Kapitel 2

Es war das zweite Mal, daß jemand versucht hatte, ihn umzubringen, sagte er.

Ich fuhr ein wenig langsamer als sonst in Richtung Cambridge und hielt im Rückspiegel besorgt nach übelgesinnten Verfolgern Ausschau, bisher aber glücklicherweise ohne Ergebnis. Mein rechtes Bein wurde von dem Schlag vor zwanzig Minuten deprimierend steif, doch an Knüffe dieses Kalibers war ich eigentlich gewöhnt, da ich im Lauf der Jahre drei- bis vierhundert Hindernisrennen bestritten hatte und dabei oft unsanft mit dem Boden in Berührung gekommen war.

Malcolm saß nicht gern am Steuer, aus Gründen, die Coochie treffend als Ungeduld diagnostiziert hatte. Coochie hatte ihn auch gar nicht gern am Steuer gesehen — aus nackter Angst, wie sie sagte — und sich deshalb selbst als Familienchauffeur betätigt. Für mich war es seit dem Tag meiner Führerscheinprüfung ebenso selbstverständlich gewesen, Malcolm zu fahren; allenfalls im Fiebertraum hätte ich ihn gebeten, wegen ein paar Hautabschürfungen das Lenkrad zu übernehmen.

Das zweite Mal, daß jemand versucht hatte, ihn umzubringen

«Wann war das erste Mal?«fragte ich.

«Vorigen Freitag.«

Jetzt war es Dienstag abend.»Was ist passiert?«

Es dauerte eine Weile, bis er antwortete. Als er es tat, lag mehr Traurigkeit als Zorn in seiner Stimme, und ich hörte auf den Tonfall hinter den Worten und begriff nach und nach seine geheimen Ängste.

«Irgendwann war ich mit den Hunden spazieren… also, ich glaube es zumindest, aber das ist es eben, ich kann mich nicht genau erinnern. «Er schwieg.»Ich bekam wohl einen Schlag auf den Kopf… Das letzte, an was ich mich entsinne, ist jedenfalls, daß ich die Hunde gerufen und die Küchentür geöffnet habe. Ich wollte mit ihnen durch den Garten auf die Wiese gehen, wo der Bach und die Weiden sind. Ich weiß nicht, wie weit ich gekommen bin. Anscheinend nicht mehr weit. Jedenfalls bin ich in der Garage aufgewacht, in Moiras Wagen… der steht da noch… und es war ein Riesenglück, daß ich überhaupt aufgewacht bin… denn der Motor lief…«Er schwieg ein paar Augenblicke.

«Es ist komisch, wie der Verstand arbeitet. Ich wußte auf der Stelle, daß ich den Motor ausschalten muß. Erstaunlich. Kristallklar. Ich lag hinten… zusammengeklappt auf der Rückbank. Ich bin hoch und habe mich praktisch zwischen die Vordersitze fallen lassen, um an den Zündschlüssel zu kommen, und als der Motor aus war, bin ich einfach liegengeblieben, verstehst du — ich dachte nur noch, mir geht’s verdammt schlecht, aber ich hatte nicht mehr die Energie, mich zu rühren.«

«Kam jemand?«sagte ich, als er schwieg.

«Nein… nach einer Weile ging es mir besser. Ich bin aus dem Wagen getorkelt und habe mich übergeben.«

«Hast du die Polizei verständigt?«

«Klar habe ich sie verständigt. «Seine Stimme klang müde bei dem Gedanken daran.»Es muß gegen fünf gewesen sein, als ich mit den Hunden losging. Um sieben ungefähr rief ich die Polizei. Bis dahin hatte ich zwei steife Drinks intus und aufgehört zu zittern. Sie fragten mich, wieso ich sie nicht früher gerufen hätte. So was Blödes. Und es waren dieselben wie nach Moiras Tod. Für die bin ich der Täter, verstehst du. Der Auftraggeber.«

«Ich weiß.«

«Haben die Hexen dir das auch erzählt?«

«Joyce. Sie sagte, das sei ausgeschlossen. Sie sagte, es wäre denkbar, ehm…«Ich scheute mich, die genauen Worte meiner Mutter zu wiederholen, nämlich» daß er das kleine Biest in einem Wutanfall erwürgt hätte«, und drückte es milder aus:»Du wärst vielleicht imstande gewesen, sie eigenhändig umzubringen, aber nicht, jemand dafür zu bezahlen, daß er es tut.«

Er gab ein befriedigtes Grunzen von sich, sagte aber nichts, und ich fügte hinzu:»Das scheint die einhellige Meinung der Familie zu sein.«

