Kapitel 17

Ich flog zwei Tage später nach New York, obwohl ich noch immer nicht wußte, wo Malcolm sich aufhielt.

Die stets hilfsbereite, aber uninformierte Frauenstimme in Stamford, Connecticut, hatte am Abend vorher gemeint, die Herren seien vielleicht nach Kentucky zurückgekehrt; sie hätten vom Kauf eines Pferdes gesprochen, das sie vor einer Woche dort gesehen hatten. Ein anderes Pferd, nicht das gestern gekaufte.

Es war schon ganz gut, dachte ich, daß Donald und Helen, Thomas und Berenice, Edwin und Lucy, Vivien und Joyce nichts davon wußten. Daß Gervase, Ursula, Alicia, Ferdinand, Debs und Serena nichts davon gehört hatten. Alle vierzehn wären sie über Malcolm hergefallen und hätten ihn in Stücke gerissen.

Ich entschied mich für New York aus dem zweifachen Grund, daß Stamford, Connecticut, nur knapp anderthalb Autostunden entfernt war (Auskunft der Stimme) und daß jeder irgendwann einmal New York sehen sollte. Bisher hatten meine Reisen mich nur durch Europa geführt, an Orte wie Paris, Rom, Athen und Oslo. Strände, Rennveranstaltungen und Tempel. Pferde und Götter.

Mein Ziel war ein Hotel in der 54. Straße in Manhattan, das die Stimme empfohlen hatte; sie würde Mr. Pembroke sagen, daß ich dort sei, sobald sie erfuhr, wo Mr. Pembroke war. Es schien die beste Regelung zu sein.

Kommissar Yale wußte nicht, daß ich England verlassen hatte, und auch von der Familie wußte es niemand. Im Flugzeug atmete ich erleichtert auf und dachte an meine Visiten bei Alicia und Vivien am Tag zuvor. Keine von beiden hatte mit mir sprechen wollen, und beide waren aufreibend gewesen, Alicia am Morgen, Vivien am Nachmittag.

Alicias Wohnung außerhalb Windsor war geräumig und überblickte die Themse, zwei Vorzüge, denen sie anscheinend nichts abgewinnen konnte. Widerstrebend ließ sie mich zwar ein, war aber nicht dadurch zu besänftigen, daß ich ihre Aussicht bewunderte.

Sie wirkte wieder einmal jugendlich hübsch mit ihrem weißen Wollkleid und Silberperlen. Ihr Haar war mit einer Samtschleife hochgebunden, und ihre zierliche Figur zeugte von Glück oder Diät. Sie hatte bereits einen Besucher, als ich anklopfte, einen stattlichen Mann um die Vierzig, den sie kokett als Paul vorstellte und der sich unverkennbar hoheitsvoll aufführte, als Herr in seinem Reich. Wie lange mochte das schon gehen?

«Du hättest dich ankündigen können«, mäkelte Alicia.

«Ferdinand meinte, du kämst irgendwann. Ich bat ihn, es dir auszureden.«

«Es schien mir am besten, mit allen zu sprechen«, sagte ich gleichmütig.

«Dann beeil dich«, erwiderte sie.»Wir wollen essen gehen.«

«Hat Ferdinand dir von Malcolms neuem Testament erzählt?«

«Ja, und ich glaube kein Wort davon. Du warst schon immer Malcolms verdammter kleiner Liebling. Er hätte dich an Joyce zurückgeben sollen, als ich gegangen bin. Das habe ich ihm geraten. Aber hat er drauf gehört? Von wegen.«

«Das ist zwanzig Jahre her«, protestierte ich.

«Und nichts hat sich geändert. Er macht, was er will. Er ist durch und durch selbstsüchtig.«

Paul hörte der Unterhaltung regungslos und mit kaum erkennbarem Interesse zu, aber Einfluß hatte er anscheinend doch. Mit einem schelmischen Blick auf ihn sagte Alicia:»Paul meint, Gervase solle Malcolm zwingen, ihn zu seinem

Bevollmächtigten zu machen.«

Auf Anhieb fiel mir nichts ein, was mit weniger Wahrscheinlichkeit passieren würde.

«Kennt ihr euch schon lange?«fragte ich.

«Nein«, sagte Alicia, und der Blick, den sie Paul zuwarf, war der eines flirtenden Backfischs.

Ich fragte sie, ob sie sich an den Baumstumpf erinnere.

«Natürlich. Ich war wütend auf Malcolm, daß er Fred so eine Albernheit erlaubte. Die Jungs hätten verletzt werden können.«

Und erinnerte sie sich an die Schalter? Wie könnte sie die vergessen, meinte sie, die seien doch im ganzen Haus verteilt gewesen. Nicht nur das, Thomas habe später noch mal einen für Serena gebaut. Der habe in ihrem Zimmer Staub angesetzt. Die Uhren seien eine einzige Plage gewesen.

«Du warst gut zu mir damals«, sagte ich.

Sie staunte. Der Ausdruck ihrer Augen wurde sogar sanfter, aber nur vorübergehend.»Das mußte ich sein«, sagte sie bissig.»Malcolm bestand darauf.«

«Bist du nie glücklich gewesen?«fragte ich.

