Seiner Durchlaucht Elchgeweih

Gerade Soldaten sind immer wieder in den Verruf gekommen, sich zauberischer Praktiken zu bedienen, etwa beim Guss von Freikugeln. Auch aufs Festmachen soll sich mancher Soldat verstanden haben: Mithilfe eines bestimmten Zaubers oder dank eines schwarzen Segens wurde er kugelfest, was zur Folge hatte, dass er von keinem gegnerischen Geschoss verletzt werden konnte. Es soll Fälle gegeben haben, wo solche »gefrorenen« Kriegsleute nach einem Gefecht ganze dutzende feindlicher Kugeln aus der Montur geschüttelt hätten wie Hagelkörner. Übrigens wurde nicht nur gemeinen Soldaten nachgesagt, dass sie zaubern könnten: Auch Obristen und Generäle standen bisweilen in diesem Verdacht.

Wie der polnische General Sibilski soll auch Fürst Leopold von Anhalt-Dessau in der für einen Heerführer glücklichen Lage gewesen sein, jederzeit über beliebig viele Soldaten verfügen zu können. Der alte Dessauer, wie der in königlich preußischen Diensten stehende Fürst genannt wurde, brauchte nur wahlweise Hafer- oder Hirsekörner in einen Kessel zu schütten, nicht ohne dabei eine gewisse Beschwörungsformel zu murmeln, versteht sich: Dann sprengten im Handumdrehen ganze Schwadronen von Reiterei aus dem Kessel hervor oder es marschierten regimenterweise Fußsoldaten heraus. Zudem besaß der alte Dessauer einen Hut, den brauchte er lediglich in die gewünschte Richtung zu drehen - und rumpeldiepumpel schoss es in diese Richtung aus hundert Kanonen, die gar nicht vorhanden waren.

Der König von Preußen beschenkte den Fürsten zum Dank für erwiesene Kriegsdienste mit der Herrschaft Norkitten im nördlichen Ostpreußen, unweit der litauischen Grenze. Dort ließ sich der alte Dessauer einen Herrensitz errichten, schon eher ein kleines Schloss, und wie es seine Art war, versah er das Schlösschen mit allerlei magischem Schutz gegen Neid- und Schadenszauber von außerhalb. In Hinkunft verbrachte der alte Fürst jedes Jahr ein paar ruhige Sommerwochen auf seinem Herrensitz in Norkitten; und da in der nahen Ortschaft Bubainen dringend eine neue Mühle benötigt wurde, brachte er eines Sommers aus dem heimatlichen Dessau einen Mühlenbaumeis­ter mit und befahl ihm, die Mühle zu bauen.

Der Mühlenbaumeister zog ein paar Zimmerleute samt ihren Gehilfen zum Bau heran, und wie bei einem Dessauer Mühlenbaumeister nicht anders zu erwarten, ging der Mühlenbau unter seiner fachkundigen Anleitung rasch und zufrieden stellend vonstatten. Da stellte sich eines Tages ein fremder Zimmergesell aus Litauen auf der Baustelle ein, hoch aufgeschossen und weizenblond. Ob man ihn brauchen könne, beim Bau der Bubainer Mühle?

Der Baumeister winkte ab: kein Bedarf mehr, schon gar nicht an Fremden. »Na gut«, meint der Weizenblonde mit einem Achselzucken. »Na schön.« Doch von jetzt an, seit diesem Achselzucken, geht alles schief, was nur schief gehen kann beim Bau der Bubainer Mühle: Die Balken lösen sich aus den Zapfen, das Mühlrad dreht auf der Welle durch, die Schleusen am Mühlenteich lassen sich weder öffnen noch schließen. Und jeden Tag kommt der Weizenblonde vorbei, besieht sich den Schaden und grinst sich eins. Bis der Baumeister ihn zur Rede stellt. Ob etwa er es sei, dem sie den ewigen Ärger da zu verdanken hätten? »Kann schon sein«, meint der Weizenblonde. »Versuch’s mal mit drei Dukaten, Baumeister. Kann schon sein, dass dann alles in Butter wäre.«

Der Baumeister ging zum alten Dessauer nach Norkitten und rapportierte ihm alles. »Schon gut.« Der Alte strich sich den Schnauzbart. »Versprech Er ihm, Baumeister: Wenn die Mühle erst mal für alle Zeiten in Gang ist, soll mir’s auf drei Dukaten nicht ankommen.«

Na gut, na schön. Der Baumeister übermittelt dem Weizen­blonden das Angebot und der Weizenblonde ist einverstanden. Auch diesmal ein Achselzucken, auch diesmal ein Augenzwin­kern - und Donnerwetter, die Mühle ist fix und fertig, die Mühle mahlt! Und die drei Dukaten?