Er seufzte.»Die einhellige Meinung der Polizei ist es nicht. Weit entfernt davon. Ich glaube, die haben mir nicht abgenommen, daß mich jemand töten wollte. Sie haben sich eine Menge Notizen gemacht, haben Proben von meinem Erbrochenen entnommen — also wirklich! — und haben Moiras Wagen eingestäubt, um Fingerabdrücke zu sichern, aber sie konnten vor Skepsis kaum aus den Augen sehen. Ich glaube, sie dachten, ich hätte Selbstmord begehen wollen und es mir anders überlegt… Oder sie denken, ich habe das Ganze aufgezogen in der Hoffnung, daß man mich nicht für Moiras Mörder hält, wenn jemand mir nach dem Leben trachtet. «Er schüttelte den Kopf.»Ich bedaure, daß ich es ihnen überhaupt erzählt habe, und den Anschlag von heute abend zeigen wir deshalb auch nicht an.«

Er hatte schon auf dem Auktionsparkplatz darauf bestanden, daß wir das seinließen.

«Was war mit dem Schlag auf deinen Kopf?«fragte ich.

«Ich hatte eine Beule über dem Ohr. Sehr empfindlich, aber nicht sehr groß. Die Polizei gebrauchte dafür das schöne Wort >nicht schlüssige.«

«Und wenn du gestorben wärst…«:, sagte ich nachdenklich.

Er nickte.»Wenn ich gestorben wäre, hätte sich der Fall für sie bestens erledigt. Selbstmord. Reue. Stillschweigendes

Schuldbekenntnis.«

Ich fuhr vorsichtig weiter nach Cambridge, entsetzt, aber auch aufgebracht. Moiras Tod hatte mich nicht im mindesten berührt, doch die Anschläge auf meinen Vater führten mir vor Augen, daß das verkehrt war. Moira hatte ein Recht auf ihr Leben gehabt. Auch ihretwegen hätte ich empört sein sollen.

«Was war mit den Hunden?«sagte ich.

«Bitte? Ach, die Hunde. Die waren wieder da, bevor die Polizei kam. Sie haben vor der Küchentür gejault, damit ich sie reinlasse. Sie waren schmutzig… weiß der Himmel, wo sie sich rumgetrieben hatten. Jedenfalls waren sie müde. Ich habe sie gefüttert, und sie sind gleich in ihre Körbe, um zu schlafen.«

«Schade, daß sie nicht reden konnten.«

«Bitte? Ja, wahrscheinlich. Ja. «Er verstummte und seufzte nur ab und an, während ich darüber nachdachte, was er mir erzählt hatte.

«Wer«, sagte ich schließlich,»hat gewußt, daß du nach Newmarket zur Versteigerung wolltest?«

«Wer?«Er schien sich erst über die Frage zu wundern, dann begriff er sie.»Ich weiß es nicht. «Er war verwirrt.

«Ich habe keine Ahnung. Bis gestern wußte ich das selbst noch nicht.«

«Was hast du denn getrieben, seit die Polizei am Freitag abend von dir weg ist?«

«Nachgedacht. «Und die Gedanken waren offensichtlich düster gewesen — dieselben Gedanken, die jetzt seine Stimme trübten.

«M-hm«, sagte ich,»so in der Richtung, weshalb Moira umgebracht wurde?«

«So in der Richtung.«

Ich sprach den Gedanken offen aus:»Damit sie nicht die Hälfte deines Eigentums an sich reißt?«

Widerstrebend antwortete er:»Ja.«

«Und die Leute, die größtes Interesse daran haben mußten, sie davon abzuhalten, sind deine voraussichtlichen Erben. Deine Kinder.«

Er schwieg.

Ich sagte:»Außerdem vielleicht noch ihre Frauen und Männer und vielleicht sogar die Hexen.«

«Ich will das nicht glauben«, sagte er.»Wie könnte ich einen Mörder in die Welt gesetzt haben?«

«Das kommt vor«, sagte ich.

«Ian!«

Tatsache war, daß ich, abgesehen von dem armen Robin, meine Halbbrüder und Halbschwestern nicht gut genug kannte, um mir über irgendeinen von ihnen sicher zu sein. Gewöhnlich redete ich zwar mit allen, aber ich besuchte sie nicht. Es hatte zuviel Streit, zu viele Krache gegeben: Viviens Kinder konnten Alicias Kinder nicht leiden, Alicias Kinder konnten sie und mich nicht leiden, Vivien haßte Joyce, und Joyce haßte Alicia aus tiefster Seele. Unter Coochies Regiment hatte der ganze Verein wenn nicht Hausverbot, dann zumindest Übernachtungsverbot im Haus bekommen, und die Folge war, daß mir ein Sturm kollektiver Entrüstung um die Ohren fegte, denn mich hatte sie dabehalten und in ihr Herz geschlossen.

