Ich erinnere mich genau an den Tag, an dem das Gespräch zum erstenmal auf den Kostümball kam: es war ein Sonntagnachmittag, an dem wir plötzlich von einem Schwarm von Besuchern überfallen wurden. Frank Crawley war zum Mittagessen herübergekommen, und wir freuten uns schon alle drei auf einen friedlichen Nachmittag unter dem Kastanienbaum, als wir das verhängnisvolle Geräusch eines Wagens hörten, der in die Kurve vor dem Haus einbog. Es war zu spät, um Frith zu verständigen; der Wagen überraschte uns auf der Terrasse mit Kissen und Zeitungen unter dem Arm.
Wir mußten also gute Miene zum bösen Spiel machen und die unerwarteten Gäste begrüßen. Und wie das so häufig der Fall zu sein pflegt, sollten dies nicht unsere einzigen Besucher bleiben. Eine halbe Stunde später langte noch ein Wagen an, und dann folgten noch drei Bekannte, die von Kerrith einen Spaziergang zu uns herüber gemacht hatten. Da waren wir nun also; mit dem friedlichen Nachmittag war es vorbei; wir mußten einen Schub langweiliger Bekannter nach dem anderen freundlich willkommen heißen und den traditionellen Gang durch den Park, die Besichtigung des Rosengartens und die öde Führung zum Glücklichen Tal mit gespielter Herzlichkeit auf uns nehmen.
Natürlich blieben sie zum Tee, und anstatt faul unter der Kastanie ausgestreckt an einem Gurkenbrötchen zu knabbern, sahen wir uns zu der steifen Förmlichkeit der Tee-zeremonie im Salon gezwungen, die ich so verabscheute. Frith war natürlich in seinem Element; er dirigierte Robert mit einem Zucken seiner Augenbrauen, während ich mich mit der großen silbernen Teekanne und dem Wasserkessel, die ich niemals recht zu handhaben lernte, heiß und ungemütlich fühlte.
Frank Crawley war bei solchen Gelegenheiten Gold wert. Er nahm mir die Tassen ab und reichte sie weiter, und wenn meine Antworten zu nichtssagend klangen, weil die silberne Teekanne meine Aufmerksamkeit so in Anspruch nahm, mischte er sich in seiner stillen unauffälligen Art in die Unterhaltung und enthob mich dadurch der Mühe, aufzupassen. Maxim befand sich meistens am anderen Ende des Zimmers, wo er irgend jemandem ein Buch oder ein Bild zeigte und den vollendeten Gastgeber spielte. Die Teezeremonie war eine Nebensächlichkeit, die ihn nichts anging. Er ließ seinen Tee, den er auf einem Nebentisch hinter einer Vase vergessen hatte, kalt werden, während ich, völlig aufgelöst hinter dem dampfenden Kessel, und Frank, der unverdrossen mit Keksen und Kuchen jonglierte, uns in die prosaischeren Pflichten der Gastlichkeit teilen mußten.
Lady Crowan, deren geschwätziges Mundwerk einem schon nach fünf Minuten auf die Nerven ging, brachte plötzlich das Thema aufs Tapet. Es war gerade eine jener Gesprächspausen entstanden, wie sie auf jeder Gesellschaft einzutreten pflegen, und ich sah schon, wie Franks Lippen die unvermeidliche idiotische Bemerkung von dem Engel, der durch das Zimmer geht, formen wollten; da sah Lady Crowan von ihrer Beschäftigung, ein Stück Kuchen auf ihrem Teller zu balancieren, auf und entdeckte Maxim, der zufälligerweise neben ihr stand.
«Ach, Mr. de Winter», sagte sie, «ich habe Sie schon seit Ewigkeiten immer etwas fragen wollen: sagen Sie, besteht eine Aussicht, daß Sie den berühmten Kostümball von Manderley wieder zum Leben erwecken?» sie legte beim Sprechen den Kopf kokett auf die Seite und fletschte ihre vorstehenden Zähne in der Annahme, daß man das für ein Lächeln halten könnte. Ich senkte sofort das Gesicht, machte mir angelegentlich mit meiner Tasse zu schaffen und versuchte, mich hinter der Teehaube unsichtbar zu machen.
Ein paar Sekunden verstrichen, bevor Maxim ganz ruhig und gelassen antwortete: «Ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht», sagte er, «und ich glaube nicht, daß überhaupt noch irgend jemand daran denkt.»
«Oh, aber ganz im Gegenteil. Ich versichere Ihnen, wir haben schon so oft davon gesprochen», beharrte Lady Crowan. «Für alle Ihre Nachbarn machte dieser Ball den Sommer erst richtig vollkommen. Sie können sich gar nicht vorstellen, wieviel Freude Sie uns damit immer bereiteten. Kann ich Sie nicht überreden, wieder ein wenig daran zu denken?»
«Ich weiß nicht recht», erwiderte Maxim kühl. «Es ist eigentlich eine Frage der Vorbereitungen. Wenden Sie sich lieber an Mr. Crawley; ihm würde der Löwenanteil an der Arbeit zufallen.»
«Oh, Mr. Crawley, unterstützen Sie mich doch bitte», drang sie in ihn, und ein paar der anderen Gäste sekundierten jetzt. «Sie würden sich damit wirklich beliebt machen; der fröhliche Trubel auf Manderley hat uns so gefehlt!»
Ich hörte Franks ruhige Stimme neben mir. «Die Mühe macht mir nichts aus, wenn Maxim nichts dagegen hat, den Ball zu veranstalten. Das liegt ganz bei ihm und Mrs. de Winter. Schließlich habe ich ja nicht darüber zu bestimmen.»
Natürlich wurde ich jetzt bestürmt. Lady Crowan rückte mit ihrem Stuhl zur Seite, so daß mir die Teehaube keinen Schutz mehr vor ihren Blicken bot. «Meine liebste Mrs. de Winter, Sie müssen Ihren Mann doch herumbekommen. Auf Sie wird er am ehesten hören. Sagen Sie ihm einfach, er muß den Ball Ihnen zu Ehren geben!»
«Ja, das finde ich auch», fiel jetzt ein Mann ein. «Wir sind um die Hochzeitsfeier gebracht worden, da dürfen Sie uns doch nicht auch noch dieses Vergnügen nehmen. Hände hoch, wer für den Kostümball stimmt! Da, sehen Sie, Mr. de Winter, einstimmig angenommen!» Alle lachten und klatschten in die Hände.
Maxim zündete sich eine Zigarette an, und seine Augen begegneten den meinen über der Teekanne. «Was meinst du dazu?» sagte er.
«Ich weiß nicht», antwortete ich unsicher, «mir ist es einerlei.»
«Aber natürlich brennt sie darauf, einen Ball zu geben», sprudelte Lady Crowan wieder los. «Welche junge Frau möchte das nicht? Sie würden bestimmt entzückend aussehen, Mrs. de Winter, als kleine Meißener Porzellanschäferin. Sie müßten Ihr Haar pudern und einen Dreispitz tragen.»
Ich dachte an meine ungeschickten Hände und Füße und an meine abfallenden Schultern. Eine schöne Schäferin würde ich abgeben! Was für eine Gans war diese Frau! Es überraschte mich gar nicht, daß ihr niemand zustimmte, und wieder mußte ich Frank in meinem Herzen danken, daß er die Unterhaltung von mir ablenkte.
