10



Huch! Das ist mir ja eine Nanny-Agentur. Ich überlege schon, ob ich mich beim Kindermädchen-Beauftragten beschweren soll. Nanny-Agenturen sollten doch vertraulich arbeiten. Sie sollten diskret sein. Offenbar wurde die Geschichte von der Mutter und den Möhren an sämtliche Nanny-Agenturen in der Stadt weitergegeben. Suze rief an und erzählte etwas betreten, dass an der St. Cuthbert's alle schon darüber reden und sich die Geschichte wie ein Lauffeuer verbreitet, nur dass das Ganze inzwischen damit endet, dass Kyla und ich uns mit den Möhren bewerfen.

Luke fand die Sache gar nicht lustig, sooft, ich ihm auch erklärt habe, dass Kyla für uns sowieso nicht die Richtige gewesen wäre. Und wie es scheint, könnte die Agentur unter Umständen »Probleme« haben, uns eine Ersatz-Nanny zu schicken. Also musste ich Mum bitten einzuspringen, doch sie war immer noch eingeschnappt und meinte nur: »Ach, jetzt bin ich wohl wieder gut genug, was?«

Und zu allem Überfluss habe ich mir gestern Abend meine superbilligen Partyrequisiten aus dem Pound Shop mal näher angesehen. Als Erstes habe ich das Päckchen mit den Platzkarten aufgemacht, und die waren mit »Happy Birthday Mike«, beschriftet. Alle zweihundert.

Eine Weile habe ich überlegt, ob ich Luke in Zukunft »Mike«, nennen soll. Ich meine, wieso sollte er nicht mal einen kleinen Spitznamen bekommen? Und wieso nicht »Mike« ? Ich dachte, wenn ich ihm kleine E-Mails schicke, in denen ich ihn »Mikey« nenne und Dad dazu bewege, ihn »Mike«, zu nennen, und beim Sex vielleicht sogar ein paar Mal »Oh, Mike, Mike!« , stöhne, könnte ich ihn vielleicht bis zur Party daran gewöhnt haben.

Aber dann stand auf den Serviettenhaltern überall »Glückwunsch Lorraine«, also habe ich den Plan verworfen.

Aber etwas Positives gibt es momentan. Meine Tauschaktion ist schon jetzt ein voller Erfolg. Jess hat recht, es ist unglaublich! Warum um alles in der Welt kaufen die Leute überhaupt irgendwas, wenn sie es doch eintauschen könnten? Ich bekam Unmengen von Reaktionen auf meine Anzeige und habe heute Abend gleich mehrere Verabredungen. Wenn das so weitergeht, ist die Party in null Komma nichts organisiert -völlig kostenlos!

Außerdem hat mir Jess Links zu diversen Öko-Deko-Websites geschickt, und wenn auch die meisten Ideen Schwachsinn sind, habe ich doch eine gefunden, die ganz cool ist. Man schneidet Plastiktüten in Streifen und macht daraus Troddeln und die sehen richtig gut aus. Und sie sind umsonst! Also habe ich angefangen, Troddeln zu basteln, wenn Luke nicht da ist. Zum Glück besitze ich bereits einen großen Vorrat an Plastiktüten. Die Selfridges-Troddeln sehen besonders hübsch aus, so leuchtend gelb, aber auch die grünen von Harrods sind schick. Jetzt brauche ich nur noch ein paar weiße. (Könnte sein, dass ich zu Harvey Nichols gehen muss, um ein paar Tüten zu bunkern. Ich meine, der Laden ist ganz schön teuer, aber das ist nun mal der Preis fürs Grün sein.)

Und das andere Positive ist unser neues Haus, das nach wie vor Fortschritte macht. Ich bin in meiner Mittagspause hergekommen, um es Suze zu zeigen, und es macht sogar noch einen besseren Eindruck als vorher.

»Bex, ich bin begeistert!« Strahlend kommt Suze die Treppe heruntergeklappert. « Es ist so hell! Und das Obergeschoss ist riesig! So viele Schlafzimmer! Man weiß gar nicht, wo die alle herkommen!«

»Unglaublich, oder?« Ich leuchte vor Stolz.

«Da sieht man mal wieder, was ein guter Architekt so ausmacht.« Versonnen schüttelt sie den Kopf. »Und bisher keine Pannen? Keine Probleme?«

Die arme Suze hat die Geschichte jedes einzelnen Hauses, das wir kaufen wollten, miterlebt.

»Nichts! Wir bekommen nächste Woche den Vertrag und unterschreiben zwei Wochen später. Wir haben schon den Umzugswagen gebucht und alles.«

»Ihr müsst so was von erleichtert sein!« Suze nimmt mich in die Arme. »Ich kann es gar nicht glauben, dass ihr endlich ein Haus habt!«

»Ich weiß.« Ich zupfe an ihrem Ärmel. »Komm mit, und sieh dir den Garten an!«

Wir gehen hinaus und spazieren über den Rasen zum hinteren Ende, wo eine riesige, ausladende Eiche steht, mit einer Schaukel und kleinen Sprossen zum Klettern.

»Alle eure Kinder können herkommen und hier spielen«, sage ich stolz.

»Die werden begeistert sein!« Suze setzt sich auf die Schaukel und fängt an, sich hin und her zu schwingen.

»Wie geht es Ernie eigentlich?«, fällt mir plötzlich ein. »Wie war der Termin in der Schule?«

»Der war noch nicht.« Suze macht ein langes Gesicht. »Ich hab richtig Angst davor. Nächste Woche muss ich zu einer Schulveranstaltung, und bestimmt wird mich die Schulleiterin zur Seite nehmen und ...« Plötzlich stutzt sie. »Hey, Bex, willst du nicht mitkommen? Du könntest mich beschützen. Schließlich kann sie ja nicht fies zu mir sein, wenn du neben mir stehst, oder?«

»Natürlich komme ich mit!« Ehrlich gesagt kann ich es kaum erwarten, mir diese Schulleiterin mal vorzuknöpfen.