«Vom Nachdenken abgesehen«, sagte ich,»was hast du gemacht seit Freitag abend?«

«Als die Polizei fort war, fing ich… fing ich…«Er brach ab.

«Fing das Zittern wieder an?«fragte ich.

«Ja. Das verstehst du?«

«Ich hätte eine Heidenangst gehabt«, sagte ich.»Alles andere wäre dumm. Ich hätte das Gefühl gehabt, derjenige, der mir ans Leben wollte, schleicht in der Dunkelheit herum und wartet, bis ich allein bin, damit er es noch mal probieren kann.«

Malcolm schluckte hörbar.»Ich habe die Autovermietung angerufen, bei der ich jetzt bin, und einen Wagen bestellt. Bist du schon mal in Panik geraten?«

«So wahrscheinlich nicht.«

«Ich habe geschwitzt, und mir war kalt. Ich konnte meinen Herzschlag spüren… ein rasendes Klopfen. Furchtbar. Ich habe ein paar Sachen zusammengepackt… konnte mich aber nicht darauf konzentrieren.«

Er setzte sich um, als die Außenbezirke von Cambridge im Scheinwerferlicht auftauchten, und erklärte mir den Weg zu dem Hotel, in dem er die letzten vier Nächte geschlafen hatte.

«Weiß irgend jemand, wo du dich aufhältst?«fragte ich und bog um die nächste Ecke.»Hast du jemand von deinen alten Kumpels besucht?«

Malcolm kannte Cambridge gut; er war dort zur Universität gegangen und hatte immer noch Freunde in einflußreichen Positionen. Bestimmt hatte er die Stadt als sichere Zuflucht angesehen, aber ich wäre relativ schnell auf die Idee gekommen, dort nach ihm zu suchen.

«Natürlich«, antwortete er auf meine Frage.»Den Sonntag habe ich bei den Rackersons verbracht, gestern abend habe ich mit dem alten Digger in Trinity gegessen… Es ist Quatsch anzunehmen, daß sie darin verwickelt sein könnten.«

«Ja«, gab ich zu und hielt vor seinem Hotel an.»Trotzdem, pack deine Sachen, und melde dich hier ab, wir fahren woandershin.«

«Das ist doch nicht nötig«, widersprach er.

«Du hast mich zum Aufpasser erkoren, also passe ich auf«, sagte ich.

Er warf mir im Halbdunkel des Wagens einen langen Blick zu. Der Hotelportier kam und öffnete die Tür auf meiner Seite; eine Einladung zum Aussteigen.

«Komm mit mir«, sagte mein Vater.

Ich war verblüfft über seine Furcht, hielt sie aber für gerechtfertigt. Ich fragte den Portier, wo ich parken könne, und lenkte auf seine Empfehlung hin durch eine Toreinfahrt auf den Innenhof des Hotels. Von dort ging es durch eine Hintertür und komfortable altmodische Hallen, und über eine mit rotem Teppich belegte Treppe gelangten Malcolm und ich zu einem ziemlich langen, gewundenen Korridor im ersten Stock. Mehrere Leute, an denen wir vorbeikamen, blickten auf mein zerrissenes Hosenbein mit der verkrusteten Blutlandschaft darunter, aber niemand sagte etwas; war das nun immer noch britische Höflichkeit oder das neue Credo, sich bloß in nichts hineinziehen zu lassen? Malcolm hatte anscheinend vergessen, daß das Problem überhaupt bestand.

Er holte seinen Zimmerschlüssel aus der Tasche und sagte plötzlich, während er ihn hochhielt: »Du hast wohl niemand erzählt, daß ich auf der Auktion bin?«

«Nein.«

«Aber du wußtest es. «Er hielt inne.»Nur du wußtest es. «Er starrte mich aus seinen blauen Augen an, und mit einemmal sah ich die von Angst erzeugten Fragezeichen durch seinen Kopf schwirren.

«Geh rein«, sagte ich.»Der Gang ist kaum der richtige Ort für so was.«

Er sah auf den Schlüssel, blickte irre den jetzt verlassenen Korridor entlang; es sah fast aus, als wollte er die Flucht ergreifen.

Ich kehrte ihm den Rücken und ging zielstrebig in Richtung Treppe davon.

«Ian«, rief er.

Ich blieb stehen und drehte mich um.

«Komm zurück«, sagte er.

Langsam ging ich wieder zu ihm.»Du hast gesagt, du traust mir«, sagte ich.

«Ich habe dich drei Jahre nicht gesehen… und ich habe dir das Nasenbein gebrochen…«

Ich nahm ihm den Schlüssel aus der Hand und schloß die Tür auf. Vermutlich wäre ich mir selber suspekt gewesen, wenn ich zwei Anschläge innerhalb von fünf Tagen erlebt hätte, denn immerhin fiel ich in die äußerst verdächtige Kategorie der Söhne. Ich knipste das Licht an und trat in das Zimmer, in dem zumindest jetzt keine Mörder lauerten.

