Kapitel 7

Ich drehte mich um, wußte nicht, ob ich erschrocken oder nur gereizt sein sollte.

Malcolm hatte Joyce nicht gesehen, und er suchte weder sie noch mich, sondern lediglich etwas zu trinken. Ich stieß an der Bar zu ihm und ergriff seinen Arm.

«Warum bist du verflucht noch mal nicht oben?«sagte ich.

«Da bin ich länger gewesen, als ich erwünscht war, alter Knabe. Es wurde langsam peinlich. Sie hatten einen Botschafter zu Gast. Ich war geschlagene drei Stunden dort. Warum hast du mich nicht abgeholt?«

«Joyce«, sagte ich grimmig,»sitzt da drüben in der Ecke. Wir trinken hier was, und sie hat dich reinkommen sehen.«

«Joyce!«Er drehte sich um und stellte fest, daß sie unheilvoll in unsere Richtung blickte.»Verdammt.«

«Draußen streichen außerdem Donald und Helen, Lucy und Edwin, Serena, Ferdinand und Debs herum.«

«Himmel«, sagte er.»Jetzt jagen sie schon paarweise.«

«Du magst scherzen«, meinte ich,»und du magst recht haben.«

«Ich konnte nicht da oben bleiben. Die warteten darauf, daß ich ging; sie waren nur zu höflich, mich dazu aufzufordern.«

Er sah mit gutem Grund beunruhigt aus.

«Ob Joyce ihnen allen erzählt, daß ich hier bin?«

«Mal sehen, ob wir sie davon abhalten können«, sagte ich.»Was willst du trinken? Scotch?«

Er nickte, und ich drängelte mich durch das Gewühl an der Theke und wurde schließlich bedient. Er half mir, die Gläser und Flaschen zum Tisch zu bringen, und setzte sich auf den

Platz, an dem ich gesessen hatte, gegenüber von Joyce. Ich holte mir einen Stuhl von einem der nächsten Tische und gesellte mich zu meinen nimmer sich liebenden Eltern.

«Bevor ihr anfangt, euch anzuschreien«, sagte ich,»können wir mal zwei Dinge klarstellen? Joyce möchte, daß Malcolm seine hemmungslose Freigebigkeit einstellt, Malcolm möchte am Leben bleiben. Beides läßt sich wahrscheinlich am ehesten erreichen, wenn wir herausbekommen, wer Moira ermordet hat, sofern Moiras Mörder derjenige ist, der auch Malcolm umbringen will. «Ich hielt inne.»Logisch schlüssig?«

Sie schauten mich mit der Art von Überraschung an, die Eltern für unerwartete Äußerungen ihrer Kinder reservieren.

Malcolm sagte:»Es steht doch wohl außer Zweifel, daß Moiras Mörder der ist, der es auf mich abgesehen hat?«

Ich schüttelte den Kopf.»Schon mal was von Nachahmungstätern gehört?«

«Mein Gott«, sagte er ausdruckslos. »Ein möglicher Mörder in der Familie ist eine Tragödie. Zwei wären.«

«Statistisch unwahrscheinlich«, sagte Joyce.

Malcolm und ich sahen sie respektvoll an.

«Sie hat recht«, sagte Malcolm aufatmend, als ließe ein einziger Mörder sich irgendwie leichter bewältigen.

«Okay«, stimmte ich zu und fragte mich, wie die statistische Wahrscheinlichkeit wirklich aussah, ob Ferdinand sie wohl errechnen könnte.»Also gut. Die Polizei hat Moiras Mörder nicht gefunden, obwohl sie sich sehr darum bemüht hat und sich vermutlich immer noch bemüht.«

«Mich mit einem Killer in Verbindung zu bringen«, murmelte Malcolm düster.

«Wir als Familie«, sagte ich,»wären über Moiras Ermordung vielleicht hinweggekommen, indem wir uns dazu gebracht hätten, die Theorie von dem motivlosen unbekannten

Eindringling zu glauben…«

«Natürlich glauben wir daran«, sagte Joyce leise.

«Jetzt nicht mehr, das geht nicht. Zwei motivlose Morde durch unbekannte Eindringlinge — denn Malcolm sollte sterben — sind statistisch so unwahrscheinlich, daß man es vergessen kann. Die Polizei hat Moiras Mörder nicht ermittelt, aber wir müssen das jetzt selbst versuchen. Alles andere ist gefährlich, deshalb haben wir Norman West engagiert. «Ich sah Joyce direkt an.»Laß das Theater wegen Malcolms Spendierfreude, und denk dir Möglichkeiten aus, ihm das Leben zu retten, sei es auch nur, damit er mehr Geld scheffelt, denn das kann er — aber nur, wenn er am Leben ist.«

«Ian…«Sie war empört.

«Du hast heute morgen per Telefon die ganze Familie aufgestachelt, hast ihnen gesagt, wo ich zu finden bin, und soweit wir wissen, sind jetzt sieben von ihnen hier, womöglich aber noch andere, die sich versteckt halten. So unangenehm der Gedanke auch ist, Moiras Mörder kann hier sein.«

«Aber nein«, rief Joyce aus.