« Es ist eine Kunstausstellung. Alle Kinder haben Bilder gemalt, und wir gehen hin und trinken eine Tasse Kaffee und sehen uns die Bilder an«, sagt Suze. »Und dann müssen wir der Schule was spenden.«

« Ich dachte, ihr zahlt Schulgebühren«, sage ich verdutzt. »Warum müsst ihr noch was spenden?«

«Die Gebühren sind nur der Anfang«,sagt Suze, als hätte ich keine Ahnung. »Außerdem gibt es noch die Schulspenden und die Benefizveranstaltungen und die Sammlungen für die Lehrer. Im Grunde stelle ich den ganzen Tag nur Schecks aus.«

»Und dann sind sie obendrein noch blöd zu dir?«

»Ja.« Plötzlich sieht Suze ein bisschen elend aus. »Aber es ist eine sehr gute Schule.«

Oh, Gott, dieser ganze Schulscheiß klingt wie ein Alptraum. Vielleicht finde ich eine Alternative. Vielleicht unterrichte ich Minnie zu Hause. Oder, na ja, nicht zu Hause. Das wäre langweilig. Wir könnten unseren Unterricht bei ... Harvey Nicks abhalten! Oh, Gott, ja! Perfekt! Ich sehe mich schon, wie ich an einem kleinen Tisch sitze, Caffé Latte schlürfe und Minnie die interessantesten Kulturnachrichten aus der Zeitung vorlese. Mit den Zuckerwürfeln könnten wir Rechnen üben und Erdkunde lernen wir in der Abteilung für Internationale Designer. Die Leute würden mich Die Frau Die Ihr Kind Bei Harvey Nicks Unterrichtet nennen, und ich könnte damit glatt einen internationalen Trend von In-Shop-Schulen auslösen ...

»Hey, Bex.« Suze hat aufgehört zu schaukeln und mustert argwöhnisch meinen Oberkörper. »Ist das nicht mein Samt Top? Dieses eine, das ich dir geliehen habe, als wir zusammengezogen sind?« Sie steigt von der Schaukel. »Und das ich wiederhaben wollte und du aber gesagt hast, dass es dir aus Versehen ins Lagerfeuer gefallen ist?«

»Äh ... « Instinktiv trete ich einen Schritt zurück.

Die Geschichte kommt mir bekannt vor. Warum habe ich gesagt, es sei verbrannt? Ich kann mich nicht mehr erinnern. Es ist schon so lange her.

»Das ist es!« Sie sieht es sich genauer an. »Es ist dieses Monsoon-Top! Fenny hatte es mir geliehen, und ich hatte es dir geliehen, und du hast gesagt, du konntest es nicht finden, und dann hast du gesagt, es ist verbrannt! Weißt du eigentlich, wie mir Fenny deshalb die Hölle heiß gemacht hat?«

»Du kannst es wiederhaben«, sage ich eilig. »Tut mir leid.« »Jetzt will ich es nicht mehr wiederhaben.« Ungläubig mustert sie mich. »Wieso trägst du es überhaupt?«

»Weil es in meinem Schrank war«, sage ich verdrießlich. »Und ich habe versprochen, alles in meinem Schrank dreimal zu tragen, bevor ich wieder shoppen gehe.«

»Was?«Suze fehlen die Worte. »Aber ... wozu?«

»Das war, als die Bank pleiteging. Wir haben eine Vereinbarung getroffen. Luke kauft sich kein Auto, und ich kaufe mir keine neuen Sachen. Jedenfalls nicht bis Oktober.«

»Aber Bex!« Suze sieht richtig besorgt aus. »Ist das für dich nicht ungesund? Ich meine, ist es nicht ungesund, wenn man einfach so auf Totalentzug gesetzt wird? Ich hab das mal im Fernsehen gesehen. Die Leute fangen an zu zittern und kriegen Blackouts. Ist dir auch schon zitterig?«

»Ja!« Ich starre sie an, perplex. »Mir war richtig zitterig, als ich neulich bei Fenwick vorbeikam und die Ausverkauf hatten!«

Oh, mein Gott. Ich habe noch nie daran gedacht, dass ich meine Gesundheit gefährden könnte, wenn ich das Shoppen aufgebe. Sollte ich lieber mal zum Arzt gehen?

»Und was ist mit Lukes Party?« »Schscht! zische ich und sehe mich panisch im Garten um. »verplapper dich bloß nicht! Was soll damit sein?« »Willst du da nicht ein neues Kleid tragen?« sagt Suzes Mund lautlos.

»Selbstverständlich will ich ... « Ich stocke.

Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Ich darf mir für Lukes Party kein neues Kleid kaufen, oder? Nicht, solange der Deal noch gilt.

»Nein«, sage ich schließlich. »Ich darf nicht. Ich muss irgendwas aus meinem Schrank tragen. Ich habe es versprochen.«

Plötzlich fühle ich mich erschöpft. Ich meine, nicht, dass ich die Party nur gebe, damit ich ein neues Kleid anziehen kann. Aber trotzdem.

»Wie läuft es denn so mit der Party?« fragt Suze nach kurzer Pause. »Wirklich gut!« sage ich sofort und wische das Thema vom Tisch. »Alles bestens. Ich schicke dir eine Einladung, sobald sie fertig sind.«

« Gut! Und ... du brauchst keine Hilfe oder irgendwas?«

»Hilfe?«, sage ich etwas zu scharf. »Wozu sollte ich Hilfe brauchen? Ich habe alles im Griff.« Ich werde es ihr zeigen. Warte nur, bis sie meine Einkaufstüten-Troddeln sieht. »Ausgezeichnet! Ich freu mich drauf! Es wird bestimmt ganz toll.« Sie fängt wieder an zu schaukeln, weicht mir aus. Sie glaubt mir nicht, oder? Ich weiß, dass sie es nicht tut. Eben will ich schon mit ihr wetten, als mich ein Schrei ablenkt.