«O doch. «Ihre Lippen kräuselten sich zu einem boshaften Lächeln.»Als Malcolm zu mir kam, während er mit Joyce verheiratet war. Bis diese Ratte von Detektiv es verdorben hat.«

Ich fragte sie, ob sie Norman West beauftragt habe, Malcolm in Cambridge zu finden.

Sie sah mich mit großen leeren Augen an und sagte gleichgültig:»Nein. Warum hätte ich das tun sollen? War mir doch egal, wo er ist.«

«Fast jeder wollte ihn finden, um ihn daran zu hindern, daß er sein Geld ausgibt.«

«Er ist verrückt«, sagte sie.»Größenwahnsinnig. Er sollte Gervase die Verfügungsgewalt übertragen und zusehen, daß die schreckliche Ursula nichts mitzureden hat. Sie ist die falsche Frau für Gervase, wie oft hab ich ihm das schon gesagt.«

«Aber du hast Norman West nicht gebeten, Malcolm zu suchen?«

«Nein«, entgegnete sie scharf.»Frag doch nicht dauernd so blöd. «Sie wandte sich nervös von mir ab.»Es wird höchste Zeit, daß du gehst.«

Im großen und ganzen fand ich das auch. Ich überlegte, daß Pauls Anwesenheit sie vielleicht davon abgehalten hatte, mir die Galle ins Gesicht zu schleudern, die sie hinter meinem Rücken aussprühte. Sie würden mich auseinandernehmen, wenn ich fort war. Er nickte mir kühl zu, als ich ging. Kein Freund von mir, dachte ich.

War mein Besuch bei Alicia schon fruchtlos, so war es mein Gespräch mit Vivien erst recht. Norman Wests Notizen über sie waren dürftig gewesen: Name, Adresse, Illustrierte durchgesehen, keine Alibis. Sie weigerte sich, meine Fragen zu beantworten oder Möglichkeiten zu erörtern. Malcolm, sagte sie mehrmals, sei ein Monster, das es darauf anlege, ihre Kinder zu vernichten, und ich sei der leibhaftige Teufel, der ihm dabei zur Hand gehe. Sie hoffte, wir würden beide in der Hölle verrotten. (Eigentlich dachte ich, Teufel und Monster blühen da erst richtig auf.)

Hatte sie nun aber Norman West beauftragt, Malcolm in Cambridge zu finden? Selbstverständlich nicht. Sie wollte nichts mit diesem schrecklichen kleinen Mann zu tun haben. Wenn ich mich nicht sofort von ihrer Tür entfernte, würde sie die Polizei rufen.

«Besonders schön kann es nicht sein«, sagte ich,»mit soviel Haß im Kopf zu leben.«

Sie war eingeschnappt.»Wie meinst du das?«

«Kein Friede. Nur Zorn. Sehr anstrengend. Schlecht für deine Gesundheit.«»Geh weg«, sagte sie, und ich tat ihr den Gefallen.

Ich fuhr zurück nach Cookham und verbrachte einen Großteil des Abends am Telefon, wo ich mit Lucy über Thomas sprach und mit Ferdinand über Gervase.»Wir sind alle die Hüter unserer Brüder«, sagte Lucy und berichtete, daß Thomas die meiste Zeit schlief.»Rückzug in sich selbst«, meinte sie.

Lucy hatte auch mit Berenice gesprochen.»Was hast du ihr bloß gesagt, Ian? Sie klingt ganz verändert. Kleinlaut. Kann mir nicht vorstellen, daß das lange anhält, oder? Ich habe ihr erzählt, daß es Thomas gutgeht, und sie fing an zu heulen.«

Lucy sagte, sie werde Thomas eine Weile behalten, aber nicht bis ans Ende seiner Tage.

Ferdinand sagte, als er meine Stimme hörte:»Wo zum Teufel warst du? Ich kriege immer nur deinen Anrufbeantworter. Hast du rausgefunden, wer Moira umgebracht hat?«Möglicherweise lag Besorgnis in seinem Tonfall.

«Ich habe einige gefunden, die es nicht getan haben«, erwiderte ich.

«Das war nicht meine Frage.«

«Nun«, sagte ich,»es ist wie bei deinem Computer. Ich habe eine Menge Daten eingegeben.«

«Und das Ergebnis?«

«Die Räder drehen sich noch.«

«Computer haben keine Räder. Oder wenn ich’s recht überlege, wohl doch. Jedenfalls pflasterst du deinen Weg mit Katastrophen, ja? Ich höre, Thomas hat Berenice verlassen, und was Gervase angeht, der will dir das Fell über die Ohren ziehen, weil du mit Ursula essen warst. Ist das wahr? Wozu denn bloß? Du weißt doch, wie eifersüchtig er ist. Die haben einen Mordskrach jetzt.«

«Wenn du dir Debs erhalten möchtest«, sagte ich,»hör nicht auf Alicia.«

«Was zum Donnerwetter hat das damit zu tun, daß bei Gervase und Ursula die Fetzen fliegen?«

«Alles.«

Er war wütend.»Dauernd ziehst du über Alicia her.«

«Umgekehrt. Sie ist eine engagierte Unruhestifterin, die dich schon eine Frau gekostet hat. «Er antwortete nicht gleich. Ich sagte:»Gervase versäuft ein Vermögen an Scotch.«

«Und was hat das wieder mit dem übrigen zu tun?«

«Wieso wirst du so leicht mit deiner Illegitimität fertig?«

«Was?«

«Hängt alles zusammen. Mach’s gut, Junge. Bis demnächst. «Ich legte seufzend den Hörer auf, aß zu Abend und packte.