«Doch«, sagte ich.»Der beste Schutz für Malcolm besteht darin, daß er außer Reichweite von Mordwerkzeugen bleibt, oder anders gesagt, daß niemand weiß, wo er sich aufhält. Und du, Mutterherz, hast die ganze Meute auf den Rennplatz gelockt, deshalb solltest du Malcolm jetzt lieber helfen, von hier wegzukommen, bevor sie ihn kriegen.«

«Ich wußte doch nicht, daß er hier ist«, protestierte sie.

«Ist er aber. Es wird Zeit, praktisch zu denken.«

Niemand wies darauf hin, daß sie die anderen, wenn sie von seiner Anwesenheit gewußt hätte, noch viel eifriger herbeordert haben würde.

«Hast du eine Idee?«fragte Malcolm mich hoffnungsvoll.

«Ja. Aber dafür brauchen wir Joyces Hilfe und ihr

Versprechen, daß sie schweigt.«

Meine Mutter wirkte ganz und gar nicht so gebieterisch wie sonst und gab fast demütig ihre Zusage.

«Das ist hier keine Privatbar«, sagte ich,»und wenn einer von der Familie Club karten gekauft hat, können sie jeden Augenblick hereinschneien, also verlieren wir am besten keine Zeit. Ich lasse euch jetzt ein paar Minuten allein, aber ich komme wieder. Bleibt hier in der Ecke. Was immer auch passiert, bleibt, wo ihr seid. Falls die Familie euch aufstöbert, bleibt trotzdem hier. Okay?«

Sie nickten beide, und ich überließ sie ihrem ersten, von argwöhnischen Blicken eingeleiteten Tete-a-tete seit vielen Jahren.

Ich machte mich auf die Suche nach dem Hauslieferanten, den ich recht gut kannte, da seine Tochter regelmäßig in Amateurrennen gegen mich antrat, und fand ihn, indem ich über den Manager des Vereinslokals dringend nach ihm rufen ließ.

«Ian«, sagte er zehn lange Minuten später, als er durch das Flaschendepot auf der Rückseite in die Bar kam,»was ist los?«

Er war Unternehmer, Chef einer Lebensmittellieferfirma, ein fähiger Mann in den Fünfzigern, der aus dem Vorstadtmilieu stammte, sich hochgearbeitet hatte und dabei weitläufig geworden war.

Ich sagte, es handle sich um ein privates Problem, und er führte mich von dem Trubel weg, durch den hinteren Teil der Bar in einen kleinen, relativ ruhigen Bereich, der den Gästen nicht zugänglich war.

Mein Vater, sagte ich ihm, müsse sofort unauffällig von der Rennbahn verschwinden und lasse fragen, ob eine Kiste Bollinger Auslese seinen Abgang erleichtern würde.

«Er will doch hoffentlich nicht seinen Buchmacher prellen«, sagte der Lieferant lakonisch.

«Nein, er will mit meiner Mutter, seiner Exfrau, durchbrennen, ohne daß die Familie es merkt.«

Belustigt meinte der Lieferant, daß Bollinger nicht schlecht wäre. Außerdem lachte er über meinen Plan, sagte mir, ich solle zur Tat schreiten, mich ganz auf ihn verlassen und mich um seine Rosemary kümmern, wann immer sie starte.

Ich ging in die Bar zurück, um Malcolm abzuholen, und bat Joyce, indem ich ihr den Weg erklärte, ihr Auto auf den Platz zu fahren, wo die Lebensmittellieferanten ihre Transporter stehen hatten. Joyce und Malcolm saßen immer noch allein am Tisch und schauten sich zwar nicht gerade verzückt in die Augen, waren aber immerhin nicht zu Eissäulen erstarrt. Beide schienen jedoch über meine Rückkehr erleichtert zu sein, und Joyce nahm bereitwillig ihre Handtasche, um den Wagen zu holen.

«Wenn du jemand von den anderen siehst«, erklärte ich,»sag einfach, du fährst nach Hause.«

«Ich bin nicht von gestern, Liebling«, versetzte sie mit wiedererwachendem Sarkasmus.»Spiel du nur dein Spielchen, ich komme schon klar.«

Das Spiel war das gleiche, das ich mir zuvor im Umkleideraum überlegt hatte, nur abgewandelt durch einen anderen Ausgangspunkt. Es war nicht auszuschließen, daß die falschen Leute Malcolm draußen auf dem kurzen Weg vom Ausgang der Direktion zum Bareingang erblickt hatten, aber ich nahm an, wir konnten sie trotzdem hinters Licht führen.

In dem ruhigen Hinterzimmer der Bar sah der Hauslieferant zu, wie der dicke Koch seine weiße Jacke und die hohe Mütze auszog.

«Eine Kiste Bollinger Auslese für den Lieferanten, ein Trinkgeld für den Koch«, flüsterte ich Malcolm ins Ohr.

«Laß dich von Joyce an einem Bahnhof absetzen, und wir sehen uns im Savoy. Rühr dich nicht von der Stelle, bis ich wieder dort bin.«

Malcolm, der ein wenig benommen dreinschaute, zog die Jacke und Mütze des Kochs an und griff in seine Brieftasche. Der Koch freute sich über das Ergebnis und ging wieder seine Puter zerschneiden. Malcolm und der Hauslieferant verließen die Bar via Hintertür, um durch die Tribünenbauten zu dem Platz zu gehen, wo die Lieferwagen parkten. Ich wartete eine ganze Weile unruhig in der Bar, aber schließlich kam der Lieferant mit der weißen Verkleidung unterm Arm zurück und händigte sie ihrem Besitzer aus.

