Manche Leute kaufen und verkaufen Gold, ohne es jemals zu Gesicht zu bekommen«, sagte er.»Aber ich besitze gern das Material als solches. Papiergeschäfte machen keinen Spaß. Gold an sich ist schön, und ich sehe und fasse es gern an. Aber es läßt sich nicht ohne weiteres in Banken und Depots aufbewahren. Dafür ist es zu schwer und zu sperrig. Und die Versicherungsprämien sind enorm. Sie schlucken zuviel vom Gewinn. Ich versichere es nie.«
«Du verwahrst es dort in der Mauer… und wartest, daß der Preis steigt?«
«Du kennst mich, was?«Er lächelte.»Billig kaufen, Däumchen drehen, hoch verkaufen. Zwei, drei Jahre muß man warten, selten mehr. Der Goldpreis selbst schwingt wie ein Pendel, aber Goldzertifikate oft um das Zwei- bis Dreifache. Ich verkaufe erst das Gold und ein paar Monate später die Zertifikate. Du mußt wissen, es ist ein psychologisches Phänomen, daß die Leute weiter in Goldminen investieren und den Preis hochtreiben, wenn der Goldpreis selber stagniert oder zu sinken anfängt. Unlogisch, aber von unschätzbarem Wert für Leute wie mich.«
Er saß da, sah mich mit den lebhaften blauen Augen an, belehrte sein Kind.
«Strategie Minerals zum Beispiel. So was wie die Strategic Minerals Corporation in Australien hast du noch nie erlebt. In diesem Jahr stieg der Goldpreis um 25 Prozent, aber Strats — Inhaberzertifikate von Strategie Minerals — stiegen um fast 1000 Prozent, bevor sie in den Keller gingen. Ich bin da ziemlich am Anfang eingestiegen und habe mit 950 Prozent Gewinn verkauft. Aber vertu dich nicht — Strats gibt es nur ein-, zweimal im Leben.«
«Wieviel«, sagte ich fasziniert,»hast du in Strats investiert?«
Nach kurzem Zögern sagte er:»Fünf Millionen. Ich hatte eine Nase dafür… sie rochen einfach richtig. Ich steige nicht oft so tief ein, und ich hatte nicht erwartet, daß sie derart davonziehen, aber da hast du’s; in diesem Jahr sind alle Goldzertifikate gestiegen, und Strats sind gestiegen wie eine Rakete.«
«Wie stehen sie jetzt?«
«Keine Ahnung. Mich interessiert die Gegenwart. Goldminen währen nicht ewig, verstehst du? Sie haben ein Leben: Erkundung, Aufbau, Produktion, Erschöpfung. Ich greife zu, warte ein Weilchen, schlage Gewinn heraus und vergesse sie. Ein steigendes Goldzertifikat behält man besser nicht zu lang. Man büßt ein Vermögen ein, wenn man zu spät verkauft.«
Er traute mir wirklich, dachte ich. Hätte er noch an mir gezweifelt, würde er mir nicht von dem Gold hinter der Ziegeltür erzählt haben und auch nicht, daß er durch ein einziges Geschäft selbst nach Steuerabzug einen Gewinn von annähernd dreißig Millionen Pfund erzielt hatte. Ich hörte auf, mir Sorgen zu machen, daß der Kauf des Jährlings und der 50-Prozent-Beteiligung an Blue Clancy womöglich seine Mittel überstieg. Ich machte mir fast überhaupt keine Sorgen mehr, Hauptsache, er blieb am Leben und ließ es sich gutgehen.
Ich hatte einmal mit einer Frau gesprochen, deren Vater starb, als sie kaum zwanzig war. Sie bedauerte, daß sie ihn nie von gleich zu gleich gekannt hatte, und wünschte, sie könnte ihn noch einmal wiedersehen, einfach um mit ihm zu reden. Während ich Malcolm anschaute, kam mir der Gedanke, daß mir in gewisser Hinsicht ihr Wunsch erfüllt worden war: Die drei stummen Jahre waren eine Art Tod gewesen, und jetzt konnte ich mit ihm von gleich zu gleich reden und ihn als Mann, nicht als Vater kennenlernen.
Wir verbrachten in der Suite einen friedlichen Abend zusammen, erzählten uns, was wir in der Zeit der Entzweiung getrieben hatten, und es war schwer, sich vorzustellen, daß irgendwo draußen eine Bestie auf Beutejagd sein könnte.
An einem Punkt sagte ich:»Du hast dem Filmmenschen absichtlich die Telefonnummer von Joyce gegeben, was? Und der Frau mit den zurückgebliebenen Kindern die Nummer von Gervase? Ich sollte mitbekommen, wie du den Jährling kaufst. Du hast dafür gesorgt, daß die Familie auf dem schnellsten Weg von deinen monströsen Ausgaben erfährt, ja?«
«Hm«, sagte er knapp, und ich nahm es kurzerhand als Bestätigung. Ein fehlgeleiteter Anruf konnte schon mal vorkommen, zwei strapazierten die Glaubwürdigkeit.
«Thomas und Berenice«, sagte ich,»sind wegen irgendeines kleinen Streichs von dir ziemlich außer sich. Womit hast du sie aufgescheucht?«
«Woher zum Teufel weißt du das alles?«
Ich lächelte, holte den Kassettenrecorder und spielte ihm das Band aus meinem Anrufbeantworter vor. Grimmig, aber mit unterschwelliger Belustigung hörte er sich an, was Serena, Gervase und Joyce zu sagen hatten, las danach den Brief von Thomas, und als er zu Thomas’ eindringlichem Schlußappell gelangte, wartete ich auf Explosionen.
