Okay, Weihnachten zählt nicht. Das weiß jeder.
Man kann von einem Kleinkind nicht erwarten, dass es sich perfekt benimmt, wenn alles so aufregend und festlich geschmückt ist und es überall Süßigkeiten gibt. Und es ist auch kein Wunder, dass Minnie um drei Uhr nachts aufwacht und mit ihrem Geschrei alle aus den Betten holt. Sie wollte nur, dass wir uns ihren Weihnachtsstrumpf ansehen. Das wäre jedem so ergangen.
Jedenfalls habe ich schon die erste Seite aus dem kleinen Buch mit den Zwischenfällen herausgerissen und in den Reißwolf gesteckt. Jeder darf mal mit dem falschen Fuß zuerst aufstehen.
Ich nehme einen Schluck Kaffee und greife fröhlich nach einem Quality-Street-Bonbon. Gott, ich liebe Weihnachten. Das ganze Haus duftet nach Truthahnbraten, Weihnachtslieder säuseln aus der Stereoanlage, und Dad knackt Nüsse am Kamin. Unwillkürlich spüre ich so ein warmes Leuchten in mir, als ich mich im Wohnzimmer umsehe: der Baum, an dem die Lichter funkeln, die kleinen Krippenfiguren, die wir schon hatten, als ich ganz klein war (das Jesuskind ging vor Jahren verloren, aber an seiner Stelle nehmen wir immer eine Wäscheklammer).
Als Minnie heute Morgen ihren Strumpf sah, wurden ihre Augen groß wie Untertassen. Sie konnte es einfach nicht glauben. Immer wieder sagte sie: »Strumpf? Strumpj?«, absolut fassungslos.
»Becky, Schätzchen«, ruft Mum. Ich gehe auf den Flur hinaus und sehe sie mit einer Weihnachtsmannschürze in der Küchentür stehen. »Welche Knallbonbons wollen wir zum Mittagessen? >Lustige Spielchen< oder >Luxusgaben«
»Was ist mit denen, die du vom Deutschen Weihnachtsmarkt hast?«, schlage ich vor. »Die mit dem kleinen Holzspielzeug?«
»Gute Idee!« Mums Gesicht leuchtet auf. »Die hatte ich ganz vergessen.«
»Jep, ich hab die Unterlagen hier ... Luke geht an mir vorbei zur Treppe, mit dem Telefon in der Hand. »Wenn du mal einen Blick auf die Vereinbarung mit Sanderson werfen könntest ... Okay. Ich bin um drei im Büro. Muss hier nur noch ein paar Sachen regeln. Danke, Gary.
»Luke! ,sage ich pikiert, als er auflegt. »Weihnachten bedeutet doch mehr, als ein paar Sachen regeln. »Stimmt, sagt Luke, ohne auch nur einen Moment stehen zu bleiben. »Andererseits ist gar nicht mehr Weihnachten.« Ehrlich. Kann er denn überhaupt den Weihnachtszauber genießen?
»Ist es wohl.«
»Im Bloomwood-Land vielleicht. Überall sonst ist 28. Dezember, und die Menschen leben ihr Leben weiter. Er ist so was von prosaisch. »Okay, vielleicht ist nicht gerade Erster Weihnachtstag, sage ich verärgert. »Aber es ist unser zweites Weihnachtsfest. Es ist unser spezielles Weihnachten für Jess und Tom, und das ist genauso wichtig, und du könntest wenigstens versuchen, dich etwas festlich zu geben!
Dieses doppelte Weihnachtsfest ist einfach toll. Ich finde, das sollten wir jedes Jahr so machen. Es könnte eine Familientradition werden.
»Meine Liebste.« Luke bleibt auf halber Treppe stehen und zählt an seinen Fingern ab. »Erstens: Ist es nicht so wichtig. Zweitens: Muss ich diese vertragliche Sache heute regeln. Drittens: Sind Tom und Jess noch nicht mal da.«
Heute Nacht kam eine SMS von Jess und Tom, dass ihre Maschine von Chile Verspätung hat. Seitdem kommt Janice ungefähr alle zwanzig Minuten rüber, um nachzufragen, ob wir schon was Neues gehört haben und ob es irgendwelche Abstürze oder Entführungen gegeben hat.
Sie ist noch überdrehter als sonst, und wir wissen alle, wieso: Sie hofft inständig, dass Tom und Jess sich verlobt haben. Offenbar hat Tom in seiner letzten E-Mail geschrieben, er hätte ihr »etwas zu sagen.« Neulich habe ich gehört, wie sie sich mit Mum unterhalten hat. Janice kann es augenscheinlich kaum erwarten, die Hochzeit der beiden auszurichten. Sie hat schon alle möglichen Ideen für den Blumenschmuck und das Hochzeitsfoto (das könnte man vor der Magnolie machen), und obendrein würde dies »die Erinnerung an dieses undankbare, kleine Flittchen auslöschen. (Lucy,Toms erste Frau. Die blöde Kuh.)
»Apropos, wieso um alles in der Welt hat Minnie heute Morgen schon wieder einen Strumpf bekommen?, fügt Luke hinzu, im Flüsterton. »Wessen Idee war das?
»Das war ... die Idee vom Weihnachtsmann«, sage ich etwas bockig. »Hast du denn eigentlich gemerkt, wie gut sie sich heute benimmt?«
Minnie hilft Mum schon den ganzen Morgen in der Küche, und sie war absolut perfekt, abgesehen von einem kurzen Problem mit dem Mixer, das ich Luke gegenüber nicht erwähnen werde.
»Ich bin mir sicher, sie ist. .. «, setzt Luke an, als es an der Tür klingelt. »Das können sie nicht sein.« Er sieht auf seine Uhr, macht ein verdutztes Gesicht. »Sie sind noch in der Luft.«
»Ist das Jess?«, ruft Mum aufgeregt aus der Küche. »Hat schon jemand Janice Bescheid gesagt?«
»Das kann noch nicht Jess sein!«, rufe ich zurück. »Bestimmt ist Suze zu früh dran.« Eilig laufe ich zur Haustür und reiße sie auf -und tatsächlich steht da die versammelte Familie Cleath-Stuart, wie auf einem Foto aus dem Katalog.
Suze sieht mit ihren blonden Haaren in dem schwarzen Lammfellmantel einfach atemberaubend aus, Tarquin in seiner uralten Barbour-Jacke wie immer, und die drei Kinder bestehen nur aus schlaksigen Beinen, riesigen Augen und Shetland Pullis.
»Suze!« Ich schlinge meine Arme um sie.
»Bex! Fröhliche Weihnachten!«
»Fröhliche Weihnachten!«, ruft Clemmie, nuckelt am Daumen und hält sich an Suzes Hand fest.
»Und frohes neues Haar!«, stimmt Ernest mit ein, der mein Patenkind ist und jetzt schon wie eine dürre Bohnenstange aus der Upper Class aussieht. (»Frohes neues Haar« ist ein alter Spruch in der Cleath-Stuart-Familie. Genau wie »Happy Bad Day« statt »Happy Birthday«. Davon gibt es unheimlich viele, die sollten sie mal alle aufschreiben.« Unsicher blickt er zu Suze auf, die auffordernd nickt -dann reicht er mir in aller Form die Hand, als begegneten wir uns zum ersten Mal-auf einem Botschaftsempfang. Ich schüttle sie feierlich, dann drücke ich ihn an mich, bis er kichert.
