WÄHREND SCHWESTER FIDELMA VON
der schrecklichen Nachricht noch immer wie benommen war, ging die Tür auf, und Fidelma nahm verschwommen wahr, daß Colman sich eilig von seinem Stuhl erhob. Um zu sehen, was den Bischof zu dieser ungewöhnlichen Geste veranlaßt hatte, wandte sie sich zur Tür.
Oswiu von Northumbrien betrat das Zimmer.
Die Ereignisse hatten sich überstürzt, und für Fidelma war alles viel zu schnell gegangen. Sie hatte noch gar nicht richtig begriffen, daß ihre jahrelange Gefährtin, ihre Glaubensschwester und Äbtissin, einem grausamen Mord zum Opfer gefallen war. Im ersten Augenblick hatte sie sich wie gelähmt gefühlt. Jetzt spürte sie eine unendliche Trauer in sich aufsteigen, und doch versuchte sie mit aller Macht, ihre Gefühle zu unterdrücken. Es würde Etain nicht helfen, wenn sie jetzt in Trübsinn versank. Ihr Verstand war gefragt, ihre Kenntnisse und Begabungen waren gefordert, und Gefühle würden ihren Scharfsinn nur trüben. Zum Trauern hatte sie später noch reichlich Zeit.
Entschlossen sah Fidelma dem Neuankömmling entgegen.
Von nahem wirkte der König von Northumbrien längst nicht so imposant wie aus der Ferne. Zwar war er groß und muskulös, aber sein helles Haar hatte eine schmutzig gelb-graue Farbe, und die Zeichen des Alters waren nicht zu übersehen.
Seine Haut war gelblich, und unzählige aufgeplatzte Äderchen bildeten ein Netz aus feinen hellroten Linien auf seinen Wangen. Seine Augen waren eingesunken, seine Stirn von Falten zerfurcht. Fidelma hatte gehört, daß bisher noch jeder König von Northumbrien einen gewaltsamen Tod auf dem Schlachtfeld gestorben war. Es war ein Vermächtnis, das schwer auf ihm lastete.
Mit gehetztem Blick schaute Oswiu sich um und ließ die Augen schließlich auf Schwester Fidelma ruhen.
«Ich habe gehört, daß Ihr eine dalaigh der Bre-hon-Gerichtsbarkeit Irlands seid?»
Zu Fidelmas Erstaunen beherrschte er die irische Sprache fast wie ein Einheimischer. Dann fiel ihr ein, daß er in Iona aufgewachsen war und mit den dortigen Ordensbrüdern vermutlich nur Irisch gesprochen hatte.
«Ja, ich habe den Rang einer anruth inne.»
Colman trat einen Schritt vor, um es dem König zu erklären. «Das bedeutet ...»
Mit einer ungeduldigen Geste wehrte Oswiu ab.
«Ich weiß sehr genau, was das bedeutet, Bischof. Wer den Rang einer anruth erlangt hat, beherrscht das allerhöchste Wissen und kann auf gleicher Stufe mit Königen - ja, sogar mit dem Hochkönig selbst -Dispute führen.» Er lächelte selbstzufrieden über die Verlegenheit des Bischofs, ehe er sich wieder an Fidelma wandte. «Und doch bin ich, wie ich offen gestehen muß, erstaunt, einen so gelehrten Kopf auf diesen jungen Schultern vorzufinden.»
Fidelma unterdrückte ein Seufzen.
«Ich habe acht Jahre lang beim Brehon Morann von Tara studiert, einem der größten Richter unseres Landes.»
Oswiu nickte geistesabwesend.
«Ich wollte Eure Eignung nicht in Frage stellen, und Bischof Colman hat mir von Eurem ausgezeichneten Ruf erzählt. Ihr wißt bereits, daß wir Euch brauchen?»
Schwester Fidelma senkte den Kopf.
«Man hat mir gesagt, daß Etain von Kildare ermordet wurde. Sie war nicht nur meine Äbtissin, sondern auch meine Freundin. Ich bin zur Hilfe bereit.»