Am Morgen fuhr ich, nachdem ich ein paar Rechnungen bezahlt hatte, mit dem Leihwagen nach Heathrow, gab ihn dort ab und schwang mich mit dem Gefühl, daß Ketten von mir abfielen, in die Lüfte.

Ich blieb vier Nächte in New York, bevor ich Malcolm fand, oder besser gesagt, bevor er mich fand.

In täglichen Telefonaten versicherte mir die Stimme aus Stamford, Connecticut, daß ich nicht vergessen sei und daß ich eines Tages Bescheid bekommen würde. Ich hatte eine Vision von eingeborenen Läufern, die sich durch Urwalddickicht kämpften, aber so war es dann doch nicht, wie sich herausstellte. Malcolm und Ramsey waren lediglich im tiefsten Kentucky von einem Gestüt zum anderen gezogen, und von dort rief er mich morgens um zehn nach acht schließlich an.

«Was machst du in New York?«wollte er wissen.

«Mir die Wolkenkratzer ansehen«, sagte ich.

«Ich dachte, wir sind in Kalifornien verabredet.«

«Sind wir auch«, sagte ich.»Wann?«»Was ist heute?«

«Freitag.«

«Bleib dran.«

Ich hörte ihn im Hintergrund reden, dann kam er wieder an den Apparat.»Wir wollen uns gerade ein paar Pferde bei der Arbeit ansehen. Ramsey hat von morgen bis nächsten Samstag die Zimmer im Beverly Wilshire reserviert, aber er und ich bleiben erst noch ein paar Tage hier. Flieg doch morgen nach Kalifornien, und ich stoße, sagen wir, am Mittwoch zu dir.«

«Geht’s nicht bitte etwas früher? Ich muß mit dir reden.«

«Hast du was rausbekommen?«Sein Tonfall schlug plötzlich um, als wäre ihm aus heiterem Himmel die Welt des Schreckens wieder eingefallen, die er hinter sich gelassen hatte.

«Einiges.«

«Sag’s mir.«

«Nicht am Telefon. Nicht auf die Schnelle. Sieh dir die Pferde bei ihrem Spritzer an, und triff dich morgen mit mir. «Ich hielt ein.»Es gibt auch Pferde in Kalifornien. Tausende.«

Er schwieg ein paar Augenblicke, dann sagte er:»Ich bin’s dir schuldig. Ich werde dort sein «und legte auf.

Ich besorgte meinen Flugschein und verbrachte den Rest des Tages wie alle anderen in New York, indem ich umherwanderte, die Stadt mit Augen und Ohren in mich aufsog — und schmerzlichen geheimen Gedanken nachhing, die zu furchtbaren Schlüssen führten.

Malcolm hielt Wort und kam zu meiner Erleichterung ohne Ramsey, der entschieden hatte, daß Stamford ihn brauchte, wenn Connecticut bestehen bleiben sollte. Ramsey, sagte Malcolm, komme am Mittwoch nach, dann würden wir drei Tage lang auf der Rennbahn sein und Samstag nacht nach Australien fliegen.

Er knisterte vor Energie, die Augen strahlten blau. Er und

Ramsey hatten gemeinsam noch vier Pferde gekauft, erzählte er in den ersten drei Minuten, und wollten sich an einem Syndikat beteiligen, um noch ein paar in Australien mitzubesitzen.

Ein außer Kontrolle geratener Waldbrand, dachte ich und fühlte mit meinen armen Brüdern.

Im Beverly Wilshire bezogen wir eine Suite mit leuchtend roter Textiltapete im Salon und glühend rosa und orangen Blumen auf türkisgrünem Grund in den Schlafzimmern. Es gab reich verzierte Purpurvorhänge, zarte cremefarbene Gardinen, einen Hauch von Spitze, ein Flair von edwardianischer Schalkhaftigkeit, übertragen in unsere Zeit. Zimmer, die zum Lachen einluden, dachte ich. Und da die kleinen schmiedeeisernen Balkone vor den Bogenfenstern noch dazu auf einen Pool mit Springbrunnen und auf Gärten mit Orangenbäumen blickten, konnte man sich kaum beklagen.

Zum Abendessen nahmen wir uns einen Tisch in der Bar unten, wo auch Musik gespielt wurde, und Malcolm bemerkte, ich sähe dünner aus.

«Erzähl mir von den Pferden«, sagte ich — und hörte von ihnen beim Räucherlachs, beim Salat, beim Kalbfleisch und noch beim Kaffee.

«Sei unbesorgt«, meinte er ziemlich zu Anfang.»Sie sind nicht alle so teuer wie Blue Clancy und Chrysos. Wir haben sie alle vier für unter eine Million Dollar gekriegt, insgesamt, und es sind Zweijährige, die gleich laufen können. Gute Abstammung; Spitze. Einer ist sogar von Alydar.«

Ich hörte amüsiert und beeindruckt zu. Er kannte die Abstammung seiner sämtlichen Käufe drei Generationen rückwärts, und Redewendungen wie» hat einen Preis geholt «und» seine Mutter hat schon Gruppensieger hervorgebracht «flossen ihm von den Lippen, als hatte er sie sein Leben lang gesagt.

