Wir wollen Darius Miller sehen


Er konnte sich nicht erklären, auf welchem Weg das Mädchen in sein Zimmer gekommen war. Der Manager hatte das gesamte oberste Geschoß des Hotels gemietet – es war hermetisch abgeschlossen und bewacht.

Darius saß an der Trainingsmaschine, der Gurt mit den Herzschalldetektoren preßte ihn in die harte Lehne, seine Füße waren an den Trethebeln festgeschnallt. Die Leistungskurve auf dem Wachspapierstreifen des Schreibautomaten zeigte an, daß er seit zwei Stunden angestrengt gearbeitet hatte – doch auf seiner Stirn saß kein einziger Tropfen Schweiß. Seit das Mädchen eingetreten war, stand das Räderwerk des Trainingsapparats still – es sah aus, als sei die Bewegung plötzlich eingefroren. Darius starrte das Mädchen an: Es war hübsch, sehr hübsch – wie die Mädchen auf den Titelseiten der Illustrierten.

»Ich bewundere dich«, sagte das Mädchen. »Du bist der Größte. Keiner ist so gut wie du, Darius Miller. Keiner ist mit dir zu vergleichen. Ich liebe dich!«

Darius saß regungslos, nicht einmal seine Lider zuckten.

»Komm her, küß mich«, forderte das Mädchen. »Hier stört uns doch niemand? Es ist doch alles abgeschlossen, oder nicht?«

»Ja«, antwortete Darius.

Sie trat näher an ihn heran. »Na, so komm schon. Küß mich! Oder gefalle ich dir nicht?«

»Doch, du bist hübsch«, sagte Darius. Doch noch immer rührte er sich nicht. Ein paar Sekunden war es still, fast still – denn von draußen, durch das offene Fenster, kamen Geräusche durch: Sprechchöre von Fans, die Darius Miller zu sehen verlangten.

Das Mädchen lauschte, wandte sich um, ging zum Fenster und sah hinaus. In dichten Trauben drängten sich die Menschen vor dem Hoteleingang. Sie verstopften die Straße, der Verkehr wurde umgeleitet. »Wir wollen Darius Miller sehen«, riefen sie, immer wieder und immer wieder.

Das Mädchen schlug das Fenster zu.

»Komm«, sagte sie. »Ich weiß doch, daß man dich seit Wochen eingesperrt hält – in Trainingslagern, Ausbildungscamps, Versuchsanstalten. Wie lange warst du nicht mehr mit Menschen zusammen? Wie lange hast du kein Mädchen mehr gehabt?«

»Ich muß trainieren«, sagte Darius.

»Ich heiße Edda«, erklärte das Mädchen. »Ich habe alle deine Spiele gesehen. Du bist einmalig. Niemand ist so stark wie du. Und niemand so schnell. Wieviel Tore hast du geschossen?«

»Fünfundneunzig – dieses Jahr«, sagte Darius.

»Ich bin dir nachgereist von Stadt zu Stadt. Ich wollte dich einmal sehen – aus der Nähe. Und nun bin ich hier!« Sie kam schnell auf ihn zu – »Unglaublich, diese Muskeln!« – und wollte nach seinem Arm greifen.

Darius fuhr zurück, so weit es die Gurte erlaubten. Edda zögerte, blickte ihn an. »Na, sei doch kein Spielverderber. Trainieren kannst du immer noch. Dieses Match heute nachmittag – das sind doch keine Gegner für dich.«

»Wir werden gewinnen, ja wir werden gewinnen«, sagte Darius. »Wir holen uns den Pokal. Ich habe schon neun Pokale. Heute kommt der zehnte hinzu!« Edda folgte seinem Blick. »Hast du sie hier, die Pokale? Zeig sie mir! Ich würde sie gern sehen – zeig sie mir!« »Ich kann nicht herunter«, sagte Darius. »Ich bin festgeschnallt.«

Edda öffnete die Schnalle der Brustgurte, dann bückte sie sich und löste die Riemen von seinen Füßen.

Darius glitt von seinem Sitz. Mit seinen bekannten wippenden Bewegungen ging er zum Telefon, wählte.

»Was tust du«, rief Edda, doch er schob sie heftig zurück. Er lauschte. Es knackte, jemand meldete sich.


Vier Stunden vor dem großen Ereignis. Der Vorstand tagte in Permanenz. Die Fernschreiber knatterten, auf den Displays erschienen die Köpfe der Agenten, die ihre Meldungen durchgaben.

»Hier Posten 7. Stadion. Keine besonderen Vorkommnisse. Nur das übliche. Zwei Bomben wurden aufgefunden – sie sind entschärft.«

»Hier Posten 3. Hotel Splendid. Hört zu, das könnte wichtig sein. Raggadru ist eben eingetroffen. Ihr wißt, der indische Hypnotiseur. Wurde von Spencer selbst begrüßt. Vielleicht wollen sie es mit Suggestion versuchen.«

»Das sollen sie nur versuchen«, sagte Haimes, der Club-Psychiater. Die andern lachten.

Der Präsident wandte sich an den Arzt: »Und was hast du dir einfallen lassen, Doc?«

Der Arzt räusperte sich. »Mit so plumpen Mitteln wie Abführ- oder Schlaftabletten ist heute nichts mehr zu machen. Dazu hat sich der Gegner zu gut abgeschirmt. Aber …«

»Aha, der Dopingplan«, unterbrach der Präsident.

