Na ja, wenigstens ergibt jetzt alles einen Sinn. Wenigstens kann ich Luke verzeihen. Es ist das erste Mal, dass er bei der Arbeit so etwas wie eine »schwere Krise« durchmacht, und das ist eine waschechte Krise. Keiner redet mehr von irgendwas anderem. Es läuft auf allen Sendern.
Ich habe mit Luke telefoniert, und er kommt nach Hause, sobald er kann. Aber er konnte unmöglich früher weg. Er war bei der Bank of London und hat mit allen möglichen hohen Tieren gesprochen. Und jetzt versucht er, »die Lage zu retten« und »den Schaden zu begrenzen«. Jede einzelne Filiale der Bank of London wurde belagert. Offenbar will der Premierminister persönlich eine Erklärung abgeben und alle Betroffenen bitten, die Ruhe zu bewahren. (Was, wenn man mich fragt, ein RiesenfehIer ist. Mum ist jetzt schon davon überzeugt, dass die ganze Sache eine Regierungsverschwörung ist.)
»Tee?« Dad kommt ins kleine Zimmer, in dem Danny, Suze, Tarquin, Jess, Tom und ich zusammensitzen, nach wie vor benommen. Im Fernsehen laufen Nachrichten, und die spielen den immer gleichen Clip mit dem ernsten Luke und seinen ebenso ernsten Bankklienten.
»So.« Dad stellt das Tablett ab. »Was für ein Theater! Wollt ihr die Taufe neu ansetzen?« »Das müssen wir wohl.« Ich nicke und sehe mich um. »Wann hättet ihr denn Zeit?«
»Der restliche Januar ist nicht so toll.« Danny holt seinen BlackBerry hervor und wirft einen Blick darauf. »Aber nächstes Jahr im Januar hab ich noch Termine frei«, fügt er beschwingt hinzu.
»Wir haben so viele Jagdgesellschaften ... « Suze fischt nach ihrem kleinen Smythson-Kalender. »Und vergiss nicht unsere Reise in den Lake District«, stimmt Dad mit ein.
Mein Gott, alle sind dermaßen verplant. Schließlich lasse ich sie alle aufschreiben, wann sie in den kommenden Monaten zur Verfügung stehen könnten. Jess malt ein Raster auf, streicht die entsprechenden Tage und rechnet alles aus.
»Es bleiben nur drei Möglichkeiten«, sagt sie schließlich. »18. Februar, 11. März oder 7. April, was ein Freitag ist »7. April?« Ich blicke auf. »Das ist Lukes Geburtstag.«
»Wusste ich gar nicht«, sagt Suze neugierig. »Ich wusste nicht, dass Luke überhaupt Geburtstag hat.«
»Er steht nicht auf Geburtstage«, erkläre ich. »Jedes Mal, wenn ich eine Feier für ihn organisiere, sagt er ab, weil irgendwas bei der Arbeit los ist.«
Das ist etwas, das ich bei Luke am wenigsten verstehe. Er ist überhaupt nicht gespannt auf seine Geschenke. Er lässt keine kleinen Hinweise darauf fallen, worüber er sich freuen würde. Er malt keinen Countdown auf den Küchenkalender. Einmal hatte er ernstlich vergessen, dass sein Geburtstag war, als ich mit dem Frühstückstablett hereingeklappert kam. Wie kann man seinen eigenen Geburtstag vergessen?
Ich sehe wieder zum Fernseher. Da ist er, kommt schon wieder aus der Bank of England, die Stirn noch tiefer gerunzelt als sonst. Ich spüre die Zuneigung, die ich für ihn empfinde. Er hatte so ein beschissenes Jahr. Er hat eine kleine Belohnung verdient. Ich sollte eine Party für ihn geben. Selbst wenn er es gar nicht will. Selbst wenn er versucht, sie abzusagen.
Und auf einmal kommt mir eine Idee.
»Hey! Wie wär's, wenn wir für Luke eine Überraschungsparty schmeißen?« Begeistert blicke ich in die Runde. »Er denkt, wir feiern nur Minnies Taufe, den zweiten Versuch ... aber dann ist es gleichzeitig seine Geburtstagsfeier!«
Plötzlich sehe ich Luke vor mir, wie er in ein dunkles Zimmer kommt und alle rufen: »Happy Birthday!« Und Luke steht mit offenem Mund da und ist vor Überraschung total sprachlos ...
