Djukasis

Ein Sturm kündigte sich an. Sie konnten es an den hochgetürmten schwarzen Wolken erkennen, den fernen Donner hören und beinahe schon die Blitze spüren.

Die Agitar-Kommandeurin betrachtete die Szene und nickte zufrieden.

»Ein schöner Tag zum Ende dieses Unternehmens«, sagte sie zu den Offizieren.»Da kündigt sich ein hohes Ladungspotential an.«

»Genug, um uns die Reittiere wegzureißen«, murmelte ein Offizier und fragte sich, warum Kommandeure, die nicht mit in den Kampf mußten, stets so optimistisch waren.

»Kein Defätismus, Captain!«sagte sie.»Sie wissen so gut wie ich, daß die Taster und Ihre eigenen Körper die Ladung aufnehmen. Die Sättel sind isoliert. Das Tier ist leichte Stromstöße gewöhnt. Nein, die Bedingungen begünstigen uns. Die Belagerung des Zone-Tores der Djukasis ist weit fortgeschritten; wenn wir heute den Rest der Flugabwehr ausschalten, können die Frösche im Regen leicht übernehmen.«

Renard verfolgte das Herannahen des Gewitters mit gemischten Gefühlen. Er war in den letzten Wochen ein guter Kämpfer geworden, aber die Vernichtung der Bienen mit den Elektrostäben war ihm zuwider. Außerdem hatte er Angst. Wenn eines der Pferde am Hinterteil gestochen wurde, stürzte es ab und riß seinen Reiter mit in den Tod. Es war ihm zweimal beinahe schon so ergangen, und viele seiner Freunde hatten so den Tod gefunden.

»Der letzte Angriff, Jungs«, sagte Captain Bir.»Wir sollen knapp vor dem Gewitter eingreifen, damit wir die zusätzliche Ladung verwenden können. Sobald das Gewitter anhebt, könnt ihr abbrechen, wenn ihr eure Ladung verschossen habt. Die Frösche kommen dann mit dem Regen nach.«

»Aber dann haben sie keine Unterstützung aus der Luft«, sagte einer der Männer.

»Das ist Sache von Kompanie D. Nein, wir haben die leichtere Aufgabe. Greift an und tötet, was ihr töten könnt, dann zieht ab. Im Regen können sie nicht so gut fliegen wie wir, das wißt ihr.«

Renard nickte zusammen mit den anderen. Er hatte vorher im Zelt des Captains eine Karte gesehen. Der Captain hatte mit einem anderen Offizier diskutiert und auf die Karte gedeutet.

»Wir können nicht so weit nach Norden ausweichen, Suo. Das ist Lata, neutrales Gebiet.«

Renard hatte sofort daran gedacht, daß Mavra Tschang sich in Lata befand. Der Flug würde nur einen Tag erfordern. Dem Pegasus würde der Regen nichts ausmachen. Wenn der Sturm heftig genug war und sein Mut ausreichte, gedachte er zu desertieren.

»Also, Jungs! Aufsitzen!«rief der Captain.

Eine letzte Schlacht, eine Schlacht mehr.

Dann also los, dachte Renard grimmig.


* * *

Für die Makiem am Boden und die großen fliegenden Dreiecke mit roten Augen, die Cebu, war es ein staunenerregender Anblick, selbst wenn man ihre unterschiedlichen Maßstäbe dafür berücksichtigte. Das Gewitter war nah herangerückt; der Himmel war voller riesiger schwarzer und gelber Wolken, die grollten und aufleuchteten.

Davor kamen die Agitar, zuerst winzige Punkte, dann anschwellend, bis man sie am sturmumtosten Himmel unterscheiden konnte. Mächtige Pferde in den verschiedensten Farben, gewaltige Schwanenflügel, in der böigen Luft leicht flatternd, in V-Formationen — Dutzende von ihnen in der ersten Welle, Dutzende dahinter.

Sie flogen ziemlich tief an; die größte Flughöhe der Pegasi betrug zwischen fünfzehnhundert und achtzehnhundert Meter, und sie blieben zur Sicherheit darunter — in diesem Fall weit darunter, weil oben die Turbulenz erheblich war; sie flogen kaum dreihundert Meter über den Bodentruppen dahin.

Die Cebu fegten hinter den Makiem hervor, um zusätzliche Deckung für die Agitar zu liefern. Jedes der riesenhaften Reptile trug Gurte mit Zwillings-Harpunenrohren, die mit einer Kopfbewegung bedient werden konnten, um aus Köchern, die um den Bauch geschnallt waren, neu geladen zu werden.

