Neu-Pompeii — 11.50 Uhr

Ein blauweißer Strahl surrte durch die mächtige Leere in der Vertiefung der riesigen Schüssel. Ein Teil der Leiste um den Kontrollraum schwelte und zischte. Jemand fluchte. Überall gab es Trefferspuren, und das Fenster hinaus zum Schacht war längst zerschossen.

Gil Zinder saß nervös an seiner Konsole auf der Galerie. Antor Trelig stand fluchend neben dem Eingang und versuchte auszumachen, wo die Schützen sich befanden. Ben Yulin, auf der anderen Seite der Tür, überprüfte die Ladung seiner Pistole.

»Warum macht ihr die Tür nicht zu?«rief Zinder.»Die schießen jetzt schon hier herein!«

»Halten Sie den Mund!«fauchte Trelig.»Wenn wir sie schließen, können sie sie mit dem Strahlfeuer festschweißen, und wir kommen nie mehr heraus.«

Ben Yulin schnippte mit den Fingern und huschte zur Konsole.

»Obie?«sagte er, nachdem er auf eine Taste gedrückt hatte.

»Ja, Ben?«antwortete der Computer.

»Obie, wie ist deine Optik im Tunnel? Kannst du uns sagen, wie viele es sind, und was für ein Schaden besteht?«

»Meine Optik ist unbeschädigt«, erwiderte Obie.»Sie sind noch sieben. Ihr habt drei erschossen. Der Schacht-Kontrollraum ist stark beschädigt, die Wand auch, aber nichts Ernsthaftes.«

Yulin nickte, während Trelig plötzlich in die Knie ging, sich zur Tür hinausbeugte und eine Salve abfeuerte.

»Um einen Kilometer verfehlt, Trelig«, erklärte Obie in einem Ton, der Zufriedenheit verriet.

»Obie, wie funktionsfähig bist du?«fragte Yulin und winkte Zinder heran.

»Nicht besonders«, sagte der Computer.»Der Computer, der die Welt da unten steuert, ist sowohl unendlich komplizierter als auch einfacher wie ich. Seine Aufnahmefähigkeit scheint unbegrenzt zu sein, und er hat vollständige Kontrolle über alle primären und sekundären Gleichungen bei der Ausgabe — aber er ist vollständig vorausprogrammiert. Er hat kein Selbstbewußtsein, ist keine eigene Wesenheit.«

Gil Zinder erreichte die Konsole.

»Obie, hier ist Dr. Zinder«, sagte er.»Kannst du den Kontakt mit dem anderen Computer abbrechen?«

»Im Augenblick nicht, Dr. Zinder.«Obies Stimme klang viel freundlicher, aber auch besorgt.»Als wir das Umkehrfeld auslösten, haben wir die Spannungsenergie freigesetzt, die unsere eigene Existenz steuerte. Sie hat uns hierhergeführt. Anscheinend ist der Weltcomputer auf eben einen solchen Vorgang vorbereitet, aber die Programmierer gingen davon aus, daß jeder, der die markovischen Gleichungen auf solche Weise anwenden und damit hierherkommen konnte, nahezu auf derselben technologischen Stufe stehen mußte wie die Erbauer des Weltcomputers. Man erwartet von uns, daß wir die bisherige Programmierung umstoßen und ihm sagen, wie es weitergehen soll.«

»Wo ist hier, Obie?«fragte Zinder.

»Die Koordinaten wären nutzlos, selbst wenn ich einen Bezugsrahmen hätte«, gab Obie zurück.»Wir sind gewissermaßen in der Mitte des greifbaren Universums, das entnehme ich jedenfalls den Dingen, die ich von den Informationsschaltungen des anderen Computers erfahre, soweit ich sie verstehen kann.«

Selbst Trelig begriff, was das bedeutete.

»Du meinst, das ist das Zentrum für alle Existenz von Materie in der Galaxis?«schrie er.

»Genau das«, bestätigte Obie.»Und auch aller Energie, abgesehen von der Primärenergie, dem Baustoff für alles andere. Das ist die zentrale markovische Welt, von der aus, soviel ich erkennen kann, das Universum neu geschaffen wurde.«Der Gedanke ernüchterte sie alle.

»Obie, kannst du mit dieser großen Maschine sprechen?«fragte Yulin.

Der Computer schien einen Augenblick zu überlegen.

