Kapitel 14

»Ich fahre Sie zum Hintereingang«, sagte der Chauffeur. »An der Fronttür befindet sich ein ganzes Rudel Reporter. Sie werden später verschwinden, aber im Moment sind sie nicht abzuschütteln. Miß Clayton dachte, daß Sie ihnen vielleicht nicht begegnen wollen.«

»Danke«, erwiderte Maxwell. »Das ist sehr rücksichtsvoll.«

Nancy hatte wieder einmal die Organisation übernommen. Sie betrachtete es als ihr Vorrecht, andere Leute zu dirigieren.

Ihr Haus stand auf dem niedrigen Hügel am Westende des Sees. Zur Linken schimmerte das Wasser sanft im ersten Mondschein. Die Vorderfront des Hauses war strahlend erleuchtet, doch hier hinten war alles dunkel.

Das Auto bog von der Straße ab und fuhr langsam die kleine Anfahrt hinauf. Eichen säumten den Weg. Ein aufgeschreckter Vogel flatterte mit schnellen Flügelschlägen über die Straße. Zwei Hunde rannten bellend auf das Auto zu.

Der Fahrer lachte. »Wenn Sie zu Fuß gingen, würden die Biester Sie in Stücke reißen.«

»Aber weshalb?« fragte Maxwell. »Weshalb muß sich Nancy plötzlich von scharfen Hunden bewachen lassen?«

»Nicht Miß Clayton«, sagte der Fahrer. »Es ist ein anderer.«

Die Frage lag Maxwell schon auf den Lippen, aber er unterdrückte sie.

Der Fahrer blieb vor einer offenen Säulenhalle stehen. »Gehen Sie einfach hinein«, sagte er. »Sie brauchen nicht zu klopfen. Den Gang geradeaus, vorbei an der Wendeltreppe. Die Party findet vorn statt.«

Maxwell öffnete die Tür, doch dann zögerte er.

»Sie brauchen die Hunde nicht zu fürchten«, sagte der Fahrer. »Sie erkennen den Wagen. Jeder, der ihn verläßt, ist sicher.«

Die Hunde waren tatsächlich nirgends zu sehen, und Maxwell ging schnell die drei Stufen zur Hintertür hinauf.

Der Korridor war dunkel. Ein wenig Licht fiel durch den Treppenschacht ein — im zweiten Stock brannten anscheinend die Lichter. Aber das war alles. Er konnte nirgends einen Schalter entdecken. Von der Vorderfront des Hauses drang unterdrückter Lärm zu ihm.

Er stand einen Moment lang da, und als seine Augen sich an das Dunkel gewöhnten, konnte er erkennen, daß der Korridor am Treppenschacht vorbei ins Innere des Hauses führte. Wahrscheinlich befand sich weiter vorn eine Tür oder ein Knick im Korridor, der zu den Partyräumen führte.

Es war sonderbar, dachte er. Wenn Nancy dem Fahrer den Auftrag gegeben hatte, ihn an die Hintertür zu bringen, dann hätte sie doch jemanden herschicken können, der ihn abholte. Zumindest hätte sie das Licht anschalten können.

Sonderbar und unangenehm, daß er sich seinen Weg durch das Haus suchen mußte. Einen Moment lang dachte er schon daran, umzukehren, doch dann fielen ihm die Hunde ein. Sie warteten vermutlich draußen.

Die ganze Sache sah Nancy nicht ähnlich. Irgend etwas stimmte nicht.

Er ging vorsichtig den Korridor entlang und achtete darauf, daß er nicht unvermittelt an einen Tisch oder Stuhl stieß. Als er an der Treppe vorbei war, wurde die Dunkelheit noch stärker.

Jemand fragte: »Professor Maxwell? Sind Sie es, Professor?«

Maxwell blieb abrupt stehen und rührte sich nicht mehr. Eine Gänsehaut kroch ihm über den Rücken.

»Professor Maxwell«, sagte die Stimme. »Ich weiß, daß Sie da draußen sind.«

Es war keine echte Stimme. Maxwell hätte schwören mögen, daß er keinen Laut gehört hatte, und doch hatte er die Worte verstanden — sie waren nicht in seine Ohren, sondern direkt ins Gehirn eingedrungen.

