24

Dem Himmel sei Dank, daß Favell lachte. Dem Himmel sei Dank für seinen anklagend erhobenen Finger, sein gerötetes Gesicht und seine verglasten, blutunterlaufenen Augen. Dem Himmel sei Dank für seine schwankende, schlappe Haltung. Denn dadurch stimmte er Oberst Julyan mißtrauisch und feindlich und machte ihn zu unserem Verbündeten. Ich sah den Widerwillen in Oberst July-ans Gesicht, den verächtlichen Zug um seine Lippen. Oberst Julyan glaubte Favell nicht. Oberst Julyan hielt zu Maxim.

«Der Kerl ist ja betrunken», sagte er ruhig. «Er weiß ja nicht, was er sagt.»

«Betrunken soll ich sein?» schrie Favell. «Nein, nein, mein sauberer Freund, Sie mögen Polizeirichter sein und meinetwegen auch noch Oberst dazu, aber bei mir können Sie damit keinen Blumentopf gewinnen. Diesmal habe ich zur Abwechslung das Recht auf meiner Seite, und ich werde auch auf meinem Recht bestehen! Sie sind ja nicht der einzige Polizeirichter in dieser finsteren Provinz. Es gibt noch andere, Männer, die etwas im Gehirnkasten haben und wissen, was Gerechtigkeit ist. Keine Spielzeugsoldaten, die schon vor Jahren wegen Unfähigkeit den Dienst quittieren mußten und jetzt ihre Blechorden spazieren führen. Max de Winter hat Rebecca ermordet, und ich werde den Beweis dafür erbringen.»

«Einen Augenblick, Mr. Favell», sagte Oberst Julyan völlig gelassen. «Sie waren doch heute nachmittag bei der Verhandlung, nicht wahr? Ich erinnere mich sogar, Sie dort gesehen zu haben. Wenn die Ungerechtigkeit Sie so tief berührt, warum sagten Sie es dann nicht gleich den Geschworenen oder dem Vorsitzenden selbst? Warum legten Sie den Zettel da nicht dem Gericht vor?»

Favell starrte ihn nur an und lachte wieder. «Warum?» sagte er. «Weil es mir nicht in den Kram paßte, deshalb. Ich zog es vor, Max de Winter höchst persönlich auf den Zahn zu fühlen.»

«Deswegen rief ich Sie auch an», sagte Maxim und trat vom Fenster weg ins Zimmer. «Favell hat seine Anklagen vorhin schon einmal zum besten gegeben, und ich stellte ihm dieselbe Frage wie Sie. Er antwortete mir, er sei nicht reich, und wenn ich ihm eine Lebensrente von jährlich zwei- bis dreitausend Pfund aussetzte, würde er mich nicht wieder behelligen. Frank war dabei und meine Frau auch. Beide haben es gehört. Sie können sie fragen.»

«Ja, das stimmt, Sir», sagte Frank. «Ein ganz klarer, sauberer Fall von Erpressung.»

«Zweifellos», bemerkte Oberst Julyan. «Nur ist Erpressung niemals ein klarer, sauberer Fall. Es kann zu endlosen Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten führen, selbst wenn der Erpresser schließlich im Gefängnis landet. Es kommt vor, daß auch Unschuldige Bekanntschaft mit dem Gefängnis machen müssen, und das wollen wir doch vermeiden, nicht wahr? Ich weiß nicht, ob Sie nüchtern genug sind, Favell, um meine Fragen beantworten zu können; und wenn Sie Ihr unsachliches Geschimpfe unterlassen würden, dann kämen wir bestimmt rascher zum Ziel. Sie haben soeben eine sehr schwerwiegende Beschuldigung gegen Mr. de Winter vorgebracht. Können Sie diese durch einen Beweis erhärten?»

«Beweis? Was, zum Teufel, brauchen Sie noch Beweise? Sind Ihnen die Löcher im Boot nicht Beweis genug?»

«Allerdings nicht», erwiderte Oberst Julyan, «falls Sie nicht einen Augenzeugen nennen können. Haben Sie einen solchen?»

«Ich pfeife auf Ihre Augenzeugen», rief Favell. «Natürlich hat de Winter es getan. Wer sonst sollte denn ein Interesse daran gehabt haben, Rebecca zu ermorden?»

«Kerrith hat eine ziemlich große Einwohnerzahl», entgegnete Oberst Julyan. «Warum nicht von Tür zu Tür gehen und Erkundigungen einziehen? Ich könnte ja auch als Täter in Frage kommen, denn Sie haben offenbar gegen de Winter keine schlüssigeren Beweise als gegen mich.»

«Aha, ich verstehe», sagte Favell. «Sie wollen ihm also die Stange halten. Sie wollen ihn schön bei der Hand halten, damit ihm nur ja nichts zustößt. Sie wollen nicht die Wahrheit hören, weil Sie an seinem Tisch gesessen haben und er an Ihrem. Er ist der große Mann hier, er, der Besitzer von Manderley. Sie erbärmlicher, kleiner Snob!»

«Hüten Sie Ihre Zunge, Favell!»

«Sie glauben, Sie können mit mir machen, was Sie wollen, was? Sie glauben wohl, ein Gericht würde mich abweisen? Ich werde schon genügend Beweise beibringen. Lassen Sie sich's gesagt sein, de Winter hat Rebecca getötet, weil er wußte, daß wir ein Verhältnis hatten und weil er wahnsinnig eifersüchtig war. Er wußte, daß sie in jener Nacht im Bootshaus auf mich wartete, und deshalb ist er hingegangen und hat sie getötet. Und dann hat er die Leiche in die Kajüte gelegt und das Boot zum Sinken gebracht.»

