20


Und plötzlich ist es fünfzehn Uhr am nächsten Tag. Keine vier Stunden mehr.

Ich hab den ganzen Tag noch nichts gesessen, und meine Beine tun mir weh, und mein Handgelenk. ist ganz steif vom Telefonieren ... aber es ist so weit. Endlich ist es so weit. Alles befindet sich an Ort und Stelle, und es sieht einfach wunderschön aus. Alle stehen bereit. Die Team-Leader haben ein letztes Mal getagt. Elinor schuftet wie wild. Sie und Jess bilden ein eigenes, kleines Team, das Listen abhakt und noch einmal jedes Detail checkt. Die beiden sind ganz besessen davon, mögliche Fehlerquellen auszuschalten, und übertrumpfen sich gegenseitig als Party-Krisenfeuerwehr.

Dauernd sagt Jess zu Elinor, wie gut sie das mache und dass sie nach Chile kommen und ihr Organisationstalent für etwas Sinnvolles einsetzen solle. Ob sie denn schon mal daran gedacht habe, sich ehrenamtlich zu engagieren? Woraufhin Elinor nur diese leere, steinerne Miene aufsetzt. (Sodass ich mir Jess gegenüber nicht verkneifen konnte: » Wer sagt, eine Party sei nichts Sinnvolles?«)

Luke ist immer noch bei Sage auf ihrem Filmset in den Pinewood Studios, und sie hält mich per SMS auf dem Laufenden. Offensichtlich wissen alle Bescheid, die Schauspieler und auch das Team. Sie haben ihm erst mal sein neues Handy abgenommen und ihn mit Kopfhörern auf einen Regiestuhl gesetzt. Als er irgendwann unruhig wurde, haben sie ihn zwischen Set und Wohnwagen herumgeführt. Dann haben sie ihm ein Mittagessen verpasst. Dann hat sich Sage eine kleine Beschwerdenummer ausgedacht. Dann haben sie ihn wieder auf den Regiestuhl gesetzt. Jedes Mal, wenn er was sagen will, sagt sie: »Schscht! Ich muss mich konzentrieren!«, oder der Regisseur schnauzt ihn an.

Im Grunde ist er also bis um sechs beschäftigt. Dann will Bonnie ihn anrufen und sagen, dass sie ihm aus Versehen einen wichtigen Vertrag nach Hause geschickt hat, der noch heute unterschrieben werden muss, und ob er den wohl unterzeichnen und ihr rüberfaxen kann ... und der Wagen bringt ihn dann hierher. Und ich nehme ihn an der Tür in Empfang. Und dann ...

Jedes Mal, wenn ich daran denke, kriege ich Gänsehaut. Ich kann es nicht mehr abwarten. Ich kann nicht mehr warten!

Die Leute vom Partyservice wuseln in Janices Küche herum. Das Zelt ist hell erleuchtet wie ein Raumschiff. Janices Garten sieht aus wie ein Wimpelmeer.

Jetzt muss ich nur noch in die Badewanne und meine Nägel machen und Minnie anziehen ...

»Hallo, Becky, Liebes.«

Als ich Mums Stimme höre, fällt mir fast mein Teebecher aus der Hand. Ich habe sie gar nicht kommen hören.

Mir wird ganz flau im Magen, als sie das Zimmer betritt. Dafür bin ich noch nicht bereit. Die einzige Kommunikation zwischen Mum und mir bestand in den letzten Tagen aus kryptischen Nachrichten über Janices Handy.

Es fing damit an, dass Janice Mum und Dad auf einen Drink vor der Party eingeladen hat, woraufhin Mum antwortete, wenn ihre eigene Tochter sie nicht einlüde, wolle sie auch nicht kommen. Janice schrieb zurück, sie sei sicher, dass Mum eingeladen sei. Ob sie denn keine Einladung bekommen habe. Mum antwortete gereizt, man habe sie wieder ausgeladen. Also habe ich Janice gesagt, sie soll Mum sagen, sie sei nur ausgeladen, wenn sie es auch sein wolle. Und Mum sagte, sie wolle sich nicht aufdrängen, wenn sie nicht willkommen sei. Dann mischte sich Dad ein und rief Janice an und sagte, wir hätten doch nicht mehr alle Tassen im Schrank. Und dabei blieb es dann irgendwann.

»Oh.« Ich schlucke. »Hi, Mum. Ich dachte, ihr seid noch im West Place. Wo ist Dad?«

»Draußen im Auto. Heute Abend ist also die Party, ja?« Ihre Stimme klingt so steif und verletzt, dass ich direkt vor ihr zurückschrecke und gleichzeitig etwas grantig werde. Sie hat es sich doch mit Schlammpackungen und Cocktails gut gehen lassen. Wieso ist sie denn jetzt so grantig?

»Ja.« Ich mache eine kurze Pause, dann füge ich achselzuckend hinzu: »Du hattest übrigens recht. Es wäre beinahe ein Desaster geworden. Wie sich herausstellte, konnte ich es tatsächlich nicht allein.«

»Liebchen, niemand hat gesagt, dass du es allein machen solltest. Und es tut mir leid, dass ich gesagt habe ... « Mum kommt ins Stocken.

»Also, mir tut es auch leid«, sage ich etwas hölzern. »Ich hoffe, ich enttäusche dich heute Abend nicht.«

»Mir war nicht klar, dass ich eingeladen bin.«

»Nun ... mir war nicht klar, dass du es nicht bist.«

So stehen wir einander gegenüber, die Blicke abgewandt. Ich weiß nicht, wie es jetzt weitergehen soll.

»Ach, Liebes.« Mums kühle Fassade fällt zuerst in sich zusammen. »Lass uns nicht streiten. Es tut mir leid, dass ich ihn erwähnt habe, diesen ... du weißt schon. Mr. Wham diesen Club-Tropicana-Bengel. Wake me up before you go go.«

»Ich weiß, wen du meinst«, sage ich eilig, bevor sie das komplette Wham-Programm herunterrattert.« Ich wollte dich nicht entmutigen. Ich hatte nur Angst um dich, Liebes.«

»Mum, du musst dir um mich keine Sorgen machen.« Ich rolle mit den Augen. »Ich bin erwachsen, oder? Ich bin neunundzwanzig. Ich bin Mutter.«

»Ich bin auch Mutter!« Mit theatralischer Geste schlägt sie sich an die Brust. »Du wirst es sehen, Liebes! Es hört nie auf, niemals!«

Oh, mein Gott. Stimmt das? Werde ich mir immer noch Sorgen um Minnie machen, wenn sie achtundzwanzig und verheiratet ist?