«Wie Ihr wißt, sollte Äbtissin Etain die Debatte für die Kirche Ionas eröffnen. Mein Land ist in dieser Frage gespalten, Schwester Fidelma. Deshalb ist diese Angelegenheit von allergrößter Wichtigkeit. Schon jetzt gehen die wildesten Gerüchte um, und die Mutmaßungen überschlagen sich. Wenn die Äbtissin von einem Mitglied der römischen Gesandtschaft ermordet wurde, wie es unter den gegebenen Umständen naheliegend erscheint, könnte es in meinem Volk zu einem so großen Bruch kommen, daß es der Wahrheit Christi in unserem Land den Todesstoß versetzt. Ein Bruderkrieg droht, mein Volk auseinanderzureißen. Versteht Ihr das?»
«Ja», antwortete Fidelma. «Und doch gibt es etwas Wichtigeres, an das wir denken müssen.»
Oswiu hob erstaunt die Augenbrauen.
«Was könnte wichtiger sein als eine politische Zerreißprobe, die Iona, Armagh, ja möglicherweise sogar das ferne Rom erschüttern könnte?»
«Es gibt etwas, das wichtiger ist», beharrte Fidelma mit ruhiger Stimme. «Wer auch immer Etain von Kildare ermordet hat, muß sich vor dem Gesetz verantworten. Das ist das oberste Ziel, die wichtigste Moral. Was andere daraus machen, ist ihre Sache. Die Suche nach der Wahrheit steht über allen Dingen.»
Einen Augenblick sah Oswiu sie überrascht an, dann lächelte er reuevoll.
«Das sind die Worte einer unerschrockenen Vertreterin des Rechts. Fast hätte ich vergessen, daß die Brehon-Richter Eures Landes über dem Königshof stehen. Hier bei uns ist der König das Gesetz, und es gibt niemanden, der über ihn zu Gericht sitzen könnte.»
Fidelma verzog das Gesicht.
«Ich habe von den Mängeln Eurer sächsischen Ordnung gehört.»
Äbtissin Hilda fuhr erschrocken zusammen.
«Mein Kind, vergeßt nicht, daß Ihr mit dem König sprecht.»
Aber Oswiu grinste nur.
«Es gibt keinen Grund, sie zu tadeln, werte Base. Schwester Fidelma handelt in Übereinstimmung mit den Grundsätzen ihres Landes. In Irland wirkt der König nicht als Gesetzgeber, und er herrscht auch nicht durch göttliches Recht. Er ist nur der Verwalter eines Gesetzes, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Jeder Gesetzeskundige, ein anruth oder ollamh, kann mit dem höchsten König des Landes rechtliche Streitgespräche führen. Ist es nicht so, Schwester Fidelma?»
Fidelma lächelte.
«Ihr habt gut begriffen, worum es uns geht, Oswiu von Northumbrien.»
«Und Ihr scheint einen scharfen Verstand zu besitzen und ohne Furcht vor einer der Parteien zu sein», entgegnete Oswiu. «Das ist gut. Meine Base hat Euch sicherlich schon gebeten, das Verbrechen aufzuklären und herauszufinden, wer Etain von Kildare ermordet hat? Wie lautet Eure Antwort? Werdet Ihr die Sache untersuchen?»
In diesem Augenblick war ein lautes Knarren zu hören. Schwester Gwid stand zitternd und verkrampft in der offenen Tür. Ihr Haar unter der Haube war zerrauft, ihre Lippen bebten, ihre Augen waren rot, und dicke Tränen liefen ihr über die bleichen Wangen. Laut schluchzend blickte sie wirr von einem zum anderen.
«Was zum ...?» hob Oswiu überrascht an.
«Ist es wahr? O Gott, sagt mir, daß es nicht wahr ist!» schrie die verzweifelte Ordensschwester und rang verzweifelt die großen, knochigen Hände. «Ist Äbtissin Etain tot?»
Schwester Fidelma erholte sich als erste von dem Schrecken, eilte zu Schwester Gwid, nahm sie am Arm und zog sie mit sich aus dem Zimmer. Draußen auf dem Flur winkte sie der besorgten Schwester zu, die für Äbtissin Hildas Wohl zuständig war und offenbar vergeblich versucht hatte, Gwid davon abzuhalten, in das Gemach zu stürmen.
