Er wurde wach und öffnete die Augen. Einen Augenblick lang fand er sich nicht zurecht, dann kehrte langsam seine Erinnerung zurück.
Er war in die Schwärze in der Wand gegangen — ein höchst merkwürdiges Gefühl, als begebe man sich in eine Umarmung — warm, eng, angenehm, etwas, das er noch nie erlebt hatte. Ein schwebender, träumender Schlaf, nur konnte er sich an die Träume nicht erinnern.
Sein Sehen wirkte seltsam, aber er brauchte eine Weile, bis er begriff, woran es lag. Die Tiefenwahrnehmung hatte stark zugenommen, alles trat scharf hervor, und er hatte das seltsame Gefühl, daß er bis auf den Zehntelmillimeter genau sagen konnte, wie weit alles entfernt war. Auch die Farben wirkten satter und leuchtender.
Plötzlich begriff er. Ich sehe zwei Bilder, dachte er. Auf beiden Seiten hatte er ein Panorama von fast achtzig Grad; an der Peripherie konnte er beinahe hinter sich sehen. Aber unmittelbar vor ihm befand sich ein leerer Punkt. Kein Strich, keine Trennlinie — das, was sich direkt vor ihm befand, war einfach knapp außerhalb seiner Sichtweite.
Auf der rechten Seite bewegte sich etwas, und instinktiv bewegte sich sein rechtes Auge ein wenig, um es zu erfassen. Ein großes Insekt — sehr groß, so groß wie eine Männerfaust surrte vorbei wie ein kleiner Vogel. Er brauchte wieder einige Zeit, bis ihm klar wurde, daß er das rechte Auge unabhängig vom linken bewegt hatte.
Er lenkte beide Augen nach vorn, so weit es ging. Er schien eine Art Schnauze zu besitzen; sein Mund war groß und ragte weit nach vorn. Er war sich bewußt, daß er bequem auf allen vieren lag, und hob die Hand ans rechte Auge, um sie zu sehen.
Es war eine sonderbare Hand, zugleich menschlich und auch nicht. Vier sehr lange Finger mit Schwimmhäuten und ein opponierender Daumen, alle auslaufend in eine kleine, saugerartige Spitze, wo der Fingerballen sein sollte. Hand und Arm waren von dunklem Erbsengrün, hier und dort bedeckt mit braunen und schwarzen Flecken. Die Haut sah zäh und ledrig aus wie die einer Schlange oder eines Reptils.
Das bin ich wohl, dachte er. Eine Art Reptil. Die Landschaft paßte sehr gut dazu: dschungelartig mit üppigem Dickicht und hohen Bäumen, die beinahe die Sonne verbargen. Mitten durch die dichte Vegetation schien, fast unfaßbar, eine Kiesstraße zu führen. Es war tatsächlich eine Straße, sogar in sehr gutem Zustand.
Er wollte die Straße gerade betreten, als wieder eines der großen Insekten vorbeikam. Beinahe ohne zu überlegen, öffnete er den Mund, und eine ungeheuer lange Zunge schoß hinaus, traf das Insekt und wickelte sich um das Wesen herum. Dann wurde die Zunge in seinen Mund zurückgezogen, er kaute und schluckte. Das Insekt hatte nicht viel Geschmack, aber es schien seinen nagenden Hunger ein wenig zu stillen.
Die Schacht-Welt verändert einen in vieler Beziehung, dachte er. Und trotzdem war er innerlich noch Antor Trelig. Er erinnerte sich an alles, was geschehen war, und bedauerte nichts bis auf die Tatsache, daß er zu niedrig über die Schacht-Welt geflogen war.
Bin neugierig, wie ich mich fortbewege, dachte er. Er starrte die Straße an und ging darauf zu. Zu seiner Überraschung schnellten sich seine Beine ab, und er war mit zwei großen Sprüngen dort. Es war sehr angenehm — beinahe wie Fliegen.
Er versuchte, normal zu gehen, und stellte fest, daß auch das ging, auf allen vieren, aber eher watschelnd. Springen war die normale Fortbewegung für diese Rasse.
