13

Maxim mußte Ende Juli zu einem offiziellen Essen nach London fahren. Ein Herrendiner. Es hatte irgend etwas mit der Gemeindeverwaltung zu tun. Er war zwei Tage fort, und ich blieb mir selbst überlassen. Ich fürchtete mich vor dieser Trennung. Als ich den Wagen hinter der Kurve in der Anfahrt verschwinden sah, war mir zumute, als ob das ein endgültiger Abschied wäre und ich Maxim niemals wiedersehen würde. Er wird bestimmt mit dem Auto verunglücken, redete ich mir ein, und wenn ich nachmittags von meinem Spaziergang zurückkomme, wird Frith mich bleich und entsetzt mit der Schreckensnachricht erwarten. Und dann würde der Arzt aus irgendeinem Dorfkrankenhaus anrufen und mir sagen, daß ich sehr tapfer sein und mich auf das Schlimmste gefaßt machen müsse.

Nach dem Essen setzte ich mich mit einem Buch draußen unter den Kastanienbaum, aber ich las kaum eine Zeile. Und als ich Robert über den Rasen auf mich zukommen sah, wußte ich sofort: das Telephon, und fühlte mich richtig krank. «Ein Anruf vom Klub, Madam», sagte er, «Mr. de Winter läßt bestellen, daß er vor zehn Minuten angekommen ist.»

Ich klappte mein Buch zu. «Danke schön, Robert. Da ist er aber sehr schnell gefahren.»

«Ja, Madam, das war ein schönes Tempo.»

«Hat mein Mann mir noch irgend etwas ausrichten lassen?»

«Nein, Madam, nur, daß er heil angelangt wäre. Der Portier vom Klub hat in seinem Auftrag angerufen.»

«Es ist gut, Robert, vielen Dank.»

Die Erleichterung war ungeheuer; ich fühlte mich auf einmal wieder ganz gesund. Die Qual war vorüber. Als ob ich nach einer Kanalüberquerung endlich die Küste erreicht hätte. Plötzlich hatte ich Hunger, und als Robert wieder ins Haus gegangen war, stahl ich mich durch die Glastür ins Eßzimmer und nahm mir ein paar Kekse von der Anrichte. Sechs Stück und noch einen Apfel dazu. Ich hatte gar nicht gemerkt, daß ich so hungrig war. Ich ging in den Wald und aß dort, damit die Dienstboten mich nicht von den Fenstern aus dabei beobachten konnten.

Jetzt, wo ich Maxim sicher in London wußte, fühlte ich mich wieder wohl und merkwürdig vergnügt. Ich fühlte mich so frei und ungebunden wie ein Kind an einem Samstagnachmittag. Keine Schule und keine Hausaufgaben. Noch nie hatte ich dieses Gefühl gehabt, seit ich auf Manderley lebte. Vielleicht lag es daran, daß Maxim nach London gefahren war.

Dieser Gedanke entsetzte mich. Ich begriff mich selbst nicht. Ich war doch so unglücklich darüber gewesen, daß er fortfuhr. Und jetzt plötzlich diese Fröhlichkeit, diese Beschwingtheit in meinem Gang, dieses kindliche Verlangen, über den Rasen zu laufen und den Abhang hinunterzurollen. Ich wischte mir die Kekskrümel aus dem Mundwinkel und pfiff Jasper. Wahrscheinlich fühlte ich mich nur so ausgelasssen, weil es ein besonders schöner Tag war ...

Wir gingen durch das Glückliche Tal zu der kleinen Bucht. Die Azaleen waren schon verblüht, die Blumen-blätter lagen braun und verschrumpelt auf dem moosigen Boden. Die Glockenblumen waren noch nicht verwelkt, sie bildeten einen dichten Teppich in dem Wäldchen oberhalb des Tales. Das Moos roch stark und würzig, und die Glockenblumen strömten einen schwachen, bitteren Erdgeruch aus. Ich legte mich in das hohe Gras, die Arme unter dem Kopf verschränkt, und Jasper an meiner Seite. Irgendwo in den Bäumen über mir gurrten ein paar Tauben. Es war so friedlich und wundervoll still. Ich überlegte mir, woran es wohl lag, daß man die Schönheit der Natur so viel stärker empfindet, wenn man allein ist. Nein, ich wollte keinen Menschen bei mir haben, nicht einmal Maxim. Wenn Maxim dagewesen wäre, hätte ich nicht so faul mit geschlossenen Augen, einen Grashalm zwischen den Lippen, auf dem Rücken gelegen. Ich hätte ihn beobachtet, ihn forschend betrachtet und mich gefragt, ob er sich auch wohl fühlte oder ob er sich langweilte und worüber er wohl nachdachte. So aber konnte ich mich ausstrecken und vor mich hin dösen, weil das jetzt alles unwesentlich war. Maxim war in London. Wie schön war es doch, wieder allein zu sein. Nein, so hatte ich es nicht gemeint, das war lieblos und häßlich von mir. Das hatte ich nicht denken wollen. Maxim bedeutete mir alles auf der Welt. Ich stand auf und befahl Jasper, sich ebenfalls zu erheben. Dann gingen wir zusammen durch das Tal zum Strand hinunter. Es war Ebbe, und das Meer lag ganz ruhig und wie in einen Dunstschleier gehüllt da. Hier in der Bucht sah es wie ein stiller Binnensee aus. Es war völlig windstill, und die Sonne glitzerte auf dem Wasser, das sich mit leichtem Wellenschlag in die Tümpel zwischen den Felsen ergoß. Jasper rannte sofort, sich wiederholt nach mir umsehend, das eine Ohr zurückgelegt, was ihm ein merkwürdig verwegenes Aussehen gab, auf die Felsen hinauf.