Sie kamen nicht. Er sagte trocken:»Wahrscheinlich sind sie das, wozu ich sie gemacht habe.«
«Nein«, sagte ich.
«Wieso nicht?«
«Persönlichkeit ist etwas Rätselhaftes, aber sie ist in uns angelegt, sie wird nicht gemacht.«
«Man kann sie durch Gehirnwäsche verändern.«
«Ja, schon«, sagte ich.»Das hast du aber nicht getan.«
«Vivien und Alicia haben es getan — meinetwegen.«
«Suhl dich nicht so in Schuldgefühlen. Es paßt nicht zu dir.«
Er grinste.»Ich bin mir eigentlich auch keiner Schuld bewußt.«
Joyce, dachte ich, hatte zumindest fair gespielt. Sie mochte eine kreischende Furie in Sachen Alicia gewesen sein, aber sie hatte nie versucht, mich gegen Malcolm einzunehmen. Bei der Scheidung, als ich sechs war, hatte sie zugestimmt, daß er das Sorgerecht für mich bekommen sollte; sie war nicht aus dem mütterlichsten Holz geschnitzt, und sporadische Besuche von ihrem heranwachsenden Sohn genügten ihr völlig. Sie hatte nie besondere Anstrengungen unternommen, mich an sich zu binden, und atmete jedesmal ganz offensichtlich auf, wenn ich ging. Ihr Lebensinhalt war Bridge, ein Spiel, das sie lehrte, über das sie schrieb und das sie auf internationalen Turnieren spielte, so daß sie oft im Ausland war. Meine Besuche störten sie jedesmal in der strengen Konzentration, die sie zum Siegen brauchte, und da Erfolg im Spiel die erste Voraussetzung für ihre Vortragsreisen und Zeitschriftenartikel war, hatte ich statt Kameradschaft zumeist Ungeduld bei ihr hervorgerufen, wenn sie das Gefühl auch pflichtbewußt zu unterdrücken suchte.
Sie hatte mir zahllose Spielkarten zum Üben geschenkt und mir ein Dutzend Kartenspiele beigebracht, doch ich hatte nie ihr untrügliches Gedächtnis für jede einzelne Karte in gleich welchem Spiel gehabt, was sie immerzu enttäuschte und auch wieder Anlaß zur Ungeduld war. Als ich auszog, um in einem ganz anderen Zweig der Vergnügungsindustrie tätig zu werden, war sie über meine Entscheidung erstaunt und zuerst voller Spott gewesen, hatte bald aber angefangen, während der Hindernissaison in den Rennsportseiten nachzusehen, ob ich für ein Rennen genannt war.
«Was hast du Thomas und Berenice erzählt?«fragte ich Malcolm nach einer Weile noch einmal.
Mit Genugtuung sagte er:»Ich gab ihre Telefonnummer aus Versehen einem Weinhändler, der mich wissen lassen sollte, wieviel ich ihm für die zirka fünfzig Kisten 1979er Pol Roger schulde, die er mir besorgt hat.«
«Und, ehm, wieviel kosten die ungefähr?«
«Der 79er, der Winston-Churchill-Jahrgang, ist ziemlich herausragend, weißt du.«
«Das versteht sich von selbst«, sagte ich.
«Rund fünfundzwanzigtausend Pfund also, für fünfzig Kisten.«
Armer Thomas.
«Außerdem habe ich Alicia um ein paar Ecken wissen lassen, daß ich der Schule, auf der Serena war, eine Viertelmillion Pfund zur Finanzierung von Stipendien für begabte Mädchen gestiftet habe. Zwischen Alicia und mir war in letzter Zeit Funkstille. Ich nehme an, sie ist wütend, daß ich das Geld der Schule und nicht Serena selbst gegeben habe.«
«Und warum hast du?«
Er sah überrascht drein.»Du kennst meine Ansichten. Ihr müßt euch alle selbst etwas aufbauen. Wenn ich euch zu früh reich mache, fehlt euch die Motivation.«
Ich kannte seine Ansichten zweifellos, aber ich war nicht sicher, ob ich sie immer teilte. Mich hätte es gewaltig motiviert, ein erfolgreicher Trainer zu werden, wenn er mir das Startkapital dafür geschenkt oder es mir vorgestreckt hätte. Ich wußte aber auch, wenn er das tat, würde er den anderen ähnlich entgegenkommen müssen (da er im allgemeinen ein gerechter Mann war), und wie gesagt, er hielt nichts davon.
«Warum wolltest du denn, daß alle wissen, wieviel du ausgegeben hast?«fragte ich.»Denn inzwischen hat sich das natürlich herumgesprochen. Die Telefondrähte werden heißgelaufen sein.«
«Ich dachte wohl… wenn sie meinen, daß ich den größten Teil sowieso schon los bin, sehen sie weniger Sinn darin, mich umzubringen.«
Ich starrte ihn an.»Sonst geht’s dir noch gut? Das hört sich für mich an wie eine Einladung, dich auf der Stelle abzumurksen.«
«Na gut, darauf bin ich inzwischen auch gekommen.«
Er lächelte strahlend.»Aber dafür habe ich dich ja jetzt bei mir.«
Nach ein paar sprachlosen Sekunden sagte ich:»Vielleicht sehe ich das Auto, das anbraust, nicht immer rechtzeitig.«
«Ich verlasse mich auf deine Augen.«
Ich dachte nach.»Hast du noch für etwas Geld springen lassen, wovon ich bisher nichts weiß?«
Er trank stirnrunzelnd einen Schluck Champagner, und ich erriet, daß er überlegte, ob er es mir erzählen sollte oder nicht. Schließlich seufzte er und sagte:»Das bleibt aber unter uns. Ich habe es nicht aus dem gleichen Grund getan, und es ist schon länger her. mehrere Wochen; es war noch vor Moiras Ermordung. «Er hielt inne.»Sie war sauer darüber, obwohl es sie gar nichts anging. Es war nicht ihr Geld. Aber ich durfte keinem anderen was geben. Sie wollte alles für sich. «Er seufzte.»Ich begreife nicht, woher du von Anfang an gewußt hast, wie sie war.«
«Ihre Registrierkassenaugen«, sagte ich.