Nein. Nie im Leben. Ich bin nicht wie Mum. Da bin ich inzwischen auf Kreuzfahrt in der Karibik und amüsiere mich.

»Jedenfalls ... », sagt Mum. »Dad und ich haben in den letzten paar Tagen viel geredet, im Dampfbad und während der Massagen ... «

Ehrlich. Sind meine Eltern eigentlich auch mal aus der Wellness-Oase rausgekommen?

»Ich verstehe, wieso du vielleicht das Gefühl hattest, du müsstest uns wegen des Hauses in die Irre führen«, sagt Mum mit hellroten Wangen. »Es tut mir leid, dass ich überreagiert habe, Liebes. Und ich bin mir darüber im Klaren, dass ich in den letzten Wochen etwas ... verspannt war.« Sie seufzt schwer. »Es war eine schwierige Zeit, wir alle zusammen im selben Haus ... und das Kürzertreten hat es nicht einfacher gemacht ...«

»Ich weiß.«, Sofort tut es mir leid. »Und ich bin so dankbar, dass wir hier sein durften ...« »Du musst nicht dankbar sein! Hier ist dein Zuhause, Liebes!«

»Aber trotzdem. Es war einfach zu lange. Kein Wunder, dass wir alle etwas gereizt waren. Tut mir leid, dass dich unser ganzes Zeug belastet hat, und die Flunkerei tut mir auch leid ...« Auch meine kühle Fassade ist in sich zusammengefallen. »Und selbstverständlich wünsche ich mir, dass du zur Party kommst, wenn du möchtest.«

»Natürlich möchte ich! Janice sagt, es wird ganz wundervoll. Sie sagt, sie kümmert sich ums Make-up! Sie hat extra drei Tuben Tauche Eclat besorgt!«

Ich muss mit Janice sprechen.

»Es wird bestimmt ganz toll. Wart's ab!« Es sprudelt nur so aus mir heraus. »Warte, bis du den Geburtstagskuchen siehst, Mum! Und die Deko!«

»Ach, Schätzchen, komm her.« Mum breitet ihre Arme aus und drückt mich fest an sich. »Ich bin so stolz auf dich. Bestimmt wird es ganz wunderbar! Janice sagt, das Thema ist jetzt Stolz und Vorurteil? Luke sieht als Mr. Darcy bestimmt super aus! Ich habe mir eine Haube gekauft, und Dad hat Knickerbocker bekommen, und ich will mir noch Locken in die Haare ... «

»Bitte?« Ich weiche zurück. »Das Thema ist nicht Stolz und Vorurteil! Wo kommt das denn her?«

»Oh.« Mum ist erstaunt. »Also, ich bin mir sicher, dass Janice gesagt hat, sie trägt das hübsche, blaue Kleid, das sie bei dieser Aufführung ihrer Theatergruppe ...«

Du meine Güte. Nur weil Janice ihr Mrs.-Bennet-Kostüm trägt, ist alles plötzlich Stolz und Vorurteil? »Das Thema ist nicht Stolz und Vorurteil! Und es ist auch nicht Japan. Also komm mir gar nicht erst mit deinem Kimono.«

»Aber was dann? Gibt es denn ein Thema?«

»Mehr oder weniger.» Einen Moment lang debattiere ich mit mir selbst -dann fälle ich eine spontane Entscheidung. »Komm mal mit.«

Ich ziehe sie in die Küche, schließe meine Aktenkiste auf und hole Dannys Zeichnungen hervor. »Hier sind die Entwürfe. Top secret. Kein Wort zu irgendwem.«

Mum betrachtet sie einen Moment lang unsicher, dann sehe ich ihr an, dass sie es wiedererkennt.

»Oh, Becky«, sagt sie schließlich. »Oh, Schätzchen.«

»Ich weiß.« Ich strahle sie an. »Ist das nicht toll?«

Ich war es, die darauf bestanden hat, dass es eine individuelle, maßgeschneiderte Party werden soll, die eher Luke etwas bedeutet als allen anderen. Und ich war es auch, die mit der entscheidenden Idee ankam. Aber wenn ich ehrlich sein soll, war es Elinor, die das alles ermöglicht hat. Elinor, ihr Multimillionen-Scheckbuch und ihre Weigerung, sich mit abschlägigen Antworten abzufinden.

»Aber wie um alles in der Welt ...« Staunend blättert sich Mum durch die Seiten. »Ich hatte Hilfe«, sage ich vage. »Große Hilfe. »Nur Suze, Jess, Bonnie und Danny wissen, dass Elinor beteiligt ist. Irgendwie hat Elinor es fertiggebracht, die Fäden aus dem Hintergrund zu ziehen. Der Partyservice und das Personal glauben, ich hätte das Sagen, denn ich bezahle auch alles, und ich bin der Boss. Nicht mal Janice ahnt etwas.

Womit ich mich zunehmend unwohl fühle, je länger es dauert. Ich meine, Elinor hat so viel getan. Sie sollte auch die Anerkennung dafür einstecken. Aber was kann ich daran ändern?

»Und was hast du mit Luke angestellt?« Mum sieht sich um, als hätte ich ihn vielleicht in einen Küchenschrank gesperrt. »Alles okay. Er ist auf einem Filmset, bei einer neuen Klientin.«

»Filmset?« Mum macht große Augen.

»Schscht! Ich soll nichts davon wissen! Er ist noch drei Stunden beschäftigt.« Ich werfe einen Blick auf meine Uhr. »Dann kommt er her und ... Überraschung!«

»Und was willst du anziehen, Becky, Schätzchen?« Neugierig dringt Mum auf mich ein, mit leuchtenden Augen. »Hast du dir was Neues gekauft?«

Einen Moment lang tue ich, als hätte ich die Frage nicht gehört. Ich habe den Gedanken verdrängt.

