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Ista beugte sich zwischen den Zinnen des Torhauses nach vorn, die bleichen Hände auf den rauen Stein gestützt, und beobachtete mit dumpfer Müdigkeit, wie unter ihr die letzten Trauergäste durchs Burgtor ritten. Die Hufe der Pferde scharrten über das alte Kopfsteinpflaster, und Abschiedsrufe hallten im Torbogen wider. Istas gewissenhafter Bruder, der Herzog von Baocia, reiste als Letzter ab, mitsamt seiner Familie und dem Gefolge, volle zwei Wochen nach den Trauerfeierlichkeiten und der Bestattung.

Dy Baocia wechselte noch einige abschließende Worte mit Ser dy Ferrej. Der Majordomus der Burg lief neben dem Pferd des Herzogs her, blickte mit ernster Miene zu ihm auf und lauschte dem endlosen Redefluss. Letzte Anweisungen, zweifellos. Der treue dy Ferrej. Zwanzig Jahre lang hatte er der verstorbenen Herzoginwitwe gedient — während der langen Zeit ihrer Hofhaltung in Valenda. Noch immer schimmerten die Schlüssel von Burg und Festung an dem Gürtel, den der Herzog um die füllige Taille trug. Die Schlüssel ihrer Mutter. Zunächst hatte Ista diese Schlüssel an sich genommen und aufbewahrt, um sie später ihrem älteren Bruder zu übergeben, zusammen mit den Papieren, Bestandslisten und testamentarischen Verfügungen, die beim Tod einer Dame von Rang zurückblieben. Und dy Baocia hatte die Schlüssel nicht seiner Schwester zur ständigen Verwahrung zurückgegeben, sondern hatte sie dem guten alten, ehrbaren dy Ferrej ausgehändigt — Schlüssel, um jede Gefahr aus- und Ista einzuschließen, falls nötig.

Das ist bloß noch Gewohnheit. Ich bin nicht mehr verrückt.

Sie legte keinen großen Wert auf die Schlüssel ihrer Mutter, ebenso wenig auf das Leben, das damit verbunden war. Sie wusste selbst nicht recht, was sie wollte. Sie wusste nur, wovor sie Angst hatte: eingesperrt zu werden an einem dunklen, beengten Ort, von Menschen, die sie liebten. Ein Feind mochte in seiner Wachsamkeit nachlassen, seiner Verpflichtung müde werden und aufgeben; doch Liebe würde niemals wanken. Unruhig rieb Ista ihre Finger über den Stein.

Dy Baocias Schar ritt in langer Reihe den Hügel hinunter und durch die Stadt, und schon bald war sie zwischen den rot gedeckten und mit Menschen überfüllten Dächern verschwunden. Dy Ferrej wandte sich um. Müde schritt er zurück durchs Tor und verschwand im Innern der Burg.

Der Frühlingswind zupfte eine Strähne aus Istas fahlbraunem Haar und blies sie ihr übers Gesicht. Sie nahm die Strähne zwischen Daumen und Zeigefinger und steckte sie zurück unter den sorgsam geflochtenen Haarkranz, der so straff saß, dass es ihr an der Kopfhaut zerrte.

In den letzten beiden Wochen war es wärmer geworden, doch der Wetterumschwung kam zu spät für die alte Frau, die von Verletzung und Krankheit ans Bett gefesselt gewesen war. Wäre Istas Mutter noch nicht so alt gewesen, wären die Knochenbrüche vielleicht schneller verheilt, und vielleicht hätte sich die Lungenentzündung dann nicht so tief in ihrer Brust festgesetzt. Wäre sie nicht so gebrechlich gewesen, hätte sie sich bei dem Sturz vom Pferd vielleicht gar nichts gebrochen. Und wäre sie nicht so starrsinnig gewesen, wäre sie in ihrem Alter gar nicht erst aufs Pferd gestiegen … Ista sah, dass sie sich die Finger blutig geschürft hatte. Rasch verbarg sie die Hand unterm Rock.

Während der Trauerfeier hatten die Götter Hinweise gegeben, dass die Seele der alten Dame von der Sommermutter aufgenommen worden war, wie es dem schicklichen Lauf der Dinge entsprach, und wie man es nicht anders erwartet hatte. Die alte Herzogin setzte ihre Vorstellungen von Sitte und Anstand sogar den Göttern gegenüber durch. Ista stellte sich vor, wie ihre Mutter den Himmel auf Vordermann brachte, und ein trauriges Lächeln legte sich auf ihre Züge.

Nun bin ich allein.

Ista grübelte über die Einsamkeit nach, und darüber, was sie alles auf dem Weg hierhin verloren hatte. Nacheinander waren ihr Ehemann, ihr Vater, ihr Sohn und nun ihre Mutter vor ihr in den Tod gegangen. Und Iselle, ihre Tochter, wurde von der Königswürde von Chalion in Anspruch genommen.

Ista hatte alle ihre Pflichten erfüllt: Sie war die Tochter ihrer Eltern gewesen, die Ehefrau des erhabenen, unglücklichen Ias, die Mutter ihrer Kinder, und zuletzt die Hüterin ihrer Mutter.