«Nicht da entlang, Jasper!» rief ich.

Natürlich hörte er nicht auf mich, sondern trottete dickköpfig davon. «Was für ein Plagegeist!» sagte ich laut und kletterte hinter ihm her, während ich mir einredete, daß ich gar nicht zu der anderen Bucht hinüber wollte. Na gut, dachte ich, dann hilft das eben nichts. Schließlich ist Maxim ja nicht da.

Ich watete durch die Pfützen oben auf den Felsen und summte vor mich hin. Die Bucht drüben sah jetzt bei Ebbe ganz anders aus. Nicht mehr so großartig. In dem kleinen Hafen stand das Wasser kaum drei Fuß hoch. Ein Boot würde bei dem niedrigen Wasserstand gerade noch schwimmen können, schätzte ich. Die Boje war immer noch da. Sie war weiß und grün gestrichen, was ich damals nicht bemerkt hatte. Vielleicht waren mir die Farben so grau vorgekommen, weil es an dem Tag geregnet hatte. Am Strand war diesmal kein Mensch zu sehen. Ich ging über den Kies zur anderen Seite der Bucht und stieg die niedrige Steinmauer der Mole hinauf. Jasper lief wie aus alter Gewohnheit voraus. Weiter draußen entdeckte ich einen Ring in der Mauer und eine Eisenleiter, die ins Wasser führte. Hier wurde das Segelboot wahrscheinlich festgemacht, dachte ich, und von der Leiter aus konnte man dann hineinsteigen. Die Boje befand sich gerade gegenüber, keine zehn Meter entfernt. Sie trug irgendeine Inschrift, und ich beugte mich vor und verrenkte mir fast den Hals, bis ich die Buchstaben entziffern konnte. «Je reviens.» Was für ein sonderbarer Bootsname! Boote pflegen sonst ganz andere Namen zu haben. Vielleicht war es ein französisches Boot gewesen, ein Fischerboot, das so geheißen hatte. Fischerboote hatten oft solche Namen. Ja, es war eigentlich ein ganz passender Name für ein Boot. Er hatte nur nicht für das eine Boot gepaßt, das niemals wiederkommen würde.

Man mußte dort draußen hinter dem Leuchtturm am Ende der Landzunge ziemlich naß beim Segeln werden. In der Bucht war das Meer ganz ruhig, aber selbst an diesem windstillen Tag waren da draußen, wo die Strömung stärker war, weiße Schaumkronen auf der Wasserfläche zu sehen. Ein kleines Boot würde, wenn es die geschützte Bucht verlassen hatte und um die Landzunge segeln wollte, mit dem Wind segeln müssen. Die Wellen würden über die Reling schlagen und das Deck entlanglaufen. Die Frau am Steuer hatte sich nach einem solchen Sprühregen Gesicht und Haar trocken gerieben und dann besorgt zum Mast aufgesehen, ob er wohl dem Druck noch standhalten würde. Ich fragte mich, welche Farbe das Boot wohl gehabt hatte. Vielleicht grün und weiß wie die Boje. Nicht sehr groß, hatte Frank gesagt, mit einer kleinen Kajüte.

Jasper schnüffelte an der Eisenleiter. «Komm her», rief ich, «ich habe nicht die Absicht, dich aus dem Wasser zu holen.» Ich ging die Mole entlang zum Strand zurück. Das kleine Haus da oben am Waldrand kam mir nicht mehr so abgelegen und düster vor. Es machte viel aus, ob die Sonne schien oder nicht. Kein Regengetrommel mehr auf dem Dach. Langsam ging ich über den Strand und dann den schmalen Weg hinauf. Schließlich war es ja nur ein unbenutztes, unbewohntes Bootshaus. Es bestand gar kein Anlaß, es unheimlich zu finden. Nicht der geringste. Jedes Haus war düster und roch modrig, wenn es längere Zeit leer stand. Selbst neue Land- und Sommerhäuschen. Außerdem waren ja hier Mondscheinpicknicks veranstaltet worden und ähnliches. Wochenendgäste waren wahrscheinlich zum Baden und Segeln hergekommen. Ich blieb eine Weile stehen und betrachtete den verwahrlosten und von Unkraut überwucherten Garten. Einer von den Gärtnern müßte hier mal Ordnung schaffen, dachte ich. Es ist doch nicht nötig, das hier alles so verwildern zu lassen. Ich stieß die Gartenpforte auf und ging auf die Haustür zu. Sie war nur angelehnt, und ich wußte doch genau, daß ich sie das letzte Mal fest verschlossen hatte. Jasper begann zu knurren und an der Türschwelle zu schnüffeln.