»Becky? Hast du dir etwas gekauft?«

»Nein«, sage ich schließlich. »Habe ich nicht. Ich suche mir irgendwas aus meinem Schrank.«

»Süße!« Mum klingt erstaunt. »Das sieht dir gar nicht ähnlich!«

»Ich weiß.« Ich sinke auf einen Stuhl und pule etwas mutlos an meinen Fingernägeln herum. »Aber ich durfte ja schließlich nicht shoppen gehen, oder? Ich hatte es Luke versprochen.«

»Damit meinte er doch bestimmt nicht so eine Party. Ich meine, da würde er doch sicher eine Ausnahme machen ... «

»Ich wollte es nicht riskieren. Du verstehst ihn nicht, Mum. Er nimmt alles so ernst. Nanny Sue hat gesagt, ich bin ein Shopaholic«, füge ich finster hinzu. »Sie hat gesagt, ich muss ins Boot Camp, sonst wird Minnie auch so.«

»Was?« Mum sieht angemessen aufgebracht aus. »Was für ein Unsinn! Hör nicht darauf Geldgierige Scharlatane, alle, wie sie da sind. Boot Camp klingt in meinen Ohren nach Abzocke« »Da gehst du doch nicht hin, oder, Schätzchen?«

Ich liebe meine Mum. Sie sagt immer das Richtige.

»Weiß nicht. Vielleicht. Die Sache ist, dass Luke ihr total geglaubt hat.« Ich seufze. »Und schließlich ist es sein Geburtstag. Es ist sein Tag. Wie könnte ich mir da ein neues Kleid kaufen?«

Ich möchte nicht zugeben, wovor ich mich eigentlich fürchte ... nämlich davor, dass ich eine großartige Überraschungsparty organisiere, dann aber alles verderbe, weil er mich fragt, wie viel meine neuen Schuhe gekostet haben, und wir dann am Ende deshalb Streit bekommen.

»Also habe ich einen Entschluss gefasst.« Ich hebe mein Kinn an. »Es wird etwas aus meinem Schrank sein. Schluss. Aus.«

»Nun ... schön für dich, Liebes.« Sie lächelt mich aufmunternd an. »Ich sag dir was: Lass uns jetzt gleich mal zu deinem Schrank gehen und dir was aussuchen. Mal sehen, was wir finden. Hopp-hopp!«

Als ich ihr die Treppe hinauf folge, sind meine Beine schwer. Deshalb habe ich diesen Augenblick hinausgezögert. Alle anderen werden heute Abend neue Kleider tragen, sogar Minnie.

Egal. Macht nichts. Ich habe ein Versprechen gegeben und muss das Beste daraus machen. Es ist ja nicht so, als hätte ich nichts anzuziehen.

»Und hattest du denn schon eine Idee?«, sagt Mum, als wir das Schlafzimmer betreten. »Was hast du denn in deinem Schrank?«

»Vielleicht mein schwarzes Spitzenkleid?« Ich versuche, heiter zu klingen. »Oder dieses blaue Kleid, das ich vor Weihnachten anhatte? Oder vielleicht. .. « Ich öffne die Schranktür und erstarre mitten in der Bewegung. Was ist das?

Wieso hängt da dieser brandneue, elegante Kleiderbeutel von The Look mitten in meinem Schrank? Und wieso ist da eine große Schleife dran?

»Mach ihn auf!«, sagt Mum ganz aufgeregt. »Los, mach!«

Mit kleinen, argwöhnischen Blicken ziehe ich den Reißverschluss auf. Ich sehe teure, dunkelgrüne Seide und atme scharf ein. Nein. Das kann doch nicht ...

Ich ziehe den Reißverschluss ganz herunter, nur um sicherzugehen ... Und die Seide fließt aus dem Kleiderbeutel wie ein dunkelgrün schimmernder Fluss.

Es ist von Valentino.

Es ist das enge Togakleid von Valentino mit dem Strass an der Schulter, das vor einem Monat bei The Look hereinkam und das ich mindestens zwanzig Mal anprobiert habe, das ich mir aber nie im Leben leisten könnte und ...

Plötzlich entdecke ich am Bügel eine Geschenkkarte und öffne sie mit tastenden Fingern.


Für Becky. Eine Kleinigkeit, die Du Dir aus Deinem Schrank aussuchen kannst.

In Liebe von Mum und Dad.


»Mum.« Mir schießen Tränen in die Augen, und ich zwinkere wie wild. »Das muss doch nicht ... ihr sollt doch nicht ... «

»Es war Janice!« Mum kann nicht länger an sich halten. »Sie hat mir erzählt, dass du dir nichts Neues kaufen willst. Na, das konnten wir doch nicht zulassen! Nicht unsere kleine Becky! Und so ist es doch aus deinem Kleiderschrank! Verstehst du? Begreifst du, Liebes?« Sie ist außer sich vor Stolz. »Es hing schon in deinem Schrank! Du hältst dein Versprechen Luke gegenüber!«

»Ich verstehe, glaub mir«, sage ich halb lachend, halb weinend. »Aber, Mum, das Kleid ist von Valentino! Es kostet ein Vermögen!«

»Ach, nicht der Rede wert!« Mum atmet tief ein. »Aber weißt du, Wendy's Boutique in Oxshott führt sehr preiswerte Abendkleider, und manchmal frage ich mich, wieso ihr Mädchen ... «

Sie stutzt, als sie meinen Gesichtsausdruck sieht. Im Laufe der Jahre waren wir oft genug unterschiedlicher Ansicht, wenn es um Wendy's Boutique ging. Jedenfalls habe ich deine nette Kollegin Jasmine gefragt, was ich kaufen sollte, und sie hat mir gleich dieses Kleid empfohlen. Und sie hat es mir zum Personalpreis überlassen, plus einem weiteren, großen Rabatt, weil es beschädigt ist!“, endet sie triumphierend. Beschädigt?“ Ich sehe es mir genauer an. »Es ist nicht beschädigt!«

»Sie hat den Saum eingeschnitten«, sagt Mum verschwörerisch. »Die Kleine ist echt clever. Und dann haben alle deine netten Freundinnen gesammelt und was dazugegeben. Von denen ist es also auch.«

»Welche Freundinnen?“ Ich komme nicht ganz mit. »Du meinst Jasmine?“

»Nein! Alle deine Shopping-Freundinnen. Deine Kundinnen! Weißt du, die waren auch alle da. Die haben auch eine Karte unterschrieben ... wo ist sie nur?« Sie fängt an, in ihrer Tasche herumzuwühlen. »Da ist sie ja.«

Sie reicht mir eine schlichte Smythson-Karte, auf die jemand gekritzelt hat: »Viel Spaß heute Abend, Becky! Wir sehen uns GANZ BALD bei The Look wieder! Alles Liebe von Davina, Chloe und allen deinen treuen Freundinnen.«

Darunter stehen ungefähr zwanzig weitere Unterschriften, und ich lese sie mit wachsender Verwunderung .