Er lächelte kläglich. Er mußte diesen Blick zum Schluß andauernd gesehen haben.
«Das Pflegeheim, in dem Robin ist«, sagte er unerwartet,»mußte instand gesetzt werden. Ich habe ihnen das bezahlt.«
Wenn ich ihn recht verstand, redete er nicht von ein paar ersetzten Fensterscheiben.
«Du weißt ja wohl, daß es eine Privatklinik ist«, sagte er.
«Ein Familienbetrieb im Grunde.«
«Ja.«
«Sie brauchten ein neues Dach. Neue Elektroleitungen. Ein
Dutzend dringende Verbesserungen. Sie haben es mit einer Gebührenerhöhung versucht und Patienten verloren, die übliche Geschichte. Dann fragten sie mich, wie man Kapital beschafft. Ich sagte ihnen, die Mühe könnten sie sich sparen. Ich würde Kostenvoranschläge einholen, und sie sollten dafür lediglich auf einen guten Unternehmensberater hören, den ich ihnen schicken würde. «Er verlagerte behaglich sein Gewicht im Sessel.»Robin hat es dort gut. Ruhig. Jede Veränderung regt ihn auf, wie du weißt. Wenn die Klinik dichtgemacht hätte, was nur zu wahrscheinlich war, dann hätte ich für ihn was anderes suchen müssen, und er ist ohnehin so hilflos.«
Die Stimme versagte ihm. Er hatte viel Freude an Robin und Peter gehabt, als sie klein waren, mit ihnen auf dem Teppich gespielt wie ein junger Familienvater, stolz, als wären sie seine ersten Kinder, nicht das achte und neunte. Schöne Erinnerungen: ein neues Dach wert.
«Ich weiß, daß du ihn noch besuchst«, sagte er.»Die
Schwestern erzählen mir das. Du mußt also gesehen haben, wie es mit dem Laden abwärts ging.«
Ich nickte, jetzt wo ich darüber nachdachte.»Früher hatten sie überall große Vasen mit frischen Blumen.«
«Sie hatten von allem das Beste, aber sie mußten sich einschränken, um über die Runden zu kommen. Landhäuser, die altern, schlucken nur noch Geld. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, daß das Haus Robin überlebt. Kümmerst du dich um ihn, wenn ich nicht mehr da bin?«
«Ja«, sagte ich.
Er nickte, nahm es für gegeben hin.»Ich hatte dich ja zum Treuhänder des für ihn eingerichteten Fonds ernannt, nicht wahr? Das habe ich nicht geändert.«
Ich freute mich darüber. Irgendwo zumindest war unser Verhältnis trotz allem das alte geblieben.
«Warum fahren wir nicht morgen mal zu ihm?«sagte er.
«Dort bringt mich niemand um.«
«In Ordnung«, meinte ich; also fuhren wir am nächsten Morgen mit dem Leihwagen dorthin. Im nahe gelegenen Dorf hielten wir an, um Schokolade und einfaches Spielzeug für Dreijährige als Mitbringsel zu kaufen, und ich legte noch ein Päckchen Luftballons dazu, während Malcolm bezahlte.
«Mag Robin Ballons?«fragte er, die Brauen hochziehend.
«Manchmal frustriert ihn etwas. Ich blase die Ballons auf, und er bringt sie zum Platzen.«
Malcolm sah erstaunt und wohl auch beunruhigt drein.
«Ich wußte nicht, daß er frustriert sein kann.«
«Es kommt mir so vor. Es ist, als ob er sich fast an uns erinnert… aber doch nicht ganz.«
«Der arme Junge.«
Bedrückt fuhren wir weiter und lenkten in die Auffahrt des großen, ebenmäßigen georgianischen Hauses, das, mit seiner sanften Patina immer noch schön anzusehen, in der Herbstsonne lag. Die annähernd fünfzig Räume im Innern waren in der Blütezeit der Privatmedizin zu einer höchst komfortablen Klinik für vorwiegend chronische, vorwiegend alte, vorwiegend reiche Patienten umgestaltet worden. Kurzzeitpatienten gab es auch, meistens solche, die sich hier von anderswo ausgeführten schweren Operationen erholten, doch im allgemeinen sah man Monat für Monat die gleichen Gesichter — alternd, leidend, auf Erlösung wartend. Ich fand das entsetzlich deprimierend, aber für Robin schien es wirklich die beste Zuflucht zu sein, nachdem zwei Aufenthalte in scheinbar eher geeigneten Heimen, wo es andere Kinder, bunte Farben, lebhafte Schwestern und viel gute Laune gab, fehlgeschlagen waren. Robin fühlte sich in einer anspruchslos ruhigen, friedlichen Umgebung offenbar wohler, und am Ende hatte Malcolm sich dem Rat der Fachleute widersetzt, um sie ihm zu gewähren.
