IN DER ABTEI ANGEKOMMEN, ERFUH-
ren Fidelma und Eadulf, daß der König auf sie gewartet habe, schließlich jedoch ins sacrarium gerufen worden sei, wo man auch Äbtissin Abbe erwartete. Die Synode ging ihrem Ende entgegen, und die Abschlußreden beider Seiten standen unmittelbar bevor.
Eadulf schlug vor, sich ebenfalls ins sacrarium zu begeben, um das Ende der Synode zu sehen und anschließend mit Oswiu zu sprechen.
Fidelma war so in Gedanken vertieft, daß Ea-dulf seinen Vorschlag mehrmals wiederholen mußte, ehe sie ihn überhaupt zur Kenntnis nahm.
«Ich nehme an, jeder in der Abtei kennt das de-fectorum mit dem Ausgang zu den Klippen?» fragte sie die domina des domus hospitale. Athelswith nickte.
«Ja, das ist kein Geheimnis.»
«Und was ist mit den Gästen?» hakte Fidelma nach. «Ich zum Beispiel habe bis heute nichts davon gewußt.»
«Richtig», sagte Schwester Athelswith. «Nur unsere männlichen Gäste werden ausdrücklich daraufhingewiesen, weil das defectorum den Männern vorbehalten ist. Unsere Brüder ziehen sich lieber dorthin zurück, anstatt das defectorum gegenüber vom monasteriolum zu benutzen.»
«Verstehe. Und was ist, wenn sich zufällig eine Frau in den Tunnel verirrt? Ich habe am Eingang kein Hinweisschild gesehen.»
«Die meisten Schwestern benutzen das Gebäude gegenüber vom monasteriolum. Sie kommen gar nicht ins hypogeum, es sei denn, sie arbeiten in der Küche. Und wer in der Küche arbeitet, weiß Bescheid. Für ein Hinweisschild gibt es also keine Notwendigkeit.»
Nachdenklich wandte sich Schwester Fidelma um und folgte Eadulf ins sacrarium.
Die Stimmung dort war äußerst angespannt. Äbtissin Hilda stand vorn und sprach zu der Versammlung.
«Brüder und Schwestern in Christi», sagte sie, als Fidelma und Eadulf leise durch eine Seitentür in den Saal schlüpften, «kommen wir jetzt zu den abschließenden Stellungnahmen.»
Ohne Umschweife erhob sich Colman von seinem Stuhl. Er hatte beschlossen, als erster zu sprechen - eine unkluge Entscheidung, wie Fidelma fand, denn wer zuletzt spricht, findet stets am meisten Gehör.
«Brüder und Schwestern, in den letzten Tagen habt Ihr gehört, warum die Kirche Columbans an ihrer Datierung des Osterfests festhält. Unsere Kirche beruft sich auf den Apostel Johannes, den Sohn des Zebedäus, der das Galiläische Meer verließ, um dem Messias zu folgen. Er war der Jünger, den Jesus am meisten lieb hatte und der beim Letzten Abendmahl an der Brust Jesu lag. Als der Sohn Gottes schließlich am Kreuz sein Leben ließ, nahm er seine letzte Kraft zusammen, um Johannes Maria, seine Mutter, anzuvertrauen. Johannes war es auch, der am Morgen der Auferstehung Petrus voraus zum Grab lief und es leer fand. Er war auch der erste, der den Auferstandenen am See Tiberias erkannte. Johannes war der von Christus Gesegnete. Als Jesus das Wohlergehen seiner Mutter und seine Familie in Johannes’ Hände legte, vertraute er ihm auch seine Kirche an. Deshalb heißt unser Weg zu Christus auch heute noch Johannes.»
Unter dem beifälligen Gemurmel der Anhänger Columbans nahm Colman wieder Platz.
Ein selbstgefälliges Lächeln auf den Lippen, erhob sich Wilfrid von Ripon.
«Wir haben gehört, daß die Kirche Columbans sich auf den Apostel Johannes beruft. Mit ihm stehen und fallen alle ihre Sitten und Gebräuche. Ich aber sage Euch, daß sie fallen müssen.»