»Ja und nein. Es ist schwer zu erklären. Angenommen, Sie hätten einen Wortschatz von nur achtzig Begriffen? Angenommen, jemand von Ihrer Kultur mit einem Doktorgrad in Physik erzählt Ihnen etwas von seinem Fachgebiet. Sie könnten nicht einmal alle Worte aufnehmen, geschweige denn irgend etwas von dem verstehen, was er sagt.«

»Aber du könntest mit diesen achtzig Wörtern mit ihm reden.«

»Nicht, wenn man nicht einmal die Frage formulieren kann«, gab Obie zurück.»Ich besitze nicht einmal die Fähigkeit, auf eine verständliche Weise ›Guten Tag‹ zu sagen — und ich habe beinahe Angst davor, es zu versuchen. Es gibt eine unglaublich vielschichtige vorausprogrammierte Folge, die ich wahrnehme, ohne sie begreifen zu können. Ich wage nicht, es zu versuchen. Sie könnte jede Wirklichkeit auslöschen oder den anderen Computer und die ganze Wirklichkeit, und ich wäre als einziges übrig. Was dann?«

Die Wissenschaftler begriffen, was er meinte. Die Markovier hatten den Computer vorausprogrammiert, damit er alles an ihre Nachfolger übergab, wenn sie die Stufe der Markovier erreichten. Sie waren offenbar nie auf den Gedanken gekommen, daß ein Gil Zinder, ein primitiver Affe, Jahrtausende, bevor der Mensch reif dafür war, auf ihre kostbare Formel stoßen könnte. Der Zentralcomputer dort draußen wartete darauf, daß Obie ihn anwies, den Betrieb einzustellen, daß neue Herren eingetroffen seien.

Aber die neuen Herren waren drei sehr verängstigte Primitive und ein ebenso ängstlicher Computer. Und die Primitiven wurden von den früheren Angestellten eines von ihnen bedrängt. Die Aufseher, die begriffen hatten, daß das Schwammschiff nicht erscheinen würde, wußten, daß sie auf gräßliche Weise sterben mußten.

Aber sie würden frei sterben. Sie würden ihren verhaßten Herrn mit sich nehmen.

»Obie!«sagte Yulin.

»Ja, Ben?«

»Obie, kannst du berechnen, wie, zum Teufel, wir hier herauskommen?«

»Nun, ihr könntet einfach länger warten als sie«, meinte der Computer.»Es gibt hier Vorräte für eine Woche, und ich kann mehr als genug für euch beschaffen. In etwa drei Wochen werden alle Aufseher tot sein, schon in zwei Wochen wären sie nicht mehr in der Lage, euch aufzuhalten.«

»Das nützt nichts!«rief Trelig.»Da oben sind zwei Schiffe, die wir unter Kontrolle bekommen müssen — sonst sitzen wir in der Falle! Vergeßt nicht, es gibt eine Reihe von Agenten und Diplomaten, die nicht davon betroffen sind, daß die Schwammwirkung nachläßt! Da die Aufseher rebellieren, könnten einige davon schon bewaffnet sein, um die Schiffe zu erobern! Wenn sie entkommen, sitzen wir für immer fest!«

»Ich stelle richtig«, sagte Obie sofort.»Es gibt ein Schiff. Mit dem anderen sind Mavra Tschang, Nikki Zinder und ein Aufseher namens Renard entkommen.«

Gil Zinder schien wieder lebendig zu werden.

»Nikki? Fort von hier? Haben sie es geschafft, Obie? Sind sie wieder zu Hause?«

»Bedaure, Dr. Zinder«, entgegnete Obie bedrückt.»Der vorzeitige Test hat mich zum Handeln gezwungen. Sie wurden mit uns in den Strudel gerissen und sind inzwischen auf der Schacht-Welt abgestürzt.«

Der alte Wissenschaftler schien in sich zusammenzusinken. Trelig ging auf einen ganz anderen Punkt ein.

»Was heißt, dich zum Handeln gezwungen?«fauchte er wütend.»Du hast uns verraten!«

»Ich bin ein Wesen mit eigenem Bewußtsein, Rat«, erwiderte er verwundert.»Ich tue, was ich tun muß, und trotzdem habe ich außerhalb dieser Begrenzungen eine gewisse Handlungsfreiheit. Genau wie die Menschen.«

»Wie hast du die Welt genannt, auf der sie abgestürzt sind, Obie?«fragte Ben.

»Die Schacht-Welt«, antwortete der Computer.»Das ist ihr Name.«

»Die Schacht-Welt«, murmelte Ben Yulin und starrte die Konsole an, während Trelig und seine Gegner wieder aufeinander feuerten.