«Nicht doch, Jasper», sagte ich. Er fuhr jedoch fort, mit der Nase am Boden herumzuschnuppern. Ich stieß die Tür auf und sah hinein. Es war sehr dunkel, genau wie damals. Es hatte sich nichts verändert. Die Spinnweben hingen noch immer an den Masten der Schiffsmodelle. Aber die Tür zum Bootsschuppen am anderen Ende des Zimmers stand offen. Jasper knurrte von neuem, und ich hörte plötzlich ein Geräusch, als ob etwas zu Boden gefallen wäre. Jasper fing laut zu bellen an und lief zwischen meinen Beinen ins Zimmer auf die offene Schuppentür zu. Ich folgte ihm mit klopfendem Herzen und blieb dann in der Mitte des Zimmers unschlüssig stehen. «Jasper, komm zurück, sei nicht albern!» sagte ich. Er stand vor der Tür und bellte noch immer, es klang geradezu hysterisch. Irgend etwas mußte da im Schuppen sein. Keine Ratte. Auf eine Ratte hätte der Hund sofort Jagd gemacht. «Jasper, Jasper, komm her!» rief ich wieder, aber er drehte sich nicht einmal nach mir um. Langsam ging ich ebenfalls auf die Tür zu.

«Ist da jemand?» fragte ich.

Keine Antwort. Ich beugte mich zu Jasper nieder, faßte ihn am Halsband und spähte in den Schuppen hinein. Da in der Ecke an der Wand saß jemand. Jemand, der, seiner geduckten Haltung nach zu schließen, noch mehr Angst haben mußte als ich. Es war Ben. Er versuchte sich hinter einem der Segel zu verstecken. «Was tun Sie hier, suchen Sie etwas?» fragte ich. Er blinzelte mich mit halboffenem Mund blöde an.

«Ich tue nichts», sagte er schließlich.

«Ruhig, Jasper!» schalt ich und legte meine Hand auf seine Schnauze. Dann nahm ich meinen Gürtel ab und be-festigte ihn an seinem Halsband, um ihn festhalten zu können.

«Was suchen Sie hier, Ben?» fragte ich, jetzt schon etwas mutiger.

Er antwortete nicht. Er starrte mich nur mit seinen verschmitzten Idiotenaugen an.

«Ich glaube, Sie gehen besser hinaus», sagte ich. «Mr. de Winter sieht es nicht gern, wenn jemand das Haus betritt.»

Verstohlen in sich hinein grinsend, erhob er sich und fuhr sich mit der Hand über die Nase. Die andere Hand hielt er hinter dem Rücken. «Was haben Sie da, Ben?» fragte ich. Er gehorchte wie ein Kind und streckte mir die Hand hin, in der eine Angelschnur lag. «Ich tue nichts», wiederholte er.

«Stammt die Schnur aus dem Schuppen?» fragte ich.

«Heh?» sagte er.

«Hören Sie, Ben», sagte ich, «Sie können die Angelschnur behalten, wenn Sie sie gern haben wollen, aber Sie dürfen es nicht wieder tun. Man darf fremde Sachen nicht einfach wegnehmen.»

Er schwieg und blinzelte mich nur an und wand sich vor Verlegenheit.

«Kommen Sie jetzt mit», sagte ich energisch. Ich ging in das Zimmer zurück, und er folgte mir. Jasper hatte aufgehört zu bellen und schnüffelte jetzt an Bens Schuhen. Ich wollte mich keine Minute länger in dem Haus aufhalten und trat schnell wieder in den Sonnenschein hinaus. Ben schlurfte hinter mir her, und ich schloß die Tür zu. - «Sie gehen jetzt besser nach Hause», sagte ich zu Ben.

Er hielt die Angelschnur wie einen kostbaren Schatz dicht an sein Herz gepreßt. «Sie werden mich nicht in das Asyl stecken, nein?» sagte er.

Ich bemerkte, daß er vor Angst schlotterte. Seine Hände zitterten und seine Augen waren mit einem flehenden Ausdruck auf mich gerichtet, wie die einer stummen Kreatur.

«Natürlich nicht», sagte ich freundlich.

«Ich habe nichts getan», wiederholte er, «ich habe nie niemand was gesagt. Ich will nicht in das Asyl kommen.» Eine Träne rollte ihm über das schmutzige Gesicht.

«Sie brauchen keine Angst zu haben, Ben», beruhigte ich ihn. «Niemand wird Sie fortholen. Aber Sie dürfen nicht in das Bootshaus gehen.»

Ich drehte mich um, aber er lief mir nach und klopfte mir auf die Hand.

«Hier», sagte er, «hier habe ich was für Sie.»

Er lächelte blöde, winkte mir mit dem Finger und lief zum Strand hinunter. Ich folgte ihm, und bei den Felsen bückte er sich und hob einen flachen Stein auf, unter dem ein kleines Häuflein Muscheln lag. Er wählte eine aus und reichte sie mir. «Das ist Ihre», sagte er.

«Vielen Dank», sagte ich. «Sie ist sehr hübsch.»

Er grinste wieder und rieb sich das Ohr; seine Angst war offenbar vergessen. «Sie haben Engelsaugen», sagte er.

Verblüfft blickte ich wieder auf die Muschel. Ich wußte wirklich nicht, was ich darauf erwidern sollte.

«Sie sind nicht wie die andere», sagte er.

«Was meinen Sie damit?» fragte ich. «Welche andere?»

Er schüttelte den Kopf. Seine Augen nahmen wieder den verschmitzten Ausdruck an. Er legte den Zeigefinger gegen seine Nase. «Groß und dunkel war sie», sagte er. «Wie eine Schlange. Ich habe sie hier gesehen.» Er hielt inne und sah mich eindringlich an. Ich brachte kein Wort über die Lippen.

