Ein Jahr später trafen wir uns alle in Quantum zur großen Wiedereinweihungsfeier; das Haus war mit Girlanden geschmückt, und Champagnerkorken knallten.
Nach viel Gewissensforschung hatte Malcolm sich entschlossen, es wieder aufzubauen. Ohne Quantum als Zentrum wäre die Familie auseinandergefallen, und das wollte er nicht. Als er sie von seiner Absicht unterrichtete, gab es ein frohes, allgemeines Aufatmen, und er fand bestätigt, daß es das Richtige war.
Der Grollpegel sank dramatisch ab, nachdem die Schecks eingetroffen waren und er sein Testament zur Einsicht vorgelegt hatte, und ich war plötzlich nicht mehr jedermanns Schurke, wenn ich es auch für Alicia blieb und immer bleiben würde. Malcolm schickte sein Testament, aus dem Serena in einem Nachtrag gestrichen worden war, zur Registrierung an die Hauptgeschäftsstelle des Nachlaßgerichts und ließ es alle wissen.
Malcolm fand zwar immer noch, daß er seine Kinder verhätschelt und korrumpiert hatte, aber er mußte zugeben, daß sie dadurch glücklicher waren. Bedeutend glücklicher in manchen Fällen, wie Donald und Helen etwa, deren Probleme rein finanziell gewesen waren. Helen löste ihre Klunkern aus und hörte auf, Porzellan zu bemalen, und Donald zahlte die Finanzierungsgesellschaft und die Bank aus und leitete den Golfclub leichten Herzens.
Einige Wochen nach Serenas Tod lud Helen mich nach Marblehill House ein.»Auf ein Glas vor dem Abendessen«, meinte sie. Ich fuhr an einem eisigen Abend im Dezember hin, und sie überraschte mich, indem sie mich zur Begrüßung küßte. Donald stand mit dem Rücken vor einem krachenden Feuer und sah wichtigtuerisch zufrieden aus.
«Wir wollten uns bei dir bedanken«, sagte Helen.»Und wohl auch… entschuldigen.«
«Das braucht ihr nicht.«
«O doch. Das ist uns allen klar. Nicht jeder wird es zugeben, aber jeder weiß es.«
«Wie geht’s Malcolm?«fragte Donald.
«Ausgezeichnet.«
Donald nickte. Selbst daß Malcolm und ich noch zusammen waren, schien ihn nicht mehr zu grämen, und später, als wir eine Weile um den Kamin gesessen und etwas getrunken hatten, bat er mich, zum Essen zu bleiben. Ich blieb, und wenn es auch nie dahin kommen würde, daß wir alle fünf Minuten beim anderen anklopften, gelangten wir doch an diesem Abend zu einem friedlichen Einklang als Brüder.
Einige Zeit später besuchte ich Lucy. Sie und Edwin hatten an ihrem Cottage nichts geändert und sehr zu Edwins Verdruß auch keinen Umzug geplant.
«Wir sollten uns eine passendere Wohnung suchen«, meinte er böse zu ihr.»Ich hätte nie gedacht, daß wir hierbleiben, wenn du erbst.«
Lucy sah ihn liebevoll an.»Wenn du gehen möchtest, Edwin, kannst du gehen, jetzt, wo du eigenes Geld hast.«
Er war bestürzt; verblüfft.»Ich will nicht weggehen«, sagte er, und das war offensichtlich die Wahrheit.
Lucy sagte zu mir:»Ich werde eine gute Verwendung für mein Kapital finden: das Kapital behalten, den größten Teil des Ertrags verschenken. Wir haben jetzt keine Sorgen mehr, und, zugegeben, das ist eine Erleichterung, aber grundlegend geändert habe ich mich nicht. Ich halte nichts vom Luxusleben. Es ist schlecht für die Seele. Ich bleibe hier. «Sie aß entschlossen eine Handvoll Rosinen, und der alte Herr schaute ihr aus den Augen.
Thomas war nicht mehr ihr Gast. Thomas war gegen allen Rat zu Berenice zurückgekehrt.
Ich fuhr eines trüben, kalten Nachmittags in Arden Haciendas vorbei, und Thomas, der selbst an die Tür kam, war verdutzt, mich zu sehen.
«Berenice ist nicht da«, meinte er und ließ mich herein.
«Ich wollte dich besuchen. Wie geht’s dir?«
«Nicht so übel«, sagte er, sah aber immer noch bedrückt aus.
Er gab mir einen Drink. Er wußte, wo der Gin und das Tonic waren. Er sagte, Berenice und er hätten eine Eheberatung aufgesucht, die seiner Ansicht nach bis jetzt aber nicht viel brachte.