«Klingt gar nicht dumm, Ihre Geschichte, Favell, aber ich wiederhole, Sie haben keine Beweise. Bringen Sie einen Augenzeugen herbei, dann werde ich anfangen, Sie ernst zu nehmen. Ich kenne das Bootshaus dort am Strand. Eine Art Sommerhäuschen, nicht wahr? Mrs. de Winter pflegte wohl ihre Bootssachen darin aufzubewahren. Ihre Geschichte würde viel gewinnen, wenn fünfzig gleiche Häuser in einer Reihe dort stünden. Dann gäbe es immerhin die Möglichkeit, daß einer von den Bewohnern gesehen hätte, was Sie uns da erzählen.»

«Einen Augenblick», sagte Favell langsam, «einen Augenblick ... vielleicht ist de Winter in jener Nacht tatsächlich von jemandem beobachtet worden. Das müßte man doch feststellen können. Was würden Sie denn dazu sagen, wenn ich Ihnen Ihren Augenzeugen doch noch anbrächte?»

Oberst Julyan zuckte die Achseln. Ich sah Frank Maxim einen fragenden Blick zuwerfen. Maxim betrachtete Favell gleichmütig und schwieg. Plötzlich wußte ich, wen Favell meinte, worauf er anspielte. Und ein heißer Schreck durchfuhr mich, als ich mir klarmachte, daß er recht haben konnte. Es hatte in jener Nacht einen Augenzeugen gegeben. Abgerissene Sätze fielen mir wieder ein, Worte, die ich nicht verstanden, die ich für das wirre Gestammel eines unglücklichen Blöden gehalten hatte. «Die ist doch auch da unten, nicht wahr? Die kommt doch nicht wieder? - Ich hab niemand nichts gesagt. - Sie haben sie doch nicht gefunden? - Die Fische haben sie doch gefressen, nicht? - Die kommt nicht wieder.» Ben wußte. Ben hatte alles gesehen. Ben mit seinem kranken, verschrobenen Gehirn war Augenzeuge der Tat gewesen. Er hatte sich in jener Nacht im Wald herumgetrieben und Maxim in dem Boot hinausfahren und allein in der Jolle zurückrudern sehen. Ich fühlte, wie mir das Blut aus den Wangen wich, und ließ mich kraftlos in die Kissen zurücksinken.

«Hier gibt es eine Art Dorfidioten», sagte Favell, «der sich meistens am Strand aufhält. Er lungerte immer da herum, wenn ich Rebecca besuchen kam. Ich habe ihn oft gesehen. In warmen Nächten schlief er im Wald oder am Strand. Der Bursche ist nicht ganz richtig im Kopf und würde sich von selbst nie melden, aber ich könnte ihn schon zum Reden bringen, wenn er wirklich was gesehen hat. Und es besteht eine dicke Chance, daß er etwas gesehen hat!»

«Wer ist denn das? Wen meint er denn?» fragte Oberst Julyan.

«Wahrscheinlich Ben», sagte Frank mit einem neuerlichen Blick zu Maxim. «Er ist der Sohn von einem unserer Pächter. Aber der Bursche ist nicht zurechnungsfähig; er ist von Kind an ein Idiot gewesen.»

«Was tut denn das zur Sache?» rief Favell. «Er hat doch Augen; er weiß doch, was er sieht. Er braucht ja nur ja oder nein zu sagen. Sie bekommen wohl schon kalte Füße? Nicht mehr ganz so selbstsicher, wie?»

«Können wir diesen Burschen kommen lassen, um ihn auszufragen?» fragte Oberst Julyan.

«Aber selbstverständlich», sagte Maxim. «Frank, sage Robert, er soll mal schnell zu Bens Mutter rüberspringen und ihn herholen.»

Frank zögerte. Er sah mich wie ratsuchend an.

«Los, geh schon», sagte Maxim. «Wir wollen doch diese Sache nicht endlos hinziehen.» Frank verließ das Zimmer. Ich begann wieder den alten, stechenden Schmerz zu fühlen. Nach ein paar Minuten kam Frank zurück.

«Ich habe Robert meinen Wagen nehmen lassen», sagte er. «Wenn er Ben zu Hause antrifft, kann er in zehn Minuten mit ihm hier sein.»

«Bei dem Regen wird er sich schon schön zu Hause halten», sagte Favell. «Und ich glaube, Sie werden erstaunt sein, was ich alles aus ihm herausholen kann.» Er lachte und sah Maxim an. Sein Gesicht war noch immer hochrot, und er schwitzte vor Aufregung; auf seiner Stirn standen kleine Schweißtropfen. Es fiel mir jetzt auf, wie sein Nak-ken über den Kragenrand quoll und wie tief die Ohren an seinem Kopf saßen. Mit seinem blühenden, guten Aussehen würde es wohl bald vorbei sein. Er war jetzt schon schlaff und dick geworden. Wieder nahm er sich eine Zigarette. «Ihr bildet hier auf Manderley eine richtige kleine Gewerkschaft, wie?» sagte er. «Alle steckt ihr unter einer Decke. Selbst die hohe Beamtenschaft zieht am selben Strang. Die junge Frau ist natürlich entschuldigt; eine Frau darf ja sowieso nicht gegen ihren Mann aussagen. Und bei Crawley ist es ja eigentlich verständlich. Er würde sich wohl ziemlich schnell nach einer neuen Stelle umsehen müssen, wenn er mit der Wahrheit rausrückte. Und ich irre mich wohl kaum in der Annahme, daß da auch ein Quentchen Rachsucht mitspricht. Wie war das eigentlich, Craw-ley? Sehr viel Erfolg hatten Sie wohl nicht bei Rebecca, wie? Mit einem Mondscheinspaziergang war es bei Rebecca nicht getan. Diesmal haben Sie es leichter, was? Die junge Frau wird gewiß mit Vergnügen in Ihre brüderlichen Arme sinken, wenn sie wieder ohnmächtig wird. Zum Beispiel, wenn sie den Richter das Todesurteil über ihren Mann aussprechen hört, dann dürfte Ihr starker Arm sehr gelegen kommen.»

