Kapitel 18

Maxwell hatte die Hälfte des Weges zum Wisconsin-Campus hinter sich, als Gespenst plötzlich auftauchte und im Sitz neben ihm Platz nahm.

»Ich habe eine Botschaft von Oop«, sagte er ohne jede Einleitung. »Du sollst nicht in die Hütte zurückkehren. Die Zeitungsleute scheinen dir auf der Spur zu sein. Als sie bei der Hütte nachsehen wollten, trat Oop in Aktion. Er hat sie vor die Tür gesetzt, aber sie strolchen immer noch in der Nähe herum und suchen nach dir.«

»Danke«, sagte Maxwell. »Es freut mich, wenn ich Bescheid weiß. Obwohl ich glaube, daß es jetzt nicht mehr viel ausmacht.«

»Die Ereignisse laufen nicht nach deinen Wünschen?«

»Sie laufen überhaupt nicht«, korrigierte Maxwell. Er zögerte, dann meinte er: »Ich nehme an, Oop hat dir erzählt, worum es geht.«

»Oop und ich sind ein Herz und eine Seele«, sagte Gespenst. »Ja, natürlich hat er es mir erzählt. Er schien zu glauben, daß du damit einverstanden seist. Aber wenn …«

»Das ist es nicht«, unterbrach ihn Maxwell. »Ich wollte nur wissen, ob ich dir alles noch einmal erzählen muß. Du weißt also, daß ich in der Reservation war, um das Foto von Lamberts Bild vorzuzeigen?«

»Ja«, sagte Gespenst. »Das Bild, das Nancy Clayton besitzt.«

»Ich glaube, ich habe mehr entdeckt, als ich wollte«, fuhr Maxwell fort. »Ich erfuhr etwas, das uns überhaupt nichts mehr nützt. Es war die Todesfee, die dem Rollenfüßler den Preis verriet. Sie sollte ihn mir nennen, aber sie wollte nicht. Sie behauptet zwar, daß sie dem Rollenfüßler den Preis bereits genannt hatte, bevor sie von mir erfuhr, aber ich bezweifle das. Die Todesfee lag im Sterben, als sie mit mir sprach, doch das heißt nicht, daß sie die Wahrheit sagte. Sie war immer schon eine unangenehme Kundin.«

»Die Todesfee liegt im Sterben?«

»Sie ist jetzt tot. Ich hielt Wache, bis sie starb. Ich zeigte ihr das Foto nicht, weil ich sie nicht mehr stören wollte.«

»Trotzdem hat sie dir von dem Rollenfüßler erzählt?«

»Nur, um mich wissen zu lassen, daß sie die menschliche Rasse seit ihrem Aufstieg gehaßt hatte. Und um mich wissen zu lassen, daß sie sich letzten Endes gerächt hatte. Sie hätte gern gesagt, daß uns auch die Kobolde und das übrige Kleine Volk hassen, aber sie sprach es nicht direkt aus. Sie wußte vielleicht, daß ich ihr nicht glauben würde. Obwohl ein Satz von O’Toole mich auf den Gedanken gebracht hat, daß auch bei den Kobolden noch eine alte Ablehnung besteht. Eine Ablehnung, aber bestimmt kein Haß. Doch die Todesfee bestätigte, daß das Ding verkauft werden soll und daß es der Preis für das Wissen des Kristallplaneten ist. Ich dachte es mir von Anfang an. Und die gestrigen Worte des Rollenfüßlers waren praktisch die letzte Sicherheit. Doch es scheint, daß der Rollenfüßler die Situation selbst nicht fest in der Hand hat. Weshalb sonst hätte er mir aufgelauert und mir einen Handel vorgeschlagen? Es klang so, als hätte er Angst, ich könnte ihm das Geschäft verderben.«

»Die Sache sieht also ziemlich hoffnungslos aus«, stellte Gespenst fest. »Mein guter Freund, du tust mir aufrichtig leid. Können wir irgend etwas tun — Oop und ich und vielleicht das Mädchen, das gestern so tapfer mit dir und Oop trank? Die mit der Katze.«