»Obie«, sagte Yulin beinahe flüsternd,»erzähl mir von dieser Schacht-Welt. Ist sie nur ein riesiger Markovier-Computer oder was sonst?«

»Ich muß interpolieren, Ben«, entschuldigte sich Obie.»Ich erhalte diese Informationen schließlich stückweise, und alles auf einmal. Nein, ich glaube aber nicht, daß dem so ist. Der Computer — der Schacht — ist der gesamte Kern des Planeten. Der Planet selbst scheint in weit mehr als tausend verschiedene und deutlich abgesonderte Biosphären aufgeteilt zu sein, jede ausgestattet mit ihrer eigenen beherrschenden Lebensform, mit eigener Flora, Fauna, Atmosphäre und so weiter. Es ist wie eine riesige Zahl kleiner Planeten. Ich stelle mir diese als Prototyp-Kolonien für spätere Einpflanzung ins Universum in ihre wahre, mathematisch exakte Umwelt vor. Sie sind lebendig, sie sind aktiv, sie existieren.«

Die beiden anderen hörten gebannt zu.

»Die drei, die abgestürzt sind«, sagte Zinder stockend.»Haben sie… haben sie — überlebt?«

»Unbekannt«, erwiderte Obie wahrheitsgemäß.»Da sie nicht Teil der Schachtwelt-Matrix sind, hat der Computer sie nicht im Speicher. Selbst wenn sie es wären, würde man sie wohl nicht unterscheiden können. Es gibt zu viele denkende Wesen da unten.«

»Warum fragt ihr ihn nicht etwas Praktisches, etwa wie, zum Teufel, wir hier herauskommen?«fauchte Trelig plötzlich.»Die Tatsache, daß nur noch ein Schiff da ist, macht die Sache nur noch dringender!«

Yulin nickte. Er dachte eine Weile angestrengt nach und hieb plötzlich mit der rechten Faust in die linke Handfläche.

»Ich bin ein Narr!«rief er.»Natürlich. Obie, funktioniert dein kleiner Spiegel noch?«

»Ja, Ben, aber nur innerhalb seiner alten Grenzen. Der große ist starr auf den Schacht-Computer eingestellt, bis ich oder jemand anderer dahinterkommt, wie wir ihn loslösen können, und im Augenblick habe ich da überhaupt keine Vorstellung.«

»Okay. Der kleine ist alles, was ist jetzt brauche. Obie, du hast die Formel für den Schwamm, nicht?«

»Selbstverständlich«, kam die Antwort.»Aus dem Blut einer Reihe früherer Versuchspersonen.«

»Mhm«, sagte Yulin.»Aktivieren und Energie zuführen. Ich brauche eine kleine Menge Schwamm, sagen wir fünf Gramm, in einem dichten Plastikbehälter. Und ich brauche zusätzlich ein Kilogramm des Stoffes mit den folgenden chemischen Ersatzbestandteilen…«

Er ratterte eine lange chemische Formel herunter. Die anderen sahen ihn erstaunt an.

Zinder begriff als erster, was Yulin vorhatte, und stöhnte auf.

»Aber — das können Sie nicht tun

Aber Yulin konnte es, hatte es verlangt, und schon schwang der Spiegel sich über die kleine Plattform hinaus, und das blaue Feld entstand.

»Was, zum Teufel, wollen Sie tun?«schrie Trelig.

»Er will die armen Kerle vergiften«, sagte Gil Zinder. Er sah zu Yulin auf.»Aber — warum? Mit Schwamm wären sie ohnehin wieder unter Ihrer Kontrolle.«

Yulin schüttelte den Kopf.

»Vielleicht oben — vielleicht. Aber nicht die Leute dort draußen. Sie haben sich mit dem Tod schon abgefunden und sich festgelegt.«Er wandte sich an Trelig.»Achten Sie hier auf den alten Doc, während ich den Stoff hole!«rief er, dann stürmte er die Treppe zur Plattform hinunter. Vorsichtig untersuchte er die beiden Päckchen, holte Handschuhe und griff danach. Er traute Obie immer noch nicht ganz. Dann lief er wieder hinauf.

»Haben wir noch Sprechverbindung?«fragte er den Rat.

»Ich denke schon«, entgegnete Trelig,»wenn sie die Schaltungen nicht zerschossen haben. Versuchen Sie es!«

Yulin ging zur Wand und drückte auf eine Taste.

»Ihr da draußen!«rief er und hörte seine Stimme unheimlich aus der großen Wölbung draußen widerhallen.»Hört zu! Wir haben Schwamm! Es ist nicht aussichtslos! Wir geben ihn euch, wenn ihr eure Waffen abliefert!«

Er schaltete das Sprechgerät auf Wiedergabe.

Draußen wurde es plötzlich ganz still. Es kam noch keine Antwort, aber geschossen wurde auch nicht.