«Ihr Vater ist problemlos weggekommen«, versicherte er mir.»Er hat niemand gesehen, den er kannte. Worum ging’s eigentlich? Doch keine richtige Entführung, oder?«

«Er wollte verhindern, daß ihn seine aufgebrachten Kinder meucheln.«

Der Lieferant lächelte, da er mir natürlich nicht glaubte. Ich fragte ihn, wohin der Schampus geschickt werden solle, und er zog eine Visitenkarte hervor, auf deren Rückseite er seine Privatadresse schrieb.

«Ihr Vater hat mit den Veranstaltern geluncht, nicht wahr?«sagte er.»Ich meine, ich hätte ihn oben gesehen.«

Sein Tonfall deutete an, daß eine Gefälligkeit gegenüber Leuten, die mit den Veranstaltern lunchten, doppelt gerechtfertigt war, wie ein durch Kreditkarte gestützter Scheck, und ich tat mein Bestes, um ihn in seiner Auffassung noch zu bestärken.

«Er hat gerade eine 50-Prozent-Beteiligung an einem Arc-de-Triomphe-Starter gekauft«, sagte ich.»Wir fliegen zu dem Meeting rüber.«

«Haben Sie es gut«, sagte er und gab mir seine Karte. Plötzlich krauste er die Stirn bei dem Versuch, sich zu erinnern.»Hat mir Rosemary nicht was davon erzählt, daß die jetzige Frau Ihres Vaters vor ein paar Wochen Opfer eines blindwütigen Mordes wurde? Seine verstorbene Frau, sollte ich wohl sagen. Furchtbar für ihn, furchtbar.«

«Ja«, sagte ich.»Nun… einige Leute, die mit ihr in Verbindung standen, sind heute unverhofft hier aufgetaucht, und er wollte ihnen aus dem Weg gehen.«

«Ah«, sagte er mit Genugtuung.»In dem Fall bin ich froh, daß ich helfen konnte. «Er lachte leise.»So ganz wie ein durchbrennendes Paar sahen die beiden nicht aus.«

Er gab mir die Hand und ging, und nach ein paar tiefen Atemzügen verließ ich die Club-Bar und kehrte zur Waage zurück, um meine Ausrüstung zu holen. Ein Rennen stand noch auf dem Programm, dabei kam mir der Nachmittag jetzt schon lang vor.

George und Jo erwarteten mich, als ich mit Sattel, Kappe, Peitsche und Sporttasche herauskam; sie hatten mir noch etwas mitzuteilen, ehe ich fuhr.

«Wir wollen Young Higgins morgen in zwei Wochen in Kempton wieder laufen lassen. Da bist du doch frei, oder?«

«Ja, natürlich.«

«Und denk an Park Railings, nächsten Donnerstag in Cheltenham.«

«Immer und überall«, sagte ich, und sie lachten, Mitverschworene in der Sucht.

Als sie fortgingen — nicht, ohne sich noch einmal umzudrehen und zu winken —, kam mir in den Sinn, daß ich nächste Woche oder die Woche darauf vielleicht in Singapur, Australien oder Timbuktu sein würde; das Leben war ungewiß, und darin bestand sein Reiz.

Auf dem Weg zum Ausgang sah ich keinen aus der Familie, und zwischen dem Tor und meinem Auto auch nicht.

Mit einem befreiten Seufzer verstaute ich mein Zeug im Kofferraum und fuhr ohne Eile in Richtung Epsom — wenn ich schon in der Gegend war, konnte ich ebensogut fünfzehn

Kilometer dranhängen, meine Post einsammeln und die Telefonnachrichten abfragen.

Der Anrufbeantworter ließ sich zwar auch per Funk abhören, aber das hatte noch nie gut funktioniert, und ich war zu faul gewesen, mir eine neue Fernbedienung zu kaufen oder zumindest neue Batterien für die alte.

Mit derlei schweifenden Gedanken kurvte ich unaufmerksam vor mich hin, und erst als ich schon ein ganzes Stück gefahren war, fiel mir auf, daß ich jedesmal, wenn ich in den Rückspiegel schaute, zwei, drei Autos hinter mir denselben Wagen sehen konnte. Manche Wagen überholten mich — dieser nie, und er kam auch nicht näher heran.

Ich wurde ganz aufmerksam und dachte:»Was weißt du?«und fühlte mein Herz klopfen wie in der Startmaschine.

Was ich nicht wußte, war, wem der Wagen gehörte. Er sah ähnlich aus wie der gemietete, den ich fuhr, ein mittelgroßer Viertürer in verwaschenem Beige, unscheinbar, unauffällig, keine Gefahr für die Formel 1.

Vielleicht war der Fahrer bloß in meinem Tempo unterwegs nach Epsom, überlegte ich; deshalb bog ich an der nächsten Ampel links in unbekanntes Wohngebiet ab und hielt mich an jeder folgenden Kreuzung wieder links — eine Kreisfahrt, die mich zum Schluß vermutlich in die gewünschte Richtung zurückbringen würde. Ich eilte mich nicht und sah auch nicht ständig in den Rückspiegel, doch als ich wieder auf eine Straße — eine andere — mit Schildern nach Epsom kam, war der gleiche Wagen noch immer irgendwo in meinem Windschatten, hinter einem Transporter versteckt.