«Darf ich dich mal was fragen?«sagte ich schließlich.

«Das weiß ich erst, wenn du’s tust.«

«Ja… ehm, wie reich bist du eigentlich?«

Er lachte.»Hat Joyce dich zu der Frage angestiftet?«

«Nein. Ich wollte es für mich wissen.«

«Hm. «Er dachte nach.»Auf die Million genau kann ich’s dir nicht sagen. Das ändert sich alle Tage. Bei grober Schätzung etwa hundert Millionen Pfund. Die würden jetzt von selbst um jährlich fünf Millionen wachsen, wenn ich nie mehr einen Finger rührte, aber du kennst mich, das wäre langweilig. Ich wäre in einem Monat tot.«

«Fünf Millionen nach Steuerabzug?«

«Klar. «Er lächelte.»Vermögenszuwachssteuer normalerweise. Ich habe den besteuerten Kapitalgewinn eines Jahres für die Pferde ausgegeben, das ist alles. Noch nicht mal soviel für die anderen Projekte, derentwegen die Familie durchgedreht ist. Ich bin kein Irrer. Es wird mehr als genug für alle dasein, wenn ich abkratze. Mehr als jetzt. Dazu muß ich nur weiterleben. Sag ihnen das.«

«Ich habe ihnen gesagt, du hättest in deinem Testament verfügt, wenn du ermordet würdest, ginge alles an karitative Einrichtungen.«

«Warum bin ich darauf nicht gekommen?«

«Hast du noch mal darüber nachgedacht, ob du der Familie was von dem Zaster überläßt, bevor du, ehm… abkratzt?«

«Du kennst meine Einstellung dazu.«

«Ja.«

«Und du billigst sie nicht.«

«Theoretisch mißbillige ich sie nicht. Die Treuhandfonds waren großzügig, als sie eingerichtet wurden. Manche Väter tun weniger. Aber deine Kinder sind nicht vollkommen, und einige von ihnen sind in die Klemme geraten. Würdest du jemandem, der blutet, einen Verband stiften?«

Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und starrte mürrisch auf seinen Kaffee.

«Haben sie dich hergeschickt, damit du dich für sie verwendest?«fragte er.

«Nein. Ich werde dir erzählen, was passiert ist, dann kannst du tun, was du willst.«

«Na gut«, sagte er,»aber nicht heute abend.«

«In Ordnung. «Ich schwieg.»Weißt du, daß ich in Kempton ein Rennen gewonnen habe?«

«Ist das wahr?«Sofort war er ganz Ohr und fragte nach jeder Einzelheit. Er wollte nur nichts von seiner zänkischen Familie mit ihrem latenten Mörder hören. Er war es leid, verleumdet und gleichzeitig mit Bitten um milde Gaben bestürmt zu werden. In Kalifornien fühlte er sich sicher, wobei ich es allerdings interessant fand, daß er uns in dem Hotel als Watson und Watson angemeldet hatte.

«Nun, man kann nie wissen«, meinte er dazu.»In den britischen Zeitungen könnte stehen, daß Blue Clancy rüberkommt, und Ramsey sagt, das Hotel ist die Zentrale der Organisation des Breeders’ Cup. Sie haben hier Empfangsräume und Büffets. Bis Mittwoch, sagt er, wird das Haus von internationalem Rennvolk wimmeln. Was glaubst du also, wo jemand, der mich finden wollte, zuerst nachhören würde?«

«Ich glaube, Norman West hat uns gut beraten.«

«Ich auch.«

Die Watsons, Vater und Sohn, frühstückten am nächsten Morgen in der warmen Luft draußen am Pool, saßen auf weißen Stühlen an einem weißen Tisch unter einem gelben Sonnenschirm, sahen die Orangen zwischen dunkelgrünen Blättern reifen und redeten von Schrecknissen.

Ich fragte ihn eher beiläufig, ob er sich an Fred und die

Baumstrünke erinnere.

«Natürlich«, sagte er sofort.»Der verdammte Narr hätte sich umbringen können. «Er krauste die Stirn.»Was hat das mit der Bombe in Quantum zu tun?«

«Kommissar Yale meint, das könnte jemand auf die Idee gebracht haben.«

Er dachte darüber nach.»Möglich wär’s.«

«Der Kommissar oder seine Leute haben den alten Fred gefragt, womit er das Kordit hat hochgehen lassen«- ich erzählte Malcolm von dem Pulvervorrat, der noch im Geräteschuppen herumlag —,»und Fred meinte, er habe ein paar Zündkapseln gehabt, aber nach dem ersten Knall seist du rausgekommen und hättest sie ihm abgenommen.«

«Guter Gott, das hatte ich vergessen. Stimmt ja. Ihr wart alle dabei, was? So ziemlich die ganze Familie.«

«Ja, es war solch ein Wochenende. Helen sagt, damals hat sie dich kennengelernt; sie war auch da, vor ihrer Heirat mit Donald.«

Er dachte zurück.»Das weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, daß ihr viele wart.«

«Der Kommissar wüßte gern, was aus den Zündkapseln geworden ist, nachdem du sie beschlagnahmt hast.«

Er starrte mich an.»Das ist doch bestimmt zwanzig Jahre her«, protestierte er.

«So was bleibt ja vielleicht in Erinnerung.«

Er schüttelte zweifelnd den Kopf.