Wütende Empörung erhob sich in den Reihen der Anhänger Columbans.
Äbtissin Hilda hob beschwichtigend die Hände.
«Wir müssen Wilfrid von Ripon die gleiche Höflichkeit entgegenbringen, die wir auch Col-man, dem Bischof von Northumbrien, gewährten», ermahnte sie die Versammlung.
Wilfrid lächelte so triumphierend wie ein Jäger, der sich seiner Beute sicher wähnt.
«Das Osterfest, wie wir es kennen, hat seinen Ursprung in Rom, der Stadt, in der die Apostel Petrus und Paulus lebten, lehrten, litten und begraben sind. Ostern wird in ganz Italien, Gallien, Franken und Iberia am gleichen Tag gefeiert, was ich persönlich bezeugen kann, weil ich diese Länder bereist habe, um dort zu studieren und zu beten. In allen Teilen der Welt folgen die unterschiedlichsten Völker mit den unterschiedlichsten Sprachen der gleichen Datierung des Osterfests. Die einzige Ausnahme bilden diese Leute hier!» Mit einem spöttischen Grinsen zeigte er auf die Reihen der Vertreter Ionas. «Ich meine die Iren, die Pikten, die Bretonen und jene Vertreter unseres Volkes, die sich entschlossen haben, den Irrlehren Columbans zu folgen. Die einzige einleuchtende Begründung für ihre Unwissenheit lautet, daß sie von den beiden entlegensten Inseln im westlichen Ozean und dort wiederum aus den abgeschiedensten Gegenden stammen. Deshalb sind sie vom wahren Wissen abgeschnitten und fechten einen aussichtslosen Kampf gegen den Rest der Welt. Sie mögen heilig sein, aber sie sind nur wenige. Ihre Zahl ist viel zu gering, als daß sie in der allumfassenden Kirche Christi je eine Vorrangstellung einnehmen könnten.»
Colman sprang auf. Sein Gesicht war rot vor Zorn.
«Das sind doch alles nur Ausflüchte, Wilfrid von Ripon. Ich habe Euch gesagt, auf wen sich unsere Kirche stützt: auf Johannes, den Lieblingsjünger Jesu. Sagt uns, auf wen Ihr Euch beruft, oder haltet endlich den Mund.»
Beifälliges Gemurmel erhob sich im Saal.
«Also gut. Rom erwartet Gehorsam von allen Anhängern des Christentums, weil es Rom war, wohin sich Simon, der Sohn Jonas, wendete, um seine Kirche zu gründen. Er war der Apostel, den wir Petrus nennen und den Christus als seinen
Wighard, der hinter ihm stand, reichte ihm ein bereits aufgeschlagenes Buch. Wilfrid begann zu lesen:
«
Wilfrid hielt inne und sah sich um.
«Unsere Lehre stützt sich auf Petrus, der die Schlüssel zum Tor des himmlischen Königreichs in Händen hält!»
Unter dem stürmischen Beifall seiner Anhänger nahm Wilfrid Platz.
Schweigen setzte ein, als der Applaus verebbte. Eadulf stieß Fidelma an und deutete auf das Podium. Äbtissin Abbe war aufgestanden und verließ das sacrarium.
In diesem Augenblick erhob sich auch Äbtissin Hilda. «Brüder und Schwestern im Glauben, damit sind die abschließenden Begründungen vorgebracht worden. Nun obliegt es unserem Herrscher, König Oswiu, von Gottes Gnaden Bretwalda all unserer Königreiche, sein Urteil abzugeben und zu entscheiden, welche Kirche, die Kirche Ionas oder die Kirche Roms, in unserem Königreich die Vorherrschaft bekommen soll.»
Sie wandte sich zu Oswiu um. Die gespannten Blicke aller Anwesenden im Saal folgten ihr.
Zu ihrem Erstaunen sah Fidelma, daß der blonde, hochgewachsene König Northumbriens sitzenblieb. Er wirkte unruhig und geistesabwesend. Zögernd ließ er den Blick über die ihm erwartungsvoll zugewandten Gesichter schweifen. Dann erhob er sich endlich von seinem Thron. Sein unnatürlich scharfer Tonfall sollte wohl seine Besorgnis verbergen.