Jetzt bin ich nichts mehr davon.

Wer aber bin ich, wenn die Grenzen meines Lebens nicht mehr fest abgesteckt sind? Wenn all diese Mauern zu Staub zerfallen sind?

Nun, sie blieb immer noch dy Lutez’ Mörderin. Die Einzige dieser kleinen, verschworenen Gemeinschaft, die noch am Leben war. Diese Rolle hatte sie selbst gewählt; das blieb ihr erhalten.

Wieder beugte sie sich zwischen den Zinnen nach vorn. Der raue Stein scheuerte an den lavendelfarbenen Ärmeln ihres Trauergewandes und riss einige Seidenfäden heraus. Die Straße lag im Licht des frühen Tages unter ihr, und sie ließ den Blick darüber schweifen, über die Pflastersteine unter dem Turm und den Hügel hinunter, durch die Stadt, über den Fluss … und wohin dann? Alle Straßen sind in Wahrheit nur eine einzige, hieß es. Ein großes Netz, das über dem Land lag, das sich verästelte und wieder zusammenlief. Und alle Straßen führen in zwei Richtungen, sagte man. Ich möchte einer Straße folgen, die nur in eine Richtung führt, aber niemals zurück.

Ein erschrockener Laut hinter ihr ließ Ista herumfahren. Eine ihrer Zofen stand auf dem Söller und blickte sie aus weit aufgerissenen Augen an, die Hand vor Schreck vor den Mund gehoben. Sie war immer noch außer Atem von dem Aufstieg über die Treppen und lächelte mit unaufrichtiger Fröhlichkeit. »Herrin, ich habe Euch überall gesucht. Wollt … wollt Ihr nicht von der Brüstung zurücktreten …«

Ista lächelte spöttisch. »Beruhigt Euch. Ich habe nicht vor, noch heute den Göttern von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten.« Weder heute noch irgendwann sonst. Nie wieder. »Die Götter und ich, wir stehen nicht auf gutem Fuße.«

Ista ließ sich von der Zofe am Arm fassen und wie zufällig die Zinnen entlang und zur Treppe geleiten. Ista fiel auf, dass ihre Begleiterin sorgsam darauf achtete, zwischen ihrer Herrin und dem Abgrund zu bleiben. Beruhige dich, Frau. So sehr reizen die Pflastersteine im Hof mich nun auch nicht.

Aber die Straße reizt mich.

Diese Erkenntnis überraschte Ista, erschreckte sie beinahe. Der Gedanke war neu für sie. Ein neuer Gedanke, in meinem Kopf? Ihre alten Gedanken wirkten so stumpf und abgenutzt wie eine Strickarbeit, die immer wieder neu geknüpft und aufgeribbelt worden war, bis die Fäden ausfransten. Was sollte sie auf der Straße? Straßen waren für junge Männer, nicht für Damen mittleren Alters. Der arme Waisenjunge schnürt sein Bündel und folgt der Straße, um sein Glück zu suchen … Tausend Geschichten nahmen so ihren Anfang. Sie war nicht arm, und sie war kein Junge, und ganz gewiss hatte sie schon jedes Unglück erlitten, das Leben und Tod ihr bereiten konnten. Immerhin bin ich nun Waise. Ist das nicht Grund genug, die Reise anzutreten?

Sie bogen von der Brustwehr ab und hielten auf den runden Turm zu, in dem eine schmale Wendeltreppe hinunter in den Innenhof und den Garten führte. Ista warf einen letzten Blick auf das struppige Buschwerk und die verkümmerten Bäume, die bis hinauf zur Blendwand der Burg wucherten. Ein Pfad führte aus einem flachen Einschnitt heraus; gerade zerrte ein Dienstbote einen mit Feuerholz beladenen Esel diesen Pfad bis zur Seitenpforte hinauf.

Im immer noch kahlen Rosengarten ihrer verstorbenen Mutter wurde Ista langsamer und widersetzte sich dem Drängen ihrer Zofe. Störrisch ließ sie sich auf einer Bank nieder. »Ich bin müde«, sagte sie. »Ich will hier eine Zeitlang Rast machen. Bringt mir Tee.«

Sie sah, wie die Zofe ihre hochwohlgeborene Schutzbefohlene besorgt und misstrauisch musterte. Ista erwiderte die Blicke kalt. Schließlich machte die Zofe einen Knicks. »Sofort, Herrin. Ich werde einem der Mädchen Bescheid geben. Ich bin gleich wieder zurück.«

Davon gehe ich aus. Ista wartete gerade so lange, bis die Zofe um die Ecke des Bergfrieds verschwand. Dann hielt sie rasch auf die Seitenpforte zu.