Was sich dann ereignete, spielte sich zu rasch ab, als daß ich mit den Augen hätte folgen können. Ich sah Favell stolpern und gegen das Sofa fallen und dann auf den Boden gleiten. Maxim stand neben ihm. Mir war übel. Es lag etwas Erniedrigendes darin, daß Maxim Favell geschlagen hatte. Ich wünschte, ich hätte es ungeschehen machen können. Oder es nicht mit ansehen müssen. Oberst Julyan sagte nichts und sah nur sehr verbissen drein. Er wandte den beiden den Rücken zu und kam zu mir herüber.

«Wollen Sie nicht lieber nach oben gehen?» fragte er.

Ich schüttelte den Kopf. «Nein», flüsterte ich, «nein.»

«Dieser Favell ist in einem Zustand, in dem er zu allem fähig ist», sagte er. «Was Sie eben gesehen haben, war ja nicht gerade ein erfreulicher Anblick. Ihr Mann hatte natürlich völlig recht; aber es tut mir doch leid, daß es in Ihrer Gegenwart geschah.»

Ich antwortete nicht. Ich beobachtete Favell, der sich langsam erhob. Er ließ sich schwer auf das Sofa fallen und fuhr sich mit dem Taschentuch übers Gesicht.

«Hol mir jemand einen Whisky», sagte er.

Maxim gab Frank einen Wink. Frank ging aus dem Zimmer. Keiner von uns sprach. Gleich darauf kam Frank zurück, eine Flasche Whisky und den Siphon auf einem Tablett. Er mischte Favell einen Drink. Favell trank gierig wie ein Tier. Es wirkte irgendwie sinnlich und abstoßend, wie er seinen Mund an das Glas setzte. Seine Lippen schoben sich auf eine merkwürdige Weise über den Glasrand. Auf seiner Wange trat ein dunkelroter Fleck hervor, wo Maxim ihn getroffen hatte. Maxim stand wieder am Fenster. Mein Blick fiel auf Oberst Julyan, und ich sah, daß er Maxim mit einem eigentümlich forschenden Ausdruck betrachtete. Mein Herz begann plötzlich zu rasen. Warum sah der Oberst Maxim so an?

Konnte es bedeuten, daß er zu zweifeln begann und mißtrauisch wurde?

Maxim merkte es nicht, denn er sah in den Regen hinaus, der mit unverminderter Heftigkeit herunterströmte. Das Rauschen weckte ein Echo im Zimmer. Favell trank seinen Whisky aus und stellte dann das Glas auf den Tisch. Er atmete schwer. Er sah keinen von uns an, sondern starrte vor sich auf den Fußboden.

Im Nebenraum läutete das Telephon; der Ton schrillte disharmonisch in die Stille hinein. Frank ging, um zu antworten.

Er kam gleich wieder und sah Oberst Julyan an. «Es ist Ihre Tochter», sagte er. «Sie fragt, ob mit dem Essen auf Sie gewartet werden soll.»

Oberst Julyan machte eine ungeduldige Handbewegung. «Nein, sagen Sie ihr bitte, sie sollen schon anfangen. Ich wüßte noch nicht genau, wann ich zurückkäme.» Er warf einen Blick auf seine Uhr. «Komisch, hier anzurufen», murmelte er vor sich hin, «ausgerechnet in diesem Augenblick.»

Frank ging zum Telephon zurück, um die Bestellung auszurichten. Ich dachte an die Tochter am anderen Ende der Leitung. Der kleine Haushalt war unseretwegen durcheinandergekommen. Ihre abendlichen Gewohnheiten waren aus dem Gleis gebracht worden. All diese kleinen Nichtigkeiten waren nur eine Folge davon, daß Maxim Rebecca getötet hatte. Ich sah Frank an. Sein Gesicht war blaß und ernst.

«Ich hörte eben Robert mit dem Wagen zurückkommen», sagte er zu Oberst Julyan. «Das Fenster dort drüben geht auf die Anfahrt hinaus.»

Er ging in die Halle hinaus. Favell hatte bei seinen Worten den Kopf gehoben, stand dann auf und blickte gespannt zur Tür. Ein böses Lächeln verzerrte sein Gesicht.

Die Tür öffnete sich, und Frank kam herein. Er sprach über seine Schulter zu jemand draußen in der Halle.

«Du brauchst keine Angst zu haben, Ben», sagte er, «Mr. de Winter will dir nur ein paar Zigaretten geben. Du brauchst dich nicht zu fürchten.»

Ben kam linkisch ins Zimmer geschlurft. Seinen Südwester hielt er in der Hand. Ohne Kopfbedeckung sah er merkwürdig nackt aus. Ich sah jetzt zum erstenmal, daß sein ganzer Schädel rasiert war und er überhaupt kein Haar auf dem Kopf hatte, was ihm ein völlig anderes, abstoßendes Aussehen gab.

Das Licht blendete ihn, und er blinzelte blöde mit seinen kleinen Augen ins Zimmer. Ich lächelte ihm unsicher zu, aber ich wußte nicht, ob er mich erkannte. Er blinzelte nur. Dann trat Favell langsam auf ihn zu und pflanzte sich vor ihm auf.

«Hallo», sagte er, «wie ist's dir denn ergangen, seit wir uns nicht mehr gesehen haben?»

Ben starrte ihn an, ohne zu antworten. Sein Gesicht drückte kein Erkennen aus.

«Na?» sagte Favell. «Du weißt doch, wer ich bin, was?»

