Dies ist die Geschichte eines Mannes, der so reich und mächtig war, daß er sich weigerte zu sterben. Nun ja, das ist eigentlich nicht die ganze Wahrheit. Tatsache ist, sein Leib ist durchaus tot und begraben. Aber sein Geist ist noch lebendig. Jedenfalls im Fernsehen, genau gesagt.
Er hieß Samuel Stone, und unsere Geschichte beginnt mit seiner gierigen Familie bei der Öffnung seines Testaments: Sie sind natürlicherweise alle sehr aufgeregt, weil Samuel Stone ein ziemliches Vermögen hinterlassen hat, nämlich einhundert Millionen Dollar, und sie alle können es gar nicht erwarten, ihren Anteil davon in die Finger zu bekommen, jeder möglichst gleich alles.
In dem großen Raum in der Villa Stone, der die Bibliothek genannt wird, befinden sich seine Witwe, sein Neffe, dessen Rechtsanwalt, ein Butler, eine Zofe und noch ein entfernter Vetter namens David.
Dieser David ist ein zurückhaltender und anständiger junger Mann, der einer wohltätigen Stiftung vorsteht und hofft, einen tüchtigen Batzen des Vermögens des Samuel Stone zu ergattern, um dieses Geld dann an die Armen zu verteilen. Weil Samuel Stone aber gar nichts von Stiftungen hielt, hatte er Davids Stiftung gerade mal tausend Dollar gespendet. Und Stones Witwe erklärt: „Nicht einen Cent gebe ich für die Armen! Ich kaufe mir den teuersten Schmuck der Welt, eine Jacht und ein Schloß in Frankreich - und das ist erst der Anfang!"
Der Rechtsanwalt von Samuel Stone sagt: „Sam hat mir versprochen, daß ich einen fetten Brocken von seinem Nachlaß bekomme. Schließlich war ich viele Jahre lang sein Anwalt!"
„Augenblick mal!" ruft der Neffe dazwischen. „Sie sind doch nicht einmal ein Familienmitglied! Das Anrecht auf den größten Teil des Erbes steht mir zu!" David ist der einzige, der ganz still bleibt. „Also, was ist jetzt mit der Verlesung des Testaments?" drängt die Witwe. „Ich habe eine Verabredung bei meinem Juwelier!" „Eine Verlesung direkt wird es nicht", eröffnet der Anwalt den Versammelten. „Ihr verstorbener Gatte", wendet er sich an die Witwe, „hat seinen letzten Willen auf Video aufgezeichnet." „Was? Von so etwas habe ich noch nie gehört." „Oh, ich versichere Ihnen, das ist absolut legal", sagt der Anwalt. „Wenn Sie also jetzt alle Platz nehmen möchten." Er weist sogar jedem einzeln seinen genauen Platz an. Dann nickt er dem Butler zu, der das Fernsehgerät und einen Videorecorder anschaltet. Samuel Stones Gesicht erscheint auf dem Bildschirm. Es ist ein verschlagenes und böses Gesicht, und das ist kein Zufall und paßt auch gut, weil nämlich Samuel Stone in seinem ganzen Leben verschlagen und böse war. Wir werden gleich sehen, daß er auch im Tod nicht viel besser ist. „Tja, meine liebe Familie", sagt er auf dem Bildschirm, „ich muß euch also, ob es mir gefällt oder nicht, die hundert Millionen meines hart verdienten Vermögens hinterlassen. Ich hätte natürlich alles wohltätigen Zwecken vermachen können, aber wie ihr alle wißt, bin ich ausdrücklich gegen Wohltätigkeit."
Der Neffe sagt hoch zufrieden: „Und das bedeutet ja wohl, er hinterläßt alles uns. Wir sind reich!" „Er hinterläßt es mir", sagt die Witwe.
Der Anwalt geht dazwischen. „Moment, ja. Auch ich habe immerhin Anspruch auf... "
Aber Samuel Stone auf dem Bildschirm spricht inzwischen weiter. „Ruhe da unten. Alle! Fangt nicht schon zu streiten an, bevor ich fertig bin! Wir fangen mit dem Personal an."
Seine Augen auf dem Bildschirm richten sich genau dahin, wo der Butler sitzt. „Sie waren fünfundzwanzig Jahre bei mir." Der Butler strahlt. „Ja, Sir."