Er schaute in beide Richtungen, entschied sich aufs Geratewohl für eine und hüpfte weiter, bis er in der Ferne andere Wesen sah.
Vor ihm befand sich ein Hain von Riesenbäumen, abseits des eigentlichen Waldes, neben einem kleinen See. Es gab Häuser in diesen Bäumen — komplizierte Strukturen, zwischen den Ästen geflochten aus irgendeinem stroh- oder bambusartigen Material, das gewiß in den Sümpfen wuchs.
Eines der Wesen erschien in der unteren Tür eines der Häuser, schaute sich um, trat hinaus und lief an dem fast senkrechten Baum hinunter. Trelig begriff, wozu die Saugnäpfe dienten.
Das Wesen hatte mit nichts solche Ähnlichkeit wie mit einem Riesenfrosch. Die Beine wurden endlos lang, wenn sie zum Gehen ausgestreckt wurden. Vom Unterkiefer bis zu den Hüftgelenken war die Färbung grünlichbraun, sonst fleckiggrün.
Das Wesen ging zu einer großen Holzkiste auf einem Pflock an der Straße, richtete sich auf den kräftigen Hinterbeinen auf, hob den Deckel und schaute hinein. Es nickte und holte ein paar große, braune Umschläge heraus. Trelig begriff erstaunt, daß es sich um einen Briefkasten handelte.
Er näherte sich langsam, das Wesen richtete ein Auge auf ihn und nickte höflich. Er spürte, daß es zornig war, aber der Zorn schien nicht ihm zu gelten.
»Guten Tag, Sir«, sagte der neue Frosch zu dem einheimischen.»Schöner Tag, nicht?«
Ortega hatte also recht gehabt: Die Sprache wurde einem mitgegeben.
Der andere schnob verächtlich.
»Sie arbeiten wohl für die Regierung, wenn Sie so etwas sagen können«, gab er zurück. Er hielt einen der Umschläge hoch.»Steuerforderungen, nichts als Steuerforderungen. Ich weiß nicht, wie die Halunken sich einbilden, daß ein ehrlicher Mann heutzutage seinen Lebensunterhalt verdienen soll.«
Trelig nickte mitfühlend.
»Nein, ich arbeite nicht für die Regierung, auch wenn das noch kommen kann. Aber ich verstehe Ihre Probleme und fühle mit Ihnen.«
Das schien den anderen zufriedenzustellen. Er öffnete einen anderen Umschlag und zog ein langes, gelbes Blatt Papier heraus. Er warf einen Blick darauf und zerknüllte es ärgerlich.
»Zuerst zapfen sie einem das Blut ab, dann verlangen sie auch noch Gefälligkeiten!«
»Wie?«
»Alle Neuzugänge, denen man begegnet, sofort der Ortspolizei melden«, fauchte er.»Wofür bezahle ich eigentlich soviel Steuern? Damit ich für andere die Arbeit mache, während sie auf ihrem fetten Hintern herumsitzen?«
Trelig warf einen Blick auf die Steuerforderung, konnte aber nichts lesen. Offenkundig betrachtete der Zentralcomputer Lesen nicht als notwendige Fähigkeit.
»Sie haben doch keinen Neuzugang gesehen, oder?«fragte der andere.»Vielleicht bilden wir einen Suchtrupp und schreien in der Gegend herum.«
»Nein, ich habe keinen Neuzugang gesehen. Sie etwa? Auch früher, meine ich?«
Der andere schüttelte den Kopf.
»Nie. Und werde auch keinen sehen. Sind Sie schon lange unterwegs?«
Trelig nickte.