Malcolm folgte mir, nur ansatzweise beruhigt, und schloß zögernd die Tür hinter sich. Ich zog die schweren gestreiften Vorhänge an beiden Fenstern zu und betrachtete kurz die geräumige, aber altmodische Unterkunft: nachgebildete antike Möbel, zwei Einzelbetten, ein Paar Sessel, Tür zum Bad.

Keine Mörder im Badezimmer.

«Ian…«:, sagte Malcolm.

«Hast du Scotch hier?«fragte ich. In den alten Zeiten war er nie ohne verreist.

Er winkte mit der Hand zu einer Kommode hinüber, in der ich eine halbvolle Flasche zwischen einer großen Anzahl Socken fand. Ich holte ein Glas aus dem Bad und schenkte ihm genug ein, um einen Elefanten stillzulegen.

«Um Gottes willen…«:, sagte er.

«Setz dich und trink.«

«Du bist verdammt überheblich.«

Er setzte sich aber und versuchte, das Zittern seiner Hand abzustellen, damit das Glas nicht gegen seine Zähne klapperte.

Mit viel weniger Nachdruck sagte ich:»Wenn ich dich tot sehen wollte, hätte ich dich heute abend von dem Wagen überfahren lassen. Ich wäre auf die andere Seite gesprungen… raus aus dem Schlamassel.«

Erst jetzt schien ihm richtig bewußt zu werden, daß unser Entkommen nicht ohne körperliche Folgen geblieben war.

«Dein Bein«, sagte er,»ist es in Ordnung?«

«Das Bein schon. Die Hose… Kann ich mir eine von dir borgen?«

Er wies auf einen Schrank, in dem ich ein fast identisches Gegenstück zu dem Anzug fand, den er anhatte. Ich war acht Zentimeter größer als er und wesentlich dünner, doch dafür gab es Gürtel, und ganzer Stoff war besser als löchriger.

Schweigend sah er zu, wie ich mich umzog, und erhob keine Einwände, als ich in der Rezeption anrief und bat, seine Rechnung für die Abreise fertigzumachen. Er trank noch etwas von dem Scotch, war aber keineswegs entspannt.

«Soll ich für dich packen?«fragte ich.

Er nickte und sah wiederum zu, als ich seinen Koffer holte, ihn auf eins der Betten legte und anfing, seine Habseligkeiten zusammenzusuchen. Sie waren ein beredtes Zeugnis von dem Geisteszustand, in dem er sich befunden hatte, als er sie einpackte: etwa zehn Paar Socken, aber keine Unterwäsche, ein Dutzend Hemden, kein Pyjama, zwei Frotteebademäntel, keine Schuhe zum Wechseln. An dem offensichtlich neuen Elektrorasierer im Bad klebte noch das Preisschild, aber er hatte seine antike Bürstengarnitur mit den Gold- und Silberrücken mitgebracht, alle acht, einschließlich zweier Kleiderbürsten. Ich räumte alles in den Koffer und klappte ihn zu.

«Ian«, sagte er.

«M-hm?«

«Man kann Berufsmörder engagieren. Du könntest beschlossen haben, heute abend nicht Ernst zu machen… im letzten Moment umdisponiert haben…«

«Hör schon auf«, wehrte ich ab. Ihn zu retten war eine reine Instinkthandlung gewesen, ohne Überlegung und ohne

Rücksicht auf Verluste; ich hatte Glück gehabt, mit einer Schramme davonzukommen.

Er sagte fast beschwörend, mit Mühe:»Du warst es doch nicht, der jemand auf Moira… oder auf mich, in der Garage? Sag, daß du es nicht warst.«

Ich wußte im Grunde nicht, wie ich ihn überzeugen sollte. Er hatte mich besser gekannt und länger mit mir zusammengelebt als mit irgendeinem seiner anderen Kinder, und wenn sein Vertrauen so brüchig war, dann gab es nicht viel Zukunft für uns.

«Ich habe Moira nicht ermorden lassen«, sagte ich.

«Wenn du das von mir glaubst, kannst du es auch von dir selber glauben. «Ich hielt inne.»Ich will nicht deinen Tod, ich will, daß du lebst. Ich könnte dir nie etwas antun.«

Mir kam der Gedanke, er hätte im Grunde das Bedürfnis, von mir zu hören, daß ich ihn liebte, auch wenn er über diesen Ausspruch vielleicht spotten würde. Was machte es? In extremen Situationen, schien mir, mußte man zu extremen Mitteln greifen, deshalb sagte ich trotz der mir anerzogenen Zurückhaltung:»Du bist ein großartiger Vater… und, ehm… ich liebe dich.«

Er war perplex. Eine solche Erklärung ging ihm sichtlich unter die Haut. Wahrscheinlich hatte ich etwas dick aufgetragen, aber sein Mißtrauen hatte mich auch verletzt.