Er spürte, wie die Angst in ihm hochstieg, und er wollte sie niederkämpfen, doch es gelang ihm nicht. Als er zum Sprechen ansetzte, brachte er kein Wort hervor. Er schluckte. Die Stimme sagte:

»Ich habe hier auf Sie gewartet, Professor. Ich will mich mit Ihnen besprechen. Es liegt ebenso in Ihrem wie in meinem Interesse.«

»Wo sind Sie?« fragte Maxwell.

»Hinter der Tür zu Ihrer Linken.«

»Ich sehe keine Tür.«

Die Vernunft drängte Maxwell zur Flucht. Verschwinde, sagte sie ihm. Sieh zu, daß du von hier fortkommst.

Aber er ging nicht. Er brachte es nicht fertig. Wohin sollte er auch fliehen? An der Hintertür warteten die Hunde. Hier im dunklen Korridor kannte er sich nicht aus und stieß wahrscheinlich gegen den erstbesten Gegenstand. Er hatte keine Lust, die Gäste der Party hierherzuholen, damit sie einen angstschwitzenden und aufgelösten Maxwell betrachten konnten.

Wenn es nur eine normale Stimme gewesen wäre, irgendeine Stimme, dann hätte er keine solche Furcht empfunden — aber es waren sonderbar klanglose Worte, die etwas Mechanisches, Unfertiges an sich hatten. Es war keine menschliche Stimme, das wußte Maxwell. In dem Raum hinter der Tür befand sich ein Fremder.

»Die Tür ist aber da«, sagte die klanglose, harte Stimme. »Treten Sie ein wenig nach links und drücken Sie gegen die Mauer.«

Die ganze Sache wurde lächerlich. Entweder er ging jetzt durch die Tür, oder er lief weg. Er hätte ganz einfach weitergehen können, aber er wußte, daß er zu rennen anfangen würde, sobald er an der Tür vorbei war, nicht weil er rennen wollte, sondern weil ihn die Furcht dazu zwang.

Er fand die Tür und drückte dagegen. Das Zimmer war dunkel, aber von einer Laterne im Hof drang schwaches Licht durch die Fenster und fiel auf ein rundliches Geschöpf, das im Mittelpunkt des Zimmers stand. Der Bauch phosphoreszierte leicht, und in seinem Innern wimmelte es von wurmartigen Insekten.

»Ja«, sagte das Geschöpf. »Ganz recht. Ich gehöre zu den Wesen, die hier Rollenfüßler genannt werden. Für meinen Besuch hier habe ich mir einen Namen gegeben, der leicht zu merken ist. Sie können mich als Mister Marmaduke anreden. Natürlich ist das nicht mein Name. Keiner von uns hat einen Namen. Das ist unnötig. Wir haben andere persönliche Merkmale.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Mister Marmaduke«, sagte Maxwell sehr langsam. Seine Lippen waren steif wie sein übriger Körper.

»Die Freude ist auf meiner Seite, Professor.«

»Woher kannten Sie mich?« fragte Maxwell. »Sie schienen nicht im geringsten zu zweifeln. Selbstverständlich wußten Sie, daß ich den Korridor entlangkommen würde.«

»Selbstverständlich«, entgegnete der Rollenfüßler.

Jetzt konnte Maxwell das Geschöpf etwas genauer sehen: den aufgetriebenen Körper, der von zwei Rädern gestützt wurde, der Sack, in dem die Würmer schwammen.

»Sie sind Nancys Gast?« fragte er.

»Ja, gewiß«, sagte Mister Marmaduke. »Bei dieser Party sogar der Ehrengast, wenn ich mich nicht täusche.«

»Dann sollten Sie sich vielleicht unter die anderen Gäste mischen.«

»Ich schützte Müdigkeit vor«, sagte Mister Marmaduke. »Eine Ausflucht, wie ich gestehen muß, denn ich bin nie müde. So kam ich also hierher …«

»Um auf mich zu warten?«

»Ganz richtig.«

Nancy, dachte Maxwell. Nein, Nancy hatte nichts damit zu tun, das wußte er sicher. Sie hatte ein Spatzenhirn und kümmerte sich nur um ihre ewigen Parties. Zu einer Intrige dieser Art war sie unfähig.

