könnte vielleicht. Aber.»

«Er ist erst siebzehn«, wandte Keverne ein,»und mit Geschützen hat er noch wenig Erfahrung. Auf jeden Fall ist er so gut beim Signaldienst, daß wir ihn dort jetzt nicht entbehren können. «Er grinste schadenfroh.»Meiner Ansicht nach, Sir.»

«Ich muß Ihnen da leider beipflichten. Wir müssen eben sehen, wie wir auskommen. «Er horchte auf die Schritte oben.

Keverne legte die Papiere zusammen und fragte:»Wie stehen die Chancen für Feindberührung, Sir?»

Er zuckte die Achseln.»Das weiß ich wirklich nicht. «Wenn doch Keverne endlich gehen wollte, damit er Arm und Schulter testen konnte, dachte er.»Die Coquette und die Restless müßten jetzt vor Cartagena kreuzen. Vielleicht kommen sie bald mit einer Nachricht wieder.»

Es klopfte, und Midshipman Ashton trat ein. Er trug keinen Kopf verband mehr und schien sich besser erholt zu haben, als zu erwarten gewesen war.

«Sir — Mr. Weigall meldet: Segel in Nordwest.»

Bolitho sah Keverne lächelnd an.»Eher als ich dachte. Ich komme an Deck.»

Auf dem Achterdeck war es glühend heiß, und obwohl die Segel gut unter einem stetigen Nordwest zogen, bot dieser Wind den Männern der Wache nicht viel Erfrischung.

Weigall behielt die Kampanje scharf im Auge, um Bolitho nur ja nicht zu verpassen.

«Der Ausguck meldet, sie sieht wie eine Fregatte aus, Sir.»

Wie zur Bestätigung ertönte es von oben:»Is' die Coquette, Sir!»

Eilig wie immer erschien Broughton an Deck.»Nun?»

Ashton enterte bereits mit einem großen Teleskop ein Stück in die Wanten auf, und Bolitho sagte lächelnd:»Was täten wir ohne Fregatten?»

Minuten verstrichen. Am Kompaß drehte ein Schiffsjunge unter Partridges wachsamen Augen das Halbstundenglas um.

Dann rief Ashton:»Signal von Coquette, Sir!«Eine ganz kleine Pause.»Negativ!»

Broughton wandte sich ab.»Also niemand mehr da. Alle Schiffe unterwegs!«knurrte er wütend und starrte mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne.»Wir müssen sie verpaßt haben, Bolitho! Herrgott, die sehen wir nie wieder.»

Die Fregatte ging auf neuen Kurs, der große, schwarz-weiße Signalwimpel stand noch steif an der Rah. Ein Wimpel nur, doch für Broughton und vielleicht für manchen anderen bedeutete er so viel!

Die feindlichen Schiffe hatten den Hafen verlassen und konnten jetzt praktisch überall sein. Während sich das Geschwader bei Djafou herumgetrieben, die Festung genommen und dann zerstört hatte — im Endeffekt ein fruchtloses Unternehmen — , war der Feind verschwunden.

«Hol sie allesamt der Teufel!«murmelte Broughton resigniert. Da rief der Ausguck:»Die Valorous hat Signal gesetzt, Sir!«Bolitho fuhr auf.

Bitter bemerkte der Admiral:»Fourneaux wird auch schon Halluzinationen haben!»

Doch alle fuhren herum, als Tothills schrille Stimme erscholl:»Signal von Valorous, Sir: >Fremdes Segel in Peilung West!<»

«Muß fast genau achteraus sein, Sir«, sagte Bolitho und befahl sodann:»Mr. Keverne, informieren Sie das Geschwader!»

Broughton war vor Ungeduld fast außer sich.»Die dreht bestimmt ab, sobald sie uns sieht!«Er spähte zur Coquette hinüber.»Aber es hat keinen Zweck, Gillmor hinzuschicken. Er kommt nicht rechtzeitig genug gegen den Wind auf, um sie anzugreifen.»

In Bolithos Arm klopfte das Blut, vielleicht vor Aufregung. Das Schiff konnte wieder ein Kauffahrer sein oder aber eine feindliche Patrouille. Vielleicht sogar die Spitze eines großen Verbandes. Aber diesen Gedanken ließ er fallen. Wenn das Schiff zum Geschwader aus Cartagena gehörte, hatte es sich erheblich von seiner Station entfernt; und wenn der Feind wirklich hinter Broughton hergewesen wäre, hätte er keine Zeit verschwendet und gleich den ganzen Verband eingesetzt.

