Kapitel 8

Fidelma und Eadulf ritten zurück nach Cashel, ohne unterwegs viele Worte zu wechseln. Obwohl sie in Cnoc Loinge etwas unbefangener miteinander umgegangen waren, war die Spannung zwischen ihnen geblieben. Fidelma hatte Eadulf nicht verraten wollen, wer in Cashel Kleider trug, wie sie Forindain beschrieben hatte. Doch sie wußte es, und das beunruhigte sie sehr, denn bisher hatte sie diese Person für ihre Freundin gehalten. Im Moment konnte sie sich niemandem anvertrauen, am wenigsten Eadulf. Deshalb hatte sie ziemliche Gewissensbisse wegen ihres Streits in Imleach. Verstohlen blickte sie ihren Gefährten hin und wieder an. Eadulf schien in Gedanken versunken zu sein. Abgesehen davon, daß Fidelma Forindains Beschreibung der Frau am Gasthaus überrascht hatte, steckte ihr der Schreck über die Auseinandersetzung mit Eadulf noch in den Knochen. Vielleicht hatte sie sich geirrt, wenn sie angenommen hatte, daß ihn nichts aus der Ruhe bringen könnte. Schon seit langem war ihr klar, daß sie zu sehr daran gewöhnt war, ihren Kopf und ihre Autorität durchzusetzen. Nicht nur wegen ihrer privilegierten Herkunft, sondern wegen ihrer hart erkämpften Position als ddlaigh. Am meisten hatte sie an Eadulf geschätzt, daß er mit ihren Fehlern zurechtkam. Bisher hatte er ihre manchmal harsche Art und ihre Gefühlsausbrüche einfach hingenommen. Warum war das jetzt nicht mehr so? Das beschäftigte sie derart, daß sie darüber beinahe die Sorge um ihr verschwundenes Kind vergessen hätte.

Plötzlich begriff sie, daß sie in Zukunft ihre Entscheidungen viel rigoroser hinterfragen mußte.

Sie selbst hatte sich nie als Nonne gesehen. Ihre ganze Leidenschaft hatte immer dem Recht gegolten. Ein entfernter Cousin von ihr, Abt Laisran von Dur-row, hatte sie überredet, in das Doppelhaus von St. Brigid in Kildare einzutreten, da im Prinzip sämtliche Angehörige gehobener Berufe und alle Gelehrten Nonnen und Mönche waren, so wie vor einigen Generationen ihre Vorfahren den Druidenorden angehört hatten. Aber schon bald hatte sie gemerkt, daß das Klosterleben nichts für sie war. Als sich schließlich die Äbtissin von Kildare über das Gesetz hinweggesetzt hatte, hatte Fidelma das Ordenshaus verlassen und war nach Cashel zurückgekehrt.

Sie war in erster Linie eine ddlaigh und eine Prinzessin der Eoghanacht und dann erst eine Nonne. Ihre Rolle als Ehefrau und Mutter hätte sie beinahe vergessen, wie sie erschrocken feststellte. Mit ihren Kenntnissen der Heiligen Schrift, der Theologie und der Philosophie konnten viele andere, die sich für den neuen Glauben einsetzten, nicht mithalten. Sie beherrschte Latein und Griechisch fast so gut wie ihre Muttersprache. In der Sprache der Britannier konnte sie sich fließend verständigen. Auch im Sächsischen verfügte sie vor allem dank Eadulf über Grundkenntnisse. Doch ihre ganze Hingabe galt dem Recht. Wenn sie sich hätte entscheiden sollen, sie hätte sich immer für das Recht entschieden.

Doch wie verhielt es sich mit ihrer Aufgabe als Ehefrau und Mutter?

Eadulf war nicht ihre erste Liebe gewesen. Auf ihrer Reise nach Iberien - sie wollte zum Grab des heiligen Jakob pilgern - war sie ihrer ersten Liebe Cian wiederbegegnet. Das Ziel ihrer Pilgerreise hatte sie zwar nicht erreicht, aber sie hatte festgestellt, daß sie ihre Gefühle zu Eadulf nicht einfach abtun konnte. Was ihr Leben als Nonne betraf, so wußte sie nach dieser Reise, daß sie sich, in einem Kloster lebend, nicht weiter für Recht und Gesetz würde engagieren können.

Jetzt mußte sie sich über ihre Rolle als Ehefrau klar werden, auch wenn sie nur eine ben charrthach war. Und sie war eine Mutter. Eine Mutter! Auf einmal begriff sie, wie egoistisch sie war. Sie wußte, daß sie zu Alchu keine tiefe Bindung entwickelt hatte. Die Geburt war sehr schmerzhaft gewesen, und sie hatte ihr Baby zunehmend abgelehnt, weil es sie an die Burg ihres Bruders fesselte und von ihrem Beruf fernhielt. Eadulf ahnte vermutlich, daß sie ihr gemeinsames Kind ablehnte. Das machte sie noch wütender auf ihn.

Eadulf hatte versucht, ihr irgendeinen ungenießbaren Johanniskraut-Trank einzuflößen. Fidelma war nicht dumm. Sie wußte, daß die Ärzte von Éireann Frauen, die nach einer Geburt niedergeschlagen und mutlos waren, Johanniskraut verabreichten.

