Kapitel 4

Malcolm blinzelte verständnislos.»Welche?«fragte er.»Mrs. Pembroke«, wiederholte Norman West verwirrt.

«Es gibt deren neun«, sagte ich.»Also welche?«

Der Detektiv sah verlegen drein.»Ich habe nur am Telefon mit ihr gesprochen. Ich dachte. Ich nahm an. es sei die Mrs. Malcolm Pembroke, für die ich vor langer Zeit mal gearbeitet habe. Sie berief sich auf diesen Fall und sagte, jetzt würde ich wieder gebraucht. Ich sah in meinen Akten nach…«Hilflos zuckte er die Schultern.»Ich dachte, es wäre dieselbe Dame.«

«Haben Sie Mr. Pembroke gefunden«, sagte ich,»als Sie ihn suchten?«

Fast widerstrebend nickte West.»In Cambridge. War nicht allzu schwer.«

«Und das haben Sie Mrs. Pembroke mitgeteilt?«

«Ich glaube, ich sollte wirklich nicht weiter darüber sprechen.«

«Sagen Sie uns wenigstens, wie Sie mit Mrs. Pembroke wieder in Verbindung getreten sind, um Ihren Erfolg zu melden.«

«Es war umgekehrt«, sagte er.»Sie rief mich zwei- bis dreimal täglich an und verlangte Zwischenberichte. Montag abend hatte ich schließlich Neuigkeiten für sie. Danach nahm ich meine nächste Ermittlung in Angriff, die jetzt abgeschlossen ist. Somit konnte ich mich Mrs. Pembrokes Wünschen zuwenden.«

«Wir möchten, daß Sie feststellen, welche Mrs. Pembroke erfahren wollte, wo ich war.«

Norman West schüttelte bedauernd den zerzausten Kopf.

«Das Vertrauen eines Klienten…«:, murmelte er.

«Ausgemachter Unsinn!«explodierte Malcolm.»Irgend jemand, der wußte, wo ich bin, hätte mich beinahe umgebracht!«

Unser Detektiv sah verdattert drein, faßte sich aber schnell.»Ich fand Sie, Sir, indem ich mir von Mrs. Pembroke eine Liste sämtlicher Orte geben ließ, wo Sie sich zu Hause fühlen, denn meiner Erfahrung nach halten sich Vermißte oft an diesen Orten auf, und sie nannte mir fünf solcher Möglichkeiten, mit Cambridge als der dritten. Ich bin noch nicht mal in die Stadt gefahren. Als einleitende Maßnahme hatte ich vorgesehen, mich telefonisch bei allen Hotels in Cambridge nach Ihnen zu erkundigen, aber ich fing mit den größeren an, da die am ehesten für Sie in Frage kamen, Sir, und schon vom dritten erhielt ich eine positive Antwort. Wenn es für mich so leicht war, Sie zu finden, war es auch für jeden anderen ein Klacks. Und wenn ich das sagen darf, Sir, Sie haben es mir leichtgemacht, denn Sie haben sich unter Ihrem richtigen Namen eingetragen. Das sollte jemand, der untertauchen will, nicht tun.«

Er sprach mit einer rührenden Würde, die schlecht zu seiner schäbigen Aufmachung paßte, und zum erstenmal kam mir der Gedanke, daß er in seinem Beruf vielleicht besser war, als es den Anschein hatte. Er mußte wohl ziemlich tüchtig sein, um sich so lange in dem Metier zu halten, auch wenn es seinerzeit bestimmt keine übergroße Kunst gewesen war, Malcolm mit heruntergelassenen Hosen zu ertappen.

Er trank das Glas Champagner aus, das Malcolm ihm vor meiner Ankunft gegeben hatte, und lehnte ein weiteres ab.

«Wie bezahlt Sie Mrs. Pembroke?«fragte ich.

«Sie hat gesagt, sie schickt mir einen Scheck.«

«Wenn er kommt«, sagte ich,»werden Sie wissen, welche Mrs. Pembroke.«

«Richtig.«

«Ich sehe nicht ein, warum Sie sich wegen eines Interessenkonflikts sorgen sollten«, sagte ich.»Schließlich haben Sie schon ziemlich umfassend für verschiedene Pembrokes gearbeitet. Im Auftrag meiner Mutter, Joyce Pembroke, haben Sie meinen Vater mit der Dame überrascht, die ihr einen Scheidungsgrund lieferte. Im Auftrag meines Vaters sollten Sie seine fünfte Frau bei einem ähnlichen Abenteuer überraschen. Im Auftrag der nicht spezifizierten Mrs. Pembroke haben Sie den Aufenthalt meines Vaters ermittelt. Und jetzt möchte er eben, daß Sie herausfinden, wo seine Angehörigen am letzten Freitag und gestern gewesen sind, damit er sicher sein kann, daß keiner von seinen nahen Verwandten versucht hat, ihn umzubringen, denn sonst wäre er sehr unglücklich. Wenn Sie das nicht mit Ihrem Gewissen vereinbaren können, müßte er sich zu seinem großen Bedauern natürlich an jemand anders wenden.«

Norman West strafte mich mit einem Blick, der mir erneut nahelegte, ihn nicht für so beschränkt zu halten, wie er aussah. Malcolms Augen funkelten belustigt.

«Sie würden natürlich gut bezahlt«, sagte er.

«Gefahrenzulage«, nickte ich.

