17


Ich sitze in der U-Bahn, benommen und schockiert. Vor zwei Wochen noch war ich der Star. Ich sollte in den Vorstand berufen werden. Man hat mir Blumen überreicht.

Und jetzt wurde ich zu meiner Schande in den Zwangsurlaub geschickt.

Sie wollen interne Ermittlungen anstellen. Sie wollen der Sache »ernsthaft« nachgehen. Jasmine war total baff, als ich meine Sachen aus meinem Schrank räumte, aber Trevor stand direkt daneben, und deshalb konnte sie mir nur »Ruf mich an!« zuraunen, als ich ging.

Und dann hat mich Trevor bis zum Personaleingang eskortiert, als wollte er verhindern, dass ich irgendwas klaue. In meinem ganzen Leben habe ich mich noch nie dermaßen erniedrigt gefühlt, noch nie.

Na ja, vielleicht doch. Aber es war den anderen Malen definitiv ebenbürtig.

Keine Prämie als Mitarbeiterin des Jahres. Keine Lohnerhöhung. Vielleicht nicht mal mehr ein Job. Was soll ich machen? Wie soll ich die Party bezahlen? Ich versuche, die Situation in aller Ruhe zu durchdenken, aber mir krampft sich vor Angst die Brust zusammen.

Könnten wir vielleicht auch ohne Toiletten auskommen und allen Bescheid sagen, bevor sie kommen? Könnte ich Mum und Dad dazu bewegen, sich als Türsteher zu betätigen? Den Parkservice könnte ich ohne Weiteres selbst übernehmen, wenn es sein muss. Oh, Gott ...

Als ich mein Spiegelbild in der U-Bahn-Scheibe sehe, sind meine Augen groß und starr. Ich sehe aus wie eine Irre, geistig minderbemittelt. Vielleicht passiert das so. Die Leute wollen Partys geben und brechen unter dem Druck zusammen, und am Ende zerbricht daran ihr ganzes Leben. Vielleicht sind Überraschungspartys einer der Hauptgründe für psychische Erkrankungen. Es würde mich nicht wundern.

Ich bin mit Janice und Minnie am Bahnhof Waterloo verabredet, und als ich auf sie zugehe, versetzt es mir einen Stich. Sie sehen so sorgenfrei und glücklich aus.

»Wir hatten einen wunderschönen Morgen!« Janice sprudelt förmlich über, als ich bei ihr bin. »Stimmt es nicht, Minnie? Wir haben alle meine Osterkuchen gebacken und in den Tiefkühler getan.«

»Vielen Dank, Janice.« Ich bringe ein lahmes Lächeln zustande. »Ich weiß es wirklich zu schätzen.«

Janice war ein echter Schatz. Sobald sie hörte, dass Mum und Dad ins West Place ziehen, hat sie angeboten, auf Minnie aufzupassen, wenn ich arbeite. Sie hat einen ganzen Schrank voller Spielzeug gekauft, obwohl ich sie gebeten hatte, es nicht zu tun, und sie hat Minnie einen ganzen Haufen neuer Kinderlieder beigebracht. Der einzige Nachteil ist, dass sie offenbar Jess gegenüber nur noch mehr spitze Bemerkungen zum Thema »Enkelkinder« macht und jedes Mal laut seufzt, wenn sie Minnies Fingerbilder an die Wand pinnt.

»Es war mir ein Vergnügen! Jederzeit wieder. Und ... hast du was von deiner Mum gehört?«, fügt sie zögerlich hinzu.

»Nein. Du?«

Janice nickt. »Es geht ihnen fabelhaft! Die Suite ist offenbar hübsch. Sie waren zweimal im Theater und haben eine Schlammpackung bekommen. Beide gleichzeitig.« »Schön.« Ich blicke zu Boden. »Na ... ich freue mich, dass sie sich amüsieren. « »Sprecht ihr zwei immer noch nicht miteinander, Liebes?« Bedrückt sieht Janice mich an.

»Scheint so.«

Mum und ich haben noch nie nicht miteinander gesprochen. Und wenn sie mir nichts von ihrer Schlammpackung erzählt, heißt das, dass sie offenbar wirklich nicht mit mir reden will.

»Gut, ich sollte besser mal los ...« Janice reicht mir Minnies Fäustlinge. »Ich will noch zu einem Kunstgewerbemarkt und mit meinen Weihnachtseinkäufen anfangen. Wo willst du denn mit Minnie hin?«

»Green Park«, sage ich nach einer kurzen Pause. Was mehr oder weniger stimmt. Das Ritz ist gleich beim Green Park.

Als wir am Piccadilly aus der U-Bahn kommen, türmen sich am Himmel graue Wolken, als hätten sie nur auf eine Gelegenheit gewartet, und plötzlich pladdert Regen auf uns ein. Ich setze Minnie ihre Kapuze auf und trabe trübsinnig voran. Die Aussicht auf einen Tee mit Elinor ist nicht gerade dazu angetan, meine Laune aufzubessern.

Sie erwartet uns in derselben pompösen Suite wie beim letzten Mal, in einem eisblauen Kleid, und auf dem Tisch liegen drei neue Puzzles.

»Ladyyyyyy!« Augenblicklich hellt sich Minnies Miene auf, und sie rennt los, um Elinor zu umarmen. Lähmender Schreck und blanke Fassungslosigkeit stehen Elinor ins Gesicht geschrieben, und trotz meiner finsteren Stimmung möchte ich am liebsten laut loslachen.

»Nun, Minnie ...«, sagt sie verkrampft, fast barsch. »Setz dich lieber mal hin!«

Noch immer klammert sich Minnie an sie, und Elinor tätschelt ihr steif den Rücken. Ich frage mich, ob sie schon mal von einem kleinen Kind umarmt wurde.

Von Luke vielleicht. Bevor sie ihn im Stich gelassen hat. Der bloße Gedanke bereitet mir Bauchschmerzen.

