Es war sehr still in der Bibliothek. Der einzige Laut kam von Jasper, der seine Pfote leckte. Er mußte sich einen Dorn eingetreten haben, denn er biß und rieb seine Ballen unaufhörlich. Dann hörte ich das Ticken von Maxims Armbanduhr dicht an meinem Ohr. Kleine Alltagsgeräusche. Aus irgendeinem Grunde kam mir das Sprichwort aus meiner Schulzeit in den Sinn: «Zeit und Gezeiten warten auf keinen.»
Wenn jemand einen großen Schmerz erleidet, den Tod eines nahestehenden Menschen oder den Verlust eines Gliedes, dann empfindet er ihn zunächst gar nicht, glaube ich. Wenn einem die Hand amputiert wird, dann weiß man zuerst noch nicht, daß man sie verloren hat. Man fühlt immer noch die Finger. Man streckt sie aus und krümmt sie, einen nach dem anderen, und das, was man fühlt, ist doch gar nicht mehr da. Ich kniete dort neben Maxim, dicht an ihn geschmiegt, meine Hände auf seinen Schultern, und ich empfand nichts, weder Schmerz noch Furcht, und mein Herz kannte kein Entsetzen. Ich überlegte mir, daß ich den Dorn aus Jaspers Fuß ziehen müßte, und ob Robert bald kommen würde, um das Teegeschirr abzuräumen. Ich wunderte mich über mich selber, daß ich in diesem Augenblick an solche Belanglosigkeiten denken konnte, an Jaspers Pfote, Maxims Uhr, Robert und das Teegeschirr. Meine Empfindungslosigkeit und diese merkwürdige Herzenskälte erschreckten mich. Allmählich werde ich wieder anfangen zu fühlen, sagte ich mir, allmählich werde ich zu verstehen lernen. Alles, was er mir erzählt hat und was geschehen ist, wird sich zu einem Ganzen zusammenfügen wie die verschiedenen Teilchen eines Puzzlespiels und sich mir dann in einem klaren Muster präsentieren. Aber noch bin ich ein Schemen; ich habe kein Herz und keine Gedanken und kein Gefühl. Ich bin eine leblose Form in Maxims Arm. Dann fing Maxim an, mich zu küssen. So hatte er mich noch nie geküßt. Ich umklammerte seinen Kopf mit meinen Händen und schloß die Augen.
«Ich liebe dich so sehr», flüsterte er.
Das hatte ich Tag und Nacht von ihm zu hören gehofft, und jetzt sagte er es endlich. Darauf hatte ich in Monte Carlo, in Italien und hier in Manderley gewartet. Jetzt sagte er es. Ich öffnete die Augen und sah hinter seinem Kopf ein Stück des Vorhangs. Er fuhr fort, mich zu küssen, hungrig, verzweifelt, während er immer wieder meinen Namen flüsterte. Ich betrachtete den Vorhang, und es fiel mir auf, daß der Stoff an einer Stelle von der Sonne ausgebleicht war. Wie ruhig ich bin, dachte ich, wie kühl. Hier beobachte ich ein gleichgültiges Stück Vorhang, während Maxim mich küßt und mir zum ersten Mal sagt, daß er mich liebt.
Plötzlich hielt er inne, schob mich von sich und stand auf. «Siehst du, ich hatte recht», sagte er. «Es ist zu spät. Du liebst mich nicht mehr. Und warum solltest du auch?» Er ging durchs Zimmer und lehnte sich an den Kaminsims. «Wir wollen das eben vergessen», sagte er. «Es wird nicht wieder vorkommen.»
Das Verstehen brandete in mir empor, und mein Herz begann wild in panischem Schrecken zu klopfen. «Es ist nicht zu spät», rief ich und lief zu ihm hin und warf meine Arme um ihn. «So darfst du nicht sprechen, du verstehst nicht. Ich liebe dich mehr als alles in der Welt. Aber eben war ich noch zu benommen und erschüttert, um etwas fühlen zu können, als du mich küßtest. Ich begriff gar nichts. Jede Empfindung hatte mich verlassen.»
«Ja», sagte er, «du liebst mich nicht mehr, deshalb hast du nichts gefühlt. Ich verstehe sehr gut. Ich habe zu lange gewartet, nicht wahr?»
«Nein», sagte ich.
«Ich hätte nicht so lange warten dürfen», sagte er. «Ich hätte daran denken müssen, daß Frauen anders sind als Männer.»
«Bitte küß mich wieder, Maxim, bitte!»
«Nein», sagte er, «es hat keinen Sinn mehr.»
«Jetzt können wir einander nie mehr verlieren», sagte ich. «In Zukunft werden wir immer zusammen sein, und kein Schatten, kein Geheimnis wird zwischen uns stehen. Bitte, Liebster, bitte!»
«Für uns gibt es keine Zukunft», sagte er. «Wir haben nur noch ein paar Tage, vielleicht nur Stunden. Wie können wir jetzt noch zusammenbleiben? Ich erzählte dir doch, daß man das Boot gefunden hat. Man hat Rebecca gefunden.»
Ich starrte ihn verständnislos an. «Und was wird geschehen?» fragte ich.
«Man wird die Leiche identifizieren», sagte er, «und sie werden alles in der Kajüte finden, was ihnen diese Aufgabe erleichtert: ihre Kleider, ihre Schuhe, die Ringe an ihren Fingern. Und dann wird man sich jener anderen Frau erinnern, die an Rebeccas Stelle begraben wurde.»
«Und was wirst du tun?» flüsterte ich.
