Hui aus - und immerwo an!

Der Brocken, die höchste Erhebung im Harz, ist der Sage als Blocksberg bekannt. Einmal im Jahr, und zwar immer in der Walpurgisnacht, versammeln sich dort die Hexen zum großen Hexentanz. Die Walpurgisnacht ist die letzte Nacht im Monat April. Wenn sie anbricht, strömen die Hexen von nah und fern auf dem Blocksberg zusammen, alte und junge, ranke, schlanke und bucklige, schöne Hexen, die es ja auch gibt, und hässliche. Samt und sonders kommen sie durch die Lüfte herangebraust, sei es auf einem Besen reitend, sei es in einer Backmulde, sei es auf einem Bügelbrett, auf der Ofengabel oder auf einem zusammengeklappten Regenschirm. Welches Beförderungsmit­tel sie wählen, bleibt ihnen freigestellt, nur teilnehmen müssen sie. Keine von ihnen darf in der Walpurgisnacht auf dem Blocksberg fehlen, keine darf dem großen Hexentanz ungestraft fern bleiben.

Im bayrischen Pfaffenwinkel, da ist eines Abends zu später Stunde ein Bauernknecht unterwegs gewesen zu seinem Mädchen: weiß der Himmel, in welcher Absicht - er selber, der Hias, wird es schon gewusst haben. Was er nicht gewusst hat, war etwas anderes. Und zwar hat er nicht gewusst oder nicht bedacht, dass er in der Walpurgisnacht unterwegs war. Im Dorf ist es still gewesen, auch auf den Bauernhöfen ringsum. Alles finster und still, wie sich das zu nachtschlafender Zeit gehört. Bloß beim Summerer auf der Leiten, da hat noch ein Licht gebrannt. Und der Hias, wie er dort vorbeikommt auf seinem nächtlichen Weg, und wie er ein bisserl näher hinschaut - was sieht er, in der erleuchteten Stube drin?

In der Stube sieht er die Summerin stehn, und zwar splitternackt. Sakra, sakra! Zuerst hat der Hias sich fortmachen wollen. Aber er ist halt ein sündiger Mensch gewesen, nicht wahr, und was kann man von einem sündigen Menschen erwarten? Zumindest Neugier.

Er bleibt also vor dem erleuchteten Fenster stehen wie angewurzelt und starrt in die Stube hinein. Die Summerin holt vom Küchenbrett einen Tiegel herunter, da ist, wie sich alsbald erweist, eine Salbe drin. Und eben mit dieser Salbe schmiert sich die Summerin ein: von oben bis unten, am ganzen Leib. Dann stellt sie den Tiegel aufs Wandbrett zurück und besteigt einen Besen, den hatte sie schon bereitgelegt.

Und spätestens jetzt hat der Hias sich denken können, was da im Gange war.

Die Summerin spricht einen Zauberspruch. »Hui aus - und nimmerwo an!«, hört der Hias sie rufen - und hüraxdax, huraxdax! saust der Besen mit ihr davon, zum Schornstein hinaus und mit Windeseile dahin, dahin!

Den Hias hat das Fell gejuckt. Die Hexensalbe, der Zauberspruch. Ein Besen wird sich schon finden lassen, denkt er sich. Notfalls tut’s auch die Ofengabel. Gedacht, getan. Die Haustür war nicht verschlossen, verschlossen waren im Pfaffenwinkel die Haustüren damals alle nicht.

Der Hias also schlieft in die Stube, der Hias entledigt sich des Gewands, der Hias holt den Tiegel vom Wandbrett. Dann beschmiert er sich mit der Hexensalbe, von oben bis unten, am ganzen Leib. Die Salbe duftet nach allerlei Kräutern, nach mancherlei Spezereien. Dem Hias wird’s ganz leicht und wohl davon. Er klemmt sich den Stiel der Ofengabel zwischen die Beine, dann ruft er den Zauberspruch: »Hui aus - und immerwo an!«

Sogleich tut der Spruch seine Wirkung, die Ofengabel saust mit dem Hias davon. Hüraxdax, huraxdax!, fährt sie mit ihm zum Schornstein hinaus. Aber der Hias, wir haben es schon bemerkt: Der Hias hat sich mit dem Hexenspruch leider vertan, er hat einen Buchstaben weggelassen, bloß einen einzigen, aber das reicht schon hin - und nun kriegt er die Quittung dafür!

Die Ofengabel tut, was der Hias ihr befohlen hat. Sie sorgt dafür, dass er immerwo anstößt! Im Schornstein haut es ihn gegen die Mauersteine, und draußen im Freien erst recht! Da gibt’s keinen Baum, keinen Holzstoß und keinen Stadel, den sich die Ofengabel entgehen ließe: Sie haut ihn mit aller Gewalt dagegen, den armen Hias. Hüraxdax, huraxdax!

Bloß gut, dass er nicht den vollen Weg bis zum Blocksberg hat reiten müssen! Die Ofengabel, das rabiate Biest, schmeißt ihn einfach ab, schon gleich hinter Weilheim muss das gewesen sein. Zum Glück ist er wenigstens weich gefallen, der Hias - na ja, selbst Misthaufen haben bisweilen ihr Gutes. Wenngleich man von einem Misthaufen nicht erwarten darf, dass er nach Kräutern und Spezereien duftet. Ebenso wenig wie man vom Hias aus dem Pfaffenwinkel erwarten darf, dass er sich jemals wieder mit Hexensalbe einschmieren wird, und dufte sie noch so wohl!

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