Der Tisch ist üppig gedeckt, wie beim letzten Mal, aber ich bin zu aufgewühlt, um etwas zu essen. Ich möchte diese Tortur so schnell wie möglich hinter mich bringen und gehen.

»Warte mal, Minnie«, sagt Elinor, als Minnie neben mir auf das Sofa krabbelt. »Ich habe dir einen ganz besonderen Kuchen gekauft.«

Sie tritt an einen Sekretär, und als sie sich wieder umdreht, hält sie ein Silbertablett mit einer Tortenglocke in der Hand.

Ihre Wangen sind ganz leicht rosig, und ... ist das ein winziges Lächeln? Ist Elinor ... aufgeregt?

Sie stellt das Tablett auf den Tisch und hebt die Glocke an.

Ach, du lieber Gott. Wie viel hat das denn gekostet?

Es ist ein herzförmiger Kuchen, perfekt mit rosigem Fondant überzogen, mit pinken Trüffeln und kandierten Kirschen, gleichmäßig um den Rand herum arrangiert, und in der Mitte steht mit Zuckerguss ein Name geschrieben: Minnie.

»Siehst du?« Elinor sucht in Minnies Miene eine Reaktion. »Gefallt er dir?« »Kuchen!«, sagt Minnie, und ihre Augen leuchten gierig. »Meeeiiiin Kuchen!«

»Es ist nicht nur ein Kuchen«, sagt Elinor etwas scharf. »Es ist ein Kuchen, auf dem dein Name steht. Siehst du das nicht?« »Elinor ... sie kann nicht lesen«, erkläre ich sanft. »Sie ist noch zu klein dafür.«

»Oh.« Elinor scheint perplex. »Ich verstehe.« Sie steht nur da, noch immer mit der Glocke in der Hand, und ich sehe ihr die Enttäuschung an.

»Aber das ist nett«, sage ich schnell. »Sehr aufmerksam.«

Ich bin ehrlich gerührt von der Mühe, die sie sich gemacht hat. Fast möchte ich mit meinem Handy ein Foto davon machen. Aber wie sollte ich das Luke erklären?

Elinor schneidet ein Stück ab und reicht es Minnie, die es sich mit beiden Händen in den Mund stopft und alles verschmiert und vollkrümelt. Eilig schnappe ich mir ein paar Servietten und versuche, die Sauerei in Grenzen zu halten, doch zu meiner Überraschung wird Elinor deshalb nicht halb so ärgerlich wie erwartet. Sie zuckt mit keiner Wimper, als eine kandierte Kirsche über den kostbaren Teppich kullert.

»Und ich habe neue Puzzles gekauft«, sagt sie und nippt an ihrem Tee. »Dieses eine hier von Nótre Dame ist interessant.«

Notre Dame? Für eine Zweijährige? Ist sie verrückt geworden? Was hat sie gegen Mausi einzuwenden?

Aber erstaunlicherweise hört Minnie wie gebannt zu, als Elinor ihr die verschiedenen Grautöne und die Notwendigkeit erklärt, an den Rändern anzufangen. Als Elinor das Puzzle auskippt, sitzt Minnie mit großen Augen da und greift nur zögernd nach den Teilen, wenn Elinor sie dazu auffordert. Immer wieder blickt sie zu mir auf, als wollte sie mich einladen mitzumachen, aber ich bringe mich nicht dazu, so ein dämliches Puzzle zu legen. In mir ist eine Spannung, wie ein stählernes Band, das sich fester und fester zusammendreht. Was soll ich tun? Was soll ich bloß tun?

Plötzlich klingelt mein Handy, und ich falle fast vom Sofa, weil ich dermaßen überreizt bin. Was ist, wenn The Look anruft, um mir zu sagen, dass sie mit ihren Ermittlungen fertig sind und ich gefeuert bin? Was ist, wenn Luke anruft und er Elinors Stimme hört?

Doch als ich mein Handy hervorhole, sehe ich Bonnies Nummer.

»Elinor, entschuldige mich einen Moment«, sage ich eilig und gehe ans andere Ende des riesigen Wohnzimmers. »Hi, Bonnie, was gibt's?«

»Meine Liebe, ich kann nicht lange sprechen.« Bonnie klingt ungewohnt nervös. »Aber es hat sich ein kleiner Rückschlag ergeben.«

»Ein Rückschlag?« Der Schreck fährt mir in die Glieder. »Was meinen Sie damit?«

Bitte lass es irgendwas Kleines sein! Bitte mach, dass es sich nur um einen weiteren Gast dreht, der allergisch gegen Nüsse ist. Wenn noch eine Katastrophe passiert ...

« Ich weiß nicht, ob Sie mitbekommen haben, dass Luke sich um einen Termin bei Christian Scott-Hughes bemüht ... ? Er ist die rechte Hand von ...«

» ... Sir Bernard Cross«, stimme ich mit ein. »Ja, er spricht von nichts anderem mehr.« »Nun, sie haben sich auf einen Termin geeinigt. Den einzigen Termin, an dem Christian kann. Und es ist der 7. April.« Ich spüre einen kleinen Stich. »Um wie viel Uhr?«

»Mittags.«

Ich atme erleichtert aus. »Na, das müsste noch klappen ... «

»In Paris.«

»Paris?« Entsetzt starre ich mein Handy an.

»Sie wollen über Nacht bleiben. Luke hat mich gebeten, entsprechende Flüge und ein Hotel zu buchen.« Nein. Nein. Ich traue meinen Ohren nicht. »Er darf nicht nach Paris fliegen! Sagen Sie ihm, sein Terminkalender ist voll! Oder rufen Sie Christian Scott-Hughes' Büro an, und sagen Sie denen ...«

»Becky, Sie verstehen nicht.« Bonnie klingt so gestresst, wie ich mich fühle. »Christian Scott-Hughes ist ein vielbeschäftigter Mann. Allein diesen Termin zu bekommen war ein Riesenglück. Wenn wir ihn verlegen, wird es noch mal mehrere Monate dauern. Das kann ich nicht machen ...«

»Und was ist mit der Schulung, die Sie sich ausgedacht hatten?« »Luke wird nicht daran teilnehmen. Er sagt, sie sei nicht wichtig genug.«

Leeren Blickes starre ich ein in Gold gerahmtes Gemälde von einem Mädchen mit rotem Hut an. Meine Gedanken rasen. Luke kann am Tag der Party unmöglich nach Paris fliegen. Es darf einfach nicht sein.