«Ich weiß nicht», sagte er. «Ich weiß nicht.»
Ich fühlte, wie mein Empfindungsvermögen wieder zurückkehrte, ganz allmählich, wie ich es erwartet hatte.
Meine Hände waren nicht mehr kalt, sondern warm und feucht. Ich fühlte, wie mir das Blut ins Gesicht stieg. Meine Wangen glühten. Ich dachte an Captain Searle, den Taucher, den Agenten von Lloyd, an alle die Männer, die sich über die Reling des gestrandeten Schiffes gelehnt und in die Tiefe gestarrt hatten; ich dachte an die Ladenbesitzer von Kerrith, an die Laufburschen, die pfeifend durch die Straßen gingen, an den Pfarrer in der Kirche, an Lady Crowan beim Rosenschneiden in ihrem Garten, an die Frau mit dem rosagestreiften Kleid und ihren kleinen Jungen. Bald würden sie es alle wissen, in wenigen Stunden. Eine Leiche in der Kajüte. Rebecca lag in der Kajüte auf dem Boden, nicht in der Familiengruft. Dort lag eine andere Frau. Maxim hatte Rebecca getötet. Rebecca war gar nicht ertrunken. Maxim hat sie getötet. Er hatte sie in dem Bootshaus am Waldrand erschossen. Er hatte die Tote in das Boot getragen und das Boot draußen in der Bucht versenkt. Die einzelnen Stücke des Puzzlespiels drängten sich jetzt, das Muster zu vervollständigen. Unzusammenhängende Bilder zogen blitzartig durch meine verwirrten Gedanken. Maxim neben mir im Wagen in Südfrankreich. «Vor einem Jahr ereignete sich etwas, was mein Leben von Grund auf geändert hat. Ich mußte ganz von vorn anfangen ...» Maxims Schweigen, Maxims Stimmungen. Wie er es vermied, von Rebecca zu sprechen, Rebeccas Namen zu nennen. Maxims Ärger, als ich zum ersten Mal in die andere Bucht hinüberkletterte. «Wenn du meine Erinnerungen hättest, würdest du auch nicht dorthin gehen wollen.» Wie er den Pfad durch den Wald hinaufgestürmt war, ohne sich umzusehen. Maxim, wie er nach Rebeccas Tod in der Bibliothek auf- und abgegangen war, auf und ab, hin und her. «Ich bin ziemlich überstürzt abgereist», hatte er zu Mrs. Van Hopper gesagt, während eine messerscharfe Falte sich zwischen seinen Brauen eingrub. «Man behauptet, er könne den Tod seiner Frau nicht verwinden.» Der Kostümball gestern abend, und ich in demselben Kleid wie Rebecca oben auf dem Treppenabsatz. «Ich habe Rebecca getötet», hatte Maxim gesagt. «Ich erschoß Rebecca in dem Bootshaus am Waldrand.» Und der Taucher hatte sie dort unten auf dem Boden der Kajüte entdeckt .
«Was sollen wir tun?» fragte ich. «Was sollen wir sagen?»
Maxim antwortete nicht. Er stand an den Kaminsims gelehnt und starrte mit weit aufgerissenen Augen vor sich hin.
«Weiß noch jemand davon?» fragte ich. «Irgend jemand?»
Er schüttelte den Kopf. «Nein», sagte er.
«Nur du und ich?»
«Ja, nur du und ich.»
«Und Frank?» sagte ich plötzlich. «Bist du sicher, daß Frank nichts davon ahnt?»
«Wie könnte er?» sagte Maxim. «Es war finstere Nacht, und niemand wußte, daß ich zum Bootshaus gegangen war.» Er hielt inne, ließ sich in einen Sessel fallen und stützte seinen Kopf in die Hände. Ich ging zu ihm und kniete bei ihm nieder. Er saß regungslos still. Ich zog seine Hände vom Gesicht und blickte ihm in die Augen. «Ich liebe dich», flüsterte ich. «Ich liebe dich. Willst du mir nicht glauben?» Er bedeckte mein Gesicht und meine Hände mit Küssen. Wie ein Kind, das Schutz sucht, hielt er meine beiden Hände umklammert.