Oh, Gott. Ich muss es tun. Ich muss einfach.
»Gute Idee, Bex!« Suzes Augen leuchten auf. »Super Idee.« Danny blickt von seiner SMS auf. »Welches Party-Thema?« »Keine Ahnung. Aber irgendwas richtig Cooles. Irgendwas, das Luke gefallen würde.«
Ich habe noch nie eine Überraschungsparty organisiert, doch so schwer kann es nicht sein, oder? Ich meine, es ist eine ganz normale Party, nur dass sie geheim ist. Kein Problem.
»Becky, bist du sicher, dass es ein guter Zeitpunkt zum Feiern ist?«, sagt Jess stirnrunzelnd. „Ich meine, was ist, wenn alles stimmt, was die Leute sagen?« Sie deutet auf den Fernseher, wo immer noch die Sache mit der Bank of London behandelt wird. »Was ist, wenn wir am Beginn einer Finanzkatastrophe stehen?«
Auf Jess ist Verlass. Selbstredend muss sie von einer „Finanzkatastrophe“ anfangen, wo wir gerade so nett über eine Party plaudern.
»Na, dann könnten wir doch wohl alle eine kleine Aufheiterung brauchen, oder?«, sage ich bockig. „Umso besser.«
Jess zuckt mit keiner Wimper. »Ich will nur sagen, dass man besonnen handeln sollte, vor allem in Zeiten wie diesen. Hast du überhaupt das Geld, um eine Party zu schmeißen?«
Ehrlich. Wieso spielt sie hier die große Schwester?
»Warum denn nicht?« Unbekümmert zucke ich mit den Achseln. »Vielleicht habe ich genau für so einen Anlass ja ein extra Sparbuch angelegt.«
Alles ist still im Raum, bis auf ein leises Schnauben von Danny. Tom grinst spöttisch, und ich werfe ihm einen bösen Blick zu. Habe ich jemals über eines seiner Projekte gespottet? Habe ich gespottet, als er sein albernes, zweistöckiges Sommerhaus in Janices Garten gebaut hat? (Na ja, vielleicht habe ich das. Aber darum geht es hier nicht. Sommerhäuser und Partys sind zwei vollkommen verschiedene Sachen.)
Am schlimmsten ist, dass selbst Suze einen etwas gequälten Eindruck macht, als müsste sie sich das Lachen verkneifen, könnte es aber nicht verhindern. Sie sieht, dass ich es merke, und läuft rot an.
»Es muss ja keine teure Party werden, oder?«, sagt sie eilig. »Du könntest eine bescheidene Party geben, Bex. Eine sparsame Party!«
»Das stimmt.« Jess nickt. »Tom kann Pfirsichwein machen. Der ist gar nicht schlecht. Und ich bin gern bereit zu kochen.«
Selbst gemachter Pfirsichwein?
»Und du könntest Musik vom iPod nehmen ...«, schlägt Tom vor.
»Den iPod übernehme ich«, wirft Danny ein.
»Wir könnten Papierschlangen basteln ... «
Entsetzt starre ich sie alle an. Eine unbedeutende, kleine Bank geht pleite, und plötzlich müssen wir alle so tun, als wäre Krieg und wir müssten Schuhsohlen braten und unsere Beine bemalen, weil wir uns keine Nylonstrümpfe leisten können?
»Ich will Luke keine billige Party mit selbst gemachtem Pfirsichwein und Musik aus dem iPod schmeißen!«, rufe ich. »Ich will eine grandiose Party! Ich will ein Festzelt und eine Band und einen Partyservice und überall hübsche Lampions ... und ein Unterhaltungsprogramm! Jongleure und Feuerschlucker und so!«
»Aber man kann doch auch eine nette Party ohne Feuerschlucker feiern ...«, setzt Suze an.