«Es stimmt übrigens, Maxim. Neulich sprach jemand davon. «Sehen Sie», rief Lady Crowan triumphierend ins Zimmer. «Was habe ich gesagt? Ihre eigenen Leute bitten Sie schon um den Ball, und wenn Sie schon nicht auf uns hören wollen, dann doch wenigstens auf Ihre Untergebenen.» Maxim beobachtete mich immer noch mit zweifelnder Miene. Es schoß mir durch den Kopf, daß er vielleicht glaubte, ich könne mich diesem gesellschaftlichen Ereignis nicht gewachsen fühlen, ich könne zu scheu sein, um vor der Tradition von Manderley zu bestehen. Ich wollte nicht, daß er das glaubte und womöglich befürchtete, ich würde ihn blamieren. «Mir würde es schon Spaß machen», sagte ich leise. Maxim wandte sich mit einem Achselzucken ab. «Das gibt natürlich den Ausschlag», sagte er. «Also schön, Frank, dann triff nur deine Vorbereitungen. Besprich dich lieber vorher mit Mrs. Danvers, sie wird sich noch an die Einzelheiten erinnern.» «Ach, diese erstaunliche Person ist noch immer bei Ihnen?» «Ja», sagte Maxim kurz. «Nehmen Sie noch ein Stück Kuchen? Will niemand mehr? Dann wollen wir doch in den Garten gehen.» Wir gingen auf die Terrasse hinaus, und alle unterhielten sich über den Ball und den geeigneten Tag dafür, aber dann entschlossen sich die Wagenbesitzer zu meiner großen Erleichterung zum Aufbruch, und auch die Fußgänger verabschiedeten sich, als sie zur Mitfahrt aufgefordert wurden. Ich ging in den Salon zurück und goß mir noch eine Tasse Tee ein, die ich jetzt, da ich aller meiner Verpflich-tungen ledig war, erst richtig genießen konnte, und auch Frank setzte sich zu mir, und wir zerkrümelten den Teekuchen auf unseren Tellern, aßen ihn mit Löffeln und kamen uns vor wie Verschwörer. Wir sprachen eine ganze Weile kein Wort über den Ball, und erst als ich meinen Tee ausgetrunken und meine klebrigen Finger an der Serviette abgewischt hatte, sagte ich zu Frank: «Was halten Sie eigentlich wirklich von dieser Kostümballidee?» Frank zögerte und warf einen schnellen Blick auf Maxim draußen im Garten. «Ich weiß nicht», sagte er. «Maxim schien ja nichts dagegen zu haben. Ich fand, er nahm den Vorschlag sogar sehr nett auf.» «Er hätte ja auch sicher etwas anderes tun können», meinte ich. «Was ist diese Lady Crowan doch für eine lästige Person! Glauben Sie wirklich, daß alle unsere Nachbarn von nichts anderem träumen und reden als von diesem Ball?» «Ich glaube schon, daß ein Fest nach der langen Pause sehr lebhaft begrüßt werden würde», sagte Frank. «Wir sind nämlich hier sehr konservativ in solchen Dingen. Ich muß auch sagen, Lady Crowan hatte gar nicht so unrecht, als sie meinte, daß irgend etwas Ihnen zu Ehren arrangiert werden müßte. Schließlich sind Sie doch die Jungverheiratete Frau des Herrn von Manderley.» Wie gespreizt und dumm das klang! Ich wünschte, Frank wäre nicht immer so steif. «Ich bin gar nicht mehr jungverheiratet», entgegnete ich. «Ich habe ja nicht einmal eine richtige Hochzeit gehabt: kein weißes Kleid, keine Myrten und keine Brautjungfern. Und ich will gar nicht, daß man mir zu Ehren einen Ball veranstaltet.» «Manderley im Festkleid ist aber ein sehr schöner Anblick», sagte Frank. «Passen Sie auf, es wird Ihnen schon Spaß machen. Sie brauchen auch gar nichts Aufregendes zu tun, nur die Gäste empfangen, und das ist ja weiter nicht schwer. Und ich darf Sie vielleicht jetzt schon um einen Tanz bitten?» Der gute Frank! Wie mich seine altväterische feierliche Galanterie rührte! «Sie dürfen so oft mit mir tanzen, wie Sie wollen», sagte ich. «Ich werde überhaupt nur mit Ihnen und mit Maxim tanzen.» «Oh, das würde aber einen schlechten Eindruck machen», erwiderte Frank todernst. «Sie würden Ihre Gäste dadurch sehr vor den Kopf stoßen. Sie müssen mit jedem tanzen, der Sie auffordert.» Ich mußte mich abwenden, um mein Lächeln zu verbergen. Es machte mir immer wieder Vergnügen, ihn ein wenig zu necken, weil er es nie merkte. «Finden Sie nicht auch, daß Lady Crowans Vorschlag, mich als Meißener Porzellanschäferin zu kostümieren, ausgezeichnet ist?» fragte ich ihn hinterhältig. Er betrachtete mich prüfend, ohne die Spur eines Lächelns. «Ja, das finde ich», sagte er dann. «Ich glaube, Sie würden sehr nett als Schäferin aussehen.» Ich lachte laut los. «Ach, mein guter Frank, Sie sind wirklich köstlich!» rief ich aus, und er wurde ganz rot. Meine impulsiven Worte hatten ihn sicherlich schockiert und verletzt. «Ich kann nichts Komisches in meinen Worten finden», erklärte er steif. Maxim kam durch die Glastür herein; Jasper umtanzte ihn in wilden Sprüngen. «Worüber amüsierst du dich denn so?» fragte er mich. «Frank ist so schrecklich galant», antwortete ich. «Er sieht nichts Komisches in Lady Crowans Vorschlag, mich als Meißener Porzellanschäferin auszustaffieren.» «Lady Crowan ist eine echte Landplage», sagte Maxim. «Wenn sie die ganzen Einladungen schreiben müßte und die Arbeit mit den Vorbereitungen hätte, dann wäre sie bestimmt nicht halb so begeistert von dem Kostümfest. Aber so ist es schon immer gewesen; die Einheimischen betrachten Manderley als eine Art Rummelplatz und erwarten, daß wir ihnen immer neue Attraktionen bieten. Wir werden wahrscheinlich die ganze Grafschaft einladen müssen.» «Ich habe die Namenlisten noch im Büro», bemerkte Frank. «Die Arbeit ist wirklich gar nicht so schlimm. Am zeitraubendsten wird das Briefmarkenlecken sein.» «Dazu wirst du abkommandiert werden», sagte Maxim und lächelte mich an. «O nein, das erledigen wir natürlich im Büro», sagte Frank. «Mrs. de Winter braucht sich über die Vorbereitungen überhaupt keine Sorgen zu machen.» Ich hätte gern gewußt, was die beiden wohl gesagt haben würden, wenn ich plötzlich die Absicht geäußert hätte, die ganzen Vorbereitungen für den Ball selbst in die Hand zu nehmen. Wahrscheinlich hätten sie nur gelacht und wären dann auf etwas anderes zu sprechen gekommen. Natürlich war ich froh, jeder Verantwortung enthoben zu sein, aber es gab meinem Selbstbewußtsein doch einen schweren Stoß, daß man mir nicht einmal zutraute, eine Briefmarke richtig zu lecken. Ich mußte an den Schreibtisch im Morgenzimmer denken, an die etikettierten Fächer und an die charakteristische schräge Schrift auf den Schildchen. «Als was wirst du denn gehen?» fragte ich Maxim. «Ich kostümiere mich nicht», erwiderte er. «Das ist das einzige Privileg, das dem Hausherrn bei dieser Gelegenheit zugestanden wird, nicht wahr, Frank?» «Aber im Ernst, ich kann doch unmöglich als Porzellanschäferin gehen», sagte ich. «Was soll ich denn um Himmels willen bloß tun? Zum Verkleiden fehlt mir jede Phantasie.» «Binde dir eine Schleife ins Haar und geh als Alice im Wunderland», meinte Maxim scherzhaft. «Du ähnelst ihr jetzt schon, wie du mit dem Finger im Mund dasitzt.» «Sei nicht so unhöflich», entgegnete ich. «Mein Haar ist zwar strähnig, aber so strähnig ist es nun auch wieder nicht. Aber jetzt werde ich dir was sagen: ich werde mich so verkleiden, daß ihr beide mich nicht wiedererkennt, ihr sollt staunen!» «Solange du dir dein Gesicht nicht mit Ruß verschmierst und