Ein Dieb, ein Dieb!

Verwunderlich oder auch nicht: Unter den großen und kleinen Zauberern gibt es auffallend viele Ärzte und Theologen. Dem sei, wie es sei. Auch das Erzgebirge hatte selbstverständlich seinen Zaubermeister, und zwar den Herrn Zauberer Pater Hahn, der vor etwa zweihundert Jahren Pfarrer in der Bergstadt Platten gewesen ist. Die Bezeichnung Pater bedeutet nicht, er sei Angehöriger eines Ordens gewesen: Jeder katholische Priester ist in den böhmischen Randgebieten als Pater bezeichnet worden, so auch der Pater Hahn. Wie der Lausitzer Mühlknappe Pumphutt gehörte er zu den Spaßvögeln seiner geheimen Zunft. Und im Übrigen scheint er nicht nur ein Zauberkünstler gewesen zu sein, der Herr Pater Hahn. Er war auch ein guter Menschenkenner, wie aus der Geschichte vom Messer, vom Bierschlägel und vom Sauerkrautfass hervorgeht.

Damals lebte in Platten der Herr Anton Posselt, ein Fleischer­und Selchermeister, und überdies Gast- und Schankwirt im Schwarzen Ross, einem der größten Gasthöfe weit und breit. Da kann man sich vorstellen, wie viel Leute bei ihm beschäftigt waren: die Fleischergesellen, der Wurstmacher und die Lehrjungen, Köchin und Küchenmägde, zwei Aufwartefrauen, der Hausknecht, das Waschweib, zwei Stubenmädchen und, nicht zu vergessen, der Schankbursch. Sie alle haben ihr gutes Auskommen dort gehabt, beim Herrn Anton Posselt und seiner Frau, der Posselt Hermine - bis der Herr Anton dann eines Tages dahinter gekommen ist, dass ihm jemand Geld aus der Lade gestohlen hat, keinen großen Betrag, zehn, zwölf Kreuzer bloß, aber immerhin.

Den Herrn Posselt verdrießt das. Und was ihn erst recht verdrießt: Ein paar Tage danach fehlt wiederum Geld aus der Lade. Wer mag es gestohlen haben? Dem Herrn Posselt ist völlig klar: Als Dieb kommt nur jemand in Frage, der unter seinem Dach lebt, jemand von seinen Hausleuten. Aber wer? Ein Glück nur, dass es in Platten den Pater Hahn gibt!

Der Herr Posselt bittet also den geistlichen Herrn darum, in der Sache Rat zu schaffen. Und der geistliche Herr ist auch gern bereit dazu. Sicherlich, das bemerkt er wie nebenbei, wird dem Herrn Wirt ja bekannt sein, wie dringend man Spenden benötige für das Dach der Stadtkirche. Nächsten Sonntag, wenn man bei Posselts zu Tisch sitze, möge der Herr Wirt dafür Sorge tragen, dass von den Hausleuten niemand fehle. Und noch was! Ein Fass voll Sauerkraut müsse bereitstehen in dem Raum, wo gegessen wird. Und das Fass müsse noch verschlossen sein.

Am Donnerstag haben wiederum ein paar Kreuzer gefehlt in der Lade, no ja. Und am Sonntag dann, wie man bei Posselts zu Tische sitzt, alle Hausleute sind versammelt, das Fass mit dem Sauerkraut steht in der Stubenecke bereit: Am Sonntag, gleich nach dem Tischgebet, fliegt die Tür auf - und ein tritt der Pater Hahn, umwölkten Gesichtes, mit halb geschlossenen Augen, die Arme weit vor sich hingestreckt.

»Unter diesem Dache ...« Die Stimme des Paters klingt schaurig hohl, als ob sie von jenseits der Welt käme, selbst dem Herrn Posselt wird es ganz zweierlei. »Unter diesem Dache, an diesem Tische . Ein Dieb, ein Dieb! Ein Dieb, der nicht einmal, nicht zweimal - ein Dieb, der den eigenen Herrn, den Herrn Anton Posselt, schon mindestens dreimal bestohlen hat. Wehe ihm! Dreimal wehe!«

Am Tisch des Herrn Anton Posselt, Fleischer- und Selchermeister, auch Gast- und Schankwirt zu Platten im Erzgebirge, herrscht tiefes, beklommenes Schweigen. Die Hausleute ducken sich auf die Suppenteller hinab: der Hausknecht, die Köchin, die Küchenmägde, die Stubenmädeln, der Schankbursch, die Fleischergesellen zusamt den Lehrjungen und dem Wurstmacher - alle ducken sich tief hinab, der Herr Posselt und seine Frau Hermine nicht ausgenommen.

