Bloß eine Unterschrift

Doktor Johannes Faustus, der weltweit berühmteste aller Zauberer Deutschlands, war ein Zeitgenosse Martin Luthers, stammte aus dem Schwäbischen und hat sich an mehreren hohen Schulen aufgehalten, wo er Theologie, Medizin und Astrologie, vermutlich auch Alchemie studiert hat. Später zog er als Wahrsager und Kurpfuscher durch die Lande und kam noch zu Lebzeiten in den Geruch, ein Meister der schwarzen Magie zu sein. An seinen Namen knüpfen sich zahlreiche Geschichten, die bereits 1587 unter dem Titel »Historia von D. Johann Fausten« erstmals im Druck erschienen sind, eine bunter und abenteuerlicher als die andere. Auch als Puppenspiel ist der »Doktor Faustus« landauf, landab in den verschiedensten Varianten auf Jahrmärkten und in Wirtshäusern gespielt worden. Johann Wolfgang von Goethe war es dann, der den »weitbeschreyten Zauberer und Schwartzkünstler« des Volksbuchs zum leidenschaftlichen Wahrheitssucher gemacht und ihm zu literarischem Weltruhm verholfen hat. Während Goethe jedoch seinen Helden in letzter Stunde Gnade und Vergebung finden lässt, ist dem Faust des Puppenspiels und der Sage ein schreckliches Ende beschieden: Pünktlich nach Ablauf der Frist wird er, wie vertraglich besiegelt, vom Teufel geholt. Und dabei hatte doch alles so überaus viel versprechend begonnen, damals in Witten­berg ...

Über das Studium der Theologie und der Astrologie war er an die geheimen Wissenschaften geraten. Wer ihm dann in Wittenberg das siebente Buch Mosis zugespielt haben könnte, darüber gehen die Meinungen auseinander, vielleicht ist es schon der Teufel selber gewesen. Die schwarze Bibel! Lange Zeit hatte Faustus vergebens danach getrachtet, an sie heranzukommen. Jetzt hatte sein Wunsch sich endlich erfüllt.

Das verrufene Buch lag aufgeschlagen vor ihm auf dem Tisch. Sieben Nächte lang hatte der Doktor eifrig darin studiert, beim Schein einer schwarzen Kerze. Zuweilen hatte ihm bei der Lektüre vor Schauder und Staunen der Atem gestockt.

Die Seiten des Folianten waren mit magischen Zahlen, mit Zeichen und Formeln bedeckt. Was für ein Buch! Es schien wirklich zu halten, was Faust sich davon erhofft hatte. Es verschaffte ihm Zugang zu den geheimen Kräften, von denen die Dinge der Welt bewegt wurden. Und es verhieß ihm Macht über alle Geister.

Sieben Nächte lang hatte Faust sich darauf beschränkt, das Buch zu studieren. Heute war er dazu entschlossen, die Probe darauf zu machen. Mit Zirkel und Kreide hatte er auf dem Fußboden der Studierstube einen Kreis geschlagen - und innerhalb dieses äußeren Kreises zwei weitere: alle drei mit dem gleichen Mittelpunkt. Die Zwischenräume waren mit magischen Zeichen bedeckt, genau wie die schwarze Bibel es vorschrieb.

»Zwölfe hat’s geschlagen!« Der Nachtwächter rief in den Straßen die Mitternachtsstunde aus. Jetzt war es so weit!

Der Doktor Faustus stellte sich in die Mitte der Zauberkreise, von denen er wusste, dass sie ihn vor dem Zugriff der Geister beschützen würden; dann sprach er die erste Beschwörungsfor­mel. Da war es, als schlüge der Wind in den Schornstein des Hauses.

Zum Ofenloch fuhr eine kleine, schwarze Gestalt heraus, mit feurigen Augen und langem Schwanz, einem Affen gleich. Das äffische Wesen machte am Rand des äußersten Kreises Halt und ließ sich mit quäkender Stimme vernehmen:

»Zu Diensten, Meister. Du hast mich gerufen, ich bin zur Stelle. Mein Name ist Vitzliputzli, schnell bin ich wie der Pfeil, wenn er von der Sehne schwirrt. Wenn du mich brauchen kannst, will ich dir dienstbar sein.«

»Hinweg!«, gebot ihm der Doktor Faustus. »Was soll ich mit

einem Diener, der einem Affen gleicht? Apage, apage!«

Das Affenwesen verschwand im Ofenloch. Doktor Johannes Faustus versuchte es mit der zweiten Beschwörungsformel. Wieder ein Windstoß, dreimal so stark wie der vorige. Aus dem Feuerloch stob eine schwarze Gestalt hervor, zottelig, oben Mensch, unten Ziegenbock, mit gehörnter Stirn, mit geschwänztem Hinterteil.

Der Bocksmensch scherte sich nicht um den äußeren Kreis, erst an der zweiten, der mittleren Linie machte er Halt. In Faustens Studierstube verbreitete sich ein übler Gestank: Man weiß ja, wie Böcke stinken.


