Ein leises Stöhnen kam über Gorams Lippen; vor Furcht grau im Gesicht, duckte er sich auf dem Kutschbock.
»Zurück in den Wagen, zurück«, zischte Arhys dem Diener und Cattilaras Dame zu. Er schob sie nach hinten, und sie stolperten durchs Wageninnere und kauerten sich auf den Boden. Arhys ließ eine Hand auf Gorams Schulter fallen. »Fahr weiter! Fahr durch sie hindurch, wenn wir können.« Er richtete sich auf und gab Foix ein Zeichen, der auf seinem tänzelnden Pferd saß und verzweifelt vor und zurück blickte. »Weiter!«
Foix nickte, zog sein Schwert und ließ das Pferd herumwirbeln. Die vordersten vier Ritter aus dem Orden der Tochter zogen ebenfalls ihre Waffen und nahmen zu beiden Seiten von ihm Aufstellung, bereit, für den Wagen hinter ihnen den Weg zu bereiten. Man konnte unmöglich feststellen, wie viel vom jokonischen Heerzug bereits auf die kurvige Straße eingebogen war, doch die lange Reihe der Krieger, die sich noch immer durchs Buschland auf der steileren Seite des Tales zu ihrer Linken zog, schien kein Ende zu nehmen. Goram trieb sein Gespann an. Der Wagen setzte sich polternd in Bewegung.
Die Jokoner, die ihm am nächsten waren, blickten nach hinten, um zu sehen, was da auf sie zusteuerte. Rufe ertönten; der Klang von Waffen, die gezogen wurden; Schreie von herumgerissenen und jäh angetriebenen Pferden.
Arhys griff Ista am Oberarm und drängte sie zurück in die relative Sicherheit der Wagenmitte. Der Boden des Gefährts hüpfte und schaukelte, sodass Ista sich auf die Knie fallen ließ, bevor sie unfreiwillig darauf landen konnte. Illvins Paradepferd trottete neben dem Wagen her und schloss sich dessen unruhiger Bewegung an, als die Zugtiere Geschwindigkeit aufnahmen. Illvin lehnte sich herüber und rief: »Arhys! Ich brauche eine Waffe!« Er streckte seine leere Hand auffordernd dem Bruder entgegen, der sich hastig umschaute. Illvin blickte nach vorn. »Schnell!«
Mit einem Fluch griff Arhys nach dem einzigen spitzen Gegenstand in Sichtweite, einer Mistgabel, die an der Innenseite des Wagens befestigt war. Er schwang sie zu Illvin hinaus, der seinen Bruder verärgert anfunkelte, aber dennoch nach der Forke griff. Er wirbelte sie herum, sodass die Zinken nach vorn zeigten. »Ich dachte eher an ein Schwert.«
»‘tschuldigung«, sagte Arhys und zog das seine. »Schon vergeben. Ich brauche ein Pferd.« Er wandte sich Liss zu, die auf der anderen Seite galoppierte.
»Nein, Arhys!« Illvins Stimme übertönte das Poltern des Wagens, die schneller werdenden Hufschläge und die Schreie vor ihnen. »Halt dich zurück! Sei vernünftig!« Er wies auf die bewusstlose Cattilara.
Arhys’ Kopf fuhr herum, und er zog den Atem laut zwischen den Zähnen ein, nicht um Luft zu holen, sondern vor Schmerz, als er erkannte, wessen Körper nun die Gefahren des Schlachtfelds für ihn tragen musste.
»Bleib bei der Königin! Ah, da kommt mein Schwert …!« Illvin stieß seinem Pferd die Absätze seiner geliehenen Stiefel in die Flanken. Die kräftigen Hinterbeine des Tieres spannten sich, und es tat einen Satz nach vorn. Illvins leinenes Nachthemd öffnete sich, entblößte seinen nackten Oberkörper und flatterte hinter ihm. Sein zurückgebundenes Haar wehte im Wind.
Ista klammerte sich am Seitenbrett des Wagens fest und starrte offenen Mundes nach draußen. Das falsche Pferd, die falsche Waffe, die falsche Rüstung — halb nackt ging doch sicherlich als falsche Rüstung durch? Und Ilvin schrie wie ein Verrückter, hielt die Mistgabel mit der rechten Hand und richtete sie wie eine Lanze auf den Krieger aus Jokona, der mit hoch erhobenem Schwert auf ihn zukam. Im letzten Augenblick, auf irgendeinen unmerklichen Druck von Illvins Knie hin, brach das schwere weiße Pferd seitlich aus und rammte das Tier des Jokoners. Dieser schlug zu, doch die Zinken der Mistgabel stießen an beiden Seiten des Handgelenks am Schwertarm vorbei. Ein Drehen, ein Ruck — und Illvin ritt weiter und hielt den Griff des Schwerts in der Linken, während der Jokoner hinter ihm aus dem Sattel stürzte und beinahe von den Pferden der beiden Wachen, die hinterdrein galoppierten, niedergetrampelt wurde. Illvin jauchzte triumphierend und schwang das Schwert, doch mit einem nachdenklichen Blick auf das bescheidene Werkzeug unter seinem anderen Arm behielt er auch die Mistgabel.
