Kapitel 5

Sie saßen in Bruder Madagans Zelle, von der aus er die große Abtei von Imleach verwaltete. Als rechtaire trug er in Abwesenheit des Bischofs die Verantwortung für alle Abläufe in der Abtei, denn Bischof Ségdae war nicht nur Bischof, sondern auch Abt von Imleach. Die Gäste und der Mönch wirkten bedrückt. Bruder Ma-dagan hatte sich von Fidelma die Gründe ihres Besuches erläutern lassen. Dabei war er sich wiederholt mit einem Finger über die Narbe auf seiner Stirn gefahren. Sowohl Fidelma als auch Eadulf erinnerten sich daran, wie er während des Angriffs auf Imleach an dieser Stelle verletzt worden war.

Betroffen von den schrecklichen Nachrichten, bot ihnen Bruder Madagan jede erdenkliche Hilfe an. Fidelma hatte ihm auch von den Pilgern und den anderen Reisenden berichtet, die durch Cashel gekommen waren.

»Du würdest sicher gern mit den Pilgern reden, die hergekommen sind, um in der Kapelle des heiligen Ailbe zu beten, nicht wahr?«

»Ja, sehr gern«, stimmte ihm Fidelma zu. »Ich hoffe, daß sie noch hier sind.«

Bruder Madagan nickte. »Doch die anderen, die du erwähnt hast ... Bruder Tanaide und der Fremde aus dem fernen Land, die halten sich nicht mehr hier auf. Die haben schon nach einer Nacht ihre Reise nach Westen weiter fortgesetzt.«

»Wer ist Bruder Tanaide?« fragte Eadulf.

»Das ist der junge Mönch, der den Fremden aus Persien als Führer und Dolmetscher begleitet.«

»Was hat dieser Fremde aus Persien hier gewollt?«

»Er nennt sich Bruder Basil Nestorios und beherrscht Griechisch und Latein so gut wie seine Muttersprache. Er war sehr beredt und erzählte viel über sein Heimatland und seinen Glauben. Sehr betrüblich, daß er nur eine Nacht bei uns blieb und dann weiter zur Abtei von Colman weiterzog. Ihn wollt ihr doch sicher nicht sprechen, oder? Ich bin mir sicher, daß die beiden Brüder nichts mit der Angelegenheit zu tun haben, die euch hierherführt.«

Fidelma lächelte müde. »Bestimmt hast du recht. Vielleicht könnte uns aber etwas, das sie gesehen oder gehört haben, weiterhelfen. Was von einem Außenstehenden bemerkt und für unwichtig erklärt wird, kann am Ende durchaus wichtig sein.«

»Wo liegt die Abtei von Colman?« wollte Eadulf wissen.

»In Richtung Westen, an der Mündung des Maig-hin, dem Fluß der Ebene, am Meer«, erklärte der Verwalter. »Auf einem schnellen Pferd braucht man mindestens einen Tag bis dorthin.«

»Die Abtei befindet sich dort, wo das Gebiet des Volkes der Corco Duibhne beginnt«, fügte Fidelma hinzu. »Um hinzugelangen, muß man das Territorium der Ui Fidgente durchqueren.«

»Gehören die Corco Duibhne zum Königreich deines Bruders?«

»Ihr Kleinkönig Slébéne erkennt die Oberherrschaft von Cashel an. Doch das Volk ist wild und unabhängig und betet immer noch zu einer heidnischen Göttin mit Namen Duinech, die angeblich seine Mutter ist. Es heißt, sie hätte siebenmal ihre Jugend wiedergewonnen. Auf diese Weise wurde sie die Mutter der vielen weitverstreuten Stämme der Muscraige. Die Abtei von Colman liegt am Rande von Slébénes Land, das von einem bösen Kriegsherrn der Ui Fidgente überwacht wird. Er soll von sich behaupten, der Herr der Bergpässe zu sein. Ich halte es für besser, das Kleinkönigreich von Slébéne zu meiden.«

Bruder Madagan nickte zustimmend. Eadulf war offenbar recht erstaunt über das, was Fidelma gesagt hatte.

»Sein Königreich ist nicht gerade christlich zu nennen«, fuhr sie fort. »Das Land besteht aus einer langgestreckten Halbinsel, es ist bergig und unwegsam, und Slébénes Sitz liegt ganz abgeschieden am Ende der Halbinsel. Nur wenige wagen sich dorthin. Es heißt, dieser Ort sei böse.«

Eadulf lächelte beklommen. »Ich glaube, ich habe inzwischen genug Erfahrung im Umgang mit Nichtchristen, ich hege also keine großen Bedenken. Ob nun Christen oder nicht, nur wegen eines anderen Glaubens sind die Menschen nicht gleich alle anders. Als ich in Rom war, sah ich ein Stück, das hieß Asina-ria. Dessen Quintessenz bestand darin, daß Stolz und Habsucht Ursache für alle menschlichen Übel sind, nicht die Religion. Die Menschen verhalten sich wie Wölfe zueinander.«

»Lupus est homo homini«, murmelte Fidelma bitter. »Doch der Autor des Stücks, Titus Plautus, hat da etwas Wichtiges verwechselt - die Wölfe greifen sich nicht gegenseitig an. Nur Menschen tun das ohne jeden Grund.« Dann erhob sie sich auf einmal. »Wir würden nun gern den Anführer der Pilgergruppe sprechen, Bruder Madagan.«

Offenbar waren die Pilger gerade beim Gebet in der Kapelle, in der sich die Reliquien des heiligen Ailbe befanden. Der Verwalter schlug seinen Gästen daher vor, in seiner Zelle zu warten, während er Bruder Bui-te holte.