»Aber was haben die denn alle gleichzeitig im Laden gemacht?“

»Sie haben ihre Kleider zurückgebracht!«, sagt Mum, als sei das naheliegend »Wusstest du das nicht? Sie haben eine Kampagne gestartet, dass man dich wieder einstellen soll!«

Sie gibt mir ein knallpinkes Flugblatt, und ich nehme es ungläubig entgegen. Davon hat Davina gesprochen?

HOLT BECKY ZURÜCK!!!

Die Unterzeichner protestieren gegen die Behandlung

unserer hoch geschätzten Freundin und Modeberaterin

Becky Brandon (geborene Bloomwood).

Aufgrund der herzlosen und ungerechtfertigten

Behandlung durch The Look werden wir die

-Personal-Shopping-Abteilung boykottieren

-die Botschaft an unsere Freunde und Bekannten weitergeben

-uns mit sofortiger Wirkung entshoppen.

»Entshoppen?« Lachend blicke ich auf. »Was soll das bedeuten?«

»Sie bringen alles zurück, was sie gekauft haben«, sagt Mum zufrieden. »Und zu Recht. Da war eine lange Schlange, alle hübsch gekleidet, und alle brachten teure Sachen zurück, noch eingepackt. Und allen wurde ihr Geld auf ihre goldenen Kreditkarten zurückgebucht. Ich wage mir gar nicht vorzustellen, wie viel das alles wert war. Eine Frau hatte drei lange Kleider. Yves Saint irgendwas? Fünftausend Pfund pro Stück. Blonde Frau aus Russland oder irgendwie so?«

»Olenka?«, sage ich erstaunt. »Diese Kleider waren Sonderanfertigungen. Sie hat sie zurückgebracht?«

»So hat sie sie auf den Tresen geworfen.« Mum zeigt es mir mit großer Geste. »Ganz schön theatralisch, oder? »Dasss ist für Becky, und dasss ist für Becky.« Dann kam der Geschäftsführer runter in die Abteilung.« Mum läuft gerade erst warm, um mir alles zu erzählen. »Ich kann dir sagen, der kriegte es mit der Angst zu tun, als er sah, wie lang die Schlange war. Er wurde echt nervös. Er meinte: »Aber meine Damen, überlegen Sie es sich doch noch mal.« Er hat allen einen Cappuccino angeboten. Aber sie haben ihn nur ausgelacht.«

»Da möchte ich wetten!« Ich kann mir richtig vorstellen, wie Trevor versucht, meine Kundinnen zu bändigen. Die sind ein ganz schön burschikoser Haufen.

»Sollte er dich also nicht heute noch anrufen, um sich zu entschuldigen, fresse ich einen Besen«, sagt Mum zuversichtlich. »Nach allem, was ich so höre, solltest du von denen etwas fordern.«

»Moment.« Plötzlich pocht das Blut in meinen Schläfen. »Moment mal, Mum! Ich habe dir doch gar nicht erzählt, dass ich vorläufig entlassen wurde.«

»Das weiß ich wohl«, sagt sie nüchtern. »Ich war etwas überrascht, das muss ich zugeben. Ich meine, ich wusste ja, dass es dein freier Tag war. Ich habe nur nicht geahnt, dass du jetzt Jeden Tag frei hast!« Sie lacht fröhlich.

»Du bist also hergekommen ...«, sage ich ungläubig, »und wusstest, dass ich meinen Job los war, und hast kein Wort gesagt?«

»Was soll ich sagen? Du wirst es schon regeln. Wir machen uns wohl Sorgen um dich, Becky. Aber wir glauben doch auch an dich!« Mum tätschelt meine Hand. »Es wird schon werden.«

»Oh, Mum.« Mein Blick schweift vom Valentino-Kleid zu ihrem lieben, vertrauten Gesicht, und ich merke, wie mir schon wieder die Tränen kommen. »Ich kann nicht fassen, dass ihr mir ein Kleid gekauft habt.«

»Tja, Liebes.« Wieder tätschelt sie meine Hand. »Wir hatten es so schön im West Place. Wir wollten uns bei dir bedanken. Mit Schuhen übrigens auch!« Sie nickt zum Schuhkarton unten im Schrank.

»Schuhe auch?« Ich greife nach dem Karton.

»Ja, Aschenputtel!« Mums Augen blitzen. »Nach allem, was man hört, will sogar Jess zu diesem Anlass ein hübsches, neues Kleid anziehen.«

» Was du nicht sagst ... « Ich rolle mit den Augen.

Jess' Kleid war ein endloses Drama. Erst wollte sie dieses triste, farblose Baumwoll-Shiftkleid aus dem Öko-Katalog bestellen. Da habe ich ihr gesagt, sie soll doch lieber etwas Schickeres anziehen, aber sie saß sofort wieder auf dem hohen Ross und meinte, wieso sie die Wegwerfgesellschaft unterstützen soll, wenn sie es ja doch nur einen Abend trägt? Woraufhin ich sagte: »Ich meinte eigentlich, du sollst dir was ausleihen. Das machen alle Promis, und es ist viel umweltfreundlicher, als sich was aus dem Katalog zu bestellen. Worauf sie keine Antwort hatte. Also wird sie ein exklusives Stück von Danny Kovitz tragen. Da gibt es kein Entrinnen. Begeistert reiße ich gerade den Schuhkarton auf, als mein Handy klingelt.

»Ich hol's dir, Liebes.« Mum langt über den Stuhl, auf dem mein Handy liegt. »Es ist. .. « Sie sieht sich den kleinen Bildschirm genauer an, mit offenem Mund. »Sage Seymour? Sage Seymour, die Schauspielerin?«

»Ja!« Ich muss richtig lachen. »Schscht! Cool bleiben!«

Ich gehe davon aus, dass Sage mir ein neues Update geben will, was Luke angeht. Als sie zuletzt anrief, aß er offenbar gerade einen Burrito und unterhielt sich mit dem Choreografen.

»Hi, Sage! Wie läuft's?«

»Er ist weg!« Sie klingt verzweifelt. »Es tut mir so leid.«

»Was?« Ich richte mich auf, und ein Stück Seidenpapier bleibt an meinen Fingern kleben. »Aber ... wie?«

»Er ist einfach aufgestanden und abgehauen. Hat sich einen Wagen besorgt und ist weg. Hat nicht mal sein Handy beim Aufnahmeleiter abgeholt. Ich war in der Maske und hab nichts mitbekommen ... «

»Wie lange ist es her?«

»Eine halbe Stunde vielleicht ... «

Eine halbe Stunde? Mein Puls geht schneller. »Und wo ist der Wagen hingefahren? Können Sie das rausfinden?«

»Nein! Es war nicht mal einer von uns. Offenbar hat er gesagt, er muss los, und der Produzent hatte versprochen, ihm einen Wagen zu besorgen, sobald einer frei wäre, um ihn noch etwas hinzuhalten ... aber er wollte wohl nicht warten.«

Das ist mal wieder typisch Luke. Er kann einfach nicht stillsitzen und es einfach mal genießen, sich auf einem Filmset herumzutreiben wie jeder andere auch. Nein, er muss sich einen Wagen besorgen und wieder an die Arbeit gehen. Prominente sind bei ihm glatt verschwendet.