Obwohl ihr lautstarker Angriff erfolgreich war und die Jokoner unmittelbar vor ihnen von der Straße getrieben und zu beiden Seiten verstreut hatte, formierten die feindlichen Reiter sich rasch wieder und nahmen die Verfolgung auf. An Bord des Wagens gab es anscheinend nichts, das man ihnen entgegenschleudern konnte, abgesehen von vier Truhen und einigen harten Brotkrusten. Arhys’ Page durchwühlte verzweifelt das Gepäck nach besseren Wurfgeschossen. Cattilaras Dame hielt den schlaffen Körper ihrer Herrin umschlungen und jammerte. Liss galoppierte immer noch auf der rechten Seite des Wagens und zog ihren neuen Dolch, doch mit dieser Waffe konnte sie gegen die Schwerter der berittenen Gegner wenig ausrichten. Arhys stürzte herbei und zog Ista zurück zur Wagenmitte; dann verharrte er angespannt, schwankend auf einem Knie, mit gezogenem Schwert und bereit, sich auf den Feind zu stürzen.
Das weiße Pferd preschte vorüber, zur hinteren Seite des Wagens. Mit einem Aufblitzen von Sonnenlicht wirbelte ein Schwert herein und schepperte über den Boden. Arhys trat es in Richtung des barfüßigen Dieners, der es dankbar aufhob und sich wachsam am Wagenende aufstellte. Einige Minuten später überholte das weiße Pferd sie im Galopp auf der anderen Seite, und Illvin beugte sich aus dem Sattel und warf ein weiteres Schwert in den Wagen. Sein Lächeln glitt vorüber wie ein Lichtstrahl, und er schwang die Mistgabel und stürmte erneut voran.
Goram auf dem Kutschbock schrie auf. Arhys sprang vor. Ista konnte nur die hintere Seite von Arhys’ Beinen sehen, als er sich abstützte und auf einen unsichtbaren Angreifer einschlug, der offenbar neben ihnen ritt. Er bewegte sich mit Kraft, Schnelligkeit und äußerster Präzision. Doch die weiße Leine aus Seelenfeuer, die aus Cattilara hervorquoll und ihm zufloss, schien an Dichte und Geschwindigkeit um das Doppelte zugenommen zu haben. Zu schnell, dachte Ista verzweifelt. Das kann sie nicht lange durchhalten. Es wird sie auslaugen …
Der Wagen rumpelte um eine enge Kurve. Ista schlitterte auf Händen und Knien über die rauen Bodenbretter, zog sich Splitter in die Handfläche und stolperte gegen Cattilara auf ihrer Liege. Das tränenüberströmte Gesicht des Kammerfräuleins war bleich und rot gefleckt vor Angst und Aufregung. Hinter Liss blieb einer der Ritter des Ordens der Tochter am Straßenrand zurück. Er blutete und kippte aus dem Sattel; sein Pferd lahmte und wurde langsamer. Ista wollte herumwirbeln und sehen, was mit ihm geschah, doch erneut taumelte sie haltlos durch den Wagen, als ein Rad in ein Schlagloch krachte. Als sie das Gleichgewicht wiedererlangt hatte und erneut aufblickte, war der Ritter bereits außer Sicht. Ein dahingaloppierender Jokoner stocherte mit seinem Schwert ungeschickt durch die Lücke zwischen der Seitenwand und der halb hochgerollten Segeltuchplane; er wurde gleichermaßen ungeschickt von Arhys’ Pagen abgewehrt, der auf Knien mit Illvins geraubtem Schwert kämpfte.
Von vorn erklangen laute Rufe und Flüche in zwei Sprachen. Das Aufblitzen von rotviolettem Dämonenlicht sengte sich durch Istas inneres Auge, als sie sich zusammenkauerte und hinunter blickte. Das Kreischen nachgebenden Metalls erklang von unterhalb des Wagens. Das Gefährt schwankte und neigte sich nach links. Die drei Frauen rutschten über die Bodenbretter. Selbst Ista schrie auf. Sie hörte die Hinterachse brechen; dann kippte das Ende des Wagens gänzlich um und schleifte hinterher. Mit einem Aufschrei fiel der Dienstbote heraus. Arhys rutschte vom Kutschbock ins Innere und konnte es nur mit Mühe verhindern, das schluchzende Kammerfräulein mit seiner Schwertspitze aufzuspießen.
Er starrte wild um sich. »Liss!«, rief er.
»Hier!« Das Palominopferd war auf der rechten Seite des Wagens geblieben und passte sich dessen abnehmender Geschwindigkeit an.