»Suzie, Schätzchen! Frohe Weihnachten!« Mum kommt zur Haustür und schließt sie in die Arme. »Und Tark ... « Abrupt hält sie inne. »Lord ... « Unsicher sieht sie mich an. »Eure Lordschaft ... heit.«
»Ach ... bitte, Mrs. Bloomwood.« Tarkie ist rot angelaufen. »Tarquin reicht völlig.«
Tarkies Großvater ist vor zwei Monaten an einer Lungenentzündung gestorben. Was wirklich tragisch war und alles, aber andererseits war er schon sechsundneunzig. Egal, entscheidend ist, dass Tarkies Dad den Titel eines Earl geerbt hat -Tarkie wird eines Tages Lord sein! Lord Jarquin Cleath-Stuart, was Suze dann zu einer Lady macht. Das ist alles dermaßen erwachsen und vornehm, dass ich es kaum fassen kann. Außerdem haben sie jetzt sogar noch mehr Fantastillionen an Geld und Land und Zeugs als vorher. Ihr neues Haus liegt in Hampshire, kaum eine halbe Stunde von hier. Es heißt Letherby Hall und sieht aus wie in Wiedersehen mit Brideshead, aber sie wohnen nicht mal die ganze Zeit da, denn sie haben auch noch ein Haus in Chelsea.
Man sollte meinen, Tarkie müsste sich einen neuen Schal leisten können. Er wickelt ein absolut fadenscheiniges, abgewetztes, altes Ding von seinem Hals, das aussieht, als hätte seine alte Amme es ihm vor zwanzig Jahren gestrickt. Na ja, vermutlich war es auch so.
»Hast du was Hübsches zu Weihnachten bekommen, Tarkie?«, frage ich.
Ich habe ihm dieses echt coole Aromatherapie-Zerstäuber Dings gekauft, das er bestimmt toll findet. Oder besser: Suze.
»Absolut.« Er nickt begeistert. »Suze hat mir einen wunderschönen Merino-Bock gekauft. Eine echte Überraschung.«
Bock? Meint er Rock?
»Das klingt ja toll!«, rufe ich. »Merino ist jetzt dermaßen in. Du solltest dir mal die neue John-Smedley-Kollektion ansehen. Die würde dir gefallen.« »John Smedley?« Tarkie wirkt etwas verdutzt. »Den Namen kenne ich nicht. Ist das ... ein Züchter?«
»Der Strickdesigner. Weißt du, du könntest einen Rollkragenpulli zu deinem Schottenrock tragen«, sage ich, einer plötzlichen Eingebung folgend. »Das ist ein echt cooler Look.«
Tarkie hat total den Faden verloren, und Suze prustet vor Lachen laut heraus. » Bex, ich habe ihm keinen Rock geschenkt, sondern einen Bock. Ein unkastriertes Schaf. « Ein unkastriertes Schaf? Was ist das denn für ein Weihnachtsgeschenk?
»Oh, verstehe.« Ich gebe mir alle Mühe, etwas Begeisterung aufzubringen. »Natürlich. Ein unkastriertes Schaf! Äh ... zauberhaft.«
»Keine Sorge, er hat auch noch eine Jacke von mir bekommen«, fügt Suze hinzu und grinst mich an. »Für meine Fahrradtouren«, stimmt Tarkie mit ein. »Die ist total super, Liebling!«
Ich hin klug genug, nicht »Oh, cool, eine von Belstaff?«, zu sagen. Mit »Fahrrad« meint Tarkie nicht dasselbe wie die meisten Menschen. Und tatsächlich scrollt Suze durch die Fotos in ihrem Handy und zeigt mir ein Bild von Tarkie im Tweed-Jackett, kauernd auf einem antiken Hochrad. Er hat Unmengen antiker Fahrräder -manchmal verleiht er sie sogar als Requisiten an Fernsehproduktionen und zeigt denen, wie man in alten Zeiten darauf gefahren ist. (Leider hört man ihm nicht immer richtig zu. Und dann sieht Tarkie den Film im Fernsehen, und die machen es falsch, und er ist total deprimiert.)
»Kommt mit in die Küche, Kinder! Da gibt es Saft und Kekse.« Wie eine Henne treibt Mum Ernest, Clementine und Wilfred zusammen. »Wo ist Minnie? Minnie, Schätzchen, komm und begrüß deine Freunde!«
Wie ein Feuerball rast Minnie aus der Küche in den Flur, in ihrem roten Weihnachtskleid mit dem rot glitzernden Bommelhut und pinkfarbenen Feenflügeln, die sie nicht mehr ablegen wollte, seit sie die in ihrem Strumpf gefunden hat.
»Ketchup!«, schreit sie triumphierend und zielt mit der Flasche direkt auf Suzes Kleid.
Mein Herz setzt einen Schlag aus.
Oh, nein. Oh, nein, oh, nein. Woher hat sie die? Wir stellen den Ketchup doch inzwischen immer auf das oberste Regal, seit. .. „Minnie, nein! Nein!« Ich greife nach der Flasche, doch sie weicht mir aus. „Minnie», gib das Ding her! UJag nicht ...« „Ketchup!“ Ein roter Strahl schießt durch die Luft, bevor ich reagieren kann.
»N eeeeiiin!«
»Minnie!«
»Suze!«
Es ist wie in Apocalypse Now. Ich sehe alles in Zeitlupe. Suze stöhnt auf und weicht zurück, und Tarquin stürzt sich vor sie, und der Ketchup spritzt als Riesenklecks auf seine Barbour-Jacke.
Ich wage nicht, Luke anzusehen. „Gib das her!“ Ich reiße Minnie den Ketchup aus der Hand. »Böses Mädchen! Suze, Tarkie, es tut mir so leid ... «
»Ich entschuldige mich in aller Form für das ungehörige Betragen unserer Tochter«, sagt Luke«, mit bedeutsamer Schärfe in der Stimme.
»Ach, kein Problem«, sagt Suze. »Sie hat es bestimmt nur aus Versehen getan, nicht, mein kleiner Schatz?« Sie verwuschelt Minnies Haar.
»Absolut«, stimmt Tarkie mit ein.« Nichts passiert. Wenn ich nur mal kurz ... « Unbeholfen deutet er auf den Ketchup, der vorn von seiner Jacke tropft.
« Selbstverständlich!« Hastig nehme ich ihm die Jacke ab.Gut reagiert, Tarkie«, kann ich mir nicht verkneifen. Du warst echt schnell.«
»Ach, das war doch gar nichts.« Er wirkt etwas beschämt. »Jeder einigermaßen anständige Bursche hätte das getan.«
Da zeigt sich nur mal wieder, wie innig er Suze liebt. Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, ist er ihr beigesprungen. Wenn das nicht romantisch ist.
Ich frage mich, ob Luke mich vor einer Salve Tomatenketchup retten würde. Vielleicht frage ich ihn später. Nur so aus Interesse.
»Luke«, sagt Tarquin ein wenig zaghaft, als sie sich die Hand geben.« Könnte ich dich vielleicht mal kurz belästigen?« »Kein Problem.« Luke sieht etwas überrascht aus. »Wollen wir ins Wohnzimmer gehen?« »Ich nehme die Kinder mit in die Küche und kümmere mich um diese Jacke ... « Mum nimmt sie mir aus der Hand.
»Und Bex, du kannst mir die Sachen zeigen, die du aus dem Schlussverkauf hast!«, sagt Suze begeistert. »Ich meine ... äh ... wir können uns über die Kinder unterhalten«, verbessert sie sich eilig, als ich heimlich nach ihr trete.
Als wir auf meinem Bett fläzen und ich anfange, das ganze Zeug auszupacken, das ich nach Weihnachten gekauft habe, komme ich mir vor wie in alten Zeiten, als Suze und ich uns eine Wohnung in Fulham geteilt haben.