»Sie wollen sicher nach Druhon zu den Prüfungen für den Staatsdienst.«
»Ja, genau erraten«, antwortete Trelig.»Wenigstens habe ich dort Gelegenheit, einmal zu beobachten, wie das alles vor sich geht.«
»Was Sie sehen werden, ist, wie nichts vor sich geht, aber dann haben Sie eben auch ein leichtes Leben. Hätte das auch machen sollen, als ich jung war. Nein, ich mußte natürlich Farmer werden. Frei und unabhängig, sagte ich damals. Keine Vorgesetzten.«
Er zischte böse.»Am Ende kennt man nichts als Steuern und Vorschriften, Vorschriften und Steuern.«
»Ich kann Sie gut verstehen.«Trelig schaute sich um, als habe er es eilig.»War sehr nett, mit Ihnen reden zu können, und ich wünsche Ihnen viel Glück und Wohlstand, aber ich muß weiter.«
»War mir ein Vergnügen. Wollen Sie nicht einen Schluck gutes Bier trinken? Bis Druhon sind es nur noch ein, zwei Stunden.«
Das war eine gute Nachricht.
»Vielen Dank, nein«, sagte er.»Ich muß in die Stadt. Aber ich werde an Sie denken, Sir, wenn ich reich und mächtig bin.«
»Tun Sie das, junger Mann«, sagte der andere lachend, und Trelig hüpfte weiter.
Unterwegs unterhielt er sich, selbstsicherer geworden, mit mehreren anderen Wesen. Sie waren zumeist schlichte Gemüter, dem Boden verbunden. Die Frauen waren etwas kleiner und von glatterer Haut, die Stimmen klangen ein wenig höher, aber sonst gab es keine Unterschiede.
Er erfuhr, daß das Land Makiem hieß, wie seine Bewohner auch. Es war üblich, wenn auch nicht überall der Fall, daß Rassen- und Weltname übereinstimmten. Er bekam außerdem zu hören, daß der Staat eine Erbmonarchie war. Das war keine so angenehme Nachricht. Verwaltet wurde das Hexagon von einer großen Bürokratie, deren Angehörige aus allen Bereichen des Lebens durch Prüfungen ausgesiebt wurden. Das entsprach Trelig.
Druhon, die Hauptstadt, war eine Überraschung. Erstens war sie riesengroß — eine echte Großstadt, aus dem Urwald herausgerodet, auf einer Reihe kleiner Hügel in einiger Höhe über dem Sumpf. Im Westen lag ein weiter, klarer See, in dem viele Bewohner schwammen. Trelig hatte ein Jucken gespürt; jetzt erriet er den Grund. Obwohl die Leute hier Landbewohner waren, blieben sie nah am Meer, aus dem sie hervorgekommen waren, und sie mußten von Zeit zu Zeit zurückkehren, um sich feucht zu halten. Aber einmal am Tag mochte auch ein Abspritzen mit dem Wasserschlauch genügen.
Eine weitere Überraschung waren die Gebäude selbst. Riesige Schlösser und große Gebäude aus Stein verrieten hohe Geschicklichkeit beim Bau, massive Holztüren und Figuren aus Messing und Eisen auf Toren, Zäunen und über den Türen zeigten hohe handwerkliche Fähigkeiten. Wenn man bedachte, daß es sich hier offensichtlich um ein nichttechnologisches Sechseck handelte, hatten die Bewohner eine wirklich erstaunliche, moderne Kultur entwickelt. Sein Respekt wuchs.
Ein Problem war zunächst die Frage des Geldes. Er ging durch die Straßen voller Verkaufsstände, wo Riesenfrösche ihre Waren feilhielten. Es gab Geld, und die Leute gaben es aus. Er sah, daß die Makiem alles, was sie brauchten oder benützten, in den Mündern trugen. Auch die Gerüche und Sehenswürdigkeiten der Stadt erregten ihn. Ferner sah er Tätowierungen, geheimnisvolle Symbole mit irgendeinem Gerät auf den Unterbauch gezeichnet. Nicht alle hatten sie — die meisten Farmer zum Beispiel nicht —, aber hier trugen viele Leute sie. Er vermutete, daß es sich um Abzeichen der Autorität handelte. Vielleicht Polizisten und Regierungsbeamte.
