Clifford D. Simak Die Kolonie der Kobolde

Kapitel 1

Inspektor Drayton saß wie festgewachsen hinter seinem Schreibtisch und wartete. Er war ein grobknochiger Mann mit einem Gesicht, das aussah, als habe es jemand mit einer stumpfen Axt aus einem knorrigen Stück Holz gehauen. Seine Augen waren glashart, und manchmal spürte man ein Glitzern in ihnen. Er war wütend und erregt. Aber Peter Maxwell wußte, daß ein Mann wie er niemals seinem Ärger nachgeben würde. Denn hinter dem Ärger lag eine Verbissenheit, die vollkommen gefühlsunabhängig weiterbohren würde.

Und das, sagte sich Maxwell, war genau die Situation, vor der er Angst gehabt hatte. Obwohl, wie man jetzt sah, von Anfang an nicht viel Hoffnung gewesen war. Er hatte natürlich gewußt, daß sein Nichterscheinen am vorgesehenen Zielort — sechs Wochen war das nun her — auf der Erde einige Bestürzung ausgelöst haben mußte; der Gedanke, daß er sich ungesehen einschmuggeln konnte, war unrealistisch gewesen. Und nun saß er da, dem Mann am Schreibtisch gegenüber, und mußte sachte vorgehen.

Er sagte zu dem Mann am Schreibtisch: »Ich verstehe nicht recht, weshalb sich der Geheimdienst mit meiner Rückkehr zur Erde befaßt. Mein Name ist Peter Maxwell, und ich gehöre der Fakultät für Übernatürliche Phänomene im Wisconsin Campus an. Sie haben meine Papiere gesehen …«

»Ihre Identität ist einwandfrei«, sagte Drayton. »Einwandfrei, wenn auch verwirrend. Ich möchte etwas anderes wissen. Professor Maxwell, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn Sie mir genau erzählen, wo Sie waren?«

»Da gibt es leider nicht viel zu erzählen«, meinte Peter Maxwell. »Ich war auf einem Planeten, aber ich kenne weder seinen Namen noch seine Koordinaten. Er kann ein Lichtjahr entfernt sein oder sich jenseits unserer Galaxis befinden.«

»Jedenfalls kamen Sie nicht an dem Ort an, der auf Ihrer Fahrkarte angegeben war.«

»Allerdings«, sagte Maxwell.

»Können Sie erklären, was geschehen ist?«

»Ich kann es nur vermuten. Ich dachte, daß vielleicht mein Wellenschema abgelenkt wurde, vielleicht aufgefangen und abgelenkt. Anfangs hielt ich es für ein Versagen des Transmitters, aber das scheint unmöglich. Die Transmitter sind nun schon seit Jahrhunderten in Betrieb. Man muß doch annehmen, daß inzwischen alle Schwächen korrigiert wurden.«

»Sie glauben, daß Sie entführt wurden?«

»Wenn Sie es so ausdrücken wollen.«

»Und dennoch wollen Sie mir nichts verraten?«

»Ich habe Ihnen doch erklärt, daß ich nichts weiß.«

»Könnte der Planet etwas mit den Rollenfüßlern zu tun haben?«

Maxwell schüttelte den Kopf. »Sicher bin ich natürlich nicht, aber ich glaube es nicht. Zumindest sah ich keinen einzigen Vertreter dieser Rasse. Es gab keinerlei Hinweis, daß sie etwas damit zu tun hatten.«

»Professor Maxwell, haben Sie je einen Rollenfüßler gesehen?«

»Einmal, vor ein paar Jahren. In der Zeit-Fakultät war mal einer für einen Monat. Ich konnte ihn damals kurz beobachten.«

»Sie würden also einen Rollenfüßler erkennen?«

»Ganz bestimmt«, versicherte Maxwell.

»Ich hörte, daß Sie auf einen Planeten des Coonskin-Systems wollten?«

»Es ging das Gerücht von einem Drachen um«, erklärte ihm Maxwell. »Ohne nähere Beweise. Aber ich fand, daß die Sache eine Untersuchung wert sein könnte …«

Drayton zog eine Augenbraue hoch. »Ein Drache?«

»Es ist wohl für jemand außerhalb meines Fachgebietes schwer, die Bedeutung eines Drachen zu erkennen«, erklärte Maxwell. »Es ist jedoch Tatsache, daß es nicht den geringsten Beweis für die Existenz eines solchen Wesens gibt — weder in der Gegenwart, noch in der Vergangenheit. Und das trotz des Faktums, daß die Drachenlegende fest in der Folklore der Erde und einiger anderer Planeten verankert ist. Gute und böse Feen, Kobolde, Trolle — die haben wir alle aufgespürt, aber keinen Drachen. Das Komische daran ist, daß die Legende hier auf der Erde nicht nur menschlichen Ursprungs ist. Auch das Kleine Volk kennt Drachenlegenden. Ich denke manchmal, daß wir sie von ihnen übernommen haben. Die Legende natürlich nur. Es gibt keinen Beweis …«