«Hast du sie der Polizei übergeben?«

«Nein. «Da war er jedenfalls sicher.»Der alte Fred hätte sie zwar nicht haben dürfen, aber ich hätte ihn deswegen nicht in Schwierigkeiten gebracht, und auch den Freund nicht, der sie ihm besorgt hat. Ich wette, sie waren geklaut.«

«Weißt du noch, wie sie aussahen?«fragte ich.

«Ja, ich glaube schon. «Er krauste nachdenklich die Stirn, goß sich Kaffee nach.»Sie lagen nebeneinander in einer Blechdose, sorgfältig auf Watte gebettet, damit sie nicht rumkullern. Kleine silbrige Röhren, etwa sechs Zentimeter lang.«

«Fred sagt, es lag eine Gebrauchsanweisung bei.«

Er lachte.»Ach ja? Ein Bombenbaukasten für Heimwerker?«Er wurde plötzlich ernst.»Genau das war es wohl. Ich entsinne mich nicht an die Gebrauchsanweisung, aber sie wird schon dabeigewesen sein.«

«Daß sie gefährlich waren, war dir klar, oder?«

«Wahrscheinlich, aber seinerzeit wußten Normalbürger noch nicht soviel von Bomben. Ich meine, von Terroristenbomben. Wir waren aus der Luft bombardiert worden, aber das ist was anderes. Ich nehme an, ich habe Fred die Zünder weggenommen, damit er keine Sprengungen mehr veranstaltet, nicht weil sie an sich gefährlich waren, wenn du verstehst, was ich meine.«

«M-hm. Aber du wußtest, daß man sie nicht fallen lassen darf?«

«Du meinst, wenn ich sie hätte fallen lassen, würde ich jetzt nicht hier sitzen und darüber reden?«

«Laut dem Sprengstoffexperten, der in Quantum gearbeitet hat, sehr wahrscheinlich nicht.«

«Ich hatte nie mit Sprengmitteln zu tun, da ich Adjutant war. «Er strich Butter auf ein Stück Croissant, fügte Marmelade hinzu und aß es auf. Als junger Offizier im Kriegsdienst hatte er Einzelheiten von Truppenbewegungen festgelegt und Einsatzkommandeuren assistiert, oft nah genug an den Feinden, aber nicht so, daß er das Weiße ihrer Augen sah. Er sprach selten davon: Es gehörte schon der Vergangenheit an, bevor ich auf die Welt kam.

«Ich habe mich auch nach der ganzen Zeit noch erinnert, wo das Kordit war«, sagte ich.»Wenn du dir vorstellst, wie du mit der Dose Zündkapseln ins Haus gehst, wo würdest du sie dann wahrscheinlich hintun? Sicher dahin, wo du sie als erstes suchen würdest, oder?«

«Ja«, nickte er,»das war immer mein System. «Ein abwesender, unkonzentrierter Blick trat in seine Augen, dann setzte er sich plötzlich kerzengerade.

«Ich weiß, wo sie sind! Ich hab die Dose vor nicht allzu langer Zeit noch gesehen, als ich was anderes suchte. Ich habe nicht weiter drauf geachtet. Mir war auch gar nicht bewußt, was sie enthielt, aber jetzt bin ich ziemlich sicher, daß sie es war. Es ist eine Art Bonbondose, nicht besonders groß, mit einem Deckelbild.«

«Wo war sie und wann?«

«Inzwischen«, sagte er besorgt,»sind die Dinger doch sicher unbrauchbar.«

«Sehr wahrscheinlich nicht.«

«Sie sind im Büro. «Er zuckte entschuldigend die Achseln.»Du weißt, daß ich da nie aufräume. Ich würde im Leben nichts mehr wiederfinden. Wie oft mußte ich aufpassen, daß da keiner saubermacht.«

«Moira zum Beispiel?«

«Sie konnte kaum die Finger davon lassen.«

«Wo im Büro?«Ich erinnerte mich an den Wirrwarr in der Schreibtischlade, als ich seinen Paß geholt hatte. Das ganze Zimmer war entsprechend.

«Auf ein paar Büchern in der Schrankkommode. Untere Reihe, ganz rechts, mehr oder weniger außer Sicht, wenn die Tür zu ist. Auf dem Dickens. «Plötzlich grinste er übers ganze Gesicht.»Bei Gott, jetzt erinnere ich mich. Da hab ich sie hingetan, weil auf dem Dosendeckel Der Raritätenladen abgebildet war.«

Ich fuhr mit der Hand über mein Gesicht, um nicht zu lachen. Kommissar Yale würde seinen Spaß daran haben.

«Sie liegen da schon gut«, erklärte Malcolm,»hinter Glas. Ich meine, so daß keiner drüber stolpern kann, oder? Und da sind sie.«

Ich hielt es für höchst wahrscheinlich, daß sie dort nicht mehr waren, sparte mir aber den Hinweis.»Das Glas in der Schranktür ist zerbrochen«, sagte ich.

Das tat ihm leid. Der Schrank sei von seiner Mutter, sagte er, mitsamt den Büchern.

«Wann hast du die Dose dort gesehen?«fragte ich.