Die Polizei, der seine erste Sorge galt, war am einfachsten auszumachen. Er wußte nicht, wie viele Leute in dieser Stadt lebten, aber eine Viertelmillion mußten es gewiß sein. Dadurch gab es Stauungen auf den Straßen. Er sah viele Wagen, gezogen von Rieseninsekten, die länger als die Makiem waren. Diese glichen Heuschrecken. Das alles verlangte Verkehrsregelung, also gab es Verkehrspolizisten.
Er sah sich mehrere an und achtete vor allem auf die großen Symbole an ihrer Brust — eine Art Doppelrad mit zwei schrägen Balken.
Er betrachtete die großen Gebäude mit den Türmen und Flaggen. Ohne Zweifel Regierungsbauten. Das größte davon mit vielen Eisengittern und hohen Toren war offenkundig der königliche Palast. Am Tor standen Wachen mit gefährlich wirkenden Armbrüsten und Piken und einem unglaublich komplizierten Symbol auf der Brust, das sich im Zaun in Abständen wiederholte.
Ohne Zweifel das königliche Symbol. Er lernte schnell. Das Jucken nahm zu. Seine Haut fühlte sich trocken und unbehaglich an, als wolle sie sich ablösen. Er beschloß, zum großen See hinunterzugehen. Dort herrschte reges Treiben, aber er konnte ungehindert ins Wasser gleiten, das erstaunlich kalt war. Er spürte die Kälte aber nur wenige Augenblicke, dann schien die Temperatur zu steigen, bis sie genau richtig war. Kaltblütig, entschied er, es war nicht die Wassertemperatur, die gestiegen war, sondern seine Körpertemperatur hatte sich gesenkt.
Das Schwimmen gelang so mühelos wie vorher das Hüpfen. Seine kräftigen Hinterbeine trieben ihn schnell durch das Wasser, und er glitt auf natürliche Weise dahin. Das Jucken ließ jedoch nicht nach, und nach einiger Zeit tauchte er hinunter.
Plötzlich geschah etwas Seltsames. Eine Membran glitt über seine Augen herab, durchsichtig wie Glas, aber ein vollkommener Schutz. Auch sein Sehvermögen schien sich zu verändern, weniger tiefen- und farbenempfindlich zu werden, jedoch den Schattierungen von Hell und Dunkel gut angepaßt. Seine Nase schien sich durch innere Klappen abzuschließen, aber daß er nicht atmete, störte ihn nicht. Er fragte sich, wie lange er unter Wasser bleiben konnte, und beschloß, es auszuprobieren.
Je länger er unten blieb, desto weniger schien es ihm auszumachen. Er hatte das seltsame Gefühl, daß er flach, kaum merklich atmete, obwohl es keine Luftbläschen gab. Er hatte auch keine Kiemen. Er kam schließlich zu der Vermutung, daß seine Haut dem Wasser ein gewisses Maß an Sauerstoff entziehen konnte. Das reichte zwar nicht, wie er feststellte, dafür, ständig unter Wasser zu leben, aber er konnte mindestens eine halbe Stunde, wenn nicht viel länger, unten bleiben, bevor er wieder heraufkommen und Luft holen mußte.
Er tauchte an einer der Inseln auf und schaute sich um. Der große Palast auf dem höchsten Hügel war von Fackeln und vielfarbigen Glaslampen hell beleuchtet. Er wirkte wie aus einem Märchen.
Widerwillig schwamm er zum Ufer zurück. Er spürte Hunger, und es gab viel zu tun. Die Luft wirkte, als er herausstieg, bedrückend heiß und schwer. Sein Körper paßte sich aber bald an, und er lief weiter.
Anrüchige Kneipen schien es hier, wie er nach einiger Zeit zugeben mußte, nicht zu geben. Was auch fehlte, war Sex. Sie schienen sich damit einfach nicht abzugeben. Keine Paare, die verliebt zu sein schienen, keine Avancen. Freundschaftliche Gruppen, gemischt, aber keine sexuellen Anreize. Um nicht aufzufallen, beschloß er, zum Stadtrand zurückzukehren, woher er gekommen war. Vielleicht würde sich irgend etwas ergeben; wenn nicht, konnte er immer noch in den Wald zurückkehren und ihn als vorübergehenden Stützpunkt benützen.