Malcolm sagte:»Was?«

«Wir wollen zwar nicht, daß er auf eine Klapperschlange tritt, aber er sollte fairerweise wissen, daß es ihm passieren kann.«

Norman West sah auf seine kurzen schwarzen Fingernägel. Er wirkte weder sonderlich entmutigt noch auf die Sache erpicht.

«Ist dafür nicht die Polizei zuständig?«fragte er.

«Aber sicher«, sagte ich.»Mein Vater hat die Polizei eingeschaltet, als ihn am Freitag jemand umzubringen versuchte; er wird Ihnen alles darüber erzählen. Und Sie müssen bedenken, daß die Polizei auch schon den Mord an Moira Pembroke untersucht hat, der Sie durch unbescholtene Tage gefolgt sind. Aber Sie würden für meinen Vater arbeiten, nicht für die Polizei, wenn Sie sein Geld annehmen.«»Sie sind ganz schön energisch, nicht wahr, Sir?«sagte er unbehaglich.

«Herrisch«, stimmte Malcolm bei,»auf seine ruhige Art.«

All die Jahre im Rennstall, dachte ich; der ewige Drahtseilakt, wenn man Ziele durchsetzen mußte, ohne einerseits die Autorität des Futtermeisters und andererseits die des Trainers anzutasten, wie ein Leutnant zwischen Hauptfeldwebel und Oberst. Auf die eine oder andere Weise hatte ich viel Übung darin, ruhig, aber bestimmt zu sein.

Malcolm berichtete West nüchtern von seinem vereitelten Spaziergang mit den Hunden, seiner ungewollten Bekanntschaft mit Kohlenmonoxyd und schilderte anschließend noch das knappe Entkommen in Newmarket.

Norman West hörte aufmerksam mit langsam blinzelnden Augen zu und sagte schließlich:»Das Auto in Newmarket könnte ein Zufall gewesen sein. Vielleicht ein Fahrer, der gerade seine Zigaretten suchte. Abgelenkt war. Im letzten Moment sah er Sie beide… und wich verzweifelt aus.«

Malcolm schaute mich an.»Kam dir das so vor?«

«Nein.«

«Wieso nicht?«fragte West.

«Wegen der plötzlichen Beschleunigung, nehme ich an.«

«Unbedachter Tritt aufs Gaspedal während der Zigarettensuche?«

«Das Fernlicht war an«, sagte ich.

«Ein nachlässiger Fahrer? Angetrunken?«

«Mag sein. «Ich schüttelte den Kopf.»Das eigentliche Problem ist, wenn der Wagen uns — oder Malcolm — überfahren hätte, wären vielleicht Zeugen dagewesen. Womöglich hätte man den Wagen gestoppt, bevor er das Auktionsgelände verlassen konnte. Oder man hätte sein Kennzeichen notiert.«

West lächelte traurig.»So etwas ist schon am hellichten Tag auf belebter Straße glatt abgelaufen.«

«Willst du behaupten«, herrschte mich Malcolm an,»daß der Wagen nicht versucht hat, mich umzubringen?«

«Nein, nur daß der Fahrer ein gewaltiges Risiko eingegangen ist.«

«Kamen denn Zeugen angelaufen?«fragte Malcolm eindringlich.»Hat uns jemand auch nur ein mitfühlendes Wort gesagt? Nein. Nichts dergleichen. Hat irgendwer den Fahrer anzuhalten versucht oder etwa die Nummer aufgeschrieben? Den Teufel haben sie.«

«Trotzdem«, sagte West,»Ihr Sohn hat recht. Jemand in aller Öffentlichkeit zu überfahren ist riskant. Wenn das hier versucht wurde — und, meine Herren, ich bestreite es nicht —, dann überwog der angestrebte Gewinn offenbar das Risiko, oder ehm, mit anderen Worten — «

«Mit anderen Worten«, unterbrach Malcolm finster,»Ian nimmt zu Recht an, daß man es noch mal versuchen wird.«

Norman West sah einen Augenblick unendlich müde aus, als seien die Sünden der Welt einfach zu schlimm, um darüber nachzudenken. Wahrscheinlich hatte er als Detektiv eine lebenslange Prozession von Tätern und Opfern an sich vorbeiziehen sehen; außerdem mußte er um die Siebzig sein und hatte die ganze Nacht nicht geschlafen.

«Ich übernehme Ihren Auftrag«, sagte er ohne Begeisterung, nicht gerade vor Selbstvertrauen strotzend, und ich warf einen Blick auf Malcolm, um zu sehen, ob er den Mann wirklich für die optimale Lösung hielt, Intelligenz hin oder her. Malcolm schien aber keine Zweifel zu haben und verwandte die nächsten fünf Minuten darauf, Honorare zu erörtern, die mir bedenklich bescheiden vorkamen.

«Und ich brauche eine Liste«, sagte West schließlich,»eine Liste von Leuten, die ich überprüfen soll. Namen, Adressen und Alltagsgewohnheiten.«

Malcolm sträubte sich unerwartet, als wäre die Überprüfung der» Familie«, dieser gestaltlosen Größe, etwas anderes als die Überprüfung jedes einzelnen, und so war ich es, der einen Bogen Savoy-Schreibpapier organisierte, um die Liste aufzustellen.

«Okay«, sagte ich,»da ist zunächst mal Vivien, die erste Frau meines Vaters. Mrs. Vivien Pembroke.«

«Nicht sie«, wandte Malcolm ein.»Das ist lächerlich.«

«Alle«, sagte ich bestimmt.»Ohne Ausnahme. Dann ist es allen gegenüber fair… denn es wird eine ausgesprochen wütende Verwandtschaft geben, wenn sie erst merken, was vorgeht.«

«Das durchschauen die nicht«, sagte Malcolm.