»Ich möchte mit Ihnen eine Sache besprechen, die für uns beide gewinnbringend sein kann«, sagte Mister Marmaduke. »Sie suchen, soviel ich weiß, einen Käufer für ein umfangreiches Angebot. Ich könnte Interesse für dieses Angebot haben.«

Maxwell trat einen Schritt zurück und legte sich eine Antwort zurecht. Aber er brachte kein Wort heraus.

»Sie schweigen«, sagte Mister Marmaduke. »Ich bin also in meiner Annahme nicht fehlgegangen. Sie sind zweifellos der Vermittler des Geschäfts.«

»Ja«, sagte Maxwell. »Ja, ich bin der Vermittler.« Er wußte, daß es keinen Sinn hatte, es abzuleugnen. Irgendwie hatte das Geschöpf hier von dem anderen Planeten und seinem Wissensschatz erfahren. Möglicherweise kannte es auch den Preis. Maxwell kam die Idee, daß das Angebot für das Ding vielleicht von Mister Marmaduke kam.

»Also gut«, fuhr der Rollenfüßler fort, »dann kommen wir gleich zum Geschäft. Wir müssen uns über den Preis und Ihre Vermittlergebühr einigen.«

»Ich fürchte, das ist im Augenblick unmöglich«, sagte Maxwell. »Ich kenne die Verkaufsbedingungen nicht. Sehen Sie, ich sollte zuerst einen potentiellen Käufer finden und dann …«

»Das ist keine Schwierigkeit«, sagte Mister Marmaduke. »Ich habe das Wissen, das Ihnen fehlt. Ich kenne die Bedingungen.«

»Und Sie können den Preis zahlen?«

»Selbstverständlich. Es wird nur eine Weile dauern. Gewisse Verhandlungen müssen noch zu Ende geführt werden. Sobald das geschehen ist, können wir das Geschäft ohne große Umstände abschließen. Offen steht lediglich der Preis, den Sie als Vermittlungsgebühr verlangen.«

»Ich könnte mir vorstellen, daß Sie gut zahlen«, sagte Maxwell trocken.

»Wir hatten die Absicht, Sie zum — sollen wir es Bibliothekar nennen? — zum Bibliothekar des Kaufgegenstandes zu machen. Es sind die verschiedensten Dinge auszuarbeiten und zu gliedern. Für Arbeiten dieser Art brauchen wir ein Geschöpf wie Sie, und ich kann mir denken, daß Ihnen die Tätigkeit Freude bereiten wird. Und das Gehalt … Professor Maxwell, wir bitten Sie, das Gehalt und die Anstellungsbedingungen zu nennen.«

»Ich müßte darüber nachdenken.«

»Tun Sie das«, ermunterte ihn Mister Marmaduke. »In einer Besprechung wie dieser ist Nachdenken angebracht. Sie werden sehen, daß wir sehr großzügig sind.«

»Das habe ich nicht gemeint«, entgegnete Maxwell. »Ich muß über das Geschäft nachdenken. Ich weiß noch nicht, ob ich den Verkauf für Sie arrangieren kann.«

»Sie zweifeln vielleicht, ob wir des Handelsgegenstandes würdig sind?«

»Das könnte sein.«

»Professor Maxwell«, sagte der Rollenfüßler, »es wäre ratsam, die Zweifel beiseite zu legen. Es ist am besten, wenn Sie überhaupt nicht an uns zweifeln. Denn wir sind zum Äußersten entschlossen, das zu erwerben, was Sie anzubieten haben. Es ist also günstig, wenn Sie das Geschäft mit uns machen.«

»Ob ich will oder nicht?« fragte Maxwell.

»Ich hätte es nicht so kraß ausgedrückt. Aber Ihre Feststellung ist korrekt.«

»Glauben Sie wirklich, daß Sie es sich leisten können, so mit mir zu reden?« erkundigte sich Maxwell.