Weitere Schreie und lautes Krachen erklangen von vorn. Der schlingernde Wagen schleuderte vom Scheitel der Straße und kam schließlich schräg zum Stehen. Arhys ließ sein Schwert fallen und hob den schlaffen Körper seiner Frau vom Boden auf. Er hievte sie nach draußen und in die Arme der überraschten Liss. »Nimm sie, nimm sie! Reite, wenn du kannst. Nach Porifors.«
»Ja!«, rief auch Ista. »Tu, was er sagt!«
Foix’ Pferd tauchte in ihrem Blickfeld auf, hielt und bäumte sich wild auf. Ista zeigte nach unten. »Foix, war das Euer Dämon?«
»Nein, Majestät!« Er beugte sich über den Sattelknopf und starrte zu ihr herein. Seine Augen waren weit aufgerissen. Der Schatten des Bären in seinem Innern stand scheinbar aufrecht; sein Kopf drehte sich benommen von einer Seite zur anderen.
»Majestät …?«, rief Liss’ raue Stimme unsicher, während sie verzweifelt versuchte, ihre reglose Last besser in den Griff zu bekommen.
»Nimm Cattilara und reite, oder wir alle sind verloren! Foix, geht mit ihr! Bringt sie durch!«
»Majestät, ich kann nicht …«
»Reitet!« Ista schrie sich beinahe die Seele aus dem Leib. Beide Pferde preschten davon. Ein Schauer dunkler Tropfen regnete von Foix’ Schwert, als er vorüberritt. Gellend Schreie, schabendes Metall, das Singen einer Armbrustsehne, das Geräusch einer schweren Klinge, die in Fleisch schlug — all diese Geräusche drangen an Istas Ohren. Doch das doppelte Echo der Pferdehufe verschwand in der Ferne, ohne langsamer zu werden oder abzuweichen.
Ista kletterte nach vorn, packte die hintere Kante des Kutschbocks und spähte darüber hinweg. Eine große Sänfte mit grünen Tuchbehängen und goldenem Besatz war vor ihnen zur Seite und auf die Straße gekippt. Eines der beiden vorderen Zugpferde stampfte und trat aus, denn seine Vorderbeine hingen zwischen den hinteren Brettern und Haltestangen der Sänfte fest. Das gesplitterte Holz hatte die Haut aufgerissen. Das andere Vorpferd lag in seinem Zuggeschirr, blutete und gab grauenvolle Laute von sich. Ein Dutzend Träger in reich bestickten grünen Gewändern war überall verteilt; sie riefen und schrien, und diejenigen unter ihnen, die noch laufen konnten, halfen den verwundeten Kameraden. Drei von ihnen versuchten, das scheuende Pferd unter Kontrolle zu halten und einen stöhnenden vierten Mann zwischen den Trümmern hervorzuziehen.
Sie hatten vielleicht die Hälfte des Abstiegs zum Fluss bewältigt, wo die Straße ihre letzte Biegung Richtung Porifors beschrieb. Wären sie nicht auf dieses Hindernis gestoßen, erkannte Ista, hätten sie die Spitze des Heerzuges vielleicht tatsächlich durchstoßen können. Ob sie danach ihre Feinde abgehängt hätten, blieb allerdings offen.
Goram saß wie erstarrt und streckte die Hände in die Luft. Ista folgte seinem verängstigten Blick bis zu einem jokonischen Soldaten, der mit gespannter Armbrust mitten auf der Straße stand und auf den Knecht zielte. Ein weiterer Soldat rannte herbei, und noch einer, bis der Wagen von einem Dutzend Männern umringt war, deren Finger zitternd an den Abzugsstangen lagen.
Ein jokonischer Soldat schlich vorsichtig heran und zerrte Goram vom Kutschbock. Der Knecht stolperte auf die Straße und stand da, die Arme um den Körper geschlungen. Er schniefte unkontrolliert. Der Soldat kehrte zurück, griff nach Ista und zerrte sie grob zu sich herunter. Sie leistete keinen Widerstand. Lieber wollte sie auf eigenen Füßen stehen, als sich mitschleifen zu lassen. Arhys erschien auf dem Kutschbock und stand dort für einen Augenblick mit ausgestrecktem, doch reglos gehaltenem Schwert. Seine Kiefermuskeln spannten sich an, als sein Blick über die Schützen glitt. Ein Mundwinkel hob sich zu einem merkwürdigen Lächeln. Anscheinend dachte er daran, wie wenig diese glitzernden Bolzen ihm anhaben konnten, sollte er sich dazu entschließen, herabzuspringen und anzugreifen. Doch das Lächeln wurde säuerlich, und er biss die Zähne zusammen, als er den Gedanken zu Ende führte, bis zu den unausweichlichen Folgen. Ganz langsam senkte er die Spitze der Klinge.
Ein Armbrustschütze bedeutete ihm, die Waffe herunterzuwerfen. Arhys blickte auf die Armbrustbolzen, die auf Ista gerichtet waren, und gehorchte. Die Klinge fiel in den Kies. Ein Jokoner hob sie auf, und Arhys trat freiwillig vom Kutschbock herunter. Noch immer verzichteten die jokonischen Soldaten darauf, ihn zu ergreifen — oder fürchteten sich.
Zwei weitere grün gekleidete Träger halfen einer kleinen, benommen wirkenden Frau in dunkelgrünen Seidengewändern unter dem schief sitzenden Baldachin der Sänfte hervor.
Ista sog scharf die Luft ein.