»Sie müssen einen neuen Termin finden«, sage ich verzweifelt. »Denken Sie sich was aus! Egal was!«

»Ich habe es ja versucht!« Bonnie klingt, als wäre sie mit ihrer Weisheit am Ende. »Glauben Sie mir, ich habe alles versucht! Ich habe angedeutet, dass er dringend an der Schulung teilnehmen sollte, ich habe einen Business-Lunch erfunden ... Ich habe ihn sogar daran erinnert, dass es sein Geburtstag ist. Da hat er nur gelacht. Er will nicht auf mich hören. Becky ...« Sie atmet ernüchtert aus. »Ich weiß, Sie wollten ihn überraschen. Aber ich fürchte, Sie werden ihm die Wahrheit sagen müssen.«

»Nein!« Fassungslos starre ich das Telefon an.

»Aber es ist die einzige Möglichkeit ...« »Ist es nicht!«

»Liebes, ist denn die Überraschung wirklich so entscheidend?«

»Ja!«, heule ich auf. Plötzlich bin ich den Tränen nah. »Ist sie!« Ich weiß, dass sie mich für überspannt und unvernünftig hält. Und vielleicht bin ich das auch. Aber ich werde jetzt nicht aufgeben.

Als ich auflege, zittere ich. Es ist, als hätte die Spannung noch mal um fünfzig Prozent angezogen, und ich kriege kaum noch Luft. Ohne zu merken, was ich tue, kehre ich zum Sofa zurück, nehme mir ein winziges Rosinenbrötchen und stopfe es mir in den Mund. Dann noch eins. Vielleicht hilft mir der Zucker beim Denken.

Wie kann ich verhindern, dass Luke nach Paris fliegt? Seinen Ausweis verstecken? Ihn kidnappen? Irgendeine brillante, wasserdichte Ausrede finden, die ihn zurückhält?

Plötzlich merke ich, dass Elinor gar nicht mehr nach Puzzleteilchen greift und ihr eisiger Blick auf mir ruht. Falls sie mir erzählen will, dass meine Schuhe zerkratzt sind, werde ich ihr dieses Brötchen an den Kopf werfen, aber echt.

»Rebecca, geht es dir auch gut? Hast du dich erschrocken?«

Unweigerlich mache ich den Mund auf und will sagen: »Keine Sorge, es geht schon.« Aber dann ... Ich bring es einfach nicht fertig. Ich bin nicht stark genug, die glückliche Fassade aufrechtzuerhalten. Nicht vor jemandem, der mir nichts bedeutet.

»Ehrlich gesagt ging es mir schon besser.« Mit zitternder Hand schenke ich mir eine Tasse Tee ein, verrühre drei Stück Zucker und kleckere herum.

»Möchtest du einen Brandy? Oder einen kräftigen Cocktail?«

Argwöhnisch sehe ich sie an. Elinor? Bietet sie mir wirklich einen Cocktail an? Oder war das nur wieder eine ihrer spitzen Bemerkungen?

Nein. Ihre Miene lässt nicht auf Letzteres schließen. Ich glaube, es war ihr Ernst. Was soll ich sagen? Das war der beste Vorschlag, den mir seit langem irgendwer gemacht hat.

»Ja, bitte«, sage ich nach einer kleinen Pause. »Ich hätte gern einen kräftigen Cocktail.«

Elinor reicht mir die Getränkekarte für den Zimmerservice, und ich bestelle mir einen Apple Martini, der gefühlte Nanosekunden später eintrifft. Dankbar trinke ich davon, und der Alkohol geht mir sofort ins Blut. Ich fühle mich gleich ein bisschen besser. Als ich ihn halb ausgetrunken habe, höre ich auf zu zittern. Oh, Gott, davon könnte ich drei vertragen.

Nach wie vor legt Elinor ganz ruhig die Puzzleteilchen aneinander, als sei überhaupt nichts los. Nach einer Weile jedoch blickt sie gleichmütig auf und sagt:

»Hast du eine schlechte Nachricht bekommen?«

»So ungefähr.« Ich nehme noch einen Schluck Apple Martini. Hier in diesem Zimmer zu sitzen hat etwas Hypnotisches. Es fühlt sich an, als befände ich mich weit abseits der realen Welt, wie in einer Luftblase. Niemand weiß, dass ich hier bin. Es ist, als gäbe es das alles gar nicht wirklich.

Und plötzlich überkommt mich ein unwiderstehlicher Drang, mir alles von der Seele zu reden. Ich meine, wenn ich es Elinor erzähle -wem könnte sie es verraten? Niemandem.

»Ich bin dabei, eine Party für Lukes Geburtstag zu organisieren.« Ich rühre meinen Apple Martini um. »Eine große Überraschungsparty. In zwei Wochen.«

Elinor zuckt mit keiner Wimper, auch wenn es nicht leicht zu verkraften sein dürfte, dass der eigene Sohn eine Überraschungsparty feiert, von der man nichts weiß und zu der man obendrein nicht eingeladen ist.

»Ich konnte dich nicht einladen«,« füge ich schroff hinzu. »Du weißt, dass es nicht ging.« Selbst wenn ich es gewollt hätte, füge ich nicht hinzu.

Elinor bewegt ihren Kopf einen Millimeter, ohne zu antworten, und ich rede weiter.