Dort ließ die Wache soeben den Dienstboten und seinen Esel ein. Hoch erhobenen Hauptes schritt Ista an ihnen vorbei, ohne sich noch einmal umzublicken. Hinter ihr ließ der Posten ein unsicheres »Majestät …?« vernehmen, doch Ista gab vor, nichts zu hören, und marschierte forsch den immer steileren Pfad hinab. Im Vorübergehen verfingen sich Gestrüpp und Sträucher im nachschleifenden Saum ihrer Röcke und in ihrer bauschenden, schwarzsamtenen Marlotte. Sie griffen nach ihr wie Hände, die sie zurückzuhalten wollten. Als sie unter den ersten Bäumen außer Sicht war, schritt Ista schneller aus, bis sie fast rannte. Als kleines Mädchen war sie auf diesem Weg häufiger hinunter zum Fluss gelaufen. Bevor sie irgendjemandes irgendetwas wurde.

Als sie schließlich Wasser zwischen dem Bewuchs hindurchschimmern sah, war sie erschöpft und zitterte. Sie bog ab und wanderte am Ufer entlang. Der Weg verlief immer noch so, wie sie es in Erinnerung hatte, und führte zu dem alten Steg, über den Fluss hinweg und dann wieder aufwärts bis zu einer der Hauptstraßen, die sich um den Hügel herum nach Valenda wanden — oder fort von der Stadt.

Die Straße war schlammig und von Hufspuren zernarbt; vielleicht war eben erst die Reisegruppe ihres Bruders hier durchgekommen, auf dem Weg zur Residenz in Taryoon. Während der beiden vorangegangenen Wochen hatte der Herzog beinahe unablässig versucht, Ista zur Mitreise zu bewegen. Er hatte ihr Zimmer und Zofen in seinem Palast versprochen, unter seiner wohl wollenden und fürsorglichen Aufsicht — als hätte sie hier nicht Zimmer und Zofen und aufdringliche Aufmerksamkeit genug. Sie wandte sich in die entgegengesetzte Richtung.

Trauerkleider und seidene Pantoffeln waren nicht die geeignete Garderobe für die Landstraße. Die Röcke rauschten um ihre Beine, als ging sie durch tiefes Wasser, und Schlamm saugte sich am leichten Schuhwerk fest. Die Sonne stieg immer höher, und die Wärme staute sich im dicken Samt auf Istas Rücken, bis sie schließlich ganz undamenhaft schwitzte. Sie fühlte sich immer unwohler, kam sich immer närrischer vor. Was für eine Verrücktheit! Genau das richtige Verhalten, um in einem Turm eingesperrt zu werden, in der Gesellschaft geistloser Zofen. Hatte sie davon nicht für ihr Lebtag genug gehabt? Sie besaß keine Kleidung zum Wechseln, keine Pläne und kein Geld, nicht einmal einen Kupfer-Vaida. Sie tastete nach den Edelsteinen an ihrer Halskette. Das war Geld. Ja, und viel zu viel. Wie sollte sie in einer Kleinstadt einen Geldwechsler finden, der einen solchen Wert in Münzen auszahlen könnte? Diese Edelsteine waren keine Reisekasse; sie waren eher eine lockende Beute für Straßenräuber.

Sie hörte, wie ein Karren sich näherte und blickte von den Pfützen zu ihren Füßen auf, zwischen denen sie sich ihren Weg suchte. Ein Bauer lenkte einen stämmigen Ackergaul und fuhr eine Ladung gut abgelagerten Dung zu seinen Feldern. Jetzt starrte er verblüfft auf die Erscheinung, die ihm hier auf der Straße entgegenkam. Ista erwiderte seinen Blick mit einem majestätischen Kopfnicken — was sonst blieb ihr übrig? Fast hätte sie laut aufgelacht, unterdrückte jedoch die unziemliche Lautäußerung und ging weiter. Sie blickte nicht zurück. Sie wagte es nicht.

Noch mehr als eine Stunde lang wanderte sie weiter und zerrte die ganze Zeit die Schleppe ihrer schweren Kleider hinter sich her, bis ihre Beine schließlich zu geschwächt waren und sie zittrig stehen blieb. Sie hätte weinen können vor Enttäuschung. Es geht einfach nicht. Ich weiß nicht, wie ich es anstellen soll. Ich habe es nie gelernt, und jetzt bin ich zu alt dafür.

Wieder hörte sie Hufschlag, galoppierende Pferde und einen Ruf. Blitzartig kam Ista zu Bewusstsein, dass ihr nicht nur jegliche Ausstattung für die Reise fehlte, sondern auch eine Waffe zur Verteidigung. Sie besaß nicht einmal ein Messer. Doch als sie daran dachte, sich gegen einen Angreifer zur Wehr zu setzen, egal mit welcher Waffe, schnaubte sie verächtlich. Es wäre ein kurzer Auftritt, nicht wert, auch nur einen Gedanken an daran zu verschwenden.

Sie blickte über die Schulter zurück und seufzte erleichtert. Ser dy Ferrej und ein Reitknecht eilten mit hämmernden Hufen hinter ihr die Straße entlang, dass der Schlamm nach allen Seiten spritzte. Immerhin, dachte sie, war sie noch nicht dumm oder verrückt genug, sich zu wünschen, es wären Räuber gewesen. Genau da lag möglicherweise das Problem. Vielleicht war sie nicht verrückt genug, um ihre nicht minder verrückten Wünsche in die Tat umsetzen zu können … eine nutzlose Art von Irrsinns.