Frommer Wunsch, dachte ich.

Zu West sagte ich:»Sie telefonieren alle ständig miteinander, keineswegs etwa immer aus Freundschaft, sondern ziemlich oft aus Bosheit. Sie werden sich nicht gegen Sie zusammenrotten, denn sie bilden selten Allianzen untereinander. Manche von ihnen sind ziemlich gute Lügner. Glauben Sie nicht alles, was die übereinander sagen.«

«Ian!« protestierte Malcolm.

«Ich bin einer von ihnen, und ich weiß es«, sagte ich.

Unter Viviens Namen auf der Liste notierte ich die Namen ihrer Kinder: Donald, Lucy, Thomas.

«Thomas«, sagte ich,»ist verheiratet mit Berenice. «Ich setzte ihren Namen neben seinen.»Er ist leicht zu nehmen, sie nicht.«

«Sie ist eine Fünf-Sterne-Kuh«, sagte Malcolm.

West nickte nur.

«Lucy«, sagte ich,»ist mit einem Mann namens Edwin Bugg verheiratet. Dieser Nachname gefiel ihr nicht, und da sie ihn überredet hat, statt dessen ihren anzunehmen, ist sie auch eine Mrs. Pembroke.«

West nickte.

«Lucy ist Lyrikerin«, sagte ich.»Lyrikkenner sind von ihren Sachen überzeugt. Sie pflegt ein sehr weltfernes Image, das Edwin, glaube ich, inzwischen ermüdend findet.«

«Pah«, sagte Malcolm.»Edwin ist ein hundertprozentiger Materialist, der mich dauernd anpumpt.«

«Gibst du ihm was?«fragte ich interessiert.

«Nicht oft. Er zahlt’s mir nie zurück.«

«Knapp bei Kasse, die beiden?«erkundigte sich West.

«Edwin Bugg«, sagte Malcolm,»hat Lucy vor Jahren geheiratet, weil er sie für eine reiche Erbin hielt, und seitdem schlagen sie sich mit dem schmalen Einkommen aus dem Treuhandfonds durch, den ich für Lucy eingerichtet habe. Edwin hat in seinem parasitären Leben noch keinen Strich getan, und ich kann den Kerl nicht ausstehen.«

«Sie haben einen heranwachsenden Sohn«, sagte ich lächelnd,»der bei unserem letzten Gespräch von mir wissen wollte, wie man nach Australien auswandert.«

West blickte auf die Liste und fragte Malcolm:»Was ist mit Donald, dem Ältesten?«

«Donald«, sagte dessen Vater,»hat eine genaue Kopie seiner Mutter geheiratet, schön, aber hirnlos. Ein Mädchen namens Helen. Sie führen ein sterbenslangweiliges, rechtschaffenes Leben in Henley-on-Thames und turteln noch wie Jungvermählte miteinander, obwohl Donald schon fast fünfundvierzig sein dürfte.«

Niemand äußerte sich dazu. Malcolm selbst, der bald neunundsechzig wurde, konnte anderen noch etwas vorturteln, und mit unterdrücktem Schaudern mußte ich zum erstenmal an die sechste Heirat denken, denn wenn Malcolm uns erhalten blieb, kam die bestimmt. Er hatte noch nie lange allein gelebt. Krache waren ihm lieber als Einsamkeit.

«Kinder?«fragte Norman West in die Stille hinein.

«Drei«, sagte Malcolm.»Aufgeblasene kleine Esel.«

West blickte erwartungsvoll zu mir — und gähnte.

«Sind Sie zu müde, um das alles in sich aufzunehmen?«fragte ich.

«Nein, nur weiter.«

«Zwei von Donalds Kindern können noch nicht Auto fahren. Das älteste, eine Kunststudentin, ist einen Meter sechzig und zart gebaut. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie körperlich in der Lage ist, Malcolm bewußtlos zu schlagen, ihn vom Garten zur Garage zu schleppen und in Moiras Wagen zu verfrachten.«

«Sie hat auch nicht den Mut dazu«, sagte Malcolm.

«Das kann man nicht wissen«, widersprach ich.»Mut kann überall ganz unerwartet zutage treten.«

West warf mir einen neutralen Blick zu.»Gut«, meinte er und nahm die Liste an sich, um sie selber zu ergänzen.

«Bis jetzt haben wir folgendes. Frau Nr. 1: Vivien Pembroke. Ihre Kinder Donald (44), Gattin Helen, drei Sprößlinge. Lucy, Gatte Edwin (geb. Bugg), heranwachsender Sohn. Thomas, Gattin Berenice…?«:

«Zwei junge Töchter.«

«Zwei junge Töchter«, wiederholte er beim Schreiben.

«Meine Enkel«, wandte Malcolm ein,»sind alle zu jung, um einen Mord zu begehen.«

«Psychopathen fangen in der Kinderstube an«, sagte West lakonisch.»Gibt es Anzeichen von krankhafter Aggressivität bei irgendeinem? Ungewöhnliche Grausamkeit oder dergleichen? Zwanghafte Haßgefühle?«

Malcolm und ich schüttelten den Kopf, aber beide mit einer gewissen Unsicherheit; er vielleicht wegen etwas, das er wußte, ich wegen allem, was ich nicht wußte, all der Dinge, die im verborgenen liegen konnten.

«Fängt Habgier auch in der Kinderstube an?«sagte ich.

«Würde ich nicht meinen — Sie etwa?«antwortete West.