Nun war ihr Kind entführt worden oder gar schlimmer noch. Und seine Amme war tot. Sie versuchte, ihre Gedanken und Ängste logisch zu analysieren. Andere Frauen mochten sich in dieser Situation die Haare raufen und von Gram gebeugt sein. Fidelma hingegen blieb ruhig und dachte logisch wie immer. Das war ihr besonderes Talent, oder war es gar ein Fluch? Was hatte ihr Mentor, Brehon Morann, einmal gesagt? »Du hast ein Talent zur Logik, Fidelma, besonders wenn es um persönliche Dinge geht. Versuche deine Intuition weiterzuentwickeln, denn manchmal ist die Logik wie ein Dolch ohne Griff. Sie kann einem ins eigene Fleisch schneiden.«

Tief in ihrem Inneren wußte sie, daß sie am liebsten schreien würde, wie jede andere Mutter auch, der man das Baby entrissen hat. Es war ihr Verstand, der sie davon abhielt, und nicht mangelnde Gefühle zu ihrem Kind. Warum sollte sie in dieser Situation auch den Emotionen freien Lauf lassen? Dadurch wäre sie der Klärung des Falls keinen Schritt näher. Später bliebe noch genügend Zeit für Gefühle.

Eine Zeile von Euripides fiel ihr ein: »Der Verstand kann sogar die Angst herausfordern und besiegen.«

Auf einmal entspannte sich ihr Gesicht, und sie seufzte innerlich.

Ja, später war noch genügend Zeit für Gefühle.

Colgu war zu den Toren der Burg gekommen, als sie den Hang zur Burganlage von Cashel hinauf ritten. Finguine, sein Tanist, befand sich an seiner Seite. Auch einem ungeübten Beobachter wäre aufgefallen, daß sie wichtige Neuigkeiten mitzuteilen hatten. Fidelmas Herz schlug schneller.

»Du kommst gerade rechtzeitig, Schwester«, rief Colgu, als sie ihr Pferd zum Stehen brachte.

»Rechtzeitig? Wofür? Was gibt es?« fragte Fidelma und saß rasch ab, wobei sie ihren Bruder besorgt anblickte. »Gibt es Neuigkeiten? Von Alchu?«

»Jawohl«, erwiderte Colgu sofort und legte beruhigend eine Hand auf den Arm seiner Schwester. »Alchu ist am Leben. Soeben erhielten wir ein Erpresserschreiben.«

Fidelma hörte, wie Capa hinter ihr rief: »Hätten wir besser hier gewartet, als uns vergeblich da draußen abzumühen.« Sie drehte sich nicht um, sondern schaute ihren Bruder ängstlich an und versuchte zu ergründen, welche Bedeutung diese neue Nachricht hatte.

»Ein Erpresserschreiben? Wo ist es?«

»In meinen Gemächern.« Er winkte den Dienern zu, den Ankömmlingen die Pferde abzunehmen. Dann ging er mit Fidelma in das Hauptgebäude der Burg. Eadulf und Finguine folgten ihnen. Auch Capa, der zuvor Caol und Gorman zu den Ställen geschickt hatte, schloß sich ihnen an.

»Also ist es doch eine Entführung, oder?« fragte Capa.

»Sieht ganz danach aus«, erwiderte Finguine, der sich kurz umdrehte.

»Was ist das für eine Botschaft? Wie ist sie überbracht worden? Was genau wird gefordert?« Die Fragen stürzten nur so aus Fidelmas Mund.

»Du wirst die Nachricht noch früh genug sehen«, sagte Colgu leise. »Man fand sie an der Tür des hiesigen Gasthofes mit der Anweisung, sie zu mir zur Burg zu bringen. Die Forderungen darin sind ganz simpel. Wie du weißt, haben wir in der Schlacht von Cnoc Äine mehrere Krieger der Ui Fidgente gefangengenommen. Darunter befanden sich drei bedeutende Stammesfürsten, Cousins des ehemaligen Kleinkönigs Eoganan. Sie sind seitdem unsere Geiseln, so konnten wir bisher ihr Volk zwingen, sich friedlich zu verhalten.«

Fidelma runzelte ungeduldig die Stirn. »Und? Was hat das mit Alchu zu tun?«

»Man verlangt ihre Freilassung«, erwiderte Colgu. »Sobald sie freigelassen sind, wird Alchu wohlbehalten zu uns zurückkehren.«

Ein kurzes Schweigen folgte.

»Also ist es wieder eine neue Intrige der Ui Fidgente«, stellte Capa darauf geradezu triumphierend fest.

»Das scheint so zu sein«, erwiderte Finguine.

Colgu führte sie in seine Privatgemächer. Auf dem Tisch lag ein Stück Birkenrinde. Fidelma nahm es in die Hand und besah es sich genau.

»Birkenrinde. Die andere Botschaft, die Forindain zur Burg brachte, war auch auf Birkenrinde geschrieben worden«, flüsterte sie Eadulf zu.

Colgu wollte gerade etwas fragen, schwieg aber lieber. Seine Schwester würde alles zum richtigen Zeitpunkt erklären.

Es war weithin üblich, auf Birkenrinde zu schreiben. Vor langer Zeit hatte man herausgefunden, daß man die weiße Oberschicht der Birkenrinde in dünneren Schichten abziehen konnte und sie, nachdem man sie gepreßt und getrocknet hatte, beschreiben konnte. Fidelma besah sich das Stück Rinde noch einmal genau.

»Es sieht nicht so aus, als sei die Nachricht von einer im Schreiben geübten Hand verfaßt worden. Die Buchstaben wirken kindlich, so als hätte jemand ihm nicht vertraute Zeichen nachgemalt.«

Capa lachte zynisch. »Wer behauptet denn, daß die Ui Fidgente gebildet sind?«

Fidelma überging seine Bemerkung. Eadulf wies darauf hin, daß die Schrift womöglich bewußt in die Irre führen sollte, um die wahre Herkunft der Nachricht zu verschleiern.

