Kapitel 11

Maxwell schlug das Buch auf.

»Albert Lambert«, lautete die Einleitung, »wurde am 11. Januar 1973 in Chicago, Illinois, geboren. Er erlangte Berühmtheit als Interpret eines grotesken Symbolismus, doch seine frühen Werke verrieten nichts von dieser Anlage. Die Periode seiner großen Schöpfungen entwickelte sich erst nach seinem fünfzigsten Lebensjahr. Bis dahin hatte er ordentlich, aber ohne persönliche Note gemalt. Die Entfaltung zum grotesken Symbolismus hin schien geradezu über Nacht zu kommen. Wir können keinerlei Übergangszeit feststellen …«

Maxwell überblätterte die nächsten Textseiten, bis er zu den Farbtafeln kam. Er sah sich Kostproben aus der frühen Schaffenszeit des Künstlers an. Und dann, von einer Seite zur nächsten, veränderte sich der Stil des Künstlers. Es sah aus wie das Werk von zwei verschiedenen Personen. Die erste war getrieben von dem Wunsch, sich klar und verständlich auszudrücken, die zweite schien besessen, gefangen von irgendeinem erschütternden Erlebnis, von dem sie sich zu befreien versuchte.

Nackte, dunkle, unheimliche Schönheit ging von dem Bild aus, und in der dämmerigen Stille der Bibliothek hatte Maxwell das Gefühl, als könnte er das lederige Rascheln schwarzer Flügel hören. Grauenhafte Geschöpfe tollten durch eine grauenhafte Landschaft, und doch spürte Maxwell, daß weder die Landschaft noch die Geschöpfe der Phantasie entsprungen sein konnten, daß sie nicht das schrullige Produkt eines zerrütteten Geistes waren, sondern auf einer vollkommen fremdartigen Geometrie beruhten. Formen, Farben, Behandlung und Sinngebung waren keine verzerrten menschlichen Werte. Man hatte sofort das Gefühl, daß sie die nüchterne Wiedergabe einer Situation waren, in der das Menschliche keine Gültigkeit hatte. Grotesker Symbolismus, hatte es im Text geheißen, und das konnte natürlich sein, aber es war ein Symbolismus, den man nur nach mühsamen Beobachtungen erreichen konnte.

Er wandte die Seite um, und da war sie wieder, diese vollkommene Abweichung von der Menschlichkeit — eine andere Szene mit anderen Geschöpfen und einer anderen Landschaft, aber wie beim ersten Bild erfüllt von der erschütternden Kraft der Aussagen, der Aktualität. Das war keine Erfindung des Malers, sondern die Darstellung einer Szene, die der Künstler tatsächlich gesehen hatte.

Maxwell saß fasziniert da und starrte die Seite an. Er wollte die Blicke loslösen, aber er konnte es nicht, gefangen von der unheimlichen und entsetzlichen Schönheit, von einem verborgenen, furchtbaren Sinn, den er nicht verstehen konnte. Die Zeit, hatte die Garnele gesagt, war ein Faktor, den es in ihrer Kultur nicht gab. Und hier, festgehalten auf Farbtafeln, war ebenfalls etwas, das es bei den Menschen nicht gab.

Er wollte das Buch schließen, doch er zögerte und starrte die Seite weiterhin an. Und dann bemerkte er, was er nicht gleich erkannt hatte …

Er blätterte langsam um und betrachtete die nächste Seite — und da war es wieder. Ein Pinselstrich, der das Bild flimmern ließ, irgendein Trick des Künstlers. Aber Trick oder nicht, jeder, der schon einmal auf dem Kristallplaneten gewesen war, wußte, was es bedeutete.

Und in der Stille des schattigen Raumes drang die eine Frage auf ihn ein: Wie konnte Albert Lambert von den Leuten des Kristallplaneten gewußt haben?

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