»Es gab schon richtig viele Pannen.« Ich kratze mich im Gesicht. »Ich meine, ich war so schon ziemlich fertig. Aber jetzt habe ich erfahren, dass Luke ein Treffen mit einem gewissen Christian Scott-Hughes vereinbart hat, genau an dem Tag, an dem die Party stattfinden soll. Und wir können ihn nicht dazu bewegen, den Termin zu verlegen. Er will diesen Christian Scott-Hughes schon seit Ewigkeiten sprechen. Seine Sekretärin weiß nicht, was sie machen soll, und ich auch nicht. Entweder klaue ich ihm den Ausweis und er wird toben vor Wut, oder wir verlegen die ganze Party irgendwie nach Paris, oder ich gebe einfach auf und sage ihm die Wahrheit ... «

Mein Satz versandet in Trübseligkeit. Ich möchte es Luke so, so, so gern verschweigen. Aber ich habe das schreckliche Gefühl, dass mir nicht viel anderes übrig bleibt, als mit der Wahrheit herauszurücken .

»Die ganze Zeit habe ich es geheim gehalten.« Ich knabbere an der martinigetränkten Apfelscheibe. »Luke hat keine Ahnung, was ich vorhabe. Ich bringe es einfach nicht übers Herz, die Überraschung zu verderben. Aber was soll ich sonst machen?«

Es klopft an der Tür, und ein Kellner kommt schweigend mit einem Apple Martini herein. Er nimmt mein leeres Glas, ersetzt es durch das volle und schwebt wieder hinaus.

Ich glotze ihn an. Läuft das hier immer so? Oder liegt es an Elinor?

»Meinst du den Christian Scott-Hughes, der für Bernard Cross arbeitet?«, erkundigt sich Elinor, die kein Wort über den zweiten Apple Martini verloren hat.

»Genau. Luke möchte für irgendeinen Umweltkunden dringend Kontakt zu Bernard Cross aufnehmen.«

Ich nehme einen Schluck von meinem neuen Cocktail, der genauso lecker wie der erste ist, dann blicke ich auf, um nachzusehen, ob Elinor Mitgefühl zeigt. Jemand Normales hätte längst »Du Ärmste!«, gesagt oder mich sogar in den Arm genommen, doch ihre Miene ist so starr und steif wie immer.

»Ich kenne Bernard«, sagt sie schließlich »Ich habe ihn in St. Trapez auf seiner Jacht kennengelernt. Ein charmanter Mensch.«

Super. Typisch. Hier sitze ich und vertraue ihr meine Probleme an, und ihr fällt nichts anderes ein, als mit ihren hochtrabenden gesellschaftlichen Kontakten zu prahlen. Und außerdem, weiß Elinor eigentlich, was das Wort »charmant« bedeutet? Vielleicht verwechselt sie es mit »reich«. Das würde einiges erklären.

»Ich zweifle nicht daran, dass du ihn kennst«, sage ich knapp. »Herzlichen Glückwunsch.« Ich weiß, ich bin rüde, aber das ist mir egal. Meint sie, es interessiert mich, auf weIcher blöden Jacht sie war? Ich fische das Apfelscheibchen aus dem zweiten Martini und stopfe es mir in den Mund, wenn auch leider nicht, bevor Minnie es entdeckt hat.

»Apfel! Meeeiiiin Apfel!« Sie versucht, mir in den Mund zu greifen, um es wieder herauszuholen.

»Nein, Minnie«, presse ich hervor und nehme ihre grabschenden Finger von meinem Mund. »Nicht dein Apfel. Es war ein Apfel für Erwachsene, und jetzt ist er weg.«

»Mein Saft!« Jetzt konzentriert sie sich auf den Cocktail. »Meeeiiin Saft. .. «

»Ich könnte mit Bernard sprechen.« Elinors ruhige Stimme dringt an mein Ohr. »Ich könnte ihm die Situation erklären und dafür sorgen, dass der Termin verlegt wird. Luke würde nie erfahren, wer dahintersteht. «

Verdutzt sehe ich Elinor in die Augen. Sie wirkt so distanziert. Ich kann kaum glauben, dass ich richtig gehört haben soll. Bietet sie mir tatsächlich ihre Hilfe an? Könnte sie mein Problem lösen? So einfach?

Irgendetwas keimt in meinem Bauch. Es fühlt sich an wie Hoffnung.

Aber ich weiß schon jetzt, dass ich sie dämpfen muss. Ich darf nicht mal dran denken. Und hoffen schon mal gar nicht ... Ich meine, wir reden hier von Elinor. Elinor. Luke würde mich umbringen, wenn er wüsste, dass Minnie und ich hier sind, dass ich Informationen über sein Geschäft preisgebe, dass ich ihre Hilfe annehme ...

»Nein. Du kannst mir nicht helfen. Tut mir leid, das geht einfach nicht. Wenn Luke raus finden würde, dass ich mit dir gesprochen habe ...« Eine altbekannte Sorge bricht über mich herein, und ich stehe auf und stelle meinen Cocktail weg. »Ich war schon viel zu lange hier. Wir müssen gehen. Minnie, sag: »Byebye, Lady.«

»Ladyyyyyy!« Minnie klammert sich an Elinors Beine.

»Und was willst du jetzt tun?«

Sie betrachtet mich mit so etwas Ähnlichem wie leidenschaftslosem Interesse, als wäre ich eins von ihren Puzzles und sie möchte wissen, wie es aussieht, wenn es fertig ist. »Ich weiß nicht«, sage ich ohne Hoffnung. »Ich muss mir irgendwas einfallen lassen.«

Als ich nach Hause komme, ist keiner da, und auf dem Tisch liegt ein Zettel mit Janices Schrift. Nanny Sues Sekretärin hat angerufen. Bitte anrufen, um Termin wegen Minnie abzumachen.

Reflexartig knülle ich den Zettel zusammen und werfe ihn in den Mülleimer, dann mache ich mir einen Becher Tee und versuche, nicht den Mut zu verlieren. Komm schon, Becky. Denk positiv. Ich darf nicht zulassen, dass mich meine Probleme unterkriegen. Ich muss mir einfach eine Lösung überlegen.