»Ich muss zurück«, sagt Sage. »Becky, es tut mir leid. Wir haben es vermasselt.« Sie klingt, als täte es ihr ehrlich in der Seele weh.

»Nein! Seien Sie nicht albern! Sie haben es ganz toll gemacht. Es ist nicht Ihre Schuld, dass er weg ist. Wir finden ihn bestimmt wieder.«

»Okay, aber lassen Sie mich wissen, wie die Sache ausgegangen ist, ja?« »Natürlich.« Schwer atmend stelle ich mein Handy ab und sehe Mum an. »Du wirst es nicht glauben. Luke ist verschwunden. Keiner weiß, wo er ist.« »Na, dann ruf ihn doch an, Liebes! Bestimmt hat er sein Handy ... «

»Er hat kein Handy!«, heule ich fast. »Ich habe seinen BlackBerry kaputt gemacht, und das lausige Ersatzding hat er im Studio liegen lassen. Ich weiß nicht, welche Taxifirma er benutzt. Ich meine, ich schätze, er wird wohl wieder ins Büro fahren, aber ich kann es nicht sagen ...«

Ich spüre den Paukenschlag der Panik, als mir die ganze Monstrosität der Lage bewusst wird. Was ist, wenn er gar nicht auf dem Weg ins Büro ist? Was ist, wenn er nach Hause kommt? Er könnte einfach so hereinstolpern, bevor wir fertig sind.

»Okay.« Abrupt komme ich in Bewegung. »Wir müssen alle warnen. Ich rufe Bonnie an, du sagst Janice Bescheid, wir rufen alle Taxizentralen an ... wir werden ihn schon finden!«

Zehn Minuten später habe ich alle zu einem Krisentreffen in der Küche versammelt. Es ist alles noch viel schlimmer, als ich dachte. Bonnie hat mir eben eine Mail von Luke weitergeleitet, die er ihr vom E-Mail Konto der Filmfirma aus geschickt hat, bevor er das Studio verließ. Er meinte, er könnte es nicht rechtzeitig zur Schulung wieder ins Büro schaffen, entschuldigte sich dafür und wünschte ihr ein schönes Wochenende.

Was zum Teufel hat er vor? Wo will er hin?

Okay, Becky. Ganz ruhig. Er taucht schon wieder auf.

»Gut. .. « Ich wende mich der versammelten Mannschaft zu. »Oxshott, wir haben ein Problem. Luke hat sich abgesetzt. Also, ich habe eine Karte gezeichnet.« Ich deute auf mein eilig gebasteltes Flipchart. »Das hier sind die Richtungen, die er von den Pinewood Studios aus eingeschlagen haben könnte. Ich denke, den Norden können wir ausschließen ... «

»Oh!«, ruft Suze plötzlich mit Blick auf ihr Handy. »Tarkie schreibt, jemand von der Königlichen Familie hat die YouTube Clips gesehen und möchte Luke einen Glückwunsch senden. Die beiden sind irgendwo draußen auf der Jagd.« erklärt sie etwas verschämt, als alle sie anglotzen.

»Welches Mitglied?« Janice faltet die Hände. »Doch wohl nicht Prinz William!?« »Hat Tarkie nicht gesagt. Es könnte vielleicht Prinz Michael von Kent sein«, fügt Suze kleinlaut hinzu.

»Ach.« Alle sinken enttäuscht ein wenig zusammen.

»Oder David Linley?« Janice wird wieder munter. »Ich liebe seine Möbel, aber habt ihr mal die Preise gesehen?«

»Schluss damit!« Frustriert rudere ich mit beiden Armen. »Konzentriert euch! Wen interessieren denn die Möbel? Wir haben einen Notfall. Erstens brauchen wir draußen einen Wachposten, damit wir Luke ablenken können, falls er hierherkommt. Zweitens müssen wir uns überlegen, wohin er gefahren sein könnte. Drittens ... «

»Dein Telefon«, sagt Mum plötzlich. Mein BlackBerry vibriert auf dem Tisch und zeigt eine Nummer an, die ich nicht kenne.

»Das könnte er sein!«, sagt Dad.

»Schscht!«

»Still!«

»Stell ihn auf laut!«

»Nein!«

»Seid endlich still.«

Es ist, als riefe ein terroristischer Kidnapper an, nach tagelangem Warten. Alle sind ganz leise und starren mich an, als ich rangehe.

»Hallo?«

»Becky?<gestresst wir alle sind? »Halt ihn in der Leitung!«, zischt Mum wie ein FBI-Agent, der seinen Standort ermitteln will.

»Hi, Luke! Wo bist du? Im Büro?«

Das war gut. Tu so, als hättest du nicht die geringste Ahnung.

»Zufällig nicht. Ich bin im Berkeley Hotel. « yIch höre das Lächeln in seiner Stimme. »Und ich möchte dich und Minnie zu einer kleinen Geburtstagsfeier einladen. Wenn ihr Lust habt.«

Was-was-was-was-was?

Ich sinke auf einen Stuhl, als wären meine Beine aus Gummi, und versuche, die fragenden Mienen um mich herum auszublenden.

»Wie meinst du das?«, bringe ich schließlich hervor.

Wenn er sich selbst eine Geburtstagsfeier organisiert hat, ohne mir was davon zu sagen, bring ich ihn um. Das ist mein Ernst.

»Liebling, ich habe gemerkt, wie enttäuscht du gestern Abend warst, als ich gesagt habe, ich müsste zur Schulung«, sagt er. »Ich habe es dir angesehen.«

Nein, war ich nicht!, möchte ich schreien. War ich nicht! Du irrst dich!

»Ach, ja?«, kriege ich gerade so heraus.