Dy Ferrej lenkte sein Pferd an ihre Seite. Als Ista sein gerötetes, verschwitztes und erschrockenes Gesicht sah, regte sich ihr schlechtes Gewissen. »Majestät!«, klagte er. »Was tut Ihr hier draußen?« Fast wäre er aus dem Sattel gefallen, so eifrig griff er nach ihren Händen und beugte sich zu ihr hinunter.

»Ich hatte die Enge der Burg satt und wollte einen Spaziergang im Freien machen, um in der Frühlingssonne ein wenig Trost zu finden.«

»Ihr seid fast fünf Meilen gelaufen, Majestät! Diese Straße ist nicht der rechte Ort für Euren Spaziergang …«

Allerdings. Und ich bin nicht der rechte Wanderer für diese Straße.

»Ohne Zofen, ohne Begleiter — bei allen fünf Göttern, denkt an Euren Rang und Eure Sicherheit! Und an meine grauen Haare! Ich hätte sie mir ausraufen können vor Sorge.«

»Dann muss ich Eure graue Haare um Verzeihung bitten«, sagte sie mit einer Spur aufrichtiger Reue. »Sie haben es nicht verdient, sich meiner Launen wegen grämen zu müssen. Und der Rest von Euch verdient es ebenso wenig, mein lieber dy Ferrej. Ich wollte einfach nur ein bisschen spazieren gehen.«

»Dann lasst es mich beim nächsten Mal wissen, und ich werde alles vorbereiten.«

»Ich wollte alleine sein.«

»Ihr seid die Königinwitwe von Chalion«, sagte dy Ferrej mit Nachdruck. »Ihr seid die Mutter von Königin Iselle, bei den fünf Göttern! Ihr könnt nicht einfach über die Landstraße streunen wie ein Bauernweib.«

Sie seufzte bei der Vorstellung, ein Bauernweib zu sein und nicht mehr die geplagte, gepeinigte Ista. Obwohl sie nicht daran zweifelte, dass auch Bauernweiber schlimme Schicksalsschläge erlitten und dabei viel weniger Anteilnahme erfuhren als sie. Doch es führte zu nichts, wenn sie mit dy Ferrej mitten auf der Straße darüber diskutierte. Der Reitknecht stieg ab, und Ista ließ sich auf den Pferderücken helfen. Ihre Kleider waren nicht zum Reiten gedacht und bauschten sich störend um ihre Beine, während sie mit den Füßen nach den Steigbügeln suchte. Als der Reitknecht die Zügel ergriff und Anstalten machte, ihr Pferd zu führen, blickte sie erneut missmutig drein.

Dy Ferrej beugte sich über den Sattelbaum nach vorn und umfasste tröstend ihre Hände, als er die Tränen in ihren Augen bemerkte. »Ich weiß ja«, murmelte er verständnisvoll. »Der Tod Eurer Frau Mutter war für uns alle ein großer Verlust.«

Ich habe schon vor Wochen aufgehört, Tränen um sie zu vergießen, dy Ferrej.

Vor langer Zeit hatte sie einen Eid abgelegt, nie wieder um etwas zu weinen oder zu beten. Doch während jener letzten schrecklichen Tage am Krankenbett ihrer Mutter hatten sie beide Schwüre gebrochen. Dann aber hatten sowohl Tränen wie auch Gebete ihren Sinn verloren. Ista beschloss, dem Majordomus weitere Sorgen zu ersparen und ihn nicht wissen zu lassen, dass sie um ihr eigenes Schicksal weinte, und nicht vor Kummer, sondern eher vor Zorn. Sollte er ruhig annehmen, dass sie vor Trauer außer sich war; die Trauerzeit ging vorbei.

Die letzten Wochen waren von Kummer und der Sorge um Gäste erfüllt gewesen; diese Zeit hatte dy Ferrej ebenso erschöpft wie Ista selbst. Er belästigte sie nicht mit weiteren Versuchen, ein Gespräch in Gang zu bringen, und der Reitknecht wagte nicht, sie anzusprechen. Sie saß auf dem Rücken ihres Pferdes, lauschte dem patschenden Hufschlag und beobachtete, wie die Straße unter ihr wieder aufgerollt wurde wie ein Teppich, dem die Verwendung versagt blieb. Wozu war sie noch nutze? Ista biss sich auf die Lippe und blickte starr über den auf und ab wippenden Kopf ihres Pferdes hinweg.

Einige Zeit später zuckte das Tier mit den Ohren und schnaubte. Ista blickte in die Richtung, auf die das Pferd seine Aufmerksamkeit gerichtet hatte, und entdeckte eine weitere Reiterschar, die auf einer Querstraße herankam. Es waren einige Dutzend Personen auf Pferden und Maultieren. Dy Ferrej richtete sich in den Steigbügeln auf und sah den Neuankömmlingen misstrauisch entgegen, ließ sich dann aber erleichtert zurück in den Sattel sinken. Vier Reiter in blauer Tunika und grauem Mantel ritten dem Zug als Vorhut voran — es waren Ritter vom Orden der Tochter, dessen wichtigste Aufgabe darin bestand, für die sichere Reise von Pilgern zu sorgen. Als die anderen Reiter näher herankamen, war zu erkennen, dass sowohl Männer wie auch Frauen zu der Reisegruppe zählten. Sie alle waren in die Farben ihrer jeweiligen Gottheit gehüllt, soweit ihre Möglichkeiten es zuließen; zusätzlich waren ihre Ärmel mit farbigen Bändern geschmückt, die dem angestrebten Wallfahrtsort entsprachen.