»Sie beten in der Kapelle? Hast du keine Bedenken, wenn ein Leprakranker sich frei in deiner Abtei bewegt?« fragte Eadulf verwundert.

Bruder Madagan sah ihn erstaunt an.

»Wie kommst du darauf, daß einer der Pilger Lepra hat?«

»In der Pilgergruppe soll sich einer befinden, der klein wie ein Kind aussieht und eine Lepraglocke läutet. Ist er etwa nicht dabei?« fragte Fidelma.

Bruder Madagan schüttelte den Kopf. »Ein Leprakranker ist nicht unter ihnen.«

Nachdenklich blickte Fidelma zu Eadulf. Dann zuckte sie die Schultern und wandte sich wieder an Bruder Madagan.

»Hören wir, was Bruder Buite zu sagen hat.«

Fidelma und Eadulf saßen eine Weile schweigend da. Fidelma lehnte sich bequem auf ihrem Stuhl zurück. Nur das rhythmische Klopfen ihrer Finger verriet ihre Unruhe. Seit langer Zeit waren sie nun zum erstenmal allein.

»Irgendwann müssen wir miteinander reden«, sagte Eadulf schließlich.

Fidelma schloß kurz die Augen. Eadulf erwartete einen Wutausbruch.

»Worüber?« fragte sie sehr ruhig.

»Über uns. Es gibt so viel Unausgesprochenes.«

Sie drehte sich zu ihm. Er war überrascht, ein trauriges Lächeln wahrzunehmen. »Du hast recht, Eadulf. Seit unserer Rückkehr aus Rath Raithlen ist viel unausgesprochen geblieben. Das ist mein Fehler. Aber hab noch ein wenig Geduld. Jetzt brauche ich deine Stärke. Wir unterhalten uns bald. Das verspreche ich.«

Eadulf blickte ins Feuer und schwieg.

Fidelma war ihm dankbar für sein Feingefühl. Sie verspürte ohnehin Schuld, nicht nur weil ihr Kind entführt worden war, sondern weil sie in den letzten Monaten ihre Beziehung zu Eadulf in Frage gestellt hatte. Seit der Geburt des kleinen Alchu war sie fortwährend in gedrückter Stimmung gewesen. Sie hatte sich viel Zeit mit der Entscheidung gelassen, Eadulfs ben charrthach, seine Ehefrau für ein Jahr und einen Tag, zu werden.

Lange hatte Fidelma versucht, sich gegen Eadulfs Zuneigung zu wehren. Seit ihrer unglücklichen Beziehung mit dem Krieger Cian hatte sie geglaubt, sie würde sich nie wieder dem Leid und den Qualen der Liebe aussetzen. Doch als sie dann zum erstenmal auf der Synode von Whitby Eadulf begegnet war, war ein Feuer in ihr entfacht worden, obwohl er Sachse war und für die Lehren Roms eintrat. Sie hatte sich weismachen wollen, daß sie keine voreiligen Entscheidungen hinsichtlich einer dauerhaften Ehe mit Eadulf treffen wollte, weil sie sich so sehr um sein Wohl sorgte.

Außerdem war nach den Gesetzen der fünf König-reiche eine Ehe mit Eadulf eine Verbindung von Personen unterschiedlichen Standes. Fidelma war von königlichem Geblüt, Eadulf hätte nicht die gleichen Eigentumsrechte wie seine Frau, auch deswegen war sie einer Ehe ausgewichen und hatte sich für eine Ehe auf Probe entschieden. Während dieser Zeit war sie schwanger geworden und hatte Alchu geboren. Hatte sie Alchu nicht zur Welt bringen wollen? Sie hatte viel über ihre verlorene Freiheit nachgedacht und begonnen, Eadulf abzulehnen.

Der Gedanke, nun für immer ein Leben in Cashel zu führen, war ihr ein Greuel. Als ihr Bruder sie dann gebeten hatte, in Rath Raithlen die mysteriösen Morde an drei jungen Mädchen aufzuklären, war ihr dieser Auftrag wie ein Geschenk des Himmels erschienen. Nachdem sie diesen Fall gemeinsam mit Eadulf erfolgreich gelöst hatte, hatte sie sich auf dem Rückweg nach Cashel gefragt, ob sie die Ehe auf Probe nicht jetzt beenden sollte, da die Frist ohnehin bald abgelaufen war. Dann hatte sie von der Entführung ihres Sohnes erfahren.