Wenn er auch nur einen Funken Orientierung besaß, dachte ich, würde er merken, was ich getan hatte, und sich denken können, daß ich jetzt wußte, ich wurde verfolgt. Andererseits waren die Landstraßen zwischen Sandown Park und Epsom ein Labyrinth, wie die meisten Straßen von Surrey, und so war ihm vielleicht nichts aufgefallen, oder er dachte, ich hätte mich verfahren, oder…

Du klammerst dich an Strohhalme, dachte ich. Stell dich den Tatsachen. Ich wußte, daß er da war, und er wußte, daß ich es wußte, und was sollte ich als nächstes tun?

Wir waren bereits am Stadtrand von Epsom, und fast automatisch schnürte ich nur so um die Ecken, auf meine Wohnung zu. Es sprach nichts dagegen, dachte ich. Ich würde meinen Verfolger nicht zu Malcolm führen, falls er das im Sinn hatte. Außerdem wollte ich herausbekommen, wer er war, und ich glaubte ihn überlisten zu können, da ich in dem Viertel, wo ich wohnte, ein paar raffinierte Abkürzungen kannte.

Vor vielen Häusern dort, die in den dreißiger Jahren ohne Garagen erbaut worden waren, parkten ständig Autos auf beiden Straßenseiten. Nur Neubauten wie mein Wohnblock hatten ausreichende Parkmöglichkeiten, sah man von zwei, drei größeren, in Mietwohnungen umgewandelten Häusern ab, die Stellplätze hatten, wo früher einmal Rasen war.

Ich fuhr an meiner Wohnung vorbei, die schmale Straße runter und schwenkte rasch in die Einfahrt von einem der größeren Häuser auf der anderen Seite. Dieses spezielle Haus hatte auch eine schmale Ausfahrt in die nächste baumbestandene Allee: Ich fuhr geradewegs durch, schlug scharf ein, flitzte um zwei weitere Ecken und kehrte in meine Straße zurück, um hinter den Wagen zu gelangen, der mich verfolgt hatte.

Er war da, stand notdürftig eingeparkt in einer zu engen Lücke mit der Schnauze zum Bordstein und herausragendem Heck, die Bremslichter glühten noch: Unschlüssigkeit auf der ganzen Linie. Ich hielt direkt hinter ihm, um ihm den Rückzug abzuschneiden, zog die Bremse an, stieg aus, machte zwei, drei rasche Schritte und riß die Tür auf der Fahrerseite auf.

Einen Moment lang war es vollkommen still.

Dann sagte ich:»So, so, so«, und danach nickte ich zu meiner

Wohnung hoch und sagte:»Kommt doch rein«, und schließlich sagte ich:»Wenn ich gewußt hätte, daß ihr kommt, hätte ich einen Kuchen gebacken.«

Debs kicherte. Ferdinand, der gefahren war, schaute verlegen drein. Serena sagte ohne Reue:»Ist Daddy hier?«

Sie gingen mit in meine Wohnung, wo sie klar und deutlich sehen konnten, daß Daddy nicht da war. Ferdinand blickte vom Wohnzimmerfenster hinunter auf den Platz, wo sein Wagen jetzt in schöner Eintracht neben meinem parkte, und dann auf die Rückwände der Häuser gegenüber, hinter einem nahen Zaun.

«Keine tolle Aussicht«, meinte er geringschätzig.

«Ich bin nicht oft hier.«

«Du wußtest, daß ich dir gefolgt bin, wie?«

«Ja«, sagte ich.»Was zu trinken?«

«Hm… Scotch?«

Ich nickte und schenkte ihm aus einer Flasche, die im Schrank stand, welchen ein.

«Ohne Eis«, sagte er und nahm das Glas.»Nach dieser Hatz trinke ich ihn pur.«

«Ich bin doch nicht schnell gefahren«, sagte ich erstaunt.

«Deine und meine Vorstellung von Schnelligkeit liegen bei den verdammten Zickzackstraßen rund zwanzig Stundenkilometer auseinander.«

Die beiden Frauen stöberten in der Küche und den anderen Zimmern herum, und ich konnte hören, wie die eine — zweifellos Serena — Türen und Schubladen auf der Suche nach Spuren von Malcolm öffnete.

Ferdinand zuckte die Achseln, als er sah, daß mich das kalt ließ.»Er war überhaupt nicht hier, was?«sagte er.

«Seit drei Jahren nicht.«

«Wo ist er?«

Ich gab keine Antwort.

«Wir müssen dich wohl foltern, um es rauszukriegen«, sagte Ferdinand. Das war eine scherzhafte Drohung, die wir in der Kindheit bei allen möglichen Anlässen benutzt hatten, angefangen bei:»Wo sind die Cornflakes?«bis zu:»Wie spät ist es?«, und Ferdinand schien selber überrascht, daß sie an die Oberfläche gekommen war.