»Da sind sie! Da sind die Aasgeier!« Ein Mittfünfziger mit rotem Gesicht kommt aus dem Haus nebenan und gestikuliert in meine Richtung.

»Wer ist das?«, murmelt Suze.

»Keine Ahnung«, sage ich mit gedämpfter Stimme. »Wir haben die Nachbarn noch nicht kennengelernt. Der Makler meinte nur, da wohnt ein alter Mann. Und dass er krank ist und nie vor die Tür geht ... Kann ich Ihnen helfen?« Ich rufe zu ihm hinüber.

»Mir helfen?« Wütend funkelt er mich an. »Sie könnten mir helfen, indem Sie mir erklären, was Sie mit meinem Haus gemacht haben! Ich werde die Polizei rufen!«

Suze und ich tauschen misstrauische Blicke. Ziehe ich neben einem Irren ein? »Wir haben nichts mit Ihrem Haus gemacht!«, rufe ich zurück. Und wer hat dann meine Schlafzimmer gestohlen?«

Bitte?

Bevor ich antworten kann, kommt unser Makler in den Garten gelaufen. Er heißt Magnus, trägt Anzüge mit breiten Nadelstreifen und hat eine sehr tiefe, einfühlsame Stimme.

»Mrs. Brandon, ich kümmere mich darum. Gibt es ein Problem?«, sagt er. »Mister ... «

»Evans.« Der Mann tritt an Magnus heran, und sie unterhalten sich über den Gartenzaun hinweg, sodass ich nur Fetzen davon verstehen kann. Da zu diesen Fetzen jedoch auch verklagen, unglaublich und Verbrecher gehören, spitze ich die Ohren.

»Meinst du, dass vielleicht irgendwas nicht stimmt?«, sage ich besorgt zu Suze.

»Natürlich nicht!«, sagt sie sofort beschwichtigend. Wahrscheinlich ist es nur ein kleines Missverständnis unter Nachbarn. So etwas, das sich bei einem Tässchen Kaffee beilegen lässt. Vielleicht geht es um die ... Hecke!«, fügt sie hinzu, als Mr. Evans seine Faust vor Magnus schüttelt.

»Regt man sich denn wegen einer Hecke so auf?«, sage ich etwas verunsichert.

Das Gespräch wird lauter, und die Fetzen werden länger.

» ... nehme ich persönlich den Vorschlaghammer... den Teufel muss man vertreiben ... «

»Nun gut.« Magnus sieht aus wie der Tod, als er eilig über den Rasen zu uns herüberkommt.« Mrs. Brandon. Es hat sich ein kleines Problem hinsichtlich der Schlafräume Ihrer Immobilie ergeben. Nach Aussage Ihres Nachbarn wurden mehrere Räume ... widerrechtlich seinem Besitz entnommen.«

»Was?« Leeren Blickes starre ich ihn an.

»Er glaubt, jemand hätte die angrenzende Mauer durchbrachen und ... seine Schlafzimmer entwendet. Insgesamt drei, um genau zu sein.«

Suze stöhnt auf. »Es kam mir auch schon verdächtig geräumig vor!«

»Aber Sie haben uns gesagt, es hätte acht Schlafzimmer! Das stand in den Wohnungsunterlagen!«

»In der Tat.« Magnus wird zunehmend unwohl in seiner Haut. »Das Bauunternehmen hat uns mitgeteilt, dass es sich um ein Haus mit acht Schlafzimmern handelt, und wir hatten keinen Grund, daran zu zweifeln ... «

»Also sind die Bauleute einfach im ersten Stock nach nebenan durchgebrochen und haben drei Zimmer geklaut, und niemand hat es jemals nachgeprüft?“ Ungläubig starre ich ihn an.

Magnus wirkt immer bedrückter.

»Ich gehe davon aus, dass das Bauunternehmen sich die Genehmigung von der Behörde besorgt hat ...“

»Wie denn?« Mr. Evans ragt hinter der Hecke auf, will offensichtlich nicht mehr warten. »Indem sie Dokumente falschen und Beamte schmieren, so machen sie's! Ich komme aus den Staaten zurück und gehe nach oben, um mich aufs Ohr zu hauen, und was muss ich feststellen? Die Hälfte von meiner ersten Etage fehlt!«

»Wieso hat es denn keiner gemerkt?«, sagt Suze nüchtern. »Wie ist das denn überhaupt möglich?«

»Mein Vater ist taub und fast blind!« Mr. Evans wird immer wütender. »Seine Pfleger gehen ein und aus, aber was wissen die schon? Wehrlose ausnutzen, das ist es und nichts anderes!« Mittlerweile ist sein Gesicht fast lila, und seine gelben Augen funkeln so bedrohlich, dass mir ganz bange wird.

»Das ist nicht meine Schuld! Ich habe nichts getan! Ich wusste es ja nicht mal! Und Sie können Ihre Schlafzimmer wiederhaben«, füge ich eilig hinzu. »Oder ... könnten wir sie Ihnen vielleicht abkaufen? Wissen Sie, wir stehen ziemlich unter Druck. Wir wohnen noch bei meinen Eltern, und wir haben ein zweijähriges ... «

Verzweifelt sehe ich zu Mister Evans hinüber, will ihn besänftigen, aber er sieht nur noch mehr wie ein Axtmörder aus als vorher schon.