Ihr zweites Gesicht blickte auf eine Seele, wie sie nie zuvor eine gesehen hatte. Die Seele war aufgewühlt und brodelte an den Randzonen des Körpers der Frau in grellen Farben, doch zur Mitte hin wurde sie dunkler und schließlich so schwarz, dass Ista den Eindruck hatte, um Mitternacht in eine schwarze Quelle zu blicken. Doch diese Schwärze war nicht leer: Schwache farbige Linien strahlten von dem bodenlosen Abgrund in alle Richtungen aus — ein verstricktes Netz, das sich wand und pulsierte. Ista musste sich zwingen, diesen überwältigenden Eindruck ihres zweiten Gesichts zu verdrängen und die Äußerlichkeiten der Frau wahrzunehmen.
Sie bot einen eigentümlichen Anblick, eine Mischung aus Vornehmheit und Reichtum, Farblosigkeit und Alter. Sie war nur wenig größer als Ista selbst. Glanzloses, graubraun gewelltes Haar war ineinander geflochten zur roknarischen Hoffrisur, zusammengehalten von Schnüren voller funkelnder Juwelen in Gestalt kleiner Blüten. Ihr Gesicht war blass und faltig, frei von Schminke oder Fuder. Ihr Kleid bestand aus vielen Lagen Stoff und war mit Garnen aus goldenen und schimmernden Seiden bestickt, die ineinander greifende Vögel darstellten. Ihr Körper war zierlich, mit schlaffen Brüsten und herabhängendem Bauch. Ihr Mund zeigte einen zornigen Ausdruck. Ihre blassen blauen Augen glühten, als sie sich schließlich Ista zuwandten.
Ein junger Offizier ritt auf einem unruhig tänzelnden Pferd heran. Er hielt, schwang sich neben der Frau aus dem Sattel und ließ die Zügel fallen, die sofort von einem Soldaten aufgefangen wurden, der herbeieilte. Der Offizier starrte Ista wie gelähmt an. Das Gold und die Juwelen, mit denen das Zaumzeug seines Pferdes besetzt war, verrieten mehr über seinen hohen Rang als der Schmuck auf seiner eigenen Kleidung, obwohl er eine goldgesäumte grüne Schärpe über der Brust trug, die mit einer Reihe fliegender weißer Pelikane bestickt war. Er hatte ein hübsches Gesicht mit hohen Wangenknochen, und das dicht an seine Kopfhaut geflochtene Haar leuchtete golden in der Mittagssonne.
Und seine Seele war verloren in einem dichten violetten Schleier, der sich bis an die Grenzen seines Körpers erstreckte …
Sie haben einen Zauberer. Anscheinend lag hier, vor Istas innerem Auge, der Ursprung dieses Aufblitzens chaotischer Macht, das die Sicherungsstifte der Achse hatte herausgleiten und die hinteren Räder abspringen lassen: Die Farben im Körper des Mannes pulsierten und zuckten immer noch, wie ein Nachhall der freigesetzten Kräfte. Und doch, während Ista zu ihm hinschaute, schien das dämonische Licht zu schrumpfen, sich zurückzuziehen.
Mit gezogenen Klingen wurden der Page und das Kammerfräulein aus dem hinteren Teil des Wagens herausgetrieben und mussten sich zu Arhys stellen. Sie klammerten sich aneinander fest. Der Graf schaute kurz unter halb geschlossenen Augenlidern zu ihnen, als wollte er sie bestärken. Dann wandte er sich wieder der alten Frau und dem Offizier zu. Illvin und die Ritter der Tochter waren nirgendwo zu sehen. Verstreut? Gefangen? Getötet?
Ista wurde sich ihrer schlichten Reitkleidung bewusst, die ohne Schmuck oder andere Hinweise auf ihren Rang war. Ihr Gesicht war gerötet, verschwitzt und verdreckt. Allzu vertraute Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Konnte sie als Kammerfrau oder Dienstbotin durchgehen? Konnte sie den Wert dieser Beute vor ihren Feinden verbergen, ihre Unaufmerksamkeit zur Flucht nutzen? Oder würde sie das nur zu einem billigen Leckerbissen für die jokonischen Truppen machen, um geschunden und dann gleichsam weggeworfen zu werden wie das unglückliche Dienstmädchen der reichen Frau aus Rauma?
Das Auge des dämonenbesessenen Offiziers fiel auf Goram, weitete sich für einen Moment, verengte sich dann nachdenklich. Oder war es ein Wiedererkennen? Die Miene des Mannes war nachdenklich, nicht aber verwirrt. Er sieht Gorams verwüstete Seele. Doch es überrascht ihn nicht. Sein Blick wanderte weiter zu Arhys, und diesmal riss er staunend den Mund auf.
»Mutter, sie strahlt in furchtbarem Licht, und ihr Wächter ist ein Toter!«, sagte er in Roknari zu der Frau neben ihm. Er musterte Ista genauer. Sein Blick wurde furchtsam, als würde er sich fragen, ob sie Arhys’ scheinbares Wunder der Wiederbelebung bewirkte. Als würde er sich ausmalen, dass sie noch weitere untote Leibwächter verborgen hielt, die jederzeit aus dem Schmutz der Straße zu ihren Füßen hervorbrechen konnten.