«Vasektomien lassen sich manchmal rückgängig machen«, sagte ich.
«Ja, aber im Grunde will ich das nicht. Angenommen, ich tu’s, und wir kriegen noch ein Mädchen? Wenn Berenice nicht darüber hinwegkommt, daß sie keine Söhne hat, verlasse ich sie wieder. Das habe ich ihr gesagt.«
Ich sah ihn beeindruckt an.»Was meinte sie dazu?«
«Nichts weiter. Ich glaube eigentlich, sie hat Angst vor mir.«
Solange es ihm nicht zu Kopf stieg, dachte ich, war das vielleicht gar nicht schlecht.
Bald danach besuchte ich Gervase und Ursula. Bei Ursula, die mich hereinließ, war die Verwandlung so, als ob man ein in braunes Papier verpacktes Paket auswickelt und Weihnachten zum Vorschein kommt. Der alte Rock samt Bluse, Pullover und Perlen war verschwunden. Sie trug enge rote Hosen, einen riesigen weißen Pulli und eine barocke Goldkette. Sie lächelte mich an wie eine scheue Verschwörerin und kam mit mir ins Wohnzimmer. Gervase war vielleicht nicht überwältigend freundlich, schien aber auf Neutralität und Waffenruhe
eingestellt.
«Ich habe Gervase erklärt«, sagte Ursula sanft,»daß ich jetzt, wo ich’s mir leisten kann, ihn zu verlassen und die Mädchen mitzunehmen, bei ihm bleibe, weil ich will, nicht weil ich muß. Ich bleibe, sofern er Hilfe sucht, um diese lächerliche Fixierung auf seine Geburt zu überwinden. Wen kümmert es, daß Malcolm damals nicht mit Alicia verheiratet war? Mich bestimmt nicht. Niemanden. Ferdinand auch nicht. Ferdinand ist sehr nett. Er war ein paarmal hier und hat Gervase beraten.«
Gervase, der sie früher niedergebrüllt hätte, hörte fast dankbar zu. Der Bär, der sich in einem Dickicht verfangen hatte, war im Begriff, von mitfühlenden Händen herausgeführt zu werden.
Ferdinand sprühte vor guter Laune, als ich ihn besuchte. Er und Debs waren sofort aus ihrem kleinen kahlen Bungalow in einen großen kahlen Bungalow mit Tennisplatz, Swimmingpool und 3-Wagen-Garage umgezogen. Wohlstand macht Spaß, sagte er; aber auch in dem neuen Haus diente ein Zimmer als Büro. Er arbeitete weiter.
«Ich habe mir deine Bemerkungen zu Herzen genommen, weißt du«, sagte er.»Mir vor Augen geführt, was Alicia uns angetan hat. Ich höre nicht mehr auf sie. Sie wird Debs nicht verjagen, und sie wird Ursula nicht verjagen. Hast du Ursula gesehen? Ein neuer Mensch! Ich habe Gervase gesagt, er hat eine Frau, wie es sie unter einer Million nur einmal gibt, und eine Mutter, die nichts als Ärger macht. Ich habe mit ihm über Illegitimität gesprochen… wolltest du das nicht?«Er boxte mich leicht in den Arm.
«Bleibst du zum Abendessen?«sagte er.
Alicia und Vivien besuchte ich nicht. Ich blieb ein paar Abende bei Joyce.
«Liebling, wie kommt der alte Narr zurecht?«
«Er verbringt viel Zeit in Quantum bei den Maurern.«»Daß er sich nur keine Lungenentzündung holt! Es ist bitterkalt draußen.«
«Er macht, was er will«, sagte ich.
«Liebling, wann hätte er das nicht getan?«
Joyce war auf dem Sprung zu einem Bridge-Turnier in Paris, gab mir einen Kuß auf die Wange, tätschelte mich wohlwollend, ermahnte mich, bei den schrecklichen Rennen, die ich nicht lassen konnte, meinen Hals in acht zu nehmen.
Ich versprach es ihr und fuhr zurück nach Lambourn, das jetzt statt Epsom mein Zuhause war. Ich hatte den Trainer, dessen Pferde ich bewegte, gefragt, ob er jemand kennt, der einen zweiten Stalljockey braucht, falls ich den Riesenschritt ins Profilager wagen sollte.
Er machte große Augen.»Ich hörte, Sie hätten das nicht nötig. Sind Sie nicht zu Geld gekommen?«
«Vergessen Sie das Geld. Was hätte ich für Aussichten?«
«Ich habe Ihren Sieg in Kempton gesehen«, sagte er.»Wenn Sie Profi werden, gebe ich Ihnen jede Menge Ritte.«
Er hielt sein Versprechen, und George und Jo, erstaunt, aber glücklich, gaben ihre paar Pferde gleich dazu.