»Warum sollte man das tun?« Finguine schien der Gedanke zu erheitern. »Die Herkunft ist doch klar: es ist eine Nachricht im Auftrag der Ui Fidgente. Da läßt sich nichts verschleiern.«

Fidelma legte die Birkenrinde auf den Tisch zurück und blickte in die Runde. »Welchen Beweis haben wir dafür, daß diese Nachricht echt ist?« fragte sie ruhig.

Alle sahen sie überrascht an.

»Du bezweifelst, daß sie echt ist?« fragte Colgu erstaunt.

»Es ist kein Geheimnis, daß mein Kind entführt wurde«, erwiderte Fidelma. »Warum hat man die Forderung erst nach einer Woche gestellt? Es könnte gut sein, daß da jemand nur die Umstände zu seinen Gunsten ausnutzen will.«

Finguine schüttelte den Kopf.

»Würde es um Lösegeld gehen, dann müßte man über so etwas nachdenken. Aber es geht hier um eine politische Forderung. Warum sollte jemand die Freilassung der Fürsten verlangen, wenn er Alchu nicht hätte?«

»Es wäre gefährlich, diese Botschaft für nicht echt zu halten und abzutun«, meldete sich Capa zu Wort. »Das Leben des Kindes steht auf dem Spiel.«

»Ich bin die Mutter des betroffenen Kindes«, fuhr Fidelma wütend dazwischen. Die Andeutung, daß sie sich nicht um Alchu sorgte, brachte sie sehr auf. Entschlossen fügte sie hinzu: »Wir müssen logisch vorgehen.« Bei dem Wort >logisch< durchzuckte sie erneut ihr Schuldgefühl, doch sie sprach weiter und nahm die Birkenrinde wieder in die Hand. »Man verlangt von uns, daß wir drei Stammesfürsten der Ui Fidgente freilassen ... Und zwar vor Ablauf zweier Tage ...«

»Und dann sollen die drei genügend Zeit haben, über die Grenze in das Gebiet der Dal gCais zu gelangen, und erst danach wird Alchu freigegeben werden, nicht eher«, ergänzte Colgu.

»Das ist eigenartig«, bemerkte Eadulf nachdenklich. »Ich schließe mich eher Fidelmas Meinung an, daß wir erst einen Beweis für das Wohlergehen des Kindes haben müssen. Wenn wir jemandem zutrauen, die günstige Gelegenheit auszunutzen, um ein Lösegeld einzustreichen, so müssen wir ihm auch zutrauen, sie für das Durchsetzen einer politischen Forderung auszunutzen. Macht und Geld sind sich als Motiv nicht so unähnlich.«

Fidelma sah anerkennend zu ihm hin.

»Es ist auch riskant zu hoffen, die Ui Fidgente würden sich wirklich an ihren Teil der Abmachung halten«, sagte sie.

»Diesbezüglich stimme ich dir zu«, meinte nun Finguine.

»Meiner Ansicht nach sollten diejenigen, die uns die Nachricht geschickt haben, wer immer sie auch sein mögen, einen Beweis dafür erbringen, daß Alchu wirklich bei ihnen ist, ehe wir ihnen die Stammesfürsten ausliefern.«

Alle Blicke waren nun auf Eadulf gerichtet, der das ruhig und bedacht geäußert hatte.

»Komm schon, wir reden hier über deinen Sohn«, mahnte ihn Capa, dessen hübsches Gesicht rot wurde. »Wir sollten alle Anstrengungen unternehmen, um ihn zu befreien und nach Cashel zurückzubringen.«

Eadulf drehte sich um und sah Capa direkt in die Augen. Langsam und leise sagte er: »Glaubst du etwa, daß mir nicht klar ist, daß es hier um meinen Sohn geht? Ich hoffe, daß alle im Raum Versammelten darin übereinstimmen, daß ich um sein Wohlergehen genauso besorgt bin wie alle anderen.« Fidelma errötete leicht, alle schwiegen betreten. Sie hatte gerade darlegen wollen, daß Eadulf vom Standpunkt des Gesetzes her unrecht hatte. Unter normalen Umständen waren beide Eltern für das Wohlergehen und das Aufziehen eines Kindes verantwortlich. War der Vater ein Ausländer, also nicht dem Volk der Mutter angehörig, so lag die Verantwortung für das Aufwachsen des Kindes ganz bei der Mutter. Doch jetzt kam es auf solche Dinge nicht an. Eadulf sprach weiter: »Wie Fidelma schon sagte, die Nachricht ist kein Beweis dafür, daß der Verfasser wirklich im Besitz des Kindes ist, auch gibt er keine weiteren Garantien für seine Freilassung. Das ist ziemlich eigenartig für so einen Austausch. Ehe wir etwas unternehmen, sollten wir mehr wissen.«

»Du würdest also das Leben deines Sohnes gefährden?« fragte Capa ganz entgeistert. Die anderen murmelten zustimmend. Fidelma hob eine Hand und verlangte Ruhe.

»Eadulf hat völlig recht«, sagte sie mit fester Stimme. »Da taucht auf einmal aus dem Nichts eine Botschaft mit Forderungen auf. Erpresserischen Forderungen, die möglicherweise dieses Königreich in Gefahr bringen, denn jene Fürsten der Ui Fid-gente sind unsere erbitterten Feinde und verwandt mit ihrem Anführer Eoganan, der bei dem Versuch, die Herrschaft über das Königreich meines Bruders an sich zu reißen, ums Leben kam. Wir brauchen einen Beweis dafür, daß Alchu wirklich in ihren Händen ist.«

Finguine hatte wütend den Unterkiefer vorgeschoben.