Er nahm ein Teleskop und ging rasch aufs Achterdeck. Jetzt konnte er das Glas schon besser mit einer Hand regieren; und als er es über die Valorous hinaus richtete, sah er das kleine Viereck eines Segels, das auf der Kimm zu ruhen schien.

Ashton, hoch überm Deck und mit seinem starken Glas, hatte weit bessere Sicht.»Zweidecker, Sir«, erklang seine Stimme schrill über das Rauschen der Takelage.»Hält auf uns zu!»

Bolitho eilte wieder aufs Hüttendeck.»Wir sollten lieber Segel kürzen, Sir. Dann wissen wir genau Bescheid.»

«Na schön«, nickte Broughton,»geben Sie entsprechendes Signal.»

Die Zeit schlich dahin, die Matrosen faßten ihr Mittagessen, schwerer Rumgeruch hing in der Luft. Es hatte schließlich keinen Sinn, die tägliche Routine zu unterbrechen, wenn noch reichlich Zeit für die

Entscheidung war, welche Aktion man einleiten sollte — falls überhaupt eine.

Für einen Zweidecker kam das fremde Schiff sehr schnell auf. Die voll ziehende Leinwand war gut zu erkennen. Der Kommandant hatte sogar Leesegel setzen lassen, so daß der Rumpf beinahe unter der Pyramide aus steifem Tuch verschwand.

Erregt gellte Ashton:»Sie setzt Erkennungssignal, Sir!»

«Ach du lieber Gott!«Broughton biß sich auf die Lippe und starrte zu dem Midshipman hinauf, der auf dem Eselshaupt des Großmastes saß. Tothill war zu Ashton aufgeentert, und beide blätterten im Signalbuch; es schien sie gar nicht zu stören, daß das Deck so tief unter ihren baumelnden Beinen lag.

«Einer von uns, Sir«, sagte Bolitho.»Verstärkung, möglicherweise. Aber auf alle Fälle werden wir Neues hören.»

Ungläubig starrte er zum Mast empor und wollte seinen Ohren nicht trauen. Denn:»Die Impulsive, Sir, vierundsechzig Geschütze, Kommandant Captain Herrick!«schrillte Tothill.

Broughton fuhr herum und fragte scharf:»Kennen Sie den Mann?»

Bolitho konnte nicht gleich antworten. Thomas Herrick! Wie oft hatte er an ihn gedacht und an Adam, seinen Neffen, hatte sich ausgemalt, wo sie waren und was sie erleben mochten. Und jetzt war er hier. Hier!

«Seit Jahren, Sir«, antwortete er endlich.»Er war mein Erster Offizier. Und ist mein bester Freund.»

Broughton musterte ihn mißtrauisch und befahl dann kurz:»Signal an Geschwader: >Beidrehen.< Und an die Impulsive: Kommandant zu mir an Bord!<«Er sah zu den Flaggen auf, die sich im Wind entfalteten.»Hoffentlich taugt er was!»

Bolitho lächelte.»Wäre er nicht gewesen, Sir, würde dieses Schiff noch unter französischer Flagge segeln.»

«Na, wir werden ja sehen«, knurrte der Admiral.»Ich bin achtern, wenn er an Bord kommt.»

Keverne wartete, bis Broughton gegangen war, und fragte dann:»War er tatsächlich so entscheidend daran beteiligt, daß dieses Schiff genommen wurde, Sir? Mit einem kleinen Vierter-Klasse-Schiff?»

Nachdenklich sah Bolitho ihn an.»Mein eigenes Schiff war fast kampfunfähig. Captain Herrick hat sich ohne zu zögern dazwi-schengeworfen, mit seinem kleinen Vierundsechziger, der außerdem noch erheblich älter ist als Sie. «Er deutete auf das geschäftige Achterdeck.»Genau da, wo Mr. Partridge steht, war es — da hat sich der französische Admiral ergeben.»

«Das habe ich nicht gewußt«, antwortete Keverne betroffen. Er starrte auf das ordentliche Deck, als erwarte er, noch Spuren des blutigen Kampfes zu sehen.

Tothill kam an einem Backstag heruntergerutscht und rief:»Alle Schiffe haben bestätigt, Sir!»

«Mr. Keverne«, sagte Bolitho,»führen Sie das Manöver aus. Und lassen Sie die Ehrenwache antreten, damit unser Gast anständig empfangen wird.»

Bolitho führte seinen Freund auf die Kampanje, weg von der brütenden Hitze und der schlagenden Leinwand, und sah ihm erst einmal gründlich ins Gesicht.»Thomas, es ist wirklich schön, daß Sie da sind!»