»Ich rufe meinen Anwalt an.« Er macht kehrt und stampft ins Haus zurück. »Was heißt das jetzt?«, will ich wissen. »Was passiert als Nächstes?«

Magnus kann mir nicht mal in die Augen sehen.

»Ich fürchte, es wird kompliziert. Wir müssen uns die Übertragungsurkunden ansehen, Rechtsbeistand suchen, das Haus muss möglicherweise wieder in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden. Oder vielleicht kommt man mit Mister Evans auch zu einer Übereinkunft ... Ich denke, Sie müssten den Verkäufer verklagen können, und darüber hinaus könnte es zu einer Verurteilung wegen Betruges kommen ... «

Mit wachsender Bestürzung starre ich ihn an. Eine Verurteilung wegen Betruges interessiert mich nicht. Ich will ein Haus.

»Also kriegen wir nächste Woche nicht den Vertrag?«

»Ich fürchte, der ganze Deal ist vorerst abgeblasen.«

»Aber wir brauchen ein Haus!«, heule ich. »Das ist unser fünfter Anlauf!« »Es tut mir leid.« Magnus holt sein Handy hervor. »Verzeihen Sie, ich muss unsere Rechtsabteilung informieren.« Als er weggeht, sehe ich Suze an. Einen Moment lang sagen wir beide nichts. »Ich kann es nicht glauben«, sage ich schließlich. »Sind wir verflucht?«

»Es wird sich noch alles klären«, sagt Suze zuversichtlich. »Alle werden sich gegenseitig verklagen, und am Ende kriegt ihr das Haus. Und das Positive daran ist: Überleg mal, wie begeistert deine Mum ist, wenn ihr noch ein biss eben länger bei ihr bleibt.«

»Ist sie nicht!«, sage ich verzweifelt. »Sie wird sauer sein! Suze, sie leidet gar nicht unter dem Empty-Nest-Syndrome. Wir haben alles falsch verstanden. «

»Was?« Suze sieht ganz erschrocken aus. »Aber ich dachte, sie würde euch ganz fürchterlich vermissen und wäre selbstmordgefährdet. «

»Es war alles inszeniert! Sie kann es kaum erwarten, dass wir ausziehen! Die ganze Nachbarschaft wartet schon.« Verzweifelt nehme ich meinen Kopf in beide Hände. »Was soll ich nur machen?«

Schweigend sehen wir uns im winterlichen Garten um.

Vielleicht könnten wir das Haus einfach besetzen, denke ich. Oder ein großes Zelt im Garten aufstellen und hoffen, dass es keiner merkt. Wir könnten einen alternativen Lebensstil pfegen und in einer Jurte wohnen. Ich könnte mich »Rainbow« nennen, und Luke wäre »Wolf« und Minnie könnte »Die-in-Mary-Janes-durchs-Gras-Iäuft«, sein.

»Und was willst du jetzt tun?« Suze reißt mich aus einem Traum, in dem wir am Lagerfeuer sitzen und Luke in Lederhosen Holz hackt. Er hat den Namen »Wolf« auf seine Knöchel tätowiert.

»Keine Ahnung«, sage ich mit wachsender Verzweiflung. »Ich muss mir einfach irgendwas einfallen lassen.«

Als ich an diesem Tag nach Hause komme, finde ich Mum und Minnie in der Küche vor, beide mit Schürzen, wo sie Törtchen mit Zuckerguss überziehen. Mum hat das Zuckerguss Set aus dem Pound Shop. Und die Törtchen auch.) Einen Moment lang sind sie so beschäftigt und froh und glücklich, dass sie mich gar nicht bemerken -und plötzlich sehe ich Elinor vor mir, wie sie da in dieser Garderobe stand, so alt und traurig und einsam, und mich fragte, ob sie ihr Enkelkind sehen dürfte.

Sie hat Minnie zuletzt gesehen, als die Kleine noch in der Wiege lag. Schon jetzt hat sie so viel von Minnies Leben verpasst. Ich weiß ja, dass sie sich alles selbst zuzuschreiben hat, und ich weiß auch, dass sie eine gemeine Hexe ist. Aber trotzdem ...

Oh, Gott, ich bin hin und her gerissen. Soll ich zulassen, dass Minnie sie kennenlernt? Nicht, dass ich mir ernstlich vorstellen könnte, wie Elinor Törtchen mit Zuckerguss überzieht. Aber irgendwas könnten sie bestimmt zusammen machen. Wahrscheinlich im Chanel-Katalog blättern.

Minnie konzentriert sich derart andächtig, bunte Streusel auf ihre Kuchen zu streuen, dass ich sie nicht stören möchte. Ihr Gesicht ist ganz rosig vor Anstrengung, sie verzieht die kleine Nase, und an ihren Bäckchen kleben Streusel mit dem Zuckerguss. Während ich sie so betrachte, krampft sich mir das Herz zusammen. Ich könnte ewig so stehen bleiben und sie beobachten, wie sie vorsichtig ihren kleinen Topf schüttelt. Dann plötzlich sieht sie mich, und ihre Augen leuchten auf.

»Mami! Streusel!« Stolz hält sie den kleinen Topf hoch.

»Bravo, Minnie! Guck dir mal die vielen hübschen Törtchen an!« Eilig bücke ich mich und gebe ihr einen Kuss. Ihre Wangen sind voll Zuckerguss -mehr oder weniger scheint mir alles von einer dünnen Zucker schicht überzogen zu sein.