«Ich werde meine Entscheidung morgen mittag verkünden», sagte er knapp.
Mit diesen Worten wandte sich der König ab und verließ das sacrarium. Empörtes Gemurmel erhob sich im Saal. Alhfrith, der Sohn des Königs, sprang auf und folgte seinem Vater. In seinem Gesicht spiegelte sich kaum verhohlener Zorn. Ean-flaed, die Königin, schien besser in der Lage zu sein, ihre Gefühle zu verbergen, aber ihr Lächeln wirkte bitter. Auch Ecgfrith, Oswius zweiter Sohn, hatte
ein gequältes Lächeln auf den Lippen, als er sein Gefolge um sich scharte und das sacrarium verließ.
Kaum hatte sich die Tür hinter der königlichen Familie geschlossen, erhob sich allgemeines Geschrei.
Fidelma warf Eadulf einen kurzen Blick zu und ging zur Tür.
Draußen sagte Eadulf: «Unsere Brüder und Schwestern scheinen wohl eine sofortige Entscheidung erwartet zu haben. Habt Ihr bemerkt, daß Äbtissin Abbe schon vor König Oswius Schlußwort gegangen ist und daß Bruder Taran an der Versammlung überhaupt nicht teilgenommen hat?»
Doch Fidelma war schweigsam und in Gedanken vertieft. Auf dem Weg zu Äbtissin Hildas Gemächern sagte sie kaum ein Wort.
Oswiu erwartete sie bereits. Sein Gesicht war blaß, und seine Gesichtszüge wirkten angespannt.
«Da seid Ihr ja endlich!» sagte er. «Ich habe den halben Vormittag damit verbracht, auf Euch zu warten. Wo wart ihr? Ich wollte vor Abschluß der Synode unbedingt noch einmal mit Euch sprechen.»
Fidelma ließ sich von seinem gereizten Tonfall nicht beeindrucken.
«Hat man Euch berichtet, daß es noch einen weiteren Mord gegeben hat?»
Oswiu runzelte die Stirn.
«Einen weiteren Mord? Ihr meint Athelnoth?»
«Nein - Seaxwulf, Wilfrids Sekretär, ist ebenfalls ermordet worden.»
Oswiu schüttelte den Kopf.
«Ich verstehe das nicht. Gestern abend wurde Athelnoth umgebracht. Jetzt sagt Ihr mir, das Seaxwulf gestorben ist. Wieso das alles? Hilda meinte, zuerst hättet Ihr Athelnoth für den Mörder gehalten und geglaubt, er habe seinem Leben aus Reue selbst ein Ende gesetzt.»
Eadulfs Wangen röteten sich.
«Ich habe leider ein paar vorschnelle Schlußfolgerungen gezogen, mußte jedoch schon bald darauf erkennen, daß ich einem Irrtum erlegen war.»
Oswiu schnaubte empört.
«Ich hätte Euch sagen können, daß Ihr Euch irrt. Athelnoth war über jeden Zweifel erhaben.»
«Wieso das?» wollte Fidelma wissen.
«Weil er mein Vertrauter war. Ich habe Euch gesagt, daß wir in schwierigen Zeiten leben. Es gibt gewisse Kräfte, die mich entthronen wollen. Die Synode wollen sie nur dazu nutzen, im Königreich einen Bruderkrieg zu entfesseln. Folglich muß ich meine Augen überall haben. Athelnoth war einer meiner besten Gewährsmänner und zuverlässigsten Ratgeber. Gestern erst habe ich ihn zu meinem Heer geschickt, das sein Lager bei Ecga’s Tun aufgeschlagen hat.»
Eadulfs Augen blitzten.
«Deshalb war Athelnoth gestern den ganzen Tag fort und ist erst nach Einbruch der Dunkelheit zurückgekehrt.»
Oswiu sah den sächsischen Mönch nachdenklich an, dann fuhr er fort:
«Athelnoth ist mit wichtigen Neuigkeiten heimgekehrt. Er konnte in Erfahrung bringen, daß man sich gegen mich verschworen hat. Die Aufständischen wollten mich töten und die Herrschaft im Königreich übernehmen. Mein Heer mußte sofort ausrücken, um ihrem Angriff zuvorzukommen.»