»Sie kennen unsere Position nicht«, meinte der Rollenfüßler. »Ihr Wissen reicht nur bis zu einer bestimmten Grenze im Raum. Sie haben keine Ahnung, was dahinter liegt.«

Es lag etwas in den Worten oder noch mehr im Tonfall, das Maxwell erschauern ließ. Es war, als habe einen Moment lang aus einem unbekannten Teil des Universums ein scharfer, kalter Wind durch das Zimmer geblasen.

Ihr Wissen reicht nur bis zu einer bestimmten Grenze im Raum, hatte Mister Marmaduke gesagt. Und was lag dahinter? Das konnte natürlich niemand wissen. Es stand nur fest, daß jenseits des Gebietes, in das der Mensch vorgedrungen war, die Rollenfüßler ihr Reich aufgeschlagen hatten. Und über die Grenze sickerten immer wieder Horrorgeschichten — Geschichten, wie sie an jeder Grenze entstehen, wo man sich Gedanken über den unbekannten Nachbarn macht.

Es bestand wenig Verbindung zu den Rollenfüßlern, und man wußte fast nichts von ihnen — und das war schon an sich schlecht. Es gab kein Händereichen, keine Gesten des guten Willens, weder von den Rollenfüßlern noch von den Menschen und ihren Verbündeten. Die Grenze da draußen im Raum war eine düstere Linie, die von keiner Seite überquert wurde.

»Ich könnte besser zu einer Entscheidung gelangen, wenn Sie mein Wissen erweitern — wenn ich mehr über Ihr Volk erfahre«, sagte Maxwell.

»Sie wissen, daß wir Würmer sind«, sagte Mister Marmaduke, und seine Worte trieften geradezu vor Verachtung. »Sie sind intolerant …«

»Nicht intolerant«, sagte Maxwell wütend, »und wir betrachten Sie nicht als Würmer. Wir wissen, daß sich in Ihrem Innern, das, was wir eine Kolonie nennen, befindet. Wir wissen, daß jeder von Ihnen eine Kolonie darstellt, die sich aus insektenähnlichen Tieren zusammensetzt. Das unterscheidet Sie selbstverständlich von uns, aber nicht stärker als viele andere Geschöpfe von fremden Planeten. Ich liebe das Wort ›intolerant‹ nicht, Mister Marmaduke, weil es in sich schließt, daß Grund zur Toleranz vorhanden wäre — und so etwas gibt es nicht. Kein Volk darf auf das andere herabsehen.«

Er merkte, daß er vor Wut zitterte, und er wunderte sich, daß er sich über ein einziges Wort so erregen konnte. Bei dem Gedanken, daß der Rollenfüßler den Wissensschatz des Kristallplaneten kaufen wollte, war er ganz ruhig geblieben, und nun fuhr er mit einemmal auf. Vielleicht, sagte er sich vor, weil bei dem engen Nebeneinanderleben so vieler verschiedener Rassen Ausdrücke wie Toleranz und Intoleranz geradezu Schimpfwörter darstellten.

»Ihre Worte sind gut und erfreulich«, sagte Mister Marmaduke. »Und vielleicht sind Sie nicht intolerant …«

»Selbst wenn es so etwas wie Intoleranz gäbe«, erklärte Maxwell, »kann ich nicht verstehen, weshalb Sie darüber so verärgert sind. Intoleranz schadet nicht dem, gegen den sie gerichtet ist, sondern dem, der sie zeigt. Sie verrät nicht nur schlechte Manieren, sondern einen Mangel an Wissen. Es gibt nichts Dümmeres als Intoleranz.«

»Aber weshalb zögern Sie, wenn nicht aus Intoleranz?« fragte Mister Marmaduke.

»Ich müßte wissen, wie Sie den Verhandlungsgegenstand verwenden wollen und was Sie mit ihm bezwecken. Ich müßte sehr viel mehr über Ihre Wesensart erfahren.«

»Damit Sie abwägen können?«

»Ich weiß nicht«, sagte Maxwell bitter. »Wie kann man eine solche Situation abwägen?«

»Wir reden zuviel«, stellte der Rollenfüßler fest. »Und das Reden ist sinnlos. Ich nehme an, daß Sie den Handel nicht mit uns machen wollen.«

»Im Moment nicht«, sagte Maxwell.