«Ich schwöre auf den Coochie-Pembroke-Memorial-Challenge-Pokal«, sagte ich sehr viel beiläufiger,»daß ich dir niemals ein Haar krümmen würde… und auch nicht Moira, obwohl ich sie wirklich verabscheut habe.«

Ich nahm den Koffer vom Bett.

«Soll ich bei dir bleiben oder nicht?«fragte ich.»Wenn du mir nicht traust, fahre ich nach Hause.«

Er blickte mich prüfend an, als ob ich ein Fremder wäre, und in mancher Hinsicht war ich das wohl auch. Vermutlich sah er sich zum erstenmal gezwungen, mich nicht als Sohn, sondern als Mann zu betrachten; als einen Menschen, der ein von ihm getrenntes Leben führte, mit anderen Ansichten, anderen Wünschen, anderen Werten. Aus Söhnen, die einmal kleine Jungs waren, werden eigenständige Erwachsene: Väter nehmen die Veränderung oft nicht genau wahr. Ich war sicher, daß Malcolm mich grundsätzlich noch als den halbfertigen Menschen ansah, der ich mit fünfzehn gewesen war.

«Du bist anders geworden«, sagte er.

«Ich bin derselbe. Vertrau deinem Instinkt.«

Endlich ließ die Anspannung in seinem Körper ein wenig nach. Mit dem Instinkt hatte er mir vertraut; sein Instinkt war so stark gewesen, daß er ihn nach drei Jahren Funkstille ans Telefon getrieben hatte. Er trank den Scotch aus, stand auf und füllte mit einem tiefen Atemzug seine Lungen, als fasse er einen Entschluß.

«Gut, komm mit mir«, sagte er.

Ich nickte. Er ging zu der Kommode hinüber und holte aus der unteren Schublade, die ich nicht geöffnet hatte, eine Aktenmappe hervor. Ich hätte mir denken können, daß die irgendwo war: selbst in der schlimmsten Panik würde er die Listen seiner Goldzertifikate und seinen Wechselkursrechner nicht zurückgelassen haben. Er strebte mit der Aktenmappe zur Tür und überließ es mir, den Koffer zu tragen, doch aus einem Impuls heraus ging ich noch einmal zum Telefon und bestellte ein Taxi für uns.

«Dein Wagen ist doch hier«, sagte Malcolm.

«M-hm. Ich glaube, da lasse ich ihn auch erst mal.«

«Wieso denn?«

«Weil ich niemand gesagt habe, daß du zur Auktion nach Newmarket kommen wolltest, und du auch nicht, also ist dir wahrscheinlich jemand gefolgt — von hier aus gefolgt. Überleg doch mal… die, die dich überfahren wollten, haben dich auf dem Auktionsparkplatz erwartet, aber du hattest kein Auto. Du bist per Taxi hingefahren. Dein Angreifer muß dich und mich zusammen gesehen haben, muß gewußt haben, wer ich bin, und sich gedacht haben, daß du mit mir wegfährst. Ich habe zwar nicht gesehen, daß uns jemand von Newmarket aus gefolgt wäre, aber der, von dem wir reden, wußte wahrscheinlich, daß wir zu dem Hotel hier fahren, und jetzt… jetzt lungert er vielleicht auf dem Hof hinten, wo wir geparkt haben und wo es schön dunkel ist, herum und wartet, ob wir noch mal rauskommen.«

«Mein Gott!«

«Es ist möglich«, sagte ich.»Deshalb sollten wir vorn rausgehen, wo der Portier aufpaßt, meinst du nicht?«

«Wenn du es sagst«, antwortete er schwach.

«Von jetzt an«, sagte ich,»treffen wir jede übertriebene Sicherheitsvorkehrung, die uns nur einfällt.«

«Und wohin fahren wir mit dem Taxi?«

«Wie wär’s mit einem Laden, wo wir ein Auto mieten können?«

Nachdem wir ohne Zwischenfall die Rechnung bezahlt, das Gepäck verstaut, dem Portier ein Trinkgeld gegeben und das Hotel verlassen hatten, teilte uns der Taxifahrer jedoch zweifelnd mit, daß ein Auto zu leihen dienstagabends um neun nicht einfach wäre. Die Mietwagenfirmen hätten alle geschlossen.

«Dann eben ein Wagen mit Chauffeur«, sagte Malcolm.