«M-hm«, sagte ich.»Wie im Geräteschuppen?«

«Mist«, sagte Ferdinand.»Als ob ich im Ernst…«

«Das will ich auch wirklich nicht hoffen.«

Wir erinnerten uns jedoch beide an den regnerischen Nachmittag, als Gervase die Drohung in die Tat umgesetzt hatte, um aus mir herauszubringen, wo ich meine neuen Kricketschläger versteckt hatte, hinter denen er her war. Ich hatte es ihm extra nicht gesagt. Ferdinand war dabeigewesen, hatte aber zuviel Angst vor Gervase gehabt, um sich einzumischen, und Serena, kaum vier, hatte mit großen Augen zugesehen, ohne etwas zu begreifen.

«Ich dachte, du hättest es vergessen«, sagte Ferdinand.»Du hast nie davon geredet.«

«Jungs sind nun mal Tyrannen.«

«Gervase ist immer noch einer.«

Wer von uns, dachte ich, war nicht mehr so wie damals in dem grünen Garten? Donald, Lucy, Thomas, Gervase, Ferdinand, Serena — alle hatten vor langer Zeit dort gespielt, helle Kinderstimmen im Gebüsch, die Erwachsenen, die wir werden sollten, schon angelegt in den schlaksigen Gliedern, den glatten Gesichtern, dem tastenden Verstand. Keins von diesen Kindern… keiner von uns… dachte ich protestierend, hätte töten können.

Serena kam mit einem weißen Spitzenneglige in der Hand ins Wohnzimmer und sah merkwürdig schockiert aus.

«Du hattest eine Frau hier!«sagte sie.

«Das ist doch nicht verboten.«

Debs, die hinter ihr herkam, zeigte eine normalere Reaktion.»Größe 10, gutes Parfüm, teurer Geschmack, Klassefrau«, sagte sie.»Gut geraten?«

«Nicht schlecht.«

«Ihre Gesichtscreme ist im Bad«, sagte Serena.»Du hast uns nie was erzählt von einer… einer.«

«Freundin«, sagte ich.»Und hast du. einen Freund?«

Sie schnitt unwillkürlich ein angewidertes Gesicht und schüttelte den Kopf. Debs legte schwesterlich einen Arm um Serenas Schultern und sagte:»Ich rate ihr dauernd, eine Sextherapie zu machen, weil sie sonst noch als vertrocknete alte Jungfer endet, aber sie hört einfach nicht, was, Liebchen?«

Serena wand sich von ihr los und stelzte in den Flur hinaus.

«Hat sich mal jemand an ihr vergangen?«fragte ich Ferdinand.»Kommt mir fast so vor.«

«Nicht, daß ich wüßte. «Er zog die Brauen hoch.»Gesagt hat sie nie etwas davon.«

«Sie hat nur Angst vor Sex«, meinte Debs fröhlich.»Man sollte nicht glauben, daß es das heute noch gibt. Ferdinand hat keine Angst davor, was, Hase?«

Ferdinand reagierte nicht darauf, sondern sagte:»Wir sind hier fertig, glaube ich. «Er trank seinen Scotch aus, setzte sein Glas ab und starrte mich kalt an, wie um kundzutun, daß alles, was ich im Lauf des Nachmittags zwischen uns als einsetzendes Tauwetter wahrgenommen haben könnte, jetzt aus und vorbei war. Klirrend hatte sich der Eisvorhang geschlossen.

«Wenn du uns bei Malcolm ausbootest«, sagte er,»wird dir das noch leid tun.«

Wider Willen gekränkt und etwas bissig fragte ich:»Sind das auch wieder Alicias Worte?«

«Du kannst mich mal, Ian«, sagte er verärgert und rief, schon auf dem Weg zur Tür:»Serena, wir fahren«, so daß ihr keine andere Wahl blieb, als sich ihnen anzuschließen.

Debs warf mir einen gespielt schaudervollen Blick zu, als sie hinter ihnen herging.»Du bist Alicias Hauptbösewicht, dein Pech, Schätzchen. Laß die Krallen von Malcolms Geld, sonst wirst du dein blaues Wunder erleben.«

Eine grimmige Drohung lag in ihren letzten Worten, und als das spaßhafte Gebaren umschlug, begriff ich, daß es nur eine Fassade war, hinter der sich die gleichen Ängste und Wutgefühle verbargen wie bei allen anderen, und ihre Augen waren, als sie hinausging, genauso unfreundlich.

Mit Bedauern sah ich vom Fenster aus zu, wie die drei in Ferdinands Auto stiegen und losfuhren. Wer glaubte, man könnte zu den unverdorbenen Gefühlen der Kindheit zurückkehren, machte sich etwas vor, und ich mußte wohl aufhören, mir das zu wünschen. Ich wandte mich ab, spülte Ferdinands Glas aus und ging in mein Schlafzimmer, um zu sehen, wie Serena es zurückgelassen hatte.

Das weiße Neglige lag auf meinem Bett. Ich hob es auf und hängte es in den Schrank, wobei ich meine Wange an dem Stoff rieb und noch den süßen Duft der Dame roch, die hin und wieder auf ein unbeschwertes Zwischenspiel vorbeikam, wenn ihr nahezu impotenter und dennoch geliebter Mann nicht zu Hause war. Wir paßten gut zueinander: vollkommen glücklich in flüchtiger Leidenschaft, ohne Bindungsabsichten.