»Dann müssen wir einen anderen Weg suchen«, erklärte Mister Marmaduke. »Durch Ihre Weigerung verursachen Sie uns eine Menge Schwierigkeiten, ganz zu schweigen von dem Zeitverlust, und Sie werden das zu spüren bekommen.«

»Ich glaube, ich werde es überstehen«, meinte Maxwell.

»Man hat gewisse Vorteile, wenn man auf der Seite des Siegers steht«, warnte ihn Mister Marmaduke.

Etwas Großes jagte wie der Blitz an Maxwell vorbei, und aus dem Augenwinkel sah er weißblitzende Fänge und einen braunen, langgestreckten Körper.

»Nein, Sylvester!« schrie Maxwell. »Laß ihn, Sylvester!«

Mister Marmaduke bewegte sich schnell. Seine Räder wirbelten und zogen einen Halbkreis, um Sylvester auszuweichen. Dann jagte der Rollenfüßler auf die Tür zu. Sylvesters Klauen kratzten über den Boden, als er sich abfing und von neuem auf Mister Marmaduke losstürzte. Maxwell sah, daß der Rollenfüßler auf ihn zukam, und warf sich zur Seite. Eines der Räder erwischte ihn jedoch noch an der Schulter, und er stürzte hart. Mister Marmaduke rollte wie der Blitz durch den Korridor, und Sylvester folgte ihm mit langgestreckten Sätzen.

»Nein, Sylvester!« rief Maxwell. Er rappelte sich hoch und lief durch den Korridor.

Vor ihm rollte Mister Marmaduke, dicht gefolgt von Sylvester. Maxwell verschwendete seine Luft nicht mehr, um die Katze zurückzurufen, sondern rannte schweigend hinter den beiden drein.

Am Ende des Korridors schwang Mister Marmaduke weich nach links, und Sylvester, der ihn fast eingeholt hatte, verlor kostbare Sekunden, weil er die Kurve übersehen hatte. Maxwell war gewarnt, und er kam glatt um die Biegung. Vor ihm war ein beleuchteter Gang, der zu einer kurzen Marmortreppe führte und hinter der Treppe standen die Besucher von Nancys Party in kleinen Gruppen da und plauderten.

Mister Marmaduke rollte sehr schnell auf die Treppe zu. Sylvester hatte noch drei Sprünge bis zu ihm.

Maxwell wollte eine Warnung ausstoßen, aber er hatte nicht mehr genügend Luft, und die Ereignisse überstürzten sich ohnehin.

Der Rollenfüßler hatte die oberste Treppenstufe erreicht, und Maxwell warf sich mit ausgestreckten Armen nach vorn. Er landete auf dem Tiger und schlang ihm die Arme um den Hals. Sie stürzten beide zu Boden, und während sie ihre Glieder zu entwirren versuchten, sah Maxwell aus dem Augenwinkel, wie der Rollenfüßler auf der zweiten Treppenstufe nach vorn kippte.

Und dann kreischten verängstigte Frauen los, und die Männer stießen erstaunte Rufe aus. Glas klirrte. Maxwell dachte grimmig, daß Nancys Party diesmal noch ausgefallener als sonst zu werden versprach. Er saß mit dem Rücken an der Wand da, und Sylvester leckte ihm das Gesicht.

»Sylvester«, sagte er, »diesmal hast du’s geschafft. Wir sind wirklich in Schwierigkeiten.«

Sylvester leckte weiter, und ein tiefes Schnurren kam aus seiner Brust.

Maxwell schob die Katze weg und richtete sich auf.

Unterhalb der Treppe lag Mister Marmaduke auf der Seite und die beiden Räder kreiselten wie wild. Eines davon schien zu eiern.

Carol rannte die Stufen nach oben und blieb vor Maxwell und Sylvester stehen. Sie stemmte die Hände in die Hüften und sah auf sie herunter.

»Ihr beide!« rief sie wütend.

»Es tut uns leid«, erklärte Maxwell.