»Das hier werde ich bei der Taufe tragen.« Ich schüttle mein brandneues Kleid im Russenstil aus. »Fantastisch!«, sagt Suze, während sie meine neue Lederjacke anprobiert. »Noch besser als auf dem Bild.«
Ich habe Suze ein paar Fotos vom Ausverkauf gesimst, und sie hat mir ihre Meinung gesagt. Und im Gegenzug hat sie mir ein paar Fotos von sich und Tarkie beim Moorhuhnknüppeln oderTaubenschießen, oder was auch immer sie da treiben mögen, geschickt.
Suze ist so lieb und loyal, genau wie die Queen. Sie beklagt sich nie. Mal ehrlich, wo wäre man wohl lieber? Inirgendeinem eiskalten Moor oder bei Selfridges mit siebzig Prozent Rabatt?
»Und ta-daaah!« Ich hole meinen größten Fang hervor. Meinen Ally-Smith-Limited-Edition-Cardigan mit dem berühmten Knopf. »Oh, mein Gott!«, quiekt Suze. »Wo hast du den her? War er runtergesetzt?«
»Sechzig Prozent! Nur hundertzehn Pfund!«
»Sieh dir den Knopf an!« Suze streckt ihre Hand aus und streichelt ihn begehrlich.« Ist er nicht toll?« Selig strahle ich sie an.« Ich werde ihn so oft tragen, dass sich der Preis leicht auszahlt ... «
Die Tür geht auf, und Luke kommt herein.
»Oh, hi.« Instinktiv -bevor ich merke, dass ich es tue schiebe ich eine meiner Tüten unters Bett.
Es ist nicht wirklich so, als hätte er etwas dagegen einzuwenden. Ich meine, es ist ja mein Geld. Ich habe es selbst verdient, und ich kann damit machen, was ich will. Es ist nur so, dass Luke Mum und mich so verblüfft angestarrt hat, als wir gestern Morgen um sieben Uhr auf den Beinen waren, um zum Ausverkauf zu pilgern. Er sah erst uns an, dann die Geschenke, die noch unterm Baum lagen, und sagte: »Habt ihr denn noch nicht genug Sachen bekommen?«
Was nur zeigt, wie wenig er von irgendwas versteht. Weihnachtsgeschenke und Ausverkauf sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Das ist wie mit den ... Lebensmittelgruppen.
»Bex hat ein tolles Schnäppchen beim Schlussverkauf gemacht«, sagt Suze hilfreich. »Findest du ihren neuen Cardigan nicht auch hübsch?«
Luke sieht ihn sich an. Er dreht sich um und mustert mich einen Moment -dann wieder den Cardigan. Dann runzelt er die Stirn, als würde er sich wundern.
»Was hat er gekostet?« »Hundertzehn, sage ich trotzig. »Sechzig Prozent runtergesetzt. Designerstück. Limited Edition.« »Also ... du hast hundertzehn Pfund für eine Strickjacke ausgegeben, die genauso aussieht wie die, die du gerade trägst.« »Was?« Sprachlos blicke ich an mir herab. »Selbstverständlich nicht. Die ist total anders.«
»Die ist identisch.«
»Nein, ist sie nicht. Wie kannst du so was sagen?«
Es folgt eine kurze Pause. Wir starren einander an, als wollten wir sagen: »Habe ich einen Geisteskranken geheiratet?« »Beide sind hellbeige.« Luke zählt seine Finger ab. »Beide haben einen großen Knopf. Beide sind Strickjacken. Identisch.«
Ist er blind?
»Aber der Knopf sitzt an einer anderen Stelle«, erkläre ich. »Das verändert die ganze Form. Und diese hier hat ausgestellte Ärmel. Die sind kein bisschen ähnlich, oder, Suze?«
»Völlig anders.« Suze nickt leidenschaftlich.
Seine Miene zeigt mir deutlich, dass Luke es nicht begreift. Manchmal frage ich mich, wie jemand, der so unaufmerksam ist, im Leben so erfolgreich sein kann.
»Und dieser Knopf ist rot«, fügt Suze hilfreich hinzu.
»Genau!« Ich deute auf den übergroßen Knopf mit den typischen Ally-Smith-Kristallen. »Darum geht es doch bei diesem Stück überhaupt -um diesen außergewöhnlichen Knopf. Er ist so was wie ... ein Erkennungszeichen.«
»Du hast also hundert Pfund für einen Knopf ausgegeben.«
Mein Gott, manchmal ist er aber auch nervig.
»Es ist eine Investition«, teile ich ihm frostig mit. »Gerade sagte ich zu Suze, ich werde ihn so oft tragen, dass er sich ohne Weiteres auszahlt.« »Wie oft wäre das? Zweimal?«
Zutiefst entrüstet starre ich ihn an.
»Natürlich nicht nur zweimal. Wahrscheinlich trage ich ihn ...(, Ich überlege kurz und versuche, absolut realistisch zu bleiben. »Hundert Mal. Also kostet mich jedes Mal 1.10. Ich glaube, für einen zeitgenössischen Designklassiker ist das nicht zu viel. Das kann ich mir leisten, oder was meinst du?«
Luke gibt so ein Schnauben von sich. »Becky, hast du irgendetwas schon hundert Mal getragen? Ich betrachte es als Erfolg, wenn du irgendwas wenigstens einmal trägst.«
Haha, sehr witzig.
»Ich wette mit dir, dass ich ihn hundert Mal trage. Mindestens.« Entschlossen streife ich meinen Cardigan ab und ziehe den von Ally Smith an. »Siehst du? Jetzt habe ich ihn schon einmal getragen.«
Ich werde es ihm zeigen. Ich werde ihn tausend Mal tragen.
»Ich muss los. Tarquin wartet auf mich.« Luke wirft Suze einen fragenden Blick zu. »Da habt ihr ja ein ganz schönes Unternehmen geerbt.«
»Oh, ich weiß« ,sagt Suze. »Der arme Tarkie war schon ganz aus dem Häuschen, also habe ich gesagt: »Frag Luke, der weiß bestimmt, was zu tun ist!«,
»Nun, ich bin froh, dass du das gesagt hast.« Luke blättert schon eine Weile in seinem Aktenschrank herum. Er knallt ihn zu und geht hinaus. »Bis später.«
»Was hat das zu bedeuten?« sage ich verdutzt. »Was für ein Unternehmen denn?« »Ach, dieses Shetland-Shortbread-Ding«, sagt Suze vage. «Es ist ein ziemlich großer Deal, und jetzt gehört es uns ... «
Moment. Noch mal.
»Euch gehört Shetland Shortbread?« Staunend starre ich sie an. »Diese roten Dosen, die man bei Waitrose kriegt?« »Genau!«, sagt Suze fröhlich. »Das Zeug ist voll lecker. Sie machen die Kekse auf einer von den Farmen.« Das haut mich um. Was gehört Suze sonst noch so ganz plötzlich? Schoko-Crossies? Kit Kat?
Ach, das wäre cool. Ich frage mich, wie viele sie wohl umsonst bekäme. Vielleicht ... eine Kiste pro Jahr? Nein, das ist lächerlich. Mindestens zehn Kisten pro Jahr, oder?