Das muss die Fürstinnenwitwe Joen selbst sein, erkannte Ista voller Schrecken. Und Fürst Sordso. Der aufrechte, schlanke junge Mann sah im Augenblick gar nicht nach einem Säufer aus. Und doch — war dieser aufmerksame Krieger überhaupt Sordso? Das dämonische Licht schien die vollständige Herrschaft über ihn zu haben. Er tat einen Schritt zurück. Die Frau packte seinen Arm, ihre Finger gruben sich wütend ein.
»Sie trägt einen Gott in sich! Wir sind verloren!«, schrie er entsetzt und starrte Ista verschreckt an.
»Sie tut nichts dergleichen«, zischte die Frau ihm ins Ohr. »Das sind Rückstände. Sie ist kaum in der Lage, ihr zweites Gesicht aufrechtzuerhalten. Ihre Seele ist voller Narben und Störungen. Sie hat Angst vor dir.«
Da hatte sie Recht. Istas Mund war trocken; sie fühlte ein Pochen im Kopf und trieb auf einer wogenden See der Angst.
Die blauen Augen der Frau wurden schmal und glühten vor Triumph. »Sordso, schau sie an! Das ist Ista selbst, genau wie sie uns beschrieben wurde! Die Hälfte der Beute, für die wir gekommen sind, wurde uns jetzt schon in die Hände gespielt! Das ist ein Geschenk von den Göttern selbst!«
»Es tut weh, sie anzuschauen!«
»Nein, sie ist nichts. Du wirst mit ihr fertig. Ich werde es dir zeigen. Tu es jetzt!« Sie hielt den Arm des jungen Mannes im klauenartigen Griff ihrer Hand und schüttelte ihn. »Überwältige sie.« Eine der sich windenden Lichtschnüre krümmte sich aus dem dunklen Innern ihres Leibes, schien heller zu werden, aufzulodern. Ihr anderes Ende mündete in Sordsos Leib wie eine obszöne Nabelschnur.
Der junge Mann befeuchtete seine Lippen. Das violette Licht kehrte bis an die Ränder seines Körpers zurück und wurde stärker. Er hob eine Hand und nutzte die Dichte seines stofflichen Körpers, um eine Kraft zu lenken, die nichts mit Materie zu tun hatte. Ein purpurnes Strahlen brodelte aus seiner Handfläche und wand sich wie eine Schlange um Ista.
Ihre Knie gaben nach, und sie fiel in den Staub. Ihr angerissener Schorf platzte vollends auf, und sie fühlte das Blut hervorrinnen, glitschig zwischen den schweißnassen und sich lösenden Verbänden. Als Nächstes schien ihre Wirbelsäule sich auszuhängen, Knochen für Knochen, und hilflos sank sie nach vorn. Grässliche, krampfhafte Schmerzen unter beiden Schulterblättern setzten ein. Sie hatte das scheußliche Gefühl, ihre Eingeweide würden sich auflösen, doch es war wohl nur eine Wirkung ihrer Furcht. Sie sah noch, wie Arhys’ Lippen sich öffneten und sein Blick sich vor Bestürzung verdunkelte. Dann sank sie vor allen Versammelten zu Boden, ohne einen Grund, den fleischliche Augen hätten erkennen können. Sie streckte die Hände aus, um sich aufzufangen, dann aber wurden ihre Arme ebenfalls schlaff. Ihr Kopf wurde schwerer und schwerer; sie konnte ihn gerade noch zur Seite drehen, sodass ihre weiche Wange und nicht ihr offener Mund zwischen die scharfkantigen Steine und den Straßendreck glitt.
»Siehst du? So werden sich ganz Chalion und Ibra vor uns beugen.« Joens Stimme triefte Befriedigung. Ista konnte ihre leichten grünen Seidenschuhe sehen, die unter den Röcken hervorlugten, und Sordsos polierte Stiefel. Die Stiefel bewegten sich unruhig. In einiger Entfernung vernahm Ista Gorams leises, tränenersticktes Schluchzen. Gnädigerweise waren die Schreie des verwundeten Pferdes verstummt. Vielleicht hatte irgendeine mitleidige Seele ihm die Kehle durchgeschnitten. Vielleicht wird irgendeine mitleidige Seele auch mir die Kehle durchschneiden.
»Ich muss zugeben«, sprach Fürstin Joen über Istas Kopf hinweg weiter, »ich verstehe nicht, was es mit dem toten Mann auf sich hat.« Ihre Schritte schlurften durch den Schotter, näherten sich Arhys. Ista war nicht einmal zu einem Stöhnen fähig. Sie konnte kaum blinzeln. Ein Tropfen löste sich von ihrem Augenlid und fiel in den Staub.
Plötzlich ertönten Schreie vom Abhang her. Ista schaute über den Rand der Straße in das Tal dahinter. Um sie her und hinter ihr scharrten plötzlich die Stiefel der Männer. Sie hörte das metallische Singen eine Armbrust, und vor Sorge um Arhys stockte ihr der Atem. Hufschläge. Viele Hufschläge. Sie hämmerten, drängten, rutschten vom Kamm über ihnen herab. Ein wildes Jauchzen in einer vertrauten Stimme.