«Ich habe einmal zu ihr hineingesehen», fuhr er fort, «und sie ging gleich auf mich los, jawohl. , sagte ich, und ich griff an meine Mütze, so wie jetzt.» Er zog an seinem Südwester. «Jetzt ist sie fort, weit fort, ja?» fügte er ängstlich hinzu.

«Ich weiß nicht, was Sie meinen», sagte ich langsam. «Niemand wird Sie ins Irrenhaus sperren. Guten Tag, Ben.»

Ich drehte mich um und ging den schmalen Weg zum Wald zurück, Jasper an meinem Gürtel hinter mir her ziehend. Der arme Kerl, er war natürlich nicht ganz richtig im Kopf und wußte gar nicht, was er da zusammenredete. Es war ziemlich unwahrscheinlich, daß ihm jemand mit dem Irrenhaus gedroht hatte. Maxim und Frank hatten beide gesagt, daß er ganz harmlos sei. Vielleicht hatte er einmal bei sich zu Hause gehört, wie darüber gesprochen wurde, und die Erinnerung daran lebte in ihm fort wie ein häßliches Bild im Gedächtnis eines Kindes. Er schien überhaupt die Mentalität eines Kindes zu besitzen, jedenfalls was seine Zu- und Abneigungen anbetraf. Zu mir war er freundlich gewesen, weil ich ihm gesagt hatte, daß er die Angelschnur behalten dürfe. Morgen würde er mich vielleicht schon nicht mehr wiedererkennen. Es war töricht, den Worten eines Schwachsinnigen irgendwelche Beachtung zu schenken. Ich wandte mich um und warf noch einen Blick auf die Bucht. Die Flut kam zurück und umspülte die kleine Mole mit ruhigem Wellenschlag. Ben war hinter den Felsen verschwunden. Der Strand lag wieder einsam da. Durch eine Lücke in den Bäumen konnte ich gerade den steinernen Schornstein des Bootshauses sehen. Mich überkam ein unerklärliches Verlangen, davonzulaufen. Ich zog an Jaspers Leine und rannte keuchend den steilen Waldweg hinauf, ohne mich noch einmal umzublicken. Und wenn man mir alle Schätze der Welt angeboten hätte, ich hätte es nicht über mich gebracht, wieder zum Strand und zu dem Bootshaus zurückzukehren. Mir war, als lauere mir dort in dem kleinen verwilderten Garten jemand auf, jemand, der mich heimlich beobachtete und belauschte.

Ich beeilte mich, aus dem Wald herauszukommen, und war froh, als ich wieder auf dem Rasen angelangt war und das Haus in seiner Mulde so geschützt und geborgen vor mir liegen sah. Ich wollte Robert bitten, mir den Tee zu dem Kastanienbaum hinauszubringen. Ich sah auf die Uhr. Es war früher, als ich gedacht hatte, noch nicht vier. Ich würde mich wohl noch ein bißchen gedulden müssen. Es war nicht üblich auf Manderley, den Tee vor halb fünf zu servieren. Ich war nur froh, daß Frith heute seinen freien Nachmittag hatte. Robert würde nicht so viel Umstände machen, wenn er mir den Tee in den Garten brachte.

Als ich über den Rasen zur Terrasse ging, sah ich plötzlich durch das Grün der Rhododendronblätter in der Sonne etwas Metallenes aufblitzen. Ich beschattete die Augen mit der Hand, um besser sehen zu können. Es sah wie der Kühler eines Autos aus. Zuerst dachte ich, irgend jemand sei zu Besuch gekommen, aber dann überlegte ich mir, daß ein Besucher doch vor dem Haus vorgefahren wäre und seinen Wagen nicht so versteckt hinter den Sträuchern dort unten an der Kurve stehen gelassen hätte. Als ich näher kam, sah ich, daß ich mich nicht getäuscht hatte. Es war tatsächlich ein Auto. Ich konnte jetzt das Verdeck und die Kotflügel deutlich sehen. Wie merkwürdig, dachte ich.

Kein Besucher pflegte sonst da auszusteigen. Und die Lieferanten hielten vor dem Hintereingang bei den alten Ställen und der Garage. Es war auch nicht Franks kleiner Morris. Den kannte ich bereits. Es war ein langer, niedriger Wagen, ein Sportwagen. Ich fragte mich, was ich tun sollte. Wenn es Besuch wäre, würde Robert ihn in die Bibliothek oder in das Wohnzimmer geführt haben. Und wenn der Besuch im Wohnzimmer wartete, würde er vom Fenster aus sehen können, wie ich über den Rasen ins Haus ging. Ich wollte mich aber in diesem Kleid nicht zeigen. Ich wollte mich erst umziehen, denn ich würde den Besuch ja wohl bitten müssen, zum Tee zu bleiben. Unschlüssig blieb ich einen Augenblick lang stehen. Aus gar keinem bestimmten Grund, vielleicht nur, weil die Sonne auf den Scheiben flimmerte, sah ich zum Haus hinauf und bemerkte dabei zu meiner Überraschung, daß die Läden von einem der Fenster im Westflügel geöffnet waren. Und an dem Fenster stand jemand - ein Mann. Er mußte mich wohl auch gesehen haben, denn er zog sich sofort zurück, und eine Gestalt hinter ihm hob einen Arm und schloß die Läden wieder.

