Ein Wort zuvor

Die Welt ist voller Geheimnisse, voller Rätsel und Überraschungen. Immer wieder geschah und geschieht es, dass sich im Leben des Menschen Dinge ereignen, die über seinen Verstand, über sein Verständnis hinausgehen. Denkwürdige Vorkommnisse solcher Art bilden Grundstoff und Nährboden der Volkssage. Von unerhörten Begebenheiten ist da die Rede, von staunenswerten Geschehnissen, von verblüffenden Wendungen, Glücksfällen, Schicksalsschlägen. Was mag wohl dahinter stecken? Der blinde Zufall, das Walten höherer Mächte? Himmlische Gnade oder die Tücke des Satans? Fragen über Fragen, auf die auch die Volkssage keine letzte Antwort gibt. Die Volkssage deutet Antworten höchstens an. Doch vielleicht macht gerade der Umstand, dass sie so vieles in geheimnisvoller Schwebe belässt, einen ihrer besonderen Reize aus.

Es gibt zahlreiche Sammlungen deutscher Volkssagen. Stellte man sie alle nebeneinander, so würden sie ganze Wände füllen. Wer sich näher mit ihnen beschäftigt, wird zu der Feststellung kommen, dass sich in der Welt der Sage bestimmte Themen, bestimmte Vorwürfe und Motive auffallend häufen. Sie treten an den verschiedensten Orten zu Tage, nicht selten in weit voneinander entfernten Landstrichen. Keine Geschichte unter den vielen, die einer der anderen völlig gliche, es gibt zwischen ihnen allen kleine und größere Unterschiede; manchmal beginnen zwei Varianten ein und derselben Sage verdächtig ähnlich, um bald schon in entscheidenden Zügen weit voneinander abzuweichen; manchmal führt eine überzeugend beginnende Fassung zu einem durchaus unbefriedigenden Abschluss, anderswo ist das gerade Gegenteil der Fall.

Seit langem trug ich mich mit der Absicht, die schönsten und interessantesten Volkssagen der deutschen Überlieferung und ihres Umfeldes auszuwählen und neu zu erzählen. Dabei war und ist es mein Plan, die unterschiedlichen Fassungen einzelner Geschichten miteinander zu verbinden, um mich auf diese Weise sozusagen dem Idealtyp der betreffenden Sage so weit wie möglich anzunähern. In der Praxis bedeutet das, etwa den überzeugenden Anfang einer Geschichte, die aus dem Sächsischen stammt, mit dem befriedigenderen Schluss zu versehen, wie er aus dem Thüringer Wald überliefert wird; und zwischendurch werden dann ein paar ergänzende Einzelheiten aus der Lausitz hinzugefügt, ein paar Farbtupfer aus dem Eichsfeld.

Ich bin ein Geschichtenerzähler, kein wissenschaftlicher Sagensammler. In diesem Buch will ich nichts weiter tun, als Geschichten erzählen - Geschichten, die ich aus dem einen oder anderen Grund für besonders erzählenswert halte. Dabei nehme ich mir ganz bewusst die Freiheit, mit den vorgefundenen Stoffen zu spielen, Überliefertes auf meine persönliche Art erzählerisch abzuwandeln, stets in der Absicht, das zu Erzählende rund und schlüssig zu machen.

Nach den Schatzgeschichten (OMNIBUS 26124) folgen nun dreizehn Geschichten von Hexen und Zaubermeistern.

Der Wunsch, sich geheime Macht zu verschaffen, Macht über Mensch und Tier, über das Reich der Natur und das Reich der Geister: Vermutlich ist er so alt wie die Menschheit selbst. Dahinter steckt die Verlockung der Schlange im Paradies, das Streben des Menschen, wie Gott zu sein, sich zum uneingeschränkten Herrscher über die Schöpfung aufzuschwingen. Und wenn das mit Gottes Hilfe nicht zu erreichen ist, versucht man es eben mit Gottes höllischem Widersacher, dem Satan. Der Böse scheint gern bereit zu sein, solche Hilfe zu leisten. Nicht ohne Gegenleistung natürlich. Der Pakt mit dem Teufel steht denn auch meistens am Anbeginn aller Geschichten, die uns von großen und kleinen Zauberern überliefert sind, von Hexen und Hexerichen. Und nur in seltenen Ausnahmefällen gelingt es dem einen, gelingt es der andern von ihnen, dennoch Erlösung zu finden ...

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