»Den Ehrengast!« Sie weinte fast. »Ihr jagt den Ehrengast wie einen Hasen durch die Gänge!«

»Offensichtlich haben wir ihm nicht sehr wehgetan«, stellte Maxwell fest. »Ich merke, daß ihm nichts fehlt. Es hätte mich nicht überrascht, wenn sein Bauch geplatzt wäre und die Würmer auf dem Boden herumkriechen würden.«

»Was wird Nancy sagen?« fragte Carol anklagend.

»Eigentlich müßte sie entzückt sein«, erwiderte Maxwell. »Ich glaube, der Wirbel, den wir veranstaltet haben, ist der größte seit damals, als der feueratmende Amphibier aus dem Nessel-System den Christbaum in Brand setzte.«

»Das erfinden Sie nur«, sagte Carol. »Ich glaube kein Wort davon.«

»Drei Finger aufs Herz«, erklärte Maxwell. »Ich war dabei. Ich habe sogar beim Feuerlöschen geholfen.«

Am Ende der Treppe hatten ein paar Gäste sich um Mister Marmaduke gekümmert und ihn wieder aufgerichtet. Kleine Robotdiener schwirrten umher und sammelten die Glasscherben auf, während andere die Cocktailpfützen wischten.

Maxwell erhob sich, und Sylvester rieb sich schnurrend an seinen Beinen.

Nancy war aufgetaucht und sprach mit Mister Marmaduke. Ein großer Gästekreis sammelte sich und hörte zu.

»Wenn ich Sie wäre, würde ich jetzt heimlich verschwinden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man Sie herzlich empfangen wird.«

»Im Gegenteil«, sagte Maxwell. »Ich werde hier immer herzlich empfangen.«

Er ging die Treppe hinunter, und Sylvester schritt hocherhobenen Hauptes neben ihm. Nancy drehte sich um und sah ihn, drängte sich durch den Kreis der Gäste und kam ihm entgegen.

»Pete!« rief sie. »Dann stimmt es also wirklich! Du bist wieder da!«

»Aber natürlich«, sagte Maxwell.

»Ich sah es in den Zeitungen, aber ich wollte es nicht so recht glauben. Ich dachte, es sei eine Falschmeldung oder so etwas.«

»Aber weshalb hast du mich dann eingeladen?«

»Dich eingeladen?«

Sie erlaubte sich keinen Scherz mit ihm. Das konnte er deutlich sehen.

»Du willst damit sagen, daß du diese Garnele nicht geschickt hast …?«

»Garnele?«

»Nun ja, ein Geschöpf, das wie eine überdimensionale Garnele aussah.«

Sie schüttelte den Kopf, und während Maxwell ihre Züge beobachtete, stellte er mit einem leichten Schock fest, daß sie alt wurde. In den Augenwinkeln sammelten sich kleine Fältchen, die auch durch Kosmetika nicht mehr zu verdecken waren.

»Ein Geschöpf, das wie eine Garnele aussah«, wiederholte er. »Sagte, daß es Botengänge für dich machte. Es lud mich in deinem Auftrag zur Party ein und versprach, daß mich ein Wagen abholen würde. Es brachte mir sogar Kleider, weil …«

»Pete«, unterbrach ihn Nancy, »bitte, glaub mir doch. Nichts davon habe ich getan. Ich habe dich nicht eingeladen, aber ich bin natürlich froh, daß du da bist.«

Sie kam näher und legte eine Hand auf seinen Arm. Ihr Gesicht verzog sich zu einem Kichern. »Und ich möchte wissen, was es zwischen dir und Mister Marmaduke gegeben hat.«

»Der Zwischenfall tut mir schrecklich leid«, sagte Maxwell.

»Gar nicht nötig. Er ist natürlich mein Gast, und man soll mit seinen Gästen rücksichtsvoll sein, aber er ist eine schreckliche Person. Pete, im Grunde ist er nichts anderes als ein langweiliger Snob und ein …«

»Nicht jetzt«, warnte Maxwell leise.

Mister Marmaduke hatte sich aus dem Kreis der Gäste gelöst und rollte jetzt auf sie zu. Nancy sah ihn an.

