Dreizehntes Kapitel Die dicke Berta schwingt Keulen


Die dicke Berta saß in der Küche, aß eine Wurststulle und trank Kaffee. Sie war, weil sie Ausgang hatte, mit ihrer Freundin spazieren gewesen; weil aber das Regernwetter nicht aufhörte, war sie früher als gewöhnlich nach Haus gekommen. Nun erstickte sie ihren Ärger über den verregneten Ausgang mit Leberwurst und las den Roman in der Illustrierten.

Plötzlich klingelte das Telefon. "Auch das noch!" murmelte sie und schlurfte an den Apparat. "Hier bei Direktor Pogge", sagte sie.

"Kann ich den Herrn Direktor sprechen?" fragte eine Kinderstimme.

"Nein", sagte Berta, "die Herrschaften sind in der Oper."

"Das ist ja entsetzlich", meinte das Kind.

"Worum handelt sich's denn, wenn man fragen darf?" sagte Berta.

"Wer spricht dort?"

"Das Dienstmädchen bei Pogges."

"Ach so, die dicke Berta!" rief das Kind.

"Von wegen dick", sagte sie gekränkt. "Aber Berta ist richtig. Und mit wem habe ich das Vergnügen?"

"Ich bin ein Freund von Pünktchen", erklärte die Kinderstimme.

"So", sagte Berta, "und ich soll mal in ihr Zimmer gehen und fragen, ob sie mit dir mitten in der Nacht Fußball spielen will?"

"Unsinn!" sagte der Junge. "Sondern der Bräutigam von Fräulein Andacht wird gleich bei Ihnen sein."

"Das wird ja immer schöner!" sagte Berta. "Das Kinderfräulein schläft doch längst."

"Keine Spur", sagte die Kinderstimme. "Außer Ihnen ist kein Mensch in der Wohnung."

Die dicke Berta guckte in den Telefonhörer, als wolle sie nachsehen, ob da auch alles stimme. "Was?" fragte sie dann, "Was? Die Andacht und Pünktchen sind nicht in ihren Betten?"

"Nein", rief das Kind. "Das erkläre ich Ihnen ein anderes Mal. Sie sind ganz allein zu Hause. Glauben Sie's nur endlich. Und nun kommt der Bräutigam, um einzubrechen. Die Schlüssel hat er schon. Und einen Wohnungsplan auch. Er wird gleich da sein"

"Das ist ja reizend", sagte Berta. "Was mach ich denn da?"

"Sie rufen rasch das Überfallkommando an. Und dann suchen Sie eine Kohlenschaufel oder etwas Ähnliches. Und wenn der Bräutigam kommt, hauen Sie ihm eins übern Schädel."

"Du hast gut reden, mein Sohn", sagte Berta.

"Hals- und Beinbruch!" rief das Kind. "Machen Sie Ihre Sache gut! Vergessen Sie nicht, die Polizei anzurufen. Wiedersehen!"




Berta kam vor lauter Kopfschütteln, und Zähneklappern kaum vom Fleck. Sie war sehr aufgeregt, rüttelte an Pünktchens Tür und an der von Fräulein Andacht, keine Seele war zu Hause: Niemand rührte sich. Nur Piefke bellte ein bißchen. Er saß in seinem Körbchen vor Pünktchens Tür, rappelte sich hoch und bummelte hinter Berta hen. Nun nahm sie sich zusammen und rief das Überfallkommando an.

"So", sagte ein Beamter. "Na, ich schicke gleich mal rum."

Und nun suchte Berta etwas zum Zuschlagen. "Wie sich der Junge das mit der Kohlenschaufel denkt", sagte sie zu Piefke. "Wo wir doch Zentralheizung haben." Im Kinderzimmer fand sie endlich zwei hölzerne Keulen, mit denen Pünktchen manchmal turnte. Eine dieser Keulen nahm sie, stellte sich neben die Flurtür und löschte das Korridorlicht aus.

"Das Licht in der Küche lassen wir brennen", sagte sie zu Piefke. "Sonst hau ich daneben." Piefke legte sich neben sie und wartete geduldig. Er war noch nicht ganz im Bilde und knurrte, während er dalag, seinen Schwanz an.

"Halt die Schnauze!" flüsterte Berta. Piefke konnte diesen Ton nicht vertragen. Aber er gehorchte. Berta holte einen Stuhl und setzte sich, denn ihr war sehr schwach zumute. Heute ging alles drunter und drüber. Wo mochten bloß Pünktchen und die Andacht stecken? Verflucht noch mal, hätte sie nur früher etwas gesagt!