»Cousine, und wie sollen wir zu dem anonymen Schreiber Kontakt aufnehmen?« fragte er mit sarkastischen Unterton. »Weder Name noch Ort stehen auf dem Stück Birkenrinde. Wohin sollten wir die Antwort schicken?«

»Was du sagst, stimmt schon, Cousin«, erwiderte Fidelma ebenso sarkastisch. »Aber denk doch mal nach. Ich vermute, daß der Verfasser über gute Nachrichtenwege in Cashel und Umgebung verfügt und unsere Antwort bald erhalten wird.«

Colgu verzog nachdenklich den Mund.

»Wir können auf dem Marktplatz bekanntmachen, daß wir einen Beweis dafür verlangen, daß Alchu bei dem Verfasser der Nachricht ist, ehe wir die drei Fürsten freilassen.«

Fidelma nickte.

»Ich würde außerdem vorschlagen, daß man einen Boten mit einer solchen Bekanntmachung zu jedem Gasthaus auf dem Weg bis zur Grenze der Ui Fidgente schickt«, fügte Finguine hinzu. »Und daß man den jetzigen Stammesfürsten der Ui Fidgente von der Sache informiert. Auf diese Weise wird es auch der Erpresser bald erfahren.«

»Doch wie soll er beweisen, daß Alchu bei ihm ist?« Capa runzelte die Stirn. »Was erwartest du?«

»Das ist nicht so schwierig«, antwortete Eadulf sogleich. »Vielleicht schickt er uns ein Stück von seiner Kleidung, etwas, das Alchu trug, als er entführt wurde. Ich bin sicher, daß Fidelma und ich es wiedererkennen würden.«

Er schaute zu Fidelma, die rasch nickte. »Das alles soll sofort geschehen.«

»Wem soll ich befehlen, zum Land der Ui Fidgente zu reiten?« fragte Capa bedrückt.

»Vielleicht erklärst du dich selbst dazu bereit?« sagte Finguine mit zynischem Unterton und lächelte. Fidelma spürte förmlich, daß die beiden Männer einander nicht mochten.

Der gutaussehende Anführer der Leibgarde schien beleidigt zu sein. »Ich bin Befehlshaber der königlichen Leibgarde und kein techtaire - kein Bote. Außerdem befehlige ich die Nasc Niadh, die Elitetruppe der Könige von Cashel.«

Finguine setzte ein breites Lächeln auf. »Ich sehe ein, daß es bei den Ui Fidgente für dich zu gefährlich werden könnte!«

Colgu schüttelte mißbilligend den Kopf.

»Ihr beide wißt, daß ein Bote besonderen Schutz genießt. Auch von den ärgsten Feinden wird ein tech-taire mit äußerstem Respekt behandelt. So lautet nicht nur das Gesetz, sondern es ist eine Frage der Ehre, daß einem Boten freies Geleit durch feindliches Gebiet garantiert ist. Capa, da du Befehlshaber der Leibgarde bist, beauftrage ich dich mit dieser Aufgabe. Ich werde Cerball bitten, mehrere Abschriften unserer Forderung anzufertigen, die du mitnehmen wirst. Sorge dafür, daß sie am Gasthaus hier in der Stadt und an allen Gasthäusern auf dem Weg bis zum Land der Ui Fidgente angebracht werden.« Er sah seine Schwester an, die zustimmend nickte.

Capa war ganz offensichtlich über den Befehl nicht sehr erbaut. Er nahm wohl an, daß die Dienste eines techtaire unter seiner Würde waren. Aber er schwieg und verneigte sich, wenn auch widerwillig, vor seinem König, wie es der Gehorsam verlangte.

»Ich bin mir sicher, daß wir auf diese Weise den Erpresser finden«, sagte Fidelma zufrieden. »Bald werden wir wissen, ob die Botschaft, die wir erhalten haben, echt ist oder nur eine List war, um unsere Feinde freizubekommen.«

»Ich werde Cerball herbitten«, bot Finguine an.

Colgu hieß ihn gehen und sprach an Capa gewandt: »Während wir darauf warten, daß Cerball unsere Bekanntmachung vervielfältigt, solltest du, Capa, meine Standarte holen, die du als techtaire tragen wirst. Sie befindet sich in dem Raum am Ende des Korridors, wo die Gemächer meiner Schwester liegen.«

Fidelma und Eadulf blieben noch einen Moment bei Colgu und informierten ihn über das, was sie auf ihrer Reise nach Imleach und Cnoc Loinge erfahren hatten. Dann machten sie sich auf den Weg zu ihren Räumen. Als sie den Kreuzgang entlangliefen, blieb Eadulf auf einmal an einem Gewölbebogen stehen und blickte in den Innenhof. Fidelma schaute über seine Schulter.

»Man hat uns nicht mitgeteilt, daß er wieder zurück in Cashel ist«, sagte Eadulf leise.

Ihr Blick war auf die große, hagere Gestalt eines Klerikers gerichtet, der sich mit einem älteren Mönch unterhielt.