Der Arm gehörte Mrs. Danvers; ich erkannte den Ärmel ihres schwarzen Kleides. Ich dachte zunächst, daß heute der Besichtigungstag für das Publikum sei und daß sie den Leuten die Zimmer zeigte. Aber das konnte nicht sein, weil Frith das immer tat, und Frith war ja nicht da. Außerdem wurden die Räume im Westflügel dem Publikum gar nicht gezeigt. Selbst ich hatte sie noch nicht zu sehen bekommen. Nein, heute war kein Besichtigungstag. Am Dienstag kam das Publikum nicht. Vielleicht war der Mann ein Handwerker, der in einem der Zimmer etwas instand setzen sollte. Es war nur so auffällig gewesen, wie der Mann da am Fenster stand und sich sofort, nachdem er mich gesehen hatte, unsichtbar machte, und daß Mrs. Dan-vers dann gleich die Läden schloß. Und es kam mir jetzt auch sonderbar vor, daß das Auto gerade hinter den Rhododendronbüschen parkte, wo es vom Haus aus nicht gesehen werden konnte. Aber das war ja Mrs. Danvers' Angelegenheit. Mich ging das schließlich nichts an. Wenn sie einem Freund, der sie besuchte, den Westflügel zeigte, so konnte mir das gleich sein. Es war eben nur noch nie vorgekommen, und ich fand es merkwürdig, daß sie gerade an dem Tag Besuch bekam, an dem Maxim in London war.

Mit einem unbehaglichen Gefühl ging ich über den Rasen zum Haus. Ich stieg die Treppe hinauf und ging durch den Eingang in die Halle. In der Garderobe erblickte ich weder Hut noch Stock, und in der Silberschale lag auch keine Visitenkarte. Es war also jedenfalls kein offizieller Besuch. Na schön, dachte ich. Es geht mich wirklich nichts an. Ich ging in das Blumenzimmer und wusch mir dort die Hände, um Mrs. Danvers und dem Fremden nicht zu begegnen. Es wäre mir sehr peinlich gewesen, ihnen plötzlich auf der Treppe gegenüberzustehen. Da mir einfiel, daß ich mein Strickzeug vor dem Essen im Morgenzimmer liegengelassen hatte, ging ich durch den Salon, um es mir zu holen, und der anhängliche Jasper wich mir nicht von den Fersen. Die Tür zum Morgenzimmer stand offen, und ich bemerkte, daß mein Strickzeug nicht mehr auf demselben Fleck lag. Ich hatte es auf das Sofa gelegt, und irgend jemand hatte es da fortgenommen und hinter ein Kissen gesteckt. Die Polsterung des Sofas war etwas eingedrückt, als ob dort erst kürzlich jemand gesessen hätte. Ja, irgend jemand mußte da gesessen und mein Strickzeug weggelegt haben, weil es ihm im Weg gewesen war. Auch der Schreibtischstuhl war zur Seite gerückt worden. Es hatte den Anschein, als ob Mrs. Danvers ihre Besuche im Morgenzimmer empfing, wenn Maxim und ich aus dem Haus waren. Ich fühlte mich sehr unbehaglich. Ich wollte am liebsten nichts davon wissen. Jasper aber beschnupperte das Sofa und wedelte plötzlich mit dem Schwanz. Er schien dem Fremden gegenüber offenbar nicht mißtrauisch zu sein. Ich nahm mein Strickzeug auf und verließ das Zimmer. Im gleichen Augenblick öffnete sich die Tür, die vom Salon zu dem Steinkorridor und den hinteren Räumen führte, und ich hörte Stimmen. Ich schlich mich sofort wieder ins Morgenzimmer zurück, gerade noch rechtzeitig, um nicht gesehen zu werden. Ich wartete hinter der Tür und blickte stirnrunzelnd auf Jasper, der mit hängender Zunge und wedelndem Schwanz zu mir aufsah. Ich fürchtete, daß er mich noch verraten würde, und ich stand ganz still und hielt den Atem an.

Dann hörte ich Mrs. Danvers sprechen. «Sie ist wahrscheinlich in die Bibliothek gegangen», sagte sie. «Sie ist früher nach Haus gekommen, als ich erwartete. Wenn sie wirklich in der Bibliothek ist, werden Sie durch die Halle gehen können, ohne von ihr gesehen zu werden. Warten Sie hier, bis ich mich vergewissert habe.»

Ich wußte, daß sie von mir gesprochen hatte. Ich fühlte mich immer unbehaglicher. Das Ganze war ein so lächerliches Versteckspiel. Aber ich hatte gar keine Lust, Mrs. Danvers bei etwas Unrechtem zu ertappen. Plötzlich wandte Jasper den Kopf mit einem Ruck zum Salon und trottete mit wedelndem Schwanz aus dem Zimmer.

«Hallo, du kleiner Köter», hörte ich den Mann sagen. Jasper fing an laut zu bellen. Ich sah mich verzweifelt nach einem Versteck um, aber das war natürlich aussichtslos. Und dann hörte ich Schritte, und der Mann kam herein. Zuerst sah er mich nicht, weil ich ja hinter der Tür stand, aber Jasper sprang, immer noch freudig bellend, an mir hoch.

Daraufhin drehte sich der Mann um und erblickte mich. Ich habe nie wieder einen Menschen so erstaunt gesehen.

Als ob er der Herr des Hauses und ich der Eindringling gewesen wäre.

«Oh, pardon», sagte er, während er mich ungeniert musterte.