Ich kaufte ein Haus in Lambourn, und Malcolm zog während des Wiederaufbaus von Quantum zu mir. Malcolm liebte Lambourn. Oft kam er mit dem Trainer, für den ich ritt, in die Downs herauf, um den Pferden bei der Arbeit zuzusehen, und verlor keineswegs das Interesse am Rennsport, sondern engagierte sich immer stärker. Als ich mein erstes Profirennen gewann, floß der Bollinger in Strömen durch Lambourn.
Bis zu dem Tag im darauffolgenden November, als wir alle zur großen Wiedereinweihung (mit geprägten Einladungen und einem Heer von Lebensmittellieferanten) ins Haus kamen, hatte sich das Leben aller Beteiligten in neuen Mustern eingespielt.
Malcolm war wieder zum» Arc «geflogen und rund um die
Welt mit Ramsey Osborn. Chrysos hatte das Futurity in Doncaster gewonnen und galt als Tip für das nächstjährige Derby. Blue Clancy war in die Zucht genommen worden, für Millionen syndikatisiert.
Ich hatte meine erste Profisaison mit beachtlichem Erfolg abgeschlossen und war zu Beginn meiner zweiten zum ersten Stalljockey avanciert. Am Ende würde ich wohl Trainer werden. In der Zwischenzeit fühlte ich mich lebendig und erfüllt wie nie zuvor.
Lucy und Edwin aßen immer noch Reformkost in dem kleinen Landhaus. Lucy, die sich damit abfand, selbst keine Gedichte mehr zu schreiben, hatte mit einer gelehrten Biographie und Monographie über Leben und Werk von Thomas Stearns Eliot angefangen. Edwin machte immer noch die Einkäufe.
Donald und Helen wanderten Arm in Arm im Garten umher wie Verliebte.
Ferdinand verhätschelte Debs, die ein Baby erwartete.
Gervase hatte seine starken Töne weitgehend wiedergefunden, was Ursula eher zu beruhigen als einzuschüchtern schien. Sie kam in einem Nerzmantel und lachte vor Vergnügen.
In Berenice war das Feuer erloschen: In Thomas war es ansatzweise wieder entfacht. Da er nicht mehr zu arbeiten brauchte, lernte er Golf spielen. Berenice war mit Thomas’ Billigung auf Haussuche.
Alicia kam mädchenhaft herausgeputzt, trällerte mit einer Stimme, die wie ein Echo von der Serenas klang, und alle machten mit zusammengebissenen Zähnen höfliche Bemerkungen zu ihr.
Vivien beschwerte sich, Malcolm habe das Haus zu sehr nach Coochies Geschmack renoviert. Joyce schloß diplomatisch Freundschaft mit dem Ehepaar, das Malcolm eingestellt hatte, damit sie für ihn sorgten. Er — und sie — wohnten seit einer Woche in dem Haus.
Alle Enkelkinder waren dort, erkundeten den Ort aufs neue: Kinderstimmen im Garten wie einst. Robin, weit fort, war wieder verstummt und hatte seit jenem heftigen Tag nie mehr gewollt, daß ich Luftballons aufblies.
Malcolm und ich gingen durch die neue Verandatür nach draußen und blickten vom Rasen her zum Haus. Es wirkte wieder heil, nicht nur äußerlich; es hatte Frieden.
«Ich habe nicht das Gefühl, daß Serena hier ist, du etwa?«sagte Malcolm.
«Nein, sie ist nicht hier.«
«Ich hatte Angst davor. Jetzt bin ich froh.«
Wir gingen weiter den Rasen entlang.
«Ist dir aufgefallen, daß ich den goldenen Delphin, den Amethystbaum und so fort aus der Wand geholt und ins Wohnzimmer gestellt habe?«
«Ja.«
«Außerdem habe ich das Gold verkauft.«
Ich warf ihm einen Blick zu. Er erwiderte ihn spöttisch.
«Der Preis ist, wie ich vermutet hatte, in diesem Jahr stark angestiegen. Ich habe den Gewinn kassiert. In der Mauer sind jetzt nur noch Spinnen und Staub.«
«Das macht nichts.«
«Ich lasse die Klausel aber im Testament. «Die Familie war neugierig gewesen wegen des mir zugesprochenen Drahts, und er hatte eine Erklärung abgelehnt.»Ich werde weiterhin Gold kaufen und verkaufen. Vor, zurück, vor, zurück. Eines Tages…«, seine blauen Augen glänzten,»… gewinnst du vielleicht mit Nase.«