»Ich will nicht irgendwas >Nettes«<, sage ich abfällig. »Wenn ich für Luke eine Überraschungsparty organisiere, dann will ich, dass es ihn wegfegt. Ich will, dass er völlig von den Socken ist. Dass er reinkommt und absolut sprachlos ist, und zwar ... eine volle Minute. Mindestens!«
Meine Freunde tauschen Blicke. »Was?« Ich sehe von einem Gesicht zum nächsten. »Was denn?« »Komm schon, Becky. Es würde ein Vermögen kosten«, sagt Jess unverblümt. »Woher willst du das Geld nehmen?« »Ich ... weiß nicht«, antworte ich trotzig. »Vielleicht extra hart arbeiten.«
»Das wirst du vor Luke niemals verheimlichen können«, stimmt Tom mit ein. »Nie im Leben.«
Ich spüre, wie mich eine Woge der Entrüstung ergreift. Alle enttäuschen mich, sogar Suze. Wieso müssen sie immer alles mit kaltem Wasser abschrecken?
»Doch, werde ich!«, erwidere ich wütend. »Ihr werdet es schon sehen. Ich organisiere eine märchenhafte Party, und ich werde sie vor Luke geheim halten ... «
» was willst du vor Luke geheim halten?«
Seine tiefe Stimme hallt aus der Diele, und ich hüpfe fast bis an die Decke. Verdammt, wie konnte das passieren? Ich plane diese Party erst seit zwei Minuten, und schon hätte ich beinahe alles verraten. Mir bleibt noch Zeit, Suze einen gequälten Blick zuzuwerfen, bevor Luke hereinkommt. Er hat Minnie im Arm und sieht überraschend aufgeräumt aus.
»Wie kommt es, dass du hier bist?«, frage ich, als er mich küsst. »Ist alles vorbei?« »Ich hole mir nur frische Sachen, leider«, sagt er geknickt. »Das Ganze wird noch eine Weile dauern.«
»Äh, Luke, diese Bemerkung, als du mich eben hast sagen hören, dass ich >etwas vor Luke geheim halten< möchte?« Ich räuspere mich. »Wahrscheinlich fragst du dich, was ich damit gemeint haben könnte.«
»Das ist mir wohl in den Sinn gekommen.« Fragend zieht Luke die Augenbrauen hoch.
»Nun, es ist nur ... äh ... ich wollte dir nur nicht erzählen, was vorhin da draußen los war. Bei der Bank of London. Es war das reine Chaos. Ich dachte, es würde dich vielleicht belasten. Deshalb habe ich allen gesagt, sie sollen es für sich behalten. Stimmt's?«
Funkelnd blicke ich in die Runde, und Suze sagt pflichtschuldig:
»Absolut!«
»Keine Sorge«, sagt Luke trocken. »Ich bin Schlimmeres gewöhnt.« Er streckt die Hand aus und verwuschelt Minnies Haare. »Ich schätze, sie hat ihren großen Augenblick wohl verpasst, was?«
»Der Pfarrer ist rüber zur Bank gerannt, wie alle anderen auch! Aber was soll's!«, füge ich sorgsam hinzu. »Wir sind schon dabei, die Taufe neu zu planen. Zu einem späteren Zeitpunkt.«
Das genaue Datum behalte ich vorerst für mich. »Gut.« Luke nickt ohne großes Interesse. »Ist noch was zu essen da?«
»Reichlich.« Ich nicke. Gerade will ich aufstehen und ihm ein paar Blinis holen, als Mum ins kleine Zimmer kommt, leicht errötet von all dem Sake, den sie getrunken hat.
»Hört mal, meine Lieben«, sagt sie zu Luke und mir. »Reverend Parker ist hier. Er möchte euch sprechen. Soll ich ihn reinlassen?«
»Ach« so sage ich überrascht. »Natürlich!«
Ich habe Reverend Parker noch nie verlegen erlebt. Als er das Zimmer betritt, ist von seinem Lächeln nichts geblieben, und er kann uns beiden kaum in die Augen sehen.