»Es sieht hoffnungslos aus«, sagte Maxwell, »aber ich kann noch einiges versuchen. Erst gehe ich zu Harlow Sharp und rede ein ernstes Wort mit ihm, dann schlage ich ein paar Türen ein und schnappe mir Arnold. Wenn ich Arnold dazu überreden kann, den gleichen Preis für das Ding zu zahlen wie der Rollenfüßler, dann schlägt sich Sharp sicher auf meine Seite.«

»Das klingt nobel«, sagte Gespenst, »aber ich betrachte das Ergebnis mit Skepsis Harlow Sharp läßt vielleicht mit sich reden, denn er ist dein Freund, aber von Arnold kann man das nicht behaupten. Und es wird ihm gar nicht gefallen, wenn du ein paar Türen einschlägst.«

»Du weißt, was ich glaube«, sagte Maxwell. »Ich glaube, daß du recht hast. Aber sicher kann ich es erst sagen, nachdem ich es versucht habe. Kann sein, daß Arnold ausnahmsweise einen moralischen Tag hat und seine Vorurteile und seine Aufgeblasenheit beiseiteschiebt.«

»Ich muß dich warnen«, sagte Gespenst. »Harlow Sharp hat wenig Zeit. Er macht sich Sorgen. Shakespeare ist heute morgen angekommen …«

»Shakespeare!« stöhnte Maxwell. »Um Himmels willen, den hatte ich ganz vergessen. Ja, natürlich, er hält heute abend seine Rede. Einen besseren Zeitpunkt konnte er sich gar nicht aussuchen.«

»Es scheint, daß William Shakespeare ein etwas schwieriger Mann ist«, sagte Gespenst. »Er wollte sofort durch das neue Zeitalter bummeln, von dem man ihm soviel erzählt hatte. Das Zeit-College konnte ihn gerade noch dazu bewegen, seine elisabethanische Kleidung gegen normale Straßenkleider zu vertauschen, weil sie ihm drohten, sie würden ihn überhaupt nicht gehen lassen, wenn er sich nicht umzog. Und jetzt schwitzen die Verantwortlichen bei dem Gedanken, daß ihm etwas zustoßen könnte. Sie müssen ihn bremsen, aber sie dürfen ihn auch nicht verärgern. Denn der Saal ist bis zum letzten Stehplatz ausverkauft, und sie können kein Risiko eingehen.«

»Woher weißt du das alles?« fragte Maxwell. »Du scheinst den Universitätsklatsch immer vor den anderen zu erfahren.«

»Ich komme eben viel herum«, sagte Gespenst bescheiden.

»Der Zeitpunkt ist schlecht, aber ich muß es eben wagen«, sagte Maxwell. »Harlow wird mich empfangen.«

»Es ist unglaublich«, sagte Gespenst traurig, »daß ein so scheußliches Zusammentreffen von Umständen deine Bemühungen zunichte macht. Durch reine Dummheit soll es der Universität und der Erde nicht vergönnt sein, das Wissen des Kristallplaneten zu erwerben.«

»Es war der Rollenfüßler«, erwiderte Maxwell. »Sein Angebot hat zu dem Zeitdruck geführt. Wenn ich nur mehr Zeit hätte, könnte ich mir etwas überlegen. Ich könnte mit Harlow sprechen und mir schließlich einen Weg zu Arnold bahnen. Und wenn mir schon sonst nichts gelingt, so könnte ich doch Harlow dazu überreden, das Wissen einfach für das Zeit-College zu erwerben. Aber ich habe keine Zeit. Gespenst, was weißt du von den Rollenfüßlern? Etwas, das uns nicht bekannt ist?«

»Kaum. Nur daß sie der hypothetische Feind sein könnten, auf den wir gestoßen sind. Ihr Handeln läßt den Schluß zu. Und ihre Beweggründe, ihre Sitten, ihre Ethik — ihre ganze Weltanschauung muß sich stark von der unseren unterscheiden. Wir haben wahrscheinlich weniger mit ihnen gemeinsam als mit Spinnen oder Wespen. Und das Schlimmste daran ist, daß sie eine hohe Intelligenz besitzen. Sie kennen unsere Lebensart so gut, daß sie sich unter uns bewegen und mit uns Geschäfte machen können — das haben sie mit ihrem Angebot für das Ding bewiesen. Mein Freund, diese Schlauheit und Wendigkeit ist es, die ich vor allem fürchte. Ich bezweifle, ob der Mensch im umgekehrten Falle ebenso schlau handeln würde.«