Sordso keuchte. Seine Stiefel knirschten auf dem Kies. Mit einem Ächzen hob er die leichten grünen Seidenschuhe, dass sie aus dem Blickfeld verschwanden. Seine Stiefel taumelten vor Istas Gesicht. Nahebei scharrten Hufe. Ista gelang es, den Kopf ein wenig weiter zu drehen. Es war das Pferd des Fürsten. Joen in ihrem kunstvollen Kleid klammerte sich unbeholfen an den Sattel, während sie von einem rennenden Träger in ruckartigem Trab hinterhergezogen wurde. Immer wieder warf der Mann angstvolle Blicke über die Schulter und sah den Hang hinauf.
Ein dumpfer Knall war zu vernehmen. Die unsichtbare Last, die Ista wie eine gewaltige Hand zu Boden drückte, verlor plötzlich an Kraft. Sie hörte das schneidende Geräusch, als Sordsos Schwert aus der Scheide gezogen wurde, und zuckte zusammen. Endlich gelang es ihr, den Kopf ganz herumzuwerfen. Ein Armbrustschütze war unvorsichtig genug gewesen, seine Blicke für einen Augenblick von Arhys abzuwenden, und jetzt befand sich der Graf im Nahkampf mit ihm. Einige dabeistehende Schützen hatten ihre Bolzen in die Luft sirren lassen und spannten nun verzweifelt die Waffen nach. Arhys riss einen Dolch aus einer Scheide am Gürtel des Mannes, mit dem er rang, und stieß ihn zur Seite, gerade rechtzeitig, um Sordsos Streich zu parieren. In Sordsos anderer Hand jedoch sammelte sich ein violettes Licht. Er stieß es nach vorn.
Die sengende, purpurfarbene Linie schnitt durch Arhys’ Körper, ohne Wirkung zu erzielen, und grub sich in den Boden dahinter. Sordso schrie überrascht auf und wich hastig zurück, als ein Gegenstoß des Dolches ihm beinahe das Schwert aus der Hand prellte. Aus dem Zurückweichen wurde eine Flucht.
Ein wahrer Erdrutsch aus Pferden überwältigte sie. Die jokonischen Armbrustschützen wurden zur Seite gestoßen und niedergeritten. Schwerter klirrten, Speere zuckten, geführt von wild schreienden Männern in graugoldenen Wappenröcken. Vor Istas Gesicht erschienen plötzlich Hufe, die so groß wie Teller zu sein schienen. Drei der langen Pferdebeine waren weiß und seidig, das vierte rot von Blut.
»Ich habe dir das Pferd mitgebracht, nach dem du gefragt hattest«, erklang Illvins keuchende Stimme von oben. Hinter den riesigen Hufen knirschten und rutschten vier weitere Pferdebeine. Dann der Ausruf: »Bei den fünf Göttern! Ist sie verletzt?«
»Verhext, glaube ich«, gab Arhys keuchend zurück. Er kniete neben Ista nieder und hob sie mit kühlen, leblosen, willkommenen Händen auf und legte sie in die Arme seines Bruders.
Mit einem schwachen Ächzen landete sie auf dem Bauch über Illvins Schoß.
Illvin fluchte, griff kräftig durch den Rock nach ihren Oberschenkeln, und hielt sie fest. Irgendjemandem brüllte er über die Schulter zu: »Hol Goram!«
»Sie formieren sich neu!«, rief Arhys. »Lauf!« Der laute Klaps seiner Hand auf den Rumpf des weißen Pferdes war kaum nötig, um sie anzutreiben. Das Tier drehte bereits auf der Stelle. Sie stürzten den Hang hinunter, fort von der Straße.
Vor Istas hüpfender Nase wurde die Quelle des erschreckenden Blutes erkennbar: ein hässlicher Schnitt über Feders rechter Schulter, der heftig blutete. Verschwommen huschte der Boden unter ihr vorüber. Das Pferd zögerte, sein Körper spannte sich an. Illvin lehnte sich weit im Sattel zurück; sein Griff um Istas Bein wurde fest wie ein Schraubstock. Unvermittelt rutschten sie geradewegs die steile Hügelflanke hinab, in einem Sprühregen aus Schmutz und Steinen. Das Pferd bremste mit ausgestreckten Vorderbeinen. Beinahe schien es auf dem Hinterteil in die Tiefe zu schlittern. Illvin jauchzte erneut. Peitschende Sträucher schlugen Ista ins Gesicht und zerkratzten ihre Haut. Wenn sie das Gleichgewicht verloren, würden sie alle drei Hals über Kopf herabstürzen, mit zerschmetterten Knochen und zerquetschten Leibern …
Doch die schier endlose Rutschpartie endete nicht in einer Katastrophe, sondern in einem wilden Platschen durch Porifors kleinen Fluss. Andere Pferde galoppierten nun rings um sie her. Illvin lockerte seinen krampfhaften Griff um Istas Oberschenkel und tätschelte abgelenkt und beruhigend ihr Gesäß.