»Bischof Petran«, sagte Fidelma. »Du kannst ihn nicht besonders leiden, oder?«

Eadulf nickte. »Ich weiß noch, was dein Bruder bezüglich der Feinde im Innern gesagt hat. Glaubst du, daß Petran oder seine Anhänger in der Lage wären, jemanden zu entführen?«

»Er ist auch nur ein Mensch. Ist einer erst einmal vom Fanatismus so durchdrungen wie vom Glauben, dann ist er zu allem fähig, Eadulf«, erklärte sie. »Doch ich bezweifle, daß Petran eine Verschwörung angezettelt hat, um die Fürsten der Ui Fidgente freizubekommen. Dem Königshaus der Eoghanacht stand er immer loyal gegenüber, den Dal gCais nicht. Mein Bruder sagte doch, er hätte sich erst kürzlich auf eine Reise zu den westlichen Inseln begeben. Er kann unmöglich schon wieder von dort zurück sein. Wieso ist er jetzt in Cashel?«

Als hätte er ihre Frage gehört, drehte sich Bischof Petran um und entdeckte die beiden. Er sagte etwas zu seinem Begleiter, dann lief er über den Hof auf sie zu.

»Gott sei mit dir, Fidelma, und mit dir, Bruder Eadulf«, begrüßte er sie in einem Tonfall, in dem man wohl die Sterbesakramente erteilte.

Angewidert kniff Eadulf die Augen zusammen, Fidelma jedoch entgegnete förmlich: »Gott und Maria mögen dich geleiten, Bischof Petran. Was führt dich so schnell wieder nach Cashel zurück? Man sagte mir, daß du erst vor kurzem zu den westlichen Inseln aufgebrochen seist.«

Der Bischof schniefte abschätzig.

»Etwas Unerwartetes ist geschehen, und so brach ich meine Reise in der Abtei von Colman an der Küste ab. Ich bin erst gar nicht an Bord eines Schiffes gegangen.«

»Ich hoffe, es ist nichts Ernstes?«

Der Bischof schüttelte den Kopf. Offenbar hielt er es nicht für notwendig, weitere Erklärungen abzugeben. Er räusperte sich.

»Ich habe soeben von eurer Tragödie erfahren. Mein ... mein Beileid. Ich werde eine Messe für den Seelenfrieden der armen Sarait abhalten, die immer eine sehr folgsame Tochter des Glaubens gewesen ist ...« Wieder zögerte er. »Und ich werde für die Rückkehr deines Kindes beten.«

Eadulfs lachte bitter auf.

»Du wirst für unseren Sohn Alchu beten?« fragte er und betonte das Wort >unseren<. »Meine Frau wird das sehr zu schätzen wissen.«

Bischof Petran wirkte ein wenig verunsichert.

»Als Diener des Glaubens ist das keine bloße Geste, sondern meine Pflicht.«

»Ich dachte, du würdest unseren Sohn ablehnen? Du lehnst ja auch unsere Verbindung ab«, erklärte Eadulf ein wenig spöttisch. Fidelma wollte ihm einen warnenden Blick zuwerfen, doch er schaute sie nicht an.

Bischof Petrans blasse Wangen röteten sich leicht.

»Ich habe so meine Ansichten, Eadulf von Seax-mund’s Ham«, erwiderte er gereizt. »Trotzdem kann ich mir doch Sorgen um das Wohlergehen des Sohnes der Schwester meines jetzigen Königs machen.«

»Oder auch meines Sohnes?« fuhr ihn Eadulf barsch an. »Du überraschst mich. Ich dachte, du verachtest alle eheähnlichen Verbindungen unter Mönchen und Nonnen, da sie vom Bösen genährt werden, insbesondere wenn es Verbindungen von Frauen deines Landes mit Männern meines Landes sind.«

Fidelma trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Eadulfs verbaler Angriff auf den alten Bischof hatte ihr die Sprache verschlagen. Wieder einmal war sie verblüfft, ja beunruhigt über diese neue Seite in Eadulfs Wesen.

»Eadulf, jetzt ist nicht die Zeit für theologische Streitgespräche«, ermahnte sie ihn. »Wir sollten dem Bischof für seinen geistlichen Beistand danken.«

Verächtlich schnaubte Eadulf.

»Ich habe von deiner Wertschätzung gesprochen. Ich jedoch bedanke mich nicht für etwas, was eine ganz natürliche Reaktion ist. Petran und ich wissen nur zu gut, daß unsere Ansichten oftmals unversöhnlich sind. Ich muß daher feststellen, daß ich seine Worte für scheinheilig und unaufrichtig halte.«

Bischof Petran trat mit weit aufgerissenen Augen einen Schritt zurück. Er war so aufgebracht, daß er tiefrot anlief.

»Ich weiß nicht, wie dein Volk mit seinen Bischöfen umgeht, Sachse«, sagte er kalt. »Aber ich weiß, daß dein Volk vor ungefähr einer Generation noch nichts vom neuen Glauben gehört hatte, ganz zu schweigen von Bischöfen, die das Volk leiten. Mein Volk brachte dem deinen den Glauben, vielleicht befindest du dich ja immer noch im Prozeß des Lernens. In diesem Land werden Bischöfe respektvoll behandelt.«

Eadulfs Augen sprühten geradezu Funken. Auch sein Gesicht glühte vor Wut.

»Respekt ist etwas, was sich ein Sachse, ob er nun Bischof oder König ist, erst verdienen muß. Man hat nicht einfach ein Anrecht darauf. Ich habe genug Zeit in Rom und Gallien verbracht, um zu wissen, daß du eine sehr engstirnige Auslegung des neuen Glaubens vertrittst. Ich habe Rom auf der großen Synode in Whitby unterstützt. Nicht einmal der Bischof von Rom, der Vater unseres Glaubens, predigt oder vertritt die Ansichten, die du lehrst.«

Bischof Petran lächelte zwar, aber ganz ohne jede Herzlichkeit.