Beide Gruppen gelangten gleichzeitig an die Einmündung. Dy Ferrej und die Ordensritter nickten einander grüßend zu. Es waren ebenso unerschütterliche und gewissenhafte Burschen wie er selbst. Neugierig musterten die Pilger Ista und ihre dunkle, vornehme Kleidung. Eine füllige, rotwangige Frau in fortgeschrittenem Alter — sie ist gewiss nicht älter als ich — grüßte Ista mit einem fröhlichen Lächeln. Diese zögerte einen Moment; dann erwiderte sie das Lächeln und nickte der Frau zu. Dy Ferrej hielt sein Pferd zwischen Ista und den Pilgern, doch die stämmige Frau vereitelte seine Versuche, die beiden Gruppen voneinander abzuschirmen. Sie zügelte ihr Pferd und ließ es ein Stück zurückfallen, um dann in gemächlichem Trab an dy Ferrej vorbei zu Ista aufzuschließen.

»Mögen die Götter Euch segnen, edle Herrin«, stieß sie ein wenig atemlos hervor. Ihre feiste, bunt gescheckte Stute war überladen mit großen Satteltaschen; weitere Taschen waren notdürftig an dem Tier festgezurrt und hüpften bei jedem Schritt des Pferdes so bedenklich auf und nieder wie die Reiterin. Die Frau ließ ihr Pferd wieder in Schritt fallen, schöpfte Atem und richtete ihren Strohhut. Sie trug das Grün der Mutter, in dunklen Farbtönen, die nicht ganz zueinander passten, jedoch dem Stand einer Witwe entsprachen. An den Ärmeln allerdings waren die Farben aller fünf Götter in Form von geflochtenen Bändern versammelt: blau und weiß umwickelt, grün und gelb, rot und orange, schwarz und grau, weiß und cremefarben.

»Wir sind Pilger aus ganz Baocia«, verkündete die Frau in der offensichtlichen Absicht, ein Gespräch anzufangen. »Und wir sind unterwegs zum Schrein des wundersamen Todes des Kanzlers dy Jironal in Taryoon. Nun, von dem guten Ser dy Brauda da drüben mal abgesehen.« Sie wies mit einem Nicken zu einem älteren Mann, der gedämpfte Brauntöne trug und ein Band in Rot und Orange, was ihn als Anhänger des Herbstsohnes auswies. An seiner Seite ritt ein junger Mann, der wenig farbenfroher gewandet war. Dieser beugte sich nun ein Stück im Sattel nach vorn und warf der grün gekleideten Frau einen missbilligenden Blick zu, mit dem er versuchte, sie zum Schweigen zu bringen, wenn auch vergebens.

»Er hat seinen Sohn dabei«, sagte die Frau. »Da drüben — ein hübscher Bursche, nicht wahr?«

Der Junge zuckte zurück und blickte starr nach vorn. Dabei wurde er so rot, als wollte er es den Bändern an seinem Ärmel gleichtun. Sein Vater unterdrückte ein Grinsen, doch es gelang ihm nicht recht.

»… die beiden sind unterwegs nach Cardegoss, wo der Junge ein Ritter des Sohnes werden soll. Wie früher sein Vater, möchte ich wetten. Der Großmeister des Ordens selbst, Prinzgemahl Bergon, wird die Zeremonie leiten. Den würde ich auch zu gern einmal sehen. Ein stattlicher Bursche, heißt es. Er kommt von der ibranischen Küste; da soll ja so mancher gut aussehende Mann heranwachsen. Na, vielleicht gönne ich meinen alten Augen diese Wohltat noch und lass mir einen Grund einfallen, meine Pilgerfahrt nach Cardegoss zu verlängern.«

»Was Ihr nicht sagt«, meinte Ista zu dieser schmeichelhaften, insgesamt aber zutreffenden Beschreibung ihres Schwiegersohnes.

»Ich bin Caria aus Palma. Dort war ich mit einem Sattler verheiratet, bis vor kurzem. Jetzt bin ich Witwe. Und was ist mit Euch, edle Dame? Ist der mürrische Bursche dort drüben Euer Ehemann?«

Der Majordomus verfolgte die Vertraulichkeiten mit größtem Missfallen. Nun zügelte er sein Pferd, um die lästige Person abzuwehren. Ista aber hob die Hand. »Nur die Ruhe, dy Ferrej.« Er runzelte die Stirn, zuckte dann aber die Schultern und schwieg.