„Ich glaube, es hat niemals einen Butler wie Sie gegeben." „Sehr freundlich, Sir."
Doch der Blick Samuel Stones auf dem Bildschirm ist gar nicht freundlich. „In diesen fünfundzwanzig Jahren haben Sie tausend Flaschen von meinem besten Scotch heimlich ausgetrunken und an die fünfzehnhundert meiner besten Zigarren stibitzt und geraucht und sich mit überhöhten Einkaufsrechnungen Tausende Dollar erschlichen." Der Butler starrt auf den Bildschirm. „Nein, Sir, ich ..." „Wollen Sie vielleicht mit einem Toten darüber streiten?" „Nein, Sir."
„Na also. Ich gebe Ihnen zehntausend Dollar in bar, vorausgesetzt, Sie bleiben im Hause."
Der Butler lächelt schon wieder. „Vielen Dank, Sir." Jetzt wendet sich die Gestalt auf dem Bildschirm in die Richtung des Platzes, auf dem die hübsche, junge Zofe sitzt. „Hallo, Marie."
Marie wird rot. „Guten Tag, Mr. Stone."
Samuel Stone lächelt ihr zu. „Sie sind in meinem Haushalt noch ziemlich neu. Viel zu tun, hatten Sie noch keine Zeit.
Aber was Sie taten, machten Sie sehr gut, meine Liebe. Ich vermache Ihnen zehntausend Dollar, auch vorausgesetzt, Sie bleiben im Hause."
„Danke, Mr. Stone."
Jetzt wendet sich Samuel Stone am Bildschirm dem Rest der Versammelten zu. „Allen anderen meiner Erben hinterlasse ich hundert Dollar wöchentlich."
Einen Augenblick herrscht völlig verblüffte Stille. Die Witwe starrt wie vor den Kopf geschlagen auf den Bildschirm.
„Das kannst du doch nicht machen!" ruft sie. „Was ist mit den hundert Millionen?"
„Wahrscheinlich", spricht da Samuel Stone auf dem Bildschirm bereits weiter, „fragt ihr jetzt, was denn mit den hundert Millionen ist. Tja, wenn ihr die finden wollt, dann müßt ihr euch schon sehr schlau anstellen. Der einzige Spaß, den ich in meinem Leben hatte, war Geldverdienen und Rätsellösen. Ich werde euch jede Woche einen Hinweis zum Auffinden eines Teils meines Vermögens geben. Die eine Woche mag es ein versunkener Schatz sein, die nächste Woche kann es sich vielleicht um zehn Millionen in Form von Goldbarren handeln. Wer es findet, dem gehört es." Die Witwe ist kreidebleich vor Zorn. „Das kannst du doch nicht machen!" sagt sie noch einmal zum Bildschirm hin. „Doch, das kann ich", kommt Samuel Stones Antwort von dort sogleich wieder.
Es ist, als sei er wirklich mit im Raum und wüßte alles, was sie sagen.
„Das einzige, worauf ich dabei bestehe", fährt er fort, „ist, daß ihr alle hier im Haus zusammen leben müßt, wo jeder den anderen genau im Auge behalten kann."
Samuel Stone lächelt ihnen zu. Es ist ein hintersinniges Lächeln. „Das wäre alles für jetzt. Dann bis nächste Woche. Paßt mir gut auf Olivia auf."
Der Bildschirm wird schwarz.
In der Bibliothek aber ist die Hölle los. „Der Mann ist verrückt!"
„Das ist doch gar nicht zulässig!"
Der Anwalt hebt die Hand hoch. „Augenblick noch, darf ich um allgemeine Aufmerksamkeit bitten. Es tut mir leid, aber das hier ist durchaus zulässig und rechtlich in Ordnung. Und auf jeden Fall ist er damit durchgekommen bei Gericht. Wir haben seinen Anweisungen zu folgen, oder keiner bekommt auch nur irgend etwas."
„Dieser bösartige, alte Mann", schimpft die Witwe. „Das soll er mir büßen."
„Wie denn?" fragt der Neffe. „Bekanntlich ist er schon tot." „Genau wie wir!" sagt die Witwe. „Das Geld finden wir nie." „Moment mal!" ruft jetzt sogar David. „Wer ist denn Olivia?" „Sein Papagei!"
