Zone Süd

»Sie sehen aber ganz genau so aus«, sagte Vardia verblüfft.

Serge Ortega nickte und starrte die beiden Personen an, die halb bewußtlos vor ihm am Boden lagen.

Sie befanden sich in der Zone-Klinik, und Dr. Muhar, der Ambreza, der wie ein Riesenbiber aussah, untersuchte Renard und Nikki Zinder.

»Wenn ich nur wüßte, was für eine Droge sie bekommen haben«, meinte der Arzt.»Ich habe so etwas noch nie gesehen. Aber es ist im Gehirn lokalisiert, die andere Infektion nicht.«

Ortegas buschige Brauen stiegen hoch.

»Andere Infektion?«

»Ja. Sie scheint jede Zelle ihrer Körper befallen zu haben. Irgendeine Art Enzym, wie mir scheint, krasses Schmarotzertum. Überall Gewebezerfall, der sich ständig fortsetzt. Würden Sie diesen Schwamm erkennen, wenn Sie ihn sähen?«

Die beiden anderen schüttelten die Köpfe.

»Wir haben beide vor langer Zeit die Wirkung beobachtet, aber den Stoff selbst, unter dem Mikroskop, nein.«

An der Tür wurde es laut. Sie ging auf, und ein anderes Wesen stand vor ihnen.

Es war ungefähr einsfünfzig groß und stand auf zwei dicken Tentakeln ohne Gelenke. Davon besaß es mehr — noch drei Paare, entlang der Körpermitte. Jeder Fühler schien am Ende gespalten zu sein, so daß er etwas aufheben konnte, wie etwa mit einem Fäustling, oder sich um etwas zu schlingen vermochte. Das Wesen stand auf dem hinteren Paar, brauchte aber mindestens vier, um auf sie zuzugehen. Das Gesicht war breit, mit kurzer, flacher Nase, gewölbten Nasenflügeln und zwei runden Augen, die wie große Samtlappen aus leuchtendem Bernstein aussahen. Der Mund hatte einen verschiebbaren Kiefer, und im Inneren war, wie Ortega wußte, eine lange, strickartige Zunge zusammengerollt, die als neuntes Greiforgan verwendet werden konnte. Auf beiden Seiten des Kopfes besaß es untertassenartige Stellen, vom Kopf ein wenig abgehoben, die aber an Gelenken auf- und zuzugehen schienen.

Als das Wesen den Raum betrat, verblaßte jedoch alles vor den riesigen Flügeln. Sie liefen am ganzen Rücken entlang. Die Schwingen waren leuchtend orangerot und bedeckt mit konzentrischen braunen Ringen.

Vardia und der Ambreza traten einen Schritt zurück. Ortega blieb, wo er war, obwohl das grimmige Gesicht beinahe angsterregend wirkte. Keiner von den anderen hatte je zuvor einen Yaxa gesehen, Ortega schon. Er kannte dieses Wesen sogar. Er glitt auf den Neuankömmling zu.

»Wooley!«rief er.»Ich freue mich sehr, daß Sie kommen konnten!«

Das Wesen blieb kalt, distanziert, sagte aber:»Hallo, Ortega.«Es blickte auf die regungslosen Körper von Renard und Nikki.»Sind sie das?«

Ortega nickte sachlich.

»Dr. Muhar hat Zellgewebe unter dem Mikroskop. Können Sie hineinschauen, oder sollen wir es projizieren?«

Der Yaxa ging zum Mikroskop und betrachtete die Probe mit einem seiner sonderbaren Augen.

»Es ist Schwamm«, sagte das Wesen.»Kein Zweifel.«Er richtete den Blick auf die beiden Gestalten auf den Betten.»Wie weit schon fortgeschritten?«

»Fünf Tage ohne Dosis«, erwiderte Ortega.»Was würden Sie sagen?«

Der Yaxa überlegte kurz.

»Kommt darauf an, wie sie angefangen haben. Der Zellverfall ist noch nicht weit fortgeschritten, aber der Geist wird zuerst zerrüttet. Wenn sie von durchschnittlicher Intelligenz waren, sollten sie viel schlauer sein als der Dorftrottel — für ein, zwei Tage noch. Dann tritt der Rückfall ins Animalische ein. Sie werden große nackte Affen. Ich würde sie so schnell wie möglich durch den Schacht laufen lassen. Sofort.«

»Das meine ich auch«, sagte Ortega.»Und ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie von so weit her gekommen sind.«

»Sie stammen von dem neuen Mond?«fragte der Yaxa.

»Ja. Und wenn sie die richtigen sind, sitzen wir ganz arg in der Klemme. Das würde bedeuten, daß wir uns von Kopien haben täuschen lassen, von denen mindestens einer der Chef des Schwammsyndikats ist und die beiden anderen die Prinzipien kennen, nach denen der Schacht betrieben wird.«

Zum erstenmal zeigte das Wesen Empfindung. Seine Stimme klang rauh und erregt.

»Der Chef des Schwammsyndikats? Und Sie haben ihn einfach so durchschlüpfen lassen?«

Ortega hob alle sechs Hände.

»Wir wußten nichts davon. Sie sahen genauso aus wie die anderen. Woher sollte ich das wissen?«

»Es ist wahr«, warf Vardia ein.»Sie waren so freundlich und sanft und zivilisiert — vor allem der da.«Sie wies auf Renard.