Nach einer schier endlosen Pause knurrte Trelig:»Sie haben es nicht geschluckt.«

Yulin fürchtete das zwar auch, erwiderte aber:»Nicht so voreilig. Sie stimmen vermutlich ab. Und denken zum erstenmal an die Qualen, wenn sie nichts bekommen. Obwohl sie die Wirkung erst nach einer geraumen Zeit spüren, denken sie an nichts anderes.«

Und er hatte recht. Einige Minuten später dröhnte es aus dem Lautsprecher:»Okay, Yulin. Vielleicht kommt ihr raus. Aber woher wissen wir, daß ihr nicht lügt? Wir wissen, wieviel Schwamm geliefert wird, bis aufs Gramm genau.«

»Wir können ihn herstellen, soviel ihr wollt«, erwiderte Yulin gepreßt.»Ich beweise es euch. Schickt einen Abgesandten über die Brücke. Irgend jemanden. Ich werfe fünf Gramm hinaus. Versucht es. Ihr werdet wissen, daß ich die Wahrheit sage.«

Es blieb wieder lange still, dann sagte dieselbe Stimme:»Gut. Ich komme herüber. Aber wenn ich es nicht schaffe oder der Stoff nichts taugt, legen euch die anderen sechs um, und wenn es das letzte ist, was sie tun — und oben sind noch genug von uns. Sie wissen, was hier unten vorgeht.«

Yulin grinste vor sich hin. Auch das war eine nützliche Information. Die Sprechverbindungen zur Oberfläche bestanden noch.

Einige Minuten später konnte man eine einsame Gestalt über die Brücke gehen sehen. Es war eine kleine, zerbrechlich aussehende Gestalt, entweder ein sehr junges Mädchen oder einer der Männer mit Frauenkörper. Es spielte keine Rolle.

Der ehemalige Aufseher blieb zehn Meter vor dem Eingang stehen.

»Ich bin hier«, teilte er (sie?) mit.

Yulin griff nach dem kleinen Beutel Schwamm.

»Hier kommt es!«rief er und warf ihn auf die Brücke hinaus.

Der Aufseher hob ihn auf, riß ihn auf und zog das winzige Stück gelbgrünen Schwamms heraus, das eigentlich ein richtiges Lebewesen war. Es war auch tatsächlich ein Schwamm, Bewohner einer schönen Welt, die vor Jahrhunderten durch eine Vorauskolonie der Menschen besiedelt worden war. Das Zusammenwirken von fremden Bakterien mit einigen der synthetischen Elemente in den Nahrungsvorräten der Kolonisten hatte das Grauen hervorgebracht, durch das Trelig und sein riesiges Syndikat so mächtig geworden waren. Der neue mutierte Stoff hatte jede Zelle der menschlichen Körper durchdrungen und lebenswichtige Substanzen verdrängt. Die Zellen leisteten nicht den geringsten Widerstand, ja, sie erzeugten den Stoff sogar selbst, sobald er einmal eingedrungen war. Die erste Verseuchung war nicht umkehrbar. Eine geringe Menge verursachte keine erkennbaren äußeren Veränderungen, aber vorhanden war sie. Eine große Menge, wie die Aufseher sie erhalten hatten, verursachte Deformierung, betonte die gegenläufigen Sexualmerkmale oder rief, wie bei Nikki Zinder, unaufhaltbare Fettsucht oder ähnlich schreckliche Folgen hervor.

Der Organismus war jedoch vollkommen parasitär. Er verzehrte den Wirt, vor allem sein Gehirn, dessen Zellen in rascher Progression unwiderruflich abstarben. Ohne Behandlung zerstörte der mutierte Stoff den Geist lange vor dem Körper; es war ein sehr schmerzhafter Vorgang. Man wußte, was geschah, wußte es, bis die Hirnrinde voll erfaßt wurde und den Betroffenen zuerst in ein Tier, dann in eine Pflanze verwandelte, die einfach dalag und verhungerte. Eine Lobotomie in Zeitlupe.

Der Schwamm war nicht die Droge, sondern das Gegenmittel. Kein wirksames, da er immer wieder gegeben werden mußte, aber die Absonderungen der Schwämme hielten das Wachstum des Mutationsstammes auf. Wenn man Schwamm brauchte, wurde man zum Sklaven des Syndikats. Der Stoff war für die Kom-Welten zu gefährlich, als daß man ihn herumliegen lassen durfte; der Schwamm selbst enthielt das suchterregende Material. Aber habgierige, ehrgeizige Politiker besaßen ihn, züchteten ihn und herrschten damit.

Angesichts einer solchen Zukunft schlang der Aufseher den Schwamm aus dem Plastikbeutel gierig hinunter. Die Dosis reichte nicht aus, aber sie würde überzeugend wirken.

»Es ist echt!«rief der Aufseher, offensichtlich erstaunt.»Es ist der echte Stoff!«

»Ein Kilogramm im Tausch für eure Waffen!«schrie Trelig.»Jetzt — oder wir warten ab!«

»Die Nachricht ist nach oben gegangen«, meldete sich eine neue, tiefere Stimme aus dem Lautsprecher.»Okay, wir kommen herüber — vier von uns. Die anderen sorgen dafür, daß ihr uns nicht abknallt. Ihre Waffen bekommt ihr, wenn wir das Kilo haben und ihr herauskommt. Nicht früher.«

Trelig wartete eine Weile und grinste bösartig.