Er war groß und stämmig und sah mit seinem braungebrannten Gesicht und dank einer gewissen saloppen Eleganz nicht schlecht, aber auch nicht gut aus. Er hatte die auffallend glänzenden blauen Augen, die man häufig bei einem Gewohnheitstrinker antrifft und die meist auf einen ausschweifenden Lebenswandel schließen lassen. Sein Haar war rötlich wie seine Haut. In ein paar Jahren würde er sicher dick werden, dachte ich, und der Hals würde hinten über dem Kragen eine Speckfalte ansetzen. Aber es war vor allem sein Mund, der ihn verriet: er war zu rot, zu weich und ausdruckslos. Von meinem Platz aus konnte ich seinen whisky durchtränkten Atem riechen. Er begann zu lächeln, wie er wohl jede Frau anzulächeln pflegte. «Ich hoffe, ich habe Sie nicht erschreckt», sagte er.

Ich trat aus meinem Versteck hervor und sah bestimmt genauso dümmlich aus, wie ich mich fühlte. «Nein, durchaus nicht», erwiderte ich. «Ich hörte Stimmen und wußte nicht, wer es war. Ich erwartete heute nachmittag gar keinen Besuch.»

«Das tut mir aber leid», sagte er liebenswürdig. «Es ist wirklich ungehobelt von mir, so bei Ihnen hereinzuplatzen. Hoffentlich können Sie mir verzeihen. Ich bin tatsächlich nur vorbeigekommen, um die gute Danny einmal wiederzusehen; sie ist nämlich eine sehr alte Freundin von mir.»

«Oh, natürlich», sagte ich, «warum sollten Sie nicht?»

«Die gute alte Danny», sagte er, «sie ist immer so besorgt, daß sie irgendeinen Menschen stören könnte. Sie wollte Ihnen auf keinen Fall Ungelegenheiten machen.» «Oh, es macht wirklich nichts», sagte ich. Ich beobachtete Jasper, der entzückt an dem Mann hochsprang.

«Der kleine Lump hat mich also nicht vergessen?» sagte er. «Er hat sich aber mächtig rausgemacht. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war er noch sehr jung. Aber zu dick ist er geworden; er braucht mehr Bewegung.»

«Ich habe einen langen Spaziergang mit ihm gemacht», sagte ich.

«Ja, wirklich? Wie sportlich von Ihnen!» Er tätschelte den Hund und lächelte mich vertraulich an. Dann zog er sein Zigarettenetui aus der Tasche. «Mögen Sie eine?» fragte er.

«Ich rauche nicht», teilte ich ihm mit.

«Ach nein, wirklich?» Er nahm sich selbst eine Zigarette und zündete sie an.

Es hatte mich nie gestört, wenn in meiner Gegenwart geraucht wurde, aber es befremdete mich, daß er es ohne zu fragen in meinem Zimmer tat. Das war doch wohl ein ziemlich rüpelhaftes Benehmen und sehr unhöflich mir gegenüber.

«Wie geht es Max?» fragte er.

Das klang ja so, als sei der Mann ein guter alter Bekannter von Maxim, dachte ich überrascht. Es war so merkwürdig, von Maxim als Max sprechen zu hören. Niemand nannte ihn sonst so.

«Sehr gut, danke», entgegnete ich. «Er ist nach London gefahren.»

«Und hat sein junges Frauchen ganz allein gelassen? Das ist aber nicht recht von ihm. Hat er denn gar keine Angst, daß irgend jemand kommen und Sie entführen könnte?»

Er lachte mit weit offenem Mund. Sein Lachen gefiel mir nicht. Es hatte etwas Beleidigendes. Der Mann selbst gefiel mir auch nicht. In diesem Augenblick betrat Mrs. Danvers das Zimmer. Sie wandte mir ihren Blick zu, und ich fühlte einen Kälteschauer. O Gott, dachte ich, wie muß sie mich hassen!

«Hallo, Danny, da sind Sie ja wieder», sagte der Mann. «Ihre ganze Vorsicht ist vergeblich gewesen. Die Dame des Hauses hatte sich hinter der Tür versteckt.» Und er lachte wieder. Mrs. Danvers schwieg und sah mich ununterbrochen an. «Wollen Sie mich nicht vorstellen?» sagte er. «Schließlich gehört es sich doch, nicht wahr, der Dame des Hauses seine Reverenz zu machen.»

«Das ist Mr. Favell, Madam», sagte Mrs. Danvers. Sie sprach ruhig, fast unwillig. Ich glaube, sie wollte ihn mir gar nicht vorstellen.

«Sehr erfreut», murmelte ich, und bemüht, höflich zu sein, fügte ich hinzu: «Wollen Sie nicht zum Tee bleiben?»

Er sah sehr amüsiert aus. «Na, ist das nicht eine reizende Einladung?» sagte er zu Mrs. Danvers. «Ich bin aufgefordert worden, zum Tee zu bleiben. Bei Gott, Danny, ich hätte große Lust dazu.»

Ich sah, wie sie ihm einen warnenden Blick zuwarf. Ich fühlte mich sehr unbehaglich. Diese Situation war unmöglich. Es hätte gar nicht dazu kommen dürfen, dachte ich.

«Na ja, vielleicht haben Sie recht», sagte er. «Aber trotzdem - es wäre ein Riesenspaß gewesen. Es ist wohl richtiger, ich empfehle mich jetzt, wie? Kommen Sie und sehen Sie sich meinen Wagen an», sagte er dann zu mir. Er sprach noch immer in diesem vertraulichen, ziemlich unverschämten Ton. Ich wollte mir seinen Wagen nicht ansehen. Ich fühlte mich unbeholfen und verlegen. «Kommen Sie nur», drängte er, «es ist ein sehr nettes kleines Wägelchen, viel schneller als jeder Wagen, den der gute Max sich je angeschafft hat.»