versuchst, wie ein Affe auszusehen, soll mir alles recht sein», sagte Maxim. «Also gut, abgemacht. Ich werde mein Kostüm bis zur letzten Minute geheimhalten, und ihr werdet vorher nichts darüber erfahren. Komm her, Jasper, lassen wir die beiden allein», und ich hörte, wie Maxim lachte, als ich hinausging, und etwas zu Frank sagte, was ich aber nicht mehr verstehen konnte. Ich wünschte, er würde mich nicht immer wie ein Kind behandeln, wie ein etwas verwöhntes, etwas schwieriges Kind, das er hin und wieder streicheln konnte, wenn ihm danach zumute war, das er aber meistens vergaß und mit einem leichten Klaps auf die Schulter hinaus in den Garten zum Spielen schickte. Ich wünschte, etwas ereignete sich, das mich reifer und weiser erscheinen lassen würde. Sollte es denn immer so bleiben wie jetzt? Er so unerreichbar fern, mit seinen Stimmungen, an denen ich nicht teilhatte, und seinen geheimen Sorgen, von denen ich nichts erfuhr? Würden wir niemals zusammenkommen, er, der Mann, und ich, die Frau, Seite an Seite, Hand in Hand, ohne diese trennende Kluft zwischen uns? Ich wollte nicht länger ein Kind sein, ich wollte eine Frau sein! Da stand ich auf der Terrasse und kaute an meinen Nägeln, und während ich zum Meer hinüberstarrte, stellte ich mir wohl zum zwanzigsten Mal die Frage, ob Maxim es angeordnet hatte, daß in jenen Zimmern im Westflügel alles so bleiben sollte, wie es zu Rebeccas Zeiten gewesen war, und ob er wie Mrs. Danvers bisweilen allein hinaufging, über die Bürsten auf dem Frisiertisch strich und die Schränke öffnete, um die Kleider zu berühren. «Komm, Jasper!» rief ich plötzlich. «Komm doch, lauf, kannst du nicht hören?» Und ich raste durch den Garten, wild und wütend, während mir die bitteren Tränen in die Augen stiegen und Jasper hysterisch bellend an mir hochsprang. Die Nachricht von dem bevorstehenden Kostümball sprach sich rasch herum. Meine kleine Zofe Clarice redete mit leuchtenden Augen von nichts anderem. Von ihr erfuhr ich, daß das Personal mit unserem Entschluß sehr einverstanden war. «Mr. Frith sagt, es würde wie in alten Zeiten sein», berichtete Clarice eifrig. «Ich hörte, wie er es heute morgen zu Alice sagte. Was werden Sie denn tragen, Madam?» «Ich weiß noch nicht, Clarice, bisher ist mir noch nichts eingefallen», sagte ich. «Mutter bat mich, es ihr unter allen Umständen sofort zu erzählen», fuhr Clarice fort. «Sie denkt immer noch an den letzten Ball von Manderley und sagte, er sei unvergeßlich gewesen. Werden Sie sich auch ein Kostüm aus London kommen lassen?» «Ich bin mir noch gar nicht schlüssig, Clarice», erwiderte ich. «Aber ich werde es Ihnen sagen, sobald ich einen Einfall habe; Sie sollen es wissen, aber niemand sonst. Es muß ein tiefes Geheimnis zwischen uns bleiben.» «Oh, Madam, wie aufregend!» seufzte Clarice begeistert, «ich kann den Tag kaum erwarten.» Ich war neugierig, wie Mrs. Danvers wohl diese Nachricht aufnahm. Seit jenem Nachmittag schauderte mich schon beim Klang ihrer Stimme durchs Haustelephon, und um sie so selten wie möglich hören zu müssen, benutzte ich Robert als Botengänger zwischen uns. Ich konnte den Ausdruck in ihrem Gesicht nicht vergessen, als sie nach der Auseinandersetzung mit Maxim aus der Bibliothek gekommen war, und ich dankte Gott, daß sie mich nicht da oben auf der Galerie entdeckt hatte. Vielleicht dachte sie sogar, ich sei es gewesen, die Maxim von Favells Besuch erzählt hatte. Wenn das der Fall war, haßte sie mich bestimmt noch mehr als früher. Die Vorbereitungen für den Ball schritten fort. Maxim und Frank schienen alles vom Verwaltungsbüro aus zu erledigen; ich brauchte mich um nichts zu kümmern, wie Frank vorhergesagt hatte. Ich schrieb nicht mal eine einzige Adresse. Aber die Kostümfrage begann mir Sorgen zu machen. Ich fand mich selber so dumm, daß mir gar nichts einfallen wollte, und ich dachte an all die Leute, die von Kerrith und den Nachbargütern kommen würden: die Frau des Bischofs, die sich auf dem letzten Ball so gut amüsiert hatte; Beatrice und Giles; die enervierende Lady Crowan und wie sie alle hießen, und so viele andere Menschen, die ich gar nicht kannte und die mich noch nie gesehen hatten - sie alle würden mich kritisch unter die Lupe nehmen wollen und voller Neugier beobachten, was ich für eine Figur machte. Schließlich fielen mir als letzter Ausweg die Bücher ein, die Beatrice mir zur Hochzeit geschenkt hatte, und ich setzte mich eines Vormittags in die Bibliothek und blätterte verzweifelt einen Band nach dem anderen durch, um eine Anregung zu finden. Aber nichts schien mir geeignet; die kostbaren Kostüme aus Samt und Seide auf den Bildern von Rubens und Rembrandt und all den anderen großen Malern waren zu prunkvoll und auffallend. Ich holte mir Papier und Bleistift und zeichnete das eine und andere ab, aber es befriedigte mich nicht, und ich warf die Skizzen schließlich mißmutig in den Papierkorb und gab die Suche auf. Am Abend, als ich mich zum Essen umzog, klopfte es an meine Tür. Ich rief Mir war ganz kalt geworden bei ihrem Anblick, und ich brachte zunächst kein Wort über die Lippen. Sie hielt mir das Blatt vor die Augen; es waren die Kostümzeichnungen, die ich am Vormittag angefertigt hatte. «Nein, Mrs. Danvers», sagte ich nach einer Weile, «das kann ruhig wegkommen. Es war mehr eine Spielerei und ist ganz wertlos.» «Sehr wohl», sagte sie. «Ich hielt es nur für besser, mich zu vergewissern, um ein Mißverständnis zu vermeiden.» Ich fand, sie hätte jetzt gehen können, aber sie blieb an der Tür stehen. «Sie sind sich also noch nicht schlüssig, was Sie auf dem Ball tragen wollen?» fragte sie. Ihre Stimme klang etwas spöttisch und merkwürdig triumphierend. Vermutlich hatte sie auf dem Umweg über Clarice von meinen vergeblichen Bemühungen gehört. «Nein», antwortete ich, «ich habe mich noch nicht entschieden.» Sie streckte die Hand nach dem Türgriff aus, ohne mich jedoch dabei aus den Augen zu lassen. «Warum kopieren Sie nicht eines der Kostüme auf den Ahnenbildern in der Galerie?» fragte sie lauernd. Ich begann meine Fingernägel zu feilen; sie waren viel zu kurz und zu spröde dazu, aber die Beschäftigung verdeckte meine Verwirrung, und ich brauchte Mrs. Danvers wenigstens nicht anzusehen. «Ja, das ist ein Gedanke», sagte ich und wunderte mich im stillen, warum ich nicht selbst schon daran gedacht hatte. Es war doch eine so naheliegende und gute Lösung. Ich wollte ihrem Vorschlag aber nicht so ohne weiteres beistimmen und fuhr fort, an meinen Nägeln herumzufeilen. «Alle Porträts in der Galerie würden eine gute Vorlage für ein Kostüm abgeben», sagte Mrs. Danvers. «Besonders das von der jungen Frau in Weiß mit dem Hut in der Hand. Schade, daß Mr. de Winter nicht Kostüme aus einer bestimmten Zeit vorgeschrieben hat. Es würde ein viel einheitlicheres Bild geben. Ich finde immer, es sieht merkwürdig aus, wenn ein Pierrot mit einer Rokokodame tanzt.» «Die meisten Leute lieben aber gerade diese Buntheit», bemerkte ich, «weil sie das viel lustiger finden.» «Ich bin da anderer Meinung», entgegnete