Die Makiem spürten beinahe das Schlagen der mächtigen Flügel, als sie über ihnen dahinflatterten, und manche der Riesenfrösche jubelten.

Der Feind, dessen Zahl durch fast unaufhörliche Kämpfe dezimiert war, und der seine Reserven von Norden und Süden hatte heranziehen müssen, wartete bis zum letzten Augenblick.

Die einzige Hoffnung bestand für ihn darin, die Abwehr der Cebu zu durchdringen und die großen Pegasi mit Geschossen oder Stacheln vom Himmel zu holen, auch wenn letzteres den eigenen Tod bedeutete.

Die Agitar hatten ihr Ziel vor Augen; der riesige Bienenstock, halb über dem Boden, ragte über dreißig Meter in die Luft. Er war durch Geschützfeuer und vorherige Luftangriffe stark beschädigt, hatte aber standgehalten.

In seinen Tausenden von kleinen schwarzen Vertiefungen schien das Wetterleuchten sich widerzuspiegeln — in den riesengroßen, facettenreichen Augen der Verteidiger, die sich jetzt in Schwärmen auf den Weg machten, um sich dem Feind entgegenzuwerfen. Nach kaum einer Minute kam es zum Zusammenprall.

Die Bienen waren riesig, über einen Meter lang, mit entsprechenden Stacheln, die aber fester Bestandteil des Rückgrats waren. Ihn zu gebrauchen, hieß, ihn abzubrechen, was den Tod bedeutete. Zunächst verließen sie sich auf ihre Waffen — sie verschossen Projektile, da es sich hier um ein nur teilweise technologisches Hexagon handelte, verwahrt in Kästen unter dem Brustkorb, bedient von einem der acht biegsamen, krallenartigen Beine der mit schwarzgoldenem Pelz bedeckten Wesen. Mit einem Federantrieb konnten sie zehn Geschosse in der Sekunde abfeuern, zweihundert Schuß in einem Kasten.

Die Taktik war einfach. Die Bienen bildeten eine massive Welle; die vorderste Linie wartete, bis sie in Reichweite der Cebu-Abschirmung und der ersten Agitar-Reihe war, dann eröffnete sie das Feuer. Sobald die Munition verschossen war, sank diese Linie hinunter und ließ den nächsten Schwarm über sich hinwegsummen. Wenn alles gut verlief, konnte sie zum Stock zurückkehren und sich neu munitionieren, um wieder am Kampf teilzunehmen. Ihre Zahl war aber drastisch vermindert; sobald eine Linie sich verausgabt hatte, wurde sie zu einer Reihe vereinzelter Flugsoldaten.

Die Harpunen der Cebu waren nicht so wirksam wie die Maschinengewehre der Djukasis, aber einen Schwarm als Ziel vor Augen, konnten die fliegenden Dreiecke kaum verfehlen. Ihre Aufgabe bestand darin, Lücken in die Formation zu reißen, sich in den Schwarm hineinzustürzen, wo große, scharfe Schnäbel im Nahkampf überaus wirksam waren.

Das Grollen des nahenden Gewitters und die heftigen Luftturbulenzen wirkten sich auf beide Seiten aus.

Die Djukasis trafen mit den ersten Wellen nicht gut, weil sie vom starken Wind hin und her geworfen wurden, teilweise richteten die Geschosse Schaden in den eigenen Reihen an.

Die Cebu nutzten das, stürzten sich in die Lücken, feuerten ihre Harpunen in die weichen Leiber, fetzten und zerrissen, was ihnen vor die Schnäbel kam. Von den vierundachtzig Agitar in der ersten Formation flogen nur noch siebzehn, aber sie hielten enge Verbindung.

Renard war hinter dem führenden Geschwader in die zweite Position aufgerückt und hatte keine Zeit zum Nachdenken. Ein großer, schwarzgoldener Leib fegte links heran, er riß seinen Harpunenprojektor herum und feuerte. Das Geschoß traf die Riesenbiene, und sie stürzte lautlos ab.

Es kamen immer mehr; sie flogen jetzt direkt in den Schwärm hinein, so daß die Djukasis ihre Maschinengewehre nicht einsetzen konnten, aber sie waren nah genug für den Kampf aus nächster Nähe.

Plötzlich zogen die Agitar ihre Taster und luden sie auf. Sie brauchten den Feind nicht zu durchbohren, ihn nur zu berühren; überall, wohin man sich wandte, schienen Djukasis zu sein.

Aber nicht genug Djukasis, nicht mehr.