«Ich dachte, ich würde wahnsinnig», sagte er. «Wie ich hier untätig sitzen mußte, Tag für Tag, und darauf wartete, daß sich etwas ereignete. Dort am Schreibtisch sitzen zu müssen und auf die Kondolenzbriefe zu antworten. Die Nachrufe in den Zeitungen, die Pressereporter, das ganze Nachspiel eines Unglücksfalles. Und dann sich zu zwingen, normal und natürlich zu erscheinen, zu essen und zu trinken. Und Frith und Robert und das ganze Personal. Und Mrs. Danvers. Mrs. Danvers, die ich nicht zu entlassen wagte, denn bei ihrer Liebe zu Rebecca hätte sie vielleicht etwas ahnen, etwas vermuten können . Und Frank, der Freund, der sich nie aufdrängte, aber mir auch nie von der Seite wich. Ich ließ seine Hände nicht los und schmiegte mich noch enger an ihn. «Fast hätte ich's dir einmal schon gesagt», fuhr er fort, «damals, als Jasper uns über die Felsen davonlief und du ins Bootshaus gingst, um nach einer Schnur zu suchen. Damals saßen wir auch hier, und dann kamen Frith und Robert mit dem Tee.» «Ja», sagte ich. «Ich weiß noch; warum hast du es mir nur nicht gesagt? Wieviel Zeit haben wir nutzlos verstreichen lassen; wie glücklich hätten wir in all diesen Wochen und Tagen sein können!» «Du bist mir immer ausgewichen», sagte er. «Du bist mit Jasper spazierengegangen, du hast dich versperrt. Du bist nie so wie jetzt zu mir gekommen.» «Warum hast du es mir nur nicht gesagt?» flüsterte ich. «Warum nur?» «Ich dachte, du wärest unglücklich und langweiltest dich», erwiderte er. «Ich bin so viel älter als du. Du schienst dich mit Frank viel besser unterhalten zu können als mit mir. Mir gegenüber warst du immer so merkwürdig, so verlegen und scheu.» «Wie konnte ich denn zu dir kommen, wenn ich wußte, daß du an Rebecca dachtest?» sagte ich. «Wie konnte ich erwarten, daß du mich liebst, wenn ich annehmen mußte, daß du noch immer Rebecca liebtest?» Er zog mich fest an sich und blickte mir forschend in die Augen. «Wovon redest du? Was meinst du damit?» Ich richtete mich auf. «Wenn du zu mir sprachst und mich ansahst, mit mir spazierengingst oder wenn wir zusammen aßen, ich hatte immer das Gefühl, daß du bei dir dachtest: «Hatte ich denn nicht recht?» fragte ich. «O mein Gott!» sagte er. Er schob mich von sich fort, stand wieder auf und begann von neuem im Zimmer hin-und herzugehen. «Was ist denn? Was hast du denn?» Er schnellte herum und starrte mich an. «Du dachtest, ich liebe Rebecca?» fragte er mit leiser Stimme. «Du dachtest, daß ich sie getötet habe, obgleich ich sie liebte? Ich haßte sie, will ich dir sagen; unsere Ehe war von Anfang an eine Farce. Sie war durch und durch verdorben und böse und verkommen. Wir haben einander nie geliebt, wir sind nicht einen Tag glücklich zusammen gewesen. Rebecca war unfähig zu lieben; Zärtlichkeit und Anstand waren ihr fremd. Sie war nicht ganz normal.» Ich saß auf dem Boden, die Arme um meine Knie geschlungen, und sah ihn entgeistert an. «Klug war sie allerdings», sagte er. «Verdammt klug. Niemand, der sie kannte, hätte etwas anderes gedacht, als daß sie eine große Dame und die Liebenswürdigkeit und die Güte in Person sei. Sie wußte genau, wie sie die Menschen zu nehmen hatte, und verstand es, sich jeder Stimmung anzupassen. Wenn sie dich kennengelernt hätte, dann wäre sie Arm in Arm mit dir in den Garten gegangen, hätte Jasper gerufen und sich mit dir über Blumen, Musik und Malerei unterhalten, über irgend etwas, wofür sie ein Interesse bei dir vermuten durfte; und du wärst genau wie die anderen ihrem Reiz erlegen. Du hättest zu ihren Füßen gesessen und sie angebetet.» Mit ruhelosen Schritten durchquerte er die Bibliothek, auf und ab, auf und ab. «Als ich sie heiratete, hieß es, ich sei der glücklichste Mensch auf der Welt. Sie war so schön, so begabt und so geistreich. Selbst Granny, die damals noch an jedem jungen Menschen etwas auszusetzen hatte, war von Anfang an von ihr bezaubert. Stück für Stück ging das Puzzlespiel seiner Vollendung entgegen, und die wahre Rebecca nahm vor meinen Augen Gestalt an und trat aus ihrem Schattendasein wie ein totes Porträt, das plötzlich zum Leben erweckt wird. Rebecca, mit blutigen Sporen den Hengst bändigend; Rebecca, das Leben mit beiden Händen anpackend; Rebecca, wie sie sich mit einem triumphierenden Lächeln über die Galeriebrüstung beugt. Und ich sah mich wieder am Strand neben dem armen erschrockenen Ben stehen. «Sie sind so freundlich», hatte er gesagt, «gar nicht wie die andere. Sie werden mich doch nicht in die Anstalt sperren lassen, nicht wahr?» Durch den Wald wanderte des Nachts eine hohe schlanke Gestalt; man fürchtete sie wie eine Schlange . Maxim sprach noch. Maxim ging in der Bibliothek auf und ab. «Ich bin schnell klug geworden», sagte er. «Fünf Tage nach unserer Hochzeit. Du erinnerst dich an den Berg über Monte Carlo, zu