Ben zerknüllte seinen Südwester. «Heh?» sagte er.

«Wie ist es denn mit einer Zigarette?» sagte Favell und hielt ihm die Schachtel hin. Ben blickte zögernd zu Maxim hinüber.

«Nur zu», sagte Maxim, «nimm, soviel du willst.»

Ben nahm vier heraus und steckte sich zwei hinter jedes Ohr. Dann drehte er wieder seinen Südwester in den Händen.

«Du weißt doch, wer ich bin?» wiederholte Favell.

Ben antwortete wieder nicht. Oberst Julyan gesellte sich jetzt zu den beiden. «Du darfst gleich wieder nach Hause gehen, Ben», sagte er. «Niemand wird dir etwas zuleide tun. Wir möchten dir nur ein paar Fragen stellen. Du kennst doch Mr. Favell, nicht?»

Diesmal schüttelte Ben den Kopf. «Nie gesehen», sagte er.

«Stell dich doch nicht so dämlich an», sagte Favell grob. «Du weißt ganz genau, daß du mich kennst. Du hast mich oft genug zum Bootshaus am Strand gehen sehen, zu Mrs. de Winters Bootshaus. Dort haben wir uns doch oft gesehen, nicht?»

«Nein», sagte Ben. «Ich habe nie jemand dort gesehen.»

«Du dreckiger, blöder Lügner», sagte Favell aufgebracht. «Du stehst da und willst mir ins Gesicht behaupten, du hättest mich nie gesehen, voriges Jahr, dort unten im Wald, mit Mrs. de Winter, am Bootshaus? Haben wir dich nicht sogar einmal erwischt, wie du durchs Fenster zu uns hereingucken wolltest?»

«Heh?» sagte Ben.

«Das ist ja ein wahrer Kronzeuge», bemerkte Oberst Julyan sarkastisch.

Favell fuhr herum. «Ihr treibt ein abgekartetes Spiel», rief er.

«Einer von euch hat sich diesen Idioten vorgeknöpft und ihn auch bestochen. Ich schwör's Ihnen, Oberst, er hat mich dutzendmal gesehen. Hier, vielleicht hilft das deiner Erinnerung nach?» Er griff wieder nach seiner Brieftasche und zog eine Pfundnote heraus, mit der er vor Bens Nase herumfuchtelte. «Jetzt kannst du dich vielleicht besser erinnern?»

Ben schüttelte den Kopf. «Den hab ich nie gesehen», sagte er, und dann packte er Frank am Arm. «Ist er hier, um mich in die Anstalt mitzunehmen?» fragte er ängstlich.

«Aber nein», sagte Frank, «ganz bestimmt nicht, Ben.»

«Ich will nicht in die Anstalt», sagte Ben. «Die sind da schlechte Menschen. Ich will zu Hause bleiben. Ich hab nichts getan.»

«Ja, ja, Ben, keine Sorge, niemand steckt dich in eine Anstalt», sagte der Oberst. «Weißt du ganz genau, daß du ihn noch nie gesehen hast?»

«Nein» sagte Ben. «Ich hab ihn nie nicht gesehen.»

«Aber an Mrs. de Winter erinnerst du dich doch, nicht wahr?» fragte ihn der Oberst.

Ben blickte zögernd zu mir herüber.

«Nein», sagte Oberst Julyan sanft. «Nicht diese Dame. Die andere, die immer im Bootshaus war.»

«Heh?»

«Du mußt dich doch noch an die Dame mit dem Segelboot erinnern!»

Ben blinzelte ihn an. «Die ist fort», sagte er.

«Ja, das wissen wir», sagte Oberst Julyan. «Sie segelte doch immer in ihrem Boot in die Bucht hinaus, nicht wahr? Warst du damals unten am Strand, als sie zum letztenmal hinaussegelte? An einem Abend vor ungefähr einem Jahr, als sie nicht mehr zurückkehrte?»

Ben wand sich vor Verlegenheit. Er sah erst Frank und dann Maxim hilfesuchend an.

«Heh?» sagte er.

«Du warst doch da, nicht wahr?» sagte Favell und beugte sich zu ihm hinunter. «Du sahst Mrs. de Winter zum Bootshaus gehen, und gleich darauf hast du auch Mr. de Winter gesehen. Er ging hinter ihr ins Bootshaus. Und was geschah dann? Los, was hast du dann noch gesehen?»

Ben wich erschrocken zurück. «Ich habe nichts gesehen», sagte er. «Ich will zu Hause bleiben. Ich gehe nicht in die Anstalt. Ich habe Sie nie gesehen, ich hab Sie und niemand nie im Wald gesehen.» Er fing wie ein kleines Kind zu heulen an.

«Du dreckiger, kleiner Kretin», sagte Favell heiser vor Wut. «Du verfluchter Kretin!»

Ben wischte sich die Augen mit seinem Ärmel.

«Ihr Zeuge hat Sie auch nicht weitergebracht», sagte Oberst Julyan. «Ihre kleine Vorstellung ist nur Zeitver-schwendung gewesen. Oder wollen Sie ihm vielleicht noch mehr Fragen stellen?»

«Es ist ein abgekartetes Spiel», rief Favell. «Ihr habt euch gegen mich verschworen, alle, wie ihr da seid. Jemand muß diesen Blödian bestochen haben, damit er mir mit diesem Lügengefasel kommt.»

«Ich glaube, Ben kann jetzt nach Hause gehen», meinte Oberst Julyan.

«Ja, lauf nur, Ben», sagte Maxim. «Robert soll dich nach Hause fahren. Und hab keine Angst, niemand wird dich in eine Anstalt stecken. Sag Robert, er soll ihm in der Küche etwas zu essen geben», fügte er, zu Frank gewandt, hinzu. «Etwas kaltes Fleisch oder worauf er gerade Lust hat.»