Da kam jemand die Treppe herauf. Sie erhob sich, nahm die Keule und hielt die Luft an. Der Jemand stand vor der Tür. Piefke richtete sich hoch und machte einen Buckel, als sei er ein Kater. Ihm standen die Haare zu Berge.

Der Jemand steckte den Schlüssel ins Schloß und drehte um. Dann steckte er den Sicherheitsschlüssel ins Sicherheitsschloß und drehte um. Dann steckte er den Drücker ins Schloß. Die Tür schnappte auf. Der Jemand trat in den von der Küche her schwach erleuchteten Korridor. Berta hob ihre Keule hoch und schlug dem Mann eins über den Kürbis. Der Mann taumelte und fiel um wie ein Sack.

"Den hätten wir", sagte Berta zu Piefke und machte Licht. Es war ein Mann in einem Regenmantel und mit einer tief ins Gesicht gezogenen Mütze. Piefke beschnupperte den Bräutigam von Fräulein Andacht, wurde plötzlich, wenn auch zu spät, außerordentfich mutig und biß den Mann in die Wade. Aber der Mann lag auf dem Kokosläufer und rührte sich nicht.

"Wenn nur die Polizei bald käme", sagte Berta, setzte sich auf ihren Stuhl, nahm die Keule in die Hand und paßte gut auf. "Man sollte ihn fesseln", meinte sie zu Piefke. "Hol mal eine Wäscheleine aus der Küche." Piefke hustete ihr was. Beide saßen vor dem Einbrecher und hatten Angst, er könnte wieder munter werden.

Da! Der Mann öffnete die Augen und richtete sich hoch. Langsam wurde sein Blick klarer.

"Tut mir furchtbar leid", erklärte die dicke Berta ganz gerührt und schlug ihm zum zweitenmal auf den Kopf. Der Mann seufzte ein bißchen und sank wieder um.

"Wo bleibt nur die Polizei?" schimpfte Berta. Aber dann kamen die Gesetzeshüter.

Es waren drei Polizisten, und sie mußten über den Anblick, der sich bot, lachen.

"Ich möchte nur wissen, was daran komisch ist", rief die dicke Berta. "Fesseln Sie den Kerl lieber! Er wird gleich wieder munter werden." Die Polizisten legten dem Einbrecher Handschellen an und durchsuchten ihn. Sie fanden die Schlüssel, den Wohnungplan, ein Bündel Dietriche und einen Revolver. Der Oberwachtmeister nahm die Gegenstände an sich, Berta setzte den drei Herren in der Küche Kaffee vor und bat sie, doch ja zu warten, bis Pogges kämen. Das Kind und das Kinderfräulein wären verschwunden. Wer weiß, was heute noch alles passierte!

"Gut, aber nur ein paar Minuten", sagte der Oberwachtmeister.

Bald waren sie mitten in einer Unterhaltung. Piefke bewachte unterdessen den gefesselten Halunken und probierte heimlich, wie Schuhsohlen schmecken.




Die dreizehnte Nachdenkerei handelt:

Vom Zufall


Wenn es an diesem Abend nicht geregnet hätte, wäre die dicke Berta später nach Hause gekommen. Wenn die dicke Berta später nach Hause gekommen wäre, hätte der Dieb ungestört stehlen können. Es war der reine Zufall, daß sie zu Hause war und daß der Diebstahl mißlang. Wenn Galvani nicht zufällig ein paar Froschschenkel, die er aufgehängt hatte, hätte zucken sehen, wäre die tierische Elektrizität nicht entdeckt worden oder erst viel später.

Wenn Napoleon am 18. Oktober 1813 nicht so müde gewesen wäre, hätte er vielleicht die Schlacht bei Leipzig gewonnen.

Viele Ereignisse, die für die Entwicklung der Menschen entscheidend waren, trafen zufällig ein, und ebenso hätte das Gegenteil oder ganz etwas anderes geschehen können.

Der Zufall ist die größte Großmacht der Welt.

Andere Leute sagen statt Zufall: Schicksal. Sie sagen: Es war erne schicksalhafte Fügung, daß Napoleon am 18. Oktober 1813 so müde war und solche Magenschmerzen hatte. Zufall oder Schicksal: das ist Geschmacksache.

Meine Mutter sagt in solchen Fällen: "Der eine ißt gern Wurst, der andere grüne Seife."


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