dem wir gefahren sind? Ich wollte wieder dort stehen und mich erinnern. Sie hatte lachend dort oben gesessen, und ihr schwarzes Haar flatterte im Wind. Sie erzählte mir von sich selbst, Dinge, die ich keiner Menschenseele wiedererzählen kann. Da erkannte ich, was ich getan, wen ich geheiratet hatte. Schönheit, Geist und gute Kinderstube - mein Gott!» Er brach unvermittelt ab. Er stellte sich ans Fenster und blickte in den Garten hinaus. Plötzlich fing er an zu lachen. Er stand dort und lachte hemmungslos. Mich schauderte, ich konnte es nicht ertragen, ich fürchtete mich. «Maxim!» rief ich, «Maxim!» Er zündete sich eine Zigarette an und rauchte schweigend. Dann wandte er sich wieder zu mir um. «Damals hätte ich sie beinahe schon getötet», sagte er. «Es wäre so leicht gewesen. Ein einziger falscher Schritt. Du erinnerst dich gewiß an den Abgrund. Ich erschreckte dich, nicht wahr? Du dachtest wahrscheinlich, ich sei wahnsinnig. Vielleicht war ich es auch. Vielleicht bin ich es noch. Es ist schwer, normal zu bleiben, wenn man mit einem Teufel zusammenleben muß.» Ich folgte mit den Augen seinen nervösen Schritten hin und her, hin und her. «Da oben am Rand des Abgrundes traf sie ein Abkommen mit mir. Maxim warf seine halbgerauchte Zigarette in den Kamin. «Aber damals brachte ich sie noch nicht um», sagte er. «Ich beobachtete sie und ließ sie lachen und sagte nichts. Wir stiegen ins Auto und fuhren wieder hinunter. Und sie wußte, daß ich auf ihren Vorschlag eingehen würde, nach Manderley zurückkehren, ein großes Haus führen und unsere Ehe als vorbildlich hinstellen lassen würde. Sie wußte, daß ich Stolz und Ehre und jede anständige Eigenschaft lieber opfern würde, als eine Woche nach der Hochzeit schon vor unsere kleine Welt treten zu müssen und ihr das preiszugeben, was Rebecca mir erzählt hatte. Sie wußte, ich würde nie einen Scheidungsprozeß auf mich nehmen und sie bloßstellen und uns in den Zeitungen mit Schmutz bewerfen und es dazu kommen lassen, daß alle unsere Nachbarn zu tuscheln anfingen, wenn mein Name fiel, und daß die Parktore zum Ausflugsziel für die Kleinbürger aus Kerrith wurden. Sie wußte, ich würde es nicht ertragen können, die Leute sagen zu hören: Er blieb vor mir stehen und hielt mir seine Hände hin. «Du verachtest mich, nicht wahr?» sagte er. «Du kannst meinen Ekel und meinen Abscheu, meine Beschämung nicht verstehen.» Ich sagte nichts. Ich preßte seine Hände an mein Herz. Was bekümmerte mich jetzt, was vergangen war? Nichts von all dem, was er mir erzählt hatte, beeindruckte mich. Ich klammerte mich nur an eins, und ich wiederholte es mir immer wieder: Maxim liebt Rebecca gar nicht. Er hat sie nie geliebt, niemals. Sie sind nicht einen einzigen Tag zusammen glücklich gewesen. Maxim sprach, und ich hörte ihm zu, aber seine Worte blieben nicht in mir haften, sie waren mir gleichgültig. «Ich habe zuviel an Manderley gedacht», sagte er. «Ich hatte Manderley vor alles andere gestellt. Und eine solche Liebe gedeiht nicht. Eine solche Liebe wird auch nicht in der Kirche gepredigt. Christus hat nichts von Steinen und Ziegeln und Mauern gesagt, nichts von der Liebe, die ein Mann für seinen Acker, seinen Besitz, sein kleines Königreich empfindet. Das christliche Glaubensbekenntnis nennt diese Liebe nicht.» «Mein Liebster», sagte ich, «Maxim, mein Geliebter.» Ich legte mein Gesicht in seine Hände und küßte sie. «Verstehst du?» sagte er. «Kannst du verstehen?» «Ja», sagte ich, «mein einziger, mein Geliebter!» Aber ich wandte mein Gesicht ab, damit er es nicht sehen konnte. Was machte es schon, ob ich ihn verstand oder nicht. Das Herz war mir so leicht wie eine Feder im Wind. Er hatte Rebecca niemals geliebt. «Ich will nicht mehr an jene Jahre zurückdenken», sagte er langsam. «Ich möchte dir nicht einmal davon erzählen. Die Schande und die Erniedrigung! Die Lüge, die wir zusammen lebten, sie und ich. Diese jämmerliche unwürdige Komödie, die wir vor Freunden und Verwandten, selbst vor den Dienstboten, vor dem alten treuen Frith aufführten. Alle glaubten an sie, alle bewunderten sie; sie ahnten nicht, wie sie sich hinter ihrem Rücken über sie lustig machte, sie verspottete, sie nachäffte. Ich erinnere mich noch an Tage, als das Haus voller Gäste war; wir veranstalteten irgendein Fest, einen Gartentee oder eine Maske-rade; und sie ging mit dem Lächeln eines Engels an meinem Arm umher und verteilte Geschenke an die Kinder; und am Tag danach fuhr sie bereits im Morgengrauen nach London in ihre kleine Wohnung, wie ein Tier, das in seine Höhle flieht. Und erst nach fünf Tagen unbeschreiblicher Ausschweifungen kehrte sie zurück. Aber ich hielt mich an unsere Abmachung; ich ließ mir nie etwas anmerken. Ihr verdammter Geschmack hat Manderley zu dem gemacht, was es heute ist. Die Gärten, die Ziersträucher, selbst