«Es ist wahr, Gwid», sagte Fidelma leise. Sie verspürte Mitleid mit dem linkischen Mädchen. «Laßt Euch von der Schwester in Euer dormitori-um bringen. Legt Euch eine Weile hin, und ich werde zu Euch kommen, sobald ich kann.»
Schluchzend ließ sich Gwid den Flur hinunterführen. Ihre breiten Schultern zuckten in schwerer Pein.
Einen Augenblick hielt Fidelma inne, ehe sie sich zurück ins Gemach der Äbtissin begab.
«Äbtissin Etain war in Emly Schwester Gwids Lehrerin», erklärte sie den anderen, als sie mit fragenden Blicken empfangen wurde. «Gwid sollte der Äbtissin während der Versammlung als Sekretärin zur Seite stehen. Sie hat Etain sehr verehrt und ist über ihren Tod verständlicherweise bestürzt. Wir alle haben mit unserer Trauer zu kämpfen.»
Äbtissin Hilda seufzte mitfühlend.
«Ich werde das arme Mädchen später trösten gehen», sagte sie. «Laßt uns vorher jedoch in dieser Sache zu einer Übereinkunft kommen.»
Oswiu nickte. «Was sagt Ihr zu dem Vorschlag, Fidelma von Kildare?»
Fidelma nickte.
«Äbtissin Hilda hat bereits angedeutet, daß ich in diesem Fall ermitteln soll. Ich bin dazu gerne bereit, wenn auch nicht aus politischen Gründen, sondern weil ich dem Gesetz zu seinem Recht verhelfen will - und weil Etain meine Freundin war.»
«Das war wohl gesprochen», entgegnete Oswiu. «Doch spielt Politik in dieser Sache unweigerlich eine große Rolle. Der Mord an einer so herausragenden Persönlichkeit kann in der Absicht geschehen sein, auf unsere Debatte Einfluß zu nehmen. Am naheliegendsten ist sicherlich die Vermutung, daß die Sprecherin Ionas von einem Anhänger Roms zum Schweigen gebracht wurde. Andererseits kann es durchaus sein, daß der Mörder gerade diese Vermutung schüren wollte, damit die Synode aus Mitgefühl Iona gegen Rom unterstützt.»
Schwester Fidelma betrachtete Oswiu nachdenklich. Vor ihr stand kein prunksüchtiger Monarch mit einfältigem Gemüt, sondern ein König, der mit eiserner Faust über zwanzig Jahre lang in Northumbrien geherrscht hatte und jeden von außen oder innen kommenden Versuch, ihn auszuschalten und vom Thron zu stoßen, erfolgreich vereitelt hatte. Inzwischen erkannten die meisten sächsischen Könige ihn als ihren Führer an, und selbst der Bischof von Rom titulierte ihn als «König der Sachsen». Fidelma schätzte die Schärfe seines Verstands.
«Das wird sich dann aus meiner Untersuchung ergeben», sagte sie ruhig.
Oswiu zögerte und schüttelte den Kopf.
«Nicht ganz.»
Fidelma hob fragend die Augenbrauen.
«Es gibt eine Bedingung.»
«Ich bin eine Gesetzeskundige der Brehon-Gerichtsbarkeit. Ich arbeite nicht unter irgendwelchen Bedingungen. Ich bin einzig und allein der Wahrheit verpflichtet.» Ihre Augen blitzten gefährlich.
Äbtissin Hilda war entsetzt.
«Schwester, Ihr scheint zu vergessen, daß Ihr nicht in Eurem Heimatland seid, dessen Gesetze hier keine Gültigkeit besitzen. Ihr müßt dem König mit Respekt begegnen.»
Wieder lächelte Oswiu nachsichtig.
«Keine Sorge, werte Base, Schwester Fidelma und ich verstehen uns schon. Und wir haben Respekt voreinander, daran zweifele ich nicht. Dennoch muß ich darauf bestehen, daß meine Bedingung erfüllt wird, denn wie ich schon sagte, ist dies auch eine politische Angelegenheit, und die Zukunft unseres Königreichs hängt von ihrer Lösung ab.»
«Ich verstehe nicht ganz ...», begann Fidelma verwirrt.