»Ist wieder alles in Ordnung?« fragte sie. »Haben Sie sich auch nicht verletzt?«

»Nein, nein«, beruhigte Mister Marmaduke sie. Er rollte dicht an Maxwell heran, und ein Arm kam plötzlich aus seinem Körper — ein seilartiger, beweglicher Arm, der Ähnlichkeit mit einem Tentakel hatte und mit drei klauenartigen Fingern versehen war. Der Arm legte sich um Maxwells Schulter. Bei dem Druck wollte Maxwell instinktiv zurückweichen, doch er zwang sich, stillzuhalten.

»Ich danke Ihnen, Sir«, sagte Mister Marmaduke. »Ich werde Ihnen das nicht vergessen. Sie haben mir vermutlich das Leben gerettet. Noch im Fallen sah ich, wie Sie sich auf die Bestie warfen. Das war heldenhaft.«

An Maxwells Beine geschmiegt, hob Sylvester den Kopf und entblößte die Fänge zu einem lautlosen Knurren.

»Er hätte Sie nicht verletzt, Sir«, sagte Carol. »Er ist sanft wie ein Kätzchen. Wenn Sie nicht davongelaufen wären, hätte er Sie in Ruhe gelassen. Er bildete sich wahrscheinlich ein, daß Sie mit ihm spielen wollten. Sylvester spielt so gerne.«

Sylvester gähnte und zeigte ausgiebig sein Gebiß.

»Diese Spiele sind nicht nach meinem Geschmack«, erklärte Mister Marmaduke.

»Als ich Sie fallen sah, dachte ich einen Moment lang, Sie würden platzen«, sagte Maxwell.

»Oh, keine Furcht«, erwiderte Mister Marmaduke. »Ich bin äußerst geschmeidig. Mein Körper besteht aus einem großartigen Material. Es ist stark und elastisch.«

Er nahm den Arm von Maxwells Schulter und ringelte ihn wie ein öliges Tau ein. Mit einem leisen Schnalzen verschwand das Ding in seinem Körper. Man konnte nicht sehen, an welcher Stelle der Arm eingezogen worden war.

»Entschuldigen Sie mich bitte«, sagte Mister Marmaduke. »Ich habe mich mit jemand verabredet.« Er rollte herum und verschwand aus dem Saal.

Nancy schüttelte sich. »Er verursacht mir eine Gänsehaut«, sagte sie. »Aber ich muß zugeben, daß er eine Attraktion ist. Nicht jede Gastgeberin kann einen Rollenfüßler vorweisen. Dir kann ich es ja sagen, Pete, ich mußte ziemlich viele Hebel in Bewegung setzen, um ihn als Hausgast zu bekommen. Und jetzt wollte ich, daß ich es nicht getan hätte. Er hat so etwas Glitschiges an sich.«

»Weißt du, weshalb er hier ist — auf der Erde, meine ich?«

»Nein. Ich habe den Eindruck, daß er ein Tourist ist. Allerdings kann man sich diese Kerle nicht als Touristen vorstellen.«

»Da hast du wohl recht«, sagte Maxwell.

»Pete, jetzt erzähle aber von dir. In den Zeitungen steht …«

Er grinste. »Ich weiß. Daß ich von den Toten zurückkam.«

»Aber das stimmt doch nicht, oder? Ich weiß, daß es unmöglich ist. Wer war denn der Mann, den wir begraben hatten? Du mußt wissen, wir waren alle bei der Beerdigung, und keiner kam auf den Gedanken, daß ein Fremder im Sarg liegen könnte. Was kann …«

»Nancy«, unterbrach er sie. »Ich bin erst gestern zurückgekommen. Ich erfuhr, daß ich tot war und daß man meine Wohnung vermietet hatte. Ich habe keine Stelle mehr und …«

»Es ist unglaublich«, sagte Nancy. »Solche Dinge dürfen doch nicht passieren. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es zugegangen ist.«

»Ich weiß es selbst noch nicht genau«, erklärte Maxwell. »Vielleicht erfahre ich später mehr darüber.«

»Jedenfalls bist du jetzt hier, und alles ist in Ordnung, und wenn du nicht davon sprechen willst, lasse ich das unsere Gäste wissen.«