Fidelma wurde von Aufregung ergriffen.
«Jetzt wird einiges klar.»
«Klarer als Ihr denkt, Schwester», entgegnete Oswiu mit grimmiger Miene. «Heute morgen haben meine Wachen Than Wulfric und zwanzig seiner Krieger getötet. Sie haben versucht, durch den Tunnel, der von den Klippen in die Katakomben führt, heimlich in die Abtei einzudringen. Wie Ihr wißt, werden um Mitternacht bis zum morgendlichen Angelus alle Tore geschlossen, und in dieser Zeit dürfen sich in der Abtei keine waffentragenden Krieger befinden. Athelnoth war davon überzeugt, daß Wulfric in der Abtei einen Verbündeten hatte, der nur darauf wartete, ihm und den anderen Attentätern zu helfen und ihn zu meiner Kammer zu führen.»
«In der Tat, es wird mehr als klar», sagte Fidelma.
Stirnrunzelnd versuchte Eadulf, Fidelmas Gedanken zu lesen.
«Was meint Ihr damit?»
«Ganz einfach», erwiderte Fidelma. «Ich glaube, daß Wulfrics Verbündeter Taran, der Pikte, war.»
«Wie kommt Ihr darauf?» fragte Oswiu. «Warum sollte sich ein Pikte mit machthungrigen North-umbriern verbünden, die ihren König stürzen wollen?»
«Ich komme darauf, weil ich weiß, daß Taran mit Wulfric freundschaftlichen Umgang pflegte, uns jedoch, als wir ihn danach fragten, nur Lügen auftischte. Schon als ich Wulfric auf dem Weg nach Streoneshalh zum erstenmal sah, hatte ich den Eindruck, daß sich Wulfric und Taran kannten, was darauf schließen läßt, daß die Verschwörung von langer Hand geplant war. In Streoneshalh beobachtete ich Taran und Wulfric dann bei einem heimlichen Treffen, was Taran später heftig leugnete. Ich glaube, Taran wollte Northumbrien vernichtet oder zumindest von einem Bruderkrieg erschüttert sehen.»
«Aber warum?» fragte Oswiu erstaunt.
«Weil die Pikten, wie Ihr die Cruthin nennt, ein sehr nachtragendes Volk sind und ihr Haß ebenso tief wie langlebig ist. Taran erzählte mir einmal, sein Vater, ein Häuptling der Gododdin, und seine Mutter seien von Oswald, Eurem Bruder, getötet worden. Taran wollte Auge um Auge und Zahn um Zahn vergolten sehen. Deshalb war er bereit, denen zu helfen, die Euch ermorden wollten.»
«Und wo ist dieser Taran jetzt?»
«Als letztes haben wir ihn zum Hafen laufen sehen», schaltete sich Eadulf ein. «Meint Ihr, er war auf dem Weg zu einem Schiff, Fidelma? Er hat der abschließenden Sitzung der Synode nicht beigewohnt.»
«Soll ich Krieger nach ihm ausschicken?» fragte Oswiu. «Werden sie ihn noch einholen können?»
«Taran kann niemandem mehr schaden», sagte Fidelma. «Wahrscheinlich befindet er sich schon auf hoher See und flieht in sein Heimatland. Ich glaube nicht, daß er Euch jemals wieder behelligen wird. Durch Verfolgung und Bestrafung läßt sich nichts weiter gewinnen als Rache.»
«Wir müssen also davon ausgehen», sagte Eadulf nachdenklich, «daß es eine Verschwörung gab, um Oswiu zu stürzen, und daß der Mord an Äbtissin Etain ein Teil dieses Planes war. Aber warum mußte sie sterben? Das verstehe ich immer noch nicht.»
«Eine Frage, Oswiu», sagte Fidelma, ohne Ea-dulfs Worte zu beachten. «Eure Schwester, Äbtissin Abbe, ist nicht bis zur Bekanntgabe Eurer Entscheidung geblieben. Wißt Ihr, weshalb?»