«Lohn für treue Dienste, wie?» sagte Favell. «Für heute hat er sich dir sehr nützlich erwiesen, nicht wahr, Max?»

Frank brachte Ben aus dem Zimmer. Oberst Julyan sagte zu Maxim: «Der arme Kerl schien ja halbtot vor Angst zu sein. Er zitterte wie Espenlaub. Ist er irgendwann mal schlecht behandelt worden?»

«Nein», erwiderte Maxim. «Er ist völlig harmlos, deshalb lasse ich ihn auch überall ungehindert herumlaufen.»

«Er muß aber doch einmal von irgendwem sehr eingeschüchtert worden sein», sagte Oberst Julyan. «Er verdrehte die Augen genau wie ein Hund, der Prügel erwartet.»

«Hätten Sie ihn doch ruhig verprügelt», sagte Favell, «dann hätte er sich schon an mich erinnert; aber nein, Ben wird nicht geprügelt, Ben bekommt ein gutes Abendessen, weil er so brav gewesen ist.»

«Ja, Ihnen hat er nicht viel geholfen», bemerkte Oberst Julyan ruhig. «Wir sind nicht einen Schritt weitergekommen. Sie können auch nicht die Spur eines Beweises gegen de Winter vorbringen, und das wissen Sie. Schon der Beweggrund zur Tat, den Sie angeben, ist nicht stichhal-tig. Vor einem ordentlichen Gericht würden Sie sich nur hoffnungslos lächerlich machen, Favell. Sie behaupten, Mrs. de Winter hätte Sie heiraten wollen, Sie hätten heimlich unerlaubte Beziehungen zu ihr unterhalten und seien mit ihr im Bootshaus zusammengetroffen. Aber selbst der arme Teufel eben schwört darauf, Sie nie gesehen zu haben. Sie können ja nicht einmal glaubhaft machen, daß auch nur der Teil Ihrer Geschichte stimmt.»

«So, das kann ich nicht?» sagte Favell. Er lächelte wieder, ging zum Kamin hinüber und läutete.

«Was wollen Sie jetzt tun?» fragte Oberst Julyan.

«Warten Sie nur ab», sagte Favell.

Ich ahnte schon, was er vorhatte. Frith kam auf das Klingeln herein.

«Bitten Sie Mrs. Danvers, hierher zu kommen», sagte Favell. Frith blickte fragend auf Maxim, der ihm kurz zunickte.

«Ist Mrs. Danvers nicht die Haushälterin?» fragte Oberst Julyan, nachdem Frith aus dem Zimmer gegangen war.

«Jawohl, aber sie war auch Rebeccas Vertraute», sagte Favell. «Sie ist schon bei ihr gewesen, als Rebecca noch ein Kind war, und hat sie mehr oder weniger aufgezogen. Bei Danny werden Sie es mit einem ganz anderen Zeugen zu tun haben als bei Ben.»

Frank trat wieder ins Zimmer. «Den lieben Ben gut ins Bettchen gepackt?» sagte Favell. «Ihm schön zu essen gegeben und ihm den Kopf gestreichelt, weil er ein so artiges Kind war? Diesmal wird euer Gewerkschaftsverein es nicht ganz so leicht haben.»

«Mrs. Danvers wird gleich hier sein», sagte Oberst July-an erklärend zu Frank. «Favell glaubt, aus ihr mehr herausholen zu können.» Frank warf einen schnellen Blick auf Maxim. Oberst Julyan bemerkte es, und ich sah, wie er die Lippen zusammenpreßte. Das gefiel mir nicht. Nein, das wollte mir gar nicht gefallen. Ich fing an, wieder an meinen Nägeln zu kauen.

Wir blickten alle gespannt zur Tür, als Mrs. Danvers eintrat. Vielleicht lag es daran, daß ich sie fast immer nur allein gesehen hatte: neben mir war sie mir immer so groß und hager vorgekommen, aber jetzt erschien sie mir zusammengeschrumpft und geradezu winzig gegen Maxim und Favell und Frank, zu denen sie aufblicken mußte. Sie blieb an der Tür stehen, ihre Hände vor sich gefaltet, und sah von einem zum anderen.

«Guten Abend, Mrs. Danvers», sagte Oberst Julyan.

«Guten Abend, Sir.» Es war wieder die alte, tote, mechanische Stimme, die ich so oft gehört hatte.

«Zunächst möchte ich eine Frage an Sie richten, Mrs. Danvers», sagte Oberst Julyan, «und zwar folgende: Waren Sie von den Beziehungen zwischen Ihrer verstorbenen Herrin und Mr. Favell unterrichtet?»

«Ja, sie waren Vetter und Cousine.»

«Ich meinte nicht den Verwandtschaftsgrad, Mrs. Danvers», sagte Oberst Julyan, «ich meinte noch intimere Beziehungen.»

«Ich fürchte, ich habe Sie nicht verstanden, Sir», sagte Mrs. Danvers.

«Ach, laß das Theater, Danny», fiel Favell ein. «Du weißt ganz genau, worauf der Oberst hinaus will. Ich hab's ihm zwar schon selber gesagt, aber mir will er nicht glauben. Rebecca und ich haben doch jahrelang ein Verhältnis gehabt. Sie hat mich doch geliebt, nicht wahr?»

Zu meinem Erstaunen betrachtete Mrs. Danvers ihn einen Augenblick schweigend mit einem verächtlichen Ausdruck im Gesicht.

«Das hat sie nicht», sagte sie.

«Also hör mal zu, du alte Närrin ...» brauste Favell auf, aber Mrs. Danvers fiel ihm ins Wort.

«Rebecca hat weder Sie noch Mr. de Winter geliebt. Sie hat überhaupt niemanden geliebt. Sie verachtete die Männer. Über so etwas war sie erhaben.»