Bei den früheren Angriffen während der letzten drei Tage war im letzten Augenblick stets ein neuer Schwarm aus dem Stock gefegt, und sie hatten ihn nie ganz erreichen können. Jetzt hatte sich die Lage verändert. Auf beiden Seiten des Sattels waren Kanister mit hochentzündlicher Flüssigkeit befestigt; zum erstenmal konnten sie sie auf den Stock werfen.

Sie griffen an und warfen ab, flogen hinauf in das Getümmel, setzten wieder zum Angriff an. Immer wieder stürzten Pferde, Männer und Pterodaktylen vom Himmel, aber für jeden der Angreifer traf es zehn Verteidiger, und im Gegensatz zu den Eindringlingen hatten sie keine Reserven mehr.

Die Agitar befestigten dünnen Kupferdraht an den Knäufen ihrer Taster und rückten gemeinsam vor.

Aus dem Stock schlugen Flammen, und die Arbeiterinnen, die nicht fliegen konnten, hatten sich ins Innere zurückgezogen.

Der Kupferdraht entrollte sich, zehn Meter, zwanzig Meter, als die führende zweite Welle angriff. Die Agitar luden den Draht mit ihren Händen auf.

Energie floß durch die Drähte, der Strom folgte in diesem halbtechnologischen Hexagon dem natürlichen Weg. Obwohl nur die Agitar hier eine Ladung speichern konnten, genügte das.

Wo die Taster im Stock steckengeblieben waren, fegte die elektrische Ladung hinein.

Es bedurfte nur dieser einen.

Die abgekippte Flüssigkeit auf dem Stock entzündete sich mit einem donnernden Knall; ein chemisches Feuer war entstanden, das selbst das herannahende Gewitter nicht würde löschen können.

Die Makiem am Boden jubelten, als die blauweißen Flammen und der Rauch Erfolg ankündigten, ergriffen ihre eigenen Waffen und machten sich zum Angriff fertig.

Mit plötzlicher, explosiver Gewalt schlug der Sturm zu und verwandelte das Feld vor dem Stock binnen Sekunden in einen Sumpf mit geringster Sichtweite. Die Makiem, die Regen und Schlamm liebten, sprangen vorwärts.

Als Renard seinen Pegasus herumriß, erstaunt darüber, noch immer am Leben zu sein, spürte er, wie das Unwetter losbrach. Zum erstenmal begann er nachzudenken, statt automatisch und instinktiv zu handeln. Er wußte, daß Doma zum Stützpunkt zurückfliegen würde, wenn er sich einfach zurücklehnte; das Pferd hatte einen untrüglichen Instinkt dafür. Im peitschenden Regen konnte er erkennen, wie die Djukasis versuchten, zum Stock zurückzugelangen, vom heftigen Regen aber hinuntergedrückt wurden. Ein Cebu versetzte ihn beinahe in Panik, als er unmittelbar vor ihm vorbeiflog. Die großen Flugreptilien waren aber im Regen den Djukasis gegenüber kaum im Vorteil und suchten schnell nach einer Landemöglichkeit.

Das Wasser sprühte von Domas Rücken. Es gab heftige Auf- und Abwinde, die das große Pferd nicht ausgleichen konnte, so daß der Flug ziemlich rauh vonstatten ging, gemildert nur durch die Fähigkeit des Pferdes, Veränderungen im Luftdruck rechtzeitig zu erkennen. Als Renard die Richtung sah, die Doma einschlug, befielen ihn tausend Zweifel. Wenn er desertierte, würde er mitten durch das Unwetter fliegen müssen und vielleicht vereinzelte, versprengte Djukasis gegen sich haben. Und in Lata würde er ein Ausgestoßener sein, ein Mann, der nie mehr nach Hause konnte.

Aber den Agitar brachte er wenig Loyalität entgegen, obwohl sie ihm als Individuen sympathisch waren. Er konnte sich nicht von der Erkenntnis befreien, daß hinter dem schrecklichen Blutbad, an dem er teilgenommen hatte, die grinsende, selbstzufriedene Egomanie Antor Treligs stand.

Und er dachte an Mavra Tschang. Er wußte einfach, daß sie ihn gerettet hatte, daß ihre Entschlossenheit, nicht aufzugeben, ihn am Leben erhalten hatte. Wozu? Damit er bei der nächsten Schlacht im nächsten Hexagon für Trelig starb?

Nein! dachte er. Er war Mavra etwas schuldig, und auf eine ganz andere Art schuldete er auch Antor Trelig etwas.

So lenkte er den mächtigen grünen Pegasus nach rechts, weit nach rechts, und flog hinein in das Wüten der Natur.

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