Ista stellte fest, dass sie die Kontrolle über ihren Körper zurückgewann. Sie spuckte eine Mischung aus blutigem Flusswasser und Dreck aus. Was war mit dem Zauberfürsten geschehen? Offensichtlich war seine Aufmerksamkeit gänzlich von ihr abgelenkt worden. Für den Augenblick jedenfalls. Mit der Kontrolle kam leider auch das Gefühl zurück. »Ich glaube, ich muss mich übergeben«, murmelte Ista an die rot verschmierte Schulter des Pferdes.
Einen wundervollen Augenblick lang hielten sie. Illvin beugte sich vor und umfasste Ista mit seinen langen Armen; dann richtete er sie auf und drehte sie um, sodass sie auf seinem Schoß zu sitzen kam. Mit schwachem Griff umfasste sie seinen Oberkörper, der knochig war und schlüpfrig vor Schweiß. Auch er rang nach Atem. Irgendwo unterwegs hatte er sein Nachtgewand verloren, ebenso die Mistgabel. Sein Mund war blutig. Sein strähniges dunkles Haar hing ihm zerzaust ins Gesicht. Sein Körper war erhitzt vor Anstrengung. Aber er hatte keine ernsthaften Wunden davongetragen, wie sie mit ihren Händen ertasten konnte.
Er hob eine zitternde Hand an ihr Gesicht und wischte sanft die Mischung aus Pferdeblut, Schweiß und Schmutz ab, die es bedeckte. »Liebe Is… Königin, seid Ihr verletzt?«
»Nein, das ist alles von Eurem armen Pferd«, versicherte sie ihm. Sie vermutete, dass es das Blut war, was ihn beunruhigte. »Ich bin nur ein wenig ramponiert.«
»Ein wenig?« Er hob die Brauen, und der Anflug eines Lächelns huschte über sein Gesicht.
»Ich fürchte, ich werde von diesem Ritt blaue Flecken am Bauch davontragen.«
»Oh.« Seine Hand, die auf ihrem Leib lag, massierte ihn ein wenig unbeholfen. »Das tut mir Leid.«
»Entschuldigt Euch nicht. Was ist mit Eurem Mund geschehen?« Sie hob ihre Hand und berührte mit einem Finger die aufgerissene Kante.
»Ein Speerschaft.«
»O weh.«
»Besser als eine Speerspitze.«
Sie setzten sich wieder in Bewegung. Er blickte über die Schulter. Sie befanden sich auf einer kleineren Straße, kaum mehr als ein Weg, gegenüber der Hauptstraße auf der anderen Seite des Flusses. Andere Soldaten in grauen Wappenröcken ritten nun überall um sie her. »Eine schlechte Zeit, um sich draußen herumzutreiben. Der Heerzug aus Jokona, den wir überholt haben, ist einer von dreien, die in diesem Augenblick auf die Burg zuhalten. Das haben unsere Kundschafter berichtet. Bisher wurden allerdings keine Belagerungsmaschinen in ihrem Tross gesehen. Könnt Ihr Euch an mir festhalten, wenn wir in Galopp fallen?«
»Gewiss.« Ista setzte sich aufrecht hin und strich sich Haar aus dem Mund — sie war nicht sicher, wem es gehörte. Unter ihr spannten sich seine Beine an, und das weiße Pferd fiel ohne Übergang in seine ausgreifende, schaukelnde Gangart.
»Wo habt Ihr Eure Schar gefunden?«, stieß sie hervor und klammerte sich fester an seine glatte, schlüpfrige Haut.
»Ihr habt sie mir entgegengeschickt, vielen Dank dafür. Seid Ihr auch Seherin? Sie kamen mir auf der Straße entgegen, gerade als ich nach Porifors zurückgaloppierte, um sie zu holen.«
Ah. Dy Cabon war ihren Anweisungen also nachgekommen. Ein wenig zu früh, aber dafür würde sie ihn nicht tadeln. »Bloß eine Vorsichtsmaßnahme. Habt Ihr Liss, Cattilara und Foix gesehen? Wir haben versucht, sie vorauszuschicken.«
»Ja, sie ritten an uns vorüber, als wir auf den Kamm zuhielten, um den jokonischen Heerzug zu umgehen. Inzwischen sollten sie sicher innerhalb der Mauern sein.« Er drehte sich um und blickte über die Schulter, trieb sein Pferd aber nicht mehr an. Ista schloss daraus, dass sie für den Augenblick ihre Verfolger abgeschüttelt hatten. Die Schritte des großen Tieres wurden kürzer, seine keuchenden Atemzüge klangen angestrengter. Illvin lehnte sich im Sattel nach hinten und ließ zu, dass das Tier in einen langsamen Trab verfiel.