»Und das hat mich nachdenklich gemacht. Heute ist mein Geburtstag! Scheiß auf die Arbeit, wir sollten feiern! Wir haben ein mörderisches Jahr hinter uns und haben eine kleine Belohnung verdient. Lasst uns zusammen ausgehen, nur wir drei, was essen, ein bisschen Champagner trinken ... und dann bringen wir Minnie nebenan ins Bett und kümmern uns um ihr kleines Geschwisterchen. « Schelmischer und verführerischer habe ich ihn noch nie gehört. »Was meinst du? Den Champagner habe ich schon bestellt.«

Ich kann nicht glauben, was ich da höre. Zu jedem anderen Zeitpunkt würde ich vor Freude sterben, wenn ich so eine Einladung bekäme. Zu jedem anderen Zeitpunkt!

»Okay«, sage ich kränklich. »Also ... das klingt ja wunderbar! Aber ... einen Moment mal eben ... « Ich halte meine Hand aufs Telefon und blicke verzweifelt in die Runde. »Er möchte, dass ich zu ihm in ein Hotelzimmer komme und mit ihm Champagner trinke! Auf seinen Geburtstag!« »Aber heute ist doch seine Party!«, sagt Janice, die es offenbar auf den ersten Preis für Offensichtliches abgesehen hat.

»Ich weiß, dass heute seine Party ist!«, sage ich ärgerlich. »Aber wie kann ich sein Angebot ablehnen, ohne mich verdächtig zu machen?«

»Beides tun?«, sagt Suze. »Champagner, feiern, sonst was und schnell wieder herkommen?«

Panisch denke ich es durch.

Champagner. Essen. Sex.

Wir könnten damit fertig sein in ... einer halben Stunde? Vierzig Minuten maximal? Dann wären wir immer noch pünktlich wieder hier.

»Ja.« Ich falle eine Entscheidung. »Ich fahr da hin, spiel mit und bring ihn so schnell wie möglich her. «

»Lass dir nicht zu viel Zeit, Liebes.« Janice sieht besorgt aus.

»Der Verkehr um diese Tageszeit kann grausam sein«, meint Martin. »Ich würde ihn mir unter den Arm klemmen und gleich wieder los.«

»Kann ich Minnie bei dir lassen, Mum?«

»Natürlich, Schätzchen!«

»Okay.« Ich hole tief Luft, wende mich wieder dem Telefon zu und versuche, so zuckersüß wie möglich zu klingen. »Hi, Luke. Ich komme so schnell wie möglich zu dir. Aber ohne Minnie. Mum ist hier und passt auf sie auf. Ich finde, wir sollten a´deux sein, meinst du nicht?«

»Noch besser.« Er gibt dieses knurrende Lachen von sich, dass ich so sehr liebe, und meine Eingeweide krampfen sich zusammen. Wieso muss er nur ausgerechnet heute versuchen, ein perfekter Ehemann zu sein?

Egal. Wie dem auch sei. Ich muss los.

»Bis gleich!«, hauche ich. »Hab dich lieb!«

Luke hat eine Suite gebucht, und als er die Tür aufmacht, hält er ein Glas Champagner in der Hand. Leise, jazzige Musik läuft, und er trägt einen Morgenrock. Einen Morgenrock.

»Hallo, du.« Er lächelt und beugt sich zu mir herab, um mich zu küssen.

Oh, Gott. Alles ist noch viel extremer, als ich dachte. Er hat voll einen Gang zurückgeschaltet. Er bewegt sich langsamer, seine Stimme klingt träger. So entspannt habe ich ihn seit unseren Flitterwochen nicht mehr erlebt. Und die Suite ist zauberhaft, holzgetäfelt, mit plüschigen Sofas und einem riesigen Bett. Zu jedem anderen Zeitpunkt ...

»Hi!« Ich mache mich los. »Na, das ist ja eine Riesenüberraschung! Wie ... wie lange planst du das schon?«

»Es war absolut spontan.« Luke grinst. »Ich wollte eigentlich zu so einer langweiligen Schulung, die Gary organisiert hat. Und dann dachte ich plötzlich -wieso eigentlich? Im Grunde bist du schuld«, fügt er über seine Schulter hinweg hinzu, als er zur Cocktailbar geht.

»lch bin schuld?« Soll das ein Witz sein?

»Wie oft hast du mir nicht schon gesagt, wir sollten öfter mal relaxen, ausspannen, uns amüsieren ... Du hattest völlig recht.« Er streicht mir übers Haar. »Ich hoffe, es gefällt dir.«

»Ja«, sage ich schrill. »Es ist super.«

»Dann gehen wir es heute ganz ruhig an. Wir haben die ganze Nacht Zeit.« Er reicht mir ein Glas und küsst mir sehnsuchtsvoll den Hals. »Soll ich uns ein Bad einlassen? Die Wanne ist groß genug für zwei. «

Ein Bad? Wie lange dauert so was? Das muss ich sofort abbiegen. Alles muss erheblich schneller gehen. Ich werfe einen Blick auf meine Uhr und spüre meine Panik. Es ist schon später, als ich dachte. Wir müssen noch auf eine Party. Wir haben keine Zeit für ein Bad!

Aber andererseits ... wenn ich ihn mir so ansehe. Er wird am Boden zerstört sein. Und er hat sich so viel Mühe gegeben, und das Badezimmer ist bestimmt ganz hübsch ...

Wir könnten ein ganz kurzes Bad nehmen. Rein, raus, fertig. »Gute Idee! Ich mach das schon!« Ich haste in das luxuriöse Marmorbad und drehe die Hähne auf. Oh, wow! Toilettenartikel von Asprey. Ich muss einfach das Badeöl aufmachen und daran schnuppern. Mmmmh.

»Ist es nicht wunderbar?« Luke steht hinter mir und schlingt die Arme um mich, fest und stark. »Nur wir zwei, die ganze Nacht. Keine Termine, keine Hetze ... «

Okay, wir haben keine Zeit für endloses Geplänkel.

»Luke ... mh ... das mit dem Sex muss schnell gehen.« Ich drehe mich um und überlege angestrengt. »Es muss ganz, ganz schnell gehen, weil ... ich einen Jungen bekommen möchte. «

»Bitte?« Luke sieht aus, als fehlten ihm die Worte. Das kann man ihm wohl nicht verdenken, denn ich denke mir das alles gerade aus.

»Ja.« Ich nicke ernst. »Ich habe ein Buch darüber gelesen, und da stand, dass man es ganz schnell tun soll. Kein Vorspiel. Nur ... bumm.«

»Bumm?«, wiederholt Luke skeptisch.

Warum ist er so widerwillig? Er sollte sich freuen. Ich meine, wenn ich ausplaudern würde, wie oft ...