«Die Burschen, die auf Hochzeiten fahren und dergleichen. Zwanzig Pfund auf die Hand, wenn Sie das deichseln?«

Von diesem Angebot in Schwung gebracht, beförderte uns der Taxifahrer durch irgendwelche Seitenstraßen, hielt vor einem unscheinbaren kleinen Reihenhaus und hämmerte an die Tür. Sie öffnete sich, ließ eine Melonenscheibe Licht entweichen und verschluckte ihn.

«Man wird uns ausrauben«, sagte Malcolm.

Der Taxifahrer kam jedoch ganz harmlos in Begleitung eines größeren Mannes wieder, der sich das Jackett einer Chauffeursuniform zuknöpfte und eine beruhigende Schirmmütze trug.

«Die Firma, bei der mein Schwager ist, betreut hauptsächlich Hochzeiten und Beerdigungen«, sagte der Taxifahrer.»Er wüßte gern, wo Sie hinwollen.«

«London«, sagte ich.

London schien überhaupt kein Problem zu sein. Der Fahrer und sein Schwager stiegen ein, das Taxi fuhr los, bog um ein, zwei Ecken und hielt vor einer verschlossenen Garage wieder an. Wir blieben wie gewünscht im Taxi sitzen, während die beiden Fahrer die Garage aufsperrten und ihren Inhalt ans Licht brachten. So kam es, daß Malcolm und ich in einem sehr großen, auf Hochglanz polierten schwarzen Rolls-Royce nach London fuhren, von dem schwarzarbeitenden Chauffeur diskret durch eine Glasscheibe getrennt.

«Warum warst du überhaupt auf der Auktion?«fragte ich Malcolm.»Ich meine, wieso Newmarket? Wieso die Versteigerungen?«

Malcolm runzelte die Stirn.»Wegen Ebury, nehme ich an.«

«Die Juweliere?«

«Ja… also, ich wußte, daß sie dort eine Ausstellung hatten. Das sagten sie mir vorige Woche, als ich bei ihnen war, um mit ihnen über Coochies Schmuck zu sprechen. Ich meine, ich kenne die Leute ziemlich gut, bei ihnen habe ich ihr das meiste gekauft. Ich bewunderte ein silbernes Pferd, das sie hatten, und sie sagten, diese Woche würden sie auf der Auktion in

Newmarket ausstellen. Als ich mir dann gestern Gedanken machte, wie ich an dich herankäme… wo wir uns treffen könnten… da fiel mir ein, daß die Auktion ganz in der Nähe von Cambridge ist, und das gab den Ausschlag — kurz bevor ich dich anrief.«

Ich überlegte ein wenig.»Wie würdest du es anstellen, wenn du sozusagen rausfinden wolltest, wo jemand steckt?«

Zu meiner Überraschung hatte er eine Antwort parat.

«Ich würde den Burschen heranziehen, der Moira für mich beschattet hat.«

«Beschattet…?«:

«Mein Anwalt riet mir dazu. Ich könnte Geld sparen, meinte er, wenn Moira was nebenbei laufen hätte, verstehst du?«

«Vollkommen«, meinte ich trocken.»Aber sie hatte wohl nicht?«

«Fehlanzeige. «Er warf mir einen Blick zu.»Woran denkst du?«

«Tja… Ich habe so eine Idee, ob er vielleicht nachprüfen könnte, wo jeder aus der Familie am vorigen Freitag und heute abend gewesen ist.«

«Jeder!«rief Malcolm aus.»Das würde Wochen dauern.«

«Du würdest aber ruhiger schlafen.«

Er schüttelte finster den Kopf.»Du vergißt die Berufsmörder.«

«Berufsmörder sind ziemlich schwer aufzutreiben, jedenfalls für Normalbürger. Wie würdest du das zum Beispiel angehen, wenn du jemand beseitigen lassen wolltest? Mit einer Anzeige in der Times?«

Er schien das zwar nicht für so problematisch zu halten wie ich, erklärte sich aber bereit,»den Burschen, der Moira beschattet hat «zu fragen, ob er die Durchleuchtung der Familie übernehmen würde.

Wir besprachen, wo wir übernachten sollten — das heißt, in welchem Hotel, denn nach Hause mochten wir beide nicht. Mein Zuhause war derzeit eine ziemlich trostlose Wohnung in Epsom, nicht weit von dem Stall, für den ich gearbeitet hatte. Malcolms Zuhause war nach wie vor das Haus, in dem ich groß geworden war und aus dem Moira ihn offenbar vertrieben hatte, in das er jedoch gleich nach ihrem Tod zurückgekehrt war. Es galt als» Sitz «der Familie, dieses große Haus in Berkshire, das alle fünf Frauen hatte kommen und gehen sehen: Malcolm selbst war dort aufgewachsen, es war kaum auszudenken, wie sehr ihn die Aussicht, es zu verlieren, getroffen haben mußte.