Die weibliche Makiem erschien zuerst wie vom Himmel gesandt. Sie war offenbar wohlhabend, vielleicht Landwirtin, nur für den Abend in die Stadt gekommen. Keine Tätowierung. Jung und sehr klein.
Und völlig betrunken.
Sie konnte nicht hüpfen, konnte kaum kriechen, lallte etwas vor sich hin oder sang vielleicht, auch wenn es nur Grunz- und Knarrlaute waren. Sie fiel um und rollte in den Graben.
»Ach, Scheiße!«hörte er sie laut schimpfen, aber einige Sekunden danach begann sie zu schnarchen.
Er hüpfte zu ihr hinüber. Seine Sehfähigkeit im Dunkeln entsprach etwa der eines Menschen.
Sie lag auf dem Rücken, die großen, gebogenen Beine hatte sie ausgestreckt. Er betrachtete sie zunächst. Aus Notwendigkeit und Erfahrung hatte er festgestellt, wie ein Makiem die Toilette benützte und wo er das tat, aber auf keinen Fall konnte dieser Apparat sexuellen Zwecken dienen. Auch bei ihr war nicht viel zu entdecken. Er wandte sich wichtigeren Dingen zu und betastete vorsichtig ihren Kieferbeutel; er enthielt etwas, vielleicht einen Geldbeutel. Er zögerte kurz, dann schüttelte er sie. Sie rührte sich nicht.
Überzeugt davon, daß sie nicht aufwachen würde, beugte er sich vor und versuchte ihren Mund zu öffnen.
Dieser blieb fest zugeklemmt, als hätte man ihn verschweißt.
Trelig wollte aufgeben, als sie einen lauten Schnarchton von sich gab und der Mund ein wenig aufging, weil sie sich auf die Seite drehte. Er griff vorsichtig in den Mund hinein — und spürte eine glatte, knochenharte Platte, die so genau hineinpaßte, daß er sie nicht einmal zu ergreifen vermochte. Sie wachte nicht auf, aber der Mund klappte plötzlich zu und klemmte seine Hand ein. Er versuchte sie herauszuziehen, ohne Erfolg. Fast eine halbe Stunde lang plagte er sich ab, aber es war unmöglich, die Hand herauszureißen.
Er geriet beinahe in Panik, vor allem, als ihre Zunge das Objekt betastete. Dann zuckte die Zunge plötzlich zurück, und der Mund ging auf. Sie zischte bösartig und drehte sich weiter herum. Er stürzte beinahe rückwärts in den Graben, fluchte leise vor sich hin und betastete seine Hand, die ziemlich stark schmerzte. Er seufzte und sah ein, daß hier an Raub nicht zu denken war, jedenfalls nicht ohne eine Waffe.
Er dachte gründlich nach. Er konnte sich eine Weile herumtreiben, aber nur als Bettler oder Flüchtling; an Gewalt war nicht zu denken, weil er nicht wußte, wie die Makiem kämpften. Es blieb nichts anderes übrig, als sich zu stellen.
Die Wachen wirkten gelangweilt. Sie saßen regungslos da, blinzelten nur ab und zu, aber sie waren hellwach. Die Armbrüste lagen gespannt in ihren Händen. Er ging auf einen davon zu.
»Verzeihen Sie, Sir«, sagte er,»ist das der königliche Palast?«
Er hatte nicht die Absicht, zur hiesigen Polizei zu gehen. Der Wachtposten sah ihn an.
»Fort mit dir, Junge!«sagte er.»Keine Besucher, außer an Bußtagen!«
»Aber es ist der Palast?«fragte er.
»Nee, es ist das Hauptquartier der Limbusch-Züchter«, erwiderte der andere spöttisch.»Verschwinde, bevor dir was passiert!«
Trelig atmete tief ein.