»Essen.« Voller Hoffnung bietet mir Minnie ein Törtchen an. »Streusel essen!« Sie stopft es mir in den Mund. »Lecker!« Unwillkürlich muss ich lachen, als mir Krümel vom Kinn rieseln. »Mmmh.« »Hallo, Becky!« Mum blickt von ihrem Spritzbeutel auf. »Wie war das Haus?«

»Oh.« Ich komme zu mir. »Super.«

Was in gewissem Sinne auch stimmt. Es war super, abgesehen von der Tatsache, dass die Hälfte gestohlen war. »Und ist immer noch alles bereit für den Einzug?« »Tja.« Ich reibe an meiner Nase herum, und ein paar Streusel fallen herunter. »Es könnte vielleicht zu einer geringfügigen Verzögerung kommen ...«

»Verzögerung?« Mum klingt augenblicklich verspannt. »Was für eine Verzögerung denn«

»Ich weiß es nicht genau«, weiche ich hastig zurück. »Vielleicht ist es auch gar nichts. «

Argwöhnisch mustere ich Mum. Ihre Schultern sind ganz starr. Das ist kein gutes Zeichen.

»Na ja, nun, falls es eine Verzögerung geben sollte«, sagt sie schließlich, »könntet ihr natürlich noch hierbleiben. Irgendwas anderes käme ja gar nicht in Frage.«

Oh, Gott. Sie klingt so edel und aufopferungsvoll. Ich kann es kaum ertragen.

»Ich bin mir sicher, dass es nicht so weit kommt!«, sage ich eilig. »Aber falls doch ... könnten wir auch immer noch ... was mieten?« Ich wage kaum, das Wort auszusprechen, und wie zu erwarten schnappt sie danach wie ein Hai, der Blut wittert.


»Mieten? Ihr werdet nichts mieten, Becky. Das ist doch rausgeschmissenes Geld!«

Mums Abneigung gegen das Mieten ist pathologisch. Jedes Mal, wenn ich vorgeschlagen habe, dass Luke und ich uns auch irgendwo was mieten könnten, hat sie getan, als wollten wir absichtlich Geld an einen Vermieter zahlen, nur um sie zu kränken. Und wenn ich sage: »In ganz Europa wohnen die Leute zur Miete«, rümpft sie nur die Nase und sagt: »Europa!«

»Becky, gibt es denn ein Problem?« Mum hört auf, Zuckerguss zu verteilen, und sieht mich an.« Zieht ihr nun aus oder nicht?«

Ich kann ihr nicht die Wahrheit sagen. Wir werden eben einfach ausziehen müssen. Irgendwie.

« Selbstverständlich ziehen wir aus!«, sage ich gutgelaunt. »Selbstverständlich! Ich habe nur gesagt, es könnte zu einer Verzögerung kommen. Wird es wahrscheinlich aber nicht. In drei Wochen sind wir weg.« Und damit haste ich aus der Küche, bevor sie noch was fragen kann.

Okay. Mir bleiben also drei Wochen, um das Problem mit dem Haus zu regeln. Oder eine andere Lösung zu finden. Oder eine Jurte zu kaufen.

Mein Gott, sind Jurten teuer. Ich habe gerade mal online nachgesehen. Mehrere tausend Pfund für ein bisschen Plane. Ich weiß also nicht, ob wir das machen sollen. Ich weiß eigentlich überhaupt nicht, was wir machen sollen.

Aber darüber will ich jetzt nicht weiter nachdenken, denn mein erster Tauschhandel steht bevor. Mum und Dad sind unterwegs, Luke hat ein Geschäftsessen, und Minnie liegt im Bett, also habe ich freie Bahn. Ich bin echt aufgeregt. Das ist der Beginn eines gänzlich neuen Lebens. Null-Konsum, grün, fairer Tauschhandel mit Leuten, die in der näheren Umgebung wohnen. So, wie es eben sein sollte. Wahrscheinlich werde ich nie wieder shoppen gehen. Die Leute werden mich Die-Frau-Die-Niemals-Shoppen-Geht nennen.

Meine erste Tauschpartnerin - namens Nicole Taylor kommt um sieben mit einem Festzelt vorbei, und ich gebe ihr dafür zwei Marc-Jacobs-Taschen, was ein fairer Tausch ist, besonders da ich sie nie benutze. Ich habe sie in Seidenpapier eingewickelt, in die Originalschachteln gelegt und großzügigerweise sogar noch einen Marc-Jacobs-Schlüsselring oben draufgelegt. Problematisch könnte nur werden, das Festzelt in die Garage zu kriegen, falls es richtig groß ist. Aber das kriegen wir bestimmt irgendwie hin.

Danach kommt ein Feuerschlucker namens Daryl, der seine Dienste für ein Luella-Täschchen anbietet (was mir etwas komisch vorkommt, aber vielleicht will er es ja für seine Freundin oder so). Und ein Jongleur, der ein Paar Gina-Sandalen bekommt. Und eine Frau, die Kanapees zubereitet und dafür einen Missoni-Mantel möchte. (Es tut mir etwas leid, dass ich den weggeben muss, aber den von Banana Republic, den ich anfangs angeboten habe, wollte kein Einziger haben.)

Am aufgeregtesten bin ich wegen des Feuerschluckers. Er hat gesagt, er würde es mir vorführen. Ich frage mich, ob er wohl im Paillettenkostüm erscheint! Es klingelt an der Tür, und begeistert laufe ich hin. Das muss das Festzelt sein!

»Hallo!« Ich reiße die Tür auf und erwarte mehr oder weniger ein großes, hochzeitsmäßiges Festzelt vorn auf dem Rasen, voll beleuchtet.

»Hi.« Ein dürres Mädchen steht auf der Stufe und mustert mich schräg. Sie ist nicht älter als sechzehn, mit glatten Haaren, die zu beiden Seiten ihres blassen Gesichts herabhängen, und sie scheint kein Festzeit dabeizuhaben, es sei denn, sie hätte es ganz klein zusammengefaltet.

»Du bist Nicole?«, sage ich unsicher.

»Yeah.« Sie nickt, und ich rieche Kaugummi.