Ista wandte sich an die Pilgerin: »Ich bin eine Witwe … aus Valenda.«

»Ach ja? Nun, das bin ich auch«, entgegnete die Frau munter. »Mein erster Mann kam aus Valenda. Obwohl ich drei Ehemänner verloren habe.« Sie sagte es so, als wäre es eine besondere Leistung. »Natürlich nicht alle auf einmal. Einen nach dem anderen.« Neugierig musterte sie Istas Kleider in den Farben der Hoftrauer. »Ist Euer Ehemann gerade erst verstorben, Herrin? Mein Beileid. Kein Wunder, dass Ihr so blass und traurig ausschaut. Das ist schon eine schwere Zeit. Vor allem beim ersten Mal. Zuerst möchte man am liebsten sterben — jedenfalls ist es mir so ergangen. Aber das ist nur die Angst vor der Zukunft. Irgendwann kommt alles wieder ins Lot, glaubt mir.«

Ista lächelte kurz und schüttelte leicht den Kopf, klärte den Irrtum aber nicht auf. Dy Ferrej juckte es sichtlich in den Fingern, den Dreistigkeit dieser Person ein Ende zu setzen und sie vielleicht sogar fortzuscheuchen, indem er Istas Stand und Rang verkündete — und damit auch seinen eigenen. Ista jedoch erkannte zu ihrer eigenen Überraschung, dass sie Carias Gegenwart unterhaltsam fand. Das Geplapper der Witwe störte sie keineswegs, im Gegenteil: Sie wollte nicht, dass Caria verstummte.

Das stand anscheinend auch nicht zu befürchten. Als Nächstes stellte Caria aus Palma ihre Mitpilger vor und erklärte Ista in aller Ausführlichkeit deren Herkunft, den Reiseweg und die religiösen Ziele; wenn sie weit genug außer Hörweite waren, steuerte Caria auch noch ihre Meinung bei, was das Verhalten und die Sittlichkeit eines jeden betraf. Neben dem belustigten altgedienten Ordensritter und seinem schüchternen Sohn zählten vier Mitglieder einer Weberzunft zu der Gruppe. Sie waren unterwegs, um den Wintervater um den erfolgreichen Ausgang eines Rechtsstreits zu bitten. Ein Mann in den Farben der Sommermutter betete für die Gesundheit seiner Tochter, die kurz vor der Entbindung stand, und eine Frau mit den blauen und weißen Farben der Frühlingstochter betete darum, dass ihre Tochter überhaupt einen Ehemann fand. Eine dünne Person trug die Roben einer Akolythin der Kirche der Mutter, die von besonders edlem Zuschnitt waren; sie reiste in Begleitung einer persönlichen Zofe und zweier Diener. Wie sich herausstellte, war sie weder Hebamme noch Ärztin, sondern Revisorin. Außerdem reiste ein Weinhändler mit, um dem Wintervater für seine sichere Heimkehr zu danken und einen Eid zu erfüllen, den er im letzten Winter geleistet hatte, als sein Handelszug in den verschneiten Gebirgspässen nach Ibra beinahe verloren gegangen wäre.

Die Pilger waren offenbar schon mehrere Tage in Begleitung der redseligen Caria unterwegs, und einige rollten viel sagend mit den Augen, als die Witwe nun unablässig weiterplapperte. Nur ein korpulenter junger Mann ließ sich nicht davon beeindrucken. Er trug die weißen Gewänder eines Geistlichen des Bastards und ritt schweigend nebenher, wobei er ein aufgeschlagenes Buch auf dem wohlgerundeten Bauch balancierte. Er ließ die Zügel seines schmutzig-weißen Maultiers durchhängen, und nur wenn er zum Ende einer Seite kam, blickte er beim Umblättern kurz auf, blinzelte kurzsichtig und lächelte zerstreut.

Caria spähte zur Sonne empor, die inzwischen hoch am Himmel stand. »Ich kann es kaum erwarten, bis wir endlich in Valenda sind. Es gibt dort ein berühmtes Gasthaus, in dem es köstliche Spanferkel gibt.« Voll Vorfreude schmatzte sie mit den Lippen.

»Ja, ein solches Gasthaus gibt es dort«, sagte Ista. In all den Jahren, die sie in Valenda gelebt hatte, war sie niemals dort eingekehrt, wurde ihr bewusst.

Die Revisorin — bis dahin eine der gequältesten unter den unfreiwilligen Zuhörern der Witwe —, schürzte missbilligend die Lippen. »Ich werde kein Fleisch essen«, kündigte sie an. »Ich habe einen Eid geleistet, dass mir während dieser Reise weder Fleisch noch Fett über die Lippen kommen wird.«

Caria beugte sich näher an Ista heran und flüsterte ihr zu: »Hätte sie einen Eid geleistet, statt ihrer Salate ihren Hochmut herunterzuschlucken, hätte sie nach dem Zweck einer Pilgerfahrt eher entsprochen.« Sie richtete sich wieder auf und grinste. Die Revisorin rümpfte die Nase und gab vor, nichts gehört zu haben.