»Sucht ihr immer noch nach Neuzugängen, wie ein den Rundschreiben heißt?«
Die Augen des Wachtpostens funkelten.»Weißt du von einem?«
»Ja. Mit wem muß ich sprechen?«
»Mir mir. Wenn mir gefällt, was du sagst, gebe ich es weiter.«
Daß ich nicht lache, dachte Trelig. Nur, wenn für dich etwas dabei herausschaut.
»Also gut«, sagte er und wandte sich ab.»Wenn Sie nicht interessiert sind…«
»Halt!«rief eine andere Stimme, vielleicht die des zweiten Postens. Trelig blieb stehen und grinste innerlich.
»Wenn ein anderer das erfährt und es wirklich ein Neuzugang ist, sind wir dran«, sagte die zweite Stimme.»Bringen wir ihn lieber zum Alten.«
»Meinetwegen«, knurrte der erste.»Das mache ich schon. Aber was haben wir davon?«
»Ich weiß, was wir davon haben, wenn er in Ordnung ist und wir danebenhauen. Mach schon.«
Der murrende Posten führte Trelig durch eine Seitentür in den Palast, in einen von Gasflammen erhellten Raum. An zwei Wänden gab es viele seltsame Objekte, etwas, das nach einem riesengroßen Kopfhörer aussah, eine Art großer Saugnapf mit einem Loch, Röhren mit Federn, eine Platte mit der Schrift, die Trelig nicht lesen konnte.
Der Posten setzte den Kopfhörer auf und preßte den Saugnapf auf die Tätowierung an seiner Brust, blies diese auf und gab ein unangenehm knarrendes Geräusch von sich.
Trelig begriff. Die Anlage übertrug Geräusche in verschiedene Räume des Palastes. Das mochte zwar merkwürdig klingen, aber es handelte sich doch um eine Art nichttechnisches, primitives Telefon.
»Ja, Sir!«schrie der Posten.»Er weiß etwas von einem Neuzugang, Sir! Nein, Sir, ich — ja, Sir, sofort!«Der Posten entfernte die Geräte und winkte Trelig. Es gab keine Treppen oder Rampen, und Trelig mußte einmal an einer hohen Wand hinauflaufen, was er nur zögernd und angstvoll tat. Er fiel aber nicht herunter. Sie kamen an großen Sälen vorbei, die zum Teil mit Seide und dicken Teppichen ausgestattet und geschmückt waren mit eisernen und goldenen Figuren.
Schließlich betraten sie eine Art Empfangshalle, die rechteckig, aber zu klein war, um der Thronsaal sein zu können. Die Decke war zehn Meter hoch, die Wände hatte man mit braunen und goldenen Samtvorhängen geschmückt. An der Rückwand gab es ein Podest, auf dem ein gepolsterter Sessel stand. Der Vorhang dahinter bewegte sich, und ein älterer Makiem kam auf allen vieren herein und ließ sich auf dem Sessel nieder. Er betrachtete den Neuankömmling kritisch.
»Das wäre alles, Zubir«, sagte er zu dem Posten.»Ich rufe dich, wenn ich dich brauche.«
Der Posten senkte kurz den Kopf, zog sich zurück und schloß die große Tür.
»Du weißt, wo ein Neuzugang zu finden ist?«fragte der alte Makiem.
»Ja, Sir. Er hat mich hergeschickt, um zu erfahren, was ihn erwartet, bevor er sich stellt.«
Der alte Mann gluckste.
»Frech auch noch. Das gefällt mir.«Er beugte sich plötzlich vor.»Du bist der Neuzugang!«sagte er scharf, dann wurde seine Stimme wieder freundlicher, als er fortfuhr:»Wände kannst du kaum bewältigen, aber ein guter Lügner bist du, das muß man dir lassen. Also, wer bist du in Wirklichkeit?«
Trelig überlegte. Er konnte alles mögliche sein. Die beiden Zinders kamen nicht in Frage — er war zu alt, um sich als Nikki ausgeben zu können, und wissenschaftlich nicht genug beschlagen, um den Vater spielen zu können. Das galt auch für Ben Yulin. Renard oder Mavra Tschang? Auch das schien nicht das Ideale zu sein. Das beste war wohl, die Wahrheit zu sagen und zu hoffen, daß ihm das etwas einbrachte.