»Du bist gekommen, um ein FestzeIt gegen zwei Marc Jacobs-Taschen einzutauschen«

Es folgt eine lange Pause, als müsste sie darüber nachdenken.

»Kann ich die Taschen sehen?«, sagt sie.

Das läuft nicht ganz so wie erwartet.

»Kann ich denn das Festzeit sehen?«, erwidere ich. »Wie groß ist es? Kriege ich da zweihundert Leute rein? Ist es gestreift?« Es folgt eine weitere, längere Pause. »Mein Dad hat ne Zeltfirma«, sagt sie schließlich. »Ich kann Ihnen eins besorgen, echt jetzt.«

Sie kann mir eins besorgen? Was ist denn das für ein bescheuerter Tauschhandel? »Du solltest es doch mitbringen!«, sage ich genervt. »Na ja, konnte ich ja wohl schlecht, oder?«, sagt sie schmollend. »Aber ich besorg Ihnen eins. Wann brauchen Sie es denn? Sind das da die Taschen?« Begehrlich hat sie die Marc-Jacobs Tüten zu meinen Füßen ins Auge gefasst.

»Ja«, sage ich zögernd.

»Darf ich mal sehen?«

»Na gut.«

Sie packt die erste Tasche aus -eine große, graue -und schnappt nach Luft, mit leuchtendem Gesicht. Unwillkürlich fühle ich mit ihr. Ich sehe, dass sie wie ich ein echter Handtaschenfan ist.

»Mein Gott, ist die scharf! Die muss ich haben.« Sie hat sie sich schon umgehängt und wendet sich hin und her. »Wo ist die andere?«

»Hör mal, du kannst sie aber nur haben, wenn ich ein Festzelt bekomme ... «

»Hey, Daryl.« Nicole hebt eine Hand zum Gruß, als ein weiterer schlaksiger Teenager über die Auffahrt kommt. Diesmal handelt es sich um einen Jungen in knallengen Jeans mit schwarz gefärbten Haaren und einem Rucksack auf dem Rücken.

Ist das der Feuerschlucker?

»Kennst du den?«, frage ich etwas ungläubig.

»Wir sind beide am College und machen den Kurs »Fashion Studies.« Nicole kaut ihr Kaugummi. »Da haben wir auch Ihre Anzeige gelesen, online.«

»Hi.« Daryl schlurft heran und hebt eine schlappe Hand zu einer Art Gruß. »Ich bin Daryl.«

»Bist du wirklich Feuerschlucker?« Zweifelnd sehe ich ihn mir an. Ich hatte mir eher so einen Macho vorgestellt, braungebrannt, mit weißen Zähnen und Suspensorium. Aber vielleicht sollte ich nicht so voreingenommen sein. Vielleicht ist dieser Daryl in einem Zirkus aufgewachsen oder so.

»Yeah.« Er nickt mehrmals. Seine Augen zucken.

»Und du willst im Tausch mein Luella-Täschchen?«

»Ich sammle alles von Luella.« Er nickt begeistert. »Ich liebe Luella!«

»Daryl entwirft Taschen«, sagt Nicole. »Er ist echt vollbegabt. Wo haben Sie die gekauft?« Sie ist immer noch ganz fasziniert von der Marc-Jacobs-Tasche.

»Bei Barneys in NewYork.«

»Barneys?«, stöhnt sie. »Sie waren da? Wie ist es da?«

»Ich habe sogar da gearbeitet.«

»Gibt's ja nicht.« Sprachlos starrt Daryl mich an. »Ich bin am Sparen, um nach NewYork zu fliegen.«

»Wir beide.« Nicole nickt mit Nachdruck. »Vor Weihnachten hatte ich schon hundertsechzig Pfund zusammen. Aber dann kam der Schlussverkauf. Und ich war bei Vivienne Westwood.« Sie verzieht das Gesicht.

»Ich war bei Paul Smith«, seufzt Daryl. »Jetzt hab ich nur noch dreißig Pfund.«

»Und ich nur noch minus achtzig«, sagt Nicole bedrückt. »Hab Schulden bei meinem Dad. Und er so: »Wozu brauchst du denn noch eine Jacke?«, »und ich so: »Dad! Die ist von Vivienne "Westwood.( Aber er hat mich nur angeguckt, so: « Hä?«

»Ich weiß genau, wie du dich fühlst.« Ich nicke mitfühlend. »Die begreifen es einfach nicht. Welche Jacke war es denn? Doch nicht die tolle Rote mit dem Futter?«

»Yeah!« Sie strahlt mich an. »Genau die! Und dazu diese total scharfen Schuhe ... irgendwo hab ich ein Foto ... « Sie fängt an, in ihrem Handy herumzuscrollen.

Sie ist genau wie ich! Ich habe Fotos von allen meinen Lieblingssachen.

»Darf ich das Luella-Täschchen mal halten?«, fragt Daryl, während ich Nicoles Westwood-Schuhe bewundere.

»Natürlich! Hier, bitte.« Ich reiche es ihm, und Daryl betrachtet es einen Moment lang ehrfurchtsvoll. »Also ... vielleicht sollten wir langsam zum Geschäft kommen. Könntest du mir mal demonstrieren, wie du Feuer schluckst? Es ist für eine Party. Ich möchte eine echt coole Show.«

Es folgt eine winzig kleine Pause, dann sagt Daryl: »Ja. Klar. Ich zeig's Ihnen.«

Er stellt seinen Rucksack ab, wühlt einen Moment darin herum, dann holt er einen langen Holzstock hervor, den er mit seinem Zippo anzündet.