Doch obwohl ich reichlich Zucker in meinen Becher gebe und mich mit Stift und Papier hinsetze, fällt mir nichts ein. Ich fühle mich schachmatt und hohl und leer. Gerade überlege ich, ob ich mir noch einen Cocktail zur Beruhigung mixen soll, als es an der Haustür klingelt. Überrascht laufe ich durch die Diele und sehe draußen einen weißhaarigen, alten Mann im Overall stehen. Seine Hände sind schmutzig, er hat noch ungefähr drei Zähne, und hinter ihm, in der Auffahrt, steht ein Pritschenwagen.

»Zelt?«, sagt er ohne Vorrede.

Einen Moment lang starre ich ihn unsicher an.

»Fräulein?« Er winkt mit der Hand vor meinem Gesicht. »Wollen Sie ein Zelt haben?« »Ja!« Ich komme zu mir. »Ja, bitte!«

Endlich mal eine gute Nachricht. Das ist ein Zeichen! Alles wird gut. Ich bin jetzt schon ganz aufgeregt, wenn ich mir vorstelle, wie in Janices Garten ein Festzelt flattert.

»Und Sie kommen von Cliffs Firma?«, sage ich, als er schon dabei ist, die Plane an seinem Laster zu lösen. « Er lässt sich entschuldigen. Plötzlich mussten alle zu einem Notfall nach Somerset. Der helle Wahnsinn.«

»Ich dachte, es ist derzeit nicht viellos«, sage ich überrascht.

»Es gab ein paar Absagen.« Er nickt. »Aber manchmal überlegen es sich die Leute anders, oder? Passiert andauernd. Die meisten Zelte sind unten in Cornwall, aber Cliff meint, das hier können Sie haben.«

Mit Schwung wirft er einen Haufen weißer Plane in die Auffahrt. Etwas verunsichert sehe ich sie mir an. Das Ding ist nicht ganz so groß, wie ich erwartet hatte.

»Ist das ein Festzeit?«

»Pavillon, oder? Ist auf der einen Seite ein bisschen feucht geworden, aber wenn man da mit Putzmittel rangeht, lässt es sich abschrubben.« Schon sitzt er wieder hinter seinem Lenkrad und lässt den Motor an. »Viel Spaß damit.«

»Warten Sie!«, rufe ich. »Wo gebe ich es zurück?«

Das scheint den Mann zu amüsieren.

»Nein, keine Sorge. Das brauchen wir nicht zurück.«

Der Laster setzt aus der Auffahrt zurück, und ich tue einen zögernden Schritt auf die weiße Plane zu. Vielleicht ist sie größer, als sie aussieht. »Decke!« Minnie kommt hinter mir aus dem Haus gerannt, springt auf die Plane und fangt an, darauf herumzuhüpfen. ,)Das ist keine Decke! Es ist ein ... ein Zelt. Komm runter da, Süße. Sehen wir es uns mal an.«

Vorsichtig hebe ich eine der Lagen hoch und stutze. Darunter ist alles verschimmelt. Ich hebe noch eine Lage an ... und da ist ein riesengroßer Riss.

Mir wird ein bisschen schwindlig. Ich werde Stunden brauchen, um das Ding sauber zu kriegen und den Riss zu flicken.

Und es ist nicht mal ein richtiges Zelt. Es ist winzig. Wie sollen da zweihundert Leute reinpassen? Mein ganzer Körper pulsiert vor unterdrückter Panik. Aber ich habe keine Wahl. Entweder das hier oder gar nichts.

»Okay!«, sage ich so fröhlich, wie ich kann, zu Minnie. »Also ... Mami muss das hier putzen, nicht? Finger weg!« Ich reiße ihre Hand vom grünen Schimmel weg.

»Mammelade!«, heult sie enttäuscht. »Meeeiiiin!«

»Das ist keine Marmelade. Das ist igitt!«

Unter der Spüle finde ich Gummihandschuhe, Scheuermittel und eine Bürste, und nachdem ich Minnie vor dem Fernseher geparkt habe, fange ich an zu schrubben. Ich dachte, das Mittel würde den grünen Dreck direkt abwaschen wie in der Fernsehwerbung. Tut es aber nicht. Der Schimmel klebt an der Plane und ist an manchen Stellen mit Schlamm verkrustet. Das Ding lag bestimmt seit Jahren so herum. Zehn Minuten intensives Schrubben sind nötig, um etwa dreißig Quadratzentimeter Kruste abzuschrubben. Erschöpft hocke ich da.

Ich kann unmöglich das ganze Ding putzen.

Aber ich muss. Was anderes kann ich mir nicht leisten.

Ich schrubbe noch zehn Minuten weiter, dann werfe ich meine Bürste in das Wasser mit dem Scheuermittel, das inzwischen schwarz vor Dreck ist. Mein Rücken tut weh. Mein Kopf pocht. Als ich da so sitze und mir die Haare aus dem heißen Gesicht wische, fühle ich mich ganz hohl vor Angst. Zum ersten Mal wird mir bewusst, wie absolut hoffnungslos und ausweglos meine Lage ist. Wieso habe ich eigentlich geglaubt, ich könnte so eine Riesenparty schmeißen, ganz allein? Sie ist einfach zu riesig.

Mir ist zum Heulen.

Nein. Ich werde nicht heulen.

Ich merke, wie ich -fast ohne es zu wollen -in meine Tasche greife und mein Handy heraushole. Und mit dem Daumen Suzes Nummer drücke.

Ich werde sie nicht um Hilfe bitten. Das bringe ich nicht fertig. Aber falls sie sich noch mal anbieten sollte ... nehme ich an.

»Bex! Hi!« Sie antwortet sofort.

»Suze?«, sage ich zaghaft. »Wie geht's denn so?«

Ich werde nicht sofort auf das Thema kommen. Ich werde einfach warten, bis sie die Party erwähnt, und dann da ansetzen.