»Ich glaube, du hast recht«, sagte Maxwell. »Und deshalb dürfen wir ihnen das Wissen des Kristallplaneten nicht überlassen. Der Himmel weiß, was sich in dieser Bibliothek alles befindet. Es war Material dabei, das ich in zehn Lichtjahren nicht verstehen würde. Was natürlich nicht heißt, daß der Mensch es nicht erlernen könnte. Er braucht nur Geduld und Geschick. Aber auch die Rollenfüßler könnten sich in die Wissensgebiete einarbeiten. Und wenn der Mensch je mit den Rollenfüßlern in Konflikt gerät, könnte das Wissen des Kristallplaneten den Unterschied zwischen Sieg oder Niederlage bedeuten. Ist es uns jedoch möglich, das Wissen zu erwerben, schrecken die Rollenfüßler vielleicht vor einem Konflikt zurück, da ihnen klar ist, daß wir die Überlegenen sind. Es könnte den Unterschied zwischen Krieg und Frieden bedeuten.«

Er saß zusammengesunken da und spürte in der Wärme des Herbstnachmittags einen Schauer, der nicht von der bunten Landschaft mit ihrem seidenblauen Himmel kam.

»Du hast mit der Todesfee gesprochen«, sagte Gespenst. »Sie erwähnte kurz vor ihrem Tod das Ding. Hat sie dir einen Hinweis gegeben, was es wirklich darstellt? Wenn wir das wüßten …«

»Nein, Gespenst. Sie hat kein Wort darüber verloren. Aber ich habe den Eindruck — oder, besser gesagt, eine schwache Ahnung —, daß das Ding aus dem anderen Universum kommt, aus dem auch der Kristallplanet stammt. Eine Kostbarkeit vielleicht, die über Äonen hinweg aufbewahrt wurde. Und noch etwas: Ich glaube, daß die Todesfee und die anderen ganz Alten des Kleinen Volkes Eingeborene des Kristallplaneten oder zumindest Verwandte der Geschöpfe dort sind. Lebensformen die sich in dem alten Universum entwickelten und als Kolonisten in das neue Universum kamen. Vielleicht wollten sie hier eine Nachfolgezivilisation errichten. Aber irgend etwas kam dazwischen. Alle Kolonisierungsversuche scheiterten. Hier auf der Erde, weil sich der Mensch entwickelte. Auf den anderen Planeten vielleicht aus anderen Ursachen. Und ich glaube zu wissen, weshalb diese Versuche fehlschlugen. Vielleicht sterben manche Rassen einfach aus. Ganz natürlich und aus dem einzigen Grund, daß sie für etwas anderes Platz machen müssen. Irgendein Naturgesetz, das wir nicht verstehen. Vielleicht hat eine Rasse nur eine bestimmte Lebensdauer. Vielleicht trägt jede neu entstehende Art schon den Todeskeim in sich. Ein Prinzip, an das wir vermutlich noch nie gedacht haben, weil wir eine so junge Rasse sind; ein Prozeß, der den Weg für die Evolution freimacht.«

»Es klingt vernünftig«, sagte Gespenst. »Daß alle Kolonien ausstarben, meine ich. Wenn irgendwo im Universum eine Kolonie überlebt hätte, wäre das Erbe des Kristallplaneten auf sie übergegangen und nicht auf eine Rasse, die nichts mit dem Kristallplaneten zu tun hat.«

»Mir geht nur ein Gedanke im Kopf herum«, meinte Maxwell. »Weshalb will dieses Volk, das dem Tode schon so nahe ist, das Ding? Was können sie damit anfangen?«

»Wir müßten eben wissen, was es ist«, sagte Gespenst. »Hast du wirklich keine Ahnung?«

»Nein«, erwiderte Maxwell. »Nicht die geringste.«

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