»Ich habe gehört, daß die Drachenlegende vielleicht der Erinnerung unserer Vorfahren an den Dinosaurier entspringt.«

»Das habe ich auch gehört«, meinte Maxwell, »aber es scheint unmöglich. Die Dinosaurier waren längst ausgestorben, als sich die Menschheit zu entwickeln begann.«

»Und das Kleine Volk …«

»Vielleicht«, sagte Maxwell, »aber ich glaube es nicht. Ich kenne das Kleine Volk und habe mich mit einigen davon über das Thema unterhalten. Sie sind eine alte Rasse, gewiß sehr viel älter als wir Menschen, aber es gibt keinen Hinweis, daß ihre Ursprünge so weit zurückreichen. Wenn ja, dann haben sie zumindest keine Erinnerung mehr daran. Und ich könnte mir vorstellen, daß sich ihre Legenden und Volkssagen ohne weiteres über ein paar Millionen Jahre erhalten. Sie sind zwar nicht unsterblich, aber doch sehr langlebig, und die mündliche Überlieferung hält sich bestimmt lange.«

Drayton beendete mit einer Handbewegung das Thema der Drachen. »Sie machten sich auf den Weg nach Coonskin«, sagte er. »Aber Sie kamen nicht an.«

»Das stimmt. Da war dieser andere Planet. Ein überdachter Kristallplanet.«

»Kristall?«

»Irgendeine Steinart. Vielleicht Quarz. Allerdings weiß ich es nicht bestimmt. Es hätte auch Metall sein können. Ich sah nämlich auch Metall.«

Drayton fragte aalglatt: »Als Sie aufbrachen, hatten Sie keine Ahnung, daß Sie auf diesem Planeten landen würden?«

»Wenn Sie an eine abgekartete Sache denken, sind Sie auf dem Holzweg. Ich hatte tatsächlich keine Ahnung. Aber Sie offenbar schon. Denn Sie haben mich hier erwartet.«

»Es ist schon zweimal geschehen«, sagte Drayton.

»Dann wissen Sie vermutlich über den Planeten Bescheid.«

»Nein«, erwiderte Drayton. »Nur, daß irgendwo da draußen ein Planet ist, der einen nichtregistrierten Transmitter hat und ein nichteingetragenes Signal benutzt. Als der Beamte hier an der Wisconsin-Station das Signal auffing, daß ein Mann nach hierher unterwegs sei, gab er das Besetzt-Zeichen und verständigte mich.«

»Die anderen beiden?«

»Wurden auch hierher geleitet. Zur Wisconsin-Station.«

»Aber, wenn sie zurückkamen …«

»Das ist es ja«, sagte Drayton. »Sie kamen nicht zurück. Oh, vielleicht ist das falsch ausgedrückt, denn sie kamen zurück, aber wir konnten nicht mit ihnen sprechen. Das Wellenschema war fehlerhaft. Sie wurden falsch zusammengesetzt. Beide gehörten einer fremden Rasse an, doch ihre Glieder waren so durcheinandergewürfelt, daß wir nur raten konnten, woher sie stammten. Sicher sind wir bis heute nicht.«

»Tot?«

»Tot? Ja, natürlich. Eine scheußliche Angelegenheit. Sie hatten Glück.«

Maxwell unterdrückte mühsam ein Schaudern. »Das kann man wohl sagen.«

»Man möchte doch annehmen, daß jemand, der einen Transmitter benutzt, weiß, wie er damit umgehen muß«, sagte Drayton. »Wir haben keine Ahnung, wie viele sie zu sich geholt haben und in welchem Zustand sie drüben angekommen sind.«

»Aber das würden Sie doch erfahren«, entgegnete Maxwell. »Jede Station würde sich sofort melden, wenn ein Reisender nicht an seinem Ziel ankäme.«

»Das ist ja das Sonderbare«, erklärte ihm Drayton. »Wir haben keine Verluste. Wir sind ziemlich sicher, daß die beiden Fremden, die tot hierherkamen, dorthin gelangten, wo sie wollten, denn es wurden keine Vermißtenanzeigen aufgegeben.«

»Aber ich machte mich auf den Weg nach Coonskin. Sicher kam ein Bericht …«

Dann unterbrach er sich. Ein Gedanke hatte ihn wie ein Blitz durchzuckt.

Drayton nickte langsam. »Ich dachte mir, daß das kommen würde. Peter Maxwell erreichte das Coonskin-System und kam vor etwa einem Monat auf die Erde zurück.«

»Das muß ein Irrtum sein«, protestierte Maxwell schwach.

Denn es war undenkbar, daß es zwei Peter Maxwells geben sollte, die sich in allen Einzelheiten glichen.

»Kein Irrtum«, sagte Drayton. »Wir haben herausgebracht, daß der Planet das Schema nicht ablenkt, sondern kopiert.«

»Dann gibt es zwei Personen meines Namens. Das ist doch nicht …«

»Nicht mehr«, unterbrach ihn Drayton. »Sie sind der einzige. Etwa eine Woche nach seiner Rückkehr erlitt der andere einen Unfall. Peter Maxwell ist tot.«

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