«Keine Ahnung. Allzu lange kann’s nicht hersein, würde ich meinen, aber die Zeit vergeht so schnell.«

«Nach Moiras Tod?«

Er legte die Stirn in Falten.»Nein, kaum. Und davor war ich acht oder zehn Tage aus dem Haus, weil ich ihre Gegenwart nicht ertragen konnte und sie die Stellung hielt. Davor hatte ich mal irgendwas in einem Buch nachgesehen. Nicht bei Dickens, ein oder zwei Reihen drüber. Weiß nicht mehr, was für ein Buch, obwohl es mir wahrscheinlich einfallen würde, wenn ich davorstünde und mir die Titel ansähe. Alles in allem wird’s über drei Monate hersein.«

Ich überlegte ein wenig und trank meinen Kaffee.

«Ich nehme an, der Schrank ist hin und wieder beim Renovieren verrückt worden. Dann kamen die Bücher raus.«

«Mach dich nicht lächerlich«, unterbrach Malcolm belustigt.»Er wiegt über eine Tonne. Die Bücher bleiben drin. Renoviert wird drum herum oder, wenn ich es vermeiden kann, überhaupt nicht. Moira wollte mich dazu bringen, alles auszuräumen, damit sie das ganze Büro dunkelgrün streichen konnte. Ich habe auf stur geschaltet. Sie hatte das übrige Haus. Der Raum gehört mir.«

Ich nickte träge. Es war schön in der Sonne. Einige Leute ließen sich bräunen, ein Kind badete, ein Kellner im weißen Jackett brachte jemandem das Frühstück. Alles weit weg von den Trümmern von Quantum.

Von diesem ruhigen Sonntagmorgen bis zum Mittwoch führten Malcolm und ich das gleiche losgelöste Dasein, ließen uns in einer Stretchlimousine, die er anscheinend nach Metern gemietet hatte, durch Los Angeles, Hollywood und Beverly Hills kutschieren, drehten die Hälse wie Touristen, fuhren nachmittags zur Rennbahn von Santa Anita, dinierten in Restaurants wie dem Le Chardonnay.

Nach und nach erzählte ich ihm, was in der Familie geschehen war, ohne mich aufzudrängen oder zu ereifern, nie zuviel auf einmal, und hörte sofort auf, wenn er sich ungeduldig zeigte.

«Donald und Helen sollten ihre Kinder auf staatliche Schulen schicken«, meinte er ruhig.

«Sollten sie vielleicht. Aber du hast Donald nach Marlborough geschickt, und da warst du auch selbst. Donald will das Beste für seine Jungs. Er plagt sich, um ihnen das zu geben, was du ihm mit links gegeben hast.«

«Er ist ein Snob, daß er Eton nimmt.«

«Mag sein, aber Marlborough kostet auch nicht viel weniger.«

«Und wenn es Donald und Helen sind, die versucht haben, mich umzubringen?«

«Hätten sie Geld genug, kämen sie nicht in Versuchung.«

«Das hast du schon mal gesagt, oder etwas Ähnliches.«

«Nichts hat sich geändert.«

Malcolm schaute aus dem Fenster des langen Wagens, während wir zwischen den Hügeln von Bel Air zur Rennbahn chauffiert wurden.

«Siehst du die Häuser, die dort an den Felswänden in der Luft hängen? Wer so lebt, muß doch verrückt sein — so über dem Abgrund.«

Ich lächelte.»Du lebst so«, sagte ich.

Er mochte die Rennbahn von Santa Anita auf Anhieb, und ich auch; es wäre schwer gewesen, sie nicht zu mögen. Königspalmen ragten an den Toren dreißig Meter in die Höhe, lauter blanke Stämme bis auf die krönenden Federbüsche, grüne Wedel gegen den blauen Himmel. Die Gebäude waren mit Türmen und Türmchen versehen, meergrün in der Farbe, ein metallenes Flechtwerk aus stilisierten Palmblättern zog sich an den Balkonen entlang, und goldene Läden schützten die nach hinten gehenden Fenster. Auf den ersten Blick ähnelte das Ganze eher einem Schloß als einer Rennbahn.

Ramsey Osborn hatte Malcolm mit Richtlinien und Empfehlungen eingedeckt, und wie stets wurde Malcolm auf der Mitgliedertribüne als verwandter Geist begrüßt. Er war von der ersten Minute an heimisch, gehörte zur Szene, als wäre er hineingeboren. Ich beneidete ihn um seine Ungezwungenheit und wußte selbst nicht, woher ich sie nehmen sollte. Vielleicht machte es die Zeit. Vielleicht die Millionen. Vielleicht das Gefühl, etwas erreicht zu haben.

Während er sich lässig mit beinah Fremden (und demnächst Kumpeln) über die Kreuzung europäischer und amerikanischer Linien bei Vollblütern unterhielt, dachte ich an das Telefongespräch, das ich Montag bei Tagesanbruch mit Kommissar Yale geführt hatte. Wegen der acht Stunden Zeitunterschied war es bei ihm schon Nachmittag, und ich hielt es für unwahrscheinlich, daß ich ihn im ersten Anlauf erreichen würde. Doch er war da und kam mit unverhohlener Gereiztheit an den Apparat.

«Sie haben sich seit einer Woche nicht gemeldet.«

«Ja, tut mir leid.«

«Wo sind Sie?«»In der Nähe. «Seine Stimme klang mir so deutlich, als wäre er im Nebenzimmer, und meine ihm vermutlich auch, da er nicht ahnte, daß ich außerhalb Englands war.»Ich habe meinen Vater gefunden«, sagte ich.