Ich sah mich in der Wohnung um, riß ein paar Briefe auf und fragte den Anrufbeantworter ab: nichts Besonderes dabei. Ich dachte eine Weile über Autos nach. Vor zwei Tagen hatte ich telefonisch mit dem Hotel in Cambridge vereinbart, daß mein Wagen gegen eine Tagesgebühr auf ihrem Parkplatz bleiben durfte, bis ich ihn abholte, aber ewig konnte ich ihn dort nicht stehen lassen. Wenn ich ein Taxi zum Bahnhof Epsom nahm, überlegte ich, könnte ich mit dem Zug nach London fahren. Morgen früh würde ich dann die Bahn nach Cambridge nehmen, mein Auto abholen, noch mal hier vorbeikommen, in den Leihwagen umsteigen und damit zurück nach London fahren. Da Ferdinand — und durch ihn auch die anderen — seine Farbe, Marke und Nummer kannte, wäre es vielleicht noch etwas sicherer, diesen Wagen abzugeben und einen anderen zu mieten.

Das Telefon klingelte. Ich nahm ab und hörte eine vertraute Stimme, warm und kehlig, die gleich zur Sache kam.

«Wie wär’s jetzt?«sagte sie.»Wir hätten eine Stunde.«

Ich konnte ihr selten widerstehen. Versuchte es auch selten.

«Eine Stunde wäre toll. Ich habe gerade an dich gedacht.«

«Gut«, sagte sie.»Bis dann.«

Ich hörte auf, mich um Autos zu sorgen, und dachte statt dessen an das weiße Spitzenneglige; sehr viel verlockender. Ich stellte zwei Sektgläser auf den Tisch am Sofa und sah auf meine Uhr. Malcolm konnte kaum schon wieder im Savoy sein, aber einen Versuch war es wert; und tatsächlich meldete er sich am Telefon und sagte, er sei gerade im Moment in die Suite gekommen.

«Freut mich, daß du wohlbehalten zurück bist«, sagte ich.»Ich bin ein bißchen aufgehalten worden. Komme erst in zwei, drei Stunden. Halt die Ohren steif.«

«Deine Mutter ist ein Drachen.«

«Sie hat deine Haut gerettet.«

«Sie hat mich einen pockennarbigen alten Wüstling genannt, der rausgeputzt sei wie ein fünftklassiger Pastetenbäcker.«

Ich lachte und konnte seinen finsteren Blick durch die Leitung spüren.

«Was möchtest du nach dem Kaviar«, sagte er,»wenn ich Abendbrot bestelle?«

«Irgend etwas nach Art des Chefs.«»Gott strafe dich, du bist genauso schlimm wie deine Mutter.«

Ich legte amüsiert den Hörer auf und wartete die zwanzig Minuten ab, die vergehen würden, bis es an der Tür klingelte.

«Hallo«, sagte sie, als ich sie einließ.»Wie war das Rennen?«

Ich küßte sie.»Dritter Platz.«

«Gratuliere.«

Sie war zehn oder zwölf Jahre älter als ich, außerdem schlank, mit kupferroten Haaren und unbefangen. Ich holte den stets bereiten Champagner aus dem Kühlschrank, ließ den Korken knallen und schenkte uns zu trinken ein. Das war mehr ein ritueller Auftakt, denn leerbekommen hatten wir die Flasche noch nie, und wie gewohnt war es nach einem halben Glas überflüssig, auf dem Sofa herumzusitzen und zu plaudern.

Sie erschrak über den langen blauen Bluterguß an meinem Oberschenkel.»Bist du vom Pferd gefallen?«

«Nein, gegen ein Auto gerannt.«

«Wie unvorsichtig.«

Ich zog die Schlafzimmervorhänge zu, um die im Westen untergehende Sonne auszublenden, und legte mich nackt mit ihr zwischen die Laken. Wir waren ein erfahrenes Liebespaar, vertraut miteinander, und nahmen es gelassen hin, daß die Vereinigung für den einen meistens besser war als für den anderen, selten weltbewegend für beide gleichzeitig. An diesem Tag wurde es wie beim vorigen Mal für sie ekstatisch, für mich weniger, und ich fand die Freude, solche Freude zu schenken, an sich schon genug.

«War es gut für dich?«fragte sie schließlich.

«Ja, natürlich.«

«Kein Höhenflug.«

«Das geht nicht auf Bestellung. Mal du, mal ich. Es ist Glückssache.«»Hängt von der Reibung und den Winkeln ab«, neckte sie mich, indem sie einen Ausspruch von mir wiederholte.

«Wer duscht zuerst?«

Sie kehrte gern sauber zu ihrem Mann zurück und betrachtete das Waschen als symbolische Handlung. Ich duschte, zog mich an und wartete im Wohnzimmer auf sie. Sie war ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens, eine Wohltat für den Körper, ein Ort inneren Friedens, ein Bollwerk gegen die Einsamkeit. Normalerweise nahm ich bedauernd von ihr Abschied und wußte dabei, daß sie wiederkommen würde, doch an diesem Nachmittag sagte ich:»Bleib«, obwohl mir klar war, daß sie es nicht konnte.

«Was ist los?«fragte sie.

«Nichts.«

«Du hast gezittert.«

«Eine Vorahnung.«

«Wovon?«Sie stand aufbruchbereit an der Tür.