»Ich schätze, daß du dich auf meine Ansichten über den Zölibat beziehst, der meiner Meinung nach der einzig wahre Weg zu Gott ist, oder?« fragte er. »In diesem Fall sollte ich dich daran erinnern, was der große Gregor von Rom einmal sagte, nämlich daß jegliche sexuelle Begierde an sich Sünde ist.«

Eadulf lachte kurz auf.

»Damit meint er wohl, daß jeder sexuellen Begierde das Böse innewohnt. Doch wie kann das sein? Hat nicht Gott Mann und Frau erschaffen, damit sie sich fortpflanzen? Behauptest du, daß Gott etwas geschaffen hat, das grundsätzlich böse ist? Etwas, das sündig ist?«

Bischof Petrans Miene verdüsterte sich.

»Ich stelle die Worte eines bedeutenden Heiligen nicht in Frage. Ein Wort Gregors des Großen ist Gottes unfehlbares Wort. Er kann nicht angezweifelt werden.«

»Dann verdammst du wohl den großen Abt und Missionar Columbanus, der sich über ihn hinweggesetzt hat?« erwiderte Eadulf. »Columbanus hielt sich an die kirchlichen Bräuche und Lehren der fünf Königreiche von Éireann. Als er von Gregor angegriffen wurde, verteidigte er in seiner Schrift diese Lehren. Meinst du also, daß sich der Glaube solchen Debatten und Auseinandersetzungen verschließen sollte?«

»Columbanus war ein Mann aus Laigin, der sich besser mit seinem Amt als Abt von Bangor im nördlichen Königreich hätte zufriedengeben sollen. Sein Stolz in der Debatte mit Gregor war sündig«, entgeg-nete Bischof Petran wütend.

Eadulf schüttelte traurig den Kopf. »Deine Ansichten sind voller Vorurteile. Das klingt, als seist du bigott.«

Bischof Petran verzog den Mund zu einem häßlichen Grinsen. »Heraklit schreibt, daß Bigotterie eine heilige Krankheit ist.«

»Und daß Vorurteile die Kinder der Ignoranz sind«, konterte Eadulf.

»Und Aristoteles erklärte, daß einige Leute sich der Wahrheit ihrer Ansichten so sicher sind wie andere überzeugt sind von dem, was sie wissen«, griff nun Fidelma mit erhobener Stimme ein und versuchte, die Auseinandersetzung zu schlichten.

»Als ich nach Rom reiste«, sprach Eadulf weiter, ohne auf sie einzugehen, »da erfuhr ich, daß auch das Volk von Christus selbst in Judäa glaubte, daß die Ehe das markanteste Sinnbild der Beziehung Gottes zu seinem Volk ist, daß Ehe und Familie im Zentrum des Lebens stehen und daß der Zölibat keine religiöse Begründung hat. Nur sehr wenige Bischöfe von Rom haben bisher behauptet, daß der einzige Weg zu Gott im Zölibat liege.«

Bischof Petrans Blick wurde noch finsterer.

»Der Glaube, die Bischofskongregation, akzeptiert mehr und mehr den Standpunkt, daß man größere Hingabe an Gott und den Sieg über das Böse in der Welt nur durch ein enthaltsames Leben erlangt. Diejenigen Mönche und Nonnen, die das erreichen, bekommen im Jenseits einen Platz, den man sonst nur durch ein großes Martyrium erhält.«

»Ich habe weder die Absicht, ein Martyrium zu erleiden noch enthaltsam zu leben«, erklärte Eadulf. »Nirgendwo steht geschrieben, Gott oder Christus hätten festgelegt, daß jene, die dem Glauben folgen, das normale Leben aufgeben müssen. Auch diejenigen, die vor wenigen Jahrhunderten damit begannen, sexuelle Abstinenz zu üben, als sei das eine Berufung, taten es mit der Überzeugung, daß es nur für die kurze Übergangszeit bis zum Kommen des Königreiches Christi sein sollte.«

Der Bischof schüttelte aufgebracht den Kopf.

»Ich habe meinen Glauben, Sachse. Ich weiß, daß ich recht habe. Ich will nur die Wahrheit verteidigen.« Plötzlich streckte er seine zu Fäusten geballten Hände vor. »Und in diesen Händen halte ich die Wahrheit fest und beschütze sie.«

»Dein Griff könnte sie umbringen, Petran«, warf Fidelma leise ein. »Gestehen wir vorerst jedem von euch seine Wahrheit zu. Es liegen wichtigere Dinge an. Petran, vielen Dank für deine Gebete und deine guten Wünsche.«

Mit einem bedeutungsvollen Blick zu Eadulf drehte sie sich um und ging los. Nach kurzem Zögern schloß sich Eadulf ihr an.

»Was fällt dir ein, Bischof Petran auf so unverschämte Weise anzugreifen?« zischte sie ihn an, als sie sich wieder auf dem Gang zu ihren Gemächern befanden. Da bemerkten sie einen Schatten an ihrer Tür. Es war Gorman, der Krieger.

»Suchst du uns, Gorman?« fragte Fidelma.

Der Krieger wirkte verlegen.

»Nein, Lady. Ich suche Capa. Er wollte die Standarte des Königs holen. Ich glaube, der König wartet auf ihn.«

Fidelma zeigte weiter den Flur entlang.

»Der Raum des techtaire, der Wappenraum mit den Standarten, liegt am Ende dieses Ganges. Die Tür zu deiner Linken. Dort sollte Capa sein.«

»Vielen Dank, Lady«, murmelte der Krieger und hob zum Gruß die Hand, ehe er sich in Bewegung setzte.