«Oh. Gut.«

Ich teilte ihm mit, wo Malcolm die Zündkapseln verwahrt hatte.»Auf dem Raritätenladen sinnigerweise.«

Ein fassungsloses Schweigen trat ein.»Das darf doch nicht wahr sein«, sagte er.

«Die Bücher sind durchweg alte und ledergebundene Klassiker in Gesamtausgaben. Dichter, Philosophen, Romanciers, vor Jahren von meiner Großmutter gekauft. Hin und wieder durften wir alle mal ein Buch zum Lesen ausleihen, aber wir mußten es zurückstellen. Mein Vater hatte uns darauf dressiert.«

«Soll das heißen, daß jeder, der ein Buch aus dem Schrank genommen hat, die Zünder gesehen haben könnte?«

«Ja, ich nehme es an, wenn sie zwanzig Jahre da lagen.«

«Wußten Sie, daß sie dort waren?«

«Nein, ich hatte mit solchen Büchern nicht viel am Hut. Bin meistens geritten.«

Lucy, dachte ich, war als Teenager in die Dichter eingetaucht wie ein Fisch ins heimatliche Meer, aber vor zwanzig Jahren war sie zweiundzwanzig gewesen und hatte schon an ihrer eigenen Unsterblichkeit gearbeitet. Wir anderen waren keine Gelehrten. Manche von Großmutters Büchern waren niemals aufgeschlagen worden.

«Unglaublich. Wenn jemand vorhatte, eine Bombe zu basteln, waren die Zünder gleich zur Hand«, schimpfte Yale.

«Umgekehrt, meinen Sie nicht? Die vorhandenen Zünder werden zur Idee mit der Bombe geführt haben.«

«Der Fundus an allgemein Bekanntem und allgemein Gültigem in Ihrer Familie ist unerhört«, sagte er.»Niemand hat nachweislich besonderen Zugang zu Sprengstoffen. Niemand hat ein stichhaltiges Alibi… außer Mrs. Ferdinand… Jeder kann eine Schaltuhr bauen, und fast alle haben sie ein Motiv.«

«Irritierend«, gab ich zu.

«Das ist das falsche Wort«, meinte er säuerlich.»Wo ist Ihr Vater?«

«In Sicherheit.«

«Sie können sich nicht auf ewig versteckt halten.«

«Rechnen Sie in den nächsten ein, zwei Wochen nicht mit uns. Wie stehen Ihre Aussichten, den Fall zu lösen?«

Die Ermittlungen dauerten an, meinte er steif. Falls ich auf weitere Informationen stieße, sollte ich sie bitte an ihn weitergeben.

Selbstverständlich würde ich das tun.

«Als ich jünger war«, sagte er zu meiner Überraschung,»dachte ich, ich hätte eine Nase für Schurken, ich würde sie immer erkennen. Aber seither sind mir Betrüger begegnet, denen ich mein Erspartes anvertraut hätte, und Mörder, die ich mit meiner Tochter verheiratet hätte. Mörder können aussehen wie harmlose Durchschnittsmenschen. «Er hielt inne.»Weiß Ihre Familie, wer Moira Pembroke umgebracht hat?«

«Ich glaube nicht.«

«Bitte erläutern Sie«, sagte er.

«Einer oder zwei haben vielleicht einen Verdacht, aber den teilen sie nicht mit. Ich habe mit allen gesprochen. Keiner hat auch nur eine Vermutung angestellt. Keiner hat jemanden beschuldigt. Sie wollen es nicht wissen, nicht damit konfrontiert werden; sie wollen das Unglück nicht.«

«Und Sie?«

«Ich will das Unglück auch nicht, aber ebensowenig will ich, daß mein Vater oder ich ermordet werden.«»Glauben Sie, Sie sind in Gefahr?«

«O ja«, sagte ich. »In loco Moira.«

«Als der Haupterbe?«

«So ungefähr. Nur bin ich nicht Haupterbe, ich bin gleichgestellt. Mein Vater hat das in einem neuen Testament so verfügt. Ich habe es der Familie gesagt, aber sie glaubt mir nicht.«

«Legen Sie das Testament vor. Zeigen Sie es ihnen.«

«Gute Idee«, sagte ich.»Danke.«

«Und Sie«, er hielt inne,»wissen Sie Bescheid?«

«Wissen? Nein.«

«Was vermuten Sie denn?«

«Vermuten und beweisen ist zweierlei.«

«Ich darf Sie vielleicht daran erinnern, daß Sie verpflichtet sind…«

«Ich bin nicht verpflichtet«, unterbrach ich ohne Schärfe,»etwas übers Knie zu brechen. Meine Pflicht gegenüber meiner Familie ist, entweder das Richtige zu tun oder gar nichts.«

Ich sagte ihm recht bestimmt auf Wiedersehen und schloß aus seinem Tonfall wie aus seinen Worten, daß die Polizei nicht mehr Informationen hatte als ich, vielleicht noch weniger. Es war ihnen (falls sie es versucht hatten) nicht gelungen, festzustellen, woher die graue Plastikuhr kam oder wer sie gekauft hatte, und soweit ich sehen konnte, war das ihr einziger Anhaltspunkt — ein ziemlich hoffnungsloser Fall. Es war eine billige Serienuhr gewesen, wahrscheinlich in Massen verkauft.

