Kapitel 21

Sie saßen niedergeschlagen um Oops primitiven Tisch. Sylvester lag neben dem Kamin auf dem Rücken, die Vorderpfoten übereinandergeschlagen, die Hinterpfoten in der Luft.

Oop drückte Carol das Marmeladeglas in die Hand, und sie roch daran. »Es riecht wie Petroleum«, stellte sie fest, »und wenn ich mich nicht täusche, schmeckt es auch danach.« Sie hob das Glas mit beiden Händen und trank.

»Ich glaube, daß man sich nach einiger Zeit daran gewöhnen könnte, Petroleum zu trinken«, sagte sie.

»Es ist ein guter Schnaps«, verteidigte sich Oop. »Allerdings muß ich zugeben, daß er vielleicht noch nicht lange genug lagert. Ihr trinkt schneller, als ich destillieren kann.«

Maxwell hob das Glas und trank mit düsterer Miene. Der Fusel brannte in seiner Kehle und explodierte im Magen, aber die Explosion half auch nichts. Er blieb immer noch düster und nüchtern. Es gab Zeiten, da man einfach nicht betrunken wurde, mochte man anstellen, was man wollte. Und im Moment wünschte er sich nichts sehnlicher, als einen oder zwei Tage lang herrlich betrunken dazuliegen. Vielleicht fand er das Leben nicht mehr so scheußlich, wenn er dann aufwachte.

»Ich kann eines nicht verstehen«, sagte Oop. »Weshalb nimmt Old Bill die Sache mit dem Gespenst so tragisch? Er hatte weiche Knie vor Angst. Als er vorher mit Gespenst bekannt wurde, stellte er sich nicht so an. Gewiß, er war ein wenig nervös, wie man es von einem Mann des 16. Jahrhunderts nicht anders erwarten konnte. Aber als wir ihm alles erklärt hatten, schien er eher erfreut. Er akzeptierte Gespenst bereitwilliger, als es vielleicht ein Mensch des 20. Jahrhunderts getan hätte. Im 16. Jahrhundert glaubte man an Geister. Er regte sich erst auf, als er entdeckte, daß Gespenst sein Geist war …«

»Unsere Beziehungen zum Kleinen Volk hatten es ihm angetan«, erzählte Carol. »Wir mußten ihm versprechen, daß wir ihm die Reservation zeigen würden.«

Maxwell nahm noch einen tiefen Schluck aus dem Glas und gab es dann an Oop weiter. Er wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab.

»Irgendein Geist ist etwas ganz anderes als der eigene Geist«, erklärte er. »Es ist einem Menschen unmöglich, den eigenen Tod zu akzeptieren. Selbst wenn man wüßte, was ein Gespenst ist …«

»Oh, fangen Sie nicht wieder damit an«, bat Carol.

Oop grinste. »Er verschwand wie eine Pistolenkugel«, sagte er. »Er rannte durch die Tür, ohne sie aufzumachen. Krachte einfach durch die Füllung.«

»Das konnte ich nicht sehen«, meinte Maxwell. »Ich hatte Soße in den Augen.«

»Aus dem ganzen Wirbel ging nur der Säbelzahn heil hervor«, stellte Oop fest. »Er hat eine Ochsenlende erwischt. Halbgar, so wie er es am liebsten mag.«

»Diese Katze ist ein Opportunist«, sagte Carol. »Sie steht hinterher immer im günstigsten Licht da.«

Maxwell starrte sie an. »Was ich Sie schon lange fragen wollte — wie stoßen Sie eigentlich immer zu uns? Ich dachte, Sie hätten uns seit der Affäre mit dem Rollenfüßler aufgegeben?«

Oop kicherte. »Sie hat sich Sorgen um dich gemacht. Außerdem ist sie neugierig.«

»Da ist noch etwas anderes«, sagte Maxwell. »Wie kommt es, daß sie mit der ganzen Sache zu tun hat? Fangen wir ganz von vorne an. Sie hat uns den Tip gegeben, daß das Ding verkauft werden sollte …«

»Es war ein Irrtum. Ich wollte es nicht …«

»Es war kein Irrtum«, unterbrach Maxwell. »Sie haben es absichtlich getan. Was wissen Sie über das Ding? Sie müssen etwas wissen und wollen nicht, daß es verkauft wird.«