»Was ist da auf der Straße geschehen?«, fragte er. »Was hat Euch zu Boden gestreckt? War es tatsächlich Hexerei?«
»Tatsächlich. Sordso der Säufer ist inzwischen Sordso der Zauberer, wie es scheint. Wie er zu seinem Dämon gekommen ist, weiß ich allerdings nicht. Aber ich stimme Euch zu — der Dämon seiner toten Schwester muss es wissen. Wenn wir Sordso im Kampf gegenübertreten müssen, hat dämonische Magie eine gewisse Reichweite, wisst Ihr das? Nun, egal. Ich werde mich bei dy Cabon erkundigen. Ob Foix es aus eigener Erfahrung weiß? Würde ich ihm zutrauen.«
»Drei Zauberer, hat Foix gemeldet. Mindestens«, sagte Illvin. »Zumindest glaubte er, so viele unter den jokonischen Offizieren entdeckt zu haben.«
»Was?« Ista riss die Augen auf. Sie dachte an das Knäuel seltsamer Lichtlinien, die sich von Fürstinnenwitwe Joens Leib ausbreiteten wie aus einem Schlangennest. Eine davon hielt die Zähne in Sordso geschlagen, keine Frage. »Dann kann es leicht mehr als drei geben.« Ein Dutzend? Zwanzig?
»Ihr habt mehr Zauberer gesehen?«
»Ich habe irgendetwas gesehen. Etwas sehr Unheimliches.«
Wieder warf er einen Blick über die Schulter.
»Was seht Ihr da?«, fragte Ista.
»Immer noch keinen Arhys. Verdammt soll er sein. Immer muss er die letzte lebende Seele auf dem Schlachtfeld … der Letzte sein, der ausharrt. Ich habe ihm gesagt, dass ein solches Draufgängertum sich nicht mit einem verantwortungsbewussten Befehlshaber verträgt. Aber es beeindruckt die Jungs, das gebe ich zu. Bei der Hölle des Bastards, es beeindruckt mich, und ich weiß es besser … ah.« Er drehte sich wieder um. Ein Mundwinkel hob sich in grimmiger Befriedigung. Er ließ sein Reittier in langsamen Schritt fallen und runzelte die Stirn. Das Pferd lahmte inzwischen deutlich. Doch Burg Porifors ragte zum Greifen nahe über ihnen auf. Einige wenige Nachzügler strömten noch aus dem Umland durch die Tore der Stadt. Die Rufe der Flüchtlinge klangen erschöpft, aber nicht panisch.
Arhys schloss auf einem jokonischen Pferd zu ihnen auf. Vermutlich hatte Illvin das Tier im selben Gebrauchtwarenladen erstanden wie die Schwertsammlung. Mit blassem Gesicht saß sein Page hinter ihm und unterdrückte tapfer die Tränen, während Ista mit ihrem inneren Auge die Leine aus blassem Seelenfeuer prüfte, die im Herzen des Grafen mündete. Ganz offensichtlich lebte Catti noch, wo immer sie sich befand. Der Zufluss erfolgte nicht mehr in einem erschreckenden Schwall wie früher, sondern war ein wenig schwächer geworden, war aber noch immer sehr ausgeprägt.
Mit Erleichterung stellte Ista fest, dass Goram sich hinter einen Soldaten klammerte, und Cattilaras verzweifelte junge Begleiterin hinter einen anderen. Von dem barfüßigen Diener war nichts zu sehen. Arhys grüßte seinen Bruder mit einem beiläufigen Winken, das ebenso beiläufig erwidert wurde. Der Blick, mit dem er Ista bedachte, war ernst und besorgt.
»Zeit, nach Hause zu gehen«, schlug Illvin vor.
»Von mir hörst du keinen Widerspruch«, erwiderte Arhys.
»Gut.«
Ihre ermüdeten Pferde kletterten die Serpentinenstraße zum Burgtor hinauf und ritten auf den Vorhof.
Liss eilte herbei und nahm Ista entgegen, als Illvin sie zu Boden gleiten ließ. Foix kam hinterher und bot ihr den Arm dar. Dankbar stützte sie sich darauf, sonst wäre sie entkräftet zusammengebrochen.
»Majestät, lasst uns Euch zu Euren Gemächern geleiten und …«, setzte er an.
»Wohin habt ihr Lady Cattilara gebracht?«
»In ihrem Schlafgemach niedergelegt. Ihre Damen kümmern sich um sie.«
»Gut. Foix, findet dy Cabon und schließt Euch mir dort an. Sofort.«
»Ich muss mich um unsere Verteidigung kümmern«, sagte Arhys. »Ich komme nach, sobald ich kann. Falls ich kann. Illvin …?«
Illvin erklärte gerade einem Stallknecht, wie das verletzte Pferd zu behandeln war. Nun blickte er auf.
Kurz schaute Arhys zum Innenhof, wo sich seine Gemächer und die seiner Frau befanden. »Tu, was nötig ist.«
»Ja.« Illvin verzog das Gesicht, wandte sich um und folgte Ista. Die wilde Erregung, die ihn während des Gefechts auf der Straße durchdrungen hatte, verebbte allmählich. Nun hinkte er ebenso wie sein Pferd und bewegte sich steif und müde, als sie unter dem Torbogen hindurch zum Brunnenhof gingen.