Das sieht kein bisschen wie ein normaler Feuerschluckerstock aus. Es sieht aus wie ein Bambusrohr aus dem Garten. »Komm schon, Daryl.« Nicole lässt ihn nicht aus den Augen. »Du schaffst es.«

Daryl wirft seinen Kopf in den Nacken, legt seinen dürren Hals frei und hebt den Stock an. Mit zitternder Hand hebt er die Flamme bis direkt über seinen Mund, dann zuckt er zurück und reißt sie weg.

»Tschuldigung«, murmelt er. »Bisschen heiß.« »Du schaffst es!«, feuert Nicole ihn noch mal an. »Komm schon. Denk einfach: Luella.«

»Okay.« Er hat die Augen geschlossen und scheint seinen ganzen Mut zusammenzunehmen. »Ich mach es. Ich mach es.«

Der Stock steht mittlerweile halb in Flammen. Okay, nie im Leben ist dieser Typ ein echter Feuerschlucker.

»Warte!«, rufe ich, als er den brennenden Stock wieder anhebt. »Hast du das denn schon mal gemacht?«

»Hab ich bei YouTube gesehen«, sagt Daryl schwitzend. »Ich kann das.«

YouTube?

»Ausatmen, Daryl«, mischt Nicole sich ein, ein wenig sorgenvoll. »Vergiss nicht: Ausatmen!«

Wieder hebt er zitternd den Stock an. Hellrote Flammen flackern auf wie ein Inferno. Jeden Moment wird er uns alle in Brand setzen.

»Komm schon«, murmelt er vor sich hin. »Komm schon, Daryl.«

»Aufhören!«, rufe ich entsetzt. »Du wirst dir nur wehtun! Hör zu, du kannst die Luella-Tasche haben, okay? Du kannst sie haben! Nur verbrenn dir nicht das Gesicht!«

»Wirklich?« Daryl lässt den Stock sinken, wobei er etwas weiß und zittrig aussieht, dann macht er plötzlich einen Satz, als die Flamme ihm die Finger versengt. »Autsch! Scheiße!« Er lässt sie fallen, schüttelt seine Hand, und wir sehen uns an, wie die Flamme verglüht.

»Du bist überhaupt kein Feuerschlucker, oder?«, sage ich schließlich. »Nein.« Er scharrt mit dem Fuß. »Ich wollte nur das Täschchen. Krieg ich es wirklich trotzdem?«

Ich kann es ihm nicht verdenken. Offen gesagt, wenn ich eine Anzeige sehen würde, in der jemand eine DesignerTasche anbietet, im Gegenzug für einen Auftritt als Feuerschlucker, würde ich wahrscheinlich auch so tun, als könnte ich Feuer schlucken. Trotzdem bin ich irgendwie entmutigt. Was wird jetzt aus Lukes Party?

»Okay.« Ich seufze. »Du kannst sie haben.«

Ich sehe Nicole an, die noch immer voller Hoffnung ist und ihren Arm um die graue Marc-Jacobs-Tasche geschlungen hat. Wenn ich die Wahrheit sagen soll, benutze ich die beiden Taschen überhaupt nicht mehr. Und irgendetwas sagt mir, dass ich dafür nie im Leben ein Festzelt bekomme werde.

»Und, Nicole, du kannst die Marc-Jacobs-Taschen auch behalten, wenn du willst.« »Hammer! »Sie explodiert beinah vor Freude. Echt wahr? Wollen Sie, dass ich Ihnen ... das Auto wasche oder so?«

»Nein, danke!« Da muss ich doch lachen.

Nicoles Gesicht leuchtet. »Das ist unfassbar. Oh, guck mal, da kommt Julie!« »Sag nichts«, sage ich. »Ihr kennt euch auch.« Ein blondes Mädchen kommt die Auffahrt herauf, mit drei bunten Bällen in der Hand.

»Hi!« Sie lächelt unsicher. »Ich bin die Jongleurin? Für die Gina-Sandalen?« »Kannst du jonglieren?«, frage ich unverblümt. »Na ja ... « Zögernd sieht sie Nicole an, die eine Grimasse schneidet und den Kopf schüttelt. »Mh ... ich lerne schnell?«

Als Daryl, Nicole und Julie die Auffahrt hinuntergehen, sinke ich auf die Stufe vor unserer Haustür und starre ins Leere, umarme meine Knie. Ich bin ein wenig deprimiert. Das war ja ein toller Tausch. Ich meine, nicht, dass ich es bereue, die Sachen weggegeben zu haben. Im Grunde habe ich mich gefreut, dass sie in gute Hände kamen. Und alle drei waren wirklich dankbar.

Aber trotzdem war es nicht gerade eine erfolgreiche Transaktion, oder? Wenn man mich fragt, ist Tauschhandel Mist, und ich weiß gar nicht, wieso ich Jess jemals geglaubt habe. Ich habe drei Designer-Taschen und ein Paar Sandalen weniger und nichts dafür bekommen. Und mit der Party bin ich auch noch keinen Schritt weiter... und wir haben kein Haus... und wir müssen ausziehen ... Mein Kopf sackt immer weiter nach vorn. Doch gleich darauf höre ich eine sanfte Stimme: »Rebecca?«

Ich blicke auf und sehe eine Frau in einer adretten Jacke und einem Rock, die ein Tablett in Händen hält.

»Ich bin Erica«, sagt sie. »Von Oxshott-Marktplatz.com? Mit den Kanapees für den Missoni-Mantel? Ich dachte, ich bringe eine kleine Auswahl mit, damit Sie sich entscheiden können.«

Ich kämpfe mich auf die Beine und starre sie einen Moment lang argwöhnisch an. »Können Sie denn wirklich kochen?«

Erica lacht. »Probieren Sie!« Sie deutet auf das Tablett. »Und dann sagen Sie es mir.«

Wortlos greife ich zu, nehme ein Häppchen und beiße hinein. Es ist eine Garnele mit Chili auf Mürbeteig, und es ist einfach köstlich. Genauso wie das Avocado-Mozzarella-Röllchen.