Es fiel mir keine Ausrede ein. Dieses Gerede klang so gezwungen und unecht. Es war mir einfach zuwider. Und warum sah Mrs. Danvers mich fortwährend mit diesem verschlagenen Funkeln in ihrem Blick an?

«Wo steht der Wagen denn?» fragte ich zaghaft.

«An der Kurve in der Anfahrt. Ich bin nicht vorgefahren, weil ich fürchtete, daß ich Sie vielleicht stören könnte. Ich nahm an, daß Sie nach Tisch etwas ruhen würden.»

Ich erwiderte nichts. Die Lüge war zu offenkundig. Wir gingen alle drei durch den Salon in die Halle. Ich sah, wie Mr. Favell Mrs. Danvers zublinzelte und ihr zunickte. Sie reagierte gar nicht darauf, ganz wie ich es von ihr erwartet hatte. Sie sah böse und abweisend aus. Jasper lief sofort nach draußen, wo er fröhlich herumsprang. Das plötzliche Auftauchen dieses Besuchers, den er so gut zu kennen schien, hatte ihn ganz aus dem Häuschen gebracht.

«Ich glaube, ich habe meine Mütze im Wagen liegenlassen», sagte der Mann, während er sich angeblich suchend in der Halle umsah. «Stimmt, ja, ich bin nämlich gar nicht hier hereingekommen, sondern habe Danny gleich in ihrer Höhle überfallen. Wollen Sie sich nicht auch den Wagen ansehen, Danny?»

Er sah Mrs. Danvers fragend an. Sie zögerte, während sie mich verstohlen betrachtete. «Nein», sagte sie, «ich werde mich lieber hier von Ihnen verabschieden. Leben Sie wohl, Mr. Jack.»

Er ergriff ihre Hand und schüttelte sie herzlich. «Leben Sie wohl, Danny, und lassen Sie sich's gutgehen. Sie wissen jetzt, wo Sie mich in Zukunft erreichen können. Es hat mir wirklich gutgetan, Sie wiederzusehen.» Er ging nach draußen; Jasper tanzte vor ihm her, und ich folgte langsam, so unbehaglich mir auch noch immer zumute war.

«Das gute, alte Manderley!» sagte er, zu den Fenstern aufsehend. «Es hat sich eigentlich gar nicht verändert. Danny paßt schon auf, nehme ich an. Sie ist doch wirklich ein Prachtmensch, nicht wahr?»

«Ja, sie ist sehr tüchtig», sagte ich.

«Und wie kommen Sie sich hier vor? Gefällt es Ihnen, so auf dem Land begraben zu sein?»

«Ich fühle mich auf Manderley sehr wohl», erwiderte ich steif.

«Lebten Sie nicht irgendwo unten in Südfrankreich, als Max Sie kennenlernte? In Monte, nicht wahr? Ich kenne Monte von früher her sehr gut.»

«Ja, ich war in Monte Carlo», sagte ich.

Wir waren inzwischen bei seinem Wagen angelangt, einem hellgrünen Sportwagen, der irgendwie typisch für ihn war.

«Na, wie finden Sie ihn?» fragte er.

«Sehr hübsch», sagte ich höflich.

«Wie steht es mit einer kleinen Probefahrt bis zum Parktor?» sagte er.

«Nein, lieber nicht», sagte ich. «Ich bin ziemlich müde.»

«Sie fürchten wohl, es würde nicht gerade einen guten Eindruck machen, wenn die Herrin von Manderley neben einem Menschen wie ich im Auto gesehen wird, stimmt's?» sagte er lachend und schüttelte bedauernd den Kopf.

«Oh, nein», sagte ich, rot werdend, «wirklich nicht.»

Er starrte mich immer noch auf diese belustigte Art mit seinen zudringlichen, unsympathischen blauen Augen von Kopf bis Fuß an. Wie ein Barmädchen kam ich mir vor.

«Natürlich», sagte er, «wir dürfen die kleine Frau nicht auf Abwege führen, was, Jasper? Das schickt sich nicht.»

Er griff nach seiner Mütze und einem riesigen Paar Autohandschuhe. Seine Zigarette warf er einfach auf den Weg.

«Auf Wiedersehen», sagte er, mir seine Hand hinstrek-kend. «Es war mir ein großes Vergnügen, Sie kennenzulernen.»

«Auf Wiedersehen», sagte ich.

«Übrigens», meinte er leichthin, «es wäre riesig anständig von Ihnen, wenn Sie Max von meinem kleinen Besuch heute nichts erzählen würden. Ich glaube, er schätzt mich nicht übermäßig, ich weiß nicht, warum. Und die gute alte Danny würde es vielleicht ausbaden müssen.»

«Schon gut», sagte ich verlegen. «Ich werde nichts sagen.»

«Das ist sehr nett von Ihnen. Wollen Sie nicht doch noch ein bißchen mitfahren?»

«Nein, bitte, ich möchte wirklich nicht.»

«Na, also dann auf Wiedersehen. Vielleicht komme ich mal wieder vorbei und besuche Sie. Nimm die Pfoten runter, Jasper, du kratzt mir sonst noch den Lack ab, du kleiner Teufel. Ich finde es wirklich unrecht von Max, nach London zu fahren und Sie hier allein zu lassen.»