Ich schüttelte erneut den Kopf.»Ich denke, das ist ein Erwachsenenübel und wächst mit der Gelegenheit. Je mehr es zu holen gibt, um so gieriger werden die Leute.«

Malcolm sagte, nur halb als Frage:»Mein Vermögen korrumpiert… im Verhältnis zu seinem Umfang?«

«Du stehst nicht allein«, sagte ich trocken.»Denk bloß an die vielen Milliardärsfamilien, deren Kinder bereits mit Millionen versorgt sind und die sich trotzdem noch wie Katzen um die Reste balgen, wenn der Vater stirbt.«

«Gehen Sie ruhig auf vierstellige Zahlen runter«, sagte West unerwartet.»Oder auf dreistellige. Ich habe schon entsetzliche Bosheit wegen ein paar Hundertern erlebt. Und die Anwälte reiben sich dabei die Hände und sahnen ab. «Er seufzte, teils aus Ernüchterung, teils aus Müdigkeit.

«Frau Nr. 2?«fragte er und beantwortete seine Frage selbst.»Mrs. Joyce Pembroke.«

«Richtig«, sagte ich.»Ich bin ihr Sohn. Sonst hat sie keine Kinder. Und ich bin ledig.«

West notierte mich gewissenhaft.

«Vorigen Freitag abend«, sagte ich,»habe ich um fünf noch in einem Reitstall gearbeitet, was etwa dreißig Personen bezeugen können, und gestern abend saß ich mit Sicherheit nicht am Steuer des Wagens, der uns beinah überfahren hat.«

West sagte stur:»Ich vermerke, daß eine direkte Beteiligung Ihrerseits ausgeschlossen ist. Mehr kann ich für niemand aus Ihrer Familie tun, Mr. Pembroke. «Er beendete den Satz mit einem Blick auf Malcolm, der leise» gedungene Mörder «einwarf, worauf West nickte.»Sollte einer von ihnen einen guten Profi engagiert haben, zweifle ich, ob ich das herausfinde.«

«Ich dachte, gute Killer arbeiten mit dem Gewehr«, sagte ich.

«Manche ja. Die meisten nicht. Sie wählen ihre eigene Methode. Manche nehmen ein Messer. Andere die Garotte. Ich weiß von einem, der seine Opfer auf ihrem gewohnten Weg zur Arbeit an Verkehrsampeln erwartet hat. Eines Tages war die Ampel rot, das Opfer hielt an. Der Killer klopfte an die Fensterscheibe, stellte eine Frage… jedenfalls nimmt man das an. Das Opfer drehte die Scheibe runter, und der Killer schoß ihm glatt in den Kopf. Bis die Ampel auf Grün sprang und das Hupkonzert der anderen Autos anfing, war der Killer über alle Berge.«

«Ist er je gefaßt worden?«fragte ich.

West schüttelte den Kopf.»Acht prominente Geschäftsleute starben auf diese Art, innerhalb zwei Jahren. Dann hörte es auf. Keiner weiß, warum. Ich nehme an, der Killer hat den Mut verloren. Das kommt in jedem Beruf vor.«

Ich dachte an Hindernisjockeys, bei denen es fast über Nacht geschah, und Börsenmaklern konnte es wohl auch passieren. In jedem Beruf, wie er sagte.

«Oder man hat ihn umgelegt, weil er zuviel wußte«, sagte Malcolm.

«Das ist auch möglich. «West sah auf die Liste.»Nach Mrs. Joyce?«

Malcolm sagte säuerlich:»Die Dame, mit der Sie mich auf Veranlassung von Mrs. Joyce, wie Sie sie nennen, so kunstvoll fotografiert haben.«

Wests Augenbrauen hoben sich langsam.»Miß Alicia Sandways? Mit zwei kleinen Jungs, wenn ich nicht irre?«

«Die kleinen Jungs sind jetzt 35 und 32«, sagte ich.

«Ja. «Er seufzte.»Wie gesagt, ich habe die Akte kürzlich ausgegraben. Mir war nicht klar, daß ehm… Nun, das wäre also

Gattin Nr. 3, Mrs. Alicia Pembroke. Und ihre Kinder?«

Malcolm sagte:»Die beiden Jungs, Gervase und Ferdinand. Ich habe sie offiziell adoptiert, als ich ihre Mutter heiratete, und ihren Nachnamen in Pembroke geändert. Dann bekamen wir die kleine Serena«, sein Gesicht wurde weich,»und ihr zuliebe habe ich mich die letzten Jahre unseres Zusammenseins mit Alicias schlechter Laune abgefunden. Alicia war eine wundervolle Geliebte, aber eine miserable Frau. Fragen Sie mich nicht, warum. Ich habe ihr jeden Wunsch erfüllt, sie konnte mit meinem Haus anstellen, was sie wollte, und zum Schluß war sie mit nichts zufrieden. «Er zuckte die Achseln.»Bei der Scheidungsregelung zeigte ich mich großzügig, doch sie war sehr verbittert. Ich wollte die kleine Serena behalten… und Alicia schrie mich an, daß ich auf die Jungs wohl keinen Wert legte, weil sie unehelich seien. Sie kämpfte vor Gericht um Serena und gewann… Sie hat die Köpfe all ihrer Kinder mit Groll gegen mich erfüllt. «Die alte Kränkung trat klar zutage.»Serena sprach davon, zurückzukommen und für mich zu sorgen, als Coochie starb, doch das mußte nicht sein, weil Moira da war. Als Moira starb, bot sie es mir auch wieder an. Gut gemeint von Serena. Sie ist wirklich ein nettes Mädchen, aber Alicia versucht, sie gegen mich einzunehmen.«

West, dessen Schweigen vielleicht mitfühlend war, vielleicht auch nicht, schrieb unter Alicias Namen: Gervase. Unehelich geboren, später adoptiert Ferdinand. Dito Serena. Ehelich.