«Daß heute das letzte Mal ist.«

«Sei nicht albern«, sagte sie.»Ich komme wieder.«

Sie küßte mich mit derselben Dankbarkeit, mit der auch ich sie küßte. Sie sah mir lächelnd in die Augen.»Ich komme wieder.«

Ich hielt ihr die Tür auf, und sie ging leichten Herzens fort, aber ich wußte, daß die Vorahnung sich nicht auf sie bezogen hatte, sondern auf mich selbst.

Am Morgen überführte ich die Wagen, indem ich von London nach Cambridge und Epsom fuhr und wieder zurück zu dem Autoverleih, und soweit ich sehen konnte, verfolgte mich dabei niemand.

Als ich aufbrach, war Malcolm voll polternder Entrüstung gewesen, weil für die morgige Parisreise zum Arc de Triomphe kein Flug mit Sitzen erster Klasse zu bekommen war.

«Nimm Economy«, sagte ich,»wir fliegen doch nur eine halbe Stunde.«

Es stellte sich heraus, daß auch in der Economyklasse nichts mehr frei war. Ich ließ ihn mit seinem Stirnrunzeln allein, fand ihn bei meiner Rückkehr aber friedlich vor. Er hatte einen Privat-Jet gechartert.

Diesen Streich erzählte er mir später, denn augenblicklich war er mit Norman West beschäftigt, der gekommen war, um Zwischenbericht zu erstatten. Der Detektiv wirkte immer noch beängstigend gebrechlich, aber die sterbensgraue Haut hatte einen gesünderen Braunschimmer bekommen. Die Mülleimerkleidung war durch einen schlichten dunklen Anzug ersetzt worden, und das Haar war nicht mehr fettig, sondern frisch gewaschen, so daß man sehen konnte, daß es fast schon weiß war, und ordentlich gebürstet.

Er gab mir die Hand: klamm, wie gehabt.

«Geht es Ihnen besser, Mr. West?«fragte ich.

«Danke, ja.«

«Erzählen Sie meinem Sohn, was Sie gerade gesagt haben«, befahl Malcolm.»Teilen Sie ihm die schlechten Neuigkeiten mit.«

West lächelte ein wenig entschuldigend und blickte dann auf den Notizblock, der auf seinem Knie lag.

«Mrs. Vivien Pembroke kann sich nicht erinnern, was sie an dem Freitag gemacht hat«, sagte er.»Und den Dienstag hat sie allein zu Hause mit dem Durchsehen von Stapeln alter Illustrierten verbracht.«

«Was ist daran schlecht?«fragte ich.

«Sei nicht so schwer von Begriff«, sagte Malcolm ungeduldig.»Sie hat kein Alibi. Keiner von der ganzen verflixten Bande hat ein Alibi.«»Haben Sie denn schon alle überprüft?«wunderte ich mich.»Dazu hatten Sie doch sicher keine Zeit.«

«Noch nicht«, räumte er ein.

«Zeit in Anführungsstrichen. «Malcolm winkte mit der Hand.

«Fahren Sie fort, Mr. West.«

«Ich habe Mrs. Berenice Pembroke aufgesucht. «West seufzte vielsagend.»Sie empfing mich ungern.«

Malcolm gluckste säuerlich.»Ein Mundwerk wie eine Nilpferdpeitsche.«

West krampfte sich ein wenig zusammen, als spüre er noch den Hieb, sagte aber lediglich zurückhaltend:»Sie war zu keiner Zusammenarbeit bereit.«

«War Thomas zu Hause?«fragte ich.

«Nein, Sir. Mrs. Pembroke sagte, er sei auf der Arbeit. Ich rief nachher unter der von Ihnen angegebenen Nummer in seinem Büro an, weil ich hoffte, von ihm zu erfahren, wo seine Frau und er zu den betreffenden Zeiten gewesen waren, und eine junge Dame sagte mir, Mr. Pembroke habe die Firma vor einigen Wochen verlassen, und über seinen Verbleib sei ihr nichts bekannt.«

«Hm«, sagte ich verdutzt.»Das wußte ich nicht.«

«Ich rief nochmals Mrs. Pembroke an, um sie zu fragen, wo ihr Mann jetzt arbeite, und sie sagte, ich solle… ehm, zur Hölle fahren.«

Thomas, dachte ich, hatte seit dem Abschluß seines Buchhalterkurses in ein und derselben Keksfabrik gearbeitet. Berenice pflegte seine Tätigkeit geringschätzig als» Lagerverwaltung «zu bezeichnen, aber Thomas sagte, er sei Kostenrechner mit der Aufgabe, die für jeden Großauftrag erforderlichen Rohstoffmengen abzuschätzen, deren Kosten zu veranschlagen und die Information an das Management weiterzugeben. Thomas war innerhalb der Firma nur wenig aufgestiegen, vom zweiten zum ersten Assistenten etwa, und mit vierzig war für ihn wohl abzusehen, daß er es nie zum Vorstandsmitglied bringen würde. Wie trostlos mußte es sein, in der Lebensmitte nicht nur vor solchen Grenzen zu stehen, sondern auch noch dauernd von Berenice mit der Nase draufgestoßen zu werden. Armer alter Thomas…

«Mrs. Joyce Pembroke«, sagte West,»ist die einzige, die sich in ihrer Aussage festlegt. An beiden betreffenden Tagen hat sie Bridge gespielt. Sie war von meiner >Schnüffelei<, wie sie es nannte, nicht angetan und gab keine Auskunft darüber, mit wem sie Bridge gespielt hat, da sie nicht wollte, daß diese Leute behelligt werden.«

«Sie können Mrs. Joyce Pembroke beiseite lassen«, sagte ich.