Oswiu zuckte mit den Schultern.
«Sie wußte, daß ich meine Entscheidung nicht sofort treffen würde. Ich habe es ihr gesagt.»
«Und Eure Söhne und Eure Frau wußten das nicht?»
«Nein. Ich hatte keine Zeit mehr, es ihnen zu erklären.»
«Was ist mit der Verschwörung?» beharrte Eadulf. «Wie paßt der Mord an Etain in diesen Plan?»
«Das Motiv .» Fidelma wurde mitten im Satz unterbrochen, weil die Tür aufschwang und Alh-frith ins Zimmer platzte, gefolgt von einer ängstlich die Hände ringenden Hilda und einem grimmig dreinblickenden Colman. Alhfrith funkelte seinen Vater feindselig an.
«Weshalb die Verzögerung?» fragte er ohne Umschweife. «Ganz Northumbrien wartet auf deine Entscheidung.»
Oswiu lächelte gequält. «Und du rechnetest fest damit, daß ich mich für Columban entscheiden würde. Das hätte dir gut gepaßt, denn dann hättest du im Namen Roms zum Aufstand gegen mich aufrufen können.»
Alhfrith sah ihn überrascht an. Seine Miene verhärtete sich.
«Was sollen die Ausflüchte?» schnaubte er. «Du kannst die Entscheidung nicht ewig hinausschieben. Auch wenn du schwach bist, mußt du dich endlich erklären!»
Oswius Gesicht war rot vor Zorn, aber seine Stimme klang beherrscht. «Wunderst du dich nicht, daß ich noch lebe?» fragte er kühl.
Alhfrith zögerte, und ein seltsamer Blick trat in seine Augen.
«Ich habe keine Ahnung, wovon du redest», erwiderte er mit gepreßter Stimme.
«Auf Wulfric brauchst du jedenfalls nicht mehr zu warten. Er ist tot und seine aufständischen Krieger ebenfalls. Dein Heer mag von Helm’s Leah losmarschiert sein, aber es wird nicht vor den Mauern von Streoneshalh erscheinen. Statt dessen wird es auf mein Heer treffen und zerrieben werden.»
Alhfriths aschfahles Gesicht erstarrte.
«Du bist ein schwacher, alter Mann», sagte er erbittert. Hilda stieß einen empörten Schrei aus. Mit einer Handbewegung hieß Oswiu die Äbtissin zu schweigen.
«Du bist mein Sohn, bist Fleisch von meinem Fleisch, doch du vergißt, daß ich dein König bin», grollte er und betrachtete seinen Sohn mit kaltem Blick.
Der Unterkönig von Deira reckte trotzig sein Kinn. Er hatte jetzt nur noch wenig zu verlieren.
«Vor zehn Jahren habe ich bei Winwaed an deiner Seite gekämpft. Damals warst du stark, Vater. Seitdem bist du immer schwächer geworden. Ich weiß, du würdest dich lieber vor Iona als vor Rom verneigen. Und Wilfrid und die anderen wissen es ebenfalls.»
«Sie werden noch merken, wie stark ich bin», entgegnete Oswiu mit ruhiger Stimme. «Und sie werden auch von deinem Verrat an deinem Vater und König erfahren.»
Wut packte Alhfrith, als er sich eingestehen mußte, daß seine so sorgsam geschmiedeten Pläne gescheitert waren. Fidelma spürte, daß er sich nicht länger beherrschen konnte. Sie schrie auf, um Eadulf, der unmittelbar neben ihr stand, zu warnen.
Im nächsten Augenblick hatte Alhfrith auch schon ein Messer in der Hand und stürzte sich in mörderischer Absicht auf seinen Vater.
Eadulf sprang vor, um nach dem Arm mit dem
Messer zu greifen, doch Oswiu hatte schon sein Schwert gezogen. Der Unterkönig von Deira stürzte und riß Eadulf mit sich. Alhfrith stieß einen erstickten Schrei aus, der wie ein Schluchzen klang, dann fiel das Messer zu Boden.
Alle waren wie gelähmt. Es herrschte entsetztes Schweigen.