Er verbeugte sich auf die Art, wie er es bei dem Posten gesehen hatte.
»Antor Trelig, zu Ihren Diensten, Sir«, sagte er.»Und mit wem zu sprechen habe ich die Ehre?«
Der alte Mann lächelte schwach. Ein Makiem-Lächeln unterschied sich von einem menschlichen beträchtlich, aber Trelig erkannte es.
»Sie überlegen sich alles, bevor Sie handeln, wie, Trelig?«sagte er.»Ich konnte sehen, wie Ihnen alle Möglichkeiten durch den Kopf gingen, bevor die Wahrheit herauskam. Ich bin Soncoro, Minister für Landwirtschaft.«
Trelig unterdrückte kaum ein leises Lachen.
»Und der Mann, der hier in Wahrheit die Entscheidungen trifft«, sagte er rundheraus.
Soncoro schien das zu gefallen.
»Und was führt Sie zu dieser Schlußfolgerung?«
»Daß der Posten mich zum Landwirtschaftsminister geschickt hat, nicht zum Premier, zum König oder auch zum Sicherheitsdienst. Sie waren der erste und einzige, an den er dachte. Diese Leute kennen sich aus.«
Soncoro nickte.
»Ich glaube, Sie könnten mir gefallen, Trelig. Wir sind aus demselben Holz. Ich mag Sie — und ich werde Ihnen nie trauen. Das ist Ihnen klar. Im umgekehrten Fall würden Sie mir ebensowenig trauen.«
»Ich bin viel zu neu hier, um eine Bedrohung zu sein, Soncoro. Sagen wir, bis dahin eine Partnerschaft.«
Der alte Mann überlegte.
»Gut. Ihnen ist klar, was Sie haben und was wir wollen, nicht? Und warum wir erfreut und erleichtert sind, gerade Sie gefunden zu haben?«
»Weil ich ein Raumschiff steuern kann«, sagte Trelig.»Und weil ich auf Neu-Pompeii zu allem Zugang habe.«
Trelig war überaus erleichtert. Er hatte befürchtet, in einem Wasser-Hexagon oder dort zu landen, wo die Regierung kein Interesse an Neu-Pompeii besaß oder es keine Leute gab wie Soncoro. Aber wenn wir alle denselben Ursprung haben, dachte er, spricht immer alles für mich.
»Sie wollen das im Norden an sich bringen?«
Soncoro schüttelte den Kopf.
»Nein, da gibt es fast unüberwindbare Hindernisse. Wir haben es uns natürlich angesehen. Wir müßten aber durch eine Reihe von Sechsecken mit so fremdartigem Leben, daß die Schwierigkeiten kaum lösbar wären. Nein, ich fürchte, wir überlassen Ihr Schiff den Uchjin.«
»Aber das andere Schiff ist nicht intakt!«wandte Trelig ein.»Es war mein eigenes, das sich beim Eintritt in die Atmosphäre auflöste. Die neun Kapseln müssen über die halbe Schacht-Welt verstreut sein.«
»So ist es. Aber würden Sie denn alle Kapseln brauchen, damit es wieder fliegt? Angenommen, Sie hätten eine Fabrik, in der eine luftdichte Zelle gebaut werden könnte? Und zwei brauchbare Elektroingenieure, die Ihnen helfen können? Was würden Sie dann brauchen?«
Trelig war fassungslos.