Beim Anblick von Bolithos verwundetem Arm war Herrick zunächst erschrocken, jetzt aber grinste er übers ganze Gesicht.»Ich brauche nicht erst zu erläutern, wie mir war, als ich Order bekam, zu Ihrem Geschwader zu stoßen.»

Bolitho fing das unregelmäßige Schwanken ab, mit dem die Eurya-lus auf den Seegang reagierte, und musterte ihn neugierig. Er war etwas voller im Gesicht, unter dem goldbetreßten Dreispitz sahen einige graue Haare hervor, aber er war immer noch derselbe. Dieselben Augen vom hellsten Blau, das Bolitho je gesehen hatte.

«Erzählen Sie mir von Adam. Ist er noch bei Ihnen?»

«Aye. Und der Wunsch, Sie wiederzusehen, brennt ihn fast zu Asche.»

Bolitho lächelte.»Wenn Sie mit Sir Lucius gesprochen haben, können wir uns unterhalten.»

Freudig faßte Herrick seinen gesunden Arm.»Das werden wir!»

Als Bolitho zur Seite trat, um Herrick den Vortritt auf der Leiter zu lassen, sah er die beiden goldenen Epauletten auf seinen Schultern. Ein älterer Kapitän war er also jetzt! Trotz allem hatte Herrick es geschafft und sich durchgesetzt, genau wie er selber.

Sie traten in die geräumige Kajüte, und Broughton erhob sich von seinem Schreibtischsessel.»Sie haben Depeschen für mich, Captain?«Er tat sehr dienstlich.»Ich habe nicht damit gerechnet, daß ich Verstärkung bekomme.»

Herrick legte einen versiegelten Umschlag auf den Tisch.»Von Sir John Jervis, Sir. «Er verzog den Mund.»Pardon, ich meine Lord St. Vincent, wie sein Titel jetzt lautet.»

Broughton warf den Umschlag dem verlegen dabeistehenden Cal-vert zu und sagte:»Erzählen Sie mir, was es Neues gibt. Was wurde aus der verdammten Meuterei?»

«Es gab einiges Blutvergießen«, antwortete Herrick zurückhaltend,»und ziemlich viel Geschrei; doch als Ihre Lordschaften gewisse Konzessionen gemacht hatten, erklärten sich die Leute bereit, den Dienst wieder aufzunehmen.»

«Erklärten sich bereit!«Ungläubig starrte Broughton ihn an.»Ist das alles?»

Ernst wandte Herrick die Augen ab.»Die Rädelsführer wurden gehängt, Sir, aber vorher wurden einige Offiziere wegen Unfähigkeit abgelöst.»

Broughton sprang auf.»Woher wissen Sie das alles?»

«Mein eigenes Schiff war an der Nore-Meuterei beteiligt, Sir.»

Der Admiral schien zu glauben, er habe nicht richtig gehört. »Ihr Schiff? Heißt das, Sie haben dabeigestanden und sich das Schiff we g-nehmen lassen?»

Gelassen erwiderte Herrick:»Ich hatte keine Wahl, Sir. «Bolitho sah die altbekannte Dickköpfigkeit aus Herricks Augen blitzen, als er jetzt weitersprach:»Und überhaupt hielt ich die me isten Forderungen für berechtigt. Ich konnte auch an Bord bleiben, weil sie wußten, daß ich sie verstand — wie viele andere Offiziere übrigens auch.»

Eilig unterbrach Bolitho:»Das ist sehr interessant, Captain. «Hoffentlich verstand Herrick die Warnung.»Sir Lucius hat ganz ähnliche Erfahrungen in Spithead gemacht. «Er lächelte Broughton freundlich an.»Nicht wahr, Sir, das stimmt doch?»

Broughton öffnete den Mund, schloß ihn wieder und sagte dann:»Äh. Bis zu einem gewissen Grade, ja.»

Herrick trat einen Schritt näher.»Aber, Sir, ich habe Ihnen noch nicht berichtet, was sich auf der Fahrt hierher ereignet hat. Ich stieß bei Cadiz zu Lord St. Vincent und bekam Order, Ihr Geschwader zu suchen. Er braucht die Bombenwerferschiffe für einen Angriff auf Teneriffa, glaube ich. Unter Führung von Konteradmiral Nelson. »

«Konteradmiral ist er schon?«knurrte Broughton.