Favell errötete vor Zorn. «Also hör mal her, Danny. Ist sie mir etwa nicht Nacht für Nacht durch den Wald entgegengekommen? Bist du nicht bis zum frühen Morgen für sie aufgeblieben? Hat sie nicht in London mit mir zusammengelebt?»

«Na und?» brach Mrs. Danvers plötzlich aus. «Hatte sie etwa nicht das Recht, sich zu amüsieren? Die Liebe war für sie nur ein Sport, weiter nichts; das hat sie selbst gesagt. Sie hat es nur getan, weil sie darüber lachen konnte. Jawohl, gelacht hat sie darüber, und über Sie nicht weniger als über alle anderen. Ich habe es oft erlebt, daß sie nach Hause kam und sich aufs Bett warf und sich vor Lachen schüttelte über euch Männer.»

Es war etwas Grauenhaftes, dieser plötzlich entfesselte Wortstrom, scheußlich und völlig unerwartet. Obgleich ich es gewußt hatte, widerte es mich an, es aus Mrs. Danvers' Mund zu hören. Maxim war leichenblaß geworden. Favell starrte sie mit offenem Mund an, als könnte er seinen Ohren nicht trauen. Oberst Julyan zupfte nervös an seinem kleinen Schnurrbart. Minutenlang sprach niemand ein Wort. Nur das ewige Rauschen des Regens war zu hören. Und dann fing Mrs. Danvers an zu weinen. Sie weinte genau wie damals oben in Rebeccas Schlafzimmer. Ich konnte es nicht mit ansehen, ich mußte mich abwenden. Niemand rührte sich. Zu dem Rauschen des Regens gesellte sich jetzt noch der Laut ihres trockenen Schluchzens. Ich hätte schreien mögen, aus dem Zimmer laufen und schreien und schreien.

Keiner von uns machte Anstalten, auf sie zuzugehen und ihr gut zuzusprechen. Endlich - die Zeit war mir wie eine Ewigkeit erschienen - gewann sie ihre Beherrschung wieder, und das Weinen ebbte allmählich ab. Sie stand ganz still; ihre Lippen zuckten, und ihre Hände verkrampften sich in ihrem schwarzen Kleid. Endlich hatte sie sich wieder beruhigt. Da sagte Oberst Julyan ganz leise: «Mrs. Danvers, können Sie irgendeinen Grund angeben, irgendeinen noch so entfernten Grund, warum Ihre Herrin sich das Leben genommen haben könnte?»

Mrs. Danvers schluckte und schüttelte den Kopf. «Nein», sagte sie, «nein».

«Sehen Sie?» sagte Favell triumphierend, «es ist völlig ausgeschlossen. Danny weiß das so gut wie ich.»

«Seien Sie gefälligst ruhig, ja?» sagte Oberst Julyan. «Lassen Sie Mrs. Danvers Zeit zum Überlegen. Wir wissen alle, daß kein uns bekannter Anlaß vorgelegen hat und daß ihr Selbstmord völlig unverständlich erscheint. Ich bezweifle auch die Echtheit dieses Zettels, den Sie mir zeigten, durchaus nicht. Das ist ja ganz offensichtlich: sie hat Ihnen geschrieben, als sie in London war, weil sie Ihnen etwas mitzuteilen hatte. Es ist durchaus möglich, daß eben dieses Etwas den Schlüssel zu der Tragödie darstellt. Geben Sie Mrs. Danvers einmal den Zettel; vielleicht kann sie Licht auf dieses Problem werfen.» Favell zuckte die Achseln; er kramte in seiner Tasche nach dem Papier und warf es dann Mrs. Danvers vor die Füße. Sie bückte sich und hob es auf. Ihre Lippen bewegten sich beim Lesen; sie las es zweimal durch. Dann schüttelte sie den Kopf. «Nein», sagte sie, «das macht mich auch nicht klüger. Wenn sie Mr. Favell wirklich etwas Wichtiges mitzuteilen gehabt hätte, dann wäre sie bestimmt zuerst damit zu mir gekommen.»

«Sie haben sie an jenem Abend nicht mehr gesehen?»

«Nein, ich war nachmittags und abends in Kerrith. Ich werde mir das nie verzeihen, mein Lebtag nicht.»

«Dann können Sie aber auch nicht wissen, in welchem Zustand sie sich an dem Tag befunden hat. Haben Sie denn gar keine Vermutung? Dies

«Nein, Sir, gar nichts.»

«Weiß irgend jemand, wie sie den Tag in London verbracht hat?»

Niemand antwortete. Maxim schüttelte den Kopf, Favell fluchte leise vor sich hin.

«Sie hat den Zettel um drei Uhr nachmittags in meiner Wohnung abgegeben», sagte er dann. «Der Portier hat sie gesehen; sie muß unmittelbar danach wie der Teufel nach Manderley zurückgejagt sein.»

«Mrs. de Winter war von zwölf bis halb zwei beim Friseur», sagte Mrs. Danvers. «Ich erinnere mich noch daran, weil ich Anfang der Woche diese Verabredung für sie getroffen hatte. Von zwölf bis halb zwei. Und nach dem Friseur pflegte sie stets in ihrem Damenklub zu essen. Ich bin überzeugt, daß sie auch an dem Tag dort gegessen hat.»

«Sagen wir also eine halbe Stunde fürs Essen - was hat sie dann aber zwischen zwei und drei getan? Das müssen wir unbedingt herausbekommen», sagte Oberst Julyan.

«Ach, um Christi willen, was kann uns denn interessieren, wo sie von zwei bis drei Uhr gewesen ist!» schrie Fa-vell. «Daß sie sich nicht selbst getötet hat, das ist doch das einzige, was uns hier interessiert!»