»Den Antrieb und ein oder zwei Kapseln, um sicherzugehen, daß Sie die neuen Bauteile richtig herstellen. Und natürlich die Brücke.«
»Wenn Sie nun den Antrieb und die Kapseln hätten, aber nicht die Brücke?«sagte Soncoro.»Wäre es dann zu bewältigen?«
»Nicht unmöglich, aber viel schwieriger. Das Computerleitsystem —«
»Aber wir haben hier Zugang zu sehr guten Computern. Wenn ich das richtig verstehe, ist es nicht die Maschine selbst, sondern sind es ihre Fähigkeiten, Programme, Speicher und Einsatzzeit.«
»Und Verbindung mit dem Antrieb.«
»Nicht unlösbar«, sagte Soncoro.
Er lächelte verschlagen.
»Willkommen in der Familie.«
»Aber woher wollen Sie das alles nehmen? Wenn Sie hier eine Fabrik und Computer haben könnten, gäbe es sie doch.«
»Guter Einwand«, gab Soncoro zu.»Aber wir werden nicht allein sein. Was würden Sie dazu sagen, wenn vier von den Kapseln innerhalb von sechs Hexagons um dieses zu finden wären und der Antrieb sich sieben Sechsecke entfernt befindet? Und daß wir Verbündete haben — ein teilweise technologisches Hex und ein hochtechnologisches?«
»Aber Sie sprechen von Krieg«, sagte Trelig.»Ich dachte, den kann es hier nicht geben.«
»Nicht für Eroberungen, nein, aber doch für begrenzte Ziele. Dhala hat bewiesen, daß man hier für längere Ziele keine Erwerbungen halten kann. Wir brauchen sie aber nur zu besetzen, um uns zu holen, was wir wollen, und weiterzuziehen. Probleme wird es dabei nur vereinzelt geben.«
»Das Schiff hätte aber in einem ganz bestimmten Winkel landen müssen«, wandte Trelig ein, obwohl seine innere Erregung immer mehr wuchs.»Wenn fünf Kapseln zu bergen sind, müßten es alle sein. Warum die Einschränkung?«
»Wir sind nicht die einzigen im Spiel. Auch andere greifen ein. Vielleicht können wir später eine Abmachung treffen, doch der Antrieb ist das einzige, was wir nicht selbst bauen können. Sie sind ein Pilot — aber können Sie auch ein Raumschiff bauen?«
»Nein.«
»Wir hatten seit langer Zeit keinen Piloten vom Typ 41 mehr. Ich nehme an, daß der Fortschritt zum Teil über sie hinweggegangen ist, nicht wahr?«
»Vermutlich. Schon zu meiner Zeit haben die Antriebsanlagen sich radikal verändert, also das, was den Computern eingespeist werden muß.«
»Dann kann man sagen, daß nur Sie, Yulin und Mavra Tschang das Schiff richtig steuern könnten?«
Trelig nickte.
»Wenn es hier keine menschlichen Piloten gibt, die früher als vor einem Jahrhundert hier auftauchten, würde ich das bestätigen.«
»Kann man diesem Yulin trauen?«
»Gewiß.«
»So schlimm?«zischte Soncoro.»Dann ist also da wenig zu machen, bis wir den Antrieb haben.«
»Sie wissen, wo er ist?«sagte Trelig verblüfft.
»Er ist ein Dasheen, und ein männlicher dazu! Das heißt, daß er dort Macht haben wird. Die Yaxa sind mit ihren Plänen vielleicht schon im Vorsprung, und wenn er kann, wird er sich natürlich mit ihnen verbünden. Wer den Antrieb bekommt, hat alles.«
»Zwei Fragen«, sagte Trelig.»Erstens, was wäre geschehen, wenn ich nicht hier als Makiem aufgetaucht wäre? Sie reden so, als würden Sie auf jeden Fall Krieg führen. Haben Sie denn Bescheid gewußt?«
»Natürlich nicht! So, wie die Dinge sich entwickelt haben, profitieren wir eben. Wir hätten auf jeden Fall die Kapseln an uns gebracht und darauf gewartet, daß einer von Ihnen bei uns eintrifft. Etwas anderes wäre gar nicht möglich gewesen. Und was wollten Sie noch fragen?«
»Wie kommt man hier zu Sex?«fragte Trelig.
Soncoro brüllte vor Lachen.