Malcolm sagte auf einer unserer Autofahrten, nachdem ich ihm von Vivien erzählt hatte:»Weißt du, Vivien hatte auch diesen Tick mit den Söhnen.«

«Aber sie hat doch zuerst einen Sohn bekommen. Sie hat sogar zwei.«»Ja, aber ehe Donald auf die Welt kam, sagte sie, sie würde das Baby nicht ansehen, wenn’s ein Mädchen wäre. Ich verstand das nicht. Ich hätte gern ein Mädchen gehabt. Viviens Selbstachtung hing völlig davon ab, daß es ein Junge wurde. Sie war besessen davon. Man hätte denken können, sie käme von irgendeinem schrecklichen Volksstamm, wo das allein zählt.«

«Es hat gezählt«, sagte ich.»Und es zählt für Berenice. Jede Besessenheit zählt wegen ihrer Folgen.«

«Vivien hat Lucy nie geliebt, weißt du«, meinte er nachdenklich.»Sie hat sie von sich gestoßen. Für mich war das immer der Grund, weshalb Lucy dick geworden ist und sich in dichterische Phantasien zurückgezogen hat.«

«Berenice schiebt ihre Töchter, soweit sie kann, auf ihre Mutter ab.«

«Glaubst du, Berenice hat Moira umgebracht?«sagte er zweifelnd.

«Ich glaube, sie ist der Meinung, mit mehr Geld wäre sie glücklicher, und das stimmt wahrscheinlich. Solltest du dich zu irgendwelchen. ehm, Zuwendungen entschließen, würde ich die Frauen ebenso bedenken wie die Männer. Getrennt, meine ich. Damit sie unabhängig werden.«

«Warum?«sagte er.

«Gervase würde Ursula vielleicht eher schätzen, wenn sie finanziell nicht auf ihn angewiesen wäre.«

«Ursula ist eine Maus.«

«Sie ist verzweifelt.«

«Sie sind alle verzweifelt«, sagte er gereizt.»Und alle sind sie selber schuld. An uns, nicht unsern Sternen liegt’s, mein lieber Brutus, daß wir Knechte sind.«

«Da ist was dran«, sagte ich.

«Der Portier im Hotel hat mir einen Tip für das vierte Rennen gegeben.«

Zurück zu den Pferden.

Ein anderer Tag, eine andere Fahrt.

Malcolm fragte:»Was hat Serena gesagt, als du bei ihr warst?«

«Sie sagte, du könntest dir dein Geld irgendwohin stecken, oder Worte diesen Inhalts.«

Malcolm lachte.

«Sie sagte außerdem«, fuhr ich fort,»daß Alicia ihr erzählt hat, du hättest dich nur um das Sorgerecht für sie bemüht, um Alicia zu quälen.«

«Alicia ist ein echtes Ekel.«

«Weißt du, daß sie einen Liebhaber hat?«fragte ich.

Er war wie vom Donner gerührt.»Wen denn?«

«Den Mann einer anderen, möchte ich meinen. Darauf steht sie doch, oder?«

«Nun werd mal nicht anzüglich.«

Ein paar Kilometer weiter unterhielten wir uns über die Schaltuhren, die auch für ihn eine unwillkommene Neuigkeit gewesen waren.

«Thomas hat sie am besten gemacht, nicht?«sagte Malcolm.»Das konnte er im Handumdrehen. Sie waren ursprünglich, glaube ich, seine Idee. Serena hat Robin und Peter mal eine mitgebracht, die Thomas ihr vor Jahren gebastelt hatte.«

Ich nickte.»Eine Mickymausuhr. Sie liegt noch im Spielzimmer.«

«Serena hat ihnen einen Lego-Leuchtturm dazu gebaut, entsinne ich mich. «Er seufzte tief.»Coochie fehlt mir immer noch, weißt du? Der Unfall war bald danach.«

Er schüttelte den Kopf, um die Traurigkeit loszuwerden.

«Was für ein Rennen sollen wir für den Coochie-Memorial-Pokal nehmen? Was meinst du?«

An einem anderen Tag fragte ich, warum Ferdinand sich nicht an seiner unehelichen Geburt störte, während Gervase davon an den Rand des Zusammenbruchs getrieben wurde.

«Ich weiß nicht«, sagte Malcolm.»Gervase meint immer, daß man über ihn spottet und ihn belächelt, auch heute noch. Irgendwer hat ihm das mal unter die Nase gerieben, als er jung war, verstehst du? Ihm gesagt, er sei Abschaum, ein Versehen, er hätte abgetrieben werden sollen. Jungs können verdammt grausam sein. Gervase ist vermutlich aggressiv geworden, um das zu kompensieren. Ferdinand nimmt alles eher auf die leichte Schulter. Er ähnelt mir nicht nur im Aussehen.«

«Bisher erst zwei Frauen«, sagte ich unvorsichtigerweise.

«Warum heiratest du nicht?«fragte er.

Ich war schnippisch.»Bin der einzig Wahren noch nicht begegnet. Will keine fünf.«

«Traust du dich nicht?«sagte er.

Himmel, dachte ich, das traf; das saß. Das war unfair. Gerade seinetwegen traute ich mich nicht, denn in der Unbeständigkeit fühlte ich mich ganz als sein Sohn.

Im Guten wie im Bösen trugen wir alle seinen Stempel.

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