«Hä?«machte Malcolm.

«Du weißt ganz genau«, sagte ich ihm,»daß Joyce dich nicht umbringen würde. Hättest du daran irgendwelche Zweifel, wärst du gestern nicht zu ihr ins Auto gestiegen.«

«Schon gut, schon gut«, meinte er brummig.»Streichen Sie Joyce.«

Ich nickte West zu, und er strich Joyce durch.

«Gestern war ich bei Mrs. Alicia Pembroke und danach noch bei Mrs. Ursula Pembroke. «Wests Gesicht ließ keine Freude über die Begegnungen erkennen.»Mrs. Alicia Pembroke sagte mir, ich solle mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern, und Mrs. Ursula Pembroke hatte geweint und wollte nicht mit mir sprechen. «Er hob resigniert die Hände.»Ich konnte sie beide nicht davon überzeugen, daß es nützlich wäre, ein Alibi vorzuweisen.«

«Hatten Sie den Eindruck«, fragte ich,»daß die Polizei schon vor Ihnen dort war und die gleichen Fragen gestellt hat?«

«Überhaupt nicht.«

«Ich hab’s dir doch gesagt«, warf Malcolm ein.»Die glauben nicht, daß ich überfallen worden bin. Die denken, ich hätte die ganze Sache inszeniert.«

«Trotzdem.«

«Sie haben wegen Moira damals alle überprüft und sind auf lauter weiße Westen gestoßen. Sie haben einfach keine Lust, es noch mal zu machen.«

«Hast du zufällig ihre Telefonnummer bei dir?«

«Ja«, sagte er, holte einen Terminkalender aus der Brusttasche und blätterte ihn durch.»Sie werden dir aber nichts sagen. Es ist, als ob man gegen eine Stahltür redet.«

Ich wählte dennoch die Nummer und verlangte den Kommissar.

«In welchem Zusammenhang, Sir?«

«Es geht um den Mordversuch an Mr. Malcolm Pembroke, gestern vor einer Woche.«

«Einen Augenblick, Sir.«

Zeit verstrich, dann kam eine andere Stimme in die Leitung, klar und unpersönlich:»Kann ich Ihnen helfen, Sir?«

«Es geht um den Mordversuch an Mr. Malcolm Pembroke.«

«Wer sind Sie, Sir?«

«Sein Sohn.«

«Ehm. welcher?«

«Ian.«

Ein kurzes Papiergeraschel folgte.

«Könnten Sie mir Ihr Geburtsdatum sagen, als Identitätsnachweis?«Überrascht nannte ich es ihm.

Die Stimme fuhr fort:»Möchten Sie Hinweise geben, Sir?«

«Ich wollte nachhören, wie die Untersuchung vorangeht.«

«Das zu erörtern ist bei uns nicht üblich.«

«Aber.«

«Aber ich kann Ihnen sagen, daß die Ermittlungen zu dem angeblichen Überfall mit Sorgfalt betrieben werden.«

«Angeblich!« sagte ich.

«Ganz recht, Sir. Wir können keinerlei Indiz für eine Fremdbeteiligung entdecken.«

«Das gibt’s doch nicht!«

Mit etwas übertriebener Geduld, aber auch einem Anflug von Mitgefühl sagte er:»Ich kann Ihnen versichern, Sir, es gab keinen Anhaltspunkt, der Mr. Pembrokes Behauptung, er müsse vom Garten zur Garage geschleift worden sein, bestätigt hätte. Keine Spuren auf dem Weg, keine Schrammen an den Absätzen der Schuhe von Mr. Pembroke, die wir seinerzeit untersucht haben. An den Türgriffen des Autos waren keine Fingerabdrücke außer seinen eigenen; es waren überall nur seine. Er wies keine Anzeichen einer Kohlenmonoxydvergiftung auf, was er damit erklärte, daß er uns nicht gleich verständigt hatte. Wir haben den Schauplatz am nächsten Morgen, nach Mr. Pembrokes Abreise, gründlich untersucht und nichts gefunden, was auf einen Angreifer hingedeutet hätte. Sie können sicher sein, daß wir den Fall nicht zu den Akten legen, aber zur Zeit erhebt sich kein Verdacht gegen irgendwelche anderen Personen.«

«Er wäre beinah ums Leben gekommen«, sagte ich ausdruckslos.

«Ja, Sir; nun, es tut mir leid, aber das ist der Stand der Dinge. «Er zögerte kurz.»Ich kann Ihre Zweifel verstehen, Sir. Es ist bestimmt nicht leicht für Sie. «Er hörte sich ganz menschlich an, wollte Trost spenden.

«Vielen Dank jedenfalls, daß Sie mit mir gesprochen haben«, sagte ich.

«In Ordnung, Sir. Wiederschaun.«

«Wiederschaun«, sagte ich langsam, aber er hatte schon aufgelegt.

«Was ist denn jetzt los?«fragte Malcolm, als er mein Gesicht sah. Ich berichtete, was ich gerade erfahren hatte.

«Unmöglich!«brauste Malcolm auf.

«Nein.«

«Was dann?«

«Clever.«

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