sie. Ihre Stimme klang überraschend ruhig und freundlich, und ich konnte mir nicht erklären, warum sie sich selbst die Mühe gemacht hatte, mit dem fortgeworfenen Skizzenblatt zu mir zu kommen. Wollte sie endlich Freundschaft mit mir schließen? Oder war ihr klargeworden, daß ich Maxim nichts von Favells Besuch erzählt hatte, und wollte sie sich jetzt auf diese Weise für mein Schweigen erkenntlich zeigen? «Hat Mr. de Winter Ihnen denn keine Anregung für ein Kostüm gegeben?» fragte sie. «Nein», sagte ich nach einem kurzen Zögern. «Nein, ich wollte ihn und Mr. Crawley überraschen. Sie sollen vorher nichts davon erfahren.» «Es steht mir ja nicht zu, Ihnen einen Rat zu geben», sagte sie, «aber wenn Sie sich dann entschlossen haben, würde ich Ihnen empfehlen, das Kostüm in London anfertigen zu lassen. Hier in Kerrith können die Schneiderinnen so etwas nicht machen. Voce in Bond Street ist bekannt für sein gutes Atelier.» «Ich werde es mir merken.» «Ja, tun Sie das», sagte sie und öffnete die Tür. «Ich würde mir die Porträts in der Galerie daraufhin einmal näher ansehen, Madam, vor allem das eine, von dem ich sprach. Sie brauchen keine Angst zu haben, daß ich Sie verraten werde.» «Danke schön, Mrs. Danvers», sagte ich. Sie schloß die Tür sehr behutsam hinter sich, und ich beendete meine Toilette, von ihrem völlig veränderten Verhalten mir gegenüber überrascht. Ob ich das wohl dem unsympathischen Favell verdankte? Rebeccas Vetter! Warum mochte Maxim diesen Vetter nicht? Warum hatte er ihm verboten, nach Manderley zu kommen, Beatrice hatte ihn einen widerlichen Kerl genannt, aber sonst hatte sie nichts über ihn gesagt. Und je mehr ich über ihn nachdachte, desto mehr gab ich ihr recht. Diese stechenden blauen Augen, der weichliche Mund und sein unverschämt vertrauliches Lachen - es gab bestimmt Menschen, auf die er anziehend wirkte. Verkäuferinnen in Schokoladenläden zum Beispiel, die ihn kichernd bedienten, oder Platzanweiserinnen im Kino. Ich konnte mir genau vorstellen, wie er solche Mädchen ansah und mit einem Lächeln dabei vor sich hin pfiff. Ein Blick, unter dem man verlegen wurde. Wie gut er wohl Mander-ley wirklich kennen mochte? Er schien sich ja ganz zu Hause zu fühlen, und Jasper hatte ihn zweifellos wiedererkannt. Aber diese beiden Tatsachen paßten nicht zu dem, was Maxim zu Mrs. Danvers gesagt hatte; und Favell selbst paßte auch nicht zu meiner Vorstellung von Rebecca. Wie kam Rebecca mit ihrer Schönheit, ihrem Charme und ihrer Vornehmheit zu einem solchen Vetter? Diese Verwandtschaft kam mir so unwahrscheinlich vor. Ich erklärte es mir schließlich so, daß er das schwarze Schaf der Familie sein mußte und daß Rebecca sich in ihrer Gutmütigkeit seiner mitleidig von Zeit zu Zeit angenommen hatte und ihn nach Manderley einlud, wenn Maxim nicht da war. Vielleicht hatte diese Gutmütigkeit sogar zu Auseinandersetzungen geführt; Rebecca hatte ihn verteidigt, und später war bei der Erwähnung seines Namens immer ein peinliches Schweigen eingetreten. Als ich mich im Eßzimmer auf meinen Platz setzte, Maxim mir gegenüber, stellte ich mir vor, wie Rebecca auf meinem Platz gesessen hatte und gerade ihre Gabel aufnehmen wollte, als das Telephon klingelte und Frith hereinkam, um zu melden: «Mr. Favell möchte Sie sprechen, Madam.» Und wie Rebecca sich dann mit einem Blick auf Maxim erhoben hatte, der schweigend, ohne hochzusehen, weiteraß. Und als sie dann zurückkam und sich wieder hinsetzte, hatte sie bestimmt heiter und unbefangen von etwas ganz anderem geredet, um die kleine Mißstimmung zu verscheuchen. Und ich hörte in Gedanken Maxims einsilbige Antworten; aber allmählich erhellte sich sein Gesicht dann wieder, als sie ihm von irgendeinem Erlebnis in Kerrith erzählte, und bevor der nächste Gang gereicht wurde, lachte er über ihr lustiges Geplauder und streckte ihr versöhnt die Hand über den Tisch hin. «Wo steckst du denn mit deinen Gedanken?» fragte Maxim. Ich fuhr zusammen, und das Blut schoß mir ins Gesicht, denn in dieser winzigen Zeitspanne hatte ich mich so mit Rebecca identifiziert, daß mein eigenes langweiliges Ich gar nicht zu existieren schien. Ich war nicht nur in Gedanken, sondern buchstäblich in Person in der Vergangenheit gewesen. «Weißt du, daß du, anstatt deinen Fisch zu essen, mir die sonderbarsten Grimassen und Gliederverrenkungen vorgeführt hast?» fuhr Maxim fort. «Erst lauschtest du, als ob du das Telephon klingeln hörtest, und dann bewegtest du die Lippen und warfst mir einen Blick zu und schütteltest den Kopf und lächeltest und zucktest die Achseln. Alles in wenigen Sekunden. Übst du schon für den Kostümball?» Er sah mich lachend an, und ich fragte mich, was er wohl sagen würde, wenn er wüßte, was in meinem Herzen und in meinen Gedanken vor sich gegangen war, daß er für einen Augenblick ein anderer Maxim und ich Rebecca gewesen war. «Du siehst aus wie eine kleine Verbrecherin», sagte er. «Was hast du denn?» «Nichts», sagte ich rasch. «Ich habe gar nichts.» «Sag mir doch, woran du gedacht hast.» «Warum denn? Du sagst mir ja auch nie, woran du denkst.» «Meines Wissens hast du mich auch nie danach gefragt.» «Doch, einmal.» «Daran kann ich mich nicht erinnern.» «Wir saßen in der Bibliothek.» «Das tun wir ja öfter, und was antwortete ich dir?» «Du behauptetest, du hättest dir überlegt, ob Surrey gegen Middlesex spielen würde.» Maxim lachte wieder. «Was für eine Enttäuschung das gewesen sein muß! Was hofftest du denn zu hören?» «Was ganz anderes.» «Was denn bloß?» «Ach, ich weiß nicht.» «Ja, das scheint mir auch. Wenn ich dir sagte, daß ich über Surrey und Middlesex nachdachte, dann dachte ich auch an Surrey und Middlesex. Männer sind viel einfachere Wesen, als du denkst, mein liebes Kind. Was sich dagegen in den verzwickten Windungen des weiblichen Gehirns abspielt, das Problem hat wohl noch niemand lösen können. Weißt du, daß du eben gar nicht wie du selbst aussahst? Du hattest einen ganz fremden Gesichtsausdruck.» «Wirklich? Was denn für einen?» «Das ist schwer zu erklären. Du sahst plötzlich irgendwie älter und verschlagen aus, richtig unangenehm.» «Das wollte ich nicht.» «Das glaube ich dir gern.» Ich trank etwas Wasser und sah ihn über mein Glas hinweg an. «Willst du denn nicht, daß ich älter aussehe?» fragte ich ihn. «Nein.» «Warum nicht?» «Es würde dir nicht stehen.» «Eines Tages werde ich aber doch älter aussehen, das läßt sich ja nicht ändern. Ich werde graue Haare haben und Falten und lauter solche Sachen.» «Dagegen habe ich auch nichts.» «Wogegen hast du denn etwas?» «Ich will nur nicht, daß du so aussiehst wie eben. Dein Mund war verzerrt, und in deinen Augen lag so etwas Wissendes. Aber es war kein gutes Wissen.» Ich fühlte eine merkwürdige neugierige Erregung. «Was willst du damit sagen, Maxim? Was meinst du mit kein gutes Wissen?» Er antwortete zunächst nicht, weil Frith wieder ins Zimmer kam, um die Teller auszuwechseln. Erst als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, sagte Maxim langsam: «Als ich dich kennenlernte, hattest du einen