Nachdem ich Suze alle meine Sachen gezeigt habe, husche ich nach unten und mache Kaffee und sehe nach, ob bei den Kindern alles in Ordnung ist. Als ich wieder nach oben komme, schlendert Suze im vollgestopften Zimmer herum und sieht sich alles ganz genau an, wie sie es immer tut. Sie blickt auf, mit einem Stapel alter Fotos in der Hand, die ich längst in Alben kleben wollte. »Bex, ich kann gar nicht glauben, dass ihr endlich hier auszieht. Es kommt mir vor, als wärt ihr schon eine Ewigkeit hier. «
»Es war eine Ewigkeit. Zwei Jahre!«
» Was sagen deine Eltern denn dazu?«
»Wir haben es ihnen noch nicht erzählt.« Ich werfe einen Blick zur Tür und spreche leiser. »Ich glaube, sie werden uns ziemlich vermissen, wenn wir nicht mehr da sind. Ehrlich gesagt ... ich mache mir ein bisschen Sorgen, wie sie es aufnehmen werden. «
Die Wahrheit ist, dass Mum und Dad sich sehr daran gewöhnt haben, dass wir da sind. Besonders Minnie. Jedes Mal, wenn ein Hauskauf in die Hose ging, waren sie insgeheim froh, wie Mum mir einmal anvertraut hat.
»Oh, Gott, natürlich!« Suze verzieht vor Sorge das Gesicht. »Sie werden am Boden zerstört sein. Deine arme Mum wird reichlich Beistand brauchen. Vielleicht könnt ihr eine Trauerhilfe organisieren!«, fügt sie findig hinzu. »Ich wette, es gibt so was wie Empty-Nest-Workshops.«
»Ich habe ein richtig schlechtes Gewissen.« Ich seufze. »Aber wir können ja nicht ewig hierbleiben, oder? Ich meine, wir brauchen doch unser eigenes Zuhause.«
»Selbstverständlich braucht ihr das«, sagt Suze verständig. »Keine Sorge, deine Eltern werden schon damit zurechtkommen. Jetzt mach schon, zeig mir das Haus! Wie ist es? Was muss noch daran gemacht werden?“
»Na ja, es muss nicht wirklich was gemacht werden«, gestehe ich, als ich ihr die Details beschreibe. »Es wurde von einem Bauunternehmen komplett renoviert.«
»Acht Schlafzimmer!“ Suze zieht ihre Augenbrauen hoch. »Wow!«
»Ich weiß. Es ist echt riesig! Drinnen ist es viel größer, als es von draußen aussieht. Und alles ist frisch gestrichen und so. Aber trotzdem sollten wir ihm unseren Stempel aufdrücken, oder?«
»Definitiv.« Suze nickt weise.
Suze weiß einfach, wie ich ticke -so viel mehr als Luke, der das Haus im Übrigen noch nicht mal von innen gesehen hat. Ich habe ihm gesagt, dass wir dem Haus unseren Stempel aufdrücken müssen, aber er meinte nur: »Wieso können wir uns nicht mit dem Stempel von jemand anderem zufriedengeben?«
»Ich hab schon haufenweise Pläne geschmiedet«, rufe ich begeistert. »Zum Beispiel könnten wir in der Diele einen richtig coolen Hutständer haben, an dem eine einzelne, nietenbesetzte Alexander-Wang-Tasche hängt. Das wäre doch ein Statement!« Ich suche unter dem Bett nach der Skizze, die ich angelegt habe, und zeige sie ihr.
»WOw“, haucht Suze. »Das sieht ja toll aus. Hast du denn eine Alexander-Wang-Tasche?“
»Ich müsste eine kaufen“, erkläre ich. »Und daneben könnte vielleicht ein Tischchen mit ein bisschen Lara-Bohnic-Schmuck stehen?« »Ich liebe Lara Bohnic!«, ruft Suze begeistert. »Hast du was von ihr? Das musst du mir zeigen!«
»Nein, also, das müsste ich auch erst noch kaufen. Aber ich meine, es wäre ja nicht für mich, oder?« füge ich angesichts ihrer Miene eilig hinzu. »Es wäre für unser Haus.«
Einen Moment lang sieht Suze mich an. Es ist derselbe Blick wie damals, als ich uns als Telefonwahrsagerinnen etablieren wollte. (Was ich nach wie vor für eine gute Idee halte.) »Du willst eine Tasche und Schmuck für dein Haus kaufen?«, sagt sie schließlich.
»Ja! Wieso nicht?«
»Bex, niemand kauft eine Tasche und Schmuck für sein Haus.«
»Na, vielleicht sollten die Leute es aber tun! Vielleicht sähen ihre Häuser besser aus, wenn sie es täten! Und außerdem, keine Sorge, ich kaufe ja auch ein Sofa.« Ich schmeiße ihr einen Stapel Einrichtungsmagazine hin. »Mach schon, such mir ein hübsches aus!«
Eine halbe Stunde später ist das Bett von Zeitschriften übersät, und wir beide liegen schweigend da, ergötzen uns an überdimensionierten, orangefarbenen Samtsofas und Treppen mit eingebauter Beleuchtung und Küchen mit poliertem Granit und Türen aus alten Holzbohlen. Das Problem ist nur, ich möchte, dass mein Haus wie alle aufeinmal aussieht. Gleichzeitig.
»Ihr habt ja einen riesigen Keller!« Suze sieht sich noch mal den Grundriss des Hauses an. »Was wollt ihr damit anfangen?«
»Gute Frage!« Ich blicke auf. »Ich finde, da sollten wir einen Fitnessraum einrichten. Aber Luke will seine blöden, alten Flaschen da unten lagern und Weinproben durchführen.«
»Weinproben?« Suze verzieht das Gesicht. »Ach, mach doch einen Fitnessraum daraus! Wir könnten zusammen Pilates machen!«
»Du hast recht! Das wäre so cool! Aber Luke hat diesen ganzen wertvollen, alten Wein eingelagert, und er freut sich schon darauf, dass er ihn bald wieder rausholen kann. «
Das ist etwas, das ich an Luke nicht begreife. Seine Liebe für megateuren Wein, wo man doch für einen Zehner einen passablen Pinot Grigio kriegen und den Rest für Klamotten ausgeben könnte.
»Also, es gibt ein Schlafzimmer für dich und Luke ... « Suze betrachtet immer noch den Grundriss. »Eins für Minnie ...«
»Ein Zimmer für Kleider.«
»Eins für Schuhe?«
»Absolut. Und eins für Make-up.«
»Oh!« Interessiert blickt Suze auf. »Ein Schminkzimmer! Hat Luke schon zugestimmt?« »Ich werde es »Bibliothek nennen«, erkläre ich. »Aber dann bleiben immer noch drei Schlafzimmer.« Suze blickt auf und zieht vielsagend die Augenbrauen hoch. »Irgendwelche Pläne ... was ihr damit anfangen wollt?« Was soll ich sagen? Genau deshalb hätte ich Suze heiraten sollen. Sie versteht mich. »Schön wär's.« Ich seufze schwer. »Aber weißt du was? Luke will nicht noch ein Kind. « »Wirklich?« Suze macht ein betroffenes Gesicht. »Wieso denn das?«
»Er sagt, Minnie ist so wild, und mit zwei Kindern kommen wir nicht zurecht, und wir sollten uns einfach an dem freuen, was wir haben. Er ist nicht zu bewegen.« Trübsinnig ziehe ich die Schultern hoch und blättere in einem Artikel über antike Bäder herum.
»Könntest du ihn einfach ... überrumpeln?«, sagt Suze nach einer Weile. »Einfach zufällig absichtlich die Pille vergessen und so tun, als wäre es aus Versehen passiert? Er wird das Baby schon lieben, wenn es da ist.«
Ich muss gestehen, dass mir der Gedanke selbst schon gekommen ist. Insgeheim. Aber ich brächte es nicht übers Herz, ihn anzulügen.