Wieder übermannte sie der Schmerz, sie mußte tief Luft holen.

»Was hast du?« fragte Eadulf besorgt.

Sie blickte ihn an und lächelte angestrengt.

»Mir ist gerade etwas eingefallen, was Publilius Syrus einmal geschrieben hat ...«

Zu einem anderen Zeitpunkt hätte Eadulf sicher eine sarkastische Bemerkung darüber gemacht, denn Fidelma hatte immer einen moralischen Grundsatz des ehemaligen Sklaven aus Rom zur Hand. Sie schien sein ganzes Werk auswendig zu kennen. Heute sagte er nur: »Ja?«

»Unglücklich sind diejenigen, die sich selbst nicht vergeben können«, antwortete sie traurig.

Eadulf wollte schon etwas darauf erwidern, als die Tür aufging und Bruder Madagan erschien. Er trat beiseite und winkte einen mittelgroßen Mann mit einem langen braunen wollenen Gewand hinein, der auffällig hinkte.

Der linke Arm des Mannes hing an der Seite steif herab. Er war nicht alt, aber das Leben hatte Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. In seinen langen dunklen Haaren gab es weiße Strähnen, und seine dunklen glühenden Augen schienen ein Spiegel der Schrecken zu sein, die sie gesehen hatten.

»Dies ist Bruder Buite aus Magh Ghlas«, verkündete der Verwalter.

Bruder Buite hinkte auf die Gäste zu und verneigte sich kurz vor Fidelma.

»Womit kann ich dir dienen, Lady?«

Fidelma blickte ihm einen Moment in die Augen. »Kennst du mich?«

Bruder Buite senkte den Kopf. »Ich habe bei Cnoc Äine in der Armee deines Bruders gekämpft. Dort habe ich .«

Unwillkürlich fuhr er mit seiner rechten Hand zu seinem nutzlos herabhängenden linken Arm.

»Ich kenne dich, Lady, und ich weiß von deinem Kummer. Wenn es irgend etwas gibt, was ich tun kann, um deine Schmerzen zu lindern, so mußt du es nur sagen.«

»Das ist sehr großzügig von dir, Bruder Buite«, erwiderte Fidelma ernst. »Darf ich dir Bruder Eadulf vorstellen. Setz dich, wir würden uns gern mit dir unterhalten.«

Der Pilger humpelte zu einem Stuhl und nahm umständlich darauf Platz. Bruder Madagan setzte sich ebenfalls.

»Wie ich hörte, warst du mit deinen Gefährten in Cashel, als meine Amme ermordet und mein Baby entführt wurde. Erzähl mir von deinen Begleitern.«

Bruder Buite errötete ein wenig.

»Ich kann nur von mir reden. Meine Begleiter mußt du schon selbst befragen. Es genügt, wenn ich sage, daß wir uns alle auf der Straße unweit von Cashel eingefunden hatten. Da ich die Kapelle des heiligen Ailbe kannte, erbot ich mich, die Gruppe zur Abtei zu führen. Wir übernachteten in dem Gasthof unterhalb der Burg deines Bruders. Am folgenden Morgen erfuhr ich von dem Tod der Amme und dem Verschwinden deines Kindes. Doch da wir ganz offensichtlich kein Kind bei uns hatten, gestattete uns der edle Prinz Fin-guine, unsere Reise fortzusetzen.«

»Aha. Und Finguine kam am nächsten Morgen zum Gasthof, um euch zu befragen?«

»So war es, Lady.«

»Und dann hast du deine Gruppe hierhergeführt?«

»Ja.«

»Aber wohl nicht alle, oder?«

Bruder Buite war erstaunt.

»Warst du nicht mit einem Leprakranken unterwegs? Wie wir hörten, bist du hier aber ohne ihn eingetroffen.«

»Ach«, sagte der Pilger leise. »Ein Aussätziger hat uns tatsächlich ein Stück begleitet.«

»Wo hat er sich von euch getrennt?«

»Kurz vor der Abtei. Wir fünf, also die ursprüngliche Gruppe, gingen zur Abtei, er aber zog weiter nach Westen.«

»War der sechste Pilger klein, und trug er eine Glocke?«

»Ja, allerdings. Er war kleinwüchsig - wie ein Zwerg. Wegen seiner Krankheit hielten wir uns immer ein wenig von ihm entfernt, aber das schien ihm nichts auszumachen.«

»Ein Zwerg?« Fidelmas Augen blitzten bei dem Wort auf. »Und er war männlich?«

»Uns gegenüber nannte er sich Forindain.«

»Er hat sprechen können?« fragte Eadulf überrascht. Caol hat gesagt, daß der Kleinwüchsige, der zur Burg kam, stumm gewesen sei.

Bruder Buite blickte ihn an. »Warum sollte er nicht sprechen können?«

Fidelma warf Eadulf einen warnenden Blick zu und schüttelte leicht den Kopf.

»Wo hat sich Forindain deiner Gruppe angeschlossen?« fragte sie.