Robin hatte ein großes Zimmer im Erdgeschoß, mit Fenstertüren, die auf einen ummauerten Garten hinausführten. Er ging selten in den Garten, aber er hatte gern bei jedem Wetter die Türen offen, selbst bei Schneegestöber. Davon abgesehen war er fügsam und unproblematisch, und falls irgend jemand sich Gedanken über die Umbrüche gemacht hatte, die bald eintreten konnten, wenn die Pubertät ihren normalen Lauf nahm, dann war mir davon nichts zu Ohren gekommen.
Er schaute uns wie immer verständnislos an. Er sagte selten etwas, obwohl er noch in der Lage war, Wörter zu bilden; es war, als hätte er einfach wenig vorzubringen. Ein Hirnschaden dieses Umfangs wirkte sich auf das Verhalten jedes Betroffenen individuell verschieden aus. Robin sprach kaum jemals, und wenn, dann nur heimlich, mit sich selbst, wenn er niemand in der Nähe wähnte. Die Schwestern, die ihn manchmal hörten, hatten uns das erzählt und hinzugesetzt, daß er verstummte, sobald er sie sah.
Ich hatte mich erkundigt, was er denn sagte, doch das wußten sie nicht, abgesehen von Wörtern wie» Schuhe «und» Brot «und» Boden«: alltägliche Wörter. Ebensowenig wußten sie, warum er sonst nicht redete. Aber sie waren überzeugt, daß er relativ viel von dem verstand, was andere sagten, wenn auch nur vage.
Wir gaben ihm etwas Schokolade zu essen und packten die Spielsachen aus, die er in die Hände nahm, ohne aber damit zu spielen. Das Päckchen Luftballons betrachtete er gleichgültig. Es war kein frustrierender Tag: An Frusttagen schaute er das Päckchen an und gab pustende Geräusche von sich.
Wir saßen eine ganze Weile bei ihm, redeten und sagten ihm, wer wir waren, während er in dem Zimmer umherwanderte. Hin und wieder schaute er uns ins Gesicht, und einmal berührte er meine Nase mit dem Finger, wie um zu erkunden, ob ich wirklich dort war, aber zu unseren Gedanken entstand keine Verbindung. Er sah hübsch und gesund aus, ein kräftiger Junge: herzzerreißend wie immer.
Schließlich kam eine Schwester in mittleren Jahren, mit gütigem Gesicht, die ihn zum Mittagessen in den Speiseraum brachte, und Malcolm und ich verfügten uns in das Büro, wo man meinen Vater als Wohltäter begrüßte und ihm zur Stärkung einen Scotch anbot.
«Ihr Sohn macht leider nur langsam Fortschritte. «Ernste, sich aufopfernde Menschen.
Malcolm nickte. Keine Fortschritte, wäre treffender gewesen.
«Wir tun stets unser Bestes für ihn.«
«Ja, das weiß ich. «Malcolm trank den Scotch, schüttelte ihnen die Hand, sagte auf Wiedersehen. Wir gingen, wie ich immer ging — traurig, stumm und mit Bedauern.
«So verdammt unfair«, sagte Malcolm auf der Rückfahrt nach London.»Er sollte lachen, reden, seine Jugend ausleben.«
«Ja.«
«Die Besuche bei ihm sind mir unerträglich, und seinlassen kann ich sie auch nicht. Ich gäbe mein ganzes Geld her, um ihn wieder gesund zu machen.«
«Und danach würdest du von neuem ein Vermögen anhäufen«, sagte ich.
«Na klar, warum nicht?«Er lachte, aber immer noch bedrückt.»Es wäre besser gewesen, er wäre mit den anderen gestorben. Das Leben kann beschissen sein, nicht wahr?«
Die Stimmung blieb gedrückt bis zum Savoy und noch die nächste Flasche Bollinger hindurch, doch am Nachmittag beklagte Malcolm sich über die Untätigkeit, die ich ihm auferlegt hatte, und wollte Geschäftsfreunde besuchen. Die unvorhersehbaren Wege seien unser Schild, betete ich und hielt die Augen nach heranbrausenden Autos offen; aber wir saßen den Tag mit heiler Haut in Büros, Bars, Clubs und einem Restaurant aus, wobei Malcolm sein Vermögen durch eine Zehnpfundwette auf den letzten Goldpreis des Tages vermehrte, der bei aufwärtigem Trend um zwei Pfund fiel.»Paß auf, nächstes Jahr kommt er erst richtig hoch.«
Am Freitag bestand er trotz meiner Appelle an seine Vernunft darauf, mich zum Pferderennen nach Sandown zu begleiten.
«Du bist hier sicherer«, sagte ich,»in der Suite.«
«Ich würde mich nicht sicherer fühlen.«
«Auf der Rennbahn kann ich nicht bei dir bleiben.«
«Wer weiß denn schon, daß ich dahin will?«
Ich starrte ihn an.»Jeder, der annimmt, daß wir jetzt zusammen sind, könnte das wissen. Wo ich zu finden bin, steht in der Zeitung.«
«Dann fahr nicht hin.«
«Ich fahre. Du bleibst hier.«
Ich sah jedoch ein, daß die starke unterschwellige Besorgnis, die er meistens zu verdrängen suchte, in akute Nervosität umschlagen würde, wenn ich ihn für mehrere Stunden allein ließ, und daß er sich die Zeit mit etwas viel Dümmerem als einem Besuch auf der Rennbahn vertreiben könnte — etwa indem er sich einredete, jeder aus seiner Familie würde ein Geheimnis hüten, wenn er darum bat.