»Rebecca und Luke, ich entschuldige mich in aller Form«, sagt er. »Noch nie habe ich den Gottesdienst einfach so abgebrochen. Ich weiß gar nicht, was über mich gekommen ist.«
»Keine Sorge«, sage ich großmütig.« Wir haben es überlebt.« »Ich vermute, Sie möchten Ihre Tochter nach wie vor taufen lassen, oder?«
»Selbstverständlich möchten wir das!«, sage ich eifrig. »Wir haben gerade davon gesprochen. Natürlich wollen wir das nachholen.«
»Da bin ich aber froh.« Er sieht sich um. »Nun, da Sie alle anwesend sind ... « Bevor ich merke, was hier vor sich geht, holt er ein Fläschchen hervor, schraubt es auf und sprenkelt Minnie irgendwelches Wasser auf die Stirn. »Minnie, ich taufe dich auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.«
»Was?«, bringe ich mühsam hervor, aber er hört mich nicht. Jetzt malt er ihr das Zeichen des Kreuzes mit Öl auf die Stirn.
»Willkommen in der Kirche, mein Kind. Der Herr segne und behüte dich.« Er tastet in seiner Tasche herum und holt eine Kerze hervor, die er mir gibt. »Herzlichen Glückwunsch, Rebecca.« Dann wendet er sich Mum zu. »Sagten Sie, es gäbe Sushi?«
Ich kann vor Schreck nichts sagen.
Minnie? Nur >Minnie
»Sie meinen, jetzt ist sie getauft?« Ich finde meine Stimme wieder. »Das war's?«
»In der Tat«, sagt Reverend Parker blasiert. »Wenn ich etwas angefangen habe, bringe ich es auch gern zu Ende. Ich entschuldige mich noch einmal für die kurze Unterbrechung. Guten Abend allerseits.«
Er schwebt hinaus, bevor ich auch nur Luft holen kann. Empört starre ich ihm hinterher. Er hat nicht mal nach dem zweiten Namen gefragt. Und ich hatte mich fast entschieden.
»Minnie Brandon.« Luke hebt sie fröhlich auf seine Schultern. »Ein hübscher Name.« Ich werfe ihm einen bösen Blick zu. »Ich hol mir was zu futtern«, fügt er hinzu. »Bis gleich.«
Als Luke die Tür hinter sich schließt, atme ich aus wie ein Luftballon, dem die Puste ausgeht. Auch die anderen wirken etwas niedergeschlagen.
»Na, das kam ja etwas plötzlich«, sagt Tom. »Also müssen wir uns den 7. April nicht mehr freihalten?«, sagt Danny. »Ist wohl das Beste so«, sagt Jess. »Becky, ich sage es nur ungern ... aber diese Party hättest du nie hinbekommen.«
»Hätte ich wohl.«Düster starre ich sie an.
»Na, jedenfalls ... «, sagt Suze eilig. »Das ist jetzt egal, denn sie wird nicht stattfinden. Es ist irrelevant.«
Ich spüre einen gewissen Widerwillen. Alle gehen davon aus, dass ich die Idee aufgebe, oder? Alle gehen davon aus, dass ich es nicht schaffe. Das sollen meine Freunde sein. Sie sollten an mich glauben!
Denen werde ich es zeigen!
»Es ist keineswegs irrelevant. Und die Party wird stattfinden.« Ich blicke in die Runde und merke, wie meine Entschlossenheit wächst. »Dieser blöde Pfaffe wird meine Pläne nicht zunichtemachen. Ich werde trotzdem eine Überraschungsparty für Luke geben. Und ich werde sie preisgünstig gestalten und sie total vor Luke geheim halten ... und es wird ihn glatt umhauen.«
Ich kann gerade eben noch verhindern, dass ich ätschibätsch hinzufüge.« Bex ...Suze sieht die anderen an. »Es ist doch nicht so, als würden wir es dir nicht zutrauen ...« »Doch, ist es!«, sage ich eingeschnappt. »Genau das habt ihr gesagt! Und ich werde euch das Gegenteil beweisen.«
»So ... was geht ab?« Danny blickt von seinem iPhone auf, das er in den letzten fünf Minuten malträtiert hat. Ich glaube, er hat nicht mal mitbekommen, dass Minnie getauft wurde. »Steht die Party oder nicht?«
»Steht«, sage ich entschlossen. »Steht definitiv.«
Leute, die über die Party Bescheid wissen.
Ich
Suze
Tarquin
Danny
Jess
Tom
Insgesamt = 6