«Dann laßt es mich erklären», unterbrach sie Oswiu. «In Streoneshalh gehen bereits zwei Gerüchte um. Das erste lautet, daß die römische Seite durch diesen verabscheuungswürdigen Mord die redegewandteste Fürsprecherin Ionas zum Schweigen bringen wollte. Das zweite Gerücht besagt, daß es sich um eine List der Anhänger Ionas handelt, die darauf abzielt, die Synode zu stören und dafür zu sorgen, daß Iona und nicht Rom in Zukunft Einfluß auf Northumbrien nehmen kann.»
«Beide Gerüchte sind verständlich.»
«Meine Tochter Aelflaed, die von den Glaubensschwestern der Insel Iona aufgezogen wurde, plant bereits, Söldner anzuwerben, um all jene anzugreifen, die sie von dort vertreiben wollen. Mein Sohn Alhfrith und seine Frau Cyneburh dagegen wollen mit militärischer Gewalt die Anhänger Ionas besiegen. Und mein jüngerer Sohn Ecgfrith» - er hielt inne und lachte bitter - «ist so machthungrig, daß er nur auf einen Augenblick der Schwäche lauert, um den Thron an sich zu reißen. Versteht Ihr jetzt, warum die Sache so wichtig ist?»
Fidelma hob die Schultern.
«Ja, aber mir ist immer noch nicht klar, welche Bedingung Ihr stellen wollt. Ich bin durchaus in der Lage, ein solches Verbrechen aufzuklären.»
«Um beiden Seiten zu zeigen, daß ich, Oswiu von Northumbrien, in meiner Urteilsfindung unparteiisch und unvoreingenommen bin, kann ich nicht zulassen, daß Äbtissin Etains Tod allein von einer Abgesandten Ionas untersucht wird - ebensowenig, wie ich zustimmen könnte, daß die Aufgabe nur einem Vertreter Roms anvertraut wird.»
Fidelma sah ihn fragend an.
«Was schlagt Ihr also vor?»
«Daß Ihr, Schwester, Eure Kräfte mit jemandem bündelt, der Rom nahesteht. Wenn Ihr gemeinsam ermittelt, wird uns, wenn das Ergebnis bekanntgegeben wird, niemand Parteilichkeit nachsagen können. Wollt Ihr dieser Bedingung zustimmen?»
Schwester Fidelma sah den König nachdenklich an.
«Es ist das erste Mal, daß ich je Zweifel an der Unvoreingenommenheit einer dAlaigh vernommen habe. Der Leitspruch unseres Standes lautet:
Ein Lächeln erschien auf Oswius Gesicht.
«In dieser Hinsicht werdet Ihr keine Schwierigkeiten haben. Im Gefolge des Erzbischofs von
Canterbury befindet sich ein junger Mann, der sich hervorragend für diese Aufgabe eignet.»
Äbtissin Hilda wandte sich neugierig an ihren Vetter.
«Wer ist dieser junge Mann?»
«Ein Bruder namens Eadulf aus Seaxmund’s Ham im Königreich Ostanglien. Bruder Eadulf hat fünf Jahre in Irland und anschließend zwei Jahre in Rom studiert. Er spricht also nicht nur Sächsisch, sondern auch Irisch, Lateinisch und Griechisch. Und er ist gesetzeskundig. Wäre er nicht in den Stand der Geistlichkeit eingetreten, hätte er den Rang eines gerefa oder Friedensrichters errungen. Erzbischof Deusdedit hat mir versichert, daß er schon so manche undurchsichtige Begebenheit aufgeklärt hat. Also, was sagt Ihr, Schwester Fidelma? Hättet Ihr etwas dagegen, mit einem solchen Mann zusammenzuarbeiten?»
Fidelma war unentschlossen.
«Solange wir beide die Wahrheit als Ziel vor Augen haben ... Wie steht er zu Eurem Vorschlag?»
«Das fragen wir ihn am besten selbst. Ich habe nach ihm rufen lassen und ihn gebeten, draußen zu warten. Ich denke, inzwischen müßte er eingetroffen sein.»
Oswiu ging zur Tür. Schwester Fidelma rang erstaunt nach Luft, als der junge Mönch, den sie am Vorabend im Kreuzgang der Abtei getroffen hatte, ins Zimmer trat und sich vor dem König verneigte. Als er den Kopf hob und sein Blick auf
Fidelma fiel, spiegelte sich in seinem Gesicht ganz kurz das gleiche Erstaunen, ehe es wieder zu einer undurchdringlichen Maske wurde.