bestimmten Gesichtsausdruck, den du auch jetzt noch hast. Ich werde ihn dir nicht beschreiben, denn ich könnte es doch nicht. Jedenfalls war das einer der Gründe, warum ich dich heiratete; und eben, als du in diesen sonderbaren Trancezustand verfielst, da war dieser Ausdruck verschwunden, und etwas anderes war an seine Stelle getreten.» «Was, Maxim? Was war an seine Stelle getreten?» fragte ich eifrig. Er pfiff leise vor sich hin, während er mich mit hochgezogenen Augenbrauen nachdenklich ansah. «Hör zu, meine Liebste, als du ein kleines Mädchen warst, war es dir da nicht verboten, gewisse Bücher zu lesen, die dein Vater wohlverwahrt hinter Schloß und Riegel hielt?» «Doch, ja», sagte ich. «Siehst du. Und ein Ehemann ist nun einmal in mancher Beziehung nicht viel anders als ein Vater. Ich halte es für dich am besten, wenn du von gewissen Dingen nicht viel weißt. Und die halte ich dann auch unter Schloß und Riegel. So, das wäre das, und jetzt iß deinen Pfirsich auf, und wenn du nicht mit dem Fragen aufhörst, wirst du in die Ecke gestellt.» «Wenn du mich nur nicht immer wie ein sechsjähriges Kind behandeln würdest», sagte ich. «Wie möchtest du denn behandelt sein?» «So, wie andere Männer ihre Frauen behandeln.» «Also dich gelegentlich mal prügeln, meinst du, ja?» «Jetzt bist du dumm. Warum mußt du immer alles ins Lächerliche ziehen?» «Ich scherze durchaus nicht, ich meine es völlig ernst.» «Das glaube ich dir nicht; ich sehe es ja deinen Augen an, daß du nur deinen Scherz mit mir machst, als ob ich ein dummes kleines Mädchen wäre.» «Ja, Alice im Wunderland. Das war eine gute Idee von mir. Hast du dir schon die Schärpe und die Haarschleife besorgt?» «Sei nicht so übermütig. Du wirst dich noch wundern, wenn du mich in meinem Kostüm zu sehen bekommst.» «Davon bin ich überzeugt. Also iß schon deinen Pfirsich und sprich nicht mit vollem Mund. Ich habe noch eine Menge Briefe zu schreiben.» Er wartete nicht, bis ich fertig war, sondern stand auf, ging im Zimmer auf und ab und bat Frith, den Kaffee in die Bibliothek zu bringen. Ich blieb sitzen und aß trotzig so langsam wie ich konnte, in der Hoffnung, den Kaffee zu verzögern und Maxim dadurch ein wenig zu ärgern; aber Frith schenkte mir und meinem Pfirsich gar keine Beachtung; er brachte den Kaffee sofort, und Maxim ging allein in die Bibliothek hinüber. Als ich fertig war, ging ich nach oben auf die Galerie, um mir die Bilder noch einmal anzusehen. Ich kannte natürlich alle gut, aber ich hatte sie noch nie von dem Gesichtspunkt aus betrachtet, daß sie mir eine Anregung für mein Kostüm geben könnten. Ich hatte die Dame in Weiß mit dem Hut in der Hand schon von Anfang an den anderen Bildern vorgezogen. Es war ein Raeburn und stellte Caroline de Winter dar, eine Schwester von Maxims Urgroßvater. Sie heiratete einen berühmten Staatsmann und galt zu ihrer Zeit als Londoner Schönheit; aber dieses Bild war schon gemalt worden, als sie noch ein junges Mäd-chen war. Es konnte nicht schwer sein, dieses weiße Kleid mit seinen Puffärmeln, dem Fichu und dem engen Leibchen nachzumachen. Der Hut dagegen würde wohl einige Schwierigkeiten bereiten; und ich würde eine Perücke tragen müssen, denn mein strähniges Haar ließ sich bestimmt nicht in diese Locken legen. Vielleicht konnte das Modehaus Voce, von dem Mrs. Danvers gesprochen hatte, alles Nötige dazu besorgen. Ich beschloß, meine Maße und eine Skizze von dem Bild dorthin zu schicken und sie zu bitten, das Kostüm genau zu kopieren. Welch ein Stein fiel mir vom Herzen, als ich endlich diesen Entschluß gefaßt hatte! Ich fing sogar an, mich ein wenig auf den Ball zu freuen. Am nächsten Morgen schrieb ich nach London, fügte meine Zeichnung bei und erhielt umgehend eine liebenswürdige Antwort voller Danksagungen für die Ehre meines geschätzten Auftrages und der Zusicherung, daß die Arbeit sofort begonnen würde und daß sie auch die Perük-ke für mich besorgen wollten. Clarice war vor Aufregung ganz aus dem Häuschen, und ich selbst wurde ebenfalls vom Lampenfieber gepackt, als der große Tag näherrückte. Giles und Beatrice sollten bei uns übernachten; Gott sei Dank waren sie die einzigen, obwohl eine Menge Menschen zum Abendessen vor dem Ball geladen waren. Ich hatte schon gefürchtet, daß wir das ganze Haus voll Logierbesuch haben würden, aber Maxim hatte sich dagegen entschieden. «Wenn wir den Ball veranstalten, haben wir uns für das eine Mal genug angestrengt», sagte er, aber ich konnte seinen Worten nicht entnehmen, ob er das nur aus Rücksicht beschloß oder ob eine Vielzahl Gäste ihn wirklich so langweilte, wie er behauptete. Auf Manderley machte sich jetzt eine erwartungsvoll gespannte Stimmung bemerkbar. In der großen Halle wurde der Holzboden für die Tanzfläche gelegt, und im Salon wurden die Möbel umgeschoben, damit die langen Buffettische an den Wänden aufgestellt werden konnten. Auf der Terrasse und auch im Rosengarten wurde alles für die festliche Illumination vorbereitet - auf Schritt und Tritt begegnete man irgendwelchen Anzeichen für den bevorstehenden Ball. Überdies stieß man auf Handwerker, und Frank kam fast täglich zum Mittagessen herüber. Die Dienstboten redeten von nichts anderem, und Frith stolzierte umher, als hinge der Erfolg des Abends ausschließlich von ihm ab. Robert geriet völlig in Verwirrung und vergaß ständig irgend etwas. Den Hunden war auch schlecht zumute; Jasper schlich mit eingekniffenem Schwanz durch die Räume und fuhr jedem Handwerker an die Beine. Oder er stand auf der Terrasse und bellte sinnlos in die Gegend, um dann plötzlich wie toll auf den Rasen hinunterzulaufen und in einer Art Verzweiflung Gras zu fressen. Mrs. Danvers hielt sich im Hintergrund, aber ich wurde ständig an ihre Gegenwart erinnert. Als die Tische in den Salon gebracht wurden, dirigierte sie die Aufstellung, und sie war es, die die Anweisungen gab, wie der Tanzboden hergerichtet werden sollte. Sooft ich irgendwo hinkam, war sie kurz vorher dagewesen; manchmal sah ich gerade noch eine Tür sich schließen, oder ich hörte ihren Schritt auf der Treppe. Ich war ein Außenseiter, zu nichts und für niemanden nutze. Wo ich mich auch befand, ich stand allen nur im Weg. Der große Tag brach bewölkt und neblig an, aber das Barometer stand auf Schönwetter, und der frühe Nebel war ein gutes Zeichen: wir brauchten keine Angst um das Wetter zu haben. Gegen elf klärte es sich auf, wie Maxim vorausgesagt hatte, und die Sonne strahlte von einem wunderbaren wolkenlosen Himmel herab. Den ganzen Morgen über brachten die Gärtner Blumen ins Haus, den letzten weißen Flieder, große Lupinen und Rittersporn, fünf Fuß hoch, Hunderte von Rosen und alle Arten von Lilien. Auch Mrs. Danvers ließ sich endlich blicken; mit ihrer ruhigen leisen Stimme wies sie die Gärtner an, wo sie die Blumen hinstellen sollten, die sie dann selbst mit geschickten Fingern in den Vasen ordnete. Ich sah ihr fasziniert zu, wie sie Vase nach Vase fertig machte und sie überall im Hause verteilte; niemals häufte sie zu viel auf einen Fleck, hellte