Eadulf öffnete ihre Tür und ließ Fidelma eintreten. Er war immer noch ganz aufgewühlt wegen des Streits.

»Dieser Heuchler!« brummte er. »Wenn er hinter der Entführung von Alchu steckt, soll er wissen, daß ich seine Falschheit durchschaue.«

»Wenn er wirklich dahinterstecken sollte, so weiß er jetzt, wie sehr du ihn verabscheust«, tadelte ihn Fidelma verärgert.

Eine Magd trat ein und legte Holz im Kamin nach. Rasch stand sie wieder auf und verneigte sich vor Fidelma. »Ich habe gerade hier saubergemacht. Brauchst du sonst noch etwas, Lady Fidelma?« fragte sie.

»Einen Krug Wein«, rief Eadulf, ehe Fidelma etwas erwidern konnte.

Die Magd sah Fidelma an. Die machte eine Geste, die das Mädchen als Zustimmung deutete. Als sie verschwunden war, ließ sich Eadulf auf den Stuhl vor dem Feuer fallen und starrte trübsinnig in die Flammen.

»Manchmal würde ich viel darum geben, ein solches Leben zu führen, wie es Bischof Petran verteidigt«, murmelte er.

Fidelma starrte ihn erstaunt an.

»Eadulf, was meinst du damit? Ich muß gestehen, manchmal begreife ich deine Gedankengänge nicht.«

»Bischof Petran glaubt an die wörtliche Auslegung der Heiligen Schrift, wie alle wissen - dann meint er doch sicher, daß wir uns an die Briefe des Paulus halten sollten, oder?« erwiderte Eadulf düster. »Die an die Gemeinde von Ephesus zum Beispiel, in denen es heißt, daß Frauen dem Manne wie Unserem Herrn untertan sein sollen, >denn der Mann ist des Weibes Haupt, gleichwie auch Christus das Haupt der Ge-meinde, die er als seinen Leib erlöst hat. Aber wie nun die Gemeinde ist Christus Untertan, so seien es auch die Frauen ihren Männern in allen Dingen ...< Doch die Gesetze deines Landes scheinen die Heilige Schrift zu leugnen. Hier sind die Frauen nicht ihren Männern untertan, sondern eher andersherum.«

Fidelma zog wütend die Augenbrauen zusammen.

»Du kannst manchmal wirklich gefühllos sein, Eadulf. In diesem Hause ist keine Frau jemandem untertan, und niemand ist ihr Herr. Und kein Mann ist seiner Frau untertan.«

Eadulf lachte höhnisch.

»Außer wenn sich eine Frau einen Fremden zum Manne nimmt. Dann wird er von seiner Frau und ihrer Familie gerade so geduldet, ohne Rechte zu haben, ja selbst ohne daß man ihm Respekt entgegenbringt. Ich kann nicht einmal eine Dienerin bitten, mir Wein zu bringen, ohne daß sie um deine Zustimmung ersucht.«

Fidelma errötete ein wenig. Da war etwas Wahres dran. Doch so verhielten sich die Leute hier nun einmal. Wenn man über lange Zeit unter solchen Umständen lebte, wurde man offenbar so aggressiv.

»Eadulf, so hast du noch nie mit mir gesprochen«, sagte sie abwehrend.

»Vielleicht bin ich immer zu unterwürfig gewesen. Ja, es ist sicher mein größter Fehler, daß ich nicht schon früher etwas gesagt habe.«

»Das glaubst du doch nicht wirklich, Eadulf. Ich kenne dich zu gut, als daß ich mit vorstellen kann, daß du, was Paulus von Tarsus zu Beginn des ersten Jahrhunderts über die Gehorsamspflicht der Frau gegenüber dem Mann sagte, wortwörtlich nimmst.«

Eadulfs Trotz wich plötzlich einer Traurigkeit.

»Fidelma, ich bin ein Sachse und kein Éireannach. Man hat mich gelehrt, daß meine Vorfahren der Lende Wotans entstammen, daß niemand so groß wie wir ist und kein anderer Sachse so bedeutend ist wie die Sachsen des Südvolks. Ganze Völker erzittern vor unserem Wort. Wir stammen vom Geschlecht Wegdaegs ab, dem Sohn Wotans, und von Uffa, der die Britannier aus dem Land gejagt hat, das wir dann in Besitz nahmen!«

Fidelma blickte ihn erstaunt an. Von sächsischen Fürsten und Kriegern hatte sie schon solch verherrlichende Reden über ihr Volk gehört, doch nie zuvor aus Eadulfs Mund. Sie wußte nicht, was sie darauf antworten sollte.

Eadulf sah sie mit verzweifeltem Blick an.

»Ich will damit sagen, daß ich, durchdrungen von einem solchen Geist, immer versucht habe, das Kleid der Nächstenliebe und Brüderlichkeit anzulegen, die das Kennzeichen des christlichen Glaubens sind. Als ich gerade das Mannesalter erreicht hatte, war Fursa, ein Wandermönch aus deinem Volk, mein Lehrer. Ich bin zwar nicht mit dem christlichen Glauben großgeworden, aber ich habe an meinem zwanzigsten Geburtstag den alten Göttern des Südvolks abgeschworen. Ich war nach der Erbfolge gerefa, Friedensrichter des Thans von Seaxmund’s Ham. Ich bin stolz, Fidelma. Ich habe Selbstachtung. Ich besitze die ganze Eitelkeit, die meinem Volk eigen ist. Es ist manchmal schwer für mich zu begreifen, daß ich hier lebe. Ich bin ein Fremder in einem fremden Land.«

Fidelma hörte an seiner Stimme, daß er wirklich litt.