David versinkt in kurzes Nachdenken. „Dann muß das bereits der erste Hinweis gewesen sein."
Jetzt sind alle aufgeregt. „Natürlich, richtig! Das könnte ein Hinweis sein. Es war das einzige, was er sagte, das als Hinweis in Frage kommt."
David sieht zu, wie alle sofort auf den Papageienkäfig zustürzen.
„Hallo!" sagt der Neffe. „Möchte Polly vielleicht ein wenig prima Vogelfutter?"
Der Papagei krächzt: „Kawatsch, Kawatsch! Hau ab. Ich sag' nichts, ich sag' nichts."
Die Witwe säuselt: „Du sagst uns den Hinweis, und wir geben dir viele schöne Fressi!"
Der Papagei krächzt: „Hau ab, Metze!"
„Wieso nennt er dich eine Metze?" fragt der Neffe. „Könnte ein Hinweis sein", sagt David.
Der Papagei krächzt wieder etwas: „Hinweis, Winheis, Michel, Angel."
„Das ergibt keinen Sinn", sagt der Anwalt. Aber David widerspricht. „Tut es schon! Setzt das mal zusammen! Metze, das kann ein Steinmetz sein, und ein Steinmetz kann auch Bildhauer sein. Und Michel Angel könnte Michelangelo bedeuten. Nicht?"
„Genau, das ist es! Samuel besitzt doch einen Michelangelo! Der muß Millionen wert sein!" „Wo ist der?" fragt der Neffe. „In Los Angeles, im Museum."
Und so begann das Rennen um den ersten Teil des Vermögens von Samuel Stone. Die ganze Familie setzte sich ins Auto und veranstaltete ein Rennen, wer zuerst in dem Museum war, um den Anspruch auf die Statue zu erheben. Alle träumten sie bereits davon, was sie mit dem vielen Geld tun würden, sobald sie es hätten. Alle außer David.
David war nur daran interessiert, das Geld, damit davon den Armen geholfen werden konnte, seiner Wohltätigkeitsstiftung zuzuführen, die er ausgerechnet nach Samuel Stone benannt hatte.
Der erste, der den Museumsdirektor erwischte, war der Anwalt. „Was kann ich für Sie tun?" fragte der Direktor. „Tja", sagte der Anwalt, „soviel ich weiß, haben Sie hier eine Statue von Michelangelo stehen, die Mr. Stone gehört." „Das stimmt, ja."
„Ich bin sein Anwalt, und ich möchte sie abholen." In diesem Augenblick kam die Witwe herbei. „Halt!" Stopp!" rief sie. „Diese Statue gehört mir! Verpacken Sie sie in eine Kiste und... "
Aber da tauchte auch schon der Neffe auf. „Er wollte, daß ich die Statue bekomme!" behauptete er. Und zu dem Direktor sagte er: „Ich nehme sie gleich mit."
„Bedaure", sagte der Kurator, „aber niemand von Ihnen kann diese Statue mitnehmen."
„Wieso denn nicht?" fuhren ihn alle böse an.
„Weil sie gerade Teil einer Ausstellung ist. Sie kann frühestens in einer Woche abgeholt werden."
Die Witwe funkelte ihn böse an. „Eine Woche? So lange kann ich auf keinen Fall warten."
„Das tut mir sehr leid", sagte der Museumsdirektor, „aber so sind die Vorschriften. Alle Gegenstände einer Ausstellung müssen bis zu deren Beendigung dableiben." Sie sahen sich alle frustriert an.
Aber glaubt Ihr vielleicht, liebe Leser, daß sie deshalb aufgegeben hätten? Nicht doch. Dreimal nein. Wir müssen uns nur daran erinnern, daß sie alle überaus geldgierige Leute waren, wie wir schon gesagt haben.
Alle dachten sich nun etwas aus. Nämlich einen Plan, wie sie die Statue stehlen könnten.
Weil sie alle das Erbvermögen nicht mit den anderen teilen wollten, dachte sich jeder seinen eigenen Plan aus. In der folgenden Nacht brach der Anwalt in das Museum ein und schlich sich auf Zehenspitzen an den anderen Ausstellungsgegenständen vorbei bis zu der Statue. Als er angekommen war, streichelte er sie liebevoll und sagte: „Eine Million, und sie gehört mir!"