»Erst in Cashel.«

»Hat er dort im Gasthof übernachtet?«

»Nein, ich glaube nicht. Er hat wohl im Stall geschlafen.«

»Woher weißt du das?«

»Ehe wir uns hinlegten, sah ich ihn in der Gaststube essen. Da hatte er keine Glocke bei sich, die auf seine ansteckende Krankheit hinwies. So ein Verhalten widerspricht den Gesetzen des Glaubens. Am nächsten Morgen als wir aufbrachen, sah ich ihn im Hof wieder. An seinen Kleidern hing Stroh. Und diesmal trug er die Lepraglocke. Da fiel mir erst auf, daß er aussätzig war. Habe ich die Gesetze übertreten, als ich ihm erlaubte, mit uns zu gehen, Lady?«

Fidelma lehnte sich zurück und schaute genau Bruder Buite ins Gesicht.

»Du bist besorgt wegen meiner Fragen, Bruder Buite. So will ich dir verraten, warum ich sie stelle. Sarait, die Amme, wurde durch eine Nachricht, die ein Kind überbracht hat, aus der sicheren Burg meines Bruders fortgelockt. Diese Nachricht war falsch. Der Überbringer soll klein und untersetzt gewesen sein. Der Wächter meinte, ein Kind gesehen zu haben. Ich schätze aber, daß er den Zwerg gesehen hat, der mit dir weitergezogen ist. Falls das so ist, müssen wir mit diesem Forindain sprechen.«

Bruder Buite blinzelte. »Ist Sarait die Amme, die umgebracht wurde?« fragte er überrascht. »Jene Sarait, die mit Callada verheiratet war?«

»Kanntest du sie?« fragte Eadulf.

Bruder Buite senkte den Kopf. »Ich bin ihr nur einmal begegnet. Ich kannte ihren Mann Callada. Er war sehr beliebt. Er hat bei Cnoc Äine gekämpft und ist dort gefallen. Ich traf Sarait, als sie nach seiner Leiche suchte. Ich wußte nicht, daß sie diese Amme war.«

»Weißt du eigentlich, wie Callada starb?«

Bruder Buite blickte Eadulf mißtrauisch an, der die Frage gestellt hatte.

»Du meinst, ob ich von den Gerüchten gehört habe, die sich nach der Schlacht verbreiteten? Gerüchte, daß er mit einem Speer der Eoghanacht im Rücken gefunden worden sei? Ja, ich habe davon gehört. Cathalan hat uns befehligt und uns klargemacht, daß ein Speer keine Treue kennt, sondern daß vielmehr der, der ihn wirft, treu ist oder nicht. Jeder - ob nun von den Ui Fidgente oder von den Eoghanacht - konnte den Speer aufgehoben und Callada damit getötet haben. Aber ich weiß, daß sich die Gerüchte gehalten haben.«

»Sag uns nun, wie du und deine Pilger mit diesem Zwerg zusammengekommen seid, der sich Forindain nennt«, bat ihn Fidelma.

»Ich werde dir erzählen, was ich weiß, Lady«, erwiderte der ehemalige Krieger. »Meine Gefährten und ich waren gerade in Cashel eingetroffen, da hörten wir, daß Bischof Ségdae sich auch dort aufhielt. So gingen wir zur Burg und baten um seinen Segen und die Erlaubnis, unsere Pilgerreise zu den Reliquien des heiligen Ailbe fortsetzen zu dürfen. Dann wanderten wir weiter zu dem besagten Gasthof und nahmen etwas zu uns, ehe wir uns in einen Schlafraum zurückzogen. Wie ich schon sagte, sah ich dort den Zwerg zum erstenmal, aber nichts deutete darauf hin, daß er leprakrank war. Am nächsten Morgen erschien Prinz Finguine im Gasthof und fragte, ob uns nachts etwas aufgefallen sei. Einige von uns waren wach geworden von dem Lärm der Krieger, die nach dem Kind suchten. Von ihm erfuhren wir von dem Mord und der Kindesentführung. Als Prinz Finguine wieder fort war, ging ich in den Hof und stieß auf den Zwerg. Er war klein und untersetzt und von Kopf bis Fuß in einen Umhang gehüllt. Er sagte mir, daß er Forindain hieße und die Straße nach Imleach nehmen wolle. Als ich ihm unser Ziel nannte, bat er darum, sich uns anschließen zu dürfen. Doch er warnte mich davor, ihm nahe zu kommen, denn neben seinen Verwachsungen aus der Kindheit trug er auch den Fluch der Leprakrankheit. Ich sagte, daß er sich uns selbstverständlich anschließen dürfe, da vor Gott alle gleich seien.«

Bruder Buite hielt einen Moment inne.