»Das ist sehr nett von dir«, sagte Maxwell. »Aber es würde nicht viel nützen.«

»Wegen Reportern brauchst du keine Angst zu haben«, versicherte ihm Nancy. »Früher lud ich immer einige ein, die ich für sicher hielt. Aber man kann keinem von ihnen trauen. Das habe ich inzwischen gelernt. Keine Sorge also.«

»Ich habe gehört, daß du ein neues Gemälde besitzt.«

»Ah, das weißt du also schon. Komm, sieh es dir an. Das tollste Stück meiner Sammlung. Stell dir vor, ein Lambert! Und einer, der verschollen war! Ich erzähle dir später, wie er gefunden wurde, aber ich wage es nicht, dir den Preis zu nennen. Er ist eine Schande.«

»Hoch oder niedrig?«

»Hoch«, sagte Nancy. »Und dabei muß man so vorsichtig sein. Man wird ja oft genug hereingelegt. Ich sagte keinen Ton, daß ich das Bild kaufen wollte, bis es ein Experte untersucht hatte. Eigentlich waren es zwei, denn ich wollte ganz sichergehen.«

»Und es besteht kein Zweifel daran, daß es ein Lambert ist?«

»Überhaupt kein Zweifel. Ich war selbst schon ziemlich sicher. So wie Lambert malt kein anderer. Aber es hätte ja sein können, daß ihn jemand kopiert hatte — daher die Vorsicht.«

»Was weißt du über Lambert?« fragte Maxwell. »Mehr als wir? Etwas, das nicht in den Büchern steht?«

»Nein. Eigentlich fast nichts. Wenigstens nicht über den Mann selbst. Weshalb fragst du?«

»Weil du so aufgeregt bist.«

»Also, hör mal! Findest du es nicht aufregend, wenn man einen unbekannten Lambert entdeckt? Ich habe schon zwei Gemälde von ihm, aber das hier ist etwas Besonderes, weil es verschollen war. Das heißt, verschollen ist eigentlich nicht das richtige Wort. Es war einfach unbekannt. Nirgends existiert eine Aufzeichnung davon. Wenigstens jetzt nicht mehr. Und es ist eine seiner sogenannten Grotesken. Man kann sich kaum vorstellen, daß so etwas verlorengehen konnte. Bei den frühen Bildern wäre es verständlich, aber so …«

Sie gingen durch den Raum, vorbei an den Gästegruppen.

»Hier ist es«, sagte Nancy.

Sie schoben sich durch die Menge, die das Bild umstand. Maxwell hielt den Kopf schräg, um es besser betrachten zu können.

Es unterschied sich ein wenig von den Farbtafeln, die er am Vormittag in der Bibliothek durchgesehen hatte. Das konnte natürlich von der Größe des Bildes und der Lebhaftigkeit der Farben kommen, die auf den Drucken nicht so zur Geltung gebracht wurden. Doch das war es nicht allein. Die Landschaft war anders, ebenso die Geschöpfe. Eine Landschaft, die eigentlich an die Erde erinnerte — graue Berge, eine bräunliche Buschvegetation, dichte Farnbäume. Eine Gruppe von Gnomen bahnte sich einen Weg über einen fernen Berg; ein koboldhaftes Geschöpf saß gegen einen Baumstamm gelehnt. Es schlief und hatte einen Hut ins Gesicht gezogen. Dazu andere Wesen — grausig, furchterregend, mit obszönen Leibern und Gesichtern, die einem das Blut in den Adern gefrieren ließen.

Auf dem Gipfel eines entfernten, abgeflachten Berges, um dessen Fuß sich eine Menge Gnomen scharten, zeichnete sich ein kleiner schwarzer Fleck gegen den grauen Himmel ab.

Maxwell sog erregt die Luft ein, trat einen Schritt näher und blieb dann steif stehen, aus Angst, er könnte sich verraten.

Es schien unmöglich, daß keiner der anderen es bemerkt hatte. Nun, vielleicht hatte es jemand gesehen, aber nicht für erwähnenswert gehalten. Vielleicht hatten die anderen auch gezweifelt.

Aber für Maxwell konnte es keinen Zweifel geben. Er wußte, was er sah. Der kleine schwarze Fleck auf dem fernen Gipfel war das Ding!

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