»Ach! Dummköpfe!«zischte der Yaxa.»Jedem, der so lange ohne Schwamm gewesen ist, hätte man das anmerken müssen! Das hätte Ihnen nicht entgehen dürfen!«

»Kommen Sie, Wooley!«erwiderte Ortega scharf.»Sie sind ein Fanatiker, und das aus gutem Grund. Aber wir haben mit dergleichen doch nicht rechnen können. In der letzten Zeit ist es hier drunter und drüber gegangen.«

Die Nasenlöcher des großen Falters öffneten sich, und er schnob buchstäblich.

»Ach, verdammt! War ja zu erwarten, daß Sie versagen. Geben Sie mir den Namen des Halunken. So schlau wird er nicht immer sein. Eines Tages erwische ich ihn. Das wissen Sie.«

Serge Ortega nickte.

»Antor Trelig«, erwiderte er.

Das Wesen neigte den großen Kopf und sagte:»Ich muß wieder nach Hause. Es geht viel vor. Sie hören aber von mir.«

Es drehte sich um, was mit den mächtigen Schwingen nicht ganz einfach war, und verließ den Raum.

»Du meine Güte«, entfuhr es Vardia.»Wer ist denn das?«

Ortega lächelte.

»Jemand, den Sie einmal gekannt haben. Ich erzähle es Ihnen bei Gelegenheit. Jetzt haben wir Dringenderes zu tun. Wir müssen diese beiden durch den Schacht bringen und mit dem Rat sprechen.«

Für die Botschafter gab es keinen Ratssaal. Die ganze Verständigung erfolgte über Sprechanlagen, sowohl aus diplomatischen Gründen als auch deshalb, um es allen einfacher zu machen. Ohnehin hätte es nicht für alle Platz gegeben.

Ortega faßte die Ergebnisse zusammen und fügte hinzu:»Ich habe Nachforschungen nach der ersten Gruppe eingeleitet und hoffe, daß jeder Meldung erstattet, wenn sie in einem Hex auftauchen. Sämtliche Neuzugänge müssen überprüft werden. Diese Leute sind raffiniert.«

»Ortega?«tönte es aus dem Lautsprecher.»Hier Robert L. Finch von Der Nation.«

Ortega gluckste leise.

»Ich wußte nicht, daß Die Nation Namen kennt«, sagte er, weil er sich erinnerte, daß sie kommunal denkende Roboter waren.

»Die Nation hat auch ihre Neuzugänge«, erwiderte Finch.»Wenn es sich um Dinge wie diese handelt, wird die angemessene Persona bestimmt.«

»Gut, was wollen Sie?«

»Warum haben Sie diese Frau, Mavra Tschang, bei den Lata gelassen? Sie treiben doch nicht schon wieder Ihre kleinen Spielchen, wie?«

Ortega atmete tief ein.

»Ich weiß, daß sie durch den Schacht gehen sollte, und das wird auch früher oder später geschehen. Im Augenblick ist sie in ihrer ursprünglichen Form viel nützlicher — der einzige solche Neuzugang hier. Ich werde zu gegebener Zeit alles erklären.«

Es gefiel ihnen nicht, aber sie nahmen es hin. Andere Fragen folgten, eine ganze Flut, zumeist neben der Sache. Die meisten zogen sich auf die Haltung zurück, daß sie das Ganze nichts anging. Immerhin, er hatte seine Pflicht getan. Die Sitzung war beendet.

Vardia saß bei ihm im Büro und sah ihn nun an.

»Was ist der wahre Grund, warum Sie Mavra Tschang verstecken?«

»Nicht verstecken, meine liebe Vardia«, entgegnete Ortega lächelnd.»Alle sechshundertsiebenunddreißig Rassen mit Zone-Botschaften wissen, daß sie bei den Lata ist. Sie ist der Köder — ein erkennbares Objekt, das unsere Beute aufscheuchen könnte.«

»Und wenn sie den Köder nicht annehmen? Die Tatsache, daß sie eine qualifizierte Raumschiffpilotin ist, noch in einer Form, die für den Betrieb eines Raumschiffs am geeignetsten ist, hat mit Ihren Überlegungen wohl nichts zu tun, wie?«

Ortega lehnte sich bequem zurück.

»Na, wenn das keine interessante Idee ist!«sagte er spöttisch.»Vielen Dank für den Hinweis.«

Wenn es einen aufrichtigen, ehrlichen, geraden Knochen in Serge Ortegas massivem Körper gab, hatte ihn noch keiner gefunden.

Vardia beschloß, das Thema zu wechseln.

»Glauben Sie, daß sie es tun werden — die Neuzugänge melden, meine ich?«

»Ein paar werden es vielleicht tun«, sagte Ortega grimmig.»Lata, Krommianer, Dillianer, Czillaner und dergleichen. Die meisten nicht. Sie werden entweder versuchen, sie zu beseitigen — was ein Fehler wäre, den sie schwer bereuen würden —, oder sich mit ihnen zusammentun. Spannen Sie die Leute mit einer ehrgeizigen, habgierigen Regierung zusammen, und Sie haben den Auslöser für den Krieg, von dem ich gesprochen habe. Eine Allianz und eine Pilotin für das Schiff. Selbst einen Wissenschaftler, der vielleicht bereit wäre, beim Wiederaufbau mitzuhelfen.«Er starrte Vardia an und fuhr fort:»Und was Mavra Tschang betrifft — wenn wir sie haben, können wir die Dinge beeinflussen. Wenn wir sie durch den Schacht führen, haben die anderen sie.«

Загрузка...