Also nahm ich ihn von London mit nach Süden und schleuste ihn durch den Eingang für die Jockeys auf den Platz vor der Waage, wo seine Aussicht auf einen ungefährlichen Nachmittag sich dadurch erhöhte, daß er wieder einmal einen» Kumpel «traf und sofort zum Lunch ins Allerheiligste geladen wurde.
«Hast du auf der ganzen Welt Kumpel?«fragte ich.
«Aber sicher«, grinste er breit.»Jeder, den ich fünf Minuten kenne, ist mein Kumpel, wenn ich mit ihm auskomme.«
Ich glaubte ihm. Malcolm vergaß man nicht leicht, und es war auch nicht schwer, ihn zu mögen. Ich sah die aufrichtige Freude im Gesicht seines jetzigen Gastgebers, als sie plaudernd davongingen, und dachte bei mir, daß Malcolm wohl in jedem Beruf Erfolg gehabt hätte, daß der Erfolg zu seinem Wesen gehörte wie die Großzügigkeit, die krasse Unbesonnenheit.
Ich startete im zweiten Lauf, einem Jagdrennen für Amateure, und war wie üblich vorsichtshalber schon zwei Stunden früher eingetroffen. Ich wandte mich von Malcolms entschwindendem Rücken ab, um nach dem Besitzer des Pferdes, das ich reiten sollte, Ausschau zu halten, und eine beleibte Dame in einem weiten braunen Cape versperrte mir den Weg. Von allen Mitgliedern der Familie war sie die letzte, die ich auf einem Rennplatz zu sehen erwartet hätte.
«Ian«, sagte sie vorwurfsvoll, fast als hätte ich behauptet, ich wäre jemand anders.
«Hallo.«
«Wo bist du gewesen? Warum gehst du nicht ans Telefon?«
Lucy, meine ältere Halbschwester. Lucy, die Dichterin.
Lucys Mann Edwin war wie stets an ihrer Seite zu finden; es wirkte ein wenig, als habe er kein Eigenleben. Der Egel, hatte Malcolm ihn mitunter abschätzig genannt.
Lucy war, was ihr Gewicht betraf, mit einer Unbefangenheit gesegnet, die auf Vergeistigung und übertriebenem Glauben an Reformkost beruhte.»Nüsse und Rosinen sind doch gesund«, pflegte sie zu sagen, während sie sie kiloweise aß.»Körperliche Eitelkeit ist wie intellektuelle Überheblichkeit eine Krankheit der Seele.«
Sie war zweiundvierzig, meine Schwester, mit vollem, glattem, schlicht frisiertem braunem Haar, großen braunen Augen, den hohen Wangenknochen ihrer Mutter und der kräftigen Nase ihres Vaters. Auf ihre Art war sie eine ebenso auffallende Erscheinung wie Malcolm, und das nicht nur wegen ihrer formlosen Kleider und dem bewußten Verzicht auf Kosmetika. Malcolms Vitalität pulsierte auch in ihr, wenngleich in anderen Bahnen; sie drückte sich in sprachlicher und gedanklicher Kraft aus.
Früher hatte ich mich oft gefragt, warum eine so begabte und willensstarke Frau keinen geistig ebenbürtigen Partner geheiratet hatte, aber in den letzten Jahren neigte ich zu der Annahme, daß sie auf eine Null wie Edwin verfallen war, weil gerade die fehlende Konkurrenz ihr ermöglichte, ganz sie selbst zu sein.
«Edwin macht sich Sorgen«, sagte sie,»daß Malcolm den Verstand verliert.«
Statt» Edwin «lies» Lucy«, dachte ich. Es war ein Trick von ihr, die eigenen Gedanken ihrem Mann zuzuschreiben, wenn sie annahm, daß ihr Publikum sie nicht gern hörte.
Edwin schaute mich verlegen an. Er war durchaus ein gutaussehender Mann, aber von schäbigem Charakter. Wenn man tolerant war, konnte man das damit entschuldigen, daß seine und Lucys Finanzen dauernd auf des Messers Schneide standen. Ich war mir nicht mehr sicher, ob er tatsächlich keine Anstellung finden konnte oder ob Lucy ihn auf irgendeine Weise davon abhielt, es zu versuchen. Jedenfalls brachte ihr das Schreiben mehr Prestige als Geld ein, und Edwin war es inzwischen leid, die durchgewetzten Ellbogen seiner Sakkos mit schlecht aufgenähten dünnen Lederflicken zu kaschieren.
Edwin schien tatsächlich besorgt zu sein, aber hätte er sich allein gesorgt, wären sie nicht gekommen.
«Es ist unfair von ihm«, sagte er und meinte damit Malcolm.»Lucys Treuhandfonds ist Jahre vor der Inflation eingerichtet worden und wirft nicht mehr so viel ab wie früher. Er sollte das wirklich korrigieren. Ich hab es ihm schon mehrmals gesagt, aber er hört einfach nicht. Und jetzt verschleudert er sein Geld mit vollen Händen, als hätten seine Erben keinerlei Rechte. «Empörung zitterte in seiner Stimme, aber auch die ganz unverkennbare Furcht vor einer Ungewissen Zukunft, wenn das
Vermögen, auf das er so lange gezählt hatte, ihm sozusagen auf der Zielgeraden noch entrissen würde.