»Bekommt Er«, sagte der alte Dessauer, als ihn der Weizenblonde nach dem vereinbarten Lohn fragte. »Aber erst dann, wenn es mir behagt. Und darauf kann Er lange warten, Er Lausekerl!«

Der Weizenblonde ist wütend. Aber er kann ja zaubern! Er wird Seiner fürstlichen Durchlaucht alles nur denkbare Zeug an den Hals wünschen! - denkt er, der Weizenblonde. Wie konnte er wissen, dass das Norkittener Schlösschen mit allem erdenklichen Schutz gegen Neid- und Schadenszauber versehen war? Zähneknirschend stellt er dies fest, der Weizenblonde. Und zähneknirschend muss er sich fügen. Solang sich der alte Dessauer auf Norkitten aufhält, ist ihm nicht beizukommen, selbst mit dem stärksten Zauber der Welt nicht. Na gut, na schön. Der Weizenblonde hat Zeit, der Weizenblonde kann warten.

Im Herbst wird der Fürst zum König von Preußen beordert, nach Königsberg: Man will seine Meinung hören, man braucht seinen Rat. Für die Zeit seines Aufenthalts darf der Alte in einem der besten, der schönsten, der allerbequemsten Gemächer logieren, die es im Schloss zu Königsberg gibt. Aber eben in einem Schloss, dessen Mauern den Fürsten von Anhalt-Dessau weder vor Neid- noch vor Schadenszauber bewahren können.

In Königsberg lehnt sich der alte Herr eines Morgens ahnungslos aus dem Fenster und blickt auf den Schlossplatz hinab, guter Dinge sein Pfeifchen schmauchend. Und wer blickt vom Schlossplatz zu ihm empor? Nun wer wohl! Zum alten Dessauer blickt der Weizenblonde empor: »Na?«, fragt er augenzwinkernd. »Krieg ich nun die Dukaten?«


»Die drei?«, fragt der alte Dessauer spöttisch zurück.

»Mit Verlaub«, erwidert der Weizenblonde. »Es sind mittlerweile schon vier. Und bald werden es fünfe sein.«

Er schnalzt mit den Fingern. Im Schloss zu Königsberg ist der Alte ihm ausgeliefert, anders als auf Norkitten. »Es könnten auch sechse werden, Fürstliche Durchlaucht .«

Der alte Dessauer zieht an der Meerschaumpfeife, der alte Dessauer weiß nicht, dass ihm der Weizenblonde ein Elchgeweih an die Stirn gehext hat. Ein Elchgeweih, mächtig nach beiden Seiten ausladend! Noch merkt Seine Fürstliche Durchlaucht nichts davon. Die Leute indessen, die auf dem Schlossplatz vorbeikommen, sehen das Elchgeweih auf der fürstlichen Stirn. Und sie sehen auch, dass es sich auswächst, nach rechts und nach links. Die Elchschaufeln wachsen sich mächtig aus, in die Breite und in die Länge. Schließlich erreichen sie solch gewaltige Ausmaße, dass sie das fürstliche Haupt hinabziehen, weit nach vorn und hinab auf das Fensterbrett.

Der alte Dessauer will sich aufrichten, will den Kopf aus dem Fenster zurückziehen: viel zu spät schon! Die Elchschaufeln hindern den Fürsten daran, der Fensterstock ist zu schmal für sie! Vom Schlossplatz herauf: ein Schmunzeln, ein Augenzwin­kern. Der Weizenblonde! Der dreimal vermaledeite Zimmergeselle aus Litauen.

»Nun, Euer Durchlaucht - wie viel jetzt?«

»Fünfe, in Teufelsnamen!«

»Sechse - und keinen drunter!«

Der alte Dessauer, königlich preußischer General und Heerführer: Leopold Fürst von Anhalt-Dessau - was bleibt ihm übrig in dieser vertrackten Lage, was kann er tun?

»Von mir aus!« Er fingert aus seiner Börse die sechs Dukaten hervor und wirft sie dem Weizenblonden aus Litauen in die Mütze. »Nun aber, Lausekerl, mach Er mich wieder los da!«

»Den Lausekerl stelle ich Euer Durchlaucht extra in Rechnung.« Der Weizenblonde verneigt sich spöttisch.

»Durchlaucht sollten die Güte haben, noch einen draufzulegen ...«

»Na gut, na schön!«

Dem alten Dessauer blieb keine andere Wahl. Mochte der Weizenblonde auch noch das siebente Goldstück haben - Hauptsache, dass Seine Fürstliche Durchlaucht das Elchgeweih wieder loswurde! Und das geschah denn auch.

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