»Nein.« Ich schüttle den Kopf. »Ich will ihn nicht hintergehen. Ich möchte, dass er noch ein Kind möchte.«
»Vielleicht ändert er seine Meinung nach der Taufe.« Suzes Augen leuchten auf. »Weißt du, wir haben bei Ernies Taufe beschlossen, dass wir noch ein Kind wollen. Ernie sah so anbetungswürdig aus, und wir dachten, wir hübsch es wäre, wenn er einen Bruder oder eine Schwester bekäme, also haben wir es darauf angelegt. Allerdings haben wir am Ende zwei Kinder dazubekommen«, fügt sie nachdenklich hinzu. »Aber das wird euch schon nicht passieren.«
»Möglich.« Ich schweige einen Moment, mache mich für die große Frage bereit. Ich möchte sie nicht stellen. Doch ich muss jetzt tapfer sein. »Suze ... würdest du mir gegenüber in einer bestimmten Sache ehrlich sein? Wirklich total ehrlich?«
»Okay«, sagt sie etwas besorgt. »Aber nicht, wenn es darum geht, wie oft in der Woche wir Sex haben.«
Was? Wo kam das denn her? Okay, jetzt will ich sofort wissen, wie oft sie Sex hat. Wahrscheinlich nie. Oder vielleicht ständig. Oh, Gott, ich wette, es ist ständig. Ich wette, sie und Tarkie ...
Wie dem auch sei. »Es geht nicht um Sex.« Ich zwinge mich, zum Thema zurückzukehren. »Es ist nur ... findest du Minnie verwöhnt?«
Ich spüre schon, wie ich vor lauter Beklommenheit zurückschrecke. Was ist, wenn sie ja sagt? Was ist, wenn meine beste Freundin Minnie für ein Monster hält? Ich wäre zu Tode beleidigt.
»Nein!«, sagt Suze sofort.« Natürlich ist Minnie nicht verwöhnt! Sie ist liebenswert. Sie ist manchmal nur etwas ... beherzt. Aber das ist gut so! Kinder sind nicht perfekt.«
« Deine schon«, sage ich verdrossen. »Bei denen geht nie irgendwas schief.«
»Oh, mein Gott! Soll das ein Witz sein?« Suze setzt sich aufrecht und legt den Grundriss unseres Hauses weg.« Wir haben solche Probleme mit Ernie. Ständig ruft seine Lehrerin an. Er ist in allen Fächern ein hoffnungsloser Fall, außer in Deutsch. Dabei haben die gar keinen Deutschunterricht.«
»Ach, Suze«, sage ich mitfühlend.
Ich muss nicht fragen, wieso Ernie so gut Deutsch spricht. Für Tarquin ist Wagner die einzige Musik, die es wert ist angehört zu werden, und er spielt sie allen seinen Kindern vor, jeden Abend. Nicht, dass man mich falsch versteht. Ernie ist mein Patenkind, und ich liebe ihn über alles. Aber bei meinem letzten Besuch hat er mir die ganze Geschichte von den SonstwasSingern erzählt, was Stunde um Stunde gedauert hat, und fast wäre ich dabei vor Langeweile eingegangen.
»Ich muss bei der Schulleiterin vorsprechen«, fährt Suze fort und sieht richtig erschüttert aus. » Was soll ich machen, wenn sie mich bittet, ihn von der Schule zu nehmen?«
Alle meine Sorgen sind vergessen, als ich ihr einen Arm um die Schulter lege und sie an mich drücke. Wie kann es jemand wagen, Suze dermaßen zuzusetzen? Und für wen halten sich diese Blödmänner überhaupt? Ich habe Ernies Schule gesehen, als Suze und ich ihn einmal abgeholt haben. Die sind ziemlich hochnäsig, mit lila Blazern, und es kostet eine Million Pfund pro Jahr oder so, und da ist nicht mal das Essen mit drin. Wahrscheinlich sind sie so sehr mit dem Zählen der Schulgebühren beschäftigt, dass sie keine Zeit mehr haben, ein echtes Talent zu erkennen.
»Es geht bestimmt gut«, sage ich unerschütterlich. »Und wenn sie Ernie nicht wollen, dann taugt die Schule offensichtlich nichts.«
Sollte mir diese Schulleiterin je über den Weg laufen, werde ich ihr die Meinung sagen, und zwar sehr deutlich. Schließlich bin ich Ernies Patentante. Vielleicht sollte ich sogar zu dem Termin mitgehen und meiner Meinung Ausdruck verleihen. Gerade will ich das Suze vorschlagen, als sie mit der Hand aufs Bett schlägt.
»Ich weiß, Bex! Ich hab's! Du solltest dir ein Kindermädchen besorgen.«
»Ein Kindermädchen?« Ich starre sie an.
»Wer passt auf Minnie auf, wenn du bei der Arbeit bist? Immer noch deine Mum?«
Ich nicke. Seit mein Mutterschaftsurlaub vorbei ist, arbeite ich zweieinhalb Tage die Woche als Personal Shopper bei The Look. Solange ich da bin, hütet Mum Minnie, was super ist, weil die Kleine beim Frühstück kaum mitbekommt, dass ich weggehe.
»Bringt deine Mum sie in den Kinderladen?«
Ich verziehe das Gesicht. »Nicht wirklich.«
Mum steht nicht auf Kinderläden. Einmal war sie bei Tick Tock und bekam mit einer anderen Großmutter Streit darüber, wer die bessere Fernseh-Miss-Marple ist, und danach wollte sie nie wieder dorthin.
»Und was machen die beiden dann?« »Na ja, unterschiedlich ... «, sage ich vage. »Sie machen viel so Pädagogisches ... «
Was leicht geflunkert ist. Soweit ich es beurteilen kann, bleibt das Programm immer gleich. Sie gehen shoppen und trinken Tee im Cafe bei Debenhams, dann kommen sie nach Hause und gucken Disney-Videos.
Mein Gott, vielleicht hat Suze recht. Vielleicht braucht Minnie mehr Routine. Vielleicht ist das das Problem.
»Ein Kindermädchen wird sie schon auf die richtige Spur setzen«, sagt Suze zuversichtlich. »Außerdem sorgt die fürs Essen und die Wäsche und alles, und Luke wird sehen, wie leicht alles gehen kann. Dann wird er seine Meinung sofort ändern. Vertrau mir.«
Ich wusste, dass Suze eine Antwort auf meine Frage hat. Das ist die Lösung. Ein Kindermädchen!
Ich sehe eine Mischung aus Mary Poppins und Mrs. Doubtfire vor mir, voll gemütlich mit Schürze und einem Löffel Zucker und unzähligen Lebensweisheiten. Im ganzen Haus kehrt Ruhe ein, und alles duftet nach frisch gebackenem Brot. Minnie wird ein reines Engelchen, das still im Trägerschürzehen dasitzt und mit Knetgummi spielt, und Luke wird mich augenblicklich ins Bett zerren und begatten.
Ich meine, allein schon wegen der Begattung wäre es die Sache wert.
»Alle sind im Moment bei Ultimate Nannies. Die sind das Allerneueste.« Schon hat Suze mein Notebook aufgeklappt und die Website aufgerufen. »Guck es dir an! Ich spring kurz runter und sehe nach den Kindern.«
Ich nehme ihr das Notebook ab und sitze vor einer Website, die heißt: Ultimate Nannies -Erziehung ausgeglichener, kultivierter Kinder -die Erfolgreichen von morgen.
Mein Kinn sinkt leicht herab, als ich abwärtsscrolle. Himmelarsch. Diese Kindermädchen sehen kein bisschen aus wie Mrs. Doubtfire. Die sehen aus wie Elle McPherson. Sie haben alle makellose Zähne, eine makellose Bauchmuskulatur und ein intelligentes Lächeln.