Er machte sich daran, die Figur hochzuheben, aber in diesem Moment ging auch schon der Alarm los, und der Raum war im nächsten Augenblick taghell erleuchtet. Er fuhr herum. In der Tür standen der Museumsdirektor und zwei Aufseher. „Was machen Sie denn da?" wollte der Direktor wissen. „Ach, ich... ich wollte mir die schöne Figur nur noch einmal ansehen... "
„Mitten in der Nacht? Das können Sie gerne tun, wenn das Museum geöffnet ist."
„Ja, sicher", nickte der Rechtsanwalt.
Sie sahen ihm nach, wie er sich schleunigst verzog.
„Behaltet mir die Statue gut im Auge", wies der Direktor die Aufseher an.
Am nächsten Morgen kam die Witwe in das Museum. Sie schob auf einem Rollstuhl eine in eine Decke gehüllte Gestalt vor sich her.
Beim Museumsdirektor stand bereits David und sprach mit ihm.
„Guten Morgen", sagte er.
Die Witwe nickte kurz. „Guten Morgen. Ich fahre nur einen Freund von mir, der sie zu sehen wünscht, zu der Statue. Er ist ein großer Kunstliebhaber."
Sie sahen beide der Witwe nach, wie sie in den nächsten Saal verschwand, in dem die Statue stand.
Als sie angekommen war, sah sich die Witwe vorsichtig um, ob auch niemand in der Nähe war, dann zog sie schnell die Decke von dem Rollstuhl weg. Es saß überhaupt niemand darin, nur oben war ein Hut, unten standen Schuhe, und auf dem Sitz lagen einige Männerkleidungsstücke.
Sie griff sich hastig das Hemd davon, begann es der Statue anzuziehen, setzte sie daraufhin in den Rollstuhl und zog ihr den Hut ins Gesicht.
Geschafft! dachte sie triumphierend. Ich bin raffinierter als alle anderen zusammen. Die Figur ist mein.
Und sie schob ihren Rollstuhl davon, zum Ausgang.
Als sie an David und dem Direktor vorbeikam, lächelte sie und wünschte beiden einen guten Tag.
„Dir auch", sagte David freundlich und zog die Decke von dem Rollstuhl, so daß die Statue zum Vorschein kam. Der Direktor war baff. „Was... was soll denn das bedeuten?" „Wenn Sie mich fragen", sagte David, „dann war das ein Versuch, die Statue hinauszuschaffen, damit sie ein wenig frische Luft schnappen kann."
Der Museumsdirektor sagte zur Witwe: „Madame, ich schlage vor, Sie schnappen ein wenig frische Luft. Die Statue lassen wir doch lieber hier."
Samuel Stones geldgieriger Neffe hatte seinerseits einen eigenen Plan, und dieser hätte sogar fast geklappt. Er mietete sich einen Hubschrauber, der ihn in der nächsten Nacht über das Museum flog und über einem Oberlicht im Dach stehenblieb.
„Gut", sagte der Neffe, „und jetzt lassen Sie mich hinunter." Der Pilot ließ ihn an einem Seil hinab zu dem Oberlicht, das der Neffe spielend öffnete, und durch diese Luke bis zum Boden des Museums. Dort sah sich der Neffe sorgfältig um. Als er festgestellt hatte, daß niemand da war, umfaßte er die Statue mit beiden Armen und ruckte zweimal am Seil, als Zeichen für den Piloten, ihn wieder hochzuziehen. Er spürte, wie er langsam wieder nach oben schwebte. Die Figur hielt er fest an sich gepreßt.
Geschafft! dachte er. Ich habe es geschafft. Sie gehört mir, ich habe sie alle ausgestochen!
Er und die Statue schwebten bereits über dem Gebäude. Unten stand ein Lastauto bereit, das die Figur abtransportieren sollte. „Runter!" rief er voller Freude. „Ich habe es geschafft, ich habe es geschafft. Los jetzt, weg!"
Bedauerlicherweise für den Neffen hatten allerdings David und der Museumsdirektor das Unternehmen beobachtet. Und David hatte in dem Lastauto den Platz des Fahrers eingenommen. „Sind schon unterwegs!" rief David hinaus. Und er fuhr das Auto direkt zum Lieferantentor des Museums. Die Figur war wieder da, wo sie hingehörte.