Drei weitere Aufseher traten zu dem ersten und blickten erwartungsvoll auf den Eingang.

»Okay, hier ist das Kilo!«rief Trelig, als er das Päckchen hinauswarf.

Sie stürzten sich darauf, und einer lief damit zurück, während die anderen Trelig nervös die Sicht versperrten.

»Wenn sie es nun nicht sofort nehmen?«flüsterte Yulin.

»Sie tun es«, sagte Trelig zuversichtlich.»Sie sind überfällig. Wie wirksam ist der Stoff denn?«

»Fünf oder sechs Minuten lang wird er ein grandioses Gefühl vermitteln«, erwiderte Ben.»Danach, nun, sie sollten eigentlich alle schwere Herzanfälle bekommen und umkippen.«

Trelig sah ihn besorgt an.

»Sollten? Sie meinen, es bestehen Zweifel?«

»Nein, nein, eigentlich nicht, das habe ich nicht gemeint. Nein, das Zeug könnte eine ganze Armee töten. Lassen Sie ihnen zehn Minuten Zeit, nicht länger.«

»Glauben Sie, daß sie nach oben laufen?«fragte Trelig.»Oder daß einer lange genug am Leben bleibt und die Nachricht durchgibt?«

Yulin überlegte.

»Nein, ich bezweifle, ob sie sich die Zeit nehmen, nach oben zu gehen. Wie Sie selbst sagen, sind sie überfällig.«

»Und woher wissen wir, wann sie umgefallen sind? Wollen Sie die erste Zielscheibe abgeben? Oder vielleicht der Doc hier?«

»Nicht nötig. Obies Sensoren sind noch aktiv.«Er ging zur Konsole.»Obie, leben die Aufseher noch?«

»Nein, Ben«, erwiderte der Computer.»Jedenfalls kann ich in ihrem alten Bereich kein Leben feststellen. Sie sind ganz plötzlich weggewesen. Sie haben sie glatt gemordet.«

»Spar dir den Sarkasmus«, knurrte Yulin.»Hast du den Sprechverkehr mit der Oberfläche mitgehört?«

»Ich habe da keine großen Möglichkeiten. Ich weiß es nicht.«

Ben Yulin nickte und wandte sich Trelig zu.

»Nun, Hindernis eins bis sechs wären geschafft. Aber auf der Oberfläche wird es viel schwieriger werden. Irgendwelche Ideen?«

Trelig überlegte. Seine Augen funkelten.

»Fragen Sie die Maschine, ob an der Oberfläche jemand weiß, wer mit dem ersten Schiff entkommen ist«, sagte er.

»Woher soll Obie das wissen? Ich meine, wenn er nicht einmal den Sprechverkehr überwachen kann. Warum? Woran denken Sie?«

»In meiner Position muß man an alles denken«, erwiderte Trelig.»Zum Beispiel waren beide Schiffe in der Lage, mindestens die Hälfte der Gäste aufzunehmen. Das Weite gesucht haben aber nur Mavra Tschang, Nikki Zinder und der Aufseher. Warum?«

Yulin überlegte.

»Weil sie hinausgeschlichen sind. Tschang sollte das Mädchen herausholen, nicht die Leute oben retten. Je mehr Leute von einer Verschwörung wissen, desto größer ist die Gefahr, entdeckt zu werden.«

»Jetzt fangen Sie an, zu begreifen. Es sind ziemlich viele, und sie kennen einander kaum. Ich möchte auch vermuten, daß sie sich mit den Aufsehern nur schlecht verstehen. Kurz nachdem das Schiff startete, war der Teufel los. Wollen wir wetten, daß manche sogar nicht einmal vom Verschwinden des Schiffes wissen?«

»Die Wachen —«, begann Yulin.

»Wissen nur, daß das Schiff fort ist. Sie wissen auch, daß ohne den Code das zweite Schiff von den Stationen in den Umlaufbahnen zerstört werden würde. Sie wissen gar nicht, wer hier wer ist oder wie viele Leute es sind. Das Mädchen war mehr oder wenig isoliert, und der Aufseher — was bedeutet ein einzelner? Er könnte hier unten umgekommen sein. Verstehen Sie jetzt?«

»Sie meinen, wir sollen uns als diejenigen ausgeben, welche verschwunden sind?«sagte Yulin fassungslos.

Trelig sah ihn ungeduldig an.