die Azaleen im Glücklichen Tal - glaubst du, daß das alles schon so ausgesehen hat, als mein Vater noch lebte? Mein Gott, nein, damals war Manderley eine Wildnis, wunderbar wild und einsam, von einer ganz eigenen Schönheit, das wohl, aber es schrie geradezu nach sorgfältiger Pflege und nach dem Geld, das mein Vater nie dafür ausgeben wollte und das auch ich nie daran gewandt hätte, wäre Rebecca nicht gewesen. Die Hälfte von all den Sachen hier ist gar kein Familienbesitz. Der Salon, das Morgenzimmer, wie diese Räume heute aussehen - alles Re-beccas Werk. Die Stühle da, die Frith den Besuchern immer mit besonderem Stolz zeigt, die Gobelins - wieder Rebecca. O natürlich, ein paar Sachen hat sie auch hier aufgetrieben, die irgendwo in Bodenkammern und Hinterzimmern verstaut gewesen waren; denn Vater verstand nichts von Möbeln oder Bildern, aber das meiste hat Rebecca erst gekauft. Die Schönheit von Manderley, die du heute bewunderst, das Manderley, von dem man spricht, das man photographiert und malt, das ist nur ihr, nur Re-beccas Werk.» Ich schwieg und hielt ihn fest in meinen Armen. Ich wollte, daß er weitersprach, damit seine Bitterkeit sich löste und mit den Worten all der aufgespeicherte Haß, der Widerwillen und der Schlamm seiner verlorenen Jahre fortgeschwemmt wurde. «Und so lebten wir», sagte er, «Monat auf Monat, Jahr um Jahr. Ich nahm alles hin um Manderleys willen. Was Rebecca in London tat, berührte mich nicht, weil es Man-derley nicht schadete. Und sie war sehr vorsichtig in jenen ersten Jahren. Nicht einmal ein Flüstern wurde über sie laut. Aber allmählich ließ sie sich gehen. Weißt du, so, wie ein Mann zu trinken anfängt. Zuerst nur ein wenig, vielleicht nur alle fünf Monate eine richtige Trunkenheit. Und dann wird der Zwischenraum immer kürzer. Bald kommt es jeden Monat vor, dann alle zwei Wochen und schließlich fast täglich. Und damit verliert er jeden Halt und auch die vorgetäuschte Haltung. So ging es auch Rebecca. Es fing damit an, daß sie ihre Freunde hierher einlud. Erst einen oder zwei, die unter den anderen Wochenendgästen nicht auffielen, so daß ich zunächst nicht ganz sicher war. Dann veranstaltete sie Picknicks unten im Bootshaus. Ich kam einmal von einer Jagdtour aus Schottland zurück und überraschte sie dort mit einem halben Dutzend Leute, die ich vorher nie gesehen hatte. Ich warnte sie, aber sie zuckte nur mit den Schultern. Ich stellte Rebecca deswegen zur Rede, und sie brauste sofort auf und beschimpfte mich mit all den gemeinen Unflätigkeiten ihres Sprachschatzes. Es war ein scheußlicher Auftritt. Sie fuhr am nächsten Tag nach London und blieb einen Monat. Als sie zurückkam, verhielt sie sich zuerst ganz ruhig, so daß ich schon glaubte, sie habe endlich Vernunft angenommen. Am Wochenende darauf kamen Bee und Giles zu Besuch. Bei dieser Gelegenheit bemerkte ich, was ich schon längere Zeit vermutet hatte, daß nämlich Bee Rebecca nicht mochte. Wahrscheinlich hat sie sie mit ihrer komischen unverblümten Art durchschaut oder jedenfalls erraten, daß etwas nicht in Ordnung war. Es war ein ungemütliches, nervöses Wochenende. Giles ging mit Rebecca segeln, Bee und ich faulenzten auf dem Rasen in unseren Liegestühlen. Und als die beiden zurückkamen, erkannte ich sofort an Giles' übertrieben lärmender Herzlichkeit und an Rebeccas Augen, daß sie mit ihm angefangen hatte wie mit Frank. Ich sah, wie Bee ihren Giles beim Essen beobachtete, der lauter als sonst lachte und etwas zu viel sprach. Und Rebecca saß am Kopfende der Tafel mit dem unschuldigen Gesicht eines Engels.» Sie fügten sich gut ineinander, die einzelnen Stückchen dieses Puzzlespiels, die merkwürdig verzerrten Formen, die meine ungeschickten Finger niemals zusammengebracht hatten. Franks sonderbares Gesicht, als ich von Rebecca sprach. Beatrice und ihre gleichgültig abweisende Miene, wenn Rebeccas Name fiel. Das Schweigen, das ich immer für Trauer und Zuneigung gehalten hatte, war ein Schweigen der Verlegenheit und der Scham gewesen. Es schien mir jetzt unfaßlich, daß ich es vorher nicht verstanden hatte. Ich dachte, wie viele Menschen in der Welt wohl litten und nicht aufhörten zu leiden, weil sie dem Netz ihrer eigenen Scheu und Zurückhaltung nicht entrinnen konnten und statt dessen in ihrer törichten Blindheit eine hohe Mauer um sich errichteten, die die Wahrheit verbarg. «Das war das letzte Wochenende, das Bee und Giles auf Manderley verbrachten», sprach Maxim weiter. «Ich lud sie auch nie wieder allein ein. Sie kamen nur noch bei offiziellen Gelegenheiten, Gartenfesten und Bällen. Bee ließ mir gegenüber kein Wort darüber verlauten, und ich sprach auch nicht mit ihr darüber. Aber ich glaube, sie erriet, was für ein Leben ich führte. Ebenso wie Frank. Rebecca wurde wieder vorsichtig. Nach außen hin war