»Ja, das stimmt«, sagte Oop. »Fräulein, Sie sagen uns jetzt lieber, was los ist.«

»Ah, zwei starke Männer …«

»Nein«, unterbrach Maxwell, »machen wir keinen Witz daraus. Es ist etwas sehr Wichtiges.«

»Also gut, ich hatte gehört, daß es verkauft werden sollte. Das habe ich schon erzählt. Und ich machte mir Sorgen, weil mir das Getuschel nicht gefiel. Nicht, daß etwas an dem Geschäft auszusetzen gewesen wäre. Soviel ich hörte, war das Ding im Besitz des Zeit-College und konnte jederzeit verkauft werden, selbst für x Milliarden Dollar. Aber ich fand, daß es nicht richtig war. Denn ich wußte etwas über das Ding — etwas, das sonst niemand wußte und das ich auch niemandem erzählen wollte. Als ich erwähnte, wie bedeutsam das Ding für manche Forscher wäre, merkte ich, daß das den anderen gleichgültig war. Und dann sprachen Sie beide davon, und Sie hatten ein großes Interesse daran …«

»So dachten Sie, daß wir Ihnen helfen würden!«

»Ich weiß selbst nicht, was ich dachte. Aber Sie waren die ersten, die überhaupt Interesse daran gezeigt hatten. Und ich konnte es Ihnen nicht direkt sagen, denn offiziell wußte ich ja nichts von dem Handel, und außerdem habe ich ein gewisses Zugehörigkeitsgefühl zum Zeit-College.«

»Haben Sie an dem Ding gearbeitet? Kommt es daher, daß Sie …?«

»Nein, das nicht«, sagte sie. »Aber eines Tages, als ich davor stehenblieb und es ansah, da glaubte ich etwas zu erkennen. Ich weiß jetzt nicht mehr, ob ich mich getäuscht habe. Es könnte durchaus sein. Aber damals war ich meiner Sache sicher, absolut sicher …«

Sie unterbrach sich und sah die beiden anderen an. Keiner sprach. Sie saßen schweigend da und warteten, bis sie den Faden wieder aufnahm.

»Ich bin jetzt ganz verwirrt«, sagte sie. »Ich könnte nicht mehr beschwören, daß ich es gesehen habe.«

»Versuchen Sie nur, es uns zu beschreiben«, ermunterte Oop sie.

Sie nickte. »Es war nur einen Moment lang da. Doch damals war ich überzeugt davon, daß ich mich nicht getäuscht hatte. Die Sonne fiel durch die Fenster und beleuchtete das Ding. Vielleicht hatte zuvor noch niemand den Block bei diesem Lichteinfall betrachtet. Ich weiß es nicht, aber es könnte die Erklärung sein. Mir kam es jedenfalls so vor, als sähe ich etwas im Innern des Dings. Nein, nicht im Innern — eher hatte ich das Gefühl, daß man irgend etwas in die längliche Blockform des Dings gepreßt hatte. Ich merkte, daß sich in dem Block ein Auge befand, und ich sah genau, daß es lebte und mich beobachtete …«

»Aber das kann nicht sein!« rief Oop. »Das Ding ist wie ein Stein. Oder wie ein Metallblock …«

»Ein komisches Metall«, sagte Maxwell. »Eines, das man nicht untersuchen kann.«

»Ich betone immer wieder, daß ich jetzt nicht mehr sicher bin«, sagte Carol. »Vielleicht habe ich mir auch alles eingebildet.«

»Wir werden es nie erfahren«, meinte Maxwell. »Der Rollenfüßler holt es morgen ab.«

»Und kauft den Planeten damit«, ergänzte Oop. »Ich finde, wir sollten nicht einfach stillsitzen. Wenn uns Shakespeare nicht entwischt wäre …«

»Es hätte überhaupt nichts genützt«, stellte Maxwell fest. »Diese Idee, Shakespeare zu entführen …«

»Wir haben ihn nicht entführt«, widersprach Oop empört. »Er kam ganz friedlich mit uns. Er war sogar froh, daß wir ihn mitnahmen. Er hatte schon die ganze Zeit überlegt, wie er die Eskorte vom Zeit-College loswerden sollte. Es war ganz und gar seine eigene Idee. Wir halfen ihm nur ein bißchen dabei.«