»Ja«, bestätigte der Arzt. »Alles ist vorbereitet. Wenn wir das Spiel verlieren, gewinnen wir bei der Verhandlung. Ich habe die Sachverständigen bestochen. Sie werden verbotene Mittel finden – dafür garantiere ich.«

»Und die Strategie?« fragte Bob den Cheftrainer.

»Der Computer hat die letzten Spiele analysiert und das Programm danach entworfen. Den endgültigen Plan kann er erst nach den ersten Spielminuten ausarbeiten. Wir geben dann die Anweisungen per Funk an die Spieler.«

»Bestens«, sagte der Präsident. Er blätterte in einem Stoß von Notizzetteln. »Hank, wie steht es mit dem Publikum?«

Hank Mowgli, ein gelernter Film- und Fernsehregisseur, sprang auf. »Das Publikum steht hinter uns.«

»Und wenn es umfällt?«

»Wir haben die Lautsprecheranlage in der Hand, Chef. Wenn das Publikum nicht richtig mitgeht, spielen wir Applaus und Anfeuerungsrufe ab. Natürlich liegen auch Bänder mit Buhrufen und Pfeifkonzerten bereit – falls sich der Gegner auf faule Tricks einläßt.«

»Habt ihr auch KO’s und Ohnmachten eingeübt? Larry sah das letzte Mal aus wie ein sterbender Schwan!«

»Diesmal wirkt es echt – bestimmt – wir haben den Arzt zugezogen. Ob Gehirnerschütterung oder Wadenkrampf – alles läuft perfekt!«

Der Präsident nickte zufrieden. »Wird schon klappen.« Er wandte sich zu Hartigan, dem Juristen. »Und was hast du in petto?«

Der Jurist lachte. »Alle rechtlichen Sicherungen sind eingebaut. Für den schlimmsten Fall habe ich einen Mann engagiert – er war früher Weltmeister im Keulenzielwerfen. Er hat die Aufgabe, gegen Schluß des Spiels einem unserer Spieler eine Bierflasche auf den Kopf zu werfen. Daraufhin legen wir Protest ein – und haben einen Trumpf in der Hand: Gewinnen die anderen, dann lassen wir das Spiel annullieren.«

»Ausgezeichnet«, sagte Haimes …

Da kam der Anruf über das Haustelefon. Bob hob den Hörer.


»Bob, bei mir ist ein Mädchen. Was soll ich tun?« Wieder lauschte er. Dann sagte er: »Ja, Bob. Gewiß, Bob.« Er packte das Mädchen am Arm.

Edda kreischte. »Du tust mir weh!« Sie versuchte sich ihm zu entwinden, doch Darius hielt sie eisern fest. Sie gab den Widerstand auf. Ihr Haar war zerzaust, das Lippenrot verwischt. Sie sah nicht mehr so hübsch aus.

Dann stürzten die Wächter zur Tür herein, allen voran Bob.

»Was willst du hier, du Schlampe«, schrie er. Sein Gesicht war weiß vor Zorn. »Bringt sie hinaus!« Die Männer in den grauen Uniformen und den roten Emblemen des Clubs packten Edda und zerrten sie hinaus.

»Mach weiter, Darius«, sagte Bob sanft. Er half ihm auf den Sitz hinaus, zog die Riemen an. »Du hast noch eine Stunde zu arbeiten«, sagte er. »Du weißt – die Gelenke müssen richtig locker sein.«

»Ja, Bob«, sagte Darius und fing zu treten an.

Bob trat hinaus, schloß die Tür. Die Wächter standen draußen und hielten das Mädchen fest.

»Was wolltest du von ihm?« fragte Bob.

»Das werde ich dir sagen, du Scheusal«, schrie Edda. »Ich habe ein Kind von ihm, und er will nicht zahlen. Aber ich bringe ihn vor Gericht. Ich mache einen Skandal, wie ihr ihn noch nie erlebt habt. Ich werde verhindern …«

Bob schnitt ihr das Wort ab. »Bringt sie weg, hinunter in die Halle!«

Er ging hinter der Gruppe der Männer her, die das zappelnde Mädchen mehr trugen als führten.

Vor der Hoteltür machten sie halt. Bob trat hinaus. Er hob ein Megaphon, langsam wurde es still, die Chöre verstummten. Bob winkte mit der Hand.

»Leute, habt Verständnis – Darius muß trainieren. Wir wollen doch das Spiel gewinnen! Aber er dankt euch, jedem einzelnen von euch. Kommt heute nachmittag ins Stadion. Er wird sich freuen. Und nun macht Platz! Da ist ein Frau – sie hat versucht, Darius beim Training zu stören. Sie ist bis in sein Zimmer vorgedrungen. Wir mußten sie mit Gewalt herausholen. Macht Platz, damit sie verschwinden kann.«

Die Leute wichen etwas zurück. Die Wächter stießen Edda in die Gasse, die sich gebildet hatte. Einen Moment stand das Mädchen fast einsam inmitten der Menge, doch dann schloß sich die Lücke schlagartig um sie, und man hörte nur noch die Wutschreie der Fans.

Bob stand hinter dem Tor und blickte durch die blaugetönte Glasscheibe hinaus. Der Tumult dahinter erinnerte an eine Filmvorführung.

Hartigan, der Jurist, stellte sich neben ihn. Seine Miene war ein wenig besorgt. »Was ist, wenn an ihrer Geschichte etwas Wahres dran ist? Wie kannst du sicher sein, daß sie gelogen hat?«

Bob lächelte. Seine Augen verfolgten noch immer die Szene auf der Straße. »Dir kann ich es ja sagen«, meinte er. »Hast du je davon gehört, daß ein Roboter Vater wird?«

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