Eine Sitzung war im Gange. Obwohl alle Familienmitglieder einander haßten, waren sie zu der Einsicht gekommen, daß sie, wenn sie in den Besitz der Statue kommen wollten, wohl oder übel zusammenarbeiten mußten.
„Ich sage euch, was wir tun müssen", erklärte die Witwe. „Wir verschaffen uns die Figur und teilen uns den Erlös." Nur David sollte von der Gruppe ausgeschlossen bleiben. „Er ist einfach zu ehrlich", sagte die Witwe.
„Wenn er an das Geld käme, würde er nur alles für Wohltätigkeit ausgeben. Das wäre doch eine ungeheure Verschwendung!"
Dieser Meinung waren auch alle anderen.
„Wir brauchen ihn nicht", sagte der Neffe. „Wir teilen das Geld unter uns auf."
„Aber wie kommen wir nun an die Figur?" fragte die Witwe. „Da habe ich einen Plan", sagte der Anwalt, „der kann gar nicht schiefgehen."
Alle hörten eifrig zu, als er ihnen auseinandersetzte, wie sie es machen sollten.
Der Neffe grinste wie ein Honigkuchenpferd. „Das ist gut", sagte er. „Sie haben völlig recht, da kann gar nichts schiefgehen."
David saß inzwischen bei dem Museumsdirektor. „Ich bin sehr besorgt", sagte er. „Ganz bestimmt haben sie es nicht aufgegeben und wollen die Figur immer noch stehlen." „Aber wie sollten sie' denn? Sie ist doch bestens bewacht." „Das genügt nicht", sagte David. „Aber ich habe da eine Idee." Und er erläuterte sie. Der Museumsdirektor war geradezu entsetzt.
„Meinen Sie das etwa ernst?" „Absolut."
Am letzten Tag der Ausstellung kamen die Witwe, der Neffe und der Rechtsanwalt mit verschiedenen Taschen und Koffern in das Museum und gingen direkt zu der Michelangelo-Statue. Als sie dort allein waren, machten sie ihre Taschen auf und holten einzelne Teile einer vorgefertigten Figur heraus, die sie zusammensetzten, Arme, Beine, Rumpf, Kopf.
Als sie damit fertig waren, hatten sie eine Statue, die der echten von Michelangelo zum Verwechseln glich. „Und jetzt", sagte der Anwalt, „kommt der raffinierte Teil." Sie holten alle weiteren Einzelteile aus Gips heraus und klebten sie an die echte Statue - Falten, eine längere Nase, dickere Lippen -, bis die echte Figur wie eine schlechte Fälschung aussah. Dann tauschten sie die echte und die nachgemachte aus.
Der Direktor kam herbei, warf einen Blick auf alles und rief aus: „Was machen Sie denn da?"
„Nichts", sagte die Witwe scheinheilig. „Wir dachten uns, daß das Museum vielleicht an einer zweiten Statue interessiert ist. Wir schenken sie Ihnen."
Der Direktor besah sich die verfälschte echte Statue mit den faltigen, dicken Lippen und der langen Nase und sagte: „Schaffen Sie diese billige Fälschung. fort von hier!" Er merkte nicht, daß er tatsächlich von der echten Figur sprach. „Meinen Sie das im Ernst, daß wir sie wegschaffen sollen?" „Absolut!"
Der Anwalt blinzelte den anderen zu. „Na gut, dann schaffen wir sie eben weg."
Der Neffe half ihm, die Figur hochzuheben, und so marschierten sie aus dem Museum hinaus, mit dem echten Michelangelo. Sie waren ganz außer sich vor Freude. „Es hat geklappt!" krächzte die Witwe. „Zehn Millionen Dollar, und alles unser! Wir haben sie drangekriegt!" David war diesmal nicht draußen vor dem Museum, um sie aufzuhalten. Sie stellten die Figur auf der Eingangstreppe zum Museum kurz ab, um sich auszuruhen.
„Zehn Millionen!" sagte die Witwe noch einmal begeistert.
„Jetzt kann ich mir die Jacht kaufen!"
Und der Neffe sagte: „Ich kaufe mir eine Wohnung in Paris."
Und der Anwalt sagte: „Ich kaufe ein neues Haus für meine Kanzlei."