hier eine dunkle Ecke mit einer leuchtenden Farbe auf, ließ dort einen Platz völlig frei, der keines Blumenschmucks bedurfte. Maxim und ich aßen mit Frank in seiner Junggesellenwohnung im Verwaltungsgebäude zu Mittag, um drüben nicht unnötige Arbeit zu machen. Wir befanden uns alle drei in der etwas betont lustigen Stimmung, wie sie sich manchmal nach einem Begräbnis einstellt. Wir lachten über alles und nichts, während unsere Gedanken sich bereits mit den nächsten Stunden beschäftigten. Ich fühlte mich ungefähr so wie damals an meinem Hochzeitstag; ich hatte dieselbe beengende Empfindung, mich zu weit vorgewagt zu haben, um noch zurück zu können. Der Abend mußte mit Haltung überstanden werden. Ein Glück, daß Voce mein Kostüm rechtzeitig geschickt hatte. Zwischen seinen Hüllen von Seidenpapier sah es wunderschön aus. Und die Perücke war ein wahres Wunder; ich hatte sie nach dem Frühstück anprobiert und war ganz betroffen von der Wirkung gewesen. Ich sah darin richtig hübsch aus, gar nicht wiederzuerkennen, gar nicht wie ich. Sie machte mich zu einer großen Dame und ließ mich temperamentvoll und lebenslustig erscheinen. Maxim und Frank versuchten mich nach meinem Kostüm auszufragen. «Ihr werdet mich bestimmt nicht erkennen», sagte ich nur. «Wartet's doch ab, ihr werdet die Augen aufreißen!» «Du wirst doch hoffentlich nicht als Clown erscheinen?» fragte Maxim mit Grabesstimme. «Hoffentlich versuchst du nicht komisch zu sein.» «Nein, gar nichts in der Art», versicherte ich wichtig. «Ich wünschte, du wärst bei meiner Alice-im-Wunderland-Idee geblieben.» «Mit Ihrem Haar würden Sie eine gute Jungfrau von Orleans abgeben», bemerkte Frank schüchtern. «Daran habe ich gar nicht gedacht», erwiderte ich überrascht, und Frank errötete. «Ich bin überzeugt, wir werden Ihr Kostüm sehr schön finden, was Sie sich auch ausgedacht haben», sagte er in echter, geschraubter FrankManier. «Gieß nicht noch Wasser auf ihre Mühle, Frank», sagte Maxim. «Sie ist ohnehin schon so siegesgewiß, daß es kaum noch zum Aushalten ist. Aber Bee wird dich schon zurechtstauchen, das ist wenigstens ein Trost; sie wird es dir schnell genug sagen, wenn ihr dein Kostüm nicht gefällt. Die gute Bee, sie ist bei solchen Gelegenheiten immer falsch angezogen. Einmal kam sie als Madame Pompadour, und als wir zu Tisch gingen, stolperte sie, und ihre Perücke verrutschte. «Nein, das war es gar nicht», sagte Frank, «er hatte bloß am Vormittag ein paar Vorderzähne eingebüßt, als er eine junge Stute zureiten wollte. Erinnerst du dich nicht? Und das war ihm so peinlich, daß er den Mund überhaupt nicht aufmachte. Nehmen Sie noch ein paar Spargel, Mrs. de Winter, oder eine Kartoffel?» «Nein, danke, Frank, ich habe keinen Hunger mehr, danke schön.» «Nerven!» sagte Maxim und schüttelte den Kopf. «Macht nichts, morgen um diese Zeit liegt alles hinter uns.» «Das wollen wir wenigstens hoffen», bemerkte Frank ernst. «Ich will noch Anweisung geben, daß die Wagen nicht später als fünf Uhr morgens vorfahren sollen.» Ich fing an hilflos zu lachen, und die Tränen traten mir in die Augen. «Lieber Gott, können wir nicht alle wieder telegraphisch ausladen?» «Haltung!» sagte Maxim. «Jetzt gilt's, den Kopf hochzuhalten und Mut zu beweisen. Dafür brauchen wir auch ein paar Jahre lang keinen Ball mehr zu geben. Frank, ich hab das unangenehme Gefühl, wir müßten jetzt zurückgehen; was hältst du davon?» Frank pflichtete ihm bei, und ich folgte ihnen unwillig aus dem kleinen, engen, ungemütlichen Eßzimmer, das für Franks Junggesellenwohnung so typisch war und das mir an diesem Tag wie ein rettender Hafen des Friedens und der Geruhsamkeit vorkam. Als wir im Haus anlangten, sahen wir, daß die Musiker angekommen waren und jetzt mit verlegenen roten Gesichtern in der Halle herumstanden, während Frith gewichtiger denn je Erfrischungen und Sandwiches anbot. Die Musiker sollten bei uns übernachten, und nachdem wir sie begrüßt und die bei solchen Anlässen üblichen scherzhaften Bemerkungen ausgetauscht hatten, wurden ihnen ihre Zimmer gezeigt, und danach konnten sie bis zum Anfang des Festes im Garten spazierengehen. Der Nachmittag schleppte sich dahin wie die letzte Stunde vor der Abreise, wenn alles fertig gepackt ist; und ich ging von einem Zimmer ins andere und kam mir dabei ebenso verloren vor wie Jasper, der mit vorwurfsvoller Miene hinter mir hertrottete. Ich hätte nirgends mehr helfend Hand anlegen können, und ich hätte gewiß klüger daran getan, wenn ich mit Jasper einen langen Spaziergang gemacht hätte. Doch als ich mich endlich dazu aufraffen wollte, war es zu spät. Maxim und Frank baten um Tee, und als wir mit dem Tee fertig waren, kamen auch schon Giles und Beatrice an. Ganz plötzlich war der Abend über uns hereingebrochen. «Es ist wirklich wie früher», sagte Beatrice, küßte Maxim auf die Wange und sah sich um. «Meine Hochachtung, du hast dich ja an jede Einzelheit erinnert. Die Blumen sehen prachtvoll aus», fuhr sie, zu mir gewandt, fort. «Hast du die Vasen angeordnet?» «Nein», erwiderte ich beschämt, «dein Lob gebührt Mrs. Danvers.» «Ach so. Na ja, schließlich ...» Beatrice sprach den Satz nicht zu Ende, Frank bot ihr gerade Feuer an, und dann schien sie vergessen zu haben, was sie hatte sagen wollen. «Habt ihr das kalte Büffet wieder bei Mitchell bestellt?» erkundigte sich Giles. «Ja», antwortete Maxim. «Wir haben überhaupt alles beim alten gelassen, nicht wahr, Frank? Wir hatten noch die Einladungslisten und die alten Rechnungen im Büro, nach denen wir uns genau gerichtet haben. Nichts ist geändert und niemand ist vergessen worden.» «Wie angenehm, daß wir jetzt allein sind», sagte Beatrice. «Ich denke noch mit Schrecken an das letzte Mal, als wir bereits fünfundzwanzig fremde Menschen hier vorfanden, die als Hausbesuch eingeladen waren. Was für Kostüme habt ihr euch denn ausgedacht? Maxim wird wahrscheinlich wie gewöhnlich nicht mitspielen, oder?» «Ja, wie gewöhnlich», entgegnete Maxim. «Ich finde das grundfalsch von dir. Die ganze Sache hätte viel mehr Schwung, wenn du dich ein bißchen anstrengen würdest.» «Hast du schon mal einen Ball auf Manderley mitgemacht, der keinen Schwung hatte?» «Nein, Bruderherz, dazu hat die Organisation immer zu gut geklappt; aber ich finde trotzdem, daß der Hausherr mit gutem Beispiel vorangehen sollte.» «Und ich finde, daß es vollauf genügt, wenn die Dame des Hauses diese Mühe auf sich nimmt», sagte Maxim. «Warum soll ich mich heiß und ungemütlich fühlen und mich außerdem noch zum Narren machen?» «Sei nicht albern; von Narr kann doch gar keine Rede sein. Bei deinem Aussehen würde dir jedes Kostüm stehen. Du brauchst ja auch nicht wie der arme Giles auf deine Figur Rücksicht zu nehmen.» «Was wird denn Giles tragen?» fragte ich. «Oder ist das noch ein tiefes Geheimnis?» «Nein, durchaus nicht», versicherte Giles strahlend. «Ich habe mich diesmal sogar besonders angestrengt. Unser Dorfschneider hat mich als arabischen Scheich ausstaffiert.» «Mein Gott!» sagte Maxim. «Es ist gar nicht übel», verteidigte Beatrice ihren