»Ich bin immer noch stinksauer!«, antwortet Suze erhitzt. »Weißt du, was ich heute gemacht habe? Ich habe Tarkies komplettes Team zusammengerufen, und ich habe gefragt: »Wieso wart ihr nicht da? Wieso war niemand bei dem Foto-Shooting? Und weißt du, was das Schlimmste ist? Einer von denen war da!« Ihre Stimme wird vor Ärger immer lauter. »Er meinte, er fand schon, dass das alles doch eher sonderbar aussah, aber er dachte, das sei bestimmt der letzte Schrei, und deshalb wollte er nicht eingreifen. »Ich sage dir, Bex, ich werde noch Tarkies Manager. Hast du von Danny was gehört?«, fügt sie hinzu. »Denn ich rufe ihn ständig an, der Kerl ruft mich jedoch nicht zurück. «

»Nein, mich ruft er auch nicht zurück.« Plötzlich höre ich im Hintergrund jemanden schreien, und etwas knallt. »Wilfie! Lass das! Bex, ich muss los. Wie geht es dir denn eigentlich?«

Sie verliert kein Wort über die Party.

Und plötzlich empfinde ich Scham. Ich kann es ihr nicht sagen. Ich kann nicht zugeben, dass ich bis zu den Knien in einer dreckigen Zeltplane stehe, ohne Geld und ohne Job und ohne eine Ahnung, wie ich diese Party auf die Beine stellen soll.

»Mir geht's ... mir geht's gut! Wir sprechen später, Suze ...« Ich lege auf und sitze einen Moment da. In der Auffahrt wird es kühl und dunkel. Drüben bei Janice sehe ich Licht und habe plötzlich eine Idee. Ich scrolle durch meine Nummern und drücke Jess.

Ich werde sie auf eine Tasse Tee einladen, und sie wird das Zelt sehen und mir freiwillig beim Putzen helfen. Das macht sie bestimmt. Ich hätte Jess schon längst fragen sollen. Schließlich ist sie meine Schwester! »Hi, Jess!«, sage ich aufgedreht, als sie antwortet. »Bist du in der Nähe? Hast du Lust auf eine Tasse Tee oder so?«

»Tom und ich sind in Staffordshire«, sagt sie, und ihre Stimme klingt weit weg. »Ich kann hier im Museum ein paar Recherchen anstellen. Ich konnte Janice keine Sekunde länger ertragen. Du glaubst nicht, was sie zuletzt angestellt hat.«

»Was denn?«

»Sie hat unsere Verhütungsmittel geklaut! Einfach versteckt. Sie streitet alles ab, aber ich weiß es genau. Wie sollten unsere Kondome sonst in die Schublade in ihrem Schlafzimmer kommen? Ich hab zu ihr gesagt: »Erzähl mir nicht, es sind deine, Janice, denn das glaube ich dir nicht. Ich meine, sie hat doch wahrscheinlich noch nie von Fair-Trade-Kondomen gehört, geschweige denn welche gekauft. Es gab einen Riesenkrach. Martin hat sich draußen im Baumhaus versteckt, so peinlich war es ihm.«

Trotz allem muss ich doch fast lachen, als ich mir vorstelle, wie Janice und Jess sich um Kondome streiten.

»Also mussten wir für ein paar Tage da mal raus«, fährt Jess fort. »Becky, ich kann sie einfach nicht ertragen. Was soll ich tun?« Sie ist nur noch ganz schwer zu verstehen.

»Jess? Bist du noch dran?« »Tut mir leid! Hör zu, mein Akku ist gleich aus. Kann ich dich später zurückrufen?« »Klar!« Ich versuche, beschwingt zu klingen. »Grüß Tom von mir!« Als das Licht in meinem Handy erlischt, scheint mir die Auffahrt finsterer als je zuvor.

Mein Kopf sinkt auf die Knie. Ich bin erschöpft. Die beiden Anrufe haben mich meine letzte Kraft gekostet. Ich bin völlig am Ende. Ich habe keine Hoffnung, keine Pläne, keine Lösung. Ich weiß nicht, wieso ich dachte, ich könnte eine Party ausrichten. Ich muss wohl verrückt gewesen sein.

Plötzlich rollt eine Träne an meiner Nase herab, gleich gefolgt von der nächsten. Ich werde mir meine Niederlage eingestehen müssen. Ich muss die Party absagen. Ich sehe keine andere Möglichkeit. Es ist zu schwierig. Das kriege ich nie im Leben hin.

Auf einmal entfährt mir ein gewaltiger Schluchzer, und ich schlage meine Hände vors Gesicht. Ich kann es nicht fassen, dass ich aufgebe. Aber was bleibt mir anderes übrig?

Ich werde Bonnie anrufen und sie bitten, alle Gäste anzumailen. Wir lassen uns irgendeine Ausrede einfallen. Luke kann nach Paris fliegen. Er wird nie erfahren, was ich vorhatte. Das Leben wird einfach weitergehen. Das ist die einfachste Lösung. Die einzige Lösung.

»Rebecca?« Mein Kopf zuckt hoch, und ich blinzle die große, schemenhafte Gestalt an, die da vor mir steht.

»Elinor?« Panik schnürt mir die Kehle zu. »Was machst du hier? Du darfst nicht hierherkommen! Was ist, wenn Luke dich sieht oder meine Eltern ... «

»Luke ist nicht da«, erwidert Elinor ruhig. Sie trägt den taubengrauen Chanel-Mantel, den ich ihr verkauft habe, den Gürtel um die Taille fest geschnürt. »Außer Minnie und dir ist niemand da. Mein Chauffeur hat nachgesehen, bevor ich herkam.«

Ihr Fahrer? Wo hat sie den her, vom MI5?

»Ich werde mich kurzfassen.« Ihr Blick geht in die Ferne, wendet sich von mir ab. »Ich möchte dir noch einmal meine Hilfe anbieten. Ich glaube, du hast mein Angebot allzu voreilig zurückgewiesen, aus Gründen, die ich nur vermuten kann. Allerdings brauchst du augenscheinlich Beziehungen zu Sir Bernard Cross. Ich könnte ihn bitten, Lukes Termin zu verlegen, und ich bin mir sicher, dass er es tut.« Sie zögert. »Wenn du möchtest, dass ich es in die Wege leite, dann lasse es mich bitte wissen.«

»Danke«, sage ich mutlos. »Aber es hat keinen Sinn mehr. Ich werde die Party absagen.«

Zum ersten Mal blickt Elinor mich offen an, und ich sehe Verwunderung in ihren Augen blitzen.