»Der Zwerg fragte uns, wann wir nach Imleach aufbrechen würden. Als ich sagte, daß wir nach dem Frühstück bereit wären, erwiderte er zufrieden, daß ihm das recht sei, denn er müsse noch etwas anderes erledigen. Als wir dann losgehen wollten, stand er schon im Hof und folgte uns in einigem Abstand. Auf diese Weise gelangten wir nach Imleach.«

»Hat euch dieser Forindain seine Herkunft verraten?« fragte Eadulf. »Hat er euch irgend etwas über sich erzählt?«

Bruder Buite schüttelte den Kopf. »Ich konnte nur feststellen, daß er wohl aus dem Königreich Laigin stammen mußte.«

»Sonst hast du nichts über ihn erfahren?«

»Er hat sich von uns ferngehalten. Immer wenn ihm jemand zu nahe kam, schwenkte er warnend die Glocke. Wir hatten mit uns selbst zu tun und ließen ihn allein hinter uns hertrotten.«

»Was für ein Mensch war der Kleinwüchsige?« wollte Fidelma wissen. »Fröhlich, aus sich herausgehend, traurig, mürrisch, guter Laune, schlechter Laune?«

Bruder Buite zuckte mit den Schultern. »Das ist schwer zu sagen. Er war nicht gerade redselig, soviel steht fest. Und er ließ immer die Kapuze auf dem Kopf. Eigentlich habe ich sein Gesicht nie richtig gesehen. Er hielt sich stets im Schatten auf. Trotz seines ruckartigen Ganges lief er ziemlich zügig. Er hat kurze klobige Hände - kräftige Hände. Oh, das hätte ich fast vergessen. Als er sprach, lispelte er, als wäre seine Zunge zu groß für seinen Mund.«

»Wie kam es, daß dieser Forindain euch verließ?« fragte sie.

»Ich glaubte, daß er zusammen mit uns zur Abtei wollte, schließlich hatte er ja gesagt, daß er auch die Straße nach Imleach nähme. Doch vor der Stadt verabschiedete er sich ohne viel Aufhebens von uns. Ich fragte ihn, wo er denn hin wolle. Er meinte, weiter nach Westen. Also trennten wir uns von ihm an der Kreuzung vor der Stadt. Dort sahen wir ihn zum letztenmal, und damit war er uns auch aus dem Sinn.«

»Und wann war das?«

»Vor genau drei Tagen.«

Fidelma schwieg eine Weile. Sie nickte nur. Dann lächelte sie auf einmal.

»Du hast uns sehr geholfen, Bruder Buite. Ich werde dich und deine Gefährten nicht weiter aufhalten.«

Bruder Buite zögerte. »Glaubst du, dieser Forin-dain hat etwas zu tun mit der Ermordung von Sarait und der Entführung deines ...?« Er stockte.

Fidelmas Stimme war ohne jede Emotion. »Zu glauben bedeutet das, was einem erzählt wurde, als wahr zu betrachten. Es bedeutet, überzeugt zu sein, ohne einen letzten Beweis zu haben. Aber das ist nicht die Aufgabe einer ddlaigh, Bruder Buite aus Magh Ghlas. Zur Wahrheit gelangt man über Fakten und nicht durch bloßes Glauben.«

Bruder Buite errötete ein wenig. Eadulf sagte rasch: »Wir verfolgen jede Spur, ganz gleich wie undeutlich und wenig erfolgversprechend sie sein mag. Dabei hoffen wir immer, auf entscheidende Dinge zu stoßen. Dieser Forindain könnte uns einige Fragen beantworten, das ist alles. Vielen Dank für deine Hilfe.«

Eadulf lächelte Bruder Buite ermutigend an, und der erwiderte sein Lächeln, ehe er von Bruder Madagan hinausgeleitet wurde. Eadulf meinte zu Fidelma: »Nun, zumindest wissen wir jetzt, daß der Zwerg Forindain nicht jene Person ist, die Caol am Tor gesehen hat.«

Fidelma zog fragend eine Augenbraue hoch.

»Wieso?«

»Weil Forindain sprechen konnte, auch wenn Bruder Buite behauptet, daß er lispeln würde. Das Kind, das zur Burg kam, war stumm, wie Caol meint.«

»Und woraus hat Caol das geschlossen?«

Eadulf begriff nicht recht, worauf sie hinaus wollte.

»Das Kind zog eine schriftliche Mitteilung auf Birkenrinde hervor, deshalb nimmt Caol an, daß es stumm sei? Und das sollen wir glauben?« fragte Fidelma. »Daß man etwas glaubt, läßt es nicht zur Tatsache werden, wie ich soeben Bruder Buite erklärt habe.«

Eadulf begriff. »Hast du einen Grund zu vermuten, daß das Kind Caol hinters Licht geführt hat?« erkundigte sich Eadulf.

Sie schüttelte den Kopf. »Falls das Kind oder der Zwerg Teil des Plans waren, Sarait umzubringen oder unser Baby zu entführen, könnte es Caol etwas vorgemacht haben. Doch man sollte ohnehin nie etwas für bare Münze nehmen, ohne es überprüft zu haben. Das ist ein Grundsatz der Brehons.«

»Einer von Brehon Morann?« fragte Eadulf mit spitzer Zunge. »Ich weiß. Nun, damit kommen wir nicht weit. Dieser Aussätzige ist uns über die Straße nach Westen entwischt. Vielleicht ist er die Person, die Sarait die Nachricht überbracht hat, vielleicht auch nicht. Und vielleicht hat er mit dem Mord und der Entführung zu tun, vielleicht auch nicht. Was machen wir als nächstes?«

Aus dem dunklen Raum kam ein trockenes Husten. Sie hatten Bruder Madagan ganz vergessen.