»Ich bin sicher, mit sinnlosem Geschwätz können die Götter nichts anfangen«, bemerkte der Kaufmann mit den grauschwarzen Bändern des Vaters am Ärmel. Er blickte ins Leere, als würde er niemand Bestimmten ansprechen. »Wir sollten unserer Zeit mit Nützlicherem verbringen. Wir könnten über moralisch bedeutsame Themen reden und unseren Geist auf Gebete einstimmen, statt unseren Bauch aufs Mittagessen.«

Caria grinste ihn anzüglich an. »Ach ja? Oder noch weiter unten befindliche Körperteile auf noch angenehmere Freuden? Und dabei tragt Ihr auch noch die Gunst des Vaters am Ärmel. Ihr solltet Euch schämen.«

Der Kaufmann erstarrte. »Ich habe nicht vor, in dieser Angelegenheit um die Gnade des Gottes zu beten. Und das hab ich auch nicht nötig, das kann ich Euch versichern, meine Beste.«

Der Geistliche des Bastards blickte von seiner Lektüre auf und sagte beschwichtigend: »Alle Teile unseres Leibes stehen unter dem Segen der Götter, vom Kopf bis zu den Zehen. Jeder findet seinen Gott, und auch jeder Körperteil.«

»Euer Gott ist ja bekannt dafür, nicht wählerisch zu sein«, bemerkte der Kaufmann, immer noch gekränkt.

»Wer einem Mitglied der Heiligen Familie Einlass in sein Herz gewährt, wird nicht abgewiesen. Nicht einmal, wenn er selbstgefällig ist.« Der Geistliche deutete über seinem Bauch hinweg eine kurze Verbeugung in Richtung des Kaufmannes an.

Caria konnte ein fröhliches Auflachen nicht zurückhalten. Der Kaufmann schnaubte entrüstet, sparte sich aber weitere Kommentare, während der Geistliche sich wieder seinem Buch zuwandte.

»Ich mag den dicken Burschen«, flüsterte Caria Ista zu. »Er redet nicht viel, aber wenn er etwas sagt, trifft es den Nagel auf den Kopf. Solche Buchmenschen sind eigentlich nicht so mein Fall, aber der da ist ganz in Ordnung. Obwohl ich der Meinung bin, dass ein Mann sich eine Frau suchen, Kinder zeugen und eine Arbeit tun soll, mit der er seine Familie ernähren kann, anstatt hinter den Göttern herzulaufen. Aber ich muss gestehen, mein zweiter Ehemann hat es auch nicht getan — gearbeitet, meine ich. Dafür hat er mit dem Trinken angefangen. Hat sich schließlich zu Tode gesoffen, zur Erleichterung aller, die ihn kannten — die Götter mögen seiner Seele gnädig sein.« Sie schlug das heilige Zeichen, indem sie die Hand zur Stirn führte, dann zu den Lippen, zum Nabel, zur Leiste und schließlich zum Herzen, wobei sie die Finger über der drallen Brust weit spreizte. Dann schürzte sie die Lippen, hob ihr Kinn und ihre Stimme und rief neugierig: »Aber jetzt, wo ich darüber nachdenke — Ihr habt uns nie erzählt, welchen Wunsch Ihr den Göttern vortragen wollt, Hochwürden!«

Der Geistliche legte einen Finger auf die Buchseite, blickte auf und meinte: »Nein, das habe ich wohl nicht.«

»Beten geweihte Leute nicht immer darum, dass sie ihrem Gott begegnen?«, warf der Kaufmann ein.

»Ich jedenfalls habe schon oft darum gebetet, dass die Göttin mein Herz berühren möge«, erwiderte die Revisorin der Mutter. »Sie von Angesicht zu Angesicht zu sehen, wäre das höchste Ziel meiner spirituellen Entwicklung. Tatsächlich habe ich schon oft geglaubt, ihre Nähe zu spüren.«

Wer die Götter von Angesicht zu Angesicht sehen will, muss ein auserlesener Dummkopf sein, dachte Ista bei sich. Obwohl die Götter nach ihrer Erfahrung nicht eben wählerisch waren und den Dummkopf ebenso heimsuchen konnten wie den Weisen.

»Um das zu erreichen, müsst Ihr nicht erst lange beten«, sagte der Geistliche. »Ihr müsst bloß sterben. Das ist nicht weiter schwierig.« Er rieb sich das Doppelkinn. »Genau genommen ist es sogar unvermeidlich.«

»Ich möchte gern von den Göttern zu Lebzeiten berührt werden«, gab die Revisorin kühl zurück. »Das ist die Gnade, nach der wir alle uns sehnen.«

Ist es nicht. Würdest du in diesem Augenblick tatsächlich die Mutter vor dir sehen, Frau, würdest du jammernd und klagend durch den Schlamm der Straße kriechen und tagelang nicht aufstehen. Ista wurde klar, dass der Geistliche sie neugierig aus den Augenwinkeln beobachtete.