»Absagen? Warum?«

»Weil ich es nicht schaffen kann.« Die nächste Träne läuft an meiner Nase entlang. »Es ist die reine Katastrophe. Ich habe dieses Zelt hier eingetauscht, aber es ist total schimmlig, und ich werde es nie rechtzeitig sauber kriegen, und es ist noch nicht mal groß genug. Und dann ist mir das Geld ausgegangen, und ich wollte um eine Lohnerhöhung bitten, doch man hat mich quasi entlassen, und außerdem fliegt Luke ja sowieso nach Paris ... « Ich wische mir die Augen. »Was soll's? Wozu muss ich es noch weiter versuchen?«

Elinor wirft einen kalten Blick auf das Zelt. »Hast du denn niemanden, der dir bei diesem Vorhaben hilft? Deine Freundin Susan vielleicht?« Gott, ich wusste gar nicht, dass sie Suzes Namen überhaupt kennt.

»Ich hab irgendwie ... « Ich stocke und werde rot. »Ich habe meinen Freunden gesagt, dass ich von ihnen keine Hilfe annehmen will.«

Langsam wird es richtig dunkel, und ich kann Elinor kaum noch sehen. Gerade will ich sie auf eine Tasse Tee hereinbitten, in der Hoffnung, dass sie ablehnt, als sie weiterspricht, wobei sie noch steifer und sauertöpfischer klingt als sonst.

»Mir fiel unser Gespräch ein, und ich habe in den vergangenen Wochen oft darüber nachgedacht. Du bist eine einfühlsame junge Frau, Rebecca. Noch nie habe ich Luke etwas zukommen lassen, ohne mir davon etwas zu versprechen. Stets waren damit ... Erwartungen verknüpft. Ich möchte ihm jetzt gern etwas schenken. Bedingungslos. Und deshalb möchte ich dir helfen.«

»Elinor ...« Ich verziehe mein Gesicht. »Das ist nett von dir. Wirklich. Aber -wie gesagt -es hat keinen Sinn. Selbst wenn Luke nicht nach Paris fliegt, kriege ich diese Party nicht rechtzeitig zusammen.« Ich hebe einen schimmligen Lappen Zeltplane hoch und lasse ihn fallen. »Erwartest du, dass ich in diesem Ding zweihundert Leute bewirte?«

»Dann gibst du also einfach auf?«

Ihr Ton versetzt mir einen Stich. Was geht sie das an? Es ist nicht ihre Party. Sie ist nicht mal eingeladen. »Scheint so.« Ich zucke mit den Schultern. »Ja. Tu ich.« »Das finde ich bestürzend.« Mit steinernem Blick sieht sie mich an. »Ich kann mich nicht erinnern, dass du schon einmal bei irgendeinem Vorhaben aufgegeben hättest. Du warst unüberlegt, ja. Ungeschliffen, ja. Impulsiv, ja. Töricht, ja.«

Will sie mich mit so was aufbauen?

»Okay, danke«, unterbreche ich sie. »Hab schon verstanden.«

»Aber du warst immer unerschütterlich«, fahrt Elinor fort, als hätte ich gar nichts gesagt. »Stets hast du dich geweigert aufzugeben, egal welche Hindernisse sich dir in den Weg stellten. Das habe ich an dir immer bewundert.«

Sie hat mich immer bewundert? Verarschen kann ich mich auch alleine.

»Na, vielleicht sind die Hindernisse diesmal einfach zu groß, okay?«, sage ich müde. »Vielleicht bin ich einfach nicht Supergirl.«

»Wenn der entsprechende Wille da ist, lässt sich mit genügend Ressourcen alles erreichen.«

»Ja, aber das ist doch der Punkt!«, bricht der Frust aus mir hervor. »Begreifst du nicht? Ich bin meinen Job los! Alle meine Kreditkarten sind ausgereizt! Ich habe keine verdammten ... «

»Ich habe Ressourcen«, fällt Elinor mir ins Wort.

Verunsichert starre ich sie einen Augenblick an. Will sie sagen ... sie kann doch nicht ...

»Ich habe Ressourcen«, wiederholt sie. »Wir könnten ... es gemeinsam machen.«

Oh, mein Gott.

Gemeinsam? Will sie etwa als Co-Gastgeberin mit an Bord kommen? »Elinor ... « Die Idee ist dermaßen absurd, dass ich fast lachen möchte. »Das kann nicht dein Ernst sein. Luke wäre ... er würde ... «

»Luke müsste nichts davon wissen. Luke würde es nie erfahren.« Sie klingt so resolut, dass ich sie verdutzt anstarre. Sie meint es ernst, oder?

»Mami!« Minnie kommt aus dem Haus gewetzt, dann bleibt sie staunend stehen. »Ladyyyyy!« Begeistert stürzt sie sich auf Elinor.

»Elinor ...« Ich reibe an meiner Stirn herum. »Du kannst nicht so einfach ... Weißt du eigentlich, was du bei Luke angerichtet hast? Wie er reagieren würde, wenn ... «

»Ich weiß. Deshalb bitte ich dich um diese Chance.« Ihr Gesicht ist so steinern wie eh und je, aber plötzlich bemerke ich dieses winzige Zucken neben ihrem Auge, das mir schon einmal aufgefallen ist.

Es sei denn, es läge nur an der Dämmerung.