»Wenn ich vielleicht etwas vorschlagen dürfte?« Der Verwalter trat auf sie zu. »Ich glaube, daß ihr als erstes eine Erfrischung zu euch nehmen und dann die Nacht hier verbringen solltet, ehe ihr weiterreitet. Es wird schon dunkel.«

Fidelma lächelte ihn erschöpft an.

»Eine gute Idee, Bruder Madagan. Heute können wir nicht mehr gut nachdenken, wir sind einfach zu müde. Wir werden uns stärken und uns zur Kontemplation zurückziehen.«

Bruder Madagan wandte sich zur Tür um.

»Ich werde euch einen Raum herrichten lassen«, sagte er. »Die Krieger, die euch begleiten, können im Schlafsaal für Gäste übernachten. Wollt ihr euch noch waschen? Bald wird die Glocke zum Abendessen läuten.« An der Tür zögerte er und drehte sich um. »Ich habe zufällig mitbekommen, daß ihr euch für einen Zwerg interessiert.«

»Für einen bestimmten Zwerg«, erwiderte Fidelma kurz. »Warum?«

Bruder Madagan machte eine etwas hilflose Geste.

»Vor ein paar Tagen zog eine Gruppe von druth durch die Stadt, darunter befanden sich auch Kleinwüchsige.«

»Drui?« erkundigte sich Eadulf. Er hatte das Wort nicht richtig verstanden und glaubte, daß der Verwalter Druiden gemeint hatte.

Bruder Madagan schüttelte den Kopf.

»Nein, druth - Narren, Jongleure und Spielmänner. Wandernde Spielleute, die mit Musik, Liedern, Geschichten und akrobatischen Kunststücken das Volk unterhalten.«

»Wann genau sind sie hier aufgetaucht?« wollte Fidelma wissen. »Vor dem Eintreffen der Pilger oder danach?«

»Oh, das war am Tag zuvor, glaube ich. Sie gaben abends eine Vorstellung in der Stadt und sind dann wieder aufgebrochen. Einer unserer Brüder war dort und erzählte mir, daß sie die Geschichte von Bebo und Iubdan gezeigt hätten, in der sie all ihre unterschiedlichen Talente unter Beweis stellen konnten.«

»Mit der Geschichte haben sie eine gute Wahl getroffen«, stimmte ihm Fidelma zu. »Doch die kleinwüchsige Person, die wir suchen, ist nach allem, was wir über sie erfahren haben, ein leprakranker Mönch.«

Bruder Madagan zuckte mit den Schultern. »Es war nur so ein Gedanke. Es hieß, daß sie weiter zum Schiffsberg wollten. Dort ist morgen Jahrmarkt. Das ist nicht weit von hier nach Westen.«

»Ich kenne den Ort. Ein entfernter Cousin von mir ist dort Stammesfürst. Ich danke dir für diesen Hinweis.«

Als sie später in ihrer Unterkunft waren, fragte Ea-dulf: »Was meintest du damit, daß die Geschichte von Bebo und Iubdan eine gute Wahl gewesen sei?«

Fidelma kämmte gerade ihr Haar und hielt inne.

»Es war gut, daß Zwerge diese Geschichte spielten. Das ist ein sehr altes Märchen. Iubdan war der König der Faylinn ...«

»Ich habe schon von vielen Völkern dieses Königreiches gehört, aber von den Faylinn noch nie«, unterbrach Eadulf sie.

»Wir nennen sie das kleine Volk, es sind kleinwüchsige Menschen, die in einer Parallelwelt leben. Die Geschichte ist folgende: Iubdan will nach Emain Macha, der Hauptstadt des Königreiches von Ulaidh reisen. Seine Frau Bebo soll ihn begleiten. Da fällt Iubdan dummerweise in den Haferbrei, der für das Frühstück des Königs von Ulaidh, Fergus mac Léide, zubereitet wurde. Es gelingt ihm nicht, aus der Schüssel herauszukommen, und er wird von Fergus gefangengenommen. Fergus aber verliebt sich in Bebo, die ihn anfleht, ihren Mann freizulassen. Bebo ist sehr hübsch, und so haben sie eine Affäre, während ihr Mann weiterhin eingesperrt bleibt. Bebo und Iubdan müssen ein Jahr und einen Tag lang bei Fergus ausharren, bis er ihnen unter einer Bedingung die Freiheit anbietet. Sie sollen ihm das geben, was Iubdan am meisten schätzt.«

»Was da wäre?« fragte Eadulf.