«Ich habe ihren Terminkalender in meinem Schreibtisch eingeschlossen», sagte Mrs. Danvers. «Ich habe diese Sachen alle aufbewahrt, weil Mr. de Winter mich nie danach fragte. Es wäre ja möglich, daß sie ihre Verabredungen für jenen Tag auch aufgeschrieben hat. Sie war in dieser Beziehung sehr ordentlich. Sie schrieb alles auf und strich dann alles, was sie erledigt hatte, aus. Wenn Sie glauben, daß es Ihnen von Nutzen sein kann, werde ich das Notizbuch holen.»

«Was meinen Sie, de Winter?» fragte Oberst Julyan. «Haben Sie etwas dagegen, wenn wir es uns einmal ansehen?»

«Selbstverständlich nicht, warum sollte ich?»

Wieder bemerkte ich den raschen, zweifelnden Blick, den der Oberst Maxim zuwarf. Und Frank bemerkte ihn auch und sah seinerseits zu Maxim hinüber. Als sein Blick dann wieder auf mich fiel, stand ich auf und trat ans Fenster. Es kam mir so vor, als ob der Regen etwas nachgelassen hätte. Das Unwetter hatte sich ausgetobt. Der Regen fiel jetzt mit einem leiseren, weicheren Laut. Der Himmel war in das graue Licht der Abenddämmerung getaucht. Der Rasen glänzte nach dem schweren Regen schwarz und naß, und die Bäume ließen ihre zerzausten Zweige trübselig hängen. Über mir hörte ich das Mädchen die Vorhänge zuziehen und das eine oder andere Fenster schließen, das noch offen gewesen war. Sie ging ihrer abendlichen Pflicht so unbekümmert nach wie an jedem anderen Tag. Vorhänge wurden zugezogen, Schuhe zum Putzen in die Küche genommen, die Handtücher im Badezimmer bereitgehängt und Maxims und mein Bad eingelassen. Die Bettdecken wurden zurückgeschlagen und die Pantoffeln herausgestellt. Und hier waren wir in der Bibliothek versammelt, und niemand sprach, und jeder wußte in seinem Herzen, daß Maxim unter Mordanklage stand.

Ich wandte mich um, als ich die Tür leise ins Schloß fallen hörte. Es war Mrs. Danvers, die mit dem Notizbuch zurückgekommen war.

«Wie ich annahm», sagte sie fast tonlos, «hat sie ihre Verabredungen eingetragen. Hier sind die Notizen von ihrem Todestag.»

Sie schlug das kleine rote Lederbändchen auf und reichte es Oberst Julyan. Wieder setzte er seine Brille auf. Wir starrten ihn alle reglos an, während er die Seite überflog. Während er las und wir warteten, hatte ich das Gefühl, daß dieser kurze Augenblick etwas enthielt, was mir größeren Schrecken einflößte als alles, was vorhergegangen war.

Ich grub meine Nägel in die Handflächen. Ich wagte es nicht, Maxim anzusehen. Mußte nicht jeder das laute Pochen in meiner Brust hören?

«Aha», sagte er schließlich. Sein Finger zeigte auf die Mitte der Seite. Jetzt geschieht etwas, dachte ich, etwas Furchtbares wird geschehen. «Ja, hier haben wir es», fuhr er fort. «Friseur um zwölf, wie Mrs. Danvers sagte. Und daneben ein Kreuz. Also ist sie dagewesen. Dann Mittagessen im Klub, ebenfalls angekreuzt. Und was haben wir hier? Baker, zwei Uhr. Wer ist denn Baker?» Er sah Maxim an, der den Kopf schüttelte, und dann Mrs. Danvers.

«Baker?» wiederholte Mrs. Danvers. «Sie hat keinen Baker gekannt. Ich habe den Namen nie gehört.»

«Ja, aber da steht er nun einmal», sagte Oberst Julyan und reichte ihr das Notizbuch hin. «Hier sehen Sie selbst, Baker. Und daneben hat sie ein so dickes Kreuz gemacht, als ob sie den Bleistift hätte durchbrechen wollen. Offenbar ist sie bei diesem Baker gewesen, wer es auch sein mag.»

Mrs. Danvers starrte den Namen im Notizbuch und das Kreuz daneben an. «Baker -» sagte sie nachdenklich, «Baker».

«Ich glaube, wenn wir in Erfahrung bringen könnten, wer dieser Baker ist, würden wir der Sache bald auf den Grund kommen», sagte Oberst Julyan. «Sie hatte sich doch nicht mit Geldverleihern eingelassen?»

Mrs. Danvers sah ihn geringschätzig an. «Mrs. de Winter?» sagte sie.

«Es könnte ja auch ein Erpresser sein», sagte der Oberst mit einem Seitenblick auf Favell.

Aber Mrs. Danvers schüttelte den Kopf. «Baker», wiederholte sie, «Baker.»

«Sie hatte keinen Feind? Gab es keinen Menschen, der sie bedroht und vor dem sie sich gefürchtet haben könnte?»

«Mrs. de Winter und sich fürchten!» sagte Mrs. Danvers. «Sie hat vor nichts und vor niemand Angst gehabt. Nur eins hat sie gelegentlich bekümmert, und das war der Gedanke an das Alter, an Krankheit, an einen Tod im Bett. Dann sagte sie immer zu mir:

Sie sah Oberst Julyan eindringlich fragend an. Aber er antwortete nicht, er strich sich zögernd seinen Schnurrbart und warf Maxim wieder einen Blick zu.