Herrick verkniff sich ein Lächeln.»Aber vor zwei Tagen sichteten wir ein fremdes Segel vor Malaga. Ich schnitt ihm den Weg zur Küste ab und machte mich an die Verfolgung. Es war eine Fregatte, Sir, und obwohl mein Vierundsechziger ziemlich schnell ist, kam ich da nicht mit. Aber ich blieb zunächst dran; heute früh erst habe ich sie verloren. Als ich Ihre Nachhut sichtete, dachte ich, sie wäre es.»

Trocken erwiderte Broughton: «Sehr aufregend. Sie haben sie also verloren — wo ist da Grund zum Jubeln?»

Gelassen sah Herrick ihm ins Gesicht.»Ich habe gehört, was unlängst passiert ist, Sir. Dieses Schiff würde ich überall wiedererkennen. Es war die Auriga.»«

«Sind Sie sicher, Thomas?«fragte Bolitho.

Er nickte bestimmt.»Nicht der geringste Zweifel. Ich habe ein paar Monate auf ihr gedient. Es war die Auriga, ganz sicher.»

Calvert legte die geöffnete Depesche auf den Tisch, aber Broughton fegte sie beiseite und suchte nach einer Seekarte.»Hier! Zeigen Sie es mir! Markieren Sie die Stelle auf der Karte!»

Mit einem fragenden Blick auf Bolitho beugte sich Herrick über das Blatt.»Sie war fast genau auf Ostkurs, Sir.»

«Und Sie hätten sie beinahe eingeholt? Mit einem Zweidecker?«Es klang ganz verzweifelt.

«Aye, Sir. Die Impulsive mag ja alt sein und ihr Rumpf so mürbe, daß er nur noch vom Kupferboden zusammengehalten wird, aber sie ist das schnellste Schiff ihrer Klasse in der Flotte. «Echter Stolz klang in seine r Stimme mit.»Die Auriga könnte Cartagena angelaufen haben, Sir, und in diesem Falle…»«

Broughton schüttelte den Kopf.»Ausgeschlossen. Meine Patrouillen hätten sie gesichtet und angegriffen. «Er rieb sich heftig das Kinn.»Genau Ost, sagten Sie? Beim Himmel, wir können sie immer noch erwischen! Und ich«, schloß er mit einem bedeutsamen Blick auf Herrick,»ich hätte weiß Gott nicht bloß ein paar von diesen elenden Meuterern gehängt — sondern alle!»

«Das glaube ich Ihnen gern, Sir Lucius«, sagte Herrick respektvoll.

Broughton hörte gar nicht darauf.»Signalisieren Sie Gillmor«, sagte er zu Bolitho,»er soll sofort die Verfolgung aufnehmen. Er kann völlig nach eigenem Ermessen handeln, um die Auriga festzunageln oder wenigstens aufzuhalten. Die Restless soll in Lee Verbindung halten.

Sie, Captain Herrick, halten Ihrerseits Sichtverbindung mit der Restless — «, er lächelte flüchtig — ,»da Ihr Schiff ja so schnell ist, und übermitteln ihr unverzüglich meine jeweiligen Instruktionen. Das war's«, schloß er mit kurzem Nicken. Draußen fragte Herrick:»Ist er immer so?»

«Meistens. «An der Achterdecksleiter blieb Bolitho stehen.»Wie macht sich Adam? Ich meine, können Sie ihn…»

Herrick grinste.»Er kann sich jederzeit zum Leutnantsexamen melden, wenn Sie das meinen. «Er wartete ab, was Bolitho für ein Gesicht dazu machte, und fuhr fort:»Soll ich ihn zur Euryalus abgeben?»

«Ja, gern, vielen Dank. Ich bin knapp an Offizieren. «Er konnte seine freudige Erregung nicht verbergen.

Herrick legte ihm die Hand auf den Arm.»Ich habe ihm alles beigebracht, was ich weiß.»

«Dann schafft er es auch.»

Jetzt grinste Herrick übers ganze Gesicht.»Ich hatte ja selbst einen guten Lehrer — wissen Sie noch?»

Herricks Boot hatte noch nicht von den Rüsten abgelegt, da wehten schon die Flaggen an den Rahen der Euryalus aus.

Leicht wie ein Vollblut drehte die Coquette ab, als wäre ein Tau gekappt, das sie an die anderen Schiffe fesselte; und als die Matrosen aus den Niedergängen an Deck schwärmten, fühlte Bolitho neue Kraft in sich.

«Der Käpt'n scheint sich über irgendwas zu freuen«, murmelte Par-tridge.

Keverne nickte.»Sieht so aus. «Dann griff er nach seiner Sprechtrompete und eilte an die Reling.

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