»Ein Paar Zauberschuhe, mit denen der König genauso leicht über Wasser laufen kann wie über Land.«

»Und haben sie ihre Freiheit wiedererlangt?«

»Ja, nach einem Jahr und einem Tag .«

Fidelmas Stimme brach ab. Nach einem Jahr und einem Tag. Sie fühlte sich unbehaglich, weil sie sofort an ihre Ehe denken mußte. Auch ihre Frist neigte sich dem Ende zu, und sie würde über ihre Zukunft mit Eadulf entscheiden müssen. Doch wie konnte sie unter den gegenwärtigen Umständen überhaupt eine Entscheidung treffen? Sie war ohnehin schon ganz verwirrt, was ihre Beziehung anging, und nun kam noch die Tragödie um Alchu hinzu.

Eadulf merkte nicht, wie melancholisch sie plötzlich war. Er sprach weiter.

»Mir ist aufgefallen, daß man Zwerge hier nicht nur als Narren und Spaßmacher betrachtet. Das ist in anderen Ländern nicht üblich.«

Fidelma riß sich zusammen und kämmte ihre roten Locken weiter. Sie versuchte, sich von ihren düsteren Gedanken zu lösen und sich auf Eadulfs Worte zu konzentrieren.

»Warum sollte man sie nicht als normale Menschen betrachten? Sind sie wirklich so anders? Zwei der alten Götter aus vorchristlichen Zeiten, die Kinder der Danu, waren Zwerge. Luchta war einer der drei großen Handwerker, die kunstvolle Schilde und Speere aus Holz anfertigen. Abcan, dessen Name >kleiner Zwerg< bedeutet, war einer der Dichter der Götter und Göttinnen. Er befuhr in einem eigenartigen metallbeschlagenen Boot den Eas Ruadh, den roten Katarakt, der sich in einem großen Fluß nördlich von hier befindet. Außerdem lebten kleinwüchsige Menschen meist als Poeten und Musiker an den Höfen großer Fürsten. Auch Fionn Mac Cumhail beschäftigte einen kleinwüchsigen Harfenisten, der Cnu Deireoil hieß. Er war sehr schön, hatte goldenes Haar und eine so liebliche Stimme, daß sie einen mit ihrem Gesang in den Schlaf wiegte. Menschen von kleiner Gestalt haben nicht unbedingt auch einen kleinen Verstand.«

Eadulf schwieg eine Weile, ging zum Fenster und blickte auf den dunklen Hof mit dem Kreuzgang. Einer der Brüder der Abtei zündete dort unten die Fackeln an, die in Eisenhaltern an den Mauern angebracht waren. Eadulf schaute zu dem düsteren Himmelsstück über dem Hof auf und seufzte.

»Der Monat von Cet Gaimred« - er benutzte den irischen Namen -, »und die Wolken sind so groß und dunkel, daß wir den ersten Wintermond nicht sehen können.« Auf einmal schüttelte es ihn. »Zu dieser Jahreszeit bin ich nie fröhlich.«

Fidelma blickte zu ihm hinüber.

»Man kann nicht bestreiten, daß die Dinge eine natürliche Ordnung haben. Vor der Wiedergeburt kommt immer eine Periode der Dunkelheit. Deshalb beginnt für uns das Jahr mit der Dunkelheit des Winters. In dieser Zeit können wir ausruhen und uns besinnen, so wie die Natur es macht, ehe sie sich leuchtend wieder neu erhebt zu einem einzigen Wachsen.«

Eadulf drehte sich um und lächelte.

»Ich habe nie begriffen, warum euer Samhain-Fest den Anfang eines neuen Jahres darstellt.«

»Ist es nicht ganz natürlich, zu sitzen, sich auszuruhen und zu meditieren, ehe man aufsteht und aktiv wird? Die Felder ruhen, die Bäume ruhen, die Menschen ruhen sich in ihren Häusern aus und warten auf die ersten Zeichen des Frühlings. So wie ein Baby in dem dunklen Bauch der Mutter ruht und kräftig wird, bis es hinaus in die Welt kann.«

»Du willst doch damit nicht sagen, daß wir nichts als warten sollen, bis der Frühling beginnt.« Eadulf lehnte sich nun gegen das Fenster und fuhr sich mit einer Hand durch das Stirnhaar. »Sollen wir wirklich bis zu dem Fest, das den Zeitpunkt markiert, an dem die Mutterschafe Milch haben, nichts tun? Es gibt Zeiten, wo wir die Meditation meiden und uns diese Ruhe versagen müssen.«

Sobald er diese Worte gesagt hatte, wurde ihm klar, daß sie unangebracht gewesen waren. Es war ihm so vorgekommen, als sei Fidelma zusammengezuckt wie unter Schmerzen. Mit ausgestreckten Händen ging er rasch auf sie zu. Doch sie wich ihm aus und drehte den Kopf zur Seite. Wie angewurzelt blieb er stehen. Da erhob sie sich, wobei sie ihn streifte.

»Du hast recht, Eadulf. Jetzt ist nicht die Zeit zum Nichtstun.«

»Ich wollte nicht ...«

»Gleich wird die Glocke des Refektoriums läuten«, fiel sie ihm ins Wort und überging seinen verletzten und schuldbewußten Blick. »Es ist Zeit, daß wir entscheiden, was wir als nächstes tun werden.«

Eadulf räusperte sich und fragte sich, ob er ihr Verhalten tadeln sollte, doch dann ließ er die Hände sinken und zuckte mit der Schulter.