ihr Benehmen untadelig. Aber wenn ich einmal von Mander-ley abwesend sein mußte und sie allein zurückblieb, konnte ich nie sicher sein, worauf sie verfallen würde. Mit Frank und Giles hatte es angefangen. Ihr nächstes Opfer konnte einer der Gutsangestellten oder jemand aus Kerrith sein, irgend jemand ... Dann wäre die Bombe geplatzt; der Klatsch, die Öffentlichkeit, die ich fürchtete, wären über Manderley hergefallen.» In Gedanken stand ich wieder am Bootshaus, hörte das Trommeln des Regens auf dem Dach, sah den Staub auf den Schiffsmodellen, die Rattenlöcher im Sofa und Bens irre, starrende Idiotenaugen. «Sie werden mich doch nicht in die Anstalt stecken?» «Sie hatte einen Vetter», sagte Maxim. «Ein Bursche, der sich lange im Ausland herumgetrieben hatte und wieder nach England gekommen war. Er pflegte regelmäßig herzukommen, wenn ich verreiste. Frank sah ihn oft. Jack Favell heißt er.» «Ich kenne ihn», unterbrach ich Maxim. «Er war damals hier, als du nach London fahren mußtest.» «Du hast ihn auch gesehen? Warum hast du mir's denn nicht gesagt? Ich erfuhr es von Frank, der seinen Wagen in die Anfahrt einbiegen sah.» «Ich tat es absichtlich nicht», sagte ich. «Ich hatte Angst, er könnte dich an Rebecca erinnern.» «Mich an sie erinnern?» flüsterte Maxim. «Mein Gott, als ob es dazu einer Erinnerung bedurft hätte!» Er starrte eine Zeitlang schweigend vor sich hin, und ich fühlte, daß er ebenso wie ich an jene überflutete Kajüte auf dem Meeresgrund dachte. «Sie pflegte diesen Favell unten im Bootshaus zu empfangen», sagte er dann. «Hier im Haus gab sie bekannt, sie würde eine Segeltour machen und erst am nächsten Morgen zurück sein. Und dann verbrachte sie die ganze Nacht mit ihm im Bootshaus. Wieder warnte ich sie. Ich sagte ihr, ich würde ihn erschießen, wenn ich ihn irgendwo auf meinem Grund und Boden anträfe. Seine Vergangenheit war eine Kette von Laster und Ausschweifung . Der bloße Gedanke, er könnte den Wald von Manderley betreten, vielleicht gar das Glückliche Tal, ließ mich rot sehen. Sie zuckte die Schultern und vergaß ihr übliches Geschimpfe. Und mir fiel auf, wieviel blasser sie aussah als sonst, so abgespannt und verstört. So ging es eine Weile, ohne daß sich etwas ereignet hätte. Dann fuhr sie eines Tages nach London und kam ganz gegen ihre Gewohnheit noch an demselben Abend zurück. Ich hatte sie nicht erwartet und aß drüben bei Frank, weil wir noch eine Menge Arbeit zu erledigen hatten.» Er redete jetzt in kurzen, abgehackten Sätzen. Ich hielt seine Hände fest in den meinen. «Ich kam erst um halb elf nach Hause und entdeckte ihren Schal und ihre Handschuhe auf einem Stuhl in der Halle. Ich wunderte mich, warum sie wohl so rasch zurückgekommen sei. Ich ging ins Morgenzimmer, aber dort war sie nicht. Ich nahm an, daß sie in die Bucht zu ihrem Bootshaus gegangen war. Und mit einem Mal wurde mir klar, daß ich dieses Leben der Lüge, der Täuschung und der Erniedrigung nicht länger aushalten konnte. Die Angelegenheit mußte bereinigt werden, so oder so. Ich steckte einen Revolver ein, um den Burschen zu erschrecken, um ihnen beiden einen Schrecken einzujagen. Ich ging geradewegs durch den Wald zum Bootshaus. Von den Dienstboten hatte niemand gemerkt, daß ich überhaupt im Haus gewesen war; ich hatte mich ungesehen in den Garten geschlichen und eilte zum Strand hinunter. Ich sah Licht im Bootshaus brennen und trat ohne zu zögern ein. Zu meiner Überraschung war Rebecca allein. Sie lag auf dem Sofa, und neben ihr stand ein Aschenbecher voller Zigarettenstummel. Sie sah müde und angegriffen aus. Ich stellte sie gleich wegen Favell zur Rede, und sie hörte mir schweigend zu. Einen Augenblick lang sagte sie nichts. Sie starrte mich nur an, und dann lächelte sie. Sie drückte ihre Zigarette aus, erhob sich und streckte sich und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Sie sah sehr blaß und schmal aus. Sie begann, mit den Händen in den Hosentaschen, im Zimmer auf und ab zu gehen. In ihrem Segelanzug sah sie wie ein Junge aus, ein Junge mit dem Gesicht eines Botticelli-Engels. Sie warf den Kopf zurück und lachte. Sie betrachtete mich lächelnd, die Hände immer noch in den Hosentaschen, und wiegte sich auf den Zehenspitzen. Sie setzte sich auf die Tischkante und pendelte mit den Beinen hin und her, während sie mich scharf beobachtete. Plötzlich sprang sie vom Tisch und stellte sich lächelnd vor mich hin. Sie hielt inne und zündete sich eine Zigarette an und trat ans Fenster. Plötzlich fing sie an zu lachen. Sie lachte, als ob sie nie wieder aufhören wollte. Sie wandte sich um und lächelte mich an, die eine Hand in der Hosentasche, in der anderen ihre Zigarette. Sie lächelte noch, als ich schoß. Ich zielte auf ihr Herz. Die Kugel ging glatt durch ihren Körper. Sie fiel nicht gleich um. Sie stand