«Sind sie verheiratet?«fragte er.

«Gervase hat eine Frau namens Ursula«, sagte ich.»Die kenne ich nicht gut, da sie normalerweise zusammen sind, wenn ich sie sehe, und dann führt Gervase immer das Wort. Sie haben wie Thomas zwei kleine Mädchen.«

West schrieb das auf.

«Ferdinand«, sagte ich,»hat in rascher Folge zwei hinreißende Schönheiten geheiratet. Die erste, eine Amerikanerin, ist zurück in die Staaten. Die zweite, Deborah, kurz Debs, wohnt noch bei ihm. Bisher keine Kinder.«

West schrieb.

«Serena«, sagte ich,»ist unverheiratet.«

West beendete diesen Abschnitt der Liste.»Soweit also Gattin Nr. 3, Mrs. Alicia Pembroke, Kinder wie folgt: Gervase, Frau Ursula, zwei kleine Töchter. Ferdinand, jetzige Frau Debs, keine Kinder. Serena, unverheiratet… ehm, verlobt vielleicht? Lebensgefährte?«

«Nicht, daß ich wüßte«, sagte ich, und Malcolm schloß sich meiner Aussage an.

«Gut«, meinte West.»Gattin Nr. 4?«

Ein kurzes Schweigen trat ein. Dann sagte ich:»Coochie. Sie ist tot. Sie hatte Zwillingssöhne. Einer starb zusammen mit ihr bei einem Autounfall, der andere ist hirngeschädigt und lebt in einem Pflegeheim.«

«Oh. «Der Laut enthielt jetzt eindeutig Mitgefühl.»Und Gattin Nr. 5, Mrs. Moira Pembroke, hatte sie vielleicht Kinder aus einer früheren Ehe?«

«Nein«, sagte Malcolm,»keine vorherige Ehe, keine Kinder.«

«Schön. «West zählte seine Liste durch.»Das wären drei Exfrauen. ehm, übrigens, hat sich eine von ihnen wieder verheiratet?«

Ich antwortete mit einem Lächeln:»In dem Fall würden sie ihren Unterhalt verlieren. Malcolm war mit der Regelung bei allen ziemlich großzügig. Vom Finanziellen her sah keine einen Sinn darin, sich wieder zu verheiraten.«

«Hätten sie mal tun sollen«, brummte Malcolm.»Dann wären sie nicht so verdreht.«

West sagte lediglich:»Gut. Ferner, ehm, sechs Söhne, zwei Töchter. Vier derzeitige Schwiegertöchter, ein Schwiegersohn. Enkelkinder… zu jung. Somit sind, ehm, wenn wir den behinderten Sohn und Mr. Ian hier beiseite lassen, vierzehn Erwachsene zu überprüfen. Dafür brauche ich mindestens eine Woche. Wahrscheinlich länger.«

«So schnell es geht«, sagte ich.

Er sah wirklich aus, als hätte er kaum die Kraft und die Zuversicht, zur Tür hinauszugehen, geschweige denn sich einer Aufgabe anzunehmen, die offensichtlich mühevoll war.

«Kann ich allen mitteilen, warum ich diese Erkundigungen einziehe?«fragte er.

«Und ob Sie das können«, sagte Malcolm bestimmt.

«Wenn es einer von ihnen ist — und da sei Gott vor —, dann macht’s ihm vielleicht angst und schreckt ihn ab. Sagen Sie nur keinem, wo ich zu finden bin.«

Ich sah mir die Liste an. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß irgendeiner von ihnen so kriminell war, aber andererseits trieb Habgier auch Leute, die sonst vernünftig waren, zu unvernünftigen Taten. Alle möglichen Leute… Mir war ein Fall von zwei Männern bekannt, die in das Haus einer soeben gestorbenen Verwandten marschiert waren, den Schlafzimmerteppich unter dem Bett der Toten hervorgezogen, ihn aufgerollt und mitgenommen hatten, bloß um sich ihr bestes Stück zu sichern, bevor die übrige Familie erschien. Ich hatte es nicht glauben wollen. Die Kusine der alten Frau, die jede Woche bei mir saubermachte, war über die Angelegenheit sehr empört gewesen, aber nicht ihrer Tante wegen.»Es war der einzige gute Teppich im Haus«, hatte sie geschimpft.»Fast neu. Ihr einzig wertvoller Besitz. Von Rechts wegen hätte er mir zugestanden. Jetzt komme ich da nicht mehr ran.«

«Ich brauche noch die Adressen«, sagte West.

Malcolm winkte mit der Hand.»Ian hat sie. Er soll sie Ihnen aufschreiben.«

Gehorsam öffnete ich meinen Koffer, nahm mein Adreßbuch raus und schrieb die ganze Liste ab, mitsamt Telefonnummern. Dann holte ich den Packen Fotos hervor und zeigte sie West.