Ich seufzte und enthielt mich der Bemerkung, daß Malcolms Erben meiner Ansicht nach keine Rechte hatten, solange er lebte. Ich sagte nur beschwichtigend:»Er wird euch schon nicht verhungern lassen.«
«Darum dreht sich’s nicht«, sagte Edwin mit leisem Zorn.»Es dreht sich darum, daß er Lucys altem College eine ungeheure Summe zur Schaffung von Graduiertenstipendien für Lyriker gestiftet hat.«
Ich blickte von seinem verkniffenen, bebenden Mund ins Gesicht von Lucy und sah Scham, wo vielleicht Stolz hätte sein sollen. Scham, dachte ich, weil sie plötzlich Edwins Ansichten teilte, obwohl diese ihrer gewohnten Verachtung für den Materialismus so zuwiderliefen. Vielleicht hatte sogar Lucy sich auf ein sorgenfreies Alter gefreut.
«Du solltest dich geehrt fühlen«, sagte ich.
Sie nickte unglücklich.»Das tue ich.«
«Ach was«, sagte Edwin.»Es ist eine Schande.«
«Das Lucy-Pembroke-Stipendium«, sagte ich langsam.
«Ja. Woher weißt du das?«fragte Lucy.
Und ein Serena-Pembroke-Stipendium gab es sicher auch. Und den Coochie-Pembroke-Memorial-Challenge-Pokal.
«Worüber lächelst du?«wollte Lucy wissen.»Du kannst wohl nicht behaupten, daß du’s im Leben bisher weit gebracht hast, oder? Wenn Malcolm uns nichts vermacht, karrst du Pferdemist, bis du vor Altersschwäche umfällst.«
«Es gibt schlimmere Arbeit«, sagte ich gelassen.
Um uns herum waren Pferde, Rennbahnlärm und ein Himmel voll böiger frischer Luft. Ich wußte, ich konnte mein Leben glücklich mit nahezu jeder Beschäftigung verbringen, die mich an Orte wie Sandown Park führte.
«Du hast dein ganzes Talent vergeudet«, sagte Lucy.
«Mein einziges Talent ist Reiten.«
«Du bist blind und vernagelt. Du bist der einzige männliche Pembroke, der Grips hat, und du bist zu faul, ihn zu benutzen.«
«Besten Dank«, sagte ich.
«Das war kein Kompliment.«
«Nein, ist mir schon klar.«
«Joyce sagt, du wüßtest bestimmt, wo Malcolm ist, da ihr euren Streit endlich begraben habt, aber du würdest es natürlich nicht zugeben«, sagte Lucy.»Sie meinte, du wärst heute um diese Zeit hier, falls ich dich sprechen wollte.«
«Und das lag dir sehr am Herzen.«
«Sei nicht so schwer von Begriff. Du mußt ihn bremsen. Du bist der einzige, der’s nicht versuchen wird… aber du mußt es versuchen, Ian, und zwar mit Erfolg — wenn nicht in deinem Interesse, dann für den Rest der Familie.«
«Für dich?«fragte ich.
«Nun…«Sie konnte nicht offen von ihren Grundsätzen abrücken, aber die schienen zu wackeln.»Für die anderen«, sagte sie tapfer.
Ich blickte sie mit neuer Zuneigung an.»Du bist eine Heuchlerin, meine liebe Schwester«, sagte ich.
Gekränkt schlug sie zurück:»Vivien ist der Meinung, daß du versuchst, uns andere auszubooten, indem du dich bei Malcolm wieder beliebt machst.«
«Das sieht ihr ähnlich«, sagte ich.»Alicia ist sicher auch der Meinung, wenn Vivien sie ihr schon geflüstert hat.«
«Du bist wirklich ein Bastard.«
«Nein«, sagte ich mit zuckenden Mundwinkeln.»Gervase ist einer.«
«Ian!«
Ich lachte.»Ich werde Malcolm sagen, daß ihr euch sorgt. Ehrenwort, das kriege ich schon hin. Und jetzt muß ich mich umziehen und ein Rennen reiten. Bleibt ihr?«
Lucy zögerte, aber Edwin sagte:»Gewinnst du?«
«Wahrscheinlich nicht. Spart euer Geld.«
«Du nimmst die Sache nicht ernst«, sagte Lucy.
Ich sah ihr fest in die Augen.»Glaub mir«, sagte ich,»ich nehme sie sehr, sehr ernst. Niemand hatte das Recht, Moira zu ermorden, damit sie nicht die Hälfte von Malcolms Geld kassiert. Niemand hat das Recht, Malcolm zu ermorden, damit er es nicht weiter ausgibt. Er ist fair. Er wird uns allen genug hinterlassen, wenn die Zeit kommt, was hoffentlich noch zwanzig Jahre dauert. Sag den anderen, sie sollen sich abregen, beruhigen, Vertrauen haben. Malcolm nimmt euch alle auf den Arm, und ich halte das für gefährlich, aber er ist bestürzt über die Habgier um ihn herum und entschlossen, uns eine Lektion zu erteilen. Also sag ihnen, Lucy, sag Joyce und Vivien und allen anderen, daß wir um so weniger bekommen, je mehr wir einheimsen wollen. Je lauter wir protestieren, um so mehr gibt er aus.«
Sie erwiderte stumm meinen Blick. Schließlich sagte sie:»Ich schäme mich.«
«Humbug«, meinte Edwin heftig zu mir.»Du mußt Malcolm aufhalten. Du mußt.«
Lucy schüttelte den Kopf.»Ian hat recht.«
«Soll das heißen, er versucht es nicht mal?«fragte Edwin ungläubig.
«Bestimmt nicht«, antwortete Lucy.»Du hast doch gehört, was er gesagt hat. Hast du nicht gehört?«
«Das war alles Humbug.«
Lucy tätschelte mir den Arm.»Wenn wir schon hier sind, können wir ebensogut zusehen, wie du reitest. Geh dich
umziehen.«
Die Geste und der Tonfall waren schwesterlicher, als ich es gewohnt war, und mit einem Anflug von schlechtem Gewissen überlegte ich, daß ich mich für ihre Karriere seit ein paar Jahren kaum interessiert hatte.