»Du hast mich gerufen, Meister, ich bin zur Stelle. Mein Name ist Auerhahn. Schnell bin ich wie der Wind, wenn er über die Dächer fegt. Wenn du mich brauchen kannst, will ich dir dienstbar sein.«

»Hinweg!«, gebot ihm der Doktor Faustus. »Was soll ich mit einem Diener, der wie ein Bock stinkt? Apage, apage!«

Der Bocksmensch verschwand, der Gestank verzog sich so plötzlich wieder, wie er gekommen war. Doktor Johannes Faustus versuchte es mit der dritten, der stärksten Formel. Kein Windstoß schlug in den Schornstein, kein Sturm erhob sich, kein Donner grollte. Hatte der dritte Spruch seine Wirkung verfehlt? Schon wollte der Doktor ihn wiederholen, da klopfte es an die Tür der Studierstube. Herein kam ein hagerer Mensch, gekleidet wie ein Student, von geschmeidiger Höflichkeit. Er verneigte sich vor dem Doktor und machte ihm seine Aufwartung.

Dass er beim Gehen ein wenig hinkte, fiel nicht besonders auf. Der Hagere achtete weder des äußeren noch des mittleren Kreises; erst an der dritten, der inneren Linie hielt er an.

»Hier bin ich, Meister. Mein Name ist Mephistopheles, das bedeutet der Listige und Gewandte. Schnell bin ich, schnell und leicht wie des Menschen Geist: gedankenschnell, um genau zu sein. Wenn du mich brauchen kannst, will ich dir dienstbar sein. Ich werde dich an die entlegensten Orte führen, in ferne Zeiten, in ferne Länder, wie immer es dir gefällt. Du wirst reich sein, wirst schöne Frauen haben. Ich werde dich alle Geheimnisse dieser Welt lehren, werde dir ihre Rätsel enthüllen bis auf den letzten, den tiefsten Grund.«

»Wohlan!«, sprach der Doktor Johannes Faustus. »Das hört sich nicht übel an, Mephistopheles. Was verlangst du für deine Dienstbarkeit?«

Der Teufel, denn Mephistopheles war ein Teufel, wenngleich in Menschengestalt: Der Teufel war auf die Frage vorbereitet. »Bloß eine Unterschrift«, sagte er leichthin, wobei er dem Doktor Faustus ein Pergament vor die Nase hielt; weiß der Kuckuck, woher er es plötzlich hatte. »Wir werden einen Kontrakt schließen, wie sich das gehört. Ich leiste dir meine Dienste, o Herr und Meister - und du verschreibst mir dafür deine Seele. Übrigens steht das alles auf diesem Blatt ...«

Der Doktor las den Kontrakt. Mephistopheles werde ihm, stand da zu lesen, in allen Dingen Gehorsam leisten, mit einer Ausnahme lediglich: Den Ablauf der Zeit zu ändern, dazu sei er weder befugt noch im Stande. Der Pakt solle zweimal ein Dutzend Jahre währen. Nach Ablauf der Frist verfalle die Seele des Doktor Faustus auf ewig der Hölle.

»Kein geringer Preis, den du da verlangst.« Noch zögerte Faustus, noch war er unschlüssig. Reisen in ferne Zeiten, in fremde Länder, Reichtum und schöne Frauen: Ob sie das Heil seiner Seele aufwogen?

»Und die Geheimnisse dieser Welt?«, fragte Mephistopheles lauernd. »Und dass ich dir ihre Rätsel enthüllen werde bis auf den letzten Grund - ist das etwa nichts?«

Was für ein Angebot! Welche Verlockung für einen forschen­den Geist, einen Mann der Wissenschaft! »Wahrhaftig!« Der Doktor pflichtete dem Versucher bei. »Das ist viel, das ist sehr viel. Feder und Tinte her, Mephistopheles!«

»Wozu Tinte, Meister? Man unterschreibt einen solchen Kontrakt nicht mit Tinte, ein solcher Kontrakt wird mit Blut unterschrieben.«

Mephistopheles reichte Faustus den Gänsekiel und ein Messerchen. »Ein kleiner Schnitt in den Arm wird reichen, Meister.«

Der Doktor streifte den linken Ärmel zurück, er brachte sich mit dem Messerchen einen Schnitt bei. Doch seltsam, es trat kein Blut aus der Wunde hervor. War das die letzte Warnung, ein letztes Zeichen zur Umkehr?

»Dein Blut scheint zu stocken, Meister. Wir werden es gleich

in Fluss bringen.«

Mephistopheles spitzte die Lippen, er hauchte auf Faustens Arm - an der Schnittstelle zeigten sich ein paar Blutstropfen. »Das reicht aus. Und nun rasch unterschrieben, Meister!«

Faustus gehorchte dem Teufel. Er netzte die Feder mit seinem Blut, dann setzte er seinen Namenszug auf das Pergament. Der Vertrag war besiegelt, der Pakt mit der Hölle in Kraft gesetzt.

»Topp!« Mephistopheles rieb sich die Hände. »Von Stund an, o Herr und Meister, werde ich jedem deiner Befehle Gehorsam leisten - zweimal ein Dutzend Jahre lang.«

Zweimal ein Dutzend Jahre: für den, der an ihrem Anfang steht, eine lange, eine beruhigend lange Zeit. Hätte es nur in Faustens Studierstube nicht die Uhr gegeben!

Plötzlich, so schien es dem Doktor, tickte sie lauter als sonst gewohnt. Lauter und sehr viel schneller. Draußen ertönte der Ruf des Nachtwächters. »Eins hat’s geschlagen.« Die erste Stunde der Frist war verstrichen, die zweite war angebrochen. Stunden würden zu Tagen, Tage zu Wochen werden, Wochen zu Jahren. Die Zeit lief dahin, sie ließ sich nicht anhalten. Mephistopheles lächelte spöttisch, den Doktor Faustus begann es, in tiefster Seele zu frösteln.

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