Mann. «Er wird sich natürlich das Gesicht braun schminken und ohne Brille gehen. Die Kopfbedeckung ist sogar echt; wir haben sie von einem Freund geliehen, der lange dort unten gelebt hat, und das Kostüm selbst hat unser Schneider nach einem Foto kopiert. Giles macht sich sehr gut darin.» «Und als was gehen Sie, Mrs. Lacy?» fragte Frank. «Ach, ich kann mit nichts Besonderem aufwarten; ich hab mich auch so ein bißchen orientalisch hergerichtet, um zu Giles zu passen, aber ich erhebe keinen Anspruch auf Echtheit. Ein paar Perlenschnüre und natürlich ein Gesichtsschleier.» «Das klingt doch sehr nett», sagte ich höflich. «Na ja, es geht so. Jedenfalls ist es bequem und luftig, das ist immerhin etwas. Und wenn's mir unter dem Schleier zu heiß wird, dann nehme ich ihn einfach ab. Und für was hast du dich entschieden?» «Frage sie nur nicht», fiel Maxim ein. «Sie hat es keinem von uns verraten. Es ist das größte Geheimnis der Weltgeschichte. Ich glaube, sie hat deswegen sogar mit London korrespondiert.» «Ach nein», sagte Beatrice, offensichtlich beeindruckt, «du willst mir doch nicht etwa sagen, daß du die Bank gesprengt hast, um uns alle zu beschämen? Ich hab mir meins nämlich selbst zusammengestückelt.» «Keine Angst», sagte ich lachend, «es ist wirklich ganz einfach. Aber Maxim hat mich immer so geneckt, deshalb soll er ein bißchen zappeln.» «Da hast du ganz recht», bemerkte Giles. «Maxim ist immer so erhaben wie ein Kamel. In Wirklichkeit ist er wahrscheinlich eifersüchtig auf uns und möchte sich brennend gern auch verkleiden, aber er schämt sich, es zuzugeben.» «Der Himmel bewahre mich davor!» rief Maxim. «Und Sie, Crawley?» fragte Beatrice. Frank sah uns etwas schuldbewußt an. «Ich habe so viel zu tun gehabt, daß ich mich erst in letzter Minute um mein Kostüm kümmern konnte. Ich habe mir gestern ein paar alte Hosen und ein gestreiftes Fußballhemd herausgesucht, und dann wollte ich mir einen schwarzen Lappen über das eine Auge binden und als Seeräuber kommen.» «Warum haben Sie uns denn um Himmels willen nicht geschrieben?» fragte Beatrice. «Wir hätten Ihnen gut ein Kostüm leihen können, zum Beispiel ein holländisches, das Roger letzten Winter trug. Es hätte Ihnen fein gepaßt.» «Ich würde es meinem Verwalter sehr verübeln, wenn er als holländischer Bauerntölpel erschiene», sagte Maxim. «Seine ganze Autorität den Leuten gegenüber würde flötengehen. Als Pirat besteht wenigstens noch die Chance, daß er sie einschüchtert.» «So wie Frank habe ich mir immer einen Seeräuber vorgestellt», flüsterte Beatrice mir ins Ohr. Ich tat, als ob ich es nicht gehört hätte. Der arme Frank -sie hatte immer etwas an ihm auszusetzen. «Wie lange werde ich dazu brauchen, mein Gesicht zu schminken?» fragte Giles. «Wenigstens zwei Stunden», sagte Beatrice. «An deiner Stelle würde ich langsam damit anfangen. Wie viele sind wir denn bei Tisch?» «Sechzehn», sagte Maxim, «uns einbegriffen. Keine Fremden, lauter gute Bekannte.» «Ich bekomme tatsächlich schon Ballfieber», erklärte Beatrice. «Es ist doch ein Heidenspaß. Ich bin froh, daß du dich endlich wieder dazu entschlossen hast, Maxim.» «Das hast du nur ihr zu verdanken», Maxim deutete auf mich. «Ach, das ist ja nicht wahr», sagte ich. «Lady Crowan ist an allem schuld.» «Unsinn», sagte Maxim lächelnd. «Du weißt genau wie ich, daß du so aufgeregt bist wie ein Kind vor der ersten Geburtstagsgesellschaft.» «Das bin ich gar nicht.» «Ich brenne schon darauf, dein Kostüm zu sehen», sagte Beatrice. «Es ist wirklich nichts Besonderes», versicherte ich. «Mrs. de Winter hat uns immerhin versprochen, daß wir sie nicht wiedererkennen werden», sagte Frank. Alle sahen mich an und lächelten. Ich fühlte mich stolz und heiß und glücklich. Sie waren alle so nett zu mir. Der Gedanke an den Ball und daß ich die Gastgeberin war, machte mir plötzlich Spaß. Das Fest wurde ja mir zu Ehren gegeben, zu Ehren der jungen Herrin von Manderley. Ich saß auf einem Tisch in der Bibliothek und schlenkerte mit den Beinen, während die anderen um mich herumstanden, und ich wäre zu gern schon nach oben gegangen, um mein Kleid anzuziehen und die Perücke aufzusetzen und vor dem großen Wandspiegel auf- und abzugehen. Es war ein ganz neues, überraschendes Gefühl, auf einmal so wichtig genommen zu werden und den Mittelpunkt im Kreis von Giles, Beatrice, Frank und Maxim zu bilden, die alle von mir und meinem Kostüm sprachen und neugierig hin und her rieten. Ich dachte an das weiche weiße Seidengewand, das meine Magerkeit und meine allzu abfallenden Schultern verbergen würde, und an die glänzende Lockenfülle, unter der ich mein eigenes strähniges Haar verstecken konnte. «Wie spät ist es eigentlich?» fragte ich mit gespieltem Gleichmut und tat so, als ob ich hinter der vorgehaltenen Hand gähnte. «Wird es nicht bald Zeit, sich umzuziehen?» Als wir auf dem Weg nach oben die Halle durchquerten, fiel mir zum erstenmal auf, wie wunderbar sich das Haus für einen Ball eignete und wie festlich die Zimmer aussahen. Selbst der Salon, der sonst immer so kalt und steif wirkte, schien jetzt in flammenden Farben zu brennen. In jeder Ecke standen Blumen, rote Rosen in Silberschalen auf den weißgedeckten langen Tischen; die Glastüren zur Terrasse standen offen, und sobald die Dämmerung begann, würde von draußen die märchenhafte Gartenbeleuchtung hereinscheinen. Die Musiker hatten ihre Instrumente und Notenpulte oben in der Galerie aufgebaut, und über der Halle selbst lag es wie gespannte Erwartung. Sie strahlte eine Wärme aus, die ich früher nie bemerkt hatte und die wohl auf den lauen Sommerabend, die Blumenpracht unter den Bildern und auf unser Lachen zurückzuführen war. Ich traf Clarice schon in meinem Schlafzimmer an; ihr rundes Bauerngesicht glühte vor Aufregung. Wir kicherten wie die Schulmädchen, und ich bat sie, die Tür zuzuschließen. Dann setzte ein lebhaftes und geheimnisvolles Geraschel von Seidenpapier ein; wir flüsterten wie die Verschwörer, wir gingen auf den Zehenspitzen. Maxim befand sich in seinem Ankleidezimmer; vor ihm schützte uns eine dicke Wand und die abgeschlossene Tür. Heute abend war Clarice meine Verbündete und Vertraute. Das Kleid saß wie angegossen. Ich konnte kaum meine Ungeduld zügeln und still stehenbleiben, während Clarice mit vor Aufregung ungeschickten Fingern die vielen Haken zumachte. «Wie schön es ist, Madam», sagte sie immer wieder und lehnte sich zurück, um mich zu betrachten, «es ist ein Kleid für eine Königin.» «Wie ist es denn da mit meiner linken Schulter?» fragte ich besorgt. «Wird man das Achselband nicht sehen?» «Nein, Madam, es ist nichts zu sehen.» «Wie sehe ich denn aus, steht's mir?» Ich wartete ihre Antwort nicht ab, ich drehte mich vor dem Spiegel, ich runzelte die Stirn, ich lächelte. Ich fühlte mich bereits verwandelt. Der Schwan und das häßliche junge Entlein. Meine eigene unbedeutende Erscheinung war vergessen. «Geben Sie mir die Perücke», sagte ich aufgeregt. «Vorsichtig, drücken Sie die Locken nicht flach, sie müssen richtig voll vom Gesicht abstehen.» Clarice