»Wir müssen ihr Vertrauen gewinnen, sie überraschen. Wir müssen zu diesen Besuchern als Freunde kommen, sie davon überzeugen, daß wir gegen die Aufseher stehen, ihre Hilfe in Anspruch nehmen, das Schiff zu erreichen. Wir müssen mit dem Schiff fort, bis sie hier alle tot sind. Allein schaffen wir das nicht.«

»Verstehe«, sagte Yulin, aber man sah, daß es ihm nicht gefiel. Er sah zu Gil Zinder hinüber, der leer und erschöpft vor sich hin starrte.

»Was ist mit ihm?«fragte Yulin.

»Er muß mit«, erwiderte Trelig.»Er kann mit Obie umgehen, und Obie wird für ihn alles tun. Ihn hier zu lassen, hieße, dort in den Schacht zu springen.«

Yulin nickte und sah Trelig an. Der Rat zeigte ein seltsames Lächeln.

»Wollen Sie vorangehen?«fragte Yulin ihn.

Das Grinsen wurde breiter.

»Nein, ich glaube nicht. Sie können es also?«

Yulin nickte dumpf.

»Dann machen wir es so«, fuhr Trelig fort.»Zuerst versuchen Sie herauszufinden, wer der Aufseher war. Obie müßte das klären können. Dann wird einer von uns der Aufseher ohne die Sucht, versteht sich! —, einer Nikki Zinder und der dritte Mavra Tschang. Alle in nicht unterbrechbarer Folge vorausprogrammiert, das ist klar. Es ist nicht so, daß ich Ihnen nicht vertraue, aber man kommt nur an die Spitze, wenn man das Undenkbare tut, und man bleibt oben, wenn man das Undenkbare denkt.«

Yulin seufzte und gab auf.

»Wer wollen Sie sein?«fragte er.

»Wir müssen uns das überlegen, und die Zeit drängt«, erwiderte Trelig.»Der alte Mann hier — nun, wir brauchen natürlich irgendeinen geistigen Zwang. Machen Sie ihn zu seinem eigen Fleisch und Blut. Verhaltensmuster werden auch einprogrammiert werden müssen«, erinnerte er den jüngeren Wissenschaftler.»Es darf keine Fehler geben. Wir werden nicht nur wie diese Leute aussehen müssen, sondern auch gehen wie sie, reden wie sie, fast denken wie sie, während wir innerlich bleiben, was wir sind. Es spricht einiges dafür, daß der Aufseher einer der höheren Ränge war, und sie sind sexuell alle durcheinander. Ich bin Hermaphrodit, also sollten sich keine Probleme ergeben. Dann werden Sie Mavra Tschang.«

»Ich möchte lieber keine Frau sein«, widersprach Yulin.

»Es wird Ihnen nichts ausmachen, wenn Sie durch das Gerät gegangen sind«, gab Trelig zurück.»Und wenn Sie das machen, zeigen Sie mir gleich, wie es geht.«

Yulin seufzte und wandte sich der Konsole zu.

»Obie?«sagte er.»Hast du die Identität des Aufsehers, der mit Mavra Tschang entkommen ist?«

»Es war Renard«, erwiderte der Computer.»Ich kann ihn nicht orten, und er ist nicht von oben heruntergekommen. Es hat oben ein paar Tote gegeben, so daß ein kleiner Zweifel bleibt.«

»Er muß es sein«, sagte Trelig.»Er gehörte zu den Bewachern des Mädchens. Alles paßt. Ich gehe das Risiko ein.«

Ben Yulin nickte.

»Ich glaube nicht, daß es eine gute Idee wäre, wenn Doc hier den Zugang kennt«, meinte er.

Trelig stimmte zu, drehte sich um und schoß Zinder mit dem Betäubungsstrahl nieder.

»Fünf Minuten«, sagte Trelig.»Nicht mehr.«

Yulin wandte sich wieder an den Computer.

»Unregistrierte Bewegung, Obie«, sagte er.»Im Hintergrundspeicher nur für meinen Zugriff aufnehmen.«

»Was?«Der Computer schien ein wenig verblüfft zu sein, und als der Zugang zu den abgetrennten Sektionen frei wurde, begriff er, was vorging.

»Wie oft haben Sie das schon gemacht, Ben?«fragte Obie.

»Nicht oft. Obie, paß genau auf. Du führst meine Anweisungen exakt aus, ohne etwas wegzulassen oder hinzuzufügen. Verstanden?«

»Ja, Ben«, sagte Obie resigniert.