«Was machen die Gedichte?«fragte ich.»Woran arbeitest du?«
Die Frage traf sie unvorbereitet. Ihr Gesicht wurde einen Moment lang leer und füllte sich dann, wie mir schien, mit einer sonderbaren Mischung von Traurigkeit und Panik.
«Im Augenblick an nichts«, sagte sie.»Schon seit längerem nicht«, und ich nickte fast entschuldigend, als hätte ich mich taktlos benommen. Auf dem Weg durch die Waage in den Umkleideraum sann ich darüber nach, daß Dichter wie Mathematiker ihre beste Leistung oft in jungen Jahren brachten. Lucy schrieb nicht; hatte womöglich ganz damit aufgehört. Und das karge Leben, das sie so lange geführt hatte, erschien ihr vielleicht nicht mehr so anziehend und befriedigend, wenn sie dabei war, den inneren Trost der schöpferischen Eingebung zu verlieren.
Arme Lucy, dachte ich. Das Leben konnte beschissen sein, wie Malcolm sagte. Sie hatte schon angefangen, den Wert des lang verachteten Wohlstands zu schätzen, sonst wäre sie nicht mit ihrem Anliegen nach Sandown Park gekommen, und den Aufruhr in ihrem geistigen Leben konnte ich nur ahnen. Wie eine Nonne, die ihren Glauben verliert, dachte ich. Nein, nicht wie eine Nonne. Lucy, die sehr direkt über Sex schrieb, so offen, daß ich jeden Zusammenhang mit Edwin für ausgeschlossen hielt (aber da konnte man sich täuschen), war alles andere als eine Nonne.
Während mir diese Dinge durch den Kopf gingen, zog ich meine Straßenkleidung aus, legte weiße Reithosen und einen scharlachroten Jersey mit blauen Streifen an den Ärmeln an und spürte die gewohnte zielgerichtete Erregung, die mich tief durchatmen ließ und ausgesprochen glücklich stimmte. Ich nahm an bis zu fünfzig Rennen im Jahr teil… und ich mußte schon bald eine neue Stelle finden, fiel mir ein, wollte ich regelmäßig Galopp reiten und einigermaßen in Form bleiben.
Draußen unterhielt ich mich eine Weile mit dem Besitzertrainer-Ehepaar, für das ich reiten sollte. Sie waren selbst bis vor zwanzig Jahren Querfeldeinrennen geritten, und es machte ihnen Spaß, das Ganze auf dem Umweg über mich noch einmal zu durchleben. George, der Mann, war jetzt als öffentlicher Trainer groß im Geschäft, aber Jo, die Frau, meldete ihre eigenen Pferde immer noch lieber für Amateurwettkämpfe. Gegenwärtig besaß sie drei Steepler, die alle recht gut waren. Es schadete mir in keiner Weise, auf ihnen gesehen und von Kennern des Rennsports mit diesem Stall in Verbindung gebracht zu werden.
«Young Higgins ist außer Rand und Band«, sagte Jo.
Young Higgins war der Name des heutigen Pferdes. Young Higgins war dreizehn, ein ehrwürdiger Gentleman, der antrat, um Pensionierungsgerüchte zu widerlegen.
«Außer Rand und Band «hieß für uns alle, daß er gesund und einsatzfähig war, mit vor Begeisterung gespitzten Ohren, und viel mehr konnte man in seinem Alter nicht verlangen. Schon ältere Pferde hatten das Grand National gewonnen, aber Young Higgins und ich waren bei unserem einzigen Versuch in dem großen Rennen gestürzt, und zu meinem Bedauern hatte Jo sich gegen weitere Anläufe entschieden.
«Bis gleich im Führring, Ian, vor dem Start«, sagte George, und Jo setzte hinzu:»Gönn dem alten Knaben was.«
Ich nickte lächelnd. Uns allen etwas zu gönnen war der Zweck der Veranstaltung. Auch Young Higgins sollte sein Vergnügen haben.
In dem Moment, als George und Jo sich in Richtung der
Tribüne absetzten, tippte mir von hinten jemand an die Schulter. Ich drehte mich um, um zu sehen, wer es war, und stand zu meiner völligen Verblüffung Lucys älterem Bruder gegenüber, Malcolms erstem Kind, meinem Halbbruder Donald.
«Gütiger Himmel«, sagte ich.»Du warst doch im Leben noch auf keinem Pferderennen.«
Er hatte mir das schon oft gesagt und etwas hochnäsig damit begründet, daß er den Wettrummel ablehne.
«Ich bin nicht wegen der Rennen gekommen«, erklärte er mürrisch.»Ich bin hier, um mit dir über Malcolms Geisteszustand zu sprechen.«
«Woher, ehm…?«: Ich brach ab.»Hat Joyce dich geschickt?«
«Was wäre denn dabei? Es geht uns alle an. Sicher, sie hat uns gesagt, wo du bist.«
«Hat sie es der ganzen Familie gesagt?«fragte ich ausdruckslos.
«Woher soll ich das wissen? Sie rief uns an. Ich glaube schon, daß sie jeden, den sie greifen konnte, angeklingelt hat. Du kennst sie ja. Schließlich ist sie deine Mutter.«
Selbst in so späten Jahren konnte er die alten Ressentiments nicht aus seinem Tonfall heraushalten — und vielleicht wurden sie mit dem Alter sogar noch stärker. Meine Mutter hatte seine verdrängt, gab er mir zu verstehen, und jede Indiskretion, die meine Mutter jemals beging, war irgendwie meine Schuld. So unlogisch dachte er, seit ich ihn kannte, und nichts hatte sich daran geändert.