da und starrte mich mit weitaufgerissenen Augen leise lächelnd an ...» Maxims Stimme war immer leiser geworden, so leise, daß es fast nur noch ein Flüstern war. Seine Hände fühlten sich ganz kalt an. Ich sah ihn nicht an. Mein Blick ruhte auf dem schlafenden Jasper neben mir, der hin und wieder im Traum mit dem Schwanz wedelte. «Ich hatte nicht daran gedacht», sagte Maxim mit müder ausdrucksloser Stimme, «daß ein Mensch, der erschossen wird, so viel Blut verliert.» Neben Jaspers Schwanz war ein Loch im Teppich, das eine achtlos fortgeworfene Zigarette hineingebrannt hatte. Ich konnte mich nicht erinnern, es vorher schon gesehen zu haben. Manche Leute sagen, daß Zigarettenasche gut für Teppiche sei. «Ich mußte Wasser aus der Bucht holen», fuhr Maxim fort. «Ich mußte ein paarmal zum Strand hinuntergehen. Selbst am Kamin, in dessen Nähe sie gar nicht gestanden hatte, waren Blutflecke. Sie selbst lag in einer Lache. Draußen hatte es zu stürmen begonnen, und das Fenster war nicht festgehakt, so daß es unaufhörlich auf- und zuschlug, während ich dort auf dem Boden kniend mit Scheuertuch und Eimer arbeitete.» Und der Regen auf dem Dach, ging es mir durch den Kopf; er hat den Trommelwirbel des Regens vergessen, diesen eintönigen, eindringlichen leisen Ton. «Ich trug sie zum Boot hinunter», erzählte er weiter. «Es muß nach halb zwölf gewesen sein. Es war eine mondlose finstere Nacht. Der Wind kam in Böen aus dem Westen. Ich trug sie in die Kajüte hinunter und ließ sie dort liegen. Dann ruderte ich das Boot gegen die einkommende Flut hinaus, die Jolle im Schlepp. Ich hatte zwar den Wind mit mir, aber er kam nur stoßweise, und außerdem befand ich mich noch im Lee der Landzunge. Und als ich das Hauptsegel setzen wollte, hakte es sich auf halbem Weg am Mast fest. Ich war so lange nicht mehr gesegelt; ich war nie mit Rebecca hinausgefahren. Und ich dachte daran, wie heftig die Flut in den kleinen Hafen drückte. Der Wind blies von der Landzunge herunter wie aus einem Kamin. Irgendwie brachte ich das Boot aber hinaus. Draußen am Leuchtturm versuchte ich, an den Felsen vorbeizumanövrieren, aber ich konnte das flatternde Vorsegel nicht schnell genug einziehen; ein Windstoß riß mir das Segel aus der Hand, so daß es sich um den Mast wickelte. Das Hauptsegel knallte wie eine Peitsche um meinen Kopf. Ich konnte mich nicht darauf besinnen, was in solcher Lage zu tun war. Es fiel mir einfach nicht ein. Ich versuchte mich nach dem Segel auszustrecken, aber es flatterte außer Reichweite. Plötzlich schlug der Wind um und begann das Boot seitlich zu den Felsen abzutreiben. Es war eine so pechschwarze Nacht, daß ich auf dem schlüpfrigen, dunklen Deck gar nichts unterscheiden konnte. Stolpernd und tastend erreichte ich schließlich die Kajütentür und ging hinunter. Ich hatte den Bootshaken bei mir. Wenn ich es jetzt nicht tat, dachte ich, würde es zu spät sein. Das Boot trieb immer näher auf das Riff zu; in wenigen Minuten wäre es aus dem tiefen Wasser heraus. Ich öffnete das Flutventil, und das Wasser begann hereinzuströmen. Ich trieb den Bootshaken in die Bodenplanken, eine splitterte beim ersten Hieb der Länge nach durch. Ich zog den Bootshaken heraus und schlug eine zweite Planke ein. Das Wasser reichte mir schon bis zu den Knöcheln. Ich ließ Rebecca auf dem Boden liegen, schloß beide Bullaugen und verriegelte die Tür. Als ich an Deck kam, sah ich, daß das Riff keine zwanzig Meter weit entfernt war. Ich warf den Rettungsring, das Schleppnetz und das Haltetau ins Wasser. Dann kletterte ich in die Jolle, ruderte ein Stück fort, zog die Riemen ein und wartete. Das Boot trieb noch, obwohl es schon zu sinken begann. Das Segel flatterte und knallte immer noch. Ich fürchtete, jemand könnte es hören, irgendein später Spaziergänger oder ein Fischer aus Kerrith, dessen Boot ich nicht sehen konnte. Rebeccas Boot lag jetzt schon tief im Wasser, es war nur noch ein schwarzer Schatten. Der Mast schwankte und ächzte, und als das Boot sich plötzlich umlegte und sank, zerbrach er. Der Rettungsring und das Netz schaukelten ein Stück von mir entfernt auf dem Wasser. Von dem Boot war nichts mehr zu sehen. Ich starrte noch eine Weile auf den Fleck, wo es untergegangen war. Dann ruderte ich zurück. Ein leichter Regen hatte eingesetzt.» Maxim hielt inne. Er wandte mir zum ersten Mal während seiner Erzählung das Gesicht zu und sah mich an. «Das ist alles», sagte er. «Mehr ist nicht zu erzählen. Ich machte die Jolle an der Boje fest, wie sie es zu tun pflegte. Dann ging ich noch einmal ins Bootshaus. Der Boden war noch naß. Er sah nicht anders aus, als ob sie ihn aufgewischt hätte. Ich lief durch den Wald zum Haus zurück und die Treppe hinauf in mein Ankleidezimmer. Es stürmte und regnete jetzt heftiger. Ich saß auf meinem Bett, als Mrs. Danvers