»Ich kann Luke unmöglich etwas schenken.« Aus ihrer Stimme spricht kein Selbstmitleid. »Er hat mich aus seinem Leben verbannt. Er misstraut mir. Alles, was ich ihm schenken würde, käme postwendend zurück. Wenn du mein Angebot annimmst, gibst du mir damit die Möglichkeit, Luke ein Geschenk zu machen, ohne dafür etwas zu verlangen.« Elinor macht eine Pause. »Ein Geschenk ... wie seine richtige Mutter es ihm gemacht hätte.«

Bitte? Hat sie Annabel eben seine richtige Mutter genannt?

Ich schlucke -mehrmals. Das wird mir hier alles zu heftig. Ich weiß nicht, ob ich das kann. Es war einfacher, als Elinor nur die böse Schwiegermutter war, die wir nie zu sehen kriegten.

»Wenn du mein Angebot ausschlägst«, fügt sie hinzu, nüchtern wie immer, »dann verwehrst du mir dieses Privileg.« »Puzzle?« Zuversichtlich langt Minnie in Elinors Handtasche. »Puzzle?«

»Hier, für dich, Minnie.« Elinor greift in ihre 'Tasche, holt eines der Puzzles hervor, die sie im Ritz hatte, und reicht es Minnie. Dann sieht sie mir direkt in die Augen »Bitte.«

Meine Gedanken fliegen hin und her wie eine Flipperkugel. » Ich kann nicht ... ich darf nicht ... ich könnte ... «

Luke würde es nie erfahren ...

Nein, ich kann nicht ...

Aber wir müssten nicht alles absagen ... Luke bekäme seine Party ...

»Vielleicht brauchst du noch etwas Zeit, um darüber nachzudenken«, sagt Elinor, und ich blicke auf und betrachte sie, als sähe ich sie zum ersten Mal. Wie sie da steht, mit ihrer teuren Tasche, die Hände in Handschuhen, das Haar weht leicht im Wind. Sie sieht blass und alt und kraftlos aus. Und beinah ... demütig.

Das ist das Verrückteste von allem. Elinor Sherman, die herablassendste, hochnäsigste Frau auf der ganzen Welt, hat mich weder getadelt noch herumkommandiert noch hat sie mir einen Vortrag gehalten. Sie hat mich um etwas gebeten. Und jetzt wartet sie lammfromm auf eine Antwort.

Oder zumindest so lammfromm, wie man sein kann, wenn man von Kopf bis Fuß in Chanel gewandet ist und der Chauffeur wartet.

»Okay«, sage ich langsam und schenke ihr ein Lächeln. »Okay, Elinor. Du bist dabei.«

»Danke.« Elinor zögert. »Rebecca, ich möchte dir noch etwas anderes sagen. Ich weiß, du bist entschlossen, diese Party selbst auszurichten. Ich weiß, du bist stolz auf deine Unabhängigkeit. Du solltest jedoch nicht die Freude unterschätzen, die es anderen bereiten würde, Luke etwas zu schenken, jeder auf seine Weise.«

»Meine Freundin Suze hat auch so was Ähnliches zu mir gesagt«, sage ich langsam. »Sie wollte helfen, aber ich habe es nicht zugelassen.«

Unwillkürlich verziehe ich das Gesicht, als ich an Suzes gekränkte Stimme denke, wie sie sagte: »Es dreht sich nicht immer alles nur um dich, okay? Es geht nicht darum, dass wir es dir nicht zutrauen. Es geht darum, dass Luke nicht nur dein Mann ist, sondern auch unser Freund, und wir wollten ihm was Gutes tun.«

Sie wollte wirklich gern mitmachen. Und ich war zu stolz, um sie zu lassen. Selbst jetzt habe ich sie noch nicht gefragt, oder? Ich habe darauf gewartet, dass sie sich freiwillig meldet. Kein Wunder, dass sie es nicht getan hat.

Plötzlich komme ich mir vor wie die blödste Kuh der Welt.

»Elinor, entschuldige mich einen Moment ... « Ich nehme ein paar Schritte Abstand, hole mein Handy hervor und rufe noch mal bei Suze an.

»Bex?« Sie klingt überrascht. »Alles okay?«

»Hör zu, Suze«, sage ich mit bebendem Wortschwall. »Es tut mir leid. Ich wünschte, ich hätte dich gleich darum gebeten, mir mit der Party zu helfen. Ich finde eure Idee mit dem Shortbread ganz toll, und Luke wäre bestimmt gerührt. Und ich wollte nur sagen ... « Ich schlucke. »Ist es zu spät? Oder würdest du mir helfen?«

Einen tickenden Moment lang ist alles still, dann sagt Suze: »Sei ehrlich, Bex. Hast du dich richtig tief in die Scheiße geritten?« »Ja!« Es kommt halb als Lachen, halb als Schluchzen heraus. »Hab ich.« »Dann schuldet Tarkie mir einen Fünfen«, sagt sie zufrieden. »Okay. Wann und wo und was soll ich machen?«


KENTISH ENGLISH SPARKLING WINE

Spandings House Mallenbury Kent

Mrs. Rebecca

Brandon The Pines

43 Elton Road

Oxshott

Surrey

3. April 2006

Liebe Mrs. Brandon,

vielen Dank für Ihren Brief vom 27. März.

Ich freue mich, dass unsere Lieferung von 50 Flaschen Schaumwein Sie unbeschädigt erreicht hat und Sie bei einer Kostprobe vom kraftvollen und unverwechselbaren Geschmack derart »beeindruckt« waren. Darauf sind wir sehr stolz!

Allerdings habe ich auch großes Verständnis dafür, dass Sie sich -wie Sie sagen -kürzlich den Abstinenzlern angeschlossen und daher entschieden haben, Ihre Party alkoholfrei auszurichten. Wir werden dafür Sorge tragen, dass die Flaschen unverzüglich abgeholt werden, und hoffen, dass Ihre Party gut (und nüchtern) in Schwung kommt!

Mit freundlichen Grüßen

Paul Spry

Marketing Direktor

PS: In Kürze werden wir einen alkoholfreien Schaumwein auf den Markt bringen und würden uns freuen, Ihnen auf Kosten des Hauses zehn Flaschen zukommen zu lassen.



Загрузка...