Egal. Ist im Moment nicht wichtig.

»Bumm.« Ich nicke entschlossen. »Also ... komm her!«

Wieso rührt er sich nicht? Wieso runzelt er die Stirn und sitzt da auf dem Beckenrand und sieht aus, als hätte er gerade das nächste Problem entdeckt?

»Becky«, sagt er schließlich. »Ich fühle mich nicht wohl damit, auf ein bestimmtes Geschlecht abzuzielen. Ich liebe Minnie. Ich hätte auch gern noch eine Minnie. Aber falls du irgendwie das Gefühl haben solltest, dass ich unbedingt einen Sohn will ... «

»Nein, das denke ich nicht!«, sage ich eilig. »Es ist nur ... was spricht dagegen? Und später können wir es noch mal mit einem Mädchen probieren! Zum Ausgleich!«

Ich merke selbst, dass ich mir widerspreche, aber zum Glück ist Luke das schon gewohnt. »Die Wanne ist voll!« Ich reiße mir mein Top über den Kopf. »Komm schon!«

Okay, es scheint mir doch eher unnötig, bei dem, was dann passiert, übermäßig ins Detail zu gehen. Und außerdem gibt es da kaum Details. Nur dass wir im Bad anfangen und unter der Dusche enden und trotzdem nur vierzehn Minuten brauchen, und Luke merkt nichts davon, dass ich ihn sanft antreibe.

Nun, wenn ich ehrlich sein soll, habe ich das mit dem Antreiben irgendwie glatt vergessen, als wir dann dabei waren. Oder um es anders zu sagen: Wir haben uns beide gegenseitig angetrieben. Ich will nicht prahlen, aber ich glaube, wir hätten eine Olympiamedaille verdient, vielleicht in der Disziplin »Unterwasser-Paarformation«. Oder »Synchron-Freestyling «, Oder ...

Oh. Na gut, okay. Weiter im Text.

Entscheidend ist, dass es gut tut, einen Abend so zu beginnen. Ich glühe dermaßen, dass ich kein Rouge mehr brauche! Und wenn wir uns jetzt anziehen und sofort losfahren ...

»Möchtest du was essen?«

Als ich Haare rubbelnd ins Wohnzimmer komme, lümmelt Luke schon wieder im Morgenrock auf dem Sofa.

»Guck dir das hier mal an!« Er deutet zum Teller auf dem Tisch. »Fashion cakes.«

Fashion cakes?

Da kann ich nicht anders, als zu ihm hinüberzulaufen. Unwillkürlich stöhne ich vor Freude. Da steht ein ganzer Teller voll süßer, kleiner Törtchen in Form von Schuhen und Taschen.

»Jedes Teil ist einem anderen Modeaccessoire nachempfunden.« Luke sieht voll zufrieden aus. »Ich dachte, das würde dir gefallen. Probier mal!« Er gibt mir einen Stiefel mit Zuckerguss.

Der ist total lecker. Ich könnte heulen. Dieser Abend ist absolut perfekt, und ich muss ihn davon wegzerren ...

Vielleicht genehmige ich mir doch noch ein kleines Törtchen.

»Champagner?« Er schenkt mir nach.

Und noch ein Gläschen Champagner. Auf die Schnelle.

»Ist es nicht wundervoll?« Luke drückt mich an sich, und ich kuschle mich an seine Brust, genieße die Entspannung, spüre, wie sein Herz an meiner Haut schlägt. »Das war vielleicht ein Tag.«

»Das kannst du zweimal sagen.« Ich nehme einen großen Schluck Champagner.

»Dass ich plötzlich ohne meine technischen Gerätschaften auskommen musste, war seltsam befreiend. Ich bin jetzt achtundvierzig Stunden ohne E-Mails und Internet, und ich hatte nicht mal ein vernünftiges Telefon. Und weißt du was? Ich habe es überlebt.«

»Ich wusste es!« Ich drehe meinen Kopf und sehe ihn an. »Ich finde, du solltest jede Woche einen BlackBerry freien Tag haben. Das würde dir bestimmt guttun.«

»Vielleicht mache ich das auch«, sagt Luke, und seine Hand wandert zur Innenseite meines Oberschenkels. »Vielleicht kommen wir jetzt jede Woche hierher. Das würde mir guttun.«

»Ja, bestimmt!« Ich muss kichern. »Darauf trinken wir!« Als ich mein Champagnerglas anhebe, klingelt mein BlackBerry, und ich erstarre.

»Hör nicht hin«, sagt Luke entspannt.

»Aber es ist Mum«, sage ich schnell bei einem Blick auf das Display. »Es könnte was mit Minnie sein. Ich geh lieber ran ... Hallo?«

»Becky!« Mums Stimme ist so schrill und aufgedreht, dass ich direkt zusammenzucke. »Janice hat eben eine Verkehrswarnung gesehen! Totales Chaos auf der A3. Wie sieht's aus bei dir? Seid ihr schon unterwegs?«

Panik!

Oh, Gott. Wie komme ich dazu, hier Champagner zu trinken und Törtchen zu futtern? Ich sehe zu Luke hinüber. Mit geschlossenen Augen liegt er im Morgenmantel auf dem Sofa. Er sieht aus, als könnte er die ganze Nacht hierbleiben.

»Äh, noch nicht. .. «

»Na, dann würde ich langsam mal in die Gänge kommen, Liebes! Ihr wollt doch nicht im Stau stehen!«

»Mach ich! Wir sind unterwegs. Bis gleich.«

»Was ist?«, Luke kneift ein Auge auf, als ich den BlackBerry weglege. Mir bleiben etwa zehn Sekunden, um mir eine ausgewachsene, überzeugende Geschichte einfallen zu lassen.

Okay. Jetzt weiß ich.

»Luke, wir müssen los!«,dränge ich. »Minnie ist hysterisch, weil wir ihr keinen Gutenachtkuss gegeben haben. Wir müssen schnell nach Oxshott zurück und ihr ein Küsschen geben, damit alles seine Ordnung hat. Dann können wir wieder herkommen. Schnell! Zieh dich an!« Ich steige schon in meine Unterwäsche.

»Zurück?«, Luke setzt sich auf und starrt mich an. »Becky ... bist du verrückt geworden? Wir fahren nicht zurück!«

»Minnie ist in einem fürchterlichen Zustand! Mum sagt, sie wird noch krank davon. Wir können sie nicht einfach so im Stich lassen!«

»Sie wird schon zurechtkommen. Sie wird einschlafen, und alles ist gut.« Gelassen nimmt er einen Schluck Champagner, und ich merke, wie der Ärger an mir nagt. Ich meine, okay, Minnie ist nicht wirklich hysterisch, aber was wäre, wenn ...?