«Würden die Ihnen helfen?«fragte ich.»Falls ja, dann leihe ich sie Ihnen, aber ich möchte sie zurück.«

West sah sie der Reihe nach durch, und ich wußte, wenn er überhaupt den Namen Detektiv verdiente, konnte er alle wesentlichen Eigenschaften der Betreffenden aus den Bildern ablesen. Ich fotografierte gern, am liebsten Portraits, und irgendwie gab mir die Kamera auch etwas Nützliches zu tun, wann immer die Familie zusammentraf. Mit einigen von ihnen unterhielt ich mich nicht gern; das Fotografieren lieferte mir einen plausiblen Grund, mich loszueisen und umherzuwandern.

Gab es einen gemeinsamen Nenner in vielen dieser Gesichter, so war es Unzufriedenheit, was ich traurig fand. Nur Ferdinand sah wirklich frei und unbeschwert aus, aber auch ihn kannte ich anders; und Debs, seine zweite Frau, eine hinreißende Blondine, größer als ihr Mann, blickte staunend in die Welt, als traue sie nicht ganz ihren schönen, noch nicht von Enttäuschung getrübten Augen.

Gervase hatte ich mit seinem einschüchterndsten Gesichtsausdruck, dem Drohstarren erster Klasse, abgelichtet, und ich sah keinen Nutzen darin, ihm jemals dieses Spiegelbild seiner Seele zu zeigen. Ursula wirkte lediglich unentschlossen, matt und irgendwie schuldbewußt, als fände sie es schon verkehrt, sich ohne Gervases Erlaubnis fotografieren zu lassen.

Berenice, die Frau von Thomas, war das genaue Gegenteil, wie sie mißbilligend ins Objektiv starrte, dreist und sarkastisch, unfehlbar destruktiv in allem, was sie von sich gab. Und Thomas, einen Schritt hinter ihr, sah nervös und gequält aus. Auf einem anderen Foto war Thomas allein, verlegen lächelnd, Resignation in den hängenden Schultern, Verzweiflung im Blick.

Vivien, Joyce und Alicia, die drei Hexen, unähnlich in den

Gesichtszügen, aber ähnlich im Ausdruck, waren konterfeit worden, als sie von der Kamera nichts ahnten und jede von ihnen gerade jemand anders mit Mißfallen betrachtete.

Alicia, in Tüll und Rüschen, trug ihr Haar noch jugendlich flott, mit einem hoch angesetzten Zopfband, von dem die vollen braunen Locken kaskadenartig auf ihre Schultern herabfielen. Fast schon sechzig, sah sie im Grunde jünger aus als ihr Sohn Gervase, und ohne die verkniffene Härte ihres Mundes hätte man sie noch als hübsch bezeichnen können.

Sie war mir in den sieben Jahren ihres Regiments eine gerechte Mutter gewesen, hatte für meine alltäglichen Bedürfnisse wie etwa Essen und Kleider gesorgt und mich nicht anders behandelt als Gervase und Ferdinand, aber es wäre mir nie eingefallen, Rat oder Trost bei ihr zu suchen. Sie hatte mich nicht geliebt, ich sie auch nicht, und nach der Scheidung hatten wir beide keinen Trennungsschmerz empfunden. Für die Art und Weise, wie sie Gervase, Ferdinand und Serena anschließend mit ihrem eigenen Groll vergiftete, hatte ich sie verabscheut. Ich hätte mindestens ebensogern wohlwollende Brüder und Schwestern gehabt wie Malcolm freundlich gesinnte Kinder. Nach zwanzig Jahren zog die tiefe Kränkung, die Alicia widerfahren war, immer noch leidvolle Kreise.

Serenas Foto zeigte sie, wie sie vor einem Jahr gewesen war, bevor sie durch Aerobic noch mehr abgenommen und eine geschlechtslos hager wirkende Figur bekommen hatte. Das blonde Haar ihrer Kindheit war leicht nachgedunkelt, und sie trug einen modischen Bubikopf, der sie jünger als sechsundzwanzig aussehen ließ. Ein langbeiniger Peter Pan, der nicht erwachsen werden will, dachte ich: eine Kindfrau mit einer mädchenhaften Stimme, die» Mami und Daddy «sagte und einen unersättlichen Appetit auf Kleider hatte. Ich überlegte flüchtig, ob sie noch Jungfrau war, und stellte ein wenig erstaunt fest, daß ich das einfach nicht wußte und keinen blassen Schimmer hatte.

«Die sind alle sehr interessant«, sagte West und warf mir einen

Blick zu.»Ich würde sie wirklich gern ausleihen. «Er sortierte den Stapel.»Wer ist das hier? Da stehen keine Namen auf der Rückseite.«

«Das sind Lucy und Edwin, und das sind Donald und Helen.«

«Danke. «Er notierte die Angaben sorgfältig in sauberer kleiner Schrift.

Malcolm streckte die Hand aus und ließ sich von West die Fotos geben. Nachdem er sie aufmerksam durchgesehen hatte, reichte er sie ihm wieder.

«Mir scheint, die kenne ich noch gar nicht«, sagte er.

«Sie sind alle unter drei Jahre alt.«

Sein Mund ging auf und schloß sich wieder. Er warf mir einen düsteren Blick zu, als hätte ich ihn gerade unfair in die Rippen geboxt.

«Wie findest du sie?«fragte ich.

«Ein Jammer, daß Kinder erwachsen werden.«

West lächelte müde und raffte die Listen und Fotos zusammen.