Oswiu starrte auf die blutige Spitze seines Schwertes, als könne er nicht glauben, was soeben geschehen war.
Langsam brach die mächtige Gestalt des Herrschers von Deira zusammen. Blut befleckte sein Wams direkt über dem Herzen.
Eadulf regte sich als erster. Er griff nach dem Hals des jungen Mannes, um seinen Puls zu fühlen. Er schaute erst zu dem reglosen Oswiu und dann zu Äbtissin Hilda auf, dann schüttelte er den Kopf und sah zu Boden.
Äbtissin Hilda ging zu Oswiu und legte eine Hand auf seinem Arm. Ihre Stimme war völlig ruhig.
«Ihr tragt keine Schuld, Oswiu. Er hat seinen Tod selbst heraufbeschworen.»
Oswiu erschauderte wie jemand, der aus einem Traum erwacht. «Und doch war er mein Sohn», sagte er leise.
Colman schüttelte den Kopf.
«Er war Wilfrids Mann. Wenn Wilfrid davon erfährt, wird er versuchen, die Anhänger Roms zu bewaffnen.»
Oswiu steckte sein blutiges Schwert in die Scheide zurück und wandte sich an seinen Bischof. Er wirkte jetzt wieder ruhig und beherrscht.
«Ich hatte keine Wahl. Er lauerte schon seit langem auf eine Gelegenheit, mich aus dem Weg zu räumen und selbst den Thron zu besteigen. Ich wußte, daß er sich gegen mich verschwor. Er kannte keine Treue zu Rom oder Iona. Den Religionsstreit nutzte er nur aus, um mich zu schwächen. Letztendlich ist er ein Opfer seines eigenen Ungestüms geworden.»
«Und dennoch», beharrte Colman, «müßt Ihr Euch jetzt vor Wilfrid und Ecgfrith in acht nehmen.»
Oswiu schüttelte den Kopf.
«Ehe der Tag zu Ende ist, wird mein Heer mit Alhfriths Aufständischen fertig sein und nach Streoneshalh marschieren.» Er hielt inne und sah seinen Bischof traurig an. «Mein Herz schlägt für Iona, Colman, doch wenn ich mich für Iona entscheide, werden Wilfrid und Ecgfrith versuchen, einen Aufstand gegen mich vom Zaun zu brechen. Sie werden behaupten, ich würde das Königreich an die Iren, Pikten und Bretonen verkaufen und mein eigenes Volk verraten. Was soll ich tun?»
Colman seufzte.
«Das ist leider eine Entscheidung, die Ihr ganz alleine treffen müßt, Oswiu. Niemand kann sie Euch abnehmen.»
Oswiu lachte bitter.
«Man hat mir diese Synode aufgezwungen. Ich bin daran gebunden wie an ein vom Wasser angetriebenes Rad. Ich muß aufpassen, daß ich nicht ertrinke.»
Fidelma zuckte zusammen.
«Ertrinken! Wir haben Seaxwulf vergessen. Ehe wir mit Sicherheit sagen können, wer hinter den Morden an Etain, Athelnoth und Seaxwulf steckt, haben wir noch eine Menge zu tun.»
Sie bedeutete Eadulf, ihr zu folgen, und ließ die anderen in Äbtissin Hildas Gemach zurück.
«Ich möchte, daß Ihr in Witebia einen kundigen Fischer ausfindig macht», sagte sie zu Eadulf, als sie alleine waren. «Fragt ihn, wie lange es seiner Erfahrung nach dauert, bis ein Leichnam von den Klippen unterhalb der Abtei an eine Stelle gespült wird, wo sie gefunden werden kann. Es ist wichtig, daß wir Seaxwulfs Leichnam untersuchen. Und laßt uns beten, daß wir ihn innerhalb der nächsten Stunden und nicht erst nach Tagen oder Wochen entdecken.»
«Aber warum?» wollte Eadulf wissen. «Ich verstehe Euch nicht. Stecken nicht Alhfrith, Taran und Wulfric hinter den Morden?»
Fidelma lächelte.
«Ich hoffe, daß Seaxwulf das entscheidende Beweisstück auch im Tod noch bei sich trägt.»