»Ich denke, daß wir nach Westen weiterreiten sollten in der Hoffnung, den kleinen Leprakranken einzuholen«, sagte Fidelma.

»Das wird das beste sein«, erwiderte Eadulf. »Aber wissen wir wirklich, wohin er wollte? Selbst wenn wir annehmen, daß er der eigenartige Bote für Sarait war. Wie wahrscheinlich ist es, daß wir diesen Forindain finden, wenn wir nur ungefähr seine Wegrichtung kennen? Es ist, als müßten wir eine Nadel im Heuhaufen suchen. Was ist, wenn er nur vorgegeben hat, nach Westen weiterzuziehen, wenn er in Wirklichkeit nach Süden wollte oder nach Norden oder Osten? Es ist schon richtig, daß wir jeder Spur nachgehen müssen, ganz gleich wie vage sie ist. Allerdings könnten wir dabei auch kostbare Zeit vergeuden.«

Fidelma war nachdenklich. »Gibt es eine andere Möglichkeit?«

»Ich glaube, wir sollten uns eingestehen, daß diese Spur recht aussichtslos ist.«

Fidelma zog die Nase kraus. »Zu allem, was wir tun, gibt es eine Alternative. Das Leben wird dadurch bestimmt, daß es immer zwei verschiedene Wege gibt.«

»Was denn noch?« wollte Eadulf wissen. Vielleicht reagierte er ein wenig zu aggressiv, weil er sich verletzt fühlte.

Da läutete die Glocke des Refektoriums und rief die Mönche zum Essen zusammen. Fidelma ging, ohne zu antworten, zur Tür.

»Augenblick mal!« rief Eadulf ihr hinterher.

Fidelma drehte sich zu ihm um, da sie sein wütender Ton überraschte.

»Ich glaube«, sagte Eadulf kühl, »daß du mir sagen solltest, was du vorhast, ehe wir zu den anderen rausgehen. Du solltest es mir sagen, auch wenn du vor mir als deinem Ehemann keinen Respekt hast. Tu es wenigstens, weil ich Alchus Vater bin, der genauso mein Sohn ist wie deiner.«

Fidelma lief rot an. Einen Moment lang sagte sie gar nichts. Eine eigenartige Mischung aus Schuld und Zorn wallte in ihr auf. Doch auf einmal überwog das Schuldgefühl.

Ihr war klargeworden, daß sie einen Fehler gemacht hatte. Sie hatte Eadulfs Zustimmung zu allem, was sie tat, einfach als selbstverständlich vorausgesetzt. Ihre Schuldgefühle hatte sie hinter Arroganz verborgen. Eadulf hatte recht. Hatte sie seine Gutmütigkeit zu sehr ausgenutzt? Sie starrte in sein angespanntes Gesicht. Es kam ihr fremd vor, es war kalt und ungehalten. So beherrscht und distanziert hatte sie ihn noch nie zuvor erlebt.

»Eadulf . «, begann sie, doch mehr vermochte sie nicht zu sagen.

Er wartete einen Augenblick.

»Nun?« fragte er schroff. »Was hast du vor? Verrätst du es mir oder ziehst du es vor, Entscheidungen zu treffen, ohne mich zu informieren? Mach dir nur keine Gedanken. Ich bin schon daran gewöhnt, daß man sich in Cashel hinter meinem Rücken über mich lustig macht, grinst und respektlos mit mir umgeht. Da ist wieder dieser Ausländer! Es ist schon richtig, daß er wie ein Diener behandelt wird, denn er ist der Ehe mit unserer Prinzessin nicht würdig.«

Fidelma starrte ihn erschrocken an.

»Wer sagt das über dich?« fragte sie nach einer Weile.

Eadulf grinste höhnisch.

»Behauptest du, daß du nicht merkst, was in Cashel vor sich geht? Bist du taub, daß du das Getuschel auf den Fluren der Burg deines Bruders nicht hörst? Es ist ganz offensichtlich, daß ich deiner nicht wert bin, und du hast häufig bewiesen, daß du ganz dieser Meinung bist. Man hält mich für ...«

Er fand keine weiteren Worte mehr für die monatelang angestaute Frustration und den Zorn in ihm.

Fidelma stand regungslos da und betrachtete ihn. Auf einmal spürte sie, daß er ein Fremder für sie geworden war. Sie war über seine unterdrückten Gefühle entsetzt. Er starrte sie an. Sein Mund war zusammengepreßt. Er wartete auf ein Zeichen von ihr. Schließlich seufzte sie tief.

»Ich wollte vorschlagen, nach Westen weiterzureiten bis wir nach Cnoc Loinge kommen, zum Schiffsberg. Vielleicht erfahren wir dort mehr über den Zwerg Forindain«, sagte sie leise.

»Einverstanden«, erwiderte Eadulf mit angespannter Stimme.

Er lief rasch an ihr vorbei. Verwirrt blickte sie ihm nach.

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