«Gut, Mr. Pembroke. Ich erledige das. «Er stand auf und schwankte leicht, aber als ich einen Schritt vortrat, um ihn zu stützen, winkte er ab.»Nur Schlafmangel. «Im Stehen sah er noch erschöpfter aus, als wäre das Grau seines Äußeren ihm bis ins Mark gedrungen.»Gleich morgen früh werde ich die ersten Pembrokes überprüfen.«

Es wäre kleinlich gewesen, zu erwarten, daß er noch diesen Nachmittag damit anfing, doch ich kann nicht behaupten, daß mir die Verzögerung gefiel. Ich bot ihm noch einen Drink und einen Imbiß zur Stärkung an, was er ablehnte, und so begleitete ich ihn zum Hoteleingang hinunter, steckte ihn in ein Taxi und sah ihn wie eine aus dem Leim gegangene Vogelscheuche auf dem Sitz zusammensinken.

Als ich wieder in die Suite kam, bestellte Malcolm mit der Hemmungslosigkeit, an die ich mich allmählich schon gewöhnte, Wodka und Belugakaviar beim Zimmerservice. Danach breitete er die Sporting Life aus, strich sie glatt und zeigte auf einen bestimmten Artikel.

«Da steht, daß am Sonntag in Paris das Arc de Triomphe stattfindet.«

«Ja, stimmt.«

«Dann laß uns hinfahren.«

«In Ordnung«, sagte ich.

Malcolm lachte.»Wir können uns doch ruhig was gönnen. Hier sind die Teilnehmer aufgelistet.«

Ich schaute nach. Es war eine Buchmacheranzeige mit den Eventualquoten.

«Welche Chance habe ich«, sagte Malcolm,»eins von diesen Pferden zu kaufen?«

«Ehm«, sagte ich.»Meinst du heute?«

«Natürlich. Nach dem Rennen eins zu kaufen hat ja wohl keinen Zweck, oder?«

«Nun ja.«

«Natürlich hat’s keinen. Der Sieger wird Millionen wert sein und die andern Kleingeld. Es muß vor dem Rennen sein.«

«Ich glaube zwar nicht, daß einer verkauft«, sagte ich,»aber versuchen können wir’s. Wie hoch willst du gehen? Der Favorit hat das Epsom-Derby gewonnen und soll angeblich für zehn Millionen syndikatisiert werden. Du müßtest eine ganze Ecke mehr bieten, bevor sie daran denken würden, ihn jetzt zu verkaufen.«

«Hm«, sagte Malcolm.»Wie schätzt du ihn als Pferd ein?«

Ich unterdrückte ein, zwei Japser und sagte mit ausdruckslosem Gesicht:»Das Pferd ist sehr gut, aber es hat ein äußerst strapaziöses Rennen hinter sich. Ich glaube nicht, daß es genug Zeit hatte, sich davon zu erholen, diesmal würde ich nicht auf es setzen.«

«Hast du schon mal auf ihn gesetzt?«fragte Malcolm neugierig.

«Ja, bei seinem Derbysieg, aber da war er auch Favorit.«

«Was glaubst du denn, wer das Arc de Triomphe gewinnt?«

«Im Ernst?«

«Natürlich im Ernst.«

«Ein französisches Pferd, Meilleurs Vffiux.«

«Können wir das kaufen?«

«Ausgeschlossen. Sein Besitzer liebt Pferde, liebt den Sieg mehr als den Profit und ist ungeheuer reich.«

«Bin ich auch«, sagte Malcolm einfach.»Ich kann nichts dafür, daß ich Geld mache. Früher war’s eine Leidenschaft, jetzt ist es Gewohnheit. Aber die Sache mit Moira, weißt du, die hat mich aufgerüttelt. Ich dachte plötzlich, daß mir vielleicht nicht mehr so wahnsinnig viel Zeit bleibt, in der ich noch gesund und kräftig genug bin, um das Leben zu genießen. Die ganzen Jahre hindurch habe ich den Kies angehäuft, und wozu? Damit meine verfluchten Kinder mich deswegen umbringen? Daß ich nicht heule! Kauf du mir ein Pferd für das Rennen am Sonntag, Junge, und wir gehen hin und brüllen es aus vollem Hals ins Ziel.«

Es dauerte den ganzen Nachmittag und den halben Abend, bis jemand auch nur eine Spur von Interesse zeigte. Ich rief die Trainer der englischen und irischen Teilnehmer an und erkundigte mich, ob die Besitzer ihrer Meinung nach Angeboten zugänglich seien. Jedem Trainer versprach ich, daß er das Pferd weiterhin trainieren würde und außerdem den 2-Millionen-Guineen-Jährling, den mein Vater gestern gekauft hatte, zur Ausbildung bekäme. Einige Trainer waren auf der Auktion in Newmarket, so daß ich sie in Hotels aufspüren mußte, und nachdem das geschehen war, mußten sie wiederum erst die Besitzer aufspüren, um sich mit ihnen zu beraten. Manche sagten einfach nein, vergessen Sie’s.

Um Viertel vor acht schließlich rief ein Trainer aus Newmarket zurück und teilte mit, daß sein Besitzer bereit sei, eine 50-Prozent-Beteiligung zu verkaufen, wenn sein Preis gezahlt werde. Ich gab die Nachricht und den Preis an Malcolm weiter.

«Was hältst du davon?«sagte er.