«Was war vorgefallen zwischen dir und Moira?«fragte ich.

«Kümmere dich um deinen Kram.«

Wir fuhren zehn Meilen wortlos. Dann setzte er sich anders, seufzte und sagte:»Sie wollte Coochies Schmuck, und ich wollte ihn ihr nicht geben. Immer wieder fing sie an, davon zu gackern. Ging mir auf die Nerven, verstehst du? Und dann… tja…«Er zuckte die Achseln:»Dann hat sie mich ertappt.«

«Mit einer anderen?«fragte ich, nicht weiter überrascht.

Er nickte ohne Scham. Er war nie monogam gewesen und konnte nicht verstehen, wieso man das erwartete. Die fürchterlichen Krache in meiner Kindheit hatten sich alle um seine Affären gedreht; während seiner Ehe mit Vivien und dann mit Joyce hatte er die ganze Zeit Alicia ausgehalten. Alicia gebar ihm zwei Kinder, während er mit Vivien und Joyce verheiratet war, und später noch eines, als er sie auf ihr Drängen zu seiner einigermaßen rechtmäßigen Frau gemacht hatte.

Ich stellte mir gern vor, daß er Coochie zu guter Letzt treu gewesen war, aber alles in allem war das unwahrscheinlich, und ich würde ihn nie danach fragen.

Malcolm war dafür, im Dorchester abzusteigen, doch ich überzeugte ihn, daß er dort zu bekannt sei, und schließlich einigten wir uns auf das Savoy.

«Eine Suite«, sagte Malcolm am Empfang.»Zwei Schlafzimmer, zwei Badezimmer und ein Salon; und schicken Sie gleich einen Bollinger rauf.«

Ich hatte zwar keine Lust auf Champagner, aber Malcolm. Außerdem bestellte er beim Zimmerservice Rührei und Räucherlachs für uns beide sowie eine Flasche Hine Antique Cognac und eine Kiste Havannazigarren zur Abrundung.

Spaßeshalber rechnete ich einmal seine heutigen Ausgaben zusammen: ein massiv silberner Pokal, ein Vollblut für zwei Millionen Guineen, die Versicherung dafür, die Hotelrechnung von Cambridge, ein Trinkgeld für den Taxifahrer, ein chauffierter Rolls-Royce, eine Supersuite im Savoy mit allem Drum und Dran. Ich hätte gern gewußt, wie reich er eigentlich war und ob er vorhatte, das alles auf den Kopf zu hauen.

Wir aßen zu Abend und tranken den Brandy, standen aber noch immer nicht ganz im Einklang miteinander. Die Kluft der drei getrennten Jahre war offenbar nicht so leicht zu überwinden, wie ich dachte. Daß ich ihn liebte, hatte ich zwar ernst gemeint, doch mir schien, was ich wirklich liebte, waren die alten Erinnerungen an ihn, nicht seine Anwesenheit hier und jetzt. Mir wurde klar, daß ich, wenn ich wie versprochen bei ihm blieb, ihn von neuem und von einer anderen Warte kennenlernen würde; wir beide würden einander neu kennenlernen.

«In den nächsten Tagen«, sagte Malcolm und streifte sorgfältig die Asche von seiner Zigarre,»fliegen wir nach Australien.«

Ich nahm die Neuigkeit in mich auf und sagte:»So?«

Er nickte.»Dazu brauchen wir Visa. Wo ist dein Paß?«

«In meiner Wohnung. Wo ist deiner?«

«Im Haus.«

«Dann hole ich sie morgen«, sagte ich,»und du bleibst hier. «Ich hielt inne.»Fliegen wir aus einem bestimmten Grund nach

Australien?«

«Um uns Goldminen anzusehen«, sagte er.»Und Känguruhs.«

Nach einer kurzen Pause sagte ich:»Wir können nicht einfach fliehen. Wir müssen herausfinden, wer dich umzubringen versucht, damit es ihm nicht gelingt.«

«Fliehen ist reizvoller«, sagte er.»Was hältst du von einem Zwischenstopp in Singapur, für eine Woche?«

«Wie du meinst. Nur… am Freitag soll ich in Sandown ein Rennen reiten.«

«Ich habe nie verstanden, was du daran findest. Dauernd diese naßkalten Tage. Diese Stürze.«

«Dein Kitzel ist das Gold«, sagte ich.

«Und deiner die Gefahr?«Seine Augenbrauen hoben sich.»Der stille, wohlerzogene, vorsichtige Ian? Leben ohne Risiko ist langweilig, meinst du das?«

«So abwegig ist das ja nicht«, sagte ich.