»Drei Bewegungen in Folge, die abgeschlossen sein müssen, bevor zusätzliche Instruktionen unter Umständen nachgebracht werden. Eins. Dr. Gilgam Zinder, die äußere Form soll die der letzten Codierung von Nikki Zinder sein, ohne die Schwammsucht. Die Erinnerung bleibt die von Gil Zinder, mit allem Wissen und allen Fähigkeiten, aber die Person wird nicht in der Lage sein, das oder andere Informationen mitzuteilen, wenn nicht Antor Trelig oder ich das verlangen. Außerdem wird die Person nicht in der Lage sein, die wahre Identität von mir oder Antor Trelig preiszugeben. Verstanden?«

»Verstanden, Ben.«

»Zwei. Antor Trelig. Die Person soll in die letzte Codierung des Aufsehers Renard verwandelt werden, ohne die Schwammsucht. Sie übernimmt alle Verhaltensmuster, einschließlich Gang, Gefühlsreaktionen, Sprechweise und alle anderen Eigenschaften, wie vorher auch Gil Zinder. Die Erinnerung bleibt jedoch die von Antor Trelig, mit allen Kenntnissen und Fähigkeiten und dem Vermögen, jederzeit auf sein wahres Ich zurückgreifen zu können.«

Yulin schaute sich nach Trelig um.»Alles nach Wunsch?«fragte er, und Trelig nickte.

»Drei«, fuhr Yulin fort.»Abu Ben Yulin. Die Person ist der letzten Codierung von Mavra Tschang anzupassen. Es gelten alle Punkte wie bei Trelig. Klar?«

»Ja, Ben«, entgegnete Obie.»Klar und gespeichert.«

»Und noch etwas, Obie: Für alle drei Bewegungen sollen die Personen so akklimatisiert werden, daß sie sich physiologisch und psychologisch in den neuen Körpern wohl fühlen. Verstehst du?«

»Ja, Ben. Ich verstehe, daß Sie keine Frau sein wollen«, erwiderte Obie ätzend. Ben wandte sich Trelig zu.»Okay, bringen Sie den Doktor hinunter.«

Trelig gestikulierte mit der Pistole und führte Gil Zinder hinunter.

Die Verwandlung dauerte nicht lange. Yulin sah zu, wie Zinder sich zuerst in blauem Licht auflöste und sich als genaue Entsprechung von Nikki Zinder wieder bildete. Der alte Wissenschaftler konnte nichts tun und stand still dabei, als Trelig nervös auf das Podium stieg und Ben Yulin seine Pistole zuwarf. Als Trelig sich auflöste und Sekunden später als der Aufseher wieder erschien, dachte Yulin, wie leicht es wäre, Trelig zu erschießen. Zinder schien die Gedanken Bens aufzufangen und sagte mit Nikkis hoher Stimme:»Nein, Ben! Er ist der einzige, der weiß, wie wir den Planeten verlassen können!«

Yulin seufzte, dann mußte er beinahe lachen, als er Treligs neue Form sah. Männliche Sexualorgane an einem sehr weiblichen Körper. Trelig stieg herunter, nickte zufrieden und ließ sich die Pistole zurückgeben. Yulin stieg unsicher auf die Scheibe, sah den Spiegel sich herausdrehen und spürte ein warmes, prickelndes Glühen im ganzen Körper. Das Labor und die Zuschauer schienen zu verschwinden und wieder aufzutauchen.

Die beiden Beobachter sahen eine genaue Nachbildung von Mavra Tschang dort entstehen, wo Ben Yulin gewesen war. Die neue, winzige Gestalt blickte ein wenig besorgt auf Treligs Pistole, dann stieg sie seufzend von der Plattform, die jetzt viel höher zu sein schien.

»Unglaublich!«sagte Trelig.»Sie bewegen sich sogar wie sie — feminin, katzenhaft.«

»Kümmern wir uns um die Aufseher«, erklärte Yulin mit Mavras melodischer, exotischer, von einem leichten Akzent bestimmter Stimme.

Die Aufseher waren in einem kurzen Augenblick höchster Qual gestorben, das sah man ihren Gesichtern an.

»Sie oder die Packung nicht anrühren!«warnte Yulin.

Trelig nickte, zog einem der Aufseher die Pistole aus dem Halfter und reichte sie Yulin. Als nächstes fanden sie den Kommunikator mit der Verbindung zur Oberfläche.

»Fertig?«fragte Yulin.

Der Rat nickte und schaltete das Gerät auf Empfang.

Eine Weile rührte sich nichts, dann meldete sich eine schwache Stimme.

»Unterseite! Melden! Was ist da unten los?«

Es war eine nasale Stimme, die einem der Aufseher gehörte. Trelig seufzte und sagte leise zu Yulin:»Jetzt werden wir gleich sehen, ob es klappt.«

Er drückte auf den Sprechknopf.»Hier Renard. Ich habe die Gefangenen Mavra Tschang und Nikki Zinder zu Trelig hinuntergebracht, als das Chaos losbrach. Sie haben sie alle erledigt — aber der Preis war hoch. Ich und meine Gefangenen sind jetzt die einzigen hier unten, und den alten Wissenschaftler hat es auch erwischt. Das mit dem Schwamm war ein Schwindel.«

Es blieb geraume Zeit still, dann sagte die fremde Stimme gepreßt:»Also gut. Aber wenn Tschang und das Mädchen da unten sind, wer ist dann mit dem Schiff entkommen? Marta hat gesagt —«

Trelig überlegte blitzschnell.