«Hm… das Pferd ist ziemlich gut, der Preis ist hochgegriffen, der Trainer zählt zur Spitze.«

«Okay«, sagte Malcolm.»Gekauft.«

«Mein Vater akzeptiert«, sagte ich.»Und, ehm, der Jährling steht noch im Auktionsstall. Können Sie ihn morgen abholen, wenn wir das mit den Versteigerern regeln?«

Und ob er das konnte. Er hörte sich alles in allem recht vergnügt an. Er würde den Papierkram erledigen, sowie Malcolm das Geld auf sein Geschäftskonto überwiesen hätte, Bank und Kontonummer wie folgt. Ich notierte die Angaben nach seinem Diktat. Malcolm winkte mit der Hand und sagte:»Kein Problem. Gleich morgen früh. Morgen nachmittag hat er’s.«

«Schön«, sagte ich und stieß die Luft aus, als ich den Hörer auflegte,»jetzt besitzt du die Hälfte von Blue Clancy.«

«Stoßen wir drauf an«, sagte Malcolm.»Laß uns einen Bollinger kommen.«

Ich bestellte welchen beim Zimmerservice, und während wir darauf warteten, erzählte ich ihm von meiner Begegnung mit seinem Gärtner Arthur Bellbrook.

«Anständiger Kerl«, sagte Malcolm nickend.»Verdammt guter Gärtner.«

Ich erzählte ihm ironisch von Moira und dem Zuchtgemüse, eine Sache, die ihm neu war.

«Das dumme Biest«, sagte er.»Arthur wohnt in einem

Reihenhaus mit einem taschentuchgroßen Garten, der nach Norden geht. Da kann man nichts Prämienreifes ziehen. Wäre sie zu mir gekommen, hätte ich ihr das gesagt und sie ermahnt, ihn in Ruhe zu lassen. Gute Gärtner haben jedes Vorrecht, das man ihnen einräumt, verdient.«

«So leicht kann ihn anscheinend nichts erschüttern«, sagte ich,»und ziemlich aufgeweckt schien er mir übrigens auch. Ihm war aufgefallen, daß die Mauer zum Gemüsegarten an der Ecke zu breit ist. Er hat den alten Fred danach gefragt und von der Kammer erfahren, die ich mir da gebaut habe. Er wollte wissen, wie man reinkommt, damit er dort Äpfel lagern kann.«

Malcolm schoß praktisch aus seinem Sessel hoch, die Augen schreckgeweitet, die Stimme rauh und erstickt.

«Mein Gott, du hast es ihm doch nicht etwa gesagt?«

«Nein«, erwiderte ich langsam.»Ich sagte ihm, sie sei leer und vor zwanzig Jahren zugemauert worden. «Ich hielt inne.»Was hast du da reingetan?«

Malcolm ließ sich wieder in den Sessel sinken, aber die Angst war noch in ihm.

«Ist doch egal«, sagte er.

«Du vergißt, daß ich nachsehen könnte.«

«Das vergesse ich nicht.«

Er starrte mich an. Er hatte sich interessiert für die drehbare Ziegelsteintür, die ich damals im Sommer entworfen und gebaut hatte. Tag für Tag war er in den Garten gekommen, um zuzusehen, und oft hatte er mir auf die Schulter geklopft und über das Geheimnis gelächelt. Die Mauer, die dabei herauskam, sah massiv aus, fühlte sich massiv an, war massiv. Aber an einer Stelle führte senkrecht eine dicke Stahlstange durch, die von einem Betonfundament bis in den Dachbalken reichte. Bevor ich das neue Dach aufsetzte, hatte ich geduldig Löcher in Ziegelsteine gebohrt (wobei viele zerbrochen waren), sie über die Stange gleiten lassen und die Tür in sauberen Schichten ausgerichtet und verfugt, so daß ihre Kanten sich in das angrenzende feste Mauerwerk einfügten.

Als ich ganz fertig war, mußte man, um in den Raum zu gelangen, zunächst eine keilförmige Schwelle entfernen, die der geschlossenen Tür von unten zusätzlichen Halt gab, und dann das Schnappschloß auf der Innenseite betätigen, indem man einen dünnen Draht durch ein winziges Loch im Mörtel führte, das ich mit dreizehn Jahren auf meiner damaligen Hüfthöhe angebracht hatte. Das Schloß war keine Eigenkonstruktion gewesen, sondern einem Buch entnommen; jedenfalls hatte es nach dem Einbau auf Anhieb funktioniert.

Es war mir ein großes Vergnügen gewesen, eine Tür zu bauen, die Gervase niemals entdecken würde. Keine toten Ratten mehr. Keine lebend eingesperrten Vögel, die ängstlich flatterten. Keine Invasionen mehr in mein privates Reich.

Gervase hatte die Tür nicht entdeckt, auch sonst niemand, und mit den Jahren war hohes Gras vor der Mauer gewachsen, Brennesseln waren hinzugekommen, und obschon ich vorgehabt hatte, Robin und Peter das Geheimnis eines Tages zu verraten, hatte ich es bis zu dem Autounfall nicht getan. Nur Malcolm wußte, wie man hineinkam — und Malcolm hatte das Wissen angewendet.

«Was ist da drin?«fragte ich nochmals.

Er setzte seine scheinheiligste Miene auf.»Nur ein paar Sachen, die Moira nicht in die Finger kriegen sollte.«

Ich erinnerte mich deutlich an die in seinem Arbeitszimmer fehlenden Gegenstände.

«Der Golddelphin, der Amethystbaum, der silberne Kerzenständer… ja?«

«Du hast nachgesehen«, warf er mir vor.

Ich schüttelte den Kopf.»Mir ist aufgefallen, daß sie

verschwunden sind.«

Die wenigen Kostbarkeiten konnten seine heftige Bestürzung vorhin dennoch kaum erklären.

«Was ist noch da drin?«sagte ich.

«Eigentlich«, erwiderte er,»eine ganze Menge Gold.«

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