sah mir über die Schulter; ihr rundes Gesicht blickte mich aus dem Spiegel an, ihre Augen glänzten, ihr Mund stand offen. Ich strich mir das Haar glatt hinter die Ohren zurück. Dann ergriff ich das seidige Lockengebilde mit zitternden Fingern und sah Clarice mit einem leisen Lachen an. «O Clarice!» rief ich aus, «was wird wohl Mr. de Winter dazu sagen?» Ich bedeckte mein unscheinbares Haar mit der Perücke und mußte mir Mühe geben, ein triumphierendes Lächeln zu unterdrücken. Jemand kam den Gang entlang und klopfte an die Tür. «Wer ist da?» rief ich voller Schrecken. «Es darf niemand herein.» «Ich bin es nur, meine Liebe, reg dich nicht auf», hörte ich Beatrices Stimme. «Kann man dich schon ansehen?» «Nein, nein», entgegnete ich hastig, «du darfst noch nicht herein, ich bin noch nicht fertig.» Clarice, die sich nicht weniger aufgeregt hatte als ich, reichte mir die Haarnadeln zu, mit denen ich die Locken, die sich in der Schachtel zerdrückt hatten, zurechtsteckte. «Es dauert nicht mehr lange», rief ich. «Geht nur schon alle hinunter und wartet nicht auf mich. Sag Maxim, er dürfte auch noch nicht kommen.» «Maxim ist schon unten», sagte Beatrice. «Er guckte eben zu uns herein. Er hat an deiner Badezimmertür ge-klopft, aber du hast nicht geantwortet. Spanne uns nicht zu lange auf die Folter, Liebste, wir können es schon gar nicht mehr abwarten. Kann ich dir bestimmt nichts helfen?» «Nein», rief ich ungeduldig, «geht nur, ich bin gleich soweit.» Ich erkannte das Gesicht, das mir aus dem Spiegel entgegenstarrte, kaum wieder. Waren die Augen nicht größer, der Mund kleiner, und war die Haut nicht auffallend weiß und zart? Die Locken umgaben den Kopf wie eine kleine Wolke. Ich betrachtete dieses Bild, das nicht mein Ebenbild war, und dann lächelte ich, ein neues, gelassenes Lächeln. «Oh, Clarice, Clarice!» sagte ich. Ich faßte den Rocksaum und machte einen tiefen Knicks vor ihr, so daß die Falbeln über den Boden rauschten. Sie kicherte halb verlegen, halb geschmeichelt, und errötete über und über. Ich stolzierte wie ein Pfau vor dem Spiegel auf und ab. «Machen Sie bitte die Tür auf», sagte ich dann, «ich werde jetzt hinuntergehen. Laufen Sie voraus und sehen Sie nach, ob alle schon unten sind.» Sie tat, wie ich sie geheißen hatte, und ich hob meinen Rock etwas an und folgte ihr durch den Korridor. Sie blickte zurück und winkte mir. «Sie sind alle in der Halle», flüsterte sie, «Mr. de Winter, Mr. und Mrs. Lacy, und Mr. Crawley ist auch gerade gekommen.» Ich blickte vorsichtig durch das Geländer hinab. Ja, da waren sie: Giles in seinem weiten Burnus, der gerade unter dröhnendem Lachen das krumme Messer an seiner Seite zeigte; Beatrice in einem sonderbaren grünschillernden Gewand und langen Perlenketten um den Hals; der arme Frank, unsicher und ziemlich blöde in seinem gestreiften Fußballhemd und hohen Wasserstiefeln; und Maxim im Frack, der einzige, der völlig beherrscht geblieben war. «Was sie bloß so lange macht», hörte ich ihn sagen. «Sie ist ja schon eine ganze Ewigkeit oben. Wir werden die Dinnergäste auf dem Hals haben, ehe wir's uns recht versehen.» Die Musiker hatten sich ebenfalls umgezogen und bereits ihre Plätze auf der Galerie eingenommen. Der eine stimmte gerade seine Geige; er spielte leise eine Tonleiter und zupfte dann eine Saite. Das Licht von unten fiel auf das Bild von Caroline de Winter. Ja, das Kleid war eine genaue Kopie nach meiner Skizze: die Puffärmel, die breite Schärpe, die Bänder, der breitrandige, weiche Hut. Und meine Locken umrahmten mein Gesicht ebenso wie die gemalten Locken das Gesicht auf dem Bild. Ich hatte mich noch nie in einer so stolzen und glücklichen Erregung befunden. Ich winkte dem Geiger zu und legte dann warnend den Finger auf den Mund. Er lächelte, verneigte sich und kam lautlos auf mich zu. «Sagen Sie dem Trommler, daß er mich ankündigen soll», flüsterte ich, «wissen Sie, mit einem Trommelwirbel, und dann muß er «Miss Caroline de Winter!» rief der Trommler mit lauter Stimme. Ich trat auf die oberste Treppenstufe und stand da, lächelnd, den Hut in der Hand, wie das junge Mädchen auf dem Bild. Ich wartete auf das Händeklatschen und das Gelächter, während ich langsam die Stufen hinabstieg, aber niemand klatschte, niemand rührte sich. Sie starrten mich alle entgeistert an. Beatrice stieß einen kleinen Schrei aus, hielt sich aber gleich darauf erschrocken den Mund zu. Lächelnd, die eine Hand auf dem Geländer, ging ich weiter. «Wie geht es Ihnen, Mr. de Winter?» sagte ich. Maxim regte sich nicht. Er starrte mich mit kreideweißem Gesicht an. Ich sah, wie Frank auf ihn zuging, als wollte er etwas sagen, aber Maxim wies ihn mit einer ungeduldigen Bewegung zurück. Ich zögerte, bevor ich die nächste Stufe betrat. Irgend etwas stimmte da nicht; sie hatten nicht verstanden. Warum sah Maxim so aus? Warum standen sie dort alle starr und steif wie Kleiderpuppen, wie von einem Zauberstab berührt? Endlich ging Maxim auf die Treppe zu, ohne eine Sekunde den Blick von mir abzuwenden. «Was soll das in drei Teufels Namen heißen?» fuhr er mich an. Seine Augen funkelten vor Zorn aus seinem bleichen Gesicht. Ich stand wie gelähmt. «Es ist doch das Porträt», sagte ich, von seinem Blick und seiner Stimme entsetzt. «Das Porträt oben in der Galerie.» Es entstand ein langes Schweigen. Wir starrten einander immer noch an. Niemand rührte sich. Ich schluckte und faßte mir mit der Hand an den Hals. «Was ist denn?» fragte ich, «was habe ich getan?» Wenn sie mich nur nicht so anstarren wollten, dachte ich, mit diesen ausdruckslosen Gesichtern. Wenn nur jemand etwas sagen wollte! Als Maxim wieder sprach, erkannte ich seine Stimme nicht; sie klang eisig kalt und scharf. So hatte ich sie noch nie gehört. «Geh wieder rauf und zieh dich um», sagte er. «Ganz gleich, was. Irgendein Abendkleid, was du gerade findest. Aber mach schnell, bevor jemand kommt.» Ich konnte nichts antworten, ihn nur entsetzt anstarren. Seine Augen waren das einzig Lebendige in diesem totenblassen Antlitz. «Was stehst du noch da?» sagte er in einem seltsamen Tonfall. «Hast du nicht gehört, was ich sagte?» Ich wandte mich um und lief blindlings die Treppe wieder hinauf. Auf der Galerie erhaschte ich den erstaunten Blick des Trommlers, der mich angekündigt hatte. Ich hastete an ihm vorüber, stolperte, sah kaum, wo ich hinlief, denn die Tränen verschleierten mir die Augen. Ich wußte nicht, was geschehen war. Clarice war fort. Der Korridor lag verlassen da. Ich sah mich benommen und ratlos um wie ein gehetztes Tier. Dann erst bemerkte ich, daß die Tür zum Westflügel weit offen stand und daß eine Gestalt im Türrahmen lehnte. Es war Mrs. Danvers. Ich werde nie den Ausdruck auf ihrem Gesicht vergessen. Eine boshafte Schadenfreude leuchtete aus ihren Augen. Das Gesicht eines frohlockenden Teufels! So stand sie da und lächelte mich an. Und ich lief von ihr fort, den langen schmalen Gang entlang in mein Schlafzimmer, stolpernd, fast fallend, als meine Füße sich in den weiten Falbeln des Kleides verfingen.