»Ich dachte, du magst mein Land«, sagte sie.

»So ist es auch, sonst hätte ich kaum so lange hier aushalten können. Ich kam her, um die Grundsätze des christlichen Glaubens zu studieren, lange bevor ich dich traf. Doch ich konnte mich nie gänzlich von meiner Heimat und meiner Kultur lösen. Vor allem während des letzten Jahres bin ich oft daran erinnert worden, was mir fehlt.«

»Im letzten Jahr? Seit wir verheiratet sind? Seit der kleine Alchu geboren ist?«

Eadulf hob verlegen die Arme.

»Willst du in deine Heimat zurückkehren?«

»Ich weiß nicht. Ich denke schon.«

»Dort könnte ich nie und nimmer auf Dauer sein, Eadulf. Deshalb habe ich stets versucht, unsere Beziehung mit Abstand zu leben.«

»Ich weiß.«

Sie zögerte, dann ging sie einen Schritt auf ihn zu.

»Eadulf ...«, fing sie an.

Da klopfte es an der Tür, und die Magd kehrte mit einem Krug gallischen Weins und Bechern aus Ton zurück. Nun war alle Intimität dahin.

»Möchtest du, daß ich weiter saubermache, Lady Fidelma?« fragte die Frau. »Ich hatte gerade erst damit begonnen, als ihr eintratet.«

Fidelma schüttelte den Kopf. Sie wandte sich zur Seite, da erblickte sie ein Kleidungsstück, das aus einer kleinen Holztruhe herausragte. Die Truhe stand neben Alchus Kinderbett. Sie zitterte leicht und wollte nicht zu nah herantreten.

»Räum das richtig fort, ehe du gehst«, meinte sie zur Dienerin. »Ich mag es nicht, wenn es unaufgeräumt ist. Wenn du diese Gemächer schon säuberst, so sorge dafür, daß alles richtig fortgeräumt ist.«

Die Dienerin wollte etwas sagen, zuckte dann aber nur mit den Achseln und befolgte die Anweisung. Als sie den Raum verlassen hatte, herrschte Schweigen.

Eadulf schenkte sich reichlich Wein ein. Seine Bewegungen verrieten, daß er immer noch wütend war.

Fidelma sprach nun wohlüberlegt und gefaßt.

»Eadulf, wir beide sind emotional sehr aufgewühlt und unsicher. Wir befinden uns mitten in einer Krise. Wenn wir sie überstehen wollen, muß Friede zwischen uns herrschen.«

Eadulf schaute sie an. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Er zuckte mit der Schulter.

»Ich kann so nicht weitermachen, Fidelma«, sagte er schlicht. »Als wir noch nicht miteinander verheiratet waren, habe ich jene Antipathie nicht gespürt, die mir jetzt von den Menschen, die dich umgeben, entgegengebracht wird. Ich kann es nicht ertragen, wie dein Tun und deine ganze Art mir gegenüber diese Feindseligkeit zu entschuldigen scheinen.«

Fidelma dachte eine Weile nach, ehe sie antwortete.

»Meinen Charakter kann ich nicht ändern. Eine Weile habe ich den Entschluß über die Gefühle, die wir füreinander hegten, hinausgezögert, wie du wohl weißt. Ich wußte, wenn du hier mit mir in Cashel leben würdest, würde man dich vor unserem Gesetz wie einen Ausländer behandeln, wie einen landlosen Ausländer mit begrenzten Rechten. Es gibt Entscheidungen, die ich vor unserem Gesetz treffen darf und du nicht.«

»Dein Gesetz ist nicht das meine, Fidelma. Da gibt es noch viel zu bedenken, was die Zukunft betrifft.«

»Herrscht zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem Alchu wieder bei uns ist, Friede zwischen uns?« fragte sie leise.

Eadulf dachte einen Moment nach.

»So soll Friede sein«, verkündete er schließlich. »Sobald Alchu wieder sicher bei uns ist und die Schuldigen gefunden sind, werden wir weiterreden. Absit invidia«, fügte er hinzu. »Böse Absichten mögen fern sein.«

Fidelma lächelte traurig. »Mox nox in rem«, entgeg-nete sie ernst. »Die Sache mag eine Weile ruhen.«

»Was können wir tun, bis uns die Entführer ein Zeichen von Alchu geben?«

»Ich muß einige Nachforschungen anstellen über einen gewissen grünen Seidenumhang, erinnerst du dich?« fragte Fidelma. »Und das werde ich jetzt tun.« Eadulf wollte sie begleiten, doch sie schüttelte rasch den Kopf. »Diesmal werde ich allein gehen. Es handelt sich um etwas rein Persönliches.«

Eadulf war besorgt. »Wo willst du hin? Ich sollte es wissen, falls dir außerhalb dieser Mauern Gefahr droht.«

»Ich glaube nicht, daß es für mich gefährlich wird, Eadulf. Sonst würde ich es dir sagen. In diese Sache kann ich niemanden einweihen, falls ich einen Fehler machen sollte. Aber ich kann dir versichern: ich werde mich nicht außerhalb der Stadtmauern aufhalten und ich werde bald zurück sein.«

Eadulf wollte sich nicht damit zufriedengeben.

»Ich schwöre dir, Eadulf«, fuhr sie fort, »sobald ich zurück bin, werden wir etwas essen, und ich werde dir berichten, wo mich mein Verdacht hingeführt hat.«

Eadulf wußte, daß er das so akzeptieren mußte.

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