«Das ist Bruder Eadulf», stellte Oswiu auf irisch den Neuankömmling vor. «Bruder Eadulf, das ist Schwester Fidelma, die dAlaigh, von der ich bereits gesprochen habe. Seid Ihr bereit, mit ihr zusammenzuarbeiten und dabei zu bedenken, wie wichtig es ist, daß der Fall so bald wie möglich aufgeklärt wird?»
Als Fidelmas Blick auf Bruder Eadulfs braune Augen fiel, verspürte sie dieselbe seltsame Erregung wie am vergangenen Abend.
«Ja, ich bin zur Zusammenarbeit bereit», antwortete er in einem volltönenden Bariton. «Vorausgesetzt, daß Schwester Fidelma ebenfalls einverstanden ist.»
«Schwester?» drängte Oswiu.
«Wir sollten sofort mit den Ermittlungen beginnen», entgegnete Fidelma betont ruhig und versuchte mit aller Macht, ihre Verwirrung zu verbergen.
«Ich bin ganz Eurer Meinung», stimmte Oswiu ein. «Ihr handelt von nun an in meinem Namen und habt die ausdrückliche Erlaubnis, jeden ohne Ansehen seines Ranges ausführlich zu befragen. Meine Krieger stehen bereit, Eure Befehle auszuführen. Ehe ich mich zurückziehe, möchte ich nur noch einmal betonen, wie sehr die Aufklärung des Verbrechens drängt. Jede Stunde, in der Gerüchte und Vermutungen ungehindert die Runde machen, stärkt die Feinde des Friedens und bringt uns dem Bruderkrieg näher.»
Mit einem letzten durchdringenden Blick unterstrich Oswiu die Bedeutung seiner Worte, dann wandte er sich um und verließ das Gemach der Äbtissin.
Schwester Fidelmas Gedanken überschlugen sich. Es gab so viel zu tun, und dabei hatte sie noch nicht einmal begriffen, daß Etain wirklich tot war.
Plötzlich bemerkte sie, daß Äbtissin Hilda, Bischof Colman und Bruder Eadulf sie erwartungsvoll anstarrten.
«Verzeihung?» Offenbar hatte ihr jemand eine Frage gestellt.
«Ich wollte wissen, wie Ihr vorzugehen wünscht», wiederholte Äbtissin Hilda.
«Als erstes sollten wir wohl den Tatort in Augenschein nehmen», sprang Bruder Eadulf in die Bresche.
Verärgert darüber, daß er an ihrer Statt geantwortet hatte, knirschte Fidelma mit den Zähnen.
Der Sachse hatte natürlich recht, aber sie hatte nicht vor, sich von ihm etwas vorschreiben zu lassen. Fieberhaft sann sie auf einen anderen Vorschlag, bloß um ihm zu widersprechen, aber ihr fiel nichts Passendes ein.
«Ja», nickte sie schließlich widerwillig. «Wir werden uns Äbtissin Etains cubiculum ansehen. Ist dort seit dem Fund der Leiche irgend etwas verändert worden?»
Hilda schüttelte den Kopf.
«Nicht daß ich wüßte. Soll ich Euch begleiten?»
«Das ist nicht nötig», antwortete Fidelma rasch, um Bruder Eadulf die Möglichkeit zu nehmen, ein weiteres Mal für sie zu antworten. «Wir lassen es Euch wissen, wenn wir irgend etwas brauchen.»
Ohne Eadulf eines Blickes zu würdigen, wandte sie sich zum Gehen.
Eadulf verneigte sich vor Äbtissin Hilda und Bischof Colman und beeilte sich, ihr zu folgen.
Als sich die Tür hinter den beiden schloß, schürzte Colman die Lippen.
«Es kommt mir so vor, als würden wir einen Wolf und einen Fuchs gemeinsam auf Hasenjagd schicken», sagte er langsam.
Äbtissin Hilda lächelte schwach.
«Es würde mich interessieren, wen Ihr für den Wolf und wen für den Fuchs haltet», sagte sie.