«Das macht mir gar nichts, ich bin gern allein», sagte ich.

«Wahrhaftig? Na, das ist allerdings erstaunlich. Es ist aber gar nicht gut, wissen Sie? Gegen jedes Naturgesetz. Wie lange sind Sie verheiratet? Erst drei Monate, wie?»

«Ja», sagte ich.

«Na, ich wünschte, ich hätte eine so junge Frau, die zu Hause auf mich wartet. Aber ich bin ein armer, einsamer Junggeselle.» Er lachte wieder und zog sich die Mütze tief in die Stirn. «Leben Sie wohl, Verehrteste», sagte er, während er den Motor anließ, und dann schoß der Wagen, Gift und Galle aus dem knallenden Auspuff spuckend, davon, und Jasper sah ihm mit hängenden Ohren und eingekniffenem Schwanz wehmütig nach.

«Komm her, Jasper», rief ich, «sei nicht so albern», und ging langsam zum Haus zurück. Mrs. Danvers war verschwunden. In der Halle blieb ich stehen und läutete. Mindestens fünf Minuten lang ereignete sich nichts. Ich läutete wieder. Schließlich erschien Alice mit einem ziemlich bekümmerten Gesicht. «Ja, Madam?» sagte sie.

«Ist denn Robert nicht da, Alice?» fragte ich. «Ich hätte gern meinen Tee unter der Kastanie getrunken.»

«Robert ist nach dem Essen zur Post gegangen und noch nicht wieder zurück, Madam», sagte Alice. «Mrs. Danvers hatte ihm gesagt, daß Sie Ihren Tee heute später trinken würden. Und Frith hat ja seinen freien Tag. Wenn Sie Ihren Tee gleich haben möchten, werde ich ihn holen. Ich glaube, es ist noch nicht halb fünf.»

«Nein, lassen Sie nur, Alice, ich warte, bis Robert zurückkommt», sagte ich. Offenbar ließ die straffe Ordnung im Haushalt sofort nach, wenn Maxim nicht da war. Es war mir gar nicht in den Sinn gekommen, daß Frith und Robert gleichzeitig aus dem Haus gehen durften. Ich wußte natürlich, daß Frith heute seinen freien Tag hatte. Und Robert war von Mrs. Danvers zur Post geschickt worden. Und von mir hatte sie angenommen, daß ich einen längeren Spaziergang machen würde. Dieser Mr. Favell hatte den Zeitpunkt für seinen Besuch bei Mrs. Danvers gut gewählt, fast zu gut. Irgend etwas stimmte da nicht, das wurde mir jetzt nur allzu klar. Und dann hatte er mich noch gebeten, Maxim nichts davon zu sagen. Es war alles so unverständlich. Ich wollte Mrs. Danvers keine Ungelegenheiten bereiten oder irgendeine Szene machen. Aber vor allem wollte ich Maxim nicht beunruhigen.

Wer dieser Favell wohl sein mochte? Er hatte Maxim «Max» genannt. Niemand nannte ihn sonst so. Ich hatte den Namen Max nur einmal auf der Titelseite eines Buches gesehen, in dünnen, schrägen, merkwürdig spitzen Schriftzügen, das M mit einem auffallend langen energischen Schlußbogen. Ich glaubte, es hätte nur einen einzigen Menschen gegeben, der Maxim so zu nennen pflegte ...

Während ich so in der Halle stand und mir überlegte, was ich bis zum Tee noch anfangen sollte, kam mir plötzlich der Gedanke, daß Mrs. Danvers vielleicht gar nicht die treue Seele war, für die sie immer gehalten wurde, daß sie womöglich schon seit längerer Zeit hinter Maxims Rücken in irgendwelche Heimlichkeiten verwickelt war und ich sie heute, als ich unerwartet früher zurückkam, zufällig mit ihrem Komplizen überrascht hatte. Und dieser Favell hatte daraufhin einfach so getan, als sei er ein alter Bekannter von Maxim und früher auf Manderley aus- und eingegangen. Ich fragte mich, was sie wohl gerade im Westflügel zu suchen gehabt hatten, und ich war von einer unbestimmten Unruhe erfüllt. Warum hatten sie die Läden geschlossen, als sie mich unten auf dem Rasen gesehen hatten? Frith und Robert waren nicht da. Die Mädchen waren um diese Tageszeit meist damit beschäftigt, ihre eigenen Zimmer aufzuräumen. Mrs. Danvers konnte also sicher sein, nicht gestört zu werden. Vielleicht war dieser Favell ein Dieb und Mrs. Danvers befand sich in seiner Gewalt? Im Westflügel sollten so viele Wertsachen sein. Ich hatte plötzlich den wilden Einfall, jetzt gleich in den Westflügel gehen zu müssen, um mich selbst davon zu überzeugen.

Robert war noch nicht zurückgekehrt. Ich würde also vor dem Tee noch Zeit haben. Trotzdem zögerte ich etwas und blickte furchtsam zur Galerie hinauf. Das Haus schien ganz ruhig. Die anderen Dienstboten befanden sich offen-bar in ihren Zimmern hinter den Küchenräumen. Jasper schlabberte geräuschvoll das Wasser aus seinem Trinknapf unter der Treppe. Mit wildklopfendem Herzen stieg ich nach oben.

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