War er etwa von den Göttern berührt worden? Ista hatte einige Übung darin, solche Leute zu erkennen. Leider traf das auch umgekehrt zu. Aber vielleicht war das Starren des Mannes auch nur auf Kurzsichtigkeit zurückzuführen. Dennoch wurde ihr unbehaglich zumute, und sie starrte finster zu ihm zurück. Er zwinkerte reumütig und meinte: »Tatsächlich bin ich im Auftrag meiner Kirche unterwegs. Ein mir anvertrauter Novize traf zufällig auf einen umherstreunenden, niederen Dämon, der sich im Körper eines Frettchens verbirgt. Ich bringe das Tier nach Taryoon, damit der Erzprälat den Dämon austreibt und zurück zu unserem Gott schickt.«

Er drehte sich zu seinen geräumigen Satteltaschen um und wühlte darin, bis er endlich sein Buch verstaut und stattdessen einen kleinen Käfig aus Weidenruten hervorgeholt hatte. Im Innern des Geflechts bewegte sich ein geschmeidiger grauer Schatten.

»Aha! Das also habt Ihr die ganze Zeit da drin versteckt!« Caria ritt näher zu ihm und zog die Nase kraus. »Für mich sieht es aus wie ein ganz normales Frettchen.«

Das Tier richtete sich auf, stützte sich gegen die Käfigwand und zuckte mit den Schnurrhaaren in ihre Richtung.

Der rundliche Geistliche drehte sich im Sattel ein Stück herum und hielt den Käfig hoch, sodass Ista einen Blick darauf werfen konnte. Das Frettchen lief zunächst im Kreis umher, erstarrte aber unvermittelt, als es Ista bemerkte. Einen winzigen Moment blickte es aus seinen Knopfaugen zu ihr hinüber. Ista sah in diesen Augen einen Verstand funkeln, der ganz und gar nicht zu einem Tier passte. Dann senkte das Frettchen den Kopf und wich so weit zurück, bis es an die rückwärtige Käfigwand stieß. Der Geistliche warf einen neugierigen Blick auf Ista.

»Seid Ihr sicher, dass das arme Ding nicht bloß krank ist?«, fragte Caria zweifelnd.

»Was sagt Ihr, meine Dame?«, wollte der Geistliche von Ista wissen.

Du weißt ganz genau, dass es tatsächlich ein Dämon ist. Weshalb stellst du mir diese Frage? »Nun, ich nehme an, der Erzprälat wird wissen, was es ist und was man damit zu tun hat.«

Diese wachsame Antwort entlockte dem Geistlichen ein schwaches Lächeln. »In der Tat, es ist kein allzu bemerkenswerter Dämon.« Er ließ den Käfig wieder in der Satteltasche verschwinden. »Ich würde sagen, es ist nicht mehr als ein Elementargeist, unbedeutend und gestaltlos. Er ist wohl noch nicht lange in unserer Welt; deshalb ist es unwahrscheinlich, dass er jemanden zur Zauberei verführen kann.«

Ista war ganz sicher nicht in Versuchung. Aber sie wusste nun, warum er verschwiegen sein musste. Genau wie man durch ein Pferd zum Reiter wurde, so wurde man zu einem Zauberer, indem man einen Dämon aufnahm. Aber man konnte leichter ein guter Reiter als ein guter Zauberer werden, denn wie ein Pferd konnte auch ein Dämon mit seinem Meister durchgehen, ein Zauberer aber konnte sich nicht von seinem Dämon lösen. Und das machte einen Dämon zu einer Gefahr für die Seele und zu einer Angelegenheit für die Kirche.

Caria wollte wieder das Wort ergreifen, doch die Gruppe war nun an die Stelle gelangt, wo der Pfad zur Burg von der Hauptstraße abzweigte. Dy Ferrej lenkte sein Pferd zur Seite. Was immer die Witwe aus Palma noch hatte sagen wollen, sie beschränkte sich auf ein fröhliches Winken zum Abschied, während dy Ferrej Ista entschlossen von den Pilgern fortlenkte.

Als sie die Böschung hinunter und unter die Bäume ritten, blickte er noch einmal über die Schultern. »Was für ein ungehobeltes Weib. Ich möchte wetten, dass sie nicht einen frommen Gedanken hat! Sie missbraucht diese Pilgerfahrt doch nur, um sich ein paar freie Tage zu machen, ohne dass ihre Verwandten etwas dagegen einwenden können. Und um sich billig ein paar bewaffnete Begleiter für die Reise zu verschaffen.«

»Ich nehme an, da habt Ihr Recht, dy Ferrej.« Ista blickte ebenfalls zurück und beobachtete, wie die Pilgerschar über die Hauptstraße davonzog. Witwe Caria beschwatzte inzwischen den Geistlichen des Bastards, einen Choral mit ihr anzustimmen, obwohl das von ihr vorgeschlagene Stück eher nach einem Sauflied klang.

»Und es war nicht ein Mann aus ihrer Familie zu ihrer Unterstützung dabei«, fuhr dy Ferrej ungehalten fort. »Was den fehlenden Ehemann abgeht, kann sie wohl nichts dafür. Aber man sollte doch meinen, sie könnte zumindest einen Bruder oder Sohn auftreiben, oder wenigstens einen Neffen. Tut mir Leid, dass Ihr das über Euch ergehen lassen musstet, Majestät.«

Hinter ihnen war ein Duett zu hören, nicht ganz harmonisch, doch der gute Wille war deutlich zu vernehmen. Das fromme Lied verklang, als die Pilgergruppe sich entfernte.

»Mir tut es nicht leid«, sagte Ista und ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Mir nicht.

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