«Was soll denn dieser verdammte Unsinn eigentlich?» rief Favell ungeduldig aus und trat einen Schritt vor. «Wir entfernen uns nur vom einzig Wesentlichen. Was geht uns denn dieser Baker an? Was hat denn der damit zu tun? Wahrscheinlich ist das irgend so ein Spezialgeschäft für Seidenstrümpfe oder Hautcreme. Wenn Baker eine Bedeutung für sie gehabt hätte, dann würde Danny ihn bestimmt kennen. Vor Danny hat Rebecca keine Geheimnisse gehabt.»

Ich beobachtete Mrs. Danvers. Sie blätterte in dem Notizbuch. Plötzlich rief sie: «Ach, hier steht ja noch etwas, hinten unter den Telephonnummern. Baker und daneben eine Nummer, 0488. Aber ohne Amt.»

«Brillant, Danny», sagte Favell. «Du wirst auf deine alten Tage noch ein richtiger Detektiv, was? Aber du kommst zwölf Monate zu spät. Vor einem Jahr wäre deine Entdeckung vielleicht von Nutzen gewesen.»

«Ja, das wird schon seine Nummer sein», sagte Oberst Julyan, «0488 und daneben der Name Baker. Warum sie wohl das Amt fortgelassen hat?»

«Probieren Sie doch alle Ämter von London durch», höhnte Favell. «Das wird Sie zwar die ganze Nacht in Anspruch nehmen, aber das macht uns ja gar nichts aus. Max läßt es völlig kalt, und wenn seine Telephonrechnung auch hundert Pfund betragen sollte, nicht wahr, Max? Du willst ja Zeit gewinnen, und das würde ich auch, wenn ich in deinen Schuhen steckte.»

«Hier neben der Nummer steht ein Krakel, der ein Buchstabe sein könnte», sagte der Oberst. «Sehen Sie sich das doch mal an, Mrs. Danvers. Könnte es vielleicht ein M sein?»

Mrs. Danvers nahm das Notizbuch wieder in die Hand. «Möglich», sagte sie zweifelnd. «Es sieht zwar nicht wie ihr gewöhnliches M aus, aber vielleicht hat sie es besonders eilig geschrieben.»

«Mayfair 0488», sagte Favell, «genial, was für ein Köpfchen!»

«Und jetzt?» sagte Maxim und zündete sich seine erste Zigarette an. «Irgend etwas muß doch jetzt geschehen. Frank, ruf bitte Mayfair 0488 an.»

Mein Herz wollte sich nicht beruhigen. Ich stand ganz still und hielt die Arme an mich gepreßt. Maxim sah mich nicht an.

«Los schon, Frank», sagte er, «worauf wartest du noch?»

Frank ging ins Nebenzimmer. Wir warteten, während er das Amt anrief. «Sie rufen gleich zurück», sagte er. Oberst Julyan legte die Arme auf den Rücken und fing an, im Zimmer auf und ab zu gehen. Niemand sprach. Nach ein paar Minuten klingelte das Telephon mit dem langanhaltenden, aufreizenden Schrillen des Fernrufs. Frank ging wieder an den Apparat. «Ist dort Mayfair 0488?» hörten wir ihn fragen. «Können Sie mir sagen, ob ein gewisser Baker dort zu erreichen ist? Ach so, entschuldigen Sie. Ich muß das falsche Amt gewählt haben, vielen Dank.»

Das kleine Knacken sagte uns, daß er den Hörer aufgelegt hatte. Dann kam er wieder ins Zimmer. «Das war eine Lady Eastleigh, hat nie in ihrem Leben was von einem Baker gehört.»

Favell lachte heiser. «Nur nicht den Mut verlieren, Spürhund Nummer 1, es gibt ja nur ein paar tausend Baker in London. Welches Amt nehmen wir jetzt?»

«Versuchen Sie Museum», schlug Mrs. Danvers vor.

Frank sah Maxim an. «Ja, los», sagte Maxim.

Die Farce wurde wiederholt. Oberst Julyan nahm seinen Spaziergang durchs Zimmer wieder auf. Wieder mußten wir fünf Minuten warten, bis das Amt aus London uns anrief, und wieder ging Frank an den Apparat. Er ließ die Tür weit offenstehen; er stand an den Tisch gelehnt und preßte den Hörer dicht ans Ohr.

«Hallo, ist das Museum 0488? Können Sie mir sagen, ob ein gewisser Baker dort wohnt? Bitte, wer spricht da? Der Nachtportier? Ja ja, ich verstehe. Keine Büroräume. Nein, natürlich nicht. Können Sie mir seine Adresse geben? Ja, es ist sehr dringend.» Er rief uns über die Schulter zu: «Ich glaube, wir haben ihn.»

Lieber Gott, laß es nicht wahr sein. Laß diesen Baker nicht gefunden werden. Lieber Gott, laß diesen Baker gestorben sein. Ich wußte, wer Baker war, ich hatte es von Anfang an geahnt. Ich beobachtete Frank durch die offene Tür; ich sah, wie er sich plötzlich vorbeugte und seinen Bleistift zückte. «Hallo? Ja, ich bin noch da. Können Sie bitte buchstabieren? Ja, danke schön. Sehr freundlich von Ihnen, gute Nacht.»

Als Frank zu uns zurückkam, hielt er ein Stück Papier in der Hand. Frank, der Maxim liebte, wußte nicht, daß dieser kleine Papierfetzen das einzige Beweisstück war, und daß das, was darauf stand, Maxim mit derselben tödlichen Sicherheit vernichten konnte wie ein Dolchstoß in den Rücken.

«Es war der Nachtportier eines Hauses in Bloomsbury», sagte er. «In dem Haus gibt es keine Wohnungen. Es befinden sich dort nur die Konsultationsräume verschiedener Ärzte. Offenbar hat dieser Baker seine Praxis schon vor sechs Monaten aufgegeben. Aber der Nachtportier hat mir seine Adresse mitgeteilt. Ich habe sie hier aufgeschrieben.»

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