»O Herrgott in deiner Güte!« Der Pater richtet den Blick zur Decke. »Gib, dass der Dieb sich melde, dass er aus freien Stücken sich zu dem Diebstahl bekenne - sonst bin ich gezwungen, die Kunst zu gebrauchen! Du weißt ja, o Herr, was damit gemeint ist.«

Schweigen am Tisch des Herrn Anton Posselt, furchtsames und gespanntes Schweigen. Wer wüsste zu Platten nicht, dass der Herr Pater mehr kann als Brot essen?

»Nun wohl!« Dem Herrn Zauberer Pater Hahn bereitet es wenig Freude, zu einem seiner besonderen Mittel zu greifen: Das merkt man ihm an. Was er ergreift, ist ein langes Messer, das auf dem Posselt’schen Tisch liegt. »Seht es euch an!« Der Herr Pater Hahn hält das Messer in der erhobenen Rechten. »Seht es euch an - und dann richtet den Blick hinüber auf jenes Fass!«

Was er wohl mit dem Sauerkrautfass im Sinn hat? Die finstere Miene des Paters verheißt nichts Gutes.

»No schön. Da der Dieb sich nicht freiwillig meldet, muss ich mich meiner magischen Kunst bedienen, indem ich ...« Ein Blinder sieht, dass es den Pater gewaltige Überwindung kostet, den Zauber ins Werk zu setzen.

»Ich werde also«, fährt er mit düsterer Miene fort, »das Messer in dieses Fass stoßen - und so wahr, wie die Messerklinge ins Fass fährt, wird sie dem Dieb in den Leib fahren, mitten hinein ins Gedärme!«

Der Herr Pater tritt an das Sauerkrautfass heran. Mit der Linken setzt er die Messerspitze genau auf die Mitte des Fassdeckels, mit der Rechten ergreift er den hölzernen Bierschlägel, mit dessen Hilfe der Schankbursch die Bierfässer anzapft.

»Noch ist Zeit«, mahnt der Pater. »Noch könnte der Dieb sich zu seinem Diebstahl bekennen . « Er blickt in die Runde, stechenden Blickes. »Ich zähle bis drei, dann wird zugeschlagen.

Und dass ihr’s nur wisst, Geliebte im Herrn: Ich werde das Messer dreimal im Fass - was sag ich! - im Bauch des Diebes herumdrehn, damit’s auch dafürsteht.«

Der Wurstmacher duckt sich, eins von den Stubenmädeln beginnt zu zittern, der Schankbursch wird grün im Gesicht, der Schweiß tritt ihm auf die Stirn. Das Messer ist angesetzt, Pater Hahn hebt den Bierschlägel, weit holt er damit aus, jeden Augenblick wird er zuschlagen .

»Nein, nein, nein!« Die Posselt Hermine, weiß wie die Wand, ist emporgeschnellt. »Erbarmen, Herr Pater! Nicht zuschlagen! Habt Erbarmen mit mir!«

»Du?« Der Herr Anton Posselt, Fleischer- und Selchermeister zu Platten im Erzgebirge, auch Gast- und Schankwirt alldorten, traut seinen Ohren nicht. »Du bist’s gewesen, Alte?«

»Ja - ich.« Die Posselt’sche schlägt die Augen nieder.

»Verzeih mir, Alter! Verzeiht mir alle! Ich hab mir doch bloß einen Ring wollen kaufen, im Sächsischen drüben. Und eine Halskette. Dazu hab ich das Geld aus der Lade genommen. Ich hab ja kein eigenes, um mir dann und wann was davon zu kaufen.«

»Schon gut, meine Tochter, schon gut.« Der Herr Zauberer Pater Hahn ließ den Bierschlägel sinken, atmete hörbar auf und legte das Messer an seinen Platz zurück. Dann wandte er sich der schluchzenden Frau zu. »Bereut und gebeichtet ist halb vergeben. Bevor ich dich endgültig losspreche, auferlege ich dir eine Buße von zwanzig Talern, bestimmt für das neue Dach der Pfarrkirche .«

An dieser Stelle unterbrach er sich stirnrunzelnd, ehe er fortfuhr: »Ach, meine Tochter, fast hätte ich ja vergessen, dass du kein Geld hast, von dem du die Buße leisten könntest, kein eigenes jedenfalls . No, was können wir denn da tun?«

Der Herr Pater legte den rechten Zeigefinger an die Nase und dachte nach. Bald erhellte sich seine Miene wieder, ein guter Einfall schien ihm gekommen zu sein. Mit sanfter Miene tat er ihn kund und belehrte die Posselt’sche:

»Auferlegt, meine Tochter, ist auferlegt: Daran lässt sich nicht rütteln . Am besten, du sprichst über alles Weitere mit dem Herrn Anton, ja? Über das Bußgeld - und über den Ring und die Halskette. Er soll froh sein, dass dir das Messer nicht ins Gedärme gefahren ist. Auch rate ich ihm, in Hinkunft dafür zu sorgen, dass du ein bissl eigenes Geld zur Verfügung hast. Amen, amen.«

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