Donald war in den Augen der Familie der Bruder, der mir am ähnlichsten sah, und ich wußte nicht recht, ob mir das gefiel. Unbestreitbar hatte er meine Größe und weniger intensiv blaue Augen als Malcolm. Er hatte auch braune Locken und war in den Schultern breiter als in den Hüften. Ich trug allerdings keinen buschigen Schnurrbart und hoffte sehr, daß ich nicht so wichtigtuerisch einherstolzierte; und manchmal, wenn ich mit Donald zusammengewesen war, achtete ich bewußt darauf, daß ich anders ging.
Als Malcolm Vivien hinauswarf, war Donalds Leben, wie er uns immer wieder sagte, derart aus den Fugen geraten, daß er nie richtig hatte entscheiden können, was er werden sollte. Leicht zu verkraften war ein solcher Umbruch sicher nicht, das wußte ich, aber Donald war damals erst neun gewesen — kein Alter, in dem Lebensentscheidungen anstehen. Jedenfalls war er als Erwachsener von einer Stelle im Hotelfach zur anderen gedriftet und schließlich als Geschäftsführer eines renommierten Golfclubs bei Henley-on-Thames vor Anker gegangen, ein Posten, der ihm wohl endlich den begehrten, für seine Selbstachtung sehr wichtigen gesellschaftlichen Status gab.
Donald war mir weder besonders sympathisch noch unsympathisch. Er war elf Jahre älter als ich. Er war hier.
«Alle bestehen darauf, daß du Malcolm stoppst, damit er nicht das ganze Geld der Familie durchbringt«, sagte er, wie vorauszusehen.
«Das Geld gehört ihm, nicht der Familie«, entgegnete ich.
«Wie bitte?«Donald fand den Gedanken lächerlich.»Du wirst ihm klarmachen, daß er es uns schuldig ist, das Familienvermögen zusammenzuhalten, bis wir es erben. Wir wissen ja leider, daß er auf keinen von uns hört außer auf dich, und da euer Streit jetzt offenbar beigelegt ist, haben wir dich zu unserem Sprecher erkoren. Joyce meint, wir müßten dich erst mal überzeugen, daß Malcolm nicht so weitermachen darf, aber ich sagte ihr, das sei lächerlich. Kein Mensch braucht dich zu überzeugen, du willst genau wie wir anderen eines Tages aus dem vollen schöpfen, klarer Fall, das ist doch nur natürlich.«
Gewissensforschung und unwahre Dementis blieben mir erspart durch die Ankunft von Donalds Frau Helen, die anscheinend ein Rennprogramm gekauft hatte.
«Wir bleiben nicht«, sagte Donald ungehalten mit einem Blick darauf.
Sie lächelte abwesend.»Kann man nie wissen«, meinte sie.
Schön und hirnlos hatte Malcolm sie genannt, und vielleicht hatte er recht. Sie war schlank, hochgewachsen, bewegte sich mit natürlicher Anmut und ließ billige Kleider aussehen wie teure. Daß sie billig waren, wußte ich, weil sie die Angewohnheit hatte, zu sagen, woher sie kamen und wieviel sie dafür bezahlt hatte, damit man ihre Sparsamkeit bewunderte. Donald versuchte ihr immer den Mund zu stopfen.
«Von wo aus könnte man die Rennen denn am besten sehen?«fragte sie.
«Dafür sind wir nicht hier«, sagte Donald.
«Nein, Schatz, wir sind hier, weil wir Geld brauchen, jetzt wo die Jungs in Eton angefangen haben.«
«Unsinn, Schatz«, sagte Donald scharf.
«Aber du weißt doch, daß wir’s uns nicht leisten können…«
«Bitte schweig, Schatz«, unterbrach Donald.
«Eton kostet ein Vermögen«, sagte ich milde, und mir war klar, daß Donalds Gehalt kaum reichen konnte, um einen Sohn dorthin zu schicken, geschweige denn beide.
Donald hatte Zwillinge, das schien in der Familie zu liegen.
«Natürlich«, sagte Helen,»aber Donald legt großen Wert darauf. >Meine Söhne sind in Eton< und so. Das verschafft ihm Ansehen bei den Leuten, mit denen er im Golfclub zu tun hat.«
«Helen, Schatz, sei doch still. «Donald war sichtlich verlegen, aber sie hatte zweifellos recht.
«Wir dachten, Donald würde vielleicht erben, bevor die Jungs dreizehn sind«, sagte sie heftig.»Da er nicht geerbt hat, borgen wir uns jeden Penny zusammen, um das Schulgeld aufzubringen, genau wie schon das Geld für die Vorbereitungsschule und vieles andere. Aber wir haben mehr
Schulden, als Donald sich erlauben kann… du siehst also, wir sind wirklich darauf angewiesen, daß es eine große Erbschaft gibt, weil sie mit so vielen Leuten geteilt werden muß. Wir gehen buchstäblich bankrott, wenn Malcolm zu leichtsinnig ist… und das könnte Donald, glaube ich, nicht ertragen.«
Ich öffnete den Mund, um zu antworten, brachte aber keinen Ton heraus. Ich kam mir vor, als wäre ich in eine Farce geschlittert, über die ich keinerlei Kontrolle hatte.
Zielstrebig kamen Serena, Ferdinand und Debs auf uns zu.