Um die Ecke kam ein kleiner Junge auf Rollschuhen. Niemand achtete auf ihn, als er sich auf eine Bank setzte und seine Rollschuhe abschnallte.
„Also, weiter", drängte die Witwe, „machen wir, daß wir sie wegkriegen von hier, bevor man uns auf die Schliche kommt." „Richtig", pflichtete ihr der Neffe bei. Zusammen mit dem Anwalt hob er die Statue wieder hoch. Als sie die Treppenstufen hinabstiegen, trat der Neffe aber auf einen der Rollschuhe des Jungen, stolperte, rollte die restliche Treppe hinunter und ließ die Statue fallen.
Sie standen alle reglos da und starrten entsetzt auf die hundert Trümmer, in die die Statue zerbrochen war. „O mein Gott!" klagte die Witwe. „Jetzt schau dir an, was du gemacht hast. Da liegen zehn Millionen Dollar in Scherben!" Nicht einer von ihnen verschwendete auch nur einen Gedanken daran, daß sie tatsächlich ein unersetzliches, herrliches Kunstwerk zerstört haben könnten.
David kam gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, was geschehen war. Er ging an ihnen vorbei in das Museum und in das Büro des Direktors. Dort stand die wirklich echte Michelangelo-Statue.
Der Direktor lächelte. „Sie haben völlig recht gehabt. Hätte ich nicht, wie Sie vorgeschlagen haben, eine billige Kopie der Figur anfertigen lassen, dann läge jetzt ein echter Michelangelo in Trümmern. Wie es meine Anweisungen verlangen, werde ich diese echte Figur demjenigen der Erben übergeben, der sie nach dem Ende der Ausstellung als erster einfordert." Er sah auf die Uhr und sagte: „Und die Ausstellung ist - jetzt zu Ende."
„Ich fordere sie ein", sagte David.
Der Direktor nickte. „Und damit gehört sie Ihnen. Ich habe bereits mit dem Museumsvorstand gesprochen. Man ist sehr daran interessiert, sie anzukaufen. Ich bin ermächtigt, bis zu zehn Millionen Dollar zu gehen." „Abgemacht", sagte David lächelnd. „Auf wen möchten Sie den Scheck ausgestellt haben?" „Schreiben Sie ihn auf die Wohltätigkeitsstiftung Samuel Stone aus", flüsterte David.
Der Direktor sah ihn erstaunt an. „Warum flüstern Sie denn?" David deutete nach oben zum Himmel. „Ich will nicht, daß er es hört", sagte er.
Unnötig zu sagen, daß die anderen ausgesprochen wütend waren, als sie alles erfuhren. Und noch wütender waren sie, daß David das ganze schöne Geld der Wohltätigkeit gab. „Das kommt uns nicht noch einmal vor", schworen sie sich. „Das nächste Mal sorgen wir dafür, daß wir das Geld bekommen."
In der folgenden Woche waren sie auftragsgemäß wieder alle in der Bibliothek des Hauses Stone versammelt, um die Einzelheiten der nächsten Schatzsuche zu erfahren. Wieder schaltete der Butler den Fernseher und den Videorecorder an, und es erschien erneut das Gesicht von Samuel Stone auf dem Bildschirm. „Guten Morgen", sagte er.
Alle murmelten automatisch ebenfalls: „Guten Morgen." Samuel Stones Blick wanderte vom Bildschirm über sie alle hin. „Nun, inzwischen hat ja wohl einer von euch die Statue gefunden, nehme ich an. Und meiner Vermutung nach hat euch jetzt die Gier in den Klauen, und ihr seid deshalb alle wieder hier versammelt."
Sein Blick blieb auf David haften. „Alle außer dir, David, natürlich. Ich hoffe nur, daß du nicht derjenige bist, der die Figur gefunden und bekommen hat. Der Gedanke, daß du das gesamte schöne Geld aus dem Erlös an ungewaschene kleine Waisenkinder verschwenden könntest, macht mich ganz krank."
David antwortete nur mit einem Achselzucken. Samuel Stones Blick wanderte weiter. „Na gut, seid ihr bereit für den nächsten Hinweis? Weitere zehn Millionen warten auf einen von euch." Jeder beugte sich gespannt vor und lauschte aufmerksam. „Hier ist der Hinweis..."