»Wie kannst du das sagen? Sie ist doch unser Kind!«

»Und wir haben uns einen Abend freigenommen! Das ist kein Verbrechen, Becky. Bis wir in Oxshott sind, ist sie garantiert längst eingeschlafen.«

»Aber ich kann mich dann nicht entspannen! Ich werde es nicht genießen können! Wie kann ich hier sitzen und Champagner trinken, wenn mein kleines Mädchen ...«, ich fische nach dem richtigen Wort,« ... Schüttelkrämpfe hat?«

»Schüttelkrämpfe?«

»Mum sagt, sie macht sich ernstlich Sorgen um Minnies Gesundheit. Sie sagt, so hat sie sie noch nie erlebt.« Trotzig starre ich Luke an. »Ich fahre, ob du mitkommst oder nicht.«

Einen schrecklichen Moment lang fürchte ich, er könnte sagen: »Na gut, dann fahr doch. Bis später.« Doch endlich stellt er sein Glas weg und seufzt.

»Gut. Meinetwegen. Wir fahren hin und geben ihr einen Gutenachtkuss. «

»Toll! Super!« Ich kann meine Erleichterung nicht verbergen. »Es ist noch früh. Wir können uns immer noch einen schönen Abend machen. Nehmen wir doch die Törtchen und den Champagner mit«, füge ich beiläufig hinzu. »Nur für den Fall, dass wir unterwegs Hunger kriegen.«

Nie im Leben lasse ich diese köstlichen Fashion Cakes hier stehen. Sobald ich angezogen bin, renne ich ins Badezimmer und schütte sämtliche Toilettenartikel in meine Tasche. Die lasse ich auch nicht hier.

Gerade bin ich so weit, dass wir los können, als mein BlackBerry piept.

Seid ihr schon unterwegs nach Oxshott? Hier ist alles fix und fertig!!!!! Suze.

Fast!, schreibe ich zurück. Bis gleich!!!!!!

Als wir mit dem Fahrstuhl abwärts fahren, lächle ich Luke nervös an. Plötzlich wird mir etwas bewusst. Wir sind fast am Ziel! Gleich erlebt er seine Überraschung. Nach so langer Zeit, nach so viel Planung ...

Die Aufregung steigt in mir empor wie ein funkelndes Feuerwerk, und ich muss ihn an mich drücken. »Alles okay?«

»Glaub schon.« Sarkastisch zieht er die Augenbrauen hoch. ..Ich hoffe, dafür kriegen wir irgendwo Engelspunkte gutgeschrieben.«

»Bestimmt.« Irgendwie bringe ich eine mehr oder weniger normale Stimme zustande, aber ich kann mich kaum beherrschen. Es ist so weit! In einer knappen Stunde sind wir da, und Luke wird Augen machen und dermaßen von den Socken sein, dass ihm einfach nichts mehr einfällt ...

Ich schiebe ihn aus dem Fahrstuhl ins Foyer. Meine Beine sind ganz wacklig. Mein ganzer Körper kribbelt vor freudiger Erwartung.

»Guck doch mal, wie lange die Bar geöffnet hat«, improvisiere ich. »Ich sehe nach, ob ich uns ein Taxi besorgen kann. »Draußen erwartet uns schon ein Wagen. Ich will so tun, als hätte ich ihn eben aufgetrieben.

»Luke? Luke Brandon?«

Ein Geschäftsmann mit Halbglatze steht an den Tresen des Concierge gelehnt und blickt auf. Er hat schon ein paar Drinks intus. Man sieht es an seinen blutunterlaufenen Augen.

»Oh. Hallo, Don.« Luke lächelt kurz. »Wie geht's? Donald Lister von Alderbury Consulting«, stellt er ihn mir vor. »Das ist meine Frau -Becky.«

Eine freudige Erleuchtung dämmert auf dem roten Gesicht des Mannes heran.

»Moment mal. Scheiße! Luke Brandon!« Er zeigt auf Luke, als hätte er die Wette gewonnen und wollte nun seine zehn Pfund kassieren. »Verdammt! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein Lieber! Wie läuft's denn so?«

Für einen Augenblick ist die ganze Welt verschwommen.

Okay, wir müssen los. Sofort. Ich will mir die Panik nicht anmerken lassen, schiebe meinen Arm durch Lukes und ziehe sanft an ihm, doch er rührt sich nicht.

»Gut, danke.«, Luke lächelt höflich und überrascht. »Woher wissen Sie denn davon?« »Soll das ein Witz sein? Alle sind doch ... « Der Mann stutzt, als er mein Gesicht sieht. »Scheiße.« Er räuspert sich betreten. »Hab doch hoffentlich nichts verraten, oder?«

Ich möchte etwas Kurzes und Scharfes erwidern, das ihn zum Schweigen bringt, ich möchte zurückspulen, ich möchte diesen blöden Kerl ersticken, ihn abschütteln, weggehen ...

»Ist die große Feier heute Abend?« Der Mann hält sich den Mund zu. »Wollen Sie etwa gerade dahin ...? Oh, Mist!«

Ich möchte mich wie eine Tigerin auf ihn stürzen und ihm den Kopf abreißen. Halt die Klappe, halt die KLAPPE!

»Sorry, sorry! Hab nichts gesagt.« Er macht eine Geste mit den Händen, als wollte er alles zurücknehmen, dann flüchtet er eilig über den marmornen Boden.

Aber er konnte nichts zurücknehmen. Die Worte sind raus und flattern wie fliegende Ameisen durch die Luft.

Zum ersten Mal wünschte ich, ich hätte einen stumpfen, neandertalermäßigen Idioten geheiratet.

Aber Luke ist kein Idiot. Und ich kenne ihn viel zu gut. Auf einen Fremden mag er eher leidenschaftslos wirken, doch ich habe gesehen, wie sein Hirn arbeitet. Ich konnte genau erkennen, wann die Wahrheit bei ihm ankam. Inzwischen ist seine Miene völlig leer, aber ich sehe es in seinen Augen. Er wendet sich mir zu und lächelt.

»Hm ... keine Ahnung, was das jetzt sollte«, sagt er, und seine Stimme klingt ein wenig zu herzlich.

Er weiß es.

Ich bin wie betäubt.


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