»Durch ein paar Beulen auf den Köpfen der Begleiter?«

»Niemals«, beteuerte Oop. »Wir waren sehr diskret. Wir verursachten lediglich eine kleine Ablenkung.«

»Egal, wie ihr es gemacht habt, es war jedenfalls eine verrückte Idee. Es stand einfach zuviel Geld auf dem Spiel. Ihr hättet ein Dutzend Shakespeares entführen können, ohne Harlow Sharp weich zu machen.«

»Aber Oop hat recht«, sagte Carol. »Wir sollten etwas tun. Und wenn wir nur Arnold aus dem Bett holen.«

»Die einzige Möglichkeit bestünde darin, daß Arnold dem Zeit-College die gleiche Summe gibt wie der Rollenfüßler«, meinte Maxwell. »Glaubt ihr, daß er das tun wird?«

»Nein.« Oop schüttelte den Kopf.

Er setzte das Glas an und trank es leer, dann holte er aus dem Versteck unter dem Dielenbrett das nächste. Nachdenklich schraubte er den Deckel ab und reichte es Carol.

»Dann betrinken wir uns richtig«, sagte er. »Spätestens morgen früh sind die Reporter da, und ich brauche die richtige Stimmung, um sie hinauszuwerfen.«

»Einen Moment noch«, erklärte Maxwell. »Ich glaube, mir kommt eine Idee.«

Sie saßen da und warteten auf die Idee.

»Die Übersetzungsmaschine«, sagte Maxwell. »Das Ding, mit dem ich die Aufzeichnungen des Kristallplaneten las. Ich habe es in meiner Tasche gefunden.«

»Tatsächlich?« fragte Oop.

»Was ist, wenn es sich bei dem Ding um eine andere Aufzeichnung handelt?«

»Aber Carol sagt …«

»Ich weiß, was Carol sagt. Aber sie ist nicht sicher. Sie glaubt nur, daß ein Auge sie angestarrt hat. Und das kommt mir unwahrscheinlich vor.«

»Er hat recht«, sagte Carol. »Ich weiß es nicht mehr. Und was Pete sagt, klingt irgendwie sinnvoll. Wenn er recht hat, müßte es sich um besonders wertvolle Aufzeichnungen handeln — und um eine ganze Menge. Vielleicht um das Wissen einer ganz anderen Welt. Vielleicht um etwas, das die Leute des Kristallplaneten hier verborgen hatten, weil sie dachten, daß es auf der Erde sicher sei. Ein geheimer Wissensschatz.«

»Selbst wenn das der Fall ist, nützt es uns nichts«, sagte Oop. »Das Museum ist verschlossen, und Harlow Sharp wird es nicht eigens für uns öffnen.«

»Ich könnte euch hineinschmuggeln«, meinte Carol. »Ich könnte den Wächter anrufen und ihm sagen, daß ich noch etwas zu tun hätte. Oder daß ich etwas vergessen hätte. In solchen Dingen ist man bei uns großzügig.«

»Sie werden Ihre Stelle dabei verlieren«, warnte Oop.

Sie zuckte mit den Schultern. »Es gibt andere Stellen. Und wenn wir es richtig anfangen …«

»Aber es hat so wenig Sinn«, protestierte Maxwell. »Es ist eine winzige Spur. Vielleicht noch weniger als das. Ich gebe zu, daß ich es gern versuchen würde, aber …«

»Und wenn Sie herausfinden, daß es wirklich etwas Wichtiges ist?« fragte Carol. »Dann können wir Sharp holen und ihm alles erklären …«

»Ich weiß nicht«, sagte Maxwell. »Ich bezweifle, daß wir etwas finden, das wichtig genug ist, um Sharp zu überzeugen.«

»Also gut«, erklärte Oop entschlossen. »Vertrödeln wir hier keine Zeit mehr. Fangen wir an.«

Carol sah Maxwell an. »Ich glaube, er hat recht, Pete«, sagte sie. »Es ist das Risiko wert.«

Oop nahm ihr das Glas mit dem Fusel ab und schraubte den Deckel darauf.

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