Unsere modernen, top ausgebildeten Nannies sind liebevoll, vertrauenswürdig und gebildet. Sie übernehmen die volle Planung und Organisation des Tagesprogramms und bereiten für Ihr Kind ausgewogene Mahlzeiten zu. Darüber hinaus fördern sie die physische, emotionale und intellektuelle Entwicklung Ihres Kindes. >Ultimate Nannies< sind hoch qualifiziert und Experten für kindliche Ernährung, Sicherheit, kulturelle Bereicherung und kreatives Spiel. Viele sprechen fließend Französisch/Mandarin und/oder bieten Unterricht in Musik, Mathematik nach der KUMON-Methode sowie in asiatischen Kampfsportarten oder Ballett an.
Ich fühle mich total unfähig, während ich durch die Bilder lächelnder Mädchen mit langem, schimmerndem Haar scrolle, die Gemüse-Risotto kochen, durch den Garten dribbeln oder im Judoanzug dastehen. Kein Wunder, dass Minnie Trotzanfalle kriegt. Es liegt daran, dass niemand sie in asiatischer Kampfkunst oder der Zubereitung von Sushi unterweist. Die ganze Zeit über habe ich sie sträflich vernachlässigt. Plötzlich kommt mir das Marmeladentörtchen backen mit Mum in der Küche total lahm vor. Wir machen nicht mal den Teig selbst. Wir nehmen den aus der Packung. Wir müssen eine Ultimate Nanny anheuern, und zwar so schnell wie möglich.
Die Sache ist nur (ein klitzekleiner Einwand): Möchte ich, dass ein Mädchen mit schimmerndem Haar in engen Jeans und Sushi-Zubereitungs-Schürze durchs Haus tänzelt? Was ist, wenn es zwischen Luke und ihr plötzlich funkt? Was ist, wenn er auch Unterricht in »asiatischer Kampfkunsh haben möchte?
Ich zögere einen Augenblick. Meine Hand schwebt über dem Mousepad. Komm schon. Ich bin eine erwachsene Frau. Ich muss an die Vorteile für Minnie denken. Ich muss daran denken, dass ich einen liebevollen, treuen Ehemann habe und ich beim letzten Mal, als ich dachte, er würde sich mit einem Mädchen mit schimmernd rotem Haar vergnügen, an dessen Namen ich mich nicht mal erinnern möchte (Siehst du, Venetia? So wenig bedeutest du mir!), total danebenlag.
Außerdem, falls die Nanny tatsächlich sexy sein und seidiges Haar haben sollte, kann ich ihre Arbeitszeit so legen, dass Luke sie nie zu sehen bekommt.
Entschlossen fülle ich das Formular aus und drücke »Senden«. Das ist die Lösung! Rufen wir Experten hinzu. Der einzige Mensch, den ich dazu noch überreden muss, ist Mum. Sie ist nicht gerade scharf auf Kindermädchen. Oder Tagesmütter. Nicht mal auf Babysitter. Aber das liegt nur daran, dass sie sich zu viele Vorabendserien über böse, geisteskranke Kindermädchen ansieht. Ich meine, nicht jede Nanny ist zwangsläufig eine Stalkerin, die sich für eine Tote ausgibt und vom FBI gesucht wird, oder?
Und will sie nicht auch, dass ihr Enkelkind kultiviert und ausgeglichen wird? Will sie denn nicht auch, dass Minnie zu den Erfolgreichen von morgen gehört?
Genau.
Als ich nach unten gehe, finde ich Suze bei Luke und Tarquin im Wohnzimmer. Auf dem Tisch sehe ich eine leere Kaffeekanne und einen Riesenstapel von Papieren, und offensichtlich sind sie voll bei der Arbeit.
»Ihr müsst Shetland Shortbread als Marke sehen«, sagt Luke gerade. »Ihr sitzt auf etwas, das ein gewaltiger, globaler Erfolg werden könnte, aber ihr müsst das Profil schärfen. Sucht eine Geschichte, eine Persönlichkeit, ein Alleinstellungsmerkmal, einen Ansatzpunkt. Legt die Markenwerte fest.« Er ist richtig aufgedreht und enthusiastisch, wie immer, wenn er das Potential in einem neuen Projekt erkennt.
Tarquin dagegen sieht aus wie ein Kaninchen im Scheinwerferlicht.
»Absolut«, sagt er nervös. »Markenwerte. Äh ... hi, Becky. Luke ist uns eine große Hilfe. Wir wissen gar nicht, wie wir euch danken sollen.«
»Nein, wirklich. Keine Ursache.« Luke klopft ihm auf die Schulter. »Aber ihr müsst euch neu ausrichten, Tarquin. Stell ein effektives Team zusammen! Bastle dir eine Strategie, und orientiere dich daran!«
Ich muss mir das Kichern verkneifen. Sogar ich weiß, dass Tarquin kein Stratege ist.
»Ich lese mir diese Verträge für dich durch und sage dir, was ich davon halte.« Luke nimmt seinen BlackBerry. »Ich weiß, dass deine Leute sie abgewunken haben, aber wie gesagt: Ich glaube, da ist mehr drin.«
»Wirklich, Luke ...«, protestiert Tarquin kraftlos. »Du hast schon viel zu viel Zeit darauf verwendet ... « »Sei nicht albern.« Luke lächelt ihm kurz zu und stellt seinen BlackBerry wieder an. Tarquins knochiges Gesicht läuft rot an. Er wirft Suze einen gequälten Blick zu, ringt mit den Händen und räuspert sich.
»Luke, ich weiß, du hast deine eigene Firma«, platzt er plötzlich heraus, »aber ich würde dir liebend gern einen Posten anbieten. Geschäftsführer unserer gesamten Besitztümer. Zu deinen Bedingungen. Auch was das Gehalt anbelangt.«
»Einen Job?« Luke ist perplex.
»Oh, ja!« Begeistert klatscht Suze in die Hände. »Großartige Idee! Das wäre ja wunderbar! Wir könnten ihnen doch auch eine Unterkunft stellen, oder?«, sagt sie zu Tarkie. »Das kleine Schloss in Perthshire wäre perfekt! Ich meine, nicht annähernd so hübsch wie euer Haus in Maida Vale«, fügt sie loyal hinzu. »Aber als Ferienhaus?«
»Und ich kann mein Gehalt selbst bestimmen?«, sagt Luke langsam .
»Ja«, antwortet Tarquin nach kurzem Zögern. »Ja, natürlich.« »Für sechzig Prozent aller Bruttoeinnahmen würde ich es machen«, kommt es von Luke wie aus der Pistole geschossen.
Was folgt, ist sprachloses Staunen. Ich kann nicht glauben, was ich da höre. Überlegt Luke tatsächlich, Brandon Communications aufzugeben, um den Besitz der Cleath-Stuarts zu verwalten?
Würden wir in einem Schloss wohnen?
Oh, mein Gott. Wir wären ein echter Clan! Wir hätten unser eigenes Schottenmuster! Knallpink mit Silber und Schwarz. Es wäre der »McBloomwood of Brandom-Tartan, und wir würden schottische Tänze tanzen, und Luke würde eine fellbesetzte Tasche über seinem Kilt tragen ...
»Ich ... äh ... «Tarquin wirft Suze einen panischen Blick zu. »Äh. Das scheint mir ... angemessen ... «
»Tarquin!« Luke explodiert förmlich. »Selbstverständlich sind sechzig Prozent verdammt noch mal nicht angemessen! Und genau deshalb braucht ihr für eure Geschäfte einen neuen Berater, dem ihr vertrauen könnt, und deshalb werde ich ein Meeting mit ein paar Leuten vereinbaren, die ich bestens empfehlen kann, und ich komme mit und sorge dafür, dass ihr auch alles versteht ... « Er tippt auf seinen BlackBerry ein, dann stutzt er, als er summt wie eine böse Biene. »Entschuldige, ich kriege gerade ein paar Nachrichten ... « Er starrt den Bildschirm an, sein Gesicht zuckt vor Überraschung, dann tippt er eine Antwort.