an die Tür klopfte. Ich schlüpfte in meinen Schlafrock, öffnete und fragte, was sie wolle. Sie mache sich Sorgen um Rebecca. Ich sagte ihr, sie solle wieder zu Bett gehen, und schloß die Tür hinter ihr zu. Dann setzte ich mich ans Fenster und lauschte in die Nacht und den Regen hinaus.» Wir saßen eine Weile schweigend da. Ich hielt noch immer seine kalten Hände. Mir fiel plötzlich ein, daß Robert längst hätte kommen müssen, um den Teetisch abzuräumen. «Das Boot ist zu nahe am Land gesunken», sagte Maxim. «Ich hatte vor, es aus der Bucht hinauszusegeln. Dort hätte man es nie gefunden. Ich bin nicht weit genug gekommen.» «Das gestrandete Schiff ist schuld», sagte ich. «Wenn das nicht gewesen wäre, hätte man das Boot nie entdeckt.» «Es ist zu nahe am Land gesunken.» Wir schwiegen wieder. Ich fühlte mich auf einmal sehr müde. «Ich wußte, daß es eines Tages so kommen würde», fing Maxim wieder an. «Sogar als ich damals nach Edgecoom-be fuhr und die fremde Frauenleiche als Rebecca identifizierte, wußte ich, daß es damit noch nicht sein Ende haben würde. Das war nur eine Verzögerung, ein kleiner Aufschub. Letzten Endes würde Rebecca doch gewinnen. Daß ich dich gefunden habe, hat auch nichts daran geändert; daß ich dich liebe, hält den Lauf des Schicksals nicht auf. Rebecca wußte, daß sie über mich triumphieren würde. Ich sah es an ihrem Lächeln, als ich sie erschoß.» «Rebecca ist tot», sagte ich. «Wir dürfen uns nicht von Phantasien gefangennehmen lassen. Rebecca ist tot. Sie kann nicht mehr sprechen, sie kann kein Zeugnis ablegen. Sie kann dir nichts mehr antun.» «Aber die Leiche», sagte er. «Der Taucher hat sie dort in der Kajüte gesehen.» «Wir müssen eine Erklärung dafür finden», entgegnete ich. «Wir müssen uns etwas ausdenken; wir müssen sagen, es ist die Leiche eines Menschen, den du nicht kennst, von dem du nichts weißt.» «Ihre Sachen werden noch da sein, die Ringe an ihren Fingern. Ihre Kleider können sich noch nicht so aufgelöst haben, daß man sie nicht erkennen könnte. Es wäre ja etwas anderes, wenn die Leiche im Wasser getrieben hätte und an der Felsenküste zerschlagen worden wäre. Die Kajüte ist noch unberührt. Die Leiche muß noch genauso daliegen, wie ich sie damals hingelegt habe. Das Boot hat die ganze Zeit an derselben Stelle auf dem Meeresboden gelegen.» «Aber eine Leiche löst sich doch im Wasser auf», flüsterte ich. «Selbst wenn sie unberührt am gleichen Fleck gelegen hat, wird das Wasser sie doch aufgelöst haben, glaubst du nicht?» «Ich weiß nicht», sagte Maxim. «Ich weiß es nicht.» «Wie kannst du es denn in Erfahrung bringen? Wann wirst du es wissen?» «Morgen früh um halb sechs wird der Taucher wieder hinuntersteigen. Searle hat schon alle nötigen Vorbereitungen getroffen, um das Boot zu heben. Zu der frühen Stunde werden sich keine Neugierigen einfinden. Ich werde aber dabei sein. Searle holt mich in seinem Boot an der Bucht ab. Morgen früh um halb sechs. Er wird seinen großen Leichter so nahe wie möglich ankern lassen. Wenn das Holz noch nicht verfault ist, wenn die Planken noch zusammenhalten, dann kann der Kran das Boot heben. In dem Fall werden sie nach Kerrith zurückfahren und den Leichter an der halb verschlammten Flußmündung vor Kerrith Harbour ankern lassen, wo die Ausflügler weder mit ihren Schiffen noch zu Land herankommen können. Dort werden sie ungestört sein. Er sagte, man müsse das Wasser aus der Kajüte pumpen, und dann will er den Gerichtsarzt kommen lassen.» «Und was wird der tun?» fragte ich. «Was wird der Arzt tun?» «Ich weiß es nicht.» «Wenn sie feststellen, daß es Rebecca ist, dann mußt du sagen, daß du dich geirrt hast, als du die andere Leiche identifiziertest», sagte ich. «Du mußt einfach sagen, es müsse dir ein schrecklicher Irrtum unterlaufen sein, und daß du krank warst, als du damals nach Edgecoombe fuhrst, und deine Aussage im Fieber gemacht hast. Du habest im besten Glauben gehandelt; es sei ein Irrtum, nur ein Irrtum. Wirst du das sagen, ja?» «Ja», sagte er, «ja.» «Sie können dir nichts beweisen», sagte ich. «Niemand hat dich in jener Nacht gesehen. Du warst schon zu Bett gegangen. Man kann dir nichts nachweisen. Nur du und ich wissen es. Sonst niemand. Nicht einmal Frank. Wir sind die einzigen Menschen in der Welt, die es wissen, Maxim, nur du und ich.» «Ja», sagte er, «ja.» «Man wird annehmen, daß das Boot kenterte und gesunken ist, während sie sich in der Kajüte aufhielt», sagte ich. «Man wird annehmen, daß sie nach unten gegangen ist, um ein Tau oder irgend etwas zu holen, und während sie unten war, schlug der Wind um, und das Boot kenterte, und Rebecca war gefangen. Das werden die doch annehmen, glaubst du nicht auch?» «Ich weiß nicht», sagte er. «Ich weiß nicht.» Plötzlich begann das Telephon in dem kleinen Zimmer hinter der Bibliothek zu klingeln.