Als ich alles aufgegessen habe, fühle ich mich tausendmal besser. Wie sich herausstellt, betreibt Erica einen professionellen Partyservice! Sie will ein ganzes Sortiment vorbereiten und selbst servieren. Und der Missoni-Mantel steht ihr fabelhaft, besonders wenn ich noch einen Lackgürtel und ein Paar kniehohe, glänzende Prada-Stiefel drauflege (die mir ins Schienbein schneiden, weshalb ich sie sowieso nie getragen habe) und ihr dann noch die Haare mache.

Und sie hat gesagt, wenn ich möchte, dass sie die ganze Party versorgt, wäre sie auch bereit, noch mehr zu tauschen!

Ich glühe vor Stolz. Es hat geklappt! Hier bin ich, führe Tauschhandel in meiner Gemeinde, bin total grün und lobenswert, nutze die Ressourcen der Welt, wie man es tun sollte. Ohne Geld, ohne Kreditkarten, ohne Abfall. Ich kann es kaum erwarten, Jess davon zu erzählen!

Selig schwebe ich ins Haus und sehe nach Minnie. Dann stelle ich mein Notebook an und rufe Ericas Website auf, nur so interessehalber. Wow. Echt beeindruckend. Da ist sie, sieht mit ihrer Schürze richtig gepflegt und professionell aus. Und da ist auch eine Seite mit Referenzen... und hier ist eine Liste mit Speisekarten ... und ...

Bitte? Schockiert starre ich die Website an. Ich kann es nicht glauben.

Der Missoni-Mantel, die Prada-Stiefel und der Gürtel, die ich getauscht habe, sind zusammen bestimmt tausendsechshundert Pfund wert, mindestens -und hier steht, ich könnte genau dieselbe Menge Schnittchen bei ihrem »Knabber-SpecialDeal« für zwölfhundert Pfund kriegen.

Ich habe vierhundert Pfund zu viel bezahlt. Kein Wunder, dass sie so erpicht darauf war. Als ich den Computer herunterfahre, schäme ich mich förmlich. Ich hatte doch recht. Tauschhandel ist ein dämliches, nutzloses System, und es hatte seinen guten Grund, dass es aus der Mode kam, und ich mache es nie, nie wieder. Was ist so falsch an Geld?

DA. JAMES LINFOOT

36 HARLEY STREET

LONDON W1

Rebecca Brandon

The Pines

42 Elton Road

Oxshott

Surrey

17. Februar 2006

Liebe Rebecca,

vielen Dank für Ihren Brief vom 15. Februar.

In der Tat bin ich Herz-Lungen-Spezialist und höre mit Bedauern von Ihren Symptomen. Jedoch halte ich es für unwahrscheinlich, dass diese durch einen »Shopping-Totalentzug« ausgelöst wurden.

Ich bin keineswegs der Ansicht, dass Sie »aus gesundheitlichen Gründen unbedingt ein paar Kleinigkeiten kaufen« müssen. Ebenso wenig kann ich Ihnen »ein Rezept zum Shoppen« ausstellen.

Ich schlage vor, dass Sie Ihren Hausarzt aufsuchen, falls die Symptome andauern sollten.

Mit freundlichen Grüßen

James Linfoot



ZENTRALHEHÖRDE FÜR FINANZ UND WIRTSCHAFTSPOLITIK


5. Stock

180 Whitehall Place

London SW1


Mrs. Rebecca Brandon

The Pines

43 Elton Road

Oxshott

Surrey

20. Februar 2006


Liebe Rebecca,

danke für Ihren Brief vom 16. Februar.

Ich verstehe die Empörung angesichts Ihrer jüngsten Tauscherfahrung. In der Tat werde ich den Schatzkanzler -sollte ich Gelegenheit dazu bekommen -warnen, dass »Tauschhandel wohl doch nicht das Richtige ist.« Machen Sie sich bitte keine Sorgen: Er hat noch nicht damit begonnen, »unser ganzes Zeug mit Frankreich zu tauschen.«

Falls es Sie trösten sollte, war die Ineffektivität illiquider Finanzinstrumente für Investoren von jeher ein Quell der Enttäuschung. Zufällig schreibe ich momentan an einem Aufsatz mit dem Titel »Eine Geschichte der Schätzung und Kalkulation illiquider Investitionen seit 1600( für die Britische Zeitschrift für Geldwirtschaft. Mit Ihrer Erlaubnis würde ich gern Ihr Beispiel für einen enttäuschenden Tauschhandel als kleine »Anekdote« beifügen. Selbstverständlich werde ich Sie in einer Fußnote erwähnen, wenn Sie es wünschen.

Mit freundlichen Grüßen

Edwin Tredwell

Abteilungsleiter

Strategierecherche


ALARIS PULIKATIONS LTD


Mrs. Rebecca Brandon

The Pines

43 Elton Road

Oxshott

Surrey

27. Februar 2006


Liebe Rebecca,

vielen Dank für Ihre Demo-CD »Beckys Inspirative Vorträge«, die wir uns angehört haben. Zweifellos waren die Vorträge sehr lebendig und einige der Anekdoten ausgesprochen amüsant.

Sie versichern, dass sich Ihre, »profunde und spirituelle Botschaft dem Zuhörer laut und deutlich vermittelt.« Leider waren wir auch nach mehrmaligem Anhören nicht in der Lage herauszufiltern, worin diese Botschaft besteht. Eher scheint Ihr Text mehrere Botschaften zu haben, von denen sich manche widersprechen.

Daher werden wir keine zwölfteilige Reihe herausgeben und diese im Fernsehen bewerben, wie Sie vorschlagen.

Herzliche Grüße

Celia Hereford

Lektorat Mind-Body-Spirit


Загрузка...