»Ich wusste, dass Luke nicht wirklich ja sagen würde.« Suze sieht mich betreten an. »Er würde doch nie seine Firma aufgeben.«
»Ich weiß.« Ich nicke, obwohl ich mich insgeheim etwas im Stich gelassen fühle. Im Geiste war ich schon in ein schottisches Schloss gezogen und hatte unser zweites Kind »Morag« genannt.
»Nun, ich möchte mich aber mit einer Klitzekleinigkeit erkenntlich zeigen« sagt Tarquin in diesem stinkvornehmen, gestelzten Ton. »Dürfte ich euch zum Essen einladen? Oder auf eine Wochenendjagd? Oder ... oder ... wollt ihr den Sommer in unserem Haus in Frankreich verbringen? Oder ...«
»Ihr verdammte Scheiße!«, zischt Luke plötzlich leise. Was er auf seinem BlackBerry sieht, scheint ihm die Sprache zu verschlagen.
»Was?« , sage ich hellwach. »Was ist los?« Luke blickt auf und scheint erst jetzt zu merken, dass wir ihn alle anstarren.
»Ach, nichts.« Er setzt ein freundliches Lächeln auf, was bedeutet, dass er nicht darüber reden will. »Becky, ich muss los. Ich fürchte, es wird spät heute Abend.«
»Du kannst doch nicht so einfach gehen!«, sage ich erschüttert. »Was ist mit unserem zweiten Weihnachtsfest? Was ist mit Jess und Tom?«
»Bestell ihnen liebe Grüße.« Und schon ist er draußen.
»Was ist los?(" rufe ich ihm hinterher. »Was ist denn passiert?« Aber er antwortet nicht, und gleich darauf höre ich die Haustür zuknallen.
»Wer ist da an der Tür?« Mums Stimme hallt den Flur entlang. »Ist da jemand?« »Das war nur Luke«, rufe ich zurück. »Er muss zur Arbeit. Es gab da einen Notfall ... »Ich höre wieder die Haustür klappern und dann Dads Stimme. »Jess! Tom! Willkommen zu Hause!«
Jess ist da? Oh, mein Gott!
Ich renne in die Diele, gefolgt von Suze, und da ist sie schon. So lang und schlank und braungebrannt wie eh und je, das kurze Haar von der Sonne ausgeblichen, in grauem Kapuzenpulli und ausgewaschenen Jeans.
»Becky.« Sie umarmt mich, setzt ihren gigantischen Rucksack ab. »Schön, dich zu sehen. Gerade ist noch Luke an uns vorbeigehetzt. Hi, Suze.«
»Willkommen daheim! Hi, Tom!«
»Hat schon jemand Janice angesimst?« Mum kommt aus der Küche gelaufen. »Weiß Janice Bescheid?«
»Ich rufe es über den Zaum, sagt Dad. »Geht schneller als simsen.«
»Schneller als simsen?«, erwidert Mum. »Unsinn! Eine SMS kommt sofort an, Graham. Das ist moderne Technik. «
»Du meinst, du könntest schneller eine SMS schreiben, als ich es über den Zaun rufe?«, spottet Dad. »Das will ich sehen. Bis du dein Handy raus geholt hast ... «
»Bis du rübergelaufen bist, habe ich die SMS längst abgeschickt!« Mum hat ihr Handy schon gezückt.
»Janice!«, schreit Dad, als er die Auffahrt hinunterläuft. »Janice, Tom ist da! Siehst du?«, ruft er Mum triumphierend zu. »Gute, alte Sofortkommunikation: die menschliche Stimme.«
»Ich hatte schon ganz vergessen, wie deine Eltern sind«, sagt Tom amüsiert zu mir, und ich grinse zurück. Er sieht gut aus. Markanter als vorher, unrasiert und schmaler um die Wangen. Es ist, als hätte er endlich ein Gesicht bekommen. Außerdem kaut er Kaugummi, sodass Mundgeruch kein Thema ist. »Jane«, fügt er hinzu, »ich gehe sowieso gleich rüber, also musst du meiner Mum nicht extra eine SMS ... «
Mum ignoriert ihn. »Du glaubst auch, dass eine SMS schneller geht, oder, Becky, Schätzchen?«, sagt sie entschlossen, während sie auf ihr Handy eintippt. »Sag deinem Vater, er soll aufhören, in der Steinzeit zu leben. «
Aber ich antworte nicht. Ich bin viel zu fasziniert von Jess' linker Hand, als sie den Reißverschluss an ihrem Kapuzenpulli aufzieht. Sie trägt einen Ring! An ihrem Ringfinger! Okay, es ist nicht gerade ein Solitär von Cartier. Er ist aus Knochen oder Holz oder so, mit etwas, das wie ein kleiner, grauer Kieselstein aussieht.
Dennoch, es ist ein Ring! An ihrem Verlobungsfinger!
Ich sehe Suzes Blick, und sie hat ihn offensichtlich auch bemerkt. Das ist echt cool! Noch eine Familienhochzeit! Minnie kann Brautjungfer sein!
»Was ist?« Aufmerksam sieht Mum von Suze zu mir. »Was habt ihr ... oh!« Jetzt ist auch ihr der Ring aufgefallen.
Tom ist verschwunden, und Jess beugt sich über ihren Rucksack, bemerkt uns gar nicht. Mum fängt an, lautlos etwas Langes und Kompliziertes über Jess' Kopf hinweg zu sagen. Sie wiederholt es mehrmals und zieht ein frustriertes Gesicht, weil wir sie nicht verstehen. Dann fangt sie an zu gestikulieren, und ich kriege einen Lachkrampf.
»Komm mit ins Wohnzimmer, Jess!«, presse ich hervor. »Setz dich! Du musst erschöpft sein.«
»Ich mache uns einen Tee.« Mum nickt.
Typisch Jess, sich heimlich zu verloben und keinem ein Wort davon zu sagen. Ich an ihrer Stelle wäre hereingeplatzt und hätte gerufen: »Ratet mal, was passiert ist! Seht euch meinen Kieselring an!«
»Jess!«, hören wir Janices leicht schrille Stimme, als sie vor der Haustür ankommt. Ihr Haare sind frisch gefärbt, in knalligem Rotbraun, und sie trägt lila Lidschatten, passend zu ihren Schuhen und ihrem Armreif. »Liebchen! Willkommen daheim!«
Sofort fällt ihr Blick auf Jess' Ring. Sofort. Ihr Kinn zuckt hoch, sie holt scharf Luft, dann trifft ihr Blick Mums Miene.
Ich werde noch vor Lachen platzen, wenn ich mich nicht schnell verziehe. Ich folge Mum in die Küche, wo die Kinder allesamt vor der Kleinen Meerjungfrau sitzen. Wir machen den Tee und schmieren den Kindern ein paar Schinkensandwiches, während wir über den Ring flüstern und darüber, wann Jess und Tom es wohl allen erzählen werden.