»Die Besatzung war von Neue Harmonie. Vermutlich sind die Leute in Panik geraten und abgeflogen.«

Es gab keine andere logische Erklärung, also wurde sie akzeptiert.

»Okay«, tönte es aus dem Gerät.»Kommt rauf. Wir müssen uns zusammensetzen und nachdenken.«

»Verstanden, Ende.«Trelig schaltete ab.»Geschafft«, sagte er zu Yulin.

»Das ist erst der Anfang«, erwiderte Ben.»Wir müssen hinauf und das Schiff in unsere Gewalt bringen. Gibt es eigentlich genug Wasser und Nahrung an Bord?«

»Gewiß. Wir sehen uns erst einmal den sonderbaren Planeten an, und wenn die Schwammsüchtigen tot sind, können wir über Funk mit den überlebenden Vertretern ein Geschäft abschließen.«

Und was dann? dachte Yulin.

»Sorgen wir dafür, daß Obie nicht befragt wird, solange wir oben sind«, schlug Trelig vor, und sie kehrten in den Kontrollraum zurück.

»Obie?«sagte Yulin, nachdem er auf eine Taste gedrückt hatte.

»Ja, Ben?«

»Sobald wir hinauffahren, speicherst du alle Bewegungen für meinen Zugriff. Verstanden?«

»Ja, Ben.«

»Wie kommen wir dann wieder herein?«fragte Trelig.»Er erkennt uns nur als Renard und Mavra Tschang. Und wenn Tschang überlebt hat, öffnet Obie sich ihr, wenn sie hierher zurückkommen sollte. Wir wissen nicht, ob es auf dieser Welt nicht irgendein Raumfahrzeug gibt.«

Yulin überlegte kurz.

»Wie wäre es mit einem Codewort oder einer Sequenz?«sagte er.»Dann müßte einer von uns hier sein, egal, in welcher Form.«

Trelig nickte.

»Aber welches?«

Yulin lächelte.

»Ich glaube, ich weiß etwas. Aber was ist mit Zinder? Außer uns sollte niemand es kennen.«

Trelig stellte seine Pistole auf Betäubung und feuerte sie auf Nikki Zinders Duplikat ab.

»Wieder nur fünf Minuten«, warnte Trelig.»Los!«

Yulin wandte sich der Konsole zu.

»Obie?«

»Ja, Ben?«

»Offener Speicher, kein beschränkter Zugriff«, sagte er.»Alle Systeme stillegen, Status Abwehr. Du tötest jeden, der von der Mitte der Brücke aus hier einzudringen versucht. Kannst du auf der Brücke Geräusche hören?«

»Ja. Ihr müßt aber vielleicht schreien.«

»Gut. Dann bleibst du im Abwehrzustand, bis jemand mit hocherhobenen Armen, die Handflächen nach außen gerichtet, auf die Mitte der Brücke tritt. Ich schieße eine kleine Markierung in den Boden dort, wenn wir gehen. Dort muß die Person sagen: ›Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet.‹ Hast du das?«

Trelig lachte leise.

»Alte Gewohnheiten wird man schwer los, wie?«sagte er glucksend, aber es gefiel ihm. Leicht zu merken, und trotzdem würde niemand das je sagen und die entsprechenden Bewegungen dazu machen, der nicht Bescheid wußte.

Als Zinder zu sich gekommen war, gingen sie hinaus über die Brücke. Auf halbem Weg stellte Yulin seine Pistole auf volle Stärke und schoß auf die Schachtwand. Der Strahl hinterließ eine deutliche Narbe, die aber anderen als eine der Spuren von der Schießerei gelten mochte.

Sie gingen weiter, stiegen in die Kabine. Trelig drückte auf die Taste, die Tür schloß sich, und die Kabine fuhr hinauf.

Währenddessen öffneten sich in Obie Schaltungen, andere schlossen sich, Energie tanzte, und Obie ging in den Abwehrzustand über, konnte sich aber nicht erinnern, was er dagegen zu tun vermochte. Das beunruhigte ihn. Als letztes erinnerte er sich an Yulin an der Konsole und an den Tod der Aufseher.

Es war ein unauflösbares Rätsel. Er kehrte schnell zu seiner Hauptaufgabe zurück, sich von dem großen Schachtwelt-Computer zu lösen oder, wenn das nicht gelang, eine Art Partnerschaft mit ihm zu bilden.

Es würde mühsam werden und lange dauern.

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