Ich war immer als Amateur geritten, unentgeltlich, weil mich irgend etwas schließlich doch von der totalen Hingabe abhielt, die man als Profi brauchte. Rennreiten war mein größtes Vergnügen, aber nicht mein ganzes Leben, und so hatte ich nie den nötigen Kampfgeist entwickelt, um die Profileiter zu erklimmen. Ich war zufrieden mit den Ritten, die ich bekam, mit der Kameraderie der Umkleideräume, mit dem weiten Himmel, den Pferden und, zugegeben, auch mit dem Risiko.

«Bei mir zu bleiben«, sagte Malcolm,»ist nicht absolut ungefährlich, wie du schon bemerkt hast.«

«Deshalb bleibe ich«, sagte ich.

Er riß die Augen auf.»Mein Gott«, lachte er.»Ich dachte, ich kenne dich. Scheint nicht so. «Er leerte sein Cognacglas, stubste die Zigarre aus und beschloß, ins Bett zu gehen.

Am nächsten Morgen war er dann schon vor mir auf — er saß in einem seiner Bademäntel auf dem Sofa und las die Sporting

Life, als ich in der Unterhose und dem Hemd, in denen ich geschlafen hatte, herausgetorkelt kam.»Ich habe Frühstück bestellt«, sagte er.»Und ich stehe in der Zeitung — was sagst du dazu?«

Ich sah nach, wo er hinzeigte. Sein Name stand wirklich dort, irgendwo am Ende des ausführlichen Verzeichnisses der gestrigen Verkäufe.»Nr. 79, Fuchshengst, 2,07 Mio. Guineen, Malcolm Pembroke.«

Hochzufrieden legte er die Zeitung weg.»Na, was unternehmen wir heute?«

«Wir rufen deinen Privatdetektiv, wir besorgen einen Trainer für den Hengst, ich hole unsere Pässe und was zum Anziehen, und du bleibst hier.«

Zu meiner gelinden Überraschung widersprach er nicht, sondern sagte nur, ich solle nicht zu lange fortbleiben. Etwas nachdenklich blickte er dabei auf die verschorfte Schramme an meinem rechten Oberschenkel und auf die roten Anzeichen der Prellung ringsum.

«Das Dumme ist«, sagte er,»ich habe die Telefonnummer des Privatdetektivs nicht. Nicht bei mir.«

«Dann suchen wir im Branchenverzeichnis eine andere Agentur.«

«Deine Mutter weiß sie natürlich. Joyce weiß sie.«

«Wieso denn das?«

«Sie hat ihn beauftragt«, sagte er leichthin,»Alicia und mich zu beobachten.«

Bei meinen Eltern wunderte mich wirklich nichts mehr.

«Als der Anwalt sagte, ich solle Moira beschatten lassen, ließ ich mir von Joyce den Namen des Detektivs geben. Schließlich hatte er bei mir und Alicia vor Jahren gute Arbeit geleistet. Viel zu gute, wenn man’s genau nimmt. Also ruf Joyce an, Ian, und frag sie nach der Nummer.«

Gedankenvoll tat ich, was er gesagt hatte.

«Liebling«, kreischte meine Mutter durch die Leitung.

«Wo steckt dein Vater?«

«Weiß ich nicht«, sagte ich.

«Aber Liebling, weißt du denn, was er gemacht hat?«

«Nein… was?«

«Mein Lieber, er hat ein Vermögen, ich meine buchstäblich Hunderttausende, in irgendeine blöde Filmgesellschaft gepumpt, damit sie einen hanebüchenen Streifen über Kaulquappen oder so etwas dreht. Irgendein Schwachkopf rief mich an und wollte wissen, wo dein Vater ist, denn er hat ihnen anscheinend noch mehr Geld versprochen, und das hätten sie gern… also hör mal! Ich weiß, daß ihr, du und Malcolm, nicht miteinander redet, aber du mußt was tun, damit er diesen Unsinn läßt.«

«Na ja«, sagte ich,»es ist sein Geld.«

«Liebling, sei doch nicht so naiv. Jemand wird das Geld erben, und wenn du, wie ich dir schon tausendmal gesagt hab, deinen blöden Stolz überwinden würdest, bekämst du es. Ziehst du aber diesen dummen Streit noch lange hin, wirft er alles Alicias scheußlicher Brut in den Rachen, und ich ertrage den Gedanken nicht, daß die sich für alle Zeit ins Fäustchen lacht. Also versöhn dich auf der Stelle mit Malcolm, und bring ihn zur Vernunft.«

«Beruhige dich«, sagte ich.»Das habe ich schon.«

«Was?«

«Mich mit ihm versöhnt.«

«Gott sei Dank, endlich!« kreischte meine Mutter.

«Liebling, worauf wartest du dann noch? Nimm sofort mit ihm Kontakt auf, und sieh zu, daß er dein Erbe nicht verschleudert.«

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