»Wir müssen uns ganz natürlich geben«, sagt Mum, während sie zwei Flaschen Sekt ins Tiefkühlfach legt, damit es schneller geht. »SO tun, als hätten wir nichts gemerkt. Sollen sie es uns erzählen, wenn sie so weit sind. «
Ja, genau. Als wir ins Wohnzimmer kommen, sitzt Jess auf dem Sofa und nimmt offensichtlich gar nicht wahr, dass Janice, Martin, Dad und Suze, die ihr im Halbkreis gegenübersitzen, allesamt ihre linke Hand anstarren, als würde sie radioaktiv leuchten. Als ich mich setze, werfe ich einen Blick aus dem Fenster und sehe Tarquin und Ernie draußen im Garten. Tarkie macht mit den Armen seltsam werfende Bewegungen, und Ernie ahmt ihn nach. Ich stoße Suze an und sage leise:
»Ich wusste gar nicht, dass Tarkie Tai Chi macht! Er ist echt gut!« Suze fährt herum und späht aus dem Fenster. »Das ist nicht Tai Chi! Sie üben Fliegenfischen.«
Die beiden sind völlig vertieft -im Grunde sehen sie richtig niedlich aus, wie in einer Tierdoku, wenn Vater Bär seinem kleinen Bären das Jagen beibringt. (Abgesehen von dem winzigen Umstand, dass sie imaginäre Fische fangen. Mit nicht vorhandenen Angelruten.)
»Ernie hat sogar schon eine Forelle in unserem Bach gefangen!«, sagt Suze stolz. »Mit nur ganz wenig Hilfe.« Na, also. Ich wusste, dass er Talent hat. Er ist offenbar nur auf der falschen Schule. Er sollte eine Fischfängerschule besuchen.
»So!«, sagt Mum fröhlich. »Tee, Jess?«
»Ja, danke.« Jess nickt. Wir schenken Tee ein, und es folgt eine kurze Pause. So eine kleine »Hat jemand irgendwas zu verkünden?«-Pause. Aber Tom und Jess sagen nichts.
Janice hebt ihre Tasse an die Lippen, dann stellt sie sie wieder ab und atmet bebend aus, als könnte sie die Anspannung nicht mehr ertragen. Urplötzlich leuchtet ihr Gesicht auf.
»Dein Geschenk! Jess, ich hab dir eine Kleinigkeit gebastelt ... « Sie galoppiert förmlich zum Baum, hebt ein Päckchen auf und fängt an, das Geschenkpapier selbst abzureißen. »Selbst gemachte Honighandcreme«, sagt sie atemlos. »Ich hab dir doch erzählt, dass ich angefangen habe, Kosmetika herzustellen, aus rein natürlichen Zutaten ... Trag sie auf«
Janice drückt Jess die Creme in die Hand. Gebannt sehen wir alle zu, wie Jess den Ring abnimmt, Handcreme aufträgt und dann den Ring wieder aufsteckt, ohne ein Wort zu sagen.
Netter versuch, Janice, möchte ich am liebsten sagen. Hätte klappen können.
»Die ist toll.« Jess schnüffelt an ihrer Hand. »Danke, Janice. Schön, dass du sie selbst gemacht hast.«
»Wir haben alle etwas Ökologisches für dich«, sagt Mum liebevoll. »Wir wissen ja, wie du bist, was Chlorbleiche und Naturfasern angeht. Wir haben alle was dabei gelernt, stimmt's, Becky?«
»Na, das freut mich.« Jess nimmt einen Schluck Tee. »Es ist doch erstaunlich, dass die westlichen Verbraucher nach wie vor so fehlgeleitet sind. «
»Ich weiß.« Mitleidig schüttle ich den Kopf. »Die haben echt keine Ahnung.«
»Sie fallen auf alles rein, wenn nur das Wörtchen »grün« draufsteht.« Jess schüttelt den Kopf. »Da gibt es offenbar sogar eine fiese, unverantwortliche Firma, die Yogamatten verkauft, die aus giftigen Computerteilen gefertigt werden. Sie versuchen, die Dinger als Recycelt zu verkaufen. In Guatemala kriegen die Kinder bei der Herstellung Asthma.« Sie schlägt mit der Hand aufs Sofa. »Wie kann irgendwer so blöd sein, das für eine gute Idee zu halten?«
»Aber wirklich!« Ich schlucke trocken, mein Gesicht wird heiß. Ich wage nicht, Mum anzusehen. »Was müssen das für Vollidioten sein? Ich glaube, ich sortiere die Geschenke mal ein bisschen ...«
Lässig schlendere ich zum Weihnachtsbaum hinüber und schiebe die guatemaltekische Yogamatte mit dem Fuß hinter den Vorhang. Das war das letzte Mal, dass ich diesem sogenannten »grünen« Katalog vertraut habe. Die haben gesagt, sie würden den Menschen helfen, nicht sie zu Asthmatikern machen! Und was soll ich Jess jetzt schenken?
»Mein Geschenk für dich ist leider noch nicht angekommen«, sage ich zu Jess, als ich mich wieder hinsetze. »Aber du kriegst ... äh ... Kartoffeln. Einen großen Sack voll. Ich weiß ja, wie gern du sie isst. Und den Sack kannst du hinterher als organisch recycelte Reisetasche nutzen. «
»Oh.« Jess wirkt etwas erstaunt. »Danke, Becky.« Sie nimmt einen Schluck Tee. »Und wie laufen die Vorbereitungen für die Taufe?«
»Super, danke.« Erleichtert stürze ich mich auf den Themenwechsel. »Das Essen und alles drumherum wird russisch sein. Es gibt Blinis mit Kaviar und Wodka, und für Minnie habe ich ein absolut traumhaftes Kleidchen ... «
»Habt ihr euch schon auf einen zweiten Namen geeinigt?«, stimmt Mum mit ein. » Denn Reverend Parker rief gestern an und hat noch mal nachgefragt. Du musst dich langsam entscheiden, Liebes.«
»Mach ich!«, beteuere ich. »Es ist nur echt schwer!«
Wir hatten keinen zweiten Namen für Minnies Geburtsurkunde. (Okay, in Wahrheit gab es einen kleinen Streit. Luke war total uneinsichtig, was »Dior« anging. Und »Temperley«. Und nie im Leben würde ich mich auf »Gertrude« einlassen, selbst wenn es von Shakespeare kommt.) Also haben wir sie als »Minnie Brandon« eingetragen und beschlossen, ihr die anderen Namen bei der Taufe zu geben. Das Problem ist nur, dass es nicht leichter wird, je mehr Zeit vergeht. Luke lacht nur, wenn er meine Vorschläge liest, und sagt: »WOZU braucht sie überhaupt einen zweiten Namen?« was wirklich keine Hilfe ist.
»Und gibt es bei dir was Neues, Tom?«, platzt Janice in ihrer Verzweiflung plötzlich heraus. »Ist irgendwas passiert? Gibt es was zu erzählen? Groß, klein ... irgendwas?« Sie beugt sich auf ihrem Sessel vor wie ein Seehund, der sich einen Fisch schnappen will.
»Also, ja ... « Tom grinst ein wenig. »Wenn ich ehrlich sein soll, haben wir was zu erzählen.« Und zum ersten Mal tauschen er und Jess einen dieser »Wollen wir es ihnen sagen?« -Blicke.
Oh, mein Gott.
Sie sind es wirklich! Sie sind verlobt!
Mum und Janice sitzen starr und aufrecht auf dem Sofa. Janice sieht aus, als müsste sie gleich implodieren. Suze zwinkert mir zu, und ich grinse selig. Das wird ein Riesenspaß! Wir können uns Brides kaufen, und ich helfe Jess dabei, ihr Hochzeitskleid auszusuchen, und sie wird kein trostloses, altes, recyceltest Hanfding tragen, wenn es auch grüner sein mag .. .
»Jess und